[Deutschland]
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103
] Berlin. 31. October.
Die Central-Abtheilung hat heute ihren Bericht über den Antrag des Abgeordneten Jung auf Pensionirung der Wittwen und Waisen der am 18. und 19. März gefallenen Freiheitshelden vertheilen
lassen. Dieselbe beantragt:„daß unter Zuhilfenahme der dazu vorhandenen (sich in den Händen der hiesigen Stadtbehörde befindlichen) Fonds von circa 74 000 Rthlr und soweit diese nicht
zureichen, aus Staatsmitteln den Freiheitskämpfern des 18. und 19. März d. J. , welche durch erhaltene Verwundung arbeitsunfähig oder unterstützungsbedürftig geworden und den Hinterbliebenen der in
diesem Kampfe gefallenen Freiheitshelden, in Anerkennung des Verdienstes, welches sich die Kämpfer um das Vaterland erworben haben, Pensionen und Unterstützungen in monatlichen Raten nach folgenden
Sätzen zu bewilligen sind:
1) jeder Wittwe eines Gefallenen für ihre Lebenszeit, nach Maßgabe ihrer Bedürftigkeit, jährlich 50 bis 100 Rthlr. und außerdem für jedes von dem Gefallenen nachgelassene in ihrer Pflege
befindliche Kind bis zum erreichten 18. Lebensjahre jährlich 20 Rthlr.,
2) für jedes nachgelassene Kind eines Gefallenen, das sich nicht in der Pflege einer nachgelassenen Wittwe befindet, bis zum erreichten 18 Jahre, je nach der Bedürftigkeit 20 bis 50 Rthlr.
jährlich,
3) den hinterlassenen Eltern und Großeltern, deren alleiniger Ernährer der Gefallene war, zusammen jährlich 100 Rthlr.,
4) denjenigen, welche durch die im Kampfe erhaltenen Wunden arbeitsunfähig geworden, oder deren Erwerbsfähigkeit in Folge der Wunden gelitten hat, nach Maßgabe der verringerten Erwerbsfähigkeit 50
bis 200 Rthlr jährlich,
und die Staatsregierung zu ermächtigen, diese Verwilligungen in das Budget aufzunehmen.
Der gesammte Aufwand wird nach diesen Vorschlägen in der ersten Zeit ungefähr 25 bis 30,000 Rthlr. jährlich betragen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß dieser Antrag angenommen wird, da die
Abtheilung fast aus lauter Männern des Centrums besteht. Es wird dies die factische Anerkennung der Revolution sein.
Zu der Abendsitzung vom 3. November sind schon mehrere dringende Anträge und Interpellationen gestellt. Rodbertus und Berg: Die Versammlung wolle beschließen: „daß das
Ministerium aufgefordert werde, der gegenwärtigen Versammlung, gemäß der königl Botschaft vom 4. April d. J. baldigst Rechenschaft über die Verwendung der 25 Millionen Rthlr. Garantie zu geben, welche
der letzte vereinigte Landtag durch Beschluß vom 8. April d. J., „ zur Herstellung des Credits im Innern und zur Erhaltung von Handel, Gewerbe und Landwirthschaft die Regierung zu übernehmen
ermächtigt hat.“
Der Abg. Rodbertus hat nachstehenden Gesetzentwurf „ wegen Vorbereitung einer neuen Steuerverfassung“eingereicht.
§. 1. Um die Staatsabgaben nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und einer aufgeklärten Staatswirthschaft zu regeln und mit der Steuerkraft der Staatsangehörigen in Einklag zu bringen, soll eine
neue Steuerverfassung im ganzen Umfange der Monarchie eingeführt werden. Dieselbe soll sich über das gesammte Staatsabgabenwesen mit Ausnahme der Grenzzölle erstrecken.
§. 2. Zur Ausarbeitung des Entwurfs einer solchen Steuerverfassung soll unverzüglich eine aus 16 Mitgliedern, und zwar aus 8 Mitgliedern dieser Versammlung und acht andern Sachverständigen,
bestehende Kommission zusammengesetzt werden. Die Mitglieder aus der Versammlung werden von dieser, nach dem bei der Wahl ihrer Vicepräsidenten angenommenen Modus, gewählt; die übrigen acht
Mitglieder, unter denen mindestens vier Richtbeamte sein sollen, werden von Sr. Majestät Regierung ernannt.
§. 3. Diese Kommission soll schleunigst unter einem aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden ihre Arbeiten beginnen. Ihre Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt; bei Stimmengleichheit
entscheidet der Vorsitzende. Bei allen Fragen, die mit Majorität von einer Stimme entschieden werden, soll das Minoritätsvotum dem Entwurf beigefügt werden. Der Kommission stehen alle bei den
königlichen Behörden befindlichen Materialien zu Gebot.
