Italien.
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Paris, 31. Oktober.
Der Moniteur veröffentlicht heute den Beschluß der Nationalversammlung, welcher die Wahl des Präsidenten der Republik auf den 10. Dezember festsetzt. Man kennt den Inhalt dieses wichtigen Dekrets
bereits aus den Verhandlungen der Nationalversammlung, und wir dürfen nur noch hinzufügen, daß alle Stimmzettel weiß sein müssen. Allem Anscheine nach werden sie aber roth ausfallen.
‒ Der Moniteur bringt das Programm für das Wintersemester der Universität. Der ganze alte Generalstab ist beibehalten. Cousin, Barthelemy, Saint-Hilaire, de Remusat, Saint Marc Girardin u.
s. w. prangen, wie unter der Monarchie, wieder als erste Gestirne am literarisch-philosophischem Himmel.
‒ Freslon, der neue überfromme Unterrichts- und Kultusminister, zeigt der fassionablen Welt an, daß er morgen, als am Allerheiligentage, keine Besuche annehme.
‒ Im Ministerium des Innern bereitet sich in aller Stille ein Wechsel fast sämmtlicher Präfekten vor, die ‒ wie sich Siecle ausdrückt ‒ der Ordnung größere Garantien gewähren.
Der Moniteur wird das Nähere sagen.
‒ Marrast wohnte vorgestern einer Vorstellung bei, die im ehemaligen Hoftheater zu Versailles gegeben wurde. Der Präsident der Nationalversammlung erschien von den beiden Vizepräsidenten und
resp. Sekretären Pagnerre und Landrin begleitet in der großen Hofloge Ludwig's XVI.
‒ Abd-el-Kader wird dieser Tage aus dem Schlosse von Pau nach St. Amboise übergesiedelt.
‒ Die Nationalversammlung beräth heute die Bedingungen, welche bei dem Abschluß jener Verträge zu beobachten seien, die der Konstituirung und Organisirung der Arbeiterassoziationen
vorausgehen.
‒ Francisque Bouvet erklärt heute in den Journalen, daß er unwohl sei und deshalb den Minister des Aeußern wegen der auswärtigen Politik noch nicht habe zur Rede stellen können. Er werde das
aber sogleich nach seiner Genesung thun und zwar über folgende Punkte:
1) Beobachten wir überhaupt eine gewisse Politik nach Außen und hat sich das Kabinet diese Politik in seinem Verkehr mit dem Ausland zur Regel genommen?
2) Welche Mächte haben die französische Republik anerkannt und welche haben diese Anerkennung verweigert?
3) Hat sich die französische Diplomatie einige Mühe zu Gunsten Polen's gegeben?
4) Warnm ist Frankreich nicht jenseits der Alpen in dem Augenblicke vermittelnd aufgetreten, wo Karl Albert die Oestreicher bis in die Schluchten Tyrols zurückgetrieben hatte? Die Gelegenheit war
schön, um in Italien Fuß zu fassen und einen Aufruf zu einem allgemeinen Völkerkongresse Behufs Regulirung der italienischen Unabhängigkeit zu erlassen, die Verträge von 1815 zu revidiren und den
allgemeinen Frieden auf wahren Grundlagen zu befestigen.
5) Welche Rolle spielte Frankreich in Sizilien und den Donau-Fürstenthümern?
6) Besitzt das Kabinet im gegenwärtigen Augenblick das Mittel, eine neue Schilderhebung Sardiniens zum Besten der italienischen Sache zu lenken. oder will es den König Karl Albert nicht
unterstützen, sondern auf eigene Faust mit bewaffneter Hand einschreiten?
7) Will das Kabinet den bewaffneten Frieden fortführen oder beabsichtigt es unter den Heeresverhältnissen aller europäischer Staaten solche Maßregeln durchzusetzen, die eine andere Verständigung
als die mittels der Waffen zum Zweck hätten und mithin bedeutende Ersparnisse in den Staatenbudgets herbeiführen würden?
