Deutschland.
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61
] Wien, 20. Oktbr.
Reichstagssitzung. 10 Uhr. ‒ Die Bänke der Abgeordneten sind leer, die Galerie spärlich besucht; Spatzen schwirren im Saale umher und belustigen die Journalisten. ‒ Um 10 1/2 Uhr
betreten einige pflichtgetreue Abgeordnete die Räume der Reitschule und werden von den Spatzen aus der Höhe mit Zwitschern begrüßt. Endlich besteigt Präsident Smolka den Reichstagsthron.
‒ Löhner, der sich auf der Mission zum Kaiser einen politischen Schnupfen zugezogen und deßhalb die heiligen Räume durch einige Tage gemieden hatte, erscheint mit der theilnahmsuchenden
Miene des Dulders. ‒ Der große Mann leuchtet ihm aus den Augen, indem er sich von einigen Abgeordneten umgeben sieht, welche die gewünschte Theilnahme bezeigen. ‒ Auch
Pillersdorf, des Ministers Krauß ausharrendster Diener und Sitzungsraporteur, ist wieder da; denn ohne ihn wäre die Versammlung bedeutungslos, ohne Ausdruck. Es ist 11 Uhr, die Sitzung beginnt.
‒ Das Protokoll wird verlesen, kann aber, weil nur 178 Abgeordnete zugegen sind, nicht genehmigt werden. Unterdessen werden einige ländliche Dankadressen zum Frühstück vorgelesen, bis auf den
Wink des Präsidenten die Bühne besteigt,
Schuselka, der Große: Die Verhältnisse sind dieselben geblieben, beginnt er, ‒ doch hat der Gemeinderath einem neuen Schritt zur Ausgleichung gethan, er hat eine Deputation an den
Kaiser gesendet. ‒ Wir erfahren, daß in Brünn bedeutende Unruhen ausgebrochen sind. Das Militär hat den von Wien dorthin zurückkehrenden Garden in Lundenburg nicht nur die Waffen, sondern auch
Geld und Wäsche abgenommen. (Zischen.) Zur Revange entwaffnete nun das Volk von Brünn das dort stationirte Militär und die Garde eskortirte dasselbe darauf in die Kasernen, indem sie selbst alle
Posten der Stadt besetzte. An den Befehlshaber der Lundenburger Truppen aber wurde eine Deputation abgeschickt, welche Untersuchung und Bestrafung des Raubes verlangte. ‒ Indessen sind auch die
Garden von Prerau und Lundenburg entwaffnet worden. ‒ Das Proletariat Brünns ist mit den Maßregeln der Garden nicht zufrieden, wird gleichwohl nicht weiter gehen. Der Telegraph ist in den
Händen der Garden. (Bravo.)
Präsident. Es sind 193 Abgeordnete gegenwärtig. Das Protokoll wird genehmigt.
Schuselka verliest zwei Dank- und Anerkennungsadressen aus Böhmen, die eine aus Saatz, die andere vom deutschen Centralverein gesendet. Sie enthalten einen Protest gegen die Desertion der
Czechen. (Bravo) Man beschließt den Druck. ‒ Pillersdorf hat schriftlich mitgetheilt, daß die Garde von Liesing von den Truppen Auerspers entwaffnet worden, der Ausschuß beantragt, Auersperg zu
schreiben, daß er durch solche Entwaffnung wider den Willen des Kaisers handle, (Bravo) er müsse die Waffen zurückgeben.
Pillersdorf hält dies für unnöthig; er meint, da der Gemeinde nur an ihrem Eigenthume liege, indem jede Waffe über 10 fl. koste, so solle man Auersperg blos ersuchen, die abgenommenen Waffen
in Wien zu deponiren.
Löhner beantragt mit rührend-krankhafter Stimme deßhalb einen Protest nach Olmütz zu erlassen.
Hubicki dagegen, weil der Minister die Verantwortlichkeit trage.
Dilewski: Die Nationalgarde von Liesing hat sich vielleicht feindlich wider das Militär benommen. Die Proteste sind in Verruf.
Löhner zieht seinen Antrag zurück.
Umlauft, früher Polizeispion, je nach Umständen noch, für den Antrag des Ausschusses.
Schuselka: Auersperg erkennt kein Ministerium an, darum hat der Ausschuß sich auf seinen Standpunkt gestellt, aber den Reichstag scheint er faktisch anzuerkennen, weil er mit ihm
korrespondirt hat. Gehorcht Auersperg nicht, so müssen wir wiederum berathen, was wir thun sollen.
Der Antrag der Kommission wird angenommen.
Schuselka: Es sind viele Klagen beim Ausschuß angebracht worden, daß die Zufuhr von Lebensmitteln am Tabor (Nordbahn) vom Militär abgeschnitten worden sei. Wir haben uns durch einen
Augenzeugen darüber berichten lassen. Dem General gegenüber haben wir uns auf den Standpunkt des Generals gestellt und beantragt, ihm zu bedeuten, daß er die Zufuhr nicht abschneiden lasse. Wir wollen
daher dem General sagen, daß er wider den Willen des Kaisers, der mit unsern Verfügungen einverstanden ist, handle. (Bravo).
Dilewski: Das Ministerium muß aufgefordert werden, die gehörigen Schritte zu thun.
Umlauft ebenso.
Fedorowicz: Ich bin damit einverstanden. Solche Maßregeln zeigen, daß man Wien in Belagerungszustande versetzt. Der General soll sagen, woher er den Befehl dazu erhalten, ob er die
Verantwortlichkeit dafür übernehme. (Allseitiges Bravo.)
Löhner im Tone des gesalbten Dulders: Wir führen einen Federkrieg, konstatiren Thatsachen; die Zukunft wird eine andere Sprache führen. (Bravo).
Smereker: Wir müssen den Kommandirenden fragen, ob er durch seine Vorkehrungen indirekt den Reichstag auflösen wolle.
Dilewski: Wer so etwas fragt, der fühlt sich schwach.
Schuselka: Wir haben uns auf den Standpunkt des Resultates gestellt. (Auf wie vielen Standpunkten steht dieser Mensch nicht schon!) Auf Fedorowicz's Anfrage kann der General nicht
antworten, weil er eigentlich noch selbst nicht weiß, was er thut. (Uebersteigt doch jede Bemerkung.) Wir müssen den General mit seinen eigenen Worten schlagen und ihm sagen, sagen, sagen, daß er
wider die Befehle Sr. Majestät handle. (Das nenne ich konstitutionelle Konsequenz!)
Fedorowicz: Ich habe vor den Zuschriften der Generale alle Achtung gehabt, wenn sie aber die Zufuhr von Lebensmittel verhindern, dann hilft kein Säumen mehr. Ich kann nicht zugeben, daß ein
General nicht weiß, was seine Armee macht. Wir müssen die kategorische Anfrage stellen, auf wessen Befehl sie handele. Im Falle ausweichender Antwort müssen wir uns gestehen, daß wir uns im
Belagerungszustand befinden. (Bravo.)
Schuselka: Wir thun mit unserm Antrage mehr, indem wir befehlen, daß der Kommandirende diese Maßregeln einstelle. ‒ Der Antrag des Ausschusses wird mit einem Zusatz angenommen.
‒ Ferner wird der Antrag des Gemeinderaths zur weitern Bewilligung von 200,000 fl. für Vertheidigungsmaßregeln angenommen. Die Summe wird aus den 2 Mill. genommen, welche früher zur
Unterstützung der Gewerbetreibenden zugebilligt worden sind.
Präsident liest eine Adresse der Nationalgarde von Gmueden vor, worin dieselbe erklärt, daß, wenn der Kaiser sich nicht von seiner Umgebung losmachen wolle, das Volk es thun solle.
(Ungeheurer Beifall von überallher.) Die Garde ist auf den ersten Ruf bereit, nach Wien zu kommen. Der Druck der Adresse wird beschlossen.
Goldmark besteigt die Tribüne, um den Entwurf der Proklamation an die Völker Oestreichs vorzulesen und zur Debatte zu bringen: ich laufe davon.
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61
] Wien, 21. October.
Ich lasse diesen Brief abgehen, ungeachtet seit 4 Tagen alle Postverbindung mit Berlin und West-Europa aufgehört hat. Die Stadt ist von allen Seiten umschlossen, wir befinden uns im strengsten
Belagerungszustande und in welchem? Statt eines geordneten feindlichen Heeres haben wir drei Armeen von Banditen und Henkersknechten vor den Thoren, die nach nichts lechzen, als nach Blut und Raub.
Der Sohn Latour's soll unter ihnen sein, wir können im Fall der Niederlage daher auf die entsetzlichste Rache mit Bestimmtheit rechnen. Und wem haben wir diesen Zustand zu danken? ‒ den
Verräthern und Reichstagseseln. Habe ich es nicht gleich im ersten Schreiben bemerkt, man hätte das Volk am 7ten sollen gewähren lassen? ‒ Die Reichstagsesel fangen an zu begreifen, was sie
sind und verheißen uns nun einen tragischen Untergang als Entschädigung. Ich habe den Teufel von dem Tod dieser Elenden, nachdem sie uns alle Freiheitsaussicht beraubt.