Motive: Die bestehende Steuerversatzung des Staats entspricht nicht mehr ihrem Zweck. Sie steht weder mit der gegenwärtigen Vertheilung des Nationaleinkommens im Einklange, noch genügt sie
den Anforderungen der Zeit in Vertheilung der öffentlichen Abgaben. Auf keinem Gebiete der innern Politik ist aber eine stückweise Reform nachtheiliger, als auf dem vorliegenden. Während eine solche
die Belästigung einer neuen Besteuerung immer mit sich führt, ersetzt sie doch in der Regel nur das eine Unrecht durch ein andres. Es ist daher eine durchgreifende vollständige Reform unseres
Abgabenwesens dringend nothwendig, eine Aufgabe, die indessen so groß ist, daß schon für ihre Vorarbeiten eine eigends dazu ernannte Kommission nöthig wird. Aus diesen Gründen scheint sich der
vorstehende Gesetzvorschlag und seine Verweisung an die betreffende Fachkommission zur schleunigen Berichterstattung zu rechtfertigen.
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103
] Berlin, 31. Okt.
Abendsitzung der Vereinbarer-Versammlung. Auf der Tagesordnung stehen folgende dringende Anträge:
Waldeck und Konsorten (äußerste Linke). Die Versammlung wolle beschließen:
„daß das Staatsministerium aufzufordern, zum Schutze der in Wien gefährdeten Volksfreiheit alle dem Staate zu Gebote stehenden Mittel und Kräfte schleunigst anzubieten.“
Motive. In Wien wird gegen den erklärten Willen der Volksvertreter durch die Kamarilla ein Heer, theils aus barbarischen Kroatenhorden, theils aus deutschen Kriegern bestehend, gegen die
eigene Hauptstadt geführt, diese, wie ein feindlicher Ort belagert, und so zu Gunsten der Herrschergelüste für die Gegenwart namenloses Elend, für die Zukunft unabweisliche Gefährdung der
Volksfreiheit, und der davon unzertrennlichen Nationalität eines deutschen Volksstammes bereitet. ‒ Dringend erwartet das civilisirte Europa von dem größten deutschen Volke, dem Preußischen,
daß es das Gewicht seines Wortes, seiner Geld- und Waffenkräfte in die Wagschale legt, dem Reichstage in Wien zur Verfügung stellt, und dadurch die Ränke und Gewaltstreiche einer unverbesserlichen
Partei vereitelt.
Rodbertus, Berg und Consorten (schwankende Linke). Die Versammlung wolle beschließen.
„Sr. Majestät Regierung aufzufordern, bei der Centralgewalt schleunige und energische Schritte zu thun, damit die in den deutschen Ländern Oestreichs gefährdete Volksfreiheit und die
bedrohte Existenz des Reichstags in Wahrheit und mit Erfolg in Schutz genommen und der Friede hergestellt werde.“
Motive. Die Lage der Dinge in Wien erfordert eine schleunige und kräftige Einwirkung zum Schutze der Freiheit. Nur die Centralgewalt ist dazu berufen. Es ziemt aber Preußen, bei dieser
darauf zu dringen.
Amendement zum Antrage der Abgeordneten Waldeck und Konsorten:
Dunker (Centrum). „Die Regierung seiner Majestät aufzufordern, bei der deutschen Centralgewalt mit Entschiedenheit dahin zu wirken, daß nicht in Folge der neuesten Wiener Ereignisse
die Freiheit und Nationalität eines deutschen Bruderstaates gefährdet werde.“
Um 5 1/2 Uhr wird die Sitzung eröffnet. Der Sitzungssaal ist von Tausenden umgeben, obgleich ein starker Regen störend einwirkt; doch das Volk will das Resultat in der Sache Wiens aus erster Hand
entgegennehmen.
Nach Eröffnung der Sitzung wird zuerst ein Schreiben des Ministerpräsidenten verlesen, wodurch derselbe anzeigt, daß der König das Gesetz wegen unentgeldlicher Aufhebung der Jagdgerechtigkeit
vollzogen habe. ‒ Ein anderes Schreiben überreichte eine königl. Botschaft über Aufhebung und Ablösung der mit den Mühlen verbundenen Lasten und Abgaben. Dieser Entwurf wird der
Fachkommission für Handel und Gewerbe übergeben.
Der Antrag des Abg. Waldeck wird verlesen und unterstützt. Der Präsident zeigt an, daß mehrere Petitionen über diesen Gegenstand heute eingegangen, daß sie der Abg. D'Ester zur
seinigen gemacht und daß sie in dem Sekretariat zur Ansicht ausliegen.
Die Dringlichkeit wird ohne Widerspruch anerkannt. Auch das Amendement von Dunker und das von Rodbertus werden unterstützt.