Wir zweifeln, daß Cavaignac und Bastide anch dieses Mal auf obige Fragen Rede stehen werden. Franzisque Bouvet ist ein politischer Hanswurst.
Ledru-Rollin richtet an die Patrie einige Zeilen, worin er dieses Lügenblatt ersucht, das von ihm ausgesprengte Gerücht „Ledru-Rollin habe den Vorsitz beim großen
demokratisch-sozialistischen Bankett für nächsten Sonntag abgelehnt“ als eine Lüge zu erklären.
‒ Die Chefs mehrerer Klubs haben sich, heißt es, in corpore zu dem Exprinzen Louis Bonaparte begeben und ihn gefragt, ob er den Hrn. Thiers zum Minister wählen würde, falls man ihn zum
Präsidenten ernenne? Louis Bonaparte, möglichst auf Schrauben gestellt, soll den Klubchefs geantwortet haben: Er werde den Hrn. Thiers nicht zum Minister wählen.
Die Nationalversammlung setzt übermorgen die Diskussion des Budgets fort. Man mag indessen das Ding deuten, wie man will, so kommt man immer zu dem Schlusse: Frankreich nimmt 1300 Mill. ein und
gibt 1900 Mill. Franken aus. Also Nationalbankerott.
‒ Der National versprach seinen Lesern neulich, den Exprinzen Louis Bonaparte an den Pranger zu stellen. Er thut dies heute in ziemlich geistreicher Weise. Man sieht, der alte Löwe bietet
alle seine Kräfte auf, um das verlorene Terrain wiederzugewinnen. Vergebens!
‒ Der Abwicklung der Dinge in Wien, von wo unsere Berichte mit dem 25. erlöschen, sieht man hier mit großer Spannung entgegen. Die reaktionären Blätter beten natürlich den Rosenkranz für
Windischgrätz (vorzüglich die „Patrie“ zeichnet sich hiebei aus) während die gesammte demokratische Presse dem Volke von Wien den Sieg wünscht. Nur vorwärts!
National-Versammlung. Sitzung vom 31. Oktober. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast läßt zur Wahl eines dritten Gliedes des neuen Aufsichtsraths für die Amortissements-, Depositen-,
Consignations- und Fallimenten-Kasse schreiten.
Dann verliest er zwölf neue Urlaubsgesuche. (Oho! Hah! erschallt es im ganzen Saale).
Vezin trägt darauf an, alle Beurlaubte öffentlich anzuschlagen. Zuletzt wisse man ja gar nicht, ob die Versammlung beschlußfähig sei? Es solle eine öffentlich auszuhängende Urlaubsliste
angefertigt werden. (Ja! Ja!)
Nach einigem Zaudern werden die Urlaube bewilligt.
Den Aube-, Seine-, und Calvados-Departements wird die Erlaubniß ertheilt, sich außerordentlich zu besteuern, um Anleihen zu tilgen, welche aufgenommen wurden, Bauten auszuführen, die das
Proletariat im nächsten Winter beschäftigen sollen. Durch diese unaufhörliche Uebersteuerung wird der kleine Haus- und Grundeigenthümer selbst in den besitzlosen Stand hinabgedrückt, d. h. er wird
allmählig selbst zum Poletarier.
Die Versammlung nimmt nun, statt des Gesetzentwurfs über die Arbeiter-Assoziationsverträge die Besprechung des berüchtigten rektifizirten Büdgets pro 1848 wieder auf.
Goudchaux liest eine neue ellenlange, mit Ziffern reich gespickte Rede, durch die er sich eigentlich nur von seinem Hauptsündenbock, der 45 Centimensteuer, deren Vater Duclerc und Garnier
Pages ist reinzuwaschen gedenkt, vor. Wenn man ihn hört, könnte man glauben, daß kein Mensch im Jahre 1848 mehr als im Jahre 1847 zahlte und die Centimensteuer müsse wenigstens noch 160 und 170
Millionen Franken decken. (Oho! Oho!) Die Versammlung unterhält sich während dieser exministeriellen Epistel so laut, daß der Präsident mehrere Male um Aufmerksamkeit bittet. Goudchaux schließt
endlich.
