Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Die englisch-französische Vermittlung in Italien, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
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] Köln, 21. Okt.
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Edition: [Karl Marx: Der „konstitutionelle Musterstaat“, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
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] Köln, 21. Okt.
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61
] Wien, 17. Okt.
Die Kroaten vor den Thoren und die Auersperger leben vollauf, sie jubeln mit den 8 Millionen, die Pillersdorff und Krauß ihnen durch die Reichstagspfütze zugeführt haben, während das arme Volk in
der Stadt hungert und sich Tag und Nacht unter den Waffen abrackert. Jellachich und Auersperg halten in ihren Hauptquartiren Hof, und empfangen daselbst die aus der Stadt entflohenen Fürsten, Pfaffen,
Büreaukraten und demuthgekrümmten Geldsäcke.
Doch hören Sie ein Stück aus der gestrigen um 4 Uhr beginnenden Sitzung unserer Reichstagsverräther.
Nachdem der neue Präsident Smolka, dessen Schnurrbart-Ungeheuer, wie zwei umgeworfene Obelisken, weithin die unter ihm sitzenden Sekretäre röthlich überschattet, angezeigt, daß 221
Gehaltsquittungen von Abgeordneten eingegangen und die Kammer dazu ihr pflichtschuldiges Bravo gerufen, betritt der hamburger deutsch-katholische Sonntagsprediger Schuselka, als Berichterstatter des
permanenten Ausschusses, wieder die Bühne. (Tiefe Stille.)
„Wir haben, sagt er nach einigen vorausgesendeten Ruhe- und Ordnungs-Floskeln, eine telegraphische Depesche des Abgeordneten Fischer aus Olmütz erhalten. Er schreibt, daß er gestern Abend 6
Uhr bei Sr. Majestät zur Audienz zugelassen worden und Sr. Majestät nach Empfang der Reichstagsadresse geantwortet habe, sie sehe mit Vergnügen, daß der Reichstag sich so ordnungsmäßig benehme und
werde ihm niemals die Anerkennung versagen, wenn er fortfahre, der Anarchie zu steuern. Schon beim ersten kaiserlich-apostolischen Worte konnte die Versammlung leise Bravo's kaum unterdrücken
und nur die radikale Bedeutungslosigkeit der Antwort mußte aus Furcht vor dem Volke auf den Gallerien diese Bravo's wieder verschlingen machen. ‒ Schuselka wird nun wahrscheinlich noch
etwelche Deputationen an Se. Majestät entsenden und dann als Volksfutter vertheilen. ‒ Einstweilen, meinte Herr Schulselka, muß uns auch nach dieser Antwort noch daran liegen, in unserm
Defensivverhalten fortzufahren, weil Se. Majestät die vor unseren Thoren lauernden Armeen unberührt läßt und dieselben auch keine Miene machen, Abschied zu nehmen. ‒ Hierauf verliest er unter
dem jedesmaligen Bravo der sich mit dem Hofe, Jellachich, Auersperg und selbst mit dem Teufel so gerne vereinbarenden Versammlung die Ergebenheitsadressen vieler Städte und Ortschaften, welche auf die
erste Aufforderung Wien den kräftigsten Beistand versprechen. Wird adacta gelegt.
Schuselka fährt fort: Der Ausschuß dürfte und darf den Standpunkt der Defensive keinen Augenblick verlassen, weil er den monarchischen Boden, das konstitutionelle Prinzip festhalten will,
(mag das Volk dabei zu Grunde gehen, no matter) weil Wien in dieser Defensive nicht zu bezwingen ist, (merkwürdig, daß selbst politische Kretinen zu solcher Einsicht kommen!) mit Ergreifung der
Offensive aber verloren sein würde. Solange Wien sich und sein Recht blos vertheidigt, wird es die Bewunderung Europas für sich haben und in der Geschichte groß dastehen, es wird dann die Interessen
der Monarchie und die Forderungen der Humanität gleichmäßig beachten. Im Lager sind keine Veränderungen bemerkbar, die ungarische Armee steht an der Grenze, sie hat eine Deputation an Auersperg
gesendet, die uns jedoch keine Mittheilung gemacht, (sie weiß zu gut, mit wem sie zu thun hat) wir bleiben also für den äußersten Fall gerüstet.