Im Gemeinderath, dessen Protokolle, Adressen und Proklamationen Ihnen die Wiener Zeitung bringt, ist Stifft besonders thätig. Die der Deputation mitgegebene Adresse an den Kaiser ist von
ihm. Stifft beherrscht den Gemeinderath und hat mit Entschiedenheit erklärt, daß man weder die Ungarn, noch den Landsturm herbeirufe. Wem soll man noch trauen, auf wen bauen? ‒ Der
Reichstagsausschuß besteht neben einer Menge Esel hauptsächlich aus erkauften Wichten, die mit Krauß und seinen 6 ministeriellen Trabanten ein geheimes Komplot bilden, das Volk betrügen und
sich sehr gut mit Sr. lapostolischen Majestät Raub- und Banditen-Generalen stehen. ‒ All unsere Leiter fürchten sich weit mehr vor der endlichen Rache des bewaffneten Volks (Pöbels), als vor
den k. k. Henkern, und Schuselka sprach noch gestern in diesem Sinne. ‒ Messenhauser, Bem und Jelowicki haben die Stadt zwar in guten Vertheidigungszustand gesetzt, der erste bombardirt und
schauspielert indessen etwas zu sehr mit Plakaten und Generalstabsschnörkeln. ‒ Das Spionenwesen ist mehr als jemals an der Tagesordnung; wo man sitzt und steht, sieht man sich von den
gemeinsten Polizeigesichtern umlagert. Meistens sind's Juden, die sich auch mit diesem schönen Handwerke abgeben und nebenbei Demokratie und Journalistik treiben. Mit Schrecken erkenne ich, daß
ich fast der einzige Demokrat hier bin, da alle andern entweder aus Dummheit oder Schlechtigkeit und Feigheit gerade das Gegentheil davon sind. Wie ich höre, soll die Post nur darum eine so zeitige
Schlußstunde zur Abgabe der Briefe bestimmt haben (2 Uhr), um die Spionage bequemer handhaben, das Briefgeheimniß im Einverständnisse mit den Banditen- [Fortsetzung]
[Deutschland]
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[Fortsetzung] Generalen besser verletzen zu können. Diese Post hat ungeachtet aller Versicherungen ihren Sedlnitzky'schen Charakter seit dem März noch nicht einen Augenblick verloren. ‒ Die Zeitungen
zeigen an, daß ein Redakteur des National hier angekommen; alle Juden sind zu ihm gestürzt. Wittert der National die Bourgeios-Republik? ‒ Niemand ist so schlecht über die hiesigen Zustände
unterrichtet, als die französischen Blätter im Allgemeinen und besonders die der französischen Bourgeois-Regierung. ‒ Das französische Gesandschafts-Hotel ist durch Bernays zur politischen
Synagoge geworden, in welcher die Herren Tausenau und Konsorten ihre Bourgeois-Demokratie abgaunern und von Herrn Bernays, dermalen als Kourier nach Paris, verbessern lassen.
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Wien.
Das neueste Journal des östreichischen Lloyd enthält als „Neueste Nachrichten“ Folgendes: Wien, 20. Okt., Abends 6 Uhr. So eben sammeln sich an allen Straßenecken zahlreiche
Gruppen vor einer vom Oberkommandanten der Nationalgarde Herrn Messenhauser angeschlagenen Proklamation, worin die Feldherren der ungarischen Armee melden, daß sie mit ihrer Armee Wien zu Hülfe eilen.
Die Proklamation ist unterzeichnet von Pazmandy, Moga, Csany und Percel. Der Eindruck ist natürlich wie ein elektrisch-belebender Schlag für unsere Bevölkerung, besonders für die kampflustige Jugend.
Ein Kurier überbrachte dieselbe dem Reichstagsausschuß, welcher, weil das Siegel darunter fehlte, anfangs Zweifel an der Echtheit derselben hegte. Jedoch erkannten mehrere Mitglieder die Authenticität
der Schrift und Unterschrift von Pazmandy, und die Aussagen des Kuriers selbst beseitigten die anfänglichen Zweifel. Wir hatten Gelegenheit, den Kurier selbst zu sprechen, welcher uns erklärte, daß
die ungarische Armee in ihrem Vortreffen 35,000 Mann, im Nachtreffen 15,000 zähle, worunter 8000 irreguläre Truppen. Heute Abend noch sollen nach seiner Versicherung die Ungarn in Fischament
eintreffen, und morgen in der Frühe würden sie bei Schwechat und Simmering stehen, wo dann eine Schlacht stattfinden dürfte. Die vielen Täuschungen, welche wir in Bezug auf das Kommen der ungarischen
Armee in der verflossenen Woche erlebten, rechtfertigen wohl unsere, wenn auch schwach begründeten Zweifel, die übrigens von einem großen Theile der Bevölkerung getheilt werden. Dan man einen Angriff
der Stadt von der Nordseite, von Seiten der Taborbrücke befürchtet, so werden dort die Posten bedeutend verstärkt und riesige Barrikaden ausgeworfen.
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] Wien, 21. Okt.
Wir theilen nachfolgende Erklärung der „ungarischen Armee“ mit, den besten Beweis, daß die Verräther nicht die Ungarn sind, sondern die Wiener Reichstagsmitglieder.
Erklärung der ungarischen Armee.
Dem Nationalgarde-Oberkommando ist so eben das nachstehende Dokument zugekommen, dessen Unterschriften als echt erscheinen. Messenhauser, prov. Oberkommandant.
Die ungarische Nation ist seit Jahrhunderten durch die innigsten Bruderbande mit dem Volke Oestreichs verknüpft, nur die konstitutionelle Freiheit, die die Völker der Monarchie in den Märztagen
sich erkämpften, und die der Monarch bestätigte, befestigte diese Bande noch mehr.
Es ist unsere gemeinsame Pflicht, unsere angepriesene, gesetzlich konstitutionelle Freiheit zu vertheidigen.
Es erklärt dieses das ungarische Heer, daß es seinen gefährdeten östreichischen Brüdern zu Hülfe eilt, und mit seiner ganzen Kraft jenes kroatische Heer verfolgen wird, das aus Ungarn vertrieben,
jetzt die Fluren Oestreichs verwüstet.
Wir sind überzeugt, daß wir durch die Vertreibung der feindlich Jelachichschen Armee aus Oestreich, und durch die Wiederherstellung der freien Zufuhren und Handelsverbindungen der Stadt Wien,
sowohl der Freiheit des uns verbrüderten Volkes als der Dynastie und der Gesammtmonarchie den größten Dienst erweisen.
Das ungarische Heer ist bereit für die Gesammtinteressen zu leben und zu sterben. Wiener! Vertrauet auf uns! ‒ Gott verläßt unsere gerechte Sache nicht.
Aus dem ungarischen Feldlager, den 19. Okt. 1848.
Dionys Pazmandi,
Präsident der ungarischen Nationalversammlung.
Moga m. p.,
Befehlshaber der ungarischen Armee.
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§. Berlin, 23. Oktober.
Friedrich Wilhelm IV. hat an „Seinem“ Geburtstage erhebende Worte gesprochen. Ein Freund schöner Reden und Proklamationen hat aber sehr selten an Einem Male genug. Friedrich Wilhelm
IV. fühlte das Bedürfniß, noch mehr zu reden, und siehe da, welch' glücklicher Zufall: die „beklagenswerthen“ Ereignisse vom 16. Mit der Contrasignatur des Ministers Eichmann
erschien also eine Kabinetsordre, worin der König der Bürgerwehr sagt, daß sie sich am 16. würdig gezeigt habe seines Vertrauens und der „Ehre, die er ihr erzeigte, indem er ihr im März die
Waffen zur Vertheidigung des Thrones und zur Herstellung der gestörten Ordnung in die Hände gab.“ Der König spricht der Bürgerwehr für ihre würdige Haltung seinen Dank aus. ‒ Es ist mit
dem Volke wirklich nicht mehr auszuhalten. Das Volk geht so weit, von Allerhöchstdenselben keinen Dank mehr haben zu wollen. Der demokratische Bürgerwehr-Verein „weist den Dank des Königs mit
aller Entrüstung von sich“ und läßt diesen schnöden Undank noch dazu an allen Straßenecken dem sich die Seiten haltenden Publikum bekannt machen.
Will man denn gar nicht lernen, daß ‒ im konstitutionellen Sinne nämlich ‒ die Könige unzurechnungsfähig und die Minister verantwortlich sind?
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@facs | 0638 |
§. Berlin, 23. Oktober.
Das Ministerium Pfuel ist unerwarteter Weise gestürzt. Pfuel und Kisker haben ihr Portefeuille niedergelegt. Die Kamarilla war mit ihnen unzufrieden. (Siehe die gestrige Nummer.) Man sagt,
daß sie wegen Mangel an Energie den Wühlern gegenüber ihre Stellen hätten niederlegen müssen. Also selbst ein Pfuel noch zu freisinnig! Ein Ministerium, dem das Volk den bezeichnenden Namen
„Kartätschen-Ministerium“ gab, genügt dem Hofe nicht! Wer bleibt dann noch übrig, als Radowitz und Wrangel, und in der That nennt man diese als Nachfolger Pfuel's. Was gibt dem
Hofe solch' plötzlichen Muth? Die Wiener Ereignisse etwa? Was schreckt ihn so sehr? Der Demokratenkongreß? ‒ Jedenfalls können wir einen Coup Seitens der Hofpartei erwarten. Sie wird das
Volk gerüstet finden.
Einen sehr günstigen Eindruck hat hier ein gestern erschienenes Plakat des Hrn. Rimpler gemacht. Hr. Rimpler, der ein ganz braver, „liberaler“, honnetter Bürger, aber jedenfalls ein
schwacher Kopf und Charakter, scheint zu merken, wie er von den Schwarz-Weißen über den Löffel barbiert wird; seine Hinneigung zur gemäßigten demokratischen Partei tritt auch in diesem letzten
Plakate, worin er das bewaffnete und unbewaffnete Volk (warum gibt es noch immer ein unbewaffnetes?) zur Versöhnung, und zwar dauernden, ermahnt, immer schärfer hervor.