Bineau, den die Lorbeeren Fould's nicht ruhig schlafen ließen, folgt ihm auf der Bühne, um die Fould'schen Oekonomien, (Ersparnisse im Militair etc.) zu bekämpfen. Er berechnet
die Ausgaben pro 1848 auf 1,830,000,000 Franken und konstatirt ein Defizit von 343 Millionen (worunter natürlich 204 Millionen altes Defizit stecken.) Ihm ist vor dem Finanzzustande Frankreichs nicht
bange, die Republik werde 1848 ihr Budget schon aufbringen nur pro 1849 ist ihm etwas bange. Er theilt die sanguinischen Hoffnunge des Großvaters Goudchaux nicht. Auch Er trägt darum auf Ersparnisse
und Reformen an.
Die Generaldiskussion wird als geschlossen erklärt.
Marrast liest die Gesetzentwürfe vor, welche die dem Finanzminister pro 1848 zu eröffnenden ordentlichen und außerordentlichen Kredite auf 1,798,000,000 Franken feststellen etc.
Inmitten dieses Ziffernmeers erklärt Marrast, daß auch das letzte Skrutin weder für Berryer noch für Dupont ein entscheidendes Resultat geliefert habe.
Es wurde darauf zur Ballotage zwischen Berryer und Dupont geschritten.
Das Resultat wird demnächst bekannt gemacht.
Marrast nimmt die Votirung des Büdjets wieder auf und rückt damit bis zum dritten Abschnitt (allgemeiner Ministerialdienst) vor.
Das Präsidium, mittlerweile durch Pagnerre ersetzt, proklamirt den legitimistischen Chef v. Berryer zum dritten Gliede des bewußten Aufsichtsraths der Amortissements-, Consignations- und
Faillitenkasse. Der soziale Dupont hat unterlegen.
Die Versammlung setzt die Büdgetsdiskussion fort. Das Kapitel des Justizministerialdepartements ruft eine ziemlich lange Debatte hervor, an welcher Rousseau, Deslongrais und Emile Lerour Theil
nehmen.
Man verlangt einen Gehaltsabzug von den Justizbeamten aller Grade (vom Gehalte von 1500 Franken aufwärts).
Cremieux, der große Februarheld und Ex-Justizminister, ereifert sich gewaltig gegen jede Gehaltsverminderung. Die Beamten, meist Familienväter, hätten ihren Haushalts-Etat längst gemacht und die
Weihnachts- und Neujahrszeit sei die schlimmste für Zahlungen. (Genug, genug! Zum Schluß, zum Schluß!)
Méaulle, ein wahrer Riese von Gestalt und Sprache, ist auch der Meinung, daß man die Beamten schonen müsse, aber nur die kleinen à 1800 Franken Freilich sollte man eigentlich im Militär
die Hauptersparniß suchen; allein im Angesicht der Ereignisse in Deutschland (oho, oho!) seien diese Reduktionen nicht möglich.
Baroche bekämpft jede Reduktion der Gehalte. Wirklich hohe Gehalte von 30,000 Franken bezögen nur 2 Beamte. In Rücksicht auf ein Defizit von 3- bis 400 Millionen sei es lächerlich, dem
Justizfache 9 Millionen abzwingen zu wollen. Die Republik müsse anderswo ökonomisiren.
Goudchaux und Larcy bestehen auf den Abzügen.
Marie, Justizminister, unterstützt Cremieur und beweist, daß die wahre Oekonomie in Verringerung der Stellenzahl und Erhöhung der Gehälter bestehe. Er ereifert sich bedeutend und wird häufig
unterbrochen.
Die Sitzung wird ohne Votum um 6 1/4 Uhr geschlossen.