Waldeck: Wenn wir heute vor Sie treten und Ihre Unterstützung, die Unterstützung diese Landes in Anspruch nehmen, sind wir überzeugt, daß es bei allen Anklang finden wird. Nur um die Mittel
kann eine Meinungsverschiedenheit herrschen. Die Sache Wiens ist die Sache der Freiheit. Wien hatte sich im März die Freiheit errungen. Freilich dachten wir, daß damals mit dem Träger des Despotismus
Alles gestürzt sei. Aber es ist anders geworden. Der Kampf, den Barbarenhorden dort führen, ist ein ungesetzlicher, denn der Wiener Reichstag, der sogut wie diese Versammlung, eine konstituirende ist,
hat den Belagerungszustand für ungesetzlich erklärt. Und dennoch bombardirt Windischgrätz diese erste Stadt Deutschlands, die deutsche Kaiserstadt. Wir müssen die Sache Wiens zur unsrigen machen. Denn
denken Sie, wenn hier Aehnliches uns zugemuthet würde, wie dem Wiener Reichstag, der laut eines kaiserlichen Befehls sich von Wien entfernen soll, würden wir einem solchen Befehle folgen? Wir haben an
Oestreich viel gut zu machen. Lange dauerte der Zwist zwischen den beiden großen Staaten. Unser großer König eroberte im Kriege eine Provinz von Oestreich. Diese Provinz ist aber der Hort der Freiheit
geworden. ‒ Von einigen Seiten hat man unserem Antrage entgegengestellt, erst bei der Centralgewalt um Hülfe anzusprechen. Wenn des Nachbars Haus brennt, klopft man da erst bei einem Dritten um
Hülfe an oder rettet man selbst? Daher beeilen wir uns, Wien zu retten. Wenn diese Stadt auch unterliegen sollte, so ist die Sache der Freiheit noch nicht verloren. Wien ist kein Neapel und die
Deutschen sind keine Lazzaroni. Daher bitte ich Sie unsern Antrag anzunehmen.
Berg: Wenn ich gegen den Antrag spreche, so thue ich das nicht um den Eindruck, den der vorige Redner auf Sie gemacht, zu unterdrücken. Ich bin mit meinen Freunden nur der Ansicht, daß die
Centralgewalt diese Sache in die Hand nehmen muß. In Wien wird ein Krieg einer auswärtigen Regierung mit einem deutschen Volksstamme geführt. Wenn der König von Slavonien seine Truppen gegen eine
deutsche Stadt führt, so muß er als ein Feind des deutschen Reichs vertrieben werden.
Elsner: Wir können nicht erst darauf warten, was die Centralgewalt in Frankfurt beschließen wird. Gesetzt auch, die Centralgewalt wäre vom besten Geiste beseelt, so dürfen wir dennoch keine
Zeit verlieren, um Wien zu Hülfe zu kommen. Wird dort nicht das abscheuliche alte Spiel getrieben, einen Volksstamm gegen den andern zu hetzen, um die Freiheit zu unterdrücken? In Prag wurden deutsche
Heere zur Unterdrückung der Freiheit gebraucht; in Wien slavische und czechische Heere. Bedenken Sie, daß wenn in Wien die Reaktion siegt, es bei uns keine acht Tage dauern wird, bis die Kamarilla
dasselbe Spiel versuchen wird.
Rodbertus: Ich hätte mich ebensogut für als gegen den Antrag des Abg. Waldeck einschreiben lassen, denn ich bim Grunde mit dem Antrage einverstanden, nur in der Ausführung sind wir
verschiedener Gesinnung. Wir wollen es der Centralgewalt überlassen, Wien zur Hülfe zu kommen, denn wir können uns keine deutsche Freiheit denken ohne Einheit. ‒ Die Freiheit ist nicht blos
gefährdet, wenn wir das brennende Wien sehen. Ich kann mir nicht denken, daß der Kaiser seine eigene Residenz in Feuer schießen läßt. Seine Feldherrn thun es ohne seinen Willen. Er kann kein Nero
sein. ‒ Preußen wird die Befehle der Centralgewalt auszuführen haben.
Der Minister des Auswärtigen macht einige Mitteilungen über den Stand der Sache. Er verliest die kaiserl. Proklamation vom 19. Okt. Die Centralgewalt habe zwei Bevollmächtigte nach Wien und
Olmütz geschickt, um die deutsche Sache zu wahren. Die Centralgewalt hat demnach ihre Schuldigkeit gethan. ‒ Die Gewalt des Kaisers ist noch eine legitime.
Riegel: Es gibt eine Dankbarkeit und Pietät auch für die Völker gegeneinander und diese Pietät haben die deutschen Völker gegen den östreichischen Staat. Dort zuerst hat sich im März die
Revolution erhoben. ‒ Ich komme soeben aus der Provinz und will Ihnen erzählen, was man dort von der Centralgewalt denkt. Man nennt sie nur noch mit Spitznamen. (Ein ungeheurer Sturm von der
Rechten und dem Centrum: Zur Ordnung! Der Präsident: Der Redner hat nur referirt.) Ja man hat in den Provinzen kein Zutrauen mehr zu der Centralgewalt. ‒ Lassen wir Wien im Stich, so provociren
wir eine zweite Revolution. ‒ Der Minister der Auswärtigen hat uns die Versprechungen des Kaisers vorgelesen. Warum will man aber den Reichstag von Wien verlegen. Man will ihn, mit dem Volke zu
sprechen, aufs Trockene setzen, warum bombardirt man Wien? weil man einen legalen Akt auf einem etwas illegalen Wege beging. ‒ Welcher Antrag auch angenommen werden wird, so muß ich darauf
aufmerksam machen, daß die Herren Minister jedenfalls die Verantwortlichkeit für die schleunige Ausführung zu übernehmen haben.