Die hiesigen bewaffneten fliegenden Korps (Handwerker, Studenten, Künstler, junge Kaufleute, Maschinenbauer), die zufolge des Bürgerwehrgesetzes aufgelöst und der Bürgerwehr gänzlich einverleibt
werden müßten, erstreben eine Vereinigung zu einem einzigen mobilen Korps, das außerhalb der Bourgeois-Garde stehend, seine Selbstständigkeit bewahren soll. Der Konflikt mit der Regierung wird in
diesem Falle unausbleiblich, und man ist auf die Abwicklung dieser Angelegenheit sehr gespannt. Zugleich ist sie eine Lebensfrage für die hiesige demokratische Partei, da die genannten Korps in ihrer
Mehrheit entschieden demokratisch gesinnt sind.
Nun noch eins! Gestern feierte der Student Schlöffel im Kreise einiger Freunde sein Befreiungsfest. Derselbe hat nämlich Gelegenheit gefunden, sich dem „eingezogenen“ Leben auf der
Magdeburger Citadelle zu entziehen, und ist noch gestern Abend weiter gereist. Auch nicht übel! Dagegen sind in Folge des 16. Okt. eine Anzahl Personen, selbst ganz Unbetheiligte, zur Haft gebracht
worden. Der bekannte demokratische Hanswurst, Lindenklub-Müller, war am 16. Abends ‒ wie man sagt, unter einer Tonne steckend, was ihm den Namen Diogenes zugezogen ‒ ebenfalls
verhaftet worden, wurde indeß bald wieder in Freiheit gesetzt.
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14
] Berlin, 24. Oktober.
Heute ist folgendes interessante Plakat angeschlagen: „Proklamation des Maschinenbau-Arbeiter-Vereins. ‒ Die Reaktion will Bürgerkrieg; sie trägt Bedenken, die Demokratie mit
offener Gewalt von Außen zu bekämpfen, darum will sie dieselbe mit Hinterlist im Innern zerfleischen. Und dieserhalb erklären Wir Maschinenbau-Arbeiter als eherne Stützen des demokratischen
Fortschritts offen und fest entschlossen: „Bei dem Ausbruch eines neuen Kampfes zwischen Bürgerwehr und Arbeiter stellen wir uns sämmtlich unbewaffnet als Schutz- und Trutzwehr der
brüderlichen Einigkeit zwischen diese kämpfenden Parteien, und nur über diese Leichen führt der unglückliche Weg zum Bruderkampf. Wagt aber die Reaktion einen offenen Kampf gegen die gute Sache der
Freiheit, dann Bürger und Arbeiter! stehen wir bewaffnet mit Euch in Einer Reihe!“
Die Ministerkrisis ist noch ziemlich unklar. Hr. Pfuel hat seine Demission eingereicht, weil er den „Prinzen“ nicht contentiren soll, und für die unkonstitutionellen Launen einer
allerhöchsten Person nicht verantwortlich sein will. In Zusammenhang damit mag stehen, daß Se. Majestät das berathene Jagdgesetz nicht sanctioniren will!! wie das Gerücht sagt. General Brandt
soll das Portefeuille des Krieges angenommen haben, und der würdige fromme Eichmann Ministerpräsident werden. Gutunterrichtete Leute wollen indeß wissen, daß die ganze Geschichte eine Finte sei und
Herr Pfuel vollkommen im Einverständnisse mit den allerhöchsten Herrschaften handle. Die Zeit zur Ausführung des lange meditirten Staatsstreiches sei endlich gekommen, da es aber zu auffällig wäre,
wenn das Ministerium Pfuel seine bisherige Sanftmuth plötzlich in Wildheit verkehre, so müsse man zum Scheine das Ministerium Pfuel regeneriren.
Bei der gestrigen Abstimmung über das Phillipis'sche Amendement bemerkte man, daß Herr Pfuel sich die Zahl der Abstimmenden genau notirte, und erst als er sah, daß Noth vorhanden sei, dem
Präsidenten sein Nein mittheilte.
Gestern Abend wurde ein neuer Klub gestiftet: der Militärreform-Verein. Mit der Demokratisirung des Militärs geht es flott von statten. Selbst die Garden vom Kaiser Franz-Regiment sprechen offen
von ihrem Haß gegen die Offiziere.
Nachträglich eine Anekdote zum 15. Oktober. Vor der Domkirche war eine Kompagnie Bürgerwehr aufgestellt, die nach dem Gottesdienste eine Chaine bis zum Schlosse bildete, weil sie glaubte, der König
werde sich dorthin begeben. Dies geschah aber nicht und der Führer der Kompagnie stellte sich dem Könige vor und gratulirte im Namen der Kompagnie. Der König soll ziemlich trocken darauf erwidert
haben: „die Herren von der Bürgerwehr hätten sich die Mühe sparen können.“ Ist diese Antwort gegründet, so dürfte die gestrige Antwort des Bürgerwehrvereins auf die königliche Danksagung
für die Heldenthaten am 16. sehr erklärlich sein. Der demokratische Bürgerwehrverein weis't nämlich den Dank mit kraftigen Worten ab.
Die Erdarbeiter sind decimirt aber ruhig. Das arme Volk ist so redlich und tugendhaft, sich nicht mehr bestechen zu lassen. Versuche diesrr Art werden von der Kamarilla häufig
gemacht.
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103
] Berlin, 24. Okt.
Die gestrige und heutige Abstimmung unserer Vereinbarerversammlung, bilden das allgemeine Tagesgespräch. Der sonderbare Umstand, daß gestern die Linke mit einer Stimme, und heute die Rechte
mit einer Stimme den Sieg davontrug, ist schon ein Thema, woran sich eine allgemeine Betrachtung knüpfen läßt. Was soll daraus werden, spricht man, wenn die verschiedenen Artikel der
Verfassungsurkunde, der eine im Sinne der Rechten, der andere im Sinne der Linken durchgeht, kann das eine Verfassung aus einem Guß werden? Wird nicht vielmehr geradezu ein Artikel dem andern
widersprechen. So oft die Partei Unruh, das Centrum oder linke Centrum, wie es sich selbst gern nennt, mit der Linken stimmt, ist dieser eine Majorität von 70-80 Stimmen gewiß. Wenn diese Partei mit
der Rechten stimmt, so wird jedesmal diese Theilung in zwei gleiche Hälften vorkommen.
Der Abgeordnete Riebe, ein Landmann aus Pommern, der Partei Rodbertus-Berg angehörend, reichte heute seine motivirte Tagesordnung dahin ein, daß er, seiner Ueberzeugung nach, nur sein gestriges
erstes Votum, für das Amendement Philips, gelten lassen wolle. Einige seiner Freunde hatten ihn gestern während der Abstimmung zur Zurücknahme seines Votums bestimmt, indem sie ihm begreiflich machen
wollten, daß durch die Annahme des Amendements Mord und Todschlag in der Provinz Posen herbeigerufen wurde. Er hat sich aber nun von dem Ungrunde dieser Ansicht überzeugt und bestätigt sein erstes
Votum. Hiermit waren nun der Rechten alle mögliche Einsprüche, die sie schon gestern erhoben hatten, abgeschnitten. Die Abgeordneten aus den deutschen Kreisen des Großherzogthums protestiren jedoch
heute gegen das ganze Amendement, indem dieser Theil des Großherzogthums nichts mehr von den Wiener Verträgen wissen wolle, mit den jetzigen Zuständen zufrieden sei und sich dem übrigen Deutschland
anschließen wolle. (Notabene: über den Abgeordneten Berg. Diese Karrikatur der „galanten Abbe's“ des achtzehnten Jahrhunderts ward endlich hier gebührend gewürdigt ‒ als
komische Figur.)
Zur morgenden Sitzung sind mehrere Interpellationen an das Staatsministerium angekündigt. Abgeordneter Otto (Trier) wegen der versprochenen Amnestie für die Einwohner Triers. Die Abg. Schöne und
Schulze (Delitzsch) wegen der zögernden Veröffentlichung des Jagdgesetzes. Bei diesen Zwischenfällen wird die Berathung des Gesetzes wegen unentgeltlicher Aufhebung der Feudallasten sehr in die Länge
gezogen. Man weiß aber jetzt schon, daß der König seine Zustimmung dazu verweigern wird. Was soll daraas werden. Wenn die Bauern in den Zeitungen gelesrn haben, daß die Jagdgerechtigkeit
und die Feudallasten unentgeltlich aufgehoben sind, werden sie von nichts anderm mehr wissen wollen. Ttitt ihnen die Reaktion entgegen, so schafft sie uns in der ländlichen Bevölkerung die muthigsten
Republikaner.
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@facs | 0638 |
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103
] Berlin, 20. October.
Sitzung der Vereinbarer-Versammlung.
Dringender Antrag der Abgeordneten Waldeck und Esser:
Die hohe Versammlung wolle Folgendes beschließen:
1) Kein Erlaß kann als Gesetz gelten und als solches durch die Gesetzsammlung bekannt gemacht werden, welche nicht von der konstituirenden Versammlung in Berlin beschlossen, angenommen, oder
genehmigt worden ist.
2) Diejenigen Erlasse der Frankfurter Central-Gewalt oder verfassunggebenden Versammlung, welche innere Angelegenheiten der einzelnen Länder, namentlich Polizeiwesen und Strafgesetzgebung zum
Gegenstande haben, können für Preußen erst durch die Genehmigung der Preußischen Volksvertreter gesetzliche Geltung erlangen.