Ich bemerke hierzu: Der Kaiser hat einer der zu ihm geschickten Reichstagsdeputationen geantwortet, Jellachich und Auersperg würden nicht angreifen; Schuselka und die Schuselka's bereiteten
hieraus mit bourgeois-dummer Sieges-Miene dem Volke Wiens sofort ein Strohlager der defensiven Unthätigkeit. Die Kerls begreifen nicht, was selbst die mit der Dummheit geparte Feigheit begreifen muß,
daß nämlich Wien gerade durch die Defensive am allerbequemsten ruinirt wird. Auersperg und Jellachich erhalten vom Reichstage 8 Millionen, damit lagern sie sich recht gemüthlich rundum Wien,
entwaffnen das Land, halten die Vorräthe auf, warten eine Armee aus Böhmen ab, ziehen außerdem alles Militär an sich, kurz, sie ersticken Wien. Aber Herr Schuselka und alle andern Herrn Reichsesel
bleiben monarchisch glücklich in der Defensive. Zeigen Sie mir ein Blatt in der Geschichte, wo die Freiheit so niederträchtig verrathen wurde. Außer Schuselka und seiner Sippschaft sieht jeder
Flachkopf ein, sah es gleich ein, daß man am 7. das Volk hätte gewähren lassen sollen. Das Volk würde den Auersperg, da er nur wenige Truppen besaß, trotz seiner festen Stellung hinausgetrieben und
vernichtet, es würde den Lagerberg, worin jetzt Jellachich steckt, und alle Höhepunkte Wiens besetzt haben und Jellachich hätte dann niemals wagen können, bis vor die Mauern Wiens zu rücken, ohne vom
Lagerberg und den andern Höhen aus ebenfalls seiner Vernichtung entgegen zu gehen. Dann aber und nur dann würde die kaiserliche apostolische Kamarilla sich zu einer andern Sprache bequemt haben, der
monarchische Boden der Schuselka's würde, wo das Volk selbst ihn diktirt hätte, fester getreten worden sein, als er es gegenwärtig bleiben wird. So etwas übersteigt indessen den Horizont der
Schuselka's.
Bevor Schuselka abtrat, bemerkte er noch, Wien bedürfe keiner Hilfe, es werde sich selbst vertheidigen. Dies bedeutet soviel als: Wir lassen die Ungarn an den Gränzen stehen. Se. Excellenz der Herr
Ban möchten uns sonst böse werden. Wir haben sie abbestellt. Die Ungarn sind uns sehr unangenehm.
Nach seiner Defensiv-Exkoriation brachte Schuselka eine provisorische Disziplinar-Verordnung für die mobile Garde vor, damit die bewaffneten Arbeiterschaaren nicht ohne Gesetz blieben. Vor diesen
Arbeiterschaaren, vor dem Volke, welches die Schuselka's Pöbel nennen und dessen geringstes Niesen Anarchie heißt, fühlen diese Käutze mehr geheimes Grauen, als vor 10,000 Jellachich's.
Die Disziplinar-Verordnung wird angenommen und wahrscheinlich zur Folge haben, daß alle tüchtigen Leute die Waffen hinwegwerfen.
1) Jeder Vertheidiger schwört, die Rechte des Volkes und konstitutionellen Thrones zu wahren; auch dem Oberkommandanten Folge zu leisten. (Einstimmig angenommen, von Republikanern also keine
Spur).
2) Kriegsrechtlich wird behandelt, wer vor dem Feinde nicht Folge leistet oder seinen Posten verläßt. Und nun die
Hauptsache:
Gscheitzer: Welche Strafen kommen hierbei zur Anwendung?
Schuselka: Das bleibt den Vorgesetzten überlassen. (Der Bourgeois kann also beliebig zusammenschießen lassen.)
Borrosch verlangt die Einsetzung eines Kriegsgerichts. (O armes Volk, deine Freunde sind deine teuflichsten Feinde!)
Schuselka: Das versteht sich von selber; ich werde morgen eine Gerichtsordnung vorlegen.
Fedorowicz meint, man könne den Militärkodex dazu verwenden.
Gschnitzer: Was heißt: Vor dem Feinde?
[0618]
Schuselka: Das wird die Zukunft entscheiden. Wir haben im Ausschuß eine Kanonenkugel liegen; der sie geschickt hat, war z. B. ein Feind.
Der Antrag auf Druck der Depesche Fischer's wird angenommen. Brestl zeigt seinen Austritt aus der Permanenz an, weil er vor Anstrengung schwach (-köpfig) geworden. Smereker an seine
Stelle.
Goldmark denunzirt den Abgeordneten Pfretschner als solchen, der noch gar nicht im Ausschusse gewesen. Auf den Antrag Zimmers werden Polaczek und Wörz hineingethan.
Borrosch will die Disziplinar-Verordnung noch um 2 §§ vermehrt wissen, wodurch ein Kriegsgericht, und bei schweren Strafen eine Appellation bestimmt würde. Darüber neue Debatte, die
damit endet, daß heute wieder eine neue Debatte geführt werden solle u. s. w.