Berg (eine faktische Berichtigung.) Der Herr Minister hat uns von den zwei Kommissären erzählt, welche die deutsche Centralgewalt zur Wahrung der deutschen Sache nach Wien gesandt hat. Was
können aber zwei Kommissäre ausrichten? Warum hat man ihnen nicht wie den nach Altenburg gesandten eine Armee zur Unterstützung ihres Auftrags mitgegeben?
Während dieser Reden, dringt das Hurrahgeschrei des außerhalb des Saals versammelten Volkes von Zeit zu Zeit in den Sitzungssaal. Noch hat es kein Redner der rechten Seite gewagt, gegen den Antrag
zu sprechen. Die Rechte befolgt heute die Politik, sich mit dem Centrum zu verbinden und Alles der Centralgewalt zu überlassen. Die Rechte weiß, daß Frankfurt ihre festeste Stütze ist. In Frankfurt
wird nichts geschehen, was gegen ihren Willen wäre. „Gehen wir wie immer mit der Centralgewalt, dann gehen wir mit Deutschland,“ sagt ein Redner der Rechten in diesem Augenblick. Das
Amendement Dunker nennt er so klar, so durchsichtig, daß er es nur empfehlen kann.
Schramm: So lange wir hier versammelt sind, haben wir noch nie an der Quelle einer großen That gestanden als in diesem Augenblicke. Lassen wir aus unserer heutigen Berathung eine angemessene
Frucht ersprießen. ‒ Die Dringlichkeit unsers Antrags haben Sie alle anerkannt, wenn Sie sich aber erst an die Centralgewalt wenden wollen, vergreifen Sie sich in der Wahl des Mittels. Es ist
keine Zeit zu verlieren. ‒ Es wird Ihnen bekannt sein, daß diplomatische Verhandlungen schweben, die mußten uns bekannt gemacht werden.
Der Minister des Auswärtigen theilt mit, daß die Frankfurter Versammlung in ihrer Sitzung vom 23. alles, was die Centralgewalt in der Sache Wiens gethan, gebilligt habe.
Ostermann. Nach den Worten des Antragstellers wird das Prinzip der Intervention dadurch gerechtfertigt, daß er sagte, wenn des Nachbars Haus brennt, dann eile ich zu Hülfe. Aber der Hausherr
muß doch wohl zuerst rufen. Haben wir einen solchen Ruf von dem Reichstage in Wien erhalten? Es freut mich, daß ich den Antragsteller mit dem vor der Revolution ausgesprochenen Prinzip des Hrn. v.
Kamptz einverstanden sehe. Les extrémes se touchent. Ich empfehle Ihnen das Amendement Dunker.
Schulze (Wanzleben) erinnert, wie gern die Reaktion im Trüben fischt, aber der Centralgewalt können wir nichts mehr überlassen. Sie wußte Alles, was in Wien geschehen, und was hat sie
gethan? Sie schickte 2 Kommissäre dahin. Auf die Centralgewalt ist also nicht mehr zu rechnen. Aber Millionen schauen auf uns. Wenn die Freiheit in Wien unterdrückt ist, dann hat die deutsche Einheit
aufgehört. Zuvor retten wir die Freiheit, dann wird sich die Einheit finden. ‒ Auch wir wollen die legale Entwicklung der Freiheit, aber wenn sie erstickt ist, dann ist es zu spät, sie zu
entwickeln. Zu spät wird es aber sein, wenn wir unsern Weg zur Rettung Wiens über Frankfurt nehmen wollen.
Dunker: Gestatten Sie mir, daß ich Sie von der gegenwärtigen Lage Wiens zurückführe auf den Beginn dieses Kampfes. Was war denn in Ungarn geschehen, daß seinethalben dieser Kampf begann. Das
Volk von Wien, widersetzte sich dem Abzug der deutschen Regimenter nach Ungarn. Es handelt sich also nicht um einen Kampf der Reaktion, sondern um einen Kampf verschiedener Nationalitäten. ‒
Der Wiener Reichstag ist nicht allein von deutschen Stämmen, sondern von den Stämmen aller Nationalitäten Oestreichs beschickt worden. Die Hälfte der Reichstagsmitglieder haben Wien jetzt verlassen.
Sie stehen jetzt unter dem Terrorismus der Wiener Bevölkerung. Wenn auch Wien von Windischgrätz erobert werden wird, so glaube ich doch nicht, daß er die Freiheit unterdrücken wird. Dafür zu sorgen
ist Sache der Centralgewalt. Durch den Antrag Waldecks wird diese umgangen. Ich gestehe aber Niemandem das Recht zu, das Frankfurter Parlament, das vom ganzen deutschen Volke gewählt ist, zu
ignonoriren. Das wäre eine Freiheit mit Despotismus. ‒ In diesem Tone fährt der große Mann des Centrums noch eine Weile fort.
Schulze (Delitzsch) hebt hervor, daß die Frankfurter Versammlung die Sympathien ganz Deutschlands verloren habe. Was hat dieselbe gethan? Sie hat 2 Kommissare abgesandt. Aber was diese
gethan? Sie zogen an den kaiserl. Hof, statt daß ihre Stelle hinter den Wiener Barrikaden gewesen wäre, daß sie mit dem deutschen Volke für die deutsche Sache gehandelt hätten; ich möchte sie
Reichspolizeikommission nennen.