Gründe. Zur Geltendmachung dieser beiden Sätze bedarf es nicht der Erlassung eines Gesetzes denn sie ergeben sich schon von selbst aus den bestehenden Gesetzen, insbesondere aus der Stellung
der Nationalversammlung hier, und aus den Grenzen, welche der Central-Gewalt schon vermöge der am 28. Juni 1848 in Frankfurt gefaßten Beschlüsse gezogen sind. Da das Ministerium indessen kürzlich
Publikationen durch die Gesetzsammlung, ohne die Versammlung vorher zu befragen, vorgenommen hat, so liegt uns dringende Veranlassung vor, die rechtliche Lage der Sache durch einen Beschluß der
Versammlung ‒ Resolution, wie es die Engländer nennen, festzustellen. Die große Dringlichkeit dieser Angelegenheit bedarf keiner näheren Begründung. Denn wie das Ministerium fortfährt,
Publikationen durch die Gesetzsammlung einseitig vorzunehmen, so ist die größte Gefahr vorhanden, daß die Gerichte irrthümlich solche als Gesetze zur Anwendung bringen, daß insbesondere Frankfurter
Erlasse uns ein ganz neues Strafrecht, oder eine Beschränkung unserer gesetzlichen Freiheiten bringen, und ihrer rechtlichen Ungültigkeit ungeachtet, doch vor den Gerichten dieses Landes für gültig
erachtet werden.
Abg. Waldeck: Was den ersten Theil des Antrags betrifft, so glaube ich nicht, daß er irgend einen Widerspruch finden wird, denn seitdem wir einen konstituonellen König haben, steht es fest,
daß alle Erlasse von der gesetzgebenden Versammlung genehmigt sein müssen. Erst in der Verfassung wird festgestellt werden, welchen Einspruch dem König zusteht, ob er ein Veto, ein suspensives oder
absolutes erhalte. Ob dem König auch ein Veto gegen die Beschlüsse dieser constituirenden Versammlung zusteht, brauche ich hier nicht zu erwähnen, da dieser Fall noch nicht eingetreten. Es ist eine
andere Frage, ob ein Gesetz oder ein Beschluß zur Festsetzung dieser Frage herbeigeführt werden muß. So viel ist aber gewiß, daß kein Erlaß oder Gesetz ohne die Zustimmung dieser Versammlung erlassen
werden darf. Ob [Fortsetzung]
[Deutschland]
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@facs | 0639 |
[Fortsetzung] nun die Genehmigung nothwendig ist oder nicht, zu den Gesetzen der Frankfurter Versammlung hängt von der Competenz dieser und unserer Versammlung ab. Denken Sie sich den Fall, daß der Reichstag in
Frankfurt in den Fall käme, Beschlüsse gegen die Rechte des Volkes zu fassen, wenn er beschlösse gegen die Bürger Wiens die auswärtigen croatischen Horden zu unterstützen, könnten wir dann diesen
Beschlüssen beistimmen. Nimmermehr hat es aber in der Absicht liegen können, der Frankfurter Versammlung eine Oberherrschaft in den inneren Angelegenheiten ganz Deutschlands zu zugestehen. Deshalb
müssen wir diese Versammlung auf die Annahme der Reichsverfassung beschränken. Wie kann der Reichsjustizminister sich die Gewalt zuschreiben, in alle innern Angelegenheiten der Einzelstaaten
einzuschreiten. Betrachten Sie die Länder, die 5 Meilen im Umkreise von Frankfurt liegen, ihnen ist die erste Errungenschaft der Revolution, das freie Versammlungsrecht genommen. Eine andere
Bestimmung jenes Erlasses der Centralgewalt, greift in die Preßgesetzgebung ein, und ich glaube nicht ob einer unserer Gerichtshöfe danach handeln darf. Es wiederholt sich hier dasjenige, was in
Carlsbad vorgefallen; es ist ganz gleich ob man durch leichtsinnige Strafen die Presse fesselt, oder die Censur. Die Centralgewalt führt Krieg, Krieg mit dem eigenen Volke, Sie versammelt 10,000 Mann
in Frankfurt, wie 50,000 Mann um Berlin versammelt sind. Wir können der Centralgewalt alle diese Befugnisse nicht zugestehen und ich glaube, daß ich den Antrag vollständig werde motivirt haben.
Abg. Fleischer bestreitet die Dringlichkeit und verliest, zur Entgegnung des Antragstellers, Stellen aus seiner im Juli gehaltenen Reden. Er fügt hinzu, daß wir kein einziges deutsches
Justizverfahren erlangen können, wenn die Gesetze erst in allen Staaten genehmigt werden müssen.
Abg. v. Berg: Meine Ansichten sind mit der des Abg. Waldeck in der deutschen Angelegenheit nicht übereinstimmend, so bin ich doch einverstanden über die Dringlichkeit dieses Antrages. Wenn
Sie erwägen, daß vielleicht in diesem Augenblicke schon unsere Gerichtshöfe nach den Frankfurter Erlassen urtheilen sollen, so muß doch festgesetzt werden ob wir dieselben genehmigen müssen. Wie
wir den Uebergriffen der Frankfurter Versammlung vorbeugen können, sehe ich nicht ein, da uns nur die öffentliche Meinung dazu bestimmen könnte.
Abg. Dunker erkennt zwar an, daß der erste Theil des Antrages ein nothwendiger ist, aber nicht so außerordentlich dringlich; der Redner laßt sich sehr weitläufig über die Competenz der
Versammlung aus. Wenn aber der Abg. Waldeck so glühende Worte gegen den Kriegszustand den die Frankfurter Versammlung angeordnet gefunden, so hätte ich auch gewünscht er hätte mit glühenden Worten
deren Ursache, der Mörder Lichnowski's und Auerswalds gedacht.
Abg. Temme: Der Richt hat sich nicht allein darum zu bekümmern, ob ein Gesetz verfassungsmäßig verkündet, sondern auch ob das Gesetz verfassungsmäßig berathen und angenommen sei. Es kommt
jetzt darauf an, welche Theilnahme uns, bei Erlassung der Gesetze zukommt. Früher hatte der König, nach dem Allge. Land-Recht allein das Recht Gesetze zu erlassen. Er war Souverain. Im Jahre 1815
wurde festgestellt, daß die Vertreter des Volkes die Gesetze berathen sollen. Aber die Volksvertretung wurde nicht eingeführt. Hierauf kam im März d. J. die Revolution. Das Gesetz vom 8. Apeil sagt,
daß die gegenwärtige Versammlung die Befugniß zur Genehmigung aller Gesetze habe. Es frägt sich nun, wie es mit den von der Frankfurter Centralgewalt ausgegangenen Gesetze zu halten ist; in wie fern
wir eine Berathung oder eine Genehmigung dieser Gesetze beanspruchen. Es frägt sich aber auch, zu welchen Gesetzen die Centralgewalt befugt ist. Nach den Gesetze vom 28. Juni hat sich die
Centralgewalt nur mit den äußeren und allgem. Angelegenheiten Deutschlands, aber nicht mit innern zu befassen. Der Zwang eines Staatenbundes ist kein anderer, als kräftig nach Außen und frei nach
Innen zu sein. Der Centralgewalt bleibt die Herstellung eines gemeinsamen Heerwesens, einer gemeinsamen Zollgesetzgebung, aber sie darf nicht in unsere Strafgesetze eingreifen. So gut wie die
Frankfurter Versammlung 15 Jahre Gefängnißstrafe festsetzte, hätte sie ja auch Todesstrafe ansetzen können, die wir abgeschafft haben, können wir demnach ihre Gesetze genehmigen? Das Frankfurter
Parlament war befugt, zur Sicherung eine Strafgesetzgebung von den einzelnen Staaten zu verlangen. Alle Gesetze jenes Parlaments müssen erst unsere Genehmigung erhalten. Das war die juristische Seite.
Jetzt will ich zur politischen übergehen. Wir haben eine Revolution gehabt. Drei Mal waren wir im Laufe dieses Jahrhunderts unterdrückt. Die Revolution im März war eine sittliche, sie war
hervorgerufen durch die Carlsbader Beschlüsse und die langjährige Unterdrückung. Ich muß aber befürchten, daß das Frankfurter Parlament auf einem falschen Wege ist. Die Centralgewalt will die freie
Presse und das freie Versammlungsrecht unterdrücken. „„Wir haben die Freiheit nicht errungen, um sie an das Frankfurter Parlament wegzuwerfen.““
Abg. Reichenssperger. Durch den Waldeck'schen Antrag werden wir um ein Menschenalter zurückgeworfen. Man sprach uns von Reaktion. Gab es aber je einen reaktionärern Antrag als dieser.
Hätten die Minister vor einigen Wochen es gewagt, einen solchen Antrag zu machen, so würde man sie wahrscheinlich als Vaterlandsverräther in Anklagezustand versetzt haben, ein Mißtrauensvotum wäre zu
wenig gewesen. ‒ Ich will Ihnen zeigen, in welcher Weise man in Deutschland die Omnipotenz der Frankfurter Versammlung festgestellt glaubt. Es traten wohl formelle Gründe gegen die höchste
Competenz dieser Versammlung auf und das Vorparlament ging darüber hinweg. Der Fünfziger-Ausschuß setzte sogar fest, daß während der Dauer der deutschen Nationalversammlung keine andere konstituirende
Versammlung in den Einzelstaaten zusammenberufen werden dürfe. Sogar der König nahm in seiner Thronrede, als er unsere Versammlung eröffnete, auf diesen Beschluß Bezug und nur wegen der dringendsten
Verhaltnisse wurden wir zusammenberufen. ‒ Offenheit und Entschiedenheit ist die Pflicht eines Jeden. Sagen wir offen heraus, was wir wollen. ‒ Man erwidert von jener Seite, daß man ja
einverstanden sei, das Frankfurter Parlament habe die deutsche Reichsverfassung zu berathen. Wenn man aber der Competenz der hiesigen konstituirenden Versammlung auch andere Angelegenheiten
zuschreiben will, was ich auch anerkannt habe, so steht dies auch der Frankfurter Versammlung zu. Wie soll es aber werden, wenn diese Versammlung beschließt und wir sollen erst noch unsere Zustimmung
geben.