Präsident lies't einen Brief Adolf Schneiders (Postmeister aus Böhmen) vor, worin derselbe als Abgeordneter resignirt, weil er 20,000 Deutsche und 30,000 Czechen zu vertreten habe und
bei der ausgebrochenen Kollision (denken Sie an den prager Aufruf der Czechen) nicht mehr zu wirken vermöge. (Unvernehmbares Zischen.)
Präsident lies't einen am 6. Oktober von mehren Abgeordneten zur Eröffnung der Sitzung an Strobach gesendeten Aufruf vor, und legt ihn auf den Tisch des Hauses. Goldmark vermißt
mehrere Unterschriften; alle Frösche schreien, sie seien ebenfalls dabei gewesen, aber vergessen worden. Auf Schuselka's Antrag wird bestimmt, daß von der ganzen Geschichte nichts gedruckt
werden soll. (Sie genehmigen also Strobach's Verrath!) Der Minister Krauß, der nach den geschnappten 8 Millionen die Versammlung ignorirt und kaum mehr besucht, ist eingetreten; Pillersdorf,
der nun auch das Maul hält, besucht ihn, wird mit Glanz empfangen. Da tritt ein Bauer aus Galizien herzu, überreicht eine Eingabe unter höchst devoten Komplimenten, wird aber ignorirt.
Polaczek versichert, daß in Böhmen die Aufregung ungeheuer sei. (Wird ignorirt.) Ich entfernte mich aus dégòut.
Neuestes aus dem Reichstage. 12 Uhr. Schuselka betritt die Tribüne: Es ist eine Deputation der Frankfurter Linken hier angelangt, bestehend aus 4 Mitgliedern, Fröbel, Blum, Hartmann u. s. w.
Sie bringen eine Adresse, aus welcher ich die Worte: Große Verdienste der Reichstags-Majorität (?) und der Wiener Demokraten, (vom Volke nichts) deutsches Wien, Brudervolk, Bewunderung, Fortfahren in
Bestrebungen u. s. w. aufschnappe, und daß die Frankfurterin den Antrag ihrer sehr rechten Linken auf Erlassung dieser Adresse verworfen. Bei der Schlußphrase: „Voranleuchten
Wien's in Deutschland“ erheben Versammlung und Journalisten ein famoses Bravo. ‒ Schuselka verlies't dann neue Beistands-Adressen; sie beginnen sämmtlich mit den Worten:
„Gewitterschwangere Wolken“, um mit „Anarchie und Reaktion“ zu enden. Keine geht über den Bourgeoisgeist hinaus. Ein schriftlicher Bericht Löhner's wird verlesen,
worin er die Mühen seiner Sendung beschreibt. Die Nordbahn verlangt eine neue Erklärung des Reichstags, daß sie kein Militär befördern solle, da von Böhmen her welches geschickt werden soll. Schuselka
will, daß der Reichstag sich auf den frühern Beschluß berufe, das Militär müsse fern bleiben, damit Anarchie fern bleibe. Er kündigt an, daß ein neuer Schritt gethan worden; alles in Spannung.
Schuselka: Die Majestät muß abermals durch eine Deputation angegangen werden, wir müssen eine neue Adresse an Sie senden, damit die Anarchie nicht aufkommt. Wir müssen sagen, daß die Ruhe, Ordnung und
Sicherheit in Wien fortdauern, wir müssen verlangen, daß alle Truppen aus Niederöstreich zurückgezogen und die Garnison auf ein Minimum reduzirt werde; daß die Truppen sofort vereidet und die Minister
ernannt werden.
Borrosch will mehr als den Eid; er will, daß die Truppen nur auf Requisition der Stadtbehörden hinführe einschreiten, daß in der Stadt, wo der Reichstag sitzt, sich überhaupt kein Militär
befinde. (Die Sitzung dauert noch fort.)
Der Oberkommandant Messenhausen zeigt mittelst Maueranschlag an, daß die ungarische Armee unter dem Befehl der Generale Czanyi und Monza die Gränze überschritten habe und gegen Jellachich im
Anmarsch sei, daß es daher zum blutigen Zusammenstoße vor Wien kommen müsse und er das Belvedere darum sehr stark besetzt habe. Lagerkommandant ist Generallieutenant Bem. Das Hauptquartier ist im
Belvedere; es ist ein vollständiges Lager dort organisirt. Es sollte mich sehr wundern, wenn die Ordnungsesel im Reichstage die Ungarn nicht heimgehen heißen, Jellachich, wenn er bittet, entschlüpfen
lassen und dann einen Krieg gegen das Volk, welches viel Luft bezeigt, die Kerls aufzuhängen, führen. Im Falle des Siegs werden diese Elenden gewiß nicht versäumen, ihn ihrem Geiste und Muthe allein
zuzuschreiben.
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@facs | 0618 |
Wien, 17. Octbr.
