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Paris, 26. Okt.
Der Moniteur bringt folgendes Dekret:
Französische Republik. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Der mit der Exekutivgewalt beauftragte Konseilprädent beschließt:
Art. I. Das Entlassungsgesuch des Bürgers Goudchaux, Minister der Finanzen, ist angenommen.
Art. II. Der Bürger Trouvé-Chauvel, Seinepräfekt und Volksrepräsentant, ist zum Ministerstaatssekretär im Finanzdepartement ernannt.
Paris, 25. Okt. 1848.
(gez.) E. Cavaignac.
(Gegengez.) Marie, (Justizminister),
Staatssekretär.
Wir übertragen dieses Dokument wörtlich, um zu zeigen, daß die neuen Minister auch wieder zu ihrem alten Kanzleistyle zurückgekehrt sind. Wir haben keine Volksrepräsentanten-Minister mehr, sondern
Ministerstaatssekretäre.
‒ Aus Turin meldete gestern Abend der Regierung ein Kurier, daß die dortige Kammer nach einer stürmischen Sitzung am 21. Oktbr. die Verlängerung des Waffenstillstandes mit Radetzky mit
großer Mehrheit beschlossen hat. Was wird die republikanische Partei dazu sagen, die mit ihren Freikorps am Ticino den Mailändern zu Hülfe zu springen bereits im Begriff stand?
‒ Labrousse, Deputirter des Lotdepartements, den das Kabinet als Konsul nach Antwerpen schicken wollte, dem aber Leopold I. das Exequatur verweigerte, wurde später als Konsul nach Amsterdam
bestimmt. Vorgestern traf hier die Nachricht ein, daß auch der König von Holland ihm das Exequatur verweigere.
‒ So eben (11 1/2 Uhr Mittags) findet im Saale der alten Deputirtenkammer eine Versammlung sämmtlicher Mitglieder des Palais National-, Instituts- und Taitbout-Klubs statt, um sich wegen
eines socialistischen Manifests zu verständigen, mit welchem diese drei Repräsentantenklubs nächstens die Welt beglücken wollen. In jedem Falle wäre es interessant, wenn der zahnlose Löwe (Marrast)
eine socialistisch-kommunistische Schwenkung versuchte, ehe er den Geist aufgibt.
‒ Proudhon soll geäußert haben: „Unser Berg hat nichts im Bauche, selbst nicht einmal eine Maus.“ Diese Aeußerung soll viel böses Blut unter der ehrbaren Linken verursacht und
obigen Schritt beschleunigt haben.
‒ In die hiesige fashionable Bürgerwehr ist eine sehr bedenkliche politische Reiselust nach England gefahren. Wie man so eben hört, scheute sich ein letzter Trupp sogar nicht, von London
einen Ausflug nach Clarendon zu machen und dem Ex-König eine Beileids-Adresse zu überreichen.
‒ Kriegsminister Lamoriciere legte der gestrigen Nationalversammlung den Entwurf zur Deportation der Juni-Eingeschifften nach Algerien vor. Aus dem Vortrage des Ministers entnehmen wir
folgende Statistik: Im Ganzen wurden arretirt: 11057 Personen, die man in drei Klassen theilte. 1) Urheber, 2) Befehlshaber, 3) bloße Theilnehmer der Insurrektion.
Die Erste wurde vor Kriegsgerichte gestellt, die Zweite von den Militärausschüssen gerichtet, und die Dritte der Deportation provisorisch zugetheilt. 6000 davon wurden freigelassen, 4348
eingeschifft. Von diesen sind 991 dem Wohlwollen der Regierung ganz besonders empfehlenswerth und es wären demnach nur 3357 nach Algerien überzuschiffen. Diese 3357 sollen zehn Jahre lang unter
militärischer Diktatur und Beraubung aller Bürgerrechte wie Ackerzuchtsträflinge arbeiten. Man muß gestehen, daß unsere Bourgeoisregierung sich außerordentlich hochherzig gegen unsere sozialistischen
Junikämpfer beweist.
‒ Aus dem Gefängnisse von St. Lazare haben die dort gefangenen Insurgentinnen folgende Protestation an Cavaignac gerichtet:
„General! Bald sind es 3 Monate, daß wir hinter Eisengittern sitzen ‒ unschuldig von allen Verläumdungen, die man nur gegen uns richtet.