Abg. Waldeck. Als im Juli der Jacobi'sche Antrag gestellt war, wurden zwei Wege der Entgegnung eingeschlagen. Der Eine, die Verdächtigung Derjenigen, welche den Antrag unterstützten.
Der Andere die Competenz. Heute greift man zu denselben Mitteln. Man verdächtigt unsern Antrag. Wenn die Frankfurter Versammlung über Alles solle beschließen können, wozu sind wir denn hier
versammelt. Wenn man uns entgegenstellte, daß jedes Gesetz alsdann zuvor von 38 Versammlungen genehmigt werden müsse, so muß man nicht allgemeine Gesetze mit den verwechseln, welche in den
Einzelstaaten festgesetzt werden müssen. Wenn man uns vorwirft, daß wir den Tod Auerswald's und Lichnowski's nicht gemißbilligt hätten, so kann ich Ihnen erklären, daß wir diesen Mord
allerdings mißbilligen, aber wir konnten dem damaligen Berg'schen Antrage nicht beistimmen, weil noch eine Truppenunterstützung mit dem Antrage untheilbar verbunden war.
Nach namentlicher Abstimmung wird die Dringlichkeit des Antrages mit 174 gegen 173 Stimmen verworfen. Die Rechte, das rechte Cenerum und das Centrum (Partei Unruh) stimmten gegen die Dringlichkeit.
‒
Hierauf kommt der Bericht der Kommission für Weber- und Spinner-Angelegenheiten über den D'Ester'schen Antrag zur Berathung. ‒ Die Kommission ist der Ansicht:
1) daß den Spinnern und Webern lohnende und ihre Subsistenz sichernde Arbeit verschafft werde;
2) daß ihnen zu dem Zwecke angemessene Vorschüsse auf ihre industriellen Produkte gemacht werden;
3) daß die Art und Weise der Ausführung dieser Zwecke durch Sachverständige festgestellt werde;
4) daß die erforderlichen Mittel zur Erreichung derselben durch den Staat hergegeben werden.
Die Kommission, überzeugt von der dringenden Nothwendigkeit der helfenden Mitwirkung des Staats und in Anerkennung der Zweckmäßigkeit der vorgeschlagenen Mittel beantragt daher:
Eine hohe Versammlung wolle beschließen, das Staatsministerium unter Ueberreichung der vorerwähnten Petitionen dringend zu ersuchen, unter Berücksichtigung der in den gedachten Petitionen
enthaltenen Anträge und des betreffenden Antrags der Abgeordneten der Kreise Herford, Bielefeld, Halle, Minden und Lübbecke, und Wiedenbrück, ihre Subsistenz sichernde Arbeit zu verschaffen.
Der Abg. Milde spricht gegen diesen Antrag, da die Staatsgelder nicht dazu da seien, um einzelne Kreise auf Kosten des ganzen Staates zu unterstützen. Er schlägt vielmehr ein Amendement vor,
welches ein Associationssystem will.
Nachdem mehrere Redner über diese Angelegenheit gesprochen, wird der Antrag mit einem kleinen Zusatze vom Abg. Milde einstimmig angenommen.
Alsdann geht man noch zur Fortsetzung der Berathung über das Gesetz wegen Aufhebung verschiedener Lasten und Abgaben über.
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[
*
] Berlin, 24. Oktbr.
Julius, Redakteur der „Zeitungshalle hat sich der Untersuchungshaft bekanntlich durch Flucht entzogen und auch der Steckbrief hat ihn nicht erreicht. V. Zitzewitz, bei dem
hiesigen Polizeipräsidio beschäftigter Kammergerichts-Assessor, erschien heute im Lokale der Zeitungshalle, und eröffnete Julius' Vater, der Staatsanwalt habe in einer Zuschrift das
Polizeipräsidium beauftragt, Julius in Kenntniß zu setzen, daß man von seiner Verhaftung abstehe. Er werde darauf antragen, daß der Prozeß gegen ihn sogleich zur Verhandlung komme. Zitzewitz
fordert Julius Vater auf, Julius Sohn davon in Kenntniß zu setzen. Die Parkets gleichen sich überall, wie ein faules Ei dem andern.
Die „Reform“ bringt folgende Notiz:
Berlin, 23. Oktbr. Heute stand der Schriftsteller Hopf als Verfasser des Gedichtes „an den König!“ so wie der Drucker und der Verkäufer desselben vor Gericht unter der Anklage der Majestätsbeleidigung.
Der Gerichtshof sprach das Nichtschuldig aus, weil in dem veröffentlichten Gedichte nichts enthalten sei, was die Absicht, die Person des Königs zu kränken, dokumentire, obschon, hieß es in dem Grunde
des Urtheils, das Unpassende seines Inhalts von dem Gerichte wohl erkannt sei.
Die „Reform“ schließt mit der ultranaiven Frage: „Seit wann, fragen wir, beschäftigen sich die Gerichtshöfe mit Gedichten?“ Wir erlauben uns der
„Reform,“ deren guten Willen wir übrigens anerkennen, zu antworten, daß der eine Chenier wegen eines Gedichtes geköpft und der einzige Beranger unter der Restauration und
unter Louis Philipp zuchthauslich gemaßregelt worden ist.
Die „Reform“ hätte vielmehr fragen sollen: Seit wann haben die Pfaffen der Jurisprudenz, diese Ritter der moralischen Weltordnung, „Sinn für Poesie,“ wann haben
sie überhaupt „Sinn,“ den sens Commun gehabt?
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*
] Berlin, 24. Okt.
Die „Neue Preußische Zeitung“ Ritterin vom Landwehrkreuz „mit Gott für König und Vaterland,“ die wir dem Publikum der „N. Rh. Z.“ als
Verdauungspulver empfehlen, bringt folgende Neuigkeiten: 1) „Vielleicht schickt Jellachich eine namhafte Anzahl aus Wien“ ‒ nämlich Mitglieder auf den Demokratenkongreß; 2)
von den 84 Vereinbarern der Rheinprovinz sitzen 47 auf der rechten Seite, 7 schwanken, 7 gehören zur Linken, 23 zur äußersten Linken; 3) der selbst nach der „Kölnischen Zeitung“
schwachsinnige Ferdinand von Oestreich, der kaiserliche Idiot lautet in der Sprache der N. Preuß. Z. also:
„Der Kaiser von Oestreich sitzt noch auf seinem Thron, und dieser Thron, er steht fester wie ein Fels in den Wogen der Empörung. Wie ein wahrer Herrscher, der stets zugleich ein wahrer
Vater, redet der Kaiser seine Völker an, und dem Worte folgt die That auf dem Fuße nach, ja sie eilt ihm voran.“
Die „Neue Preußische Zeitung“ macht den Dalei-Lama-Dienst begreiflich und erwirbt sich so großes Verdienst um die Kulturgeschichte.
Die Antwort des Ministers Bonin auf das Plakat der Kanalarbeiter ist zu unbedeutend, um sie zu geben. Nur merkwürdig, daß die Minister den Arbeitern jetzt antworten! Rothe
Minister.
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Breslau, 22. Okt.
Mittags 4 Uhr. Der Zug ist gestern Abend von Floridsdorf abgegangen. Wien ist vollständig cernirt. Die Verbindung für die Post, Parlamentäre und diplomatische Depeschen wird durch Kähne über die
Donau bewerkstelligt. An dem Brückenkopf stehen die Truppen von Windischgrätz. Der französische Gesandte hat offiziell erklärt, er würde ein Bombardement von Wien für einen casus belli ansehen. Die
Stadt hat auf 15 Tage Lebensmittel. Ein Wiener Offizier wurde gestern als Parlamentär in dem Lager von Windischgrätz mit verbundenen Augen herumgeführt. Ein italienisches, polnisches, ungarisches und
croatisches Korps hat sich dem Kommandanten Messenhauser vollständig zur Verfügung gestellt. Auf sämmtlichen Stationen der Nordbahn sind bedeutende Militärmassen aufgestellt.
[(A.
O.-Z.)]
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Elbing, 18. Okt.
Ueber die Vorgänge in Elbing geben wir noch folgenden Bericht der B. Z.-H.:
Elbing, 18. Okt. Wie Ihnen schon bekannt, haben die hier zahlreich ihren Wittwensitz einnehmenden abgedankten Offiziere adlicher Vollblutrace einen sogenannten „Preußenverein“
konstituirt, und dazu nach Weise der Reaktion, Mitglieder, besonders unter der niedern Bürger- und Volksklasse, zu werben gesucht. Zum Vorsteheramte gehören: ein gewisser, als Major verabschiedeter v.