Wie uns aus sicherer Quelle zukommt, haben die entwichenen czechischen Deputirten Rieger und Hawlizek eine lange Unterredung mit dem Fürsten Windischgrätz zu Prag gepflogen. ‒ Auch der
vielbekannte Graf Stadion, der ehemalige Gouverneur von Galizien, hält sich dermalen in Prag auf. ‒ Der gewesene Präsident Strobach wurde von dem Deputirten Prato in Anklagestand gesetzt;
allein die Verhandlung wurde in Berücksichtigung der ausgesprochenen Amnestie von dem Reichstage fallen gelassen. ‒ Der Deputirte Leopold Neumann befindet sich dermalen zu Triest. ‒ Der
Oberkommandant Messenhauser hat an den Ban Jellachich gestern eine Zuschrift gerichtet; er verlangt eine deutliche Erklärung, was der kroatische Anführer eigentlich beabsichtige und fordert ihn auf,
das östreichische Gebiet zu räumen. Die Antwort auf diese Zuschrift enthält die einfache Erklärung, daß sich der Baron Jellachich auf eine so lange Zuschrift in keine längere Erörterung einlassen
könne. ‒ So eben erhalten wir ein Schreiben aus Prag, welches uns davon benachrichtigt, daß das Zeughaus daselbst gestürmt werde.
Die Zögerung der Ungarn hat hier Bestürzung hervorgebracht; man fing an, an den Magyaren und ihrem gegebenen Versprechen, an dem Fortgang der guten Sache überhaupt zu zweifeln; ja ein großer Theil
der Bevölkerung wollte sich, wenn auch nutzlos, in den Tod stürzen, um seine Erbitterung, seinen Grimm loszulassen. Nun ist die Sache noch mehr aufgeklärt, warum die Ungarn säumen. Es war nämlich
Zwistigkeit im Heere ausgebrochen, welche die Reorganisirung desselben nothwendig gemacht; dazu war natürlich einige Zeit erforderlich. ‒ Ein Courier bringt uns den Bericht über Stand und Lage
der ungarischen Armee. Als Bevollmächtigter des ungarischen Reichstags unter dem Titel eines Generalkommissärs befindet sich Cszanyi im Lager, ihm beigegeben ist Pazmandy, der Präsident des
Unterhauses. Kommandirender General ist Moga, zu welchem gestern Abend Perzett mit seiner Mannschaft gestoßen ist, so daß die Zahl der Gesammtarmee gegen 65,000 Mann sich beläuft. 10,000 Mann mobiler
Garde unter der Führung des ausgezeichneten, besonders beliebten Obristen Ivanka trennt sich von dem Hauptkörper und begibt sich über Preßburg nach Haimburg, um von der Seite den Angriff der Magyaren
nachdrücklichst zu unterstützen. 15 Offiziere, unter ihnen Nasvary, der berühmte Redner, sind als verdächtig nach Pesth geschickt und eine Untersuchung gegen sie eingeleitet worden. Die östreichischen
Offiziere der Regimenter Ernst und Wasa haben, weil sie die östreichische Gränze nicht überschreiten wollten, quittirt; die Soldaten haben neue Offiziere aus ihrer Mitte gewählt.
Von Preßburg sind an das hiesige Oberkommando 110 Ctr. Pulver geschickt worden. ‒ In der Gegend des Belvedere wird von der kampflustigen Bevölkerung Wiens ein befestigtes Lager bezogen.
Generalkommandant ist Generallieutenant Bem, dem von der Legion 5 Adjudanten beigegeben sind. Eine Intendantur und ein Feldlazareth werden in Verbindung mit dem Lager in's Leben treten.
‒ Die uns zugekommene Wiener Nachricht vom Aufstande in Prag, auch von der Allgemeinen Oestr. Zeitung mitgetheilt, scheint sich zu bestätigen durch folgende Correspondenz der
A. O. Zeitung:
Görlitz, 16. Octbr. So eben Nachmittag 4 Uhr, hört man auf allen nahegeliegenden hohen Punkten immerwährenden Kanonendonner. Nach dem Urtheile von Sachverständigen soll dies von Prag
herrühren.
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Ollmütz, 14. Okt.