Finanzminister Bonin: Erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß man in Frankfurt die Sache ganz anders aufgefaßt hat wie hier. Man sandte dort Reichskommissare ab, um die
gestörte Ordnung wieder herzustellen. Hier ist man der Ansicht, daß die im März versprochenen Freiheiten dem Volke in Wien wieder genommen werden sollen. Wahrscheinlich war man in Frankfurt besser
unterrichtet. Es kann doch aber nicht geleugnet werden, daß es sich in Wien darum handelte, ob man den dortigen anarchischen Zuständen länger zusehen, oder solche unterdrücken solle.
Schulze (Delitzsch) berichtigt den Minister, daß der Reichstag in Wien, die dortigen Zustände sanktionirt habe, daß er den Belagerungszustand für ungesetzlich erklärt und daß der Kaiser alle
Beschlüsse des Reichstags anerkannt hat. Ist das anarchisch? ‒ Es handelt sich nicht in Wien um die Aufrechthaltung der gewährten Freiheiten. Freiheiten werden nicht gewährt, sie werden
errungen. Die Wiener befinden sich eben noch so wie wir auf dem Boden der Revolution.
Während Herr Baumstark in seiner gewohnten langweiligen Weise schwatzt, wollte ich ein wenig frische Luft schöpfen. Es war aber nicht möglich das Haus zu verlassen. Alle Thüren und die
Keller des Hauses fand ich stark von Bürgerwehr besetzt, und bis dicht an der Bürgerwehr stand das Volk in unermeßlicher Anzahl, das ganze Haus umgebend. Fackeln in den Händen einzelner Männer
beleuchteten das dunkle Nachtbild. Das Volk steht unerschütterlich. Seine Sympathie für Wien ist zum Ausdruck gekommen. Volksredner sprachen an verschiedenen Stellen zum Volke, und die Hurrah's
auf das Wiener Volk und auf die Freiheit dringen fortwährend in den Saal hinauf. ‒ In diesem Augenblick sagt Herr Baumstark: in Wien herrscht Anarchie! Das muß ich doch wenigstens von
seiner Rede mittheilen.
Jung: Der abgetretene Redner hat ein Brudervolk, das uns stammverwandt ist, zu verdächtigen gesucht. Der Abgeordnete Baumstark meint, daß, weil in Wien, in einer Stadt von 400,000
Einwohnern, Einige in ihrem Zorne einen verrätherischen Minister erschlagen haben, (Aufruhr zur Rechten) dort Anarchie herrsche. ‒ Er fährt noch begeistert für die Sache der Freiheit fort, und
wird von der Rechten zum Schluß gedrängt.
Der Schluß der Debatte wird angenommen, jedoch nimmt D'Ester als Mit-Antragsteller noch das Wort: Meine Herren: Es liegen Ihnen drei Anträge vor. Das Dunkersche Amendement, das wie er sagte
so klar wie die Sonne sein soll, ich sage aber es ist so klar wie die Luft, d. h. es enthält nichts. Was will es? es will Alles der Centralgewalt überlassen, es will pacifiziren. ‒ Das zweite
von Rodbertus und Berg will auch die Sache der Centralgewalt überlassen, und dem Ministerium die Verantwortlichkeit aufbürden. Das möchte ich aber nicht, denn wenn auch die Minister ihrer Pflicht
nachkommen werden, und ich bin überzeugt, daß sie es thun werden, sie würden ebenso eine Armee nach Wien senden, wenn wir es beschließen. ‒ Die Centralgewalt wird aber sich unsern Beschlüssen
widersetzen. In Wien ist es ein Kampf des alten Absolutismus mit der Demokratie und die Nationalitäten werden nur dazwischen geworfen um die Sache zu verwirren. Wollen wir nun Demokraten sein, und die
Herren von dieser Seite, sie sprechen ja auch von unserer demokratischen Monarchie, so unterstützen Sie die Sache der Freiheit, geben Sie ein Zeichen dadurch, daß Sie unsern Antrag annehmen. ‒
Endlich kommt man zur Abstimmung. Die Versammlung beschließt zuerst über den Antrag des Abg. Waldeck, dann über das Dunkersche und zuletzt über das Rodbertussche Amendement abzustimmen.
‒ Der Waldecksche Antrag wird in namentlicher Abstimmung mit 230 gegen 113 Stimmen verworfen.
Ob nun der Dunkersche oder Rodbertussche Antrag angenommen wird kann uns gleich bleiben, sie appelliren mehr oder weniger an die Centralgewalt und das ist gleich schlecht. Es ist 9 Uhr ich muß
diesen Brief zur Eisenbahn befördern. In diesem Augenblick räumen einige Tausend Mann Bürgerwehr den Platz. Warten wir ab, was heute Abend noch geschieht.
[0674]
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103
] Berlin, 31. Okt.