Baczko, konfiszirten Geistes; ein cidevant Lieutenant v. Sternfeld, ein Naboh durch Erbschaft von einem wildfremden Menschen; der hiesige Postmeister von Schwerin, in der Schlacht mit einem
vorüberfahrenden Wagen hier, lahm blessirt, so daß er die Meinung erregt: es sei pro patria bei Belle-Alliance oder irgendwo sonst geschehen. In der Stadt und auf dem Lande wurden auf bekannte Art
Proselyten geworben, und so eine Anzahl zusammengebracht. Von diesem Vereine ging nun die Idee aus, am Abend des 15. Oktober die Stadt zu illuminiren. In Betracht jedoch der bedeutenden Fortschritte,
welche die Cholera hier macht, und die natürlich durch einen Zusammenfluß von Menschen auf den Straßen, und durch die Ueberfüllungen in Genussen aller Art noch mehr Nahrung erhalten würde, forderte
der Magistrat, in Verbindung mit der Sanitäts-Kommission, auf, die Illumination zu unterlassen, Statt derselben aber eine Sammlung für die Cholerakranken und ihre Hinterbliebenen, zu veranstalten. Der
Verein versprach es, sowie dafür zu sorgen, daß von seiner Seite keine Störungen der offentlichen Ruhe ausgehen sollten. Aber es kam anders. ‒ Schon erregte es Besorgniß, daß Sackträger und
andere Tagearbeiter Tags vorher Knüttel fertigten und fertigen ließen, welche mit Eisen beschlagen und mit scharfen eisernen Spitzen versehen waren, und durch Riemen am Arme hingen. Ein Bote Halling
und Schumacher Kröning sahen sie und erzählten es öffentlich. Auch ging ein Sattler Hartung in den Branntweinhäusern umher, zeigte den Tagearbeitern die Zeichnung eines Gewehres mit Bayonnett,
zugleich auch, wo sie auf dasselbe im Kampfe mit der Bürgerwehr mit ihren Knütteln schlagen müßten, um die Bayonnette zu zerbrechen. Geld und Branntwein wurden von Andern unter jene Arbeiter
vertheilt, mit dem Zusatze: „erfrischt Euch und macht Euch lustig.“ Andere wieder traten unter Gruppen jener Arbeiter, und ermahnten sie: die Liberalen todtzuschlagen und aufzuhängen. So
vorbereitet erschien der 15. Oktober. Die Bürgerwehr paradirte unter Vortragung der schwarz-weißen und schwarz-roth-goldenen Fahne, und brachte auf dem neuen Markte dem Könige, auch dem
Reichsverweser, Lebehochs aus. Auf dem Platze wehten an einem Maste beide Fahnen, die preußische oben, die deutsche unter ihr. Nachdem diese Parade vorbei war, erschienen die Gewerke mit ihren Fahnen,
denen sich der Preußenverein angeschlossen, unter Anführung des v. Baczko. Der Zug ging ebenfalls auf den neuen Markt, wo ein Bierschenker, bei dem sich der Preußenverein versammelt hatte, eine Art
Rede hielt, die Jemand anders für ihn aufgesetzt hatte. Sonderbar genug kommen darin auch Worte der Einheit Deutschlands, und wie man daran festhalten müßte, vor. Aber das war Komodie, die ihre
Erklärung schon Nachmittags dadurch erhielt, daß Seitens des Preußenvereins auf Abnahme der deutschen Fahne von jenem Maste bei der Polizei angetragen wurde. Eine Schwäche der Behörde stellt sich hier
zunächst darin heraus, daß sie in die Abnahme willigte. Während alles dieses Treibens des Preußenvereins, und der durch ihn aufgeregten Menge, verhielten sich die Demokraten ruhig und in würdevoller
Haltung. Es wurde immer später, und es sammelten sich immer mehr Gruppen der niedern Klassen auf den Märkten und in den Straßen, besonders in der Breitenstraße, wo Jakob von Riesen wohnt. Dieser ist
einer der wackersten Bürger hiesiger Stadt, ein Wohlthäter der Armen, ein aufgeklärter Mann, ein Freund der Demokratie! Schon vorigen Jahres suchte stupide Bosheit, Brodneid und Rachsucht der
Reaktianäre, ihn an seinem Eigenthume zu schädigen. Sein anderes Haus in der Kettenbrunnenstraße wurde damals theilweise demolirt. Es wurde Abend, und Mitglieder des Preußenvereins illuminirten. Wer
nicht illuminirt hatte, dem wurden die Fenster eingeschlagen. Nun stellten Viele Lichte an die oberen Fenster. Das gab noch mehr Gelegenheit zum Fenstereinwerfen der unbeleuchtet gebliebenen Häuser.
Wüthendes Geschrei der besoffen gemachten Menge ertönte, gemischt von Mordgeschrei. Ein Theil der Bürgerwehr trat zusammen, fraternisirte aber theilweise mit jener Bande. Generalmarsch ließ der
Oberkommandeur der Bürgerwehr nicht schlagen. Warum nicht? ist unbekannt. Die zusamengekommene Bürgerwehr war zu schwach, um zu imponiren. Die Husarenschwadron saß auf. Beide verhielten sich ruhig und
ließen sich, von Steinen durch die Masse geworfen, verhöhnen, verletzen. Es wurde immer toller von der Menge gehandelt, Bürgerwehrmänner schwer verletzt. Aufrufe zum Auseinandergehen fruchteten wenig,
die Polizei ließ die Aufruhrakte nicht publiciren, obgleich sie dazu von Befehlshabern der Bürgerwehr aufgefordert wurde. Da endlich führte ein Theil der Bürgerwehr Bajonett-Atraken aus, es fielen
auch aus ihrer Mitte einige Schüsse, gleichzeitig aber wurde, wie es heißt, aus der Gesellenherberge in der Fischerstraße, auf die Bürgerwehr geschossen, Mitglieder des Preußenvereins warfen mit
Gegenständen aus den Fenstern auf die Bürgerwehr. Da endlich hauen die Husaren scharf ein und im Nu hat sich vornehmes und niederes Gesindel verlaufen! Es gab etwa ein halbes Dutzend Todte, besonders
in den Reihen der Tumultuanten, und eine Menge zum Theil schwer Verwundeter. Der Chef der hiesigen Husarenschwadron suchte nämlich vergebens die Menge durch gütliche Ansprache zum Auseinandergehen zu
bewegen. Es wurde auf ihn und die Husaren mit Steinen geworfen und zwei solcher Steine trafen ihn so unglücklich, daß er, schwer verletzt, besinnungslos vom Pferde stürzt. Da übernahm der Prem.-Lieut.
v. Krafft das Kommande, stürzte sich mit der Schwadron auf die Brüllenden und ‒ gesäubert waren die Straßen! Ruhe trat ein und die Nacht verging ohne weitere Störung. Der folgende Tag
gestattete die Schlachtfelder in Augenschein zu nehmen, Todte und Verwundete waren fortgeschafft. Man fand das Haus eines Schumachers in der Fischerstraße, eines liberalen Mannes, demolirt,
desgleichen auch zum Theil das Haus van Riesen's, das die Wüthenden sogar anzünden wollten. Jenen Schuhmacher und seinen Schwager, Beide an dem verhängnißvollen Abende in der Bürgerwehr
stehend, verfolgt man jetzt, angeblich: weil durch sie Tumultuanten getödtet seien. An demselben Tage erschien ein requirirtes Kommando der ostpreußischen Jäger von 108 Mann, welche mit ihrem Gros in
Braunsberg garnisoniren. Als die Tumultuanten vom vorigen Abend dies sahen, verhilten sie sich ziemlich ruhig. Doch Nachmittags schien die zweite Auflage folgen zu wollen. Es versammelten sich nämlich
eine Menge Gesellen, 4 bis 500 an der Zahl, in jener Herberge in der Fischerstraße. Alle Vorübergehenden, von denen sie glaubten, daß sie zu den Demokraten gehörten, wurden in der pöbelhaftesten Weise
von ihnen mit Schimpfworten verfolgt. Die vorübergehenden Jäger ließen sie hoch leben und suchten mit ihnen zu fraternisiren. Doch diese Jäger, gebildete Leute, verschmähten solche Versuche, ermahnten
zur Ruhe und drohten andernfalls mit ihren Kugeln. Das und die Fertigkeit der Husarenschwadron zum Dreinschlagen setzten diese Preußen-Vereins-Menschen in Furcht. Die Ruhe wurde nicht gestört, aber
das Feuer glimmt unter der Asche! Man könnte vielleicht für dauernde Ruhe bürgen, wenn die alten Pensionaire die Stadt verlassen und sich einen andern Aufenthalt wählen würden! Die Jäger sollen diese
Woche durch Musketiere abgelöst werden, Elbing aber bleibende Garnison erhalten. Sehen Sie, was aus diesem meist so freisinnigen Elbing geworden! Seine Physiognomie fing sich zu ändern an gerade von
der Zeit, wo die Obengenannten ihre Wittwensitze hier aufschlugen, und dann weiter von da ab, wo Monopolist Wernich mit seinem „Anzeiger“ umsattelte.
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@facs | 0639 |
Troppau.
An die Garden und waffenfähige Mannschaft Schlesiens!
Die Sache der Freiheit steht auf dem Spiele. Freiheit oder Knechtschaft heißt die Losung! In allen Ländern der Monarchie erheben sich die Nationalgarden, die Hüter der Freiheit, um die finstern
Plane einer freiheitsmörderischen Partei zu vernichten. Schlesiens Garde darf nicht zurückstehen, wo es gilt, die Freiheit gegen jeden Angriff, er komme woher er wolle, zu beschützen! ‒
Schlesier! die Freiheit ist das höchste Gut, ‒ sie muß gewahrt werden! Drum rüstet Euch, Ihr wißt nicht, was in der nächsten Zukunft bevorsteht! Bereitet Euch vor, wenn es sein muß, Eure
Heimath zu verlassen, um für die Freiheit zu kämpfen! Euer Glück steht und fällt mit ihr! ‒ Sobald Ihr auf den Bergen Feuerzeichen seht, pflanzt sie weiter fort, und eilt bewaffnet in die Euch
nächstgelegenen Städte. Dort werdet Ihr Eure nähere Bestimmung erfahren. Wien ist auf das Furchtbarste bedrängt ‒ Wien, der Heerd, der Hort unserer Freiheit! Vielleicht muß ein Theil von Euch
mit den andern tapfern Brüdern dorthin eilen! Haltet Euch auf Alles gefaßt! Wer seinen Arm nicht mehr der Freiheit leihen kann, unterstütze ihre Vertheidigung durch andere Gaben jeder Art, mit Geld,
Munition u. s. w. Namentlich Ihr, schlesische Frauen, auf Euch und Eure Vaterlandsliebe blickt die Freiheit voll Erwartung der kräftigsten Unterstützung ihrer heiligen Sache! Seid stark, einig und
wachsam ‒ dann müssen wir siegen!