So eben 4 1/4 Uhr hielt der Kaiser seinen Einzug in der Festung Ollmütz mit ungefähr 2000 Mann Soldaten, die Kanonen und das übrige Militär ließ er vor derselben zurück, da dieselbe ohnehin mit
Militär überfüllt ist; ihm zur Seite ritt Fürst Windischgrätz. In seinem Gefolge befanden sich gegen 100 berittene Bauern mit schwarzgelben Kokarden und einer schwarzgelben Fahne, sie waren nach ihrer
eigenen Aussage von ihrer Herrschaft (Baron Königsbrunn zu Dub, Domherr in Ollmütz) gezwungen!! worden. Empörend betrugen sich die Kürassiere, die sich in der Umgebung des Kaisers befanden
‒ vor der Stadt sprengten sie auf einen daselbst stehenden Studirenden los, rissen ihm den Säbel vom Leibe, zerbrachen ihn, rissen auch die Buchstaben aus dem Stürmer heraus. In der Stadt ritt
ein Kürassier mit gezogenem Säbel unter mehrere daselbst stehende Studenten, und schrie, herunter mit den Federn, herunter ihr Hunde mit den Mützen, er mußte sich aber gleich zurückziehen; das thaten
die Soldaten des Kaisers. Wie drückend bis jetzt schon die Militärherrschaft hier war, dazu diene als Beweis: die wenigen Garden und Studenten, die den Wienern zu Hülfe kommen konnten, mußten sich
einzeln, ohne Waffen, ohne irgend ein Abzeichen eines Studenten oder Garden zum Thore hinausschleichen, und einzeln in die verschiedenen Waggons setzen, denn Militär hält den Bahnhof stark besetzt und
läßt Niemanden Mißliebigen hinausfahren. Täglich fallen beinahe Arretirungen wegen eines freien Wortes vor und man hört die Offiziere reden, in 8 Tagen darf Niemand mehr einen Säbel tragen, und wie
soll man sich gegen diese Anmaßungen schützen, da man bei ihren Behörden keine Hülfe bekömmt, und auf jeden waffenfähigen Mann 10 Soldaten und 2 Kanonen im Durchschnitt kommen?! (Grad'
aus.)
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@facs | 0618 |
[
!!!
] Frankfurt, 19. Oktober 1848.
‒ Sitzung der National-Versammlung.
Tagesordnung: Beginn der Berathung über den Verfassungsentwurf und einige Ergänzungswahlen in die Ausschüsse. ‒ In der Kirche ist es bereits so kalt, daß die meisten Vertreter in Paletots da
sitzen. Den Berichterstattern erfrieren die Finger vor der Tagesordnung:
Schubert im Namen des Ausschusses für die österreichischen Angelegenheiten.
Der Ausschuß hat 3 Sitzungen in 26 Stunden gehabt, trotzdem die National-Versammlung den Antrag: „in 24 Stunden Berichtnzu erstatten“ verworfen hat. ‒ Die Majorität des
Ausschusses (10 Mitglieder, von Beisler, Schubert, etc.) hat die Anträge gestellt: 1) Die vom Reichsministerium bis jetzt gefaßten Beschlüsse gut zu heißen. 2) Dasselbe aufzufordern, weitere Schritte
zu thun, um die deutschen Interessen in Oestreich zu wahren. ‒ Die Minorität (5 Mitglieder Kirchgessner, Pattay, Venedey etc.) beantragt: 1) Das Ministerium ist aufzufordern, bei den
gegenwärtigen Zuständen in Oestreich, alle in Frage gestellten deutschen Interessen in Schutz zu nehmen und mit allen Kräften zu stützen. 2) Alle deutschen Truppen Oestreichs den jetzt daselbst
bestehenden Gewalten (Reichstag etc.) zur Verfügung zu stellen. 3) Mit Ausführung dieser Maaßregeln die für Oestreich erwählten Reichskommissäre zu betrauen. ‒ Der Bericht wird bis Morgen
gedruckt sein. (Bravo!)
Hierauf interpelliren Franke (Schleswig) und von Reden den Minister des Inneren in der Angelegenheit Schleswigs. ‒ Ihre Interpellationen beziehen sich auf die widersprechenden Eingriffe,
welche Seitens Dänemark in die Waffenstillstandsbedingungen geschehen. (Jetzt also!)
Schmerling wird Montag antworten, aber heute schon an den Reichsgesandten in Koppenhagen deshalb schreiben. ‒ Nach einer Interpellation von Möllings über die vollkommene Anerkennung
der deutschen Centralgewalt von allen deutschen Einzelstaaten liest der Präsident mehrere dringliche Anträge: 1) von Jahn (Gelächter): „Das Reichsamt Mähren sei in Gefahr wegen (!!) des
Eindringens der Ungarn. Preußen, Sachsen und Thüringen sei zum Schutze von Mähren aufzufordern. (Die Linke (!) unterstützt höhnisch die Dringlichkeit des Antrags, alle andern bleiben lachend sitzen.)
2) Dr, Liebelt beantragt dringlich: „Die Posener Frage nochmals zur Berathung zu bringen.“ (Gelächter. ‒ Links: was ist da zu lachen? Gagern: Dies Lachen sei die Wirkung der
Reciprocität ‒) Der Antrag wird nicht dringlich erkannt, und soll an den Ausschuß gehen. ‒
Liebelt zieht seinen Antrag zurück, da er nur vor der Beschlußnahme über das Reich (Verfassungsausschuß) Werth hat; protestirt aber im Namen der Majorität der Bewohner des
Großherzogthums gegen die Einverleibung.