Man hält uns gefangen, als ob man uns mit den Waffen ergriffen hätte. Man erklärt uns als Kriegsgefangene wie die Männer; wohlan, dann wollen wir auch ihr Loos theilen. Jeder Freiheit beraubt und
mit Niemand zu verkehren im Stande, setzen wir voraus, daß auch wir zur Deportation verurtheilt sind oder daß sich unsere Aktenhefte verirrt haben. Sind wir wirklich verurtheilt, so transportire man
uns; ist unser Urtheil aber noch nicht gesprochen, so stelle man uns vor die Kriegsgerichte, damit wir aller Welt beweisen können, daß die gegen uns geschehenen Denunziationen böswillige Verläumdungen
sind. Wir rechnen auf Ihre Gerechtigkeit. Gruß und Brüderschaft.
Paris, 25. Oktober 1848.
(Folgen die Unterschriften.)
‒ Matthieu (Dromedepartement) hat bei der Nationalversammlung folgenden Antrag auf Schöpfung eines neuen Papiergeldes gestellt:
Die Nationalversammlung dekretirt: Es sind für 400 Mill. Fr. Bankzettel von 50 zu 1000 Fr. mit Zwangskurs bei allen Staatskassen gegen Verpfändung der Nationalgüter zu schaffen. Diese Bankzettel
sind in monatlichen Raten von 50 Millionen, also binnen 8 Monaten durch den Finanzminister auszugeben. Nach geschehener Ausgabe ist die 45 Centimensteuer zurückzurufen, die von den Steuerpflichtigen
bereits gezahlten Beträge sind ihnen für das Steuerkataster von 1849 gutzuschreiben und von den Ueberschüssen (etwa 250 Mill.) sind National-Eskompte-Comptoire im Interesse des Kleinhandels in jeder
Departementshauptstadt anzulegen u. s. w.
‒ Man sprach gestern Abend von einem Duell zwischen dem Bürger Clement Thomas und dem Bürger Jerome Bonaparte aus Veranlassung einiger heftiger Unterbrechungen in gestriger Sitzung. Allein
die Katzbalgerei ist beigelegt.
‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 26. October. Anfang 1 Uhr. Präsident Marrast. Die Bänke überfüllt.
Lacrosse wünscht den Gesetzentwurf rücksichtlich der Arbeiter in den Seehäfen bald auf die Tagesordnung gesetzt zu sehen.
Dahirel: Ich höre eben, daß der an der heutigen Tagesordnung befindliche Gesetzentwurf rücksichtlich der Arbeiter-Assoziations-Verträge zurückgezogen werden solle; ich protestire
dagegen.
St. Gaudens: Vor allen Dingen müsse die neue Verfassung promulgirt werden. Darum müssen die obigen Entwürfe noch warten. (Ja, Ja! Nein, Nein!)
Louis Bonaparte: Der gestern unsichtbar war, verlangt das Wort. Bürger, Repräsentanten! (beginnt er schüchtern und schwach vom Papier lesend wie gewöhnlich.) Der bedauerliche Fall, der sich
gestern in meiner Abwesenheit zutrug, ruft mich auf die Bühne. Ich beklage es tief, so oft von mir sprechen zu müssen; Niemand mehr als ich sucht den persönlichen Fragen auszuweichen. Ich habe Ihnen
meine Gefühle, meine Wünsche, meine Ansichten mitgetheilt. Niemand kann mich eines Wortbruchs zeihen, und doch muß ich mein parlamentarisches Benehmen gerügt und meine Gesinnungen entstellt sehen. Für
jetzt kann ich Keinem das Recht zugestehen, mich zu interpelliren über mein Verhalten und Meinung. Ich bin nur meinen Wählern Rechenschaft schuldig. Wessen klagt man mich an? Man klagt mich an, den
Gedanken zu hegen, eine Kandidatur anzunehmen, die man mir anbietet. Wohlan, ja, ich nehme sie an. Frankreich betrachtet meinen Namen als dazu geeignet die Gesellschaft zu befestigen.... (Hier schreit
die gesammte Linke fürchterlich und ein rasender Tumult entspinnt sich, doch hört man rufen: Sprechen Sie weiter!) Diejenigen, die mich des Ehrgeizes anklagen, nennen mich schlecht. Aber wenn mein
Name die guten Bürger zu einigen im Stande, wenn die Symparthien meiner Mitbürger glauben, daß ich in der Reihe der Kandidaten stehe, warum soll ich es nicht? Ich hätte längst das Exil verschmerzt,
wenn ich der Galle nachgegeben, mit der mich Einige zu tränken suchen......