Die Nationalgarde Troppau's.
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@facs | 0639 |
[
100
] Aus dem deutschen Reiche.
Fortwährend langen Unteroffiziere und Soldaten des in und bei Sigmaringen stehenden Leibregiments geschlossen in München an, um wegen Widersetzung, Insubordination u. s. w. prozessirt zu
werden.
Die Reichstruppen von Sigmaringen haben sich jetzt nämlich wieder in ein „baierisches“ Leibregiment verwandelt.
Die Reichsgewalt hat nach Lübeck Reichstruppen beordert, ‒ die vor ihrem Marsche nach Lübeck „Oldenburger“ und „Mecklenburger“ hießen. Unter ihrem Schutze
sind viele Verhaftungen vorgenommen worden.
Das großherzoglichdarmstädtische Ministerium hat in Exekution des Reichserlasses sämmtlichen Regierungskommissaren besondere Wachsamkeit und Thätigkeit zur Verhütung und Verfolgung von
Vergehen empfohlen, welche durch die Presse und die Volksversammlungen unternommen werden. Auf die Reichsarmee gestützt, verkündet der Riesenstaat Hessen-Darmstadt: „die exekutiven Behörden
sollten die Gerichte in der Ausführung ihrer Befehle kräftig unterstützen und in der Anwendung der dafür zu Gebot stehenden Mitteln nicht aus ängstlicher Besorgniß wegen deren Unzulänglichkeit
‒ zurückweichen, indem es keineswegs an Macht fehle, verbrecherische Unternehmungen niederzuhalten.“ Entendu?
In Oberingelheim sind aus bis jetzt unbekannten Gründen um 11 Uhr des 23. Oktober preußische Reichstruppen einquartirt worden.
Die Reichszeitung (zu Braunschweig erscheinend: Redakteur Andrée, Jahn's Schüler) poltert gegen den Berliner demokratischen Kongreß.
Der Reichsminister des Innern, Ritter Anton v. Schmerling, Exbundestagspräsident, und nach eigener, nicht bestätigter Angabe, Exwiener Barrikadenkämpfer, hat unter dem 22. Okt. ein
Rundschreiben an seine Kollegen, die übrigen Minister des Innern der außerhalb des Reichs existirenden deutschen Einzelstaaten erlassen, worin er ihnen die bezüglich der Befreiung des Grundbesitzes
von der Frankfurter Versammlung gefaßten Beschlüsse zur baldigen Ausführung empfiehlt. Es soll dies die gesunkene Popularität des Reichsministeriums heben. „Es bleibt aber natürlich den
Einzelstaaten überlassen, die Durchführung des Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch Uebergangsgesetze zu vermitteln.“
In Hannover haben die Truppen am 18. Okt. die schwarz-roth-goldene Kokarde angelegt.
Den Meiningen'schen und Koburg'schen Landen ist für den 30. Oktober das Eintreffen von 5000 bis 6000 hannöver'scher Reichstruppen mit
„schwarz-roth-goldener Kokarde“ angesagt.
In Altenburg stellte Abg. Dölitzsch den Antrag: die Landschaft möge beschließen, daß das Ministerium das Reichsministerium um Zurückziehung der dahier conzentrirten Reichstruppen
angehe. Das Ministerium erklärte natürlich, seine Stellung zur Reichsgewalt erlaube ihm keinen solchen Protest.
In der 101. Sitzung der Frankfurter Versammlung (v. 23. Okt.) stellte sich der Reichs-Unterstaatssekretär, der Buchhändler Bassermann, auf demokratisch-republikanischen Boden, und
entwickelte mit gewohnter Reichslogik folgende Reichskonsequenzen:
1) Frankreich sei eine Republik; die Regierung Frankreichs sei demnach eine republikanische Regierung; diese republikanische Regierung mache Gesetze zur Maßregelung der Klubs; a fortiori sei
also „wohl auch“ die Centralgewalt zu ähnlicher Regelung befugt.
2) In den Demokratieen herrsche das Gesetz der Majorität; die Ungarn bildeten in den aufgeregten Landestheilen Ungarns die Minderzahl; also seien die Croaten, demokratisch zu
reden, gerechtfertigt.
3) Die Wiener Revolution sei ein verbrecherischer Krawall, (obwohl in dem aufgeregten Wien die Gutgesinnten in der „Minderzahl“ sich befinden.)
[0640]
4) Das Reichsministerium übe die „Polizei“ aus, aber eine „Polizei, wodurch das Vaterland nach Innen und nach Außen vor Verderben bewahrt würde.“
Unsere letzte Nachricht aus dem „deutschen Reiche“ lautet dahin, daß, abgesehen von dem Frankfurter Concil, blos für die Reichsgewalt teutscher Nation eine Ausgabe von 10
Millionen und einigen hunderttausenden Gulden von September bis Dezember verursacht wird. Die Produktionskosten sind nicht zu stark für eine „Polizei,“ die das Vaterland nach
Innen und nach Außen „vor Verderben“ schützt.
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@facs | 0640 |
[
!!!
] Frankfurt, 24. Oktober.
Tagesordnung: 1) Fortsetzung der Debatte über §. §. 2. 3. und 4. (Art: [unleserlicher Text]) des Verfassungsentwurfs. Den Wortlaut der §. §. gab ich Ihnen in der Sitzung vom 20. Oktober. ‒ 2)
Ergänzungswahlen in die Ausschüsse. Simson präsidirt. ‒ Vor der Tagesordnung.
Blömer (für den Ausschuß der Gesetzgebung) zeigt einen Bericht an, welcher beantragt über den Antrag des Abgeordneten Wesendonk „die in Folge des Aufstandes vom 18. September in
Frankfurt Angeklagten durch Jury's abzuurtheilen“ zur Tagesordnung überzugehen. ‒
Sänger, interpellirt den Reichsminister des Innern wegen Feststellung der Reichsgränze im Großherzogthum Posen.
Joseph soll eine Interpellation an den Reichsminister der Justiz verlesen. Ist nicht anwesend.
Jahn: (horribles Gelächter.) interpellirt das Reichsministerium wegen der nach Wien gereisten Abgeordneten: Blum, Tramputsch, Frobel. ‒ Bei den jetzigen Zeiten sei Gefahr für die
Personen derselben vorhanden (Gelächter), er frägt deshalb (!) das Ministerium, ob jene Abg. mit irgend einem offiziellen Auftrage versehen nach Wien gegangen sind, ob mit Reichspässen versehen, und
ob beurlaubt? ‒ (Endloses Gelächter begleitet Herrn Jahn von der Tribüne. Links: Das sind Späße die nicht auf die Tribüne passen!) ‒
Schmerling in Beantwortung der Interpellation von Sänger (s. oben) zeigt an, daß der hessische General Schäfer als Reichskommissär mit der Abzeichnung der Posenschen Demarkationslinie
beauftragt sei, und demnächst dahin abgehen werde.
Maifeld will in Folge der gestrigen Rede des Herrn v. Vinke eine schriftliche Erklärung gegen denselben zu Protokoll geben. Wird von der Versammlung nicht zugegeben. ‒
Tagesordnung. Die Stimmzettel zu den Ergänzungswahlen werden eingesammelt. Mitlerweile beginnt die Fortsetzung der Debatte über §. 2 bis 4 des Entwurfs der Verfassung. ‒
Reidtel aus Brünn spricht gegen den Entwurf der Verfassung. ‒ Ganz Oestreich östreichisch und ganz zu Deutschland! ‒ (Ganz schwarz-gelb!)
Man möchte ja sehen, mit Oestreich in gutem Vernehmen zu bleiben. Ich bitte Sie sagt der Redner, mit heftigstem Ausdrucke, ich bitte Sie wiederholt er 6 bis 7 mal, mit Oestreich Ruhe zu halten.
(Gelächter!)