Präsident: Die Protestation sei hier nicht am Ort.
Dahm fragt den Präsidenten, warum der Advokat Werner aus Baden, welcher notorisch zum Abgeordneten für die Nationalversammlung erwählt ist, nicht einberufen?
Gagern lies't die betreffenden Aktenstücke vor, woraus sich schließlich ergibt, daß Werner politischer Flüchtling und steckbrieflich verfolgt ist. Es ist in dieser Angelegenheit heut
an die badische Regierung geschrieben.
Dahm beantragt: „In Erwägung, daß die Wahl des Abgeordneten Werner unbezweifelte Thatsache ist etc., den etc. Werner vorläufig sofort in der Versammlung zuzulassen.“ ‒
Zur Begründung der Dringlichkeit erhält er das Wort nicht.
Wichmann fragt den internationalen Ausschuß, was aus dem ihm zugewiesenen Berichte wegen Entschädigung der durch den schleswig-holsteinischen Krieg entstandenen Kriegsschäden geworden?
N. N. vom internationalen Ausschuß, weiß nicht, was damit geschehen. (Gelächter.)
Tagesordnung:
Berathung über den Verfassungsentwurf: I. Reich. II. Reichsgewalt. ‒ Nach Verwerfung eines Antrags von Schreiner „die Reichsgewalt vor dem Reich zu berathen“ geht man zu
Abschnitt I. (das Reich) über.
§. 1. des Entwurfs des Verfassungsausschusses lautet: „Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiet des bisherigen deutschen Bundes. Die Verhältnisse des Herzogthums Schleswig und die
Grenzbestimmung im Großherzogthum Posen bleiben der definitiven Anordnung vorbehalten.“
Hierzu kommen eine Menge Ammendements, welche vorzüglich in Betreff Schleswigs mit dem Verfassungsentwurf verschiedener Ansicht sind.
Sie folgen bei der Abstimmung.
Auf die Diskussion wird nicht verzichtet. Sie beginnt mit
Claussen, (Schleswig), welcher mit mehreren beantragt, den §. 1 also lauten zu lassen: „das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des deutschen Bundes und dem Herzogthum Schleswig.
Die Gränzen des letzteren werden später festgestellt.“ Schleswig will er schon jetzt zum deutschen Bunde, damit die demnächst zu erlassenden Grundrechte des deutschen Volkes auch für Schleswig
in Anwendung kommen. Auch säßen ja die Schleswig'schen Abgeordneten hier. Und durch die Nichtaufnahme in den deutschen Bund würde die Trennung Schleswigs von Holstein ausgesprochen.
Franke, (auch ein Schleswiger), ist entgegengesetzter Ansicht mit seinem Landsmann Claussen. Ist mit dem §. des Ausschusses einverstanden. Ueber Schleswig lasse sich jetzt noch nichts
Entschiedenes beschließen. Unter anderem sagt er: (hört! hört!) „9/10 der Bewohner von Schleswig seien einverstanden mit dem Beschluß der National-Versammlung über den Waffenstillstand. Das
zehnte Zehntel wären die Mitglieder demokratischer Vereine. (Bravo im Centrum.)
Jacobi, (aus Churhessen) hat zum Antrag des Ausschusses ergänzende Anträge gestellt. Er vermißt in der Fassung derselben eine genaue Bestimmung des Umfangs des deutschen Reichs; ferner die
namentliche Aufführung der Einzelstaaten. Auch spricht der Redner von der allgemein erkannten Nothwendigkeit der Mediatisirung der kleinern deutschen Staaten, die sich durch eigene Kraft nicht mehr
halten könnten. Es solle im §. 1 ausgesprochen werden, daß eine Mediatisirung demnächst stattfinden werde.
Zachariä spricht für den Paragraphen wie der Verfassungsausschuß ihn vorgeschlagen, weil derselbe alle faktischen und rechtlichen Beschaffenheiten des deutschen Reiches erschöpft. In Bezug
auf Schleswig ließe sich die rechtliche Aufnahme in's deutsche Reich auch nicht bestimmen, trotz Vorparlament etc.
Bally, (Schlesien), empfiehlt folgende Fassung für den Paragraphen: „das wiederhergestellte deutsche Reich umfaßt das ehemalige Gebiet des deutschen Bundes, nebst denjenigen
Landestheilen, welche später in den deutschen Bund aufgenommen worden sind, und demnächst noch aufgenommen werden sollen.“
Reichensperger ist mit dem einverstanden, was Zachariä und Franke zur Begründung der Fassung des Verfassungsausschusses gesagt haben und macht noch einige interessenlose Bemerkungen
dazu.