Heute Mittag um 1 Uhr, während sich die Vereinbarer mit der Abstimmung wegen Abschaffung des Adels und der Orden beschäftigten, versammelte sich der demokratische Bürgerwehrverein auf dem
Alexanderplatze, und zog vor den Sitzungssaal der Vereinbarer, um denselben eine Aufforderung zu Gunsten Wiens zu überreichen. Der Lindenklub schloß sich dem Zuge an, so daß derselbe den ganzen Platz
vor dem Sitzungssaale (Gensd'armenmarkt) ausfüllte. Eine Deputation überreichte die Aufforderung dem Präsidenten und der Abgeordnete D'Ester machte sie zur seinigen. Die Aufforderung
lautet:
„Hohe Versammlung! Die Bevölkerung der Stadt Berlin in allen ihren Theilen macht die Sache Wiens zu der ihrigen, sie hat sich daher zu der Aufforderung an die Vertreter des Volks vereinigt,
daß sie den Beschluß fassen:
„„Das preußische Volk und die Regierung unseres Staates steht ein für die Sache Wiens und der deutschen Brüder in Oesterreich, und erhebt sich mit aller Macht gegen die barbarischen
Feinde unserer Schwesterstadt Wien.““
Die Bevölkerung der Stadt Berlin hegt das Vertrauen zu den Vertretern des Volkes, daß ihr einmüthiger Wille, dem jeder Deutsche und jedes freie Herz im ganzen Lande zujauchzen wird, nicht ohne
Eindruck auf ihre Beschlüsse bleiben und zur Rettung der deutschen Freiheit in Wien und zur Wiederherstellung der Ehre deutscher Nation führen wird.“ (Folgen die Unterschriften).
Viele Tausende Menschen hatten sich dem Zuge auf dem Platze angeschlossen, und von der großen Freitreppe des Schauspielhauses herab verkündigte Arnold Nuge, daß D'Ester die
Petition zur seinigen gemacht, daß heute Abend die Sache Wiens in der Versammlung berathen würde, und daß man das Resultat ruhig abwarten solle, welches morgen Nachmittag in einer Volksversammlung
verkündet werden würde. ‒ Ein Theil des Volkes verlangte jedoch das Resultat noch heute Abend zu erfahren, und will den Platz nicht verlassen. ‒ Nach Schluß der Sitzung, um 2 Uhr,
erschienen noch 3000 Maschinenbauer mit einer ähnlichen Petition zu Gunsten Wiens, welche sie auch noch durch Vermittlung des Abgeordneten D'Ester überreichen lassen.
Das Volk fühlt, daß etwas für Wien geschehen muß, und weiß auch, daß der Sieg des Volkes in Wien, ein Sieg für uns ist.
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14
] Berlin, 31. Okt.
Der denkwürdige Kongreß, bei welchem die Gesinnungstüchtigkeit der blauen Republikaner in ein so helles Licht trat, wurde glücklicherweise schon gestern Abend geschlossen. Das beste Resultat ist,
daß der nunmehrige Centralausschuß sehr wahrscheinlich eine größere Entschiedenheit zeigen wird als der abgetretene.
Abends 1/2 8 Uhr. Die Bewegung entfaltet sich großartig. Seit 5 Uhr, obwohl es regnet, steht das Volk in großen Massen vor dem Schauspielhause, und harrt der Antwort seiner Deputationen. Vor einer
halben Stunde theilte ein Volksredner mit, man wolle sich an die Reichsverwesung wenden, was vom Volke mit großem Geschrei mißbilligt wurde. Soeben wird beschlossen, der Versammlung zu erklären, daß
man sie auflösen werde, falls sie den Willen des Volkes nicht erfülle.
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20
] Berlin, 31. Okt.
Endlich fangen die Berliner an, für Wien aufzutreten. Eine bedeutende Menschenmasse bewegte sich heute Mittag nach dem Gensdarmenmarkte hin zum Sitz der Vereinbarer. Der demokratische
Bürgerwehrklub eröffnete mit rothen Fahnen den Zug, der, je näher er dem Ziele kam, desto mehr anschwoll, so daß das Schauspielhaus von Tausenden umgeben war. Der Bürgerwehrklub übergab durch eine
Deputation dem Abg. D'Ester eine Petion zu Gunsten der Wiener. Die Vereinbarer werden dieselbe mit der Waldeckschen Interpellation heut Abend berathen. ‒ Als die Petition übergeben
war, glaubten die „Abwiegler“ ihre Schuldigkeit gethan zu haben; sie boten jetzt alles auf, um das versammelte Volk zum Nachhausegehen zu bewegen. Sie vertrösteten es bis auf Morgen
Nachmittäg; dann sollte es sich unter den Zelten wieder versammeln. Das Volk hat aber endlich die Schönrednereien satt und blieb standhaft auf dem Platze, bis man beschloß, sich um 5 Uhr (dann tritt
die Vereinbarerversammlung wieder zusammen) wieder einzufinden und dann nicht eher abzulassen, als bis für Wien Etwas geschehen sei.
Die Stimmung im Volk ist durchaus unzufrieden. Der Arbeiter ist erbittert über die Verfolgungen der Bourgeois; der Bourgeois über die Anmaßungen der Absolutisten. Nicht genug, daß man die Arbeiter
entläßt, will man den Bleibenden noch den Lohn abkürzen. Die Bourgeois sind böse über das Bürgerwehrgesetz, das heute in Kraft treten soll. Der Zündstoff ist da; die Regierung wird nicht verfehlen,
den Funken des Mißverständnisses hineinzuwerfen.