Wagner aus Steyr in Oestreich. Für den Entwurf des Verfassungs-Ausschusses. Er kennt viele gescheudte und tüchtige Männer, welche sich dahin ausgesprochen haben, daß in der Trennung
Deutsch-Oestreichs von dem übrigen Oestreich das größte Glück für Oestreich überhaupt zu suchen sei. (Bravo links) Nur bei Unterdrückung des slavischen Elements sei der Panslavismus zu fürchten. Denn
dann würde er seine Zuflucht zu Rußland nehmen. ‒ Er sei kein Feind der pragmatischen Sanktion weil sie ein vergilbtes Pergament, denn es gäbe auch vergilbte Pergamente welche von der Hand der
Revolution gegeben und die Freiheiten des Volks enthalten z. B. die Magna charta! ‒ (Bravo.) Der Redner ist für das Prinzip der Nationalitäten, weil das Nationalgefühl ein großer Hebel des
Fortschritts sei. ‒ Deutsch-Oestreich zu Deutschland! ‒
Maifeld aus Oestreich. Ganz schwarzgelb. Alles für Oestreich! ‒ Gegen den Entwurf.
v. Mühlfeld aus Wien. Für den Entwurf eingeschrieben, spricht er dagegen. ‒ Weist von sich den Vorwurf, ein schwarzgelber zu sein. Er sei deutsch. Sei einer der ersten gewesen der dem
Ruf in's Vorparlament gefolgt ist. ‒ Gegen die Personalunion. ‒ Der Redner erhitzt sich für die Erhaltung des ganzen östreichischen Föderativstaates; aber Oestreich hätte die
Pflicht seinen südöstlichen Staaten die deutsche (!) Freiheit zu bringen. Oestreich entweder aufgenommen in den deutschen Bundesstaat, oder Oesterreich ein föderativer Staatenbund. (Lautes Bravo der
Centren. Zischen links.)
v. Vinke. Gegen den Entwurf. Wie immer besteht seine Rede aus Aphorismen aller vorhergehenden Redner, die er parlamentarisch bekämpft, wobei man fortwährend hört: „Das verehrte
Mitglied von daher sagt, und das verehrte Mitglied von dorther sagt: „Die Personalunion würde unbedingt den Zerfall Oestreichs in einzelne Staaten zur Folge haben. ‒ Wenn die
stenographischen Berichte, sagt Vinke, auf die Nachwelt kämen (gewagte Behauptung!) so würde man sich über so manche unpatriotische Aeußerung wundern (von links) in dieser Versammlung, die zur
Begründung der Einheit Deutschlands berufen sei. (höhnisches Bravo links.) Ungarn sei keineswegs der natürliche Bundesgenosse Deutschlands. Sie würden es so lange sein, als ihr Interesse es erheischt.
Das Prinzip der Nationalitäten kann (selbst) nicht wegläugnen. ‒ Im Anfang seiner Rede meint Vinke durch eine Zerstückelung Oestreichs. würden wir die Slaven den Russen in die Hände treiben,
gegen das Ende derselben meint er, wir würden dadurch den Slaven in die Hände arbeiten. ‒
Wir wollen, sagt Vinke, eine exceptionelle Stellung Oestreichs allerdings nicht in Deutschland, aber neben Deutschland. (Links: hort!)
Er erklärt sich für das Amendement Kaiser „die Verhältnisse Oestreichs bleiben der definitiven Anordnung vorbehalten.“ ‒
Preußen habe seiner Meinung nach, keine Berechtigung und auch nicht den Willen einer exceptionellen Stellung in Deutschland. Aber durch die Annahme der Paragraphen des Ausschusses würde es ein weit
größeres Feld zu dieser exceptionellen Stellung erhalten. Daß er (Vinke) deshalb gegen die Annahme der §. §. des Ausschusses spräche, beweise am besten, daß er nicht auf dem preußischen sondern
auf dem deutschen Standpunkte stehe. (langes Bravo rechts und Centren. Links Zischen.) Nachdem Vinke gesprochen verlassen die Centren und die Rechte massenweise das Haus. ‒
Schneider aus Wien. Für die Paragraphen des Entwurfs. Er achtet das Urtheil der andern Parthei, aber er fragt, was hat das Volk von Oestreich für einen Vortheil von diesem Staatenbund?
‒ Oestreich's Geschichte bis auf die neueste Zeit sei die Geschichte eines unfreien Volkes. ‒ Gegen einen gänzlichen Ausschluß Oestreichs aus Deutschland müsse er sich erklären.
(Auf der Rechten sitzen 6 Abgeordnete, im ganzen Saal ungefähr 150.) ‒ Vom statistischen Standpunkt aus erweist der Redner durch sehr sorgsame Zahlenaufstellungen, daß Oestreich sein Interesse
im Anschluß an Deutschland, aber nicht im Zusammenhalten aller östreichischen Provinzen zu einem Oestreich suchen muß. ‒ Der Sieg der Demokratie in Oestreich sei der Sieg derselben in
Deutschland. Wenn ich, schließt der Redner, auch auf Kosten eines einigen Oestreichs ein einiges Deutschland vor Augen sehe, werde ich keinen Augenblick anstehen, Oestreich für Deutschland zu opfern.
(Bravo.)
Clemens aus Bonn hält eine ganz bedeutungslose Rede zu Gunsten der Schwarzgelben. ‒ Er hat mit Schmerling und Consorten das Amendement Schreiner unterschrieben: „bei der höchst
eigenthümlichen und schwierigen Lage Oestreichs in der Gegenwart wird die gesetzliche Durchführung dieses und der folgenden §. §. dem Zeitpunkt der wid erhergestellten Ordnung im Innern der
östreichischen Monarchie vorbehalten.“ ‒ (Schlußruf läßt sich vernehmen.) ‒ (Der Schlußruf wird heftig.) ‒ Der Redner hört auf nach 3/4 Stunden. Man verlangt den Schluß der
Debatte. ‒ Viele schreien: Weiter reden!
Präsident theilt mit, daß noch 40 Redner eingeschrieben sind, und der Schlußruf wohl kaum ernstlich gemeint sein kann. ‒
Die Diskussion geht weiter mit Biedermann, der lang und breit für den Entwurf spricht! ‒
Folgt Herr Reichensperger, gegen den Entwurf, für Oestreich und schwarzgelb. Herr Reichensberger giebt ein Amendement ein, welches die Streichung des Paragraphen 3 beantragt. ‒
Der Schluß der Debatte wird verworfen. Dagegen vertagt man die Debatte.
Morgen keine Sitzung. Schluß um 3 Uhr.
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[
*
] Aachen.
Als Entgegnung auf die vielen Adressen, die allenthalben in den Regierungsbezirken Aachen von der Rückschrittspartei an die Berliner National-Versammlung abgesandt wurden und die dem Wesen nach
alle nur den Zweck verfolgen, die Versammlung von jeder, die Regierung überwachenden Wirksamkeit abhalten und auf die alleinige Anfertigung einer Verfassung beschränken zu wollen, ist heute
nachstehende, vom hiesigen Volksvereine und einer von diesem berufenen überaus zahlreichen Volksversammlung unterzeichnete Adresse an die besagte Natioal-Versammlung abgesandt worden.
An die hohe National-Versammlung zu Berlin.
Zu den Trugschlüssen, womit die Reaktion unsere junge Freiheit zu umgarnen sucht, gehört auch der, daß die mit der Feststellung der Verfassung beauftragten Volksvertreter sich nur mit der Ver
fassungsfrage zu beschäftigen hätten, unbekümmert, wie inzwischen das Interesse der Staatsbürger von der Regierung wahrgenommen werde. Und in der That würde, wenn die hohe Versammlung darauf einginge,
der Reaktion vortrefflich in die Hände gespielt werden. Vor Interpellationen gesichert, würden die Büreaukratie und der Polizei- und Militair-Despotismus sich bald erholen von den Schlägen, die sie in
den Märztagen erlitten, die Zeiten des beschränkten Unterthanenverstandes würden bald zurückkehren und das Zustandekommen einer freisinnigen Verfassung würde mehr als je in Frage gestellt werden.
Von diesem Gesichtspunkte ausgehend und in der Ueberzeugung, daß nicht durch Interpellationen, sondern durch verkehrte Regierungsmaßregeln Handel, Industrie und Verkehr leiden, beantragen die
unterzeichneten Bürger Aachens:
„die hohe Versammlung möge fortfahren, unter dem Verfassungswerke ein wachsames Auge auf die Maßregeln der Regierung zu richten.“
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[
*
] Schleswig, 21. Okt.
In der gestrigen Abendsitzung stattete der aus 9 Mitgliedern zusammengesetzte Ausschuß Bericht über die Regierungsanträge ab. Mit einer Majorität von 8 gegen 1 empfahl er der Landesversammlung zur
Annahme folgende Beschlüsse:
1) die Landesversammlung genehmigt, daß die Mitglieder der provisorischen Regierung von ihrer bisherigen Stellung abtreten. und spricht derselben die dankbare Anerkennung des Landes aus; 2) die
Landesversammlung ertheilt in der Voraussetzung, daß die designirten Regierungsmitglieder, namentlich die Herren Landvogt Boysen, Amtmann Baron v. Heintze, Adolph v. Moltke,
Oberappellationsgerichtsrath Preußer und Graf v. Reventlow-Jersbeck, die herzogliche Gewalt im Interesse des Landes und nach den bestehenden Rechten und Gesetzen ausüben werden, ihre Zustimmung dazu,
daß dieselben die gemeinsame Regierung der Herzogthümer Schleswig-Holstein übernehmen;
3) die Landesversammlung beschließt, sich am 21. d. zu vertagen, beauftragt jedoch das Bureau, sobald die Umstände solches nach dessen Ermessen erforderlich erachten, die Versammlung wieder
einzuberufen, und verlängert zu diesem Behuf die Funktion der Mitglieder des Bureaus bis auf den Zeitpunkt von 8 Tagen nach der Wiederzusammenberufung der Versammlung.
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] Schleswig, 22. Okt.
Gestern Abend gegen 12 Uhr wurde über die Regierungsanträge abgestimmt. Die Entscheidung fiel im Sinne der Regierung aus und die Versammlung vertagte sich. In derselben Sitzung wurde die
Wiedereinführung der schleswig-holsteinschen Flagge an der Stelle der allgemeinen deutschen beschlossen.
Heute früh nahm die provisorische Regierung Abschied von dem bei ihr angestellten Personale. Um 12 Uhr wurde die neue Regierung in möglichster Stille von den Kommissarien Stedtmann und von Reedtz
auf dem Schlosse Gottorf installirt.