Prof. Hagen (aus Heidelberg): Die Aufgabe, an die wir herangetreten, ist die schwierigste, die wir unternommen. Es handelt sich um die Erschaffung der Einheit, die wir schaffen sollen, ohne
die Centralisation zu unserm Prinzip zu machen. Es fragt sich, wie das politisch-einheitliche Element mit dem individuellen in Einklang zu bringen ist. Wenn uns dies gelingt, haben wir ein Werk
geschaffen, woran die ganze Geschichte sich anschließen wird, u. s. f. folgt ein vortrefflicher akademischer Vortrag über deutsches Natur- und Staatsrecht (im Centrum ruft einer:
„kurz!“) Zum Schluß beweist er, daß die Dynastien nur die Anarchie repräsentiren. (Einzelne Bravo). Die Einheit in Deutschland kann nur mit der Freiheit zu Stande kommen. Dies
vorausgeschickt, kann der Redner dem Entwurf des Ausschusses im Allgemeinen seine Zustimmung nicht versagen. Aber Konfliktfälle der Einheit mit den Partikularstaaten werden so lange stattfinden, bis
man Deutschland eine andere Eintheilung gegeben habe. Hierzu schlägt er das Schaffrat'sche Amendement vor, welches Deutschland in 21 Kreise theilt. (Bravo!)
Beckerath, (Minister) Bekämpft die Amendements von Claussen und Jacoby. Man möchte sich hüten, in das Verfassungswerk, was vorzüglich den Grund zur Einigung Deutschlands legen soll, nicht
jetzt schon allerlei Fremdartiges einzumischen. Das Provisorium Schleswigs ließe sich nicht auf einmal in ein Definitivum verwandeln. Folgt noch einmal eine kurze Rechtfertigung des Beschlusses über
den Waffenstillstand. v. Beckerath macht den Paragraphen des Ausschusses den Centren so plausibel, daß über dessen Annahme kein Zweifel mehr ist. (Sehr schwaches Bravo und Zischen).
Esmarch (Schleswig) ist wieder anderer Ansicht als sein Landsmann Franke und muß dessen faktischen Anführungen ganz entschieden widersprechen. (Links: Hört!) Die Rede des Hrn. Franke hat ihn
mit Entrüstung erfüllt (Bravo!), er (Esmarch) glaubt, daß Hr. Franke diese Rede mit Rücksicht auf Koppenhagen gehalten (Lautes Bravo links, Präsident verweist es dem Redner, Hrn. Franke solche
Vorwürfe zu machen. Links: Dazu hat der Präsident das Recht nicht.) Der Redner ist natürlich für das Amendement von Claussen. (S. oben.) (Bravo links.)
Beseler (auch ein Schleswiger) schließt sich natürlich an seinen lieben Landsmann Franke an, fühlt sich über nichts in dessen Rede entrüstet und ist ganz entgegengesetzter Ansicht als Hr.
Esmarch (wiederum sein Landsmann.) (Bravo im Centrum.) Er ist natürlich für den Paragraphen nach dem Verfassungsentwurf, den er nach einer erbaulichen Rede von einer halben Stunde bestens
anempfiehlt.
Man ruft Schluß! und Reden!
Präsident: Es könnte die Diskussion noch lange nicht geschlossen werden
Grävell (spricht unverständlich. Unruhe und spaßhafte Unterbrechungen begleiten seine Rede. Präsident bittet mehrmals um Ruhe, welche nicht eintritt. Man unterscheidet: Laut! Schluß! Bravo!
Ruhe! Gelächter etc.
Nach ihm Fiebig aus Posen (unverständlich).
Michelsen (Schleswig) für den Verfassungsentwurf. (Schluß! Schluß!)
Dr. Liebelt gegen den Paragraphen des Verfassungsentwurfs, weil er darin Eingriffe in die Volkssouverainetät erblickt. Man habe sich an das Prinzip der Nationalitäten zu halten bei der
Gründung eines einigen Deutschlands. Die Aufnahme der nichtdeutschen Stämme sei abhängig zu machen von dem Willen der Völker.
Jordan aus Berlin: Es ist gar nicht zweifelhaft, daß Claussens' Antrag wegen Schleswig verworfen werden wird, zweifelt aber eben so wenig, daß man dies wieder gegen die Versammlung
benutzen wird, als ob dieselbe von Schleswig nichts wissen wolle, was keineswegs des Fall sei. (Bravo im Centrum) Nur schwache Menschen pflegten sich für die Zukunft durch Gelübde zu binden, wie
Classen hier mit Schleswig thun wolle. Wir werden Schleswig schon behalten. (Centrum: Sehr gut! Bravo!) In der Posenschen Sache habe man heute etwas durch das Fenster hineinbringen wollen, was man
längst zum großen Thor hinausgeworfen. Hr. Jordan greift Hrn. Liebelt an. Der Berliner Literat denuncirt und bringt Libelts Namen einigemal mit der rothen Republik zusammen, erklärt aber auf den
Einwurf des Präsidenten, daß er nicht persönlich sein wolle. (Schluß! Schluß!)