6 Uhr. So eben versammelt sich das Volk wieder am Schauspielhause, wo seit 5 Uhr die Sitzung wieder begonnen. Trotz dem herabströmenden Regen harrt die Menge aus. Alles sieht aus wie im
März.
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20
] Berlin, 30. October.
Der Demokratenkongreß ist geschlossen, ohne daß wir sagen könnten, er habe etwas Ersprießliches geleistet. Der Kongreß, auf den die Reformer des Volks immer hinwiesen und vertrösteten, als es
erregt durch die Wiener Ereignisse und geängstigt durch die Befürchtungen für seine Freiheit Etwas thun wollte; der Kongreß beschäftigte sich fast mit Nichts, als mit Formalitäten und Redensarten,
während er mit wirklich ekelhafter Scheu jedem Antrage auswich, der eine That oder eine Prinzipiendebatte in sich schloß. Mit Mühe und Noth brachte man den Antrag, daß gestern eine Volksversammlung
gehalten werden sollte, durch, und noch nachdem die Reformpartei des Kongresses geschlagen war, suchte sie mit Protesten gegen den Beschluß, die Volksversammlung zu hintertreiben.
Was that der Kongreß in Bezug auf die ihm zunächst liegende Frage ‒ die Wiener Ereignisse? Nichts weiter, als daß er ein Plakat darüber an's deutsche Volk erließ, worin dieses
aufgefordert wird, von den Regierungen die Wahrung der deutschen Interessen in Oestreich zu fordern. Das war alles, was man in dieser Sache zu thun für nöthig hielt. ‒ Kommen wir endlich zur
Prinzipienfrage mit der der Kongreß sich zu beschäftigen hatte, so finden wir die wunderlichsten Dinge, die hier zu Tage kamen. Oppenheim, früher Redakteur der Reform, wollte, daß der Kongreß den
alten Maxim. Robespierre ausgrabe und verlangte Annahme von dessen Erklärung der Menschenrechte, die er zu bearbeiten sich die Mühe gegeben hatte. Diese Mühe wurde schlecht belohnt. Der Kongreß sah
wohl ein, daß er sich mit dem Oppenheim'schen Antrage lächerlich machen müsse und verwarf ihn. Seit diesem Augenblicke hörte die Reformpartei auf, thätigen Antheil am Kongresse zu nehmen.
‒ In Bezug auf die Verfassungsfrage entspann sich zwischen den Rothen und Reformern ein Streit. Diese wollen erst die Form (Republik) und dann den Inhalt, während jene Inhalt und Form zugleich
haben wollen. Die Debatte war eine sehr heftige. Alle Augenblicke tönte der Ruf nach Schluß. Man glaubte sich unter eine Vereinbarer-Versammlung versetzt. Die Frage artete in Persönlichkeit aus und
der Kongreß endete, ohne etwas Anderes gethan zu haben, als daß er es zu einer Auseinandersetzung zwischen Reformern und Rothen brachte, was wir unsererseits nicht im Mindesten beklagen. Eine
Sonderung der Fraktionen war um so nöthiger, als es sich zeigte, daß ohne dieselbe man nie zur Klarheit über die Stärke der demokratischen Partei gelangt wäre, ‒ und hiermit schließen wir
unseren Bericht.
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Berlin, 29. Okt.
Seit 12 Tagen werden täglich 400,000 Thlr. nach Magdeburg geschafft. Es häuft sich auf diese Weise allmählig eine hübsche Kriegskasse. Warum ist das Geld in Berlin nicht sicher?
(Ref.)
‒ Der Reichs-Justizminister Robert Mohl hat ein würdig gehaltenes Schreiben an die Reichs-Versammlung in Wien gerichtet, in welchem er sein Befremden darüber ausdrückt, daß die Mörder
Latour's nicht nur straflos bleiben, sondern sich sogar unter dem Beifall eines Theiles der akademischen Legion ihrer That öffentlich rühmen dürfen. Er weist mit Ernst auf die schweren Folgen
hin, welche die Straflosigkeit von Verbrechen für ganz Deutschland haben müsse.
[(N. Pr. Z.)]
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@facs | 0674 |
Berlin.