Clemens Thomas: Ich verlange das Wort.
Flaon: Auch ich verlange das Wott!
Louis Bonaparte verwirrt weiter lesend: „…Es ist nur wenigen Personen gegeben, auf der Bühne beredt zu sein. Doch gibt es nur dieses Mittel, um seinem Lande zu dienen?
In diesem Augenblicke braucht es vielmehr gerechte und weise Ideen, welche die antisozialen Ideen in den Neant versetzen können. Ich weiß, daß man meiner Laufbahn allerlei Fallstricke legen möchte.
Ich werde nicht hineinfallen. Ich werde die größte Umsicht zu behaupten wissen. Ich werde nur die größte Achtung der Versammlung zu verdienen trachten, sowie jenes Volks, das man gestern hier sa
leichtfertig behandelte. Ich erkläre_also denen, die ein Verfolgungssystem gegen mich schmieden wollten, daß ich ihnen zu widerstehen wissen werde.“
Der „Prinz“ rafft seine Papiere zusammen und steigt von der Bühne. Mehrere Stimmen rufen: Zur Tagesordnung! Zur Tagesordnung!
Clemens Thomas sucht sich Gehör zu verschaffen und wiederholt die gestern schon erwähnten Faktas über Emissaire in den Departemens Behufs bonapartistischer Propaganda. Der Lärm wird indeß
immer stärker und die Tagesordnung aufgenommen.
An der Tagesordnung ist das Dekret des Verfassungsausschusses über die Präsidentenwahl am 10 December.
Pagnerre trägt darauf an, daß man den Präsidenten erst nach Votirung der organischen Gesetze wähle.
Rabaud Laribiere spricht in demselben Sinne. Man solle die Verfassung nicht fragmentarisiren, d. h. stückweise promulgiren.
Dupin (der ältere) bekämpft beide Redner im Namen des Verfassungs-Ausschusses.
Molé nimmt das Wort, und unter tiefstem Stillschweigen der Versammlung setzt der alte Legitimist der Versammlung auseinander, daß sie erst die organischen Gesetze votiren solle, ehe sie
den Präsidenten neben oder über sich erhebe. Sein Vortrag war recht hofmännisch, d. h. schmeichelhaft.
Cavaignac folgt dem Redner auf der Bühne und deutet der Versammlung in sehr bedrohlicher Weise an, daß die Gefahr im Lande größer sei, als man glaube. Es sei die höchste Zeit, aus dem
Provisorium herauszutreten.
Barrot und Flocon gerathen hart aneinander.
Barrot hob namentlich hervor, daß gerade diejenigen Deputirten jetzt gegen die sofortige Präsidentenwahl sprächen, welche damals für die Ernennung des Präsidenten durch die
National-Versammlung aufgetreten seien.
Flocon fand dies ganz natürlich, denn die Umstände hätten sich verschlimmert. Doch das Provisorium sei schon zu Ende. Man habe ja jetzt einen Präsidenten. Louis Bonaparte sei heute
öffentlich als Kandidat aufgetreten, nachdem er in den Departements Gold ausgestreut. Erst habe er den Zauber seines Onkels, dann die Macht des Geldes angewandt.
Louis Bonaparte hört diese Anklage bebend an, bleibt aber stumm auf seinem Platze.
Dupon (aus Lussac) trägt darauf an, die Präsidentenwahl bis zum definitiven Votum der Verfassung zu verschieben.
Dufaure bekämpft diesen Antrag.
Repellin ersucht den General Cavaignac, sich über die Gefahren zu erklären, die im Lande herrschten.
Cavaignac antwortet, daß er in der Präsidentenwahl durchaus keine Gefahr sehe, aber es sei gefährlich, die Wahl zu lange hinauszuschieben. (Zum Schluß! Zum Schluß!)
Das Dupontsche Amendement fällt durch und der Debattenschluß wird ausgesprochen.
Nun schreitet Marrast zur Abstimmung über Artikel 1 des Dekretsentwurfs des Verfassungsausschusses, in welchem die Präsidentenwahl auf den 10. Dezember festgesetzt ist.
Zahl der Stimmenden 819. Absolute Mehrheit 410. Für Annahme des Artikels 587. Gegen dieselbe 232.
Die Präsidentenwahl erfolgt somit am 10. Dezbr. d. J.
Nach diesem Votum trennt sich die Versammlung. Es ist 6 Uhr.