„Bekanntmachung. Bereits unterm 6. Sept. etc. sahen wir uns genöthigt, in unserer desfallsigen öffentlichen Bekanntmachung darauf aufmerksam zu machen, daß der Abgeordnete von Berlin,
Landesgerichts-Assessor Hr. Jung, in der 43. Sitzung der Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung vom 24. August d. J., uns den völlig grundlosen Vorwurf der Verzögerung
einer amtlichen, mit seinem Antrage wegen der Pensionirung der Märzkämpfer, in Verbindung stehenden Mittheilung gemacht habe. Leider zwingt uns der Abg. Hr. Jung von Neuem zu der Erklärung, daß
er in der 64. Sitzung vom 2. Okt. etc., wie wir aus den uns jetzt zugekommenen gedruckten stenographischen Berichten über dieselbe entnehmen, die ganz unbegründete Behauptung öffentlich ausgesprochen
hat:
„daß viele Hundert der im Märzkampfe verstümmelten und erwerbsunfähigen Männer im Elende verkümmerten.“
Da wir die Sorge für jene Verwundete übernommen haben, nach Ausweis unserer Verhandlungen auch alle durch den Märzkampf ganz oder theilweise erwerbsunfähig gewordene Personen, welche sich als
solche bei uns ausgewiesen haben, aus den dazu eingegangenen Fonds solche fortlaufende Unterstützungen erhalten, welche es ihnen möglich machen, ihrem Stande gemäß zu leben, so müssen wir die oben
angeführte Angabe des Herrn Jung wiederholt als eine Unwahrheit bezeichnen, und den darin für uns liegenden Vorwurf, daß die hülfsbedürftigen Märzkämpfer im Elende verkümmern, entschieden
zurückweisen.
Berlin, 26. Okt. 1848.
Der Magistrat.“
Herrn Jung's Erwiederung lautet:
„Der Magistrat von Berlin und die Märzhelden. Endlich ist es mir gelungen, meinen Antrag auf Pensionirung der Märzhelden und ihrer Hinterbliebenen, zur Erledigung in der Central-Abtheilung
zu bringen. ‒ Diese, obschon aus Mitgliedern der Rechten und des Centrums bestehend, hat Pensionen von 50-200 Thlr. für Ganz- und Halbinvalide, 100 Thlr. für eine Wittwe, nebst 20 Thlr. für
jedes Kind, 50 Thlr. für ein einzelnes Kind festgesetzt. ‒ Der Magistrat ist dadurch von einer schweren Last befreit, denn er und die Stadtverordneten hatten im ersten Enthusiasmus versprochen,
für diese Personen Sorge tragen zu wollen, eine Aufgabe, die bei irgend anständiger Lösung ihm leicht 40 bis 50,000 Thlr. jährlich gekostet hätte, wogegen er nur 102,000 Thlr. aus den Sammlungen
erhalten hat. Was thut nun der Magistrat, der mir Dank schuldig ist? Er fühlt sich getroffen durch das, was ich am 2. Oktober der Rechten in der Nationalversammlung, die über meine Fürsorge für unsere
Freiheitshelden lachte, zurief: Man muß schamroth werden, wenn man sieht, daß diese Verstümmelten im Elende schmachten dafür, daß sie für uns gekämpft und gelitten haben. Dies nennt der Magistrat eine
Unwahrheit, weil er die Leute unterstütze und dazu die Gelder in Händen habe. ‒ Der hochweise Magistrat könnte füglich seine Vertheidigungen sparen, wenn Niemand an ihn gedacht hat. ‒
Nach den Akten sind bis zum 1. Sept. 1323 Personen mit kleinen Summen, 888 Personen, resp. Familien, bedeutend oder wiederholt unterstützt worden. Gegenwärtig werden nur noch unterstützt: 202
Personen, resp. Familien. Die Unterstützungen betragen von 1 Thlr. bis 16 Thlr. monatlich. Daß dabei Niemand vergessen ist, daß mit 1, 2-8 Thlr. monatlich irgend ein Stand der Welt standesmäßig leben
kann, das glaube, wer da kann. ‒ Ich habe aber dem Magistrat gar keine Vorwürfe hierüber gemacht, indem ich nicht behauptete, daß seine Geldmittel ausreichten, allen Anforderungen zu
entsprechen, denn sonst hätte ich ja gar keine Veranlassung gehabt, die Versorgung auf Staatskosten zu verlangen. Wenn aber der Magistrat sich so sehr zu Vorwürfen drängt, so mag er wissen, daß es
wenig Sorge für die Stadt verräth, der eine so große Last abgenommen wird, wenn er auf die Privataufforderung des Abgeordneten Kirstein, während zweier Monate gar nicht antwortet, wenn er dazu erst
vom Minister des Innern amtlich muß veranlaßt werden, und dann noch 5 - 6 Wochen, im Ganzen also ein Vierteljahr braucht, um endlich den aktenmäßigen Nachweis zu geben. ‒ Er mag ferner wissen,
daß die Abgeordneten Müller von Zell und Landrath Hesse von Saarbrücken noch immer keine Quittung über die im Frühjahr abgelieferten Gelder von ihm erlangen können, und Ersterer weiter 58 Thaler, die
er noch in Händen hat, und zu deren Abnahme er vergebens aufforderte, jetzt selbst vertheilen will. Doch wozu der Streit über einzelne Nachlässigkeiten mit einer Behörde, deren Hauptfehler darin
besteht, daß sie null in einer Zeit ist, wo ihr der Weg und der Beruf einer welthistorischen Bedeutung sich eröffnete; ‒ die die geistige Erbschaft des 18. März gar nicht angetreten hat, und
dadurch von der Bewegung so sehr überfluthet wurde, daß ‒ was man höchstens einer Frau zum Verdienst anrechnet, ‒ Niemand mehr von ihr spricht.
Jung, Abgeordneter für Berlin.