Liebelt verlangt das Wort in einer question personelle. Die Versammlung gewährt ihm dasselbe mit zweifelhafter Majorität.
Liebelt: Jordan habe gesagt, die Polen repräsentiren überall die rothe Republik. (Tumult. Nicht wahr.) Da ich selbst ein Pole bin … (Tumult. Wollen hier keine Polen! Deutsche!) Weist
die Aeußerung von Hrn. Jordan zurück. (Schluß! Schluß!)
Die Debatte wird geschlossen. Der Berichterstatter Riesser spricht für die Fassung des Ausschusses. Seine Rede ist von Bravo begleitet.
Die Verbesserungsanträge werden zur Unterstützung gebracht.
Es werden unterstützt die von Claussen, Liebelt, Schaffrath, Höffken und Jenny.
Verworfen die von Bally, Hergenhahn, Grävell.
Bei der Abstimmung wird § 1 (Art. I.) des Verfassungsausschusses (s. oben) angenommen. Die Amendements fallen sämmtlich weg.
Man schreitet zu den Ergänzungswahlen.
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[
*
] Berlin, 19. Okt.
Ein Artikel der „Vossischen Zeitung“ von heute zeigt deutlich, welche Stimmung über die neulichen Reden des Königs in Berlin herrscht. Die Vossische sagt nämlich:
„Was im Augenblicke neben den traurigen Ereignissen des 16. die Gemüther am meisten beschäftigt, das sind die Reden, welche der König am 15. an die Gratulationsdeputationen der
Nationalversammlung und der Bürgerwehr gerichtet hat. Wir haben uns der genauern Mittheilungen ihres Inhaltes enthalten, weil wir nicht zweifelten, daß das offizielle Blatt der Regierung einen
wortgetreuen Abdruck bringen würde. Dies ist jedoch unterblieben und scheint daraus zu folgen, einerseits, daß eine Aufzeichnung jener Reden gar nicht stattgefunden hat, andererseits, daß die
Minister nicht geneigt sind, mit ihrer Verantwortlichkeit für dieselben einzutreten. Hieraus dürfte nun weiter geschlossen werden, daß jenen Reden und ihrem Inhalt eine offizielle Bedeutung
nicht beizumessen ist, daß sie vielmehr nur als Aeußerungen der Privatperson des Königs anzusehen sind und für die Beurtheilung unserer staatlichen Zukunft als einflußlos erachtet
werden sollen.“
Wenn das Ministerium „nicht geneigt“ war, die „Verantwortlichkeit“ für die königl. Aeußerungen zu übernehmen, so hatte es sofort abzudanken.
Die Aeußerungen des Königs an seinen Leibarzt, Kammerjunker oder Adjutanten können „Privatäußerungen“ sein. Aber die Antwort auf eine offizielle Deputation des preußischen
Reichstags! Das ist unmöglich ‒ im konstitutionellen Sinne.
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@facs | 0618 |
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*
] Berlin, 19. October.
Die Kanalarbeiter veröffentlichten gestern den folgenden Anschlag über die Ereignisse vom 16.
Bewohner Berlins! Alle Berichte, hinsichtlich der Unruhen auf dem Köpnicker Felde, sind nicht ausreichend, um ein richtiges Urtheil fällen zu können. Bewohner Berlins! Hört, hört!! Am Donnerstag
den 12. d. M. wurde von sämmtlichen Kanalarbeitern eine Deputation an den Minister für öffentliche Arbeiten, Finanzminister v. Bonin abgeschickt um zu bewirken, daß die Dampfmaschine, welche Tags
vorher auf dem Köpnicker Felde abgeladen war, nicht aufgestellt werde; obgleich die Deputation persönlich zum Minister v. Bonin ging, so hatte sie dennoch ihr Gesuch schriftlich aufgesetzt; nachdem v.
Bonin die Deputation angehört hatte, erklärte derselbe, man möge schriftlich einkommen; als die Deputation das schriftliche Gesuch vorlegte, erklärte derselbe: „Ich weiß von einer Dampfmaschine
am Kanale durchaus nichts und kann einen Befehl, den ich nicht gegeben, auch nicht aufheben; jedoch sind die Arbeiter in ihrem vollen Rechte, wenn sie nicht zugeben, eine Maschine aufstellen zu
lassen, welche dahin zielt, Arbeiter brodlos zu machen.“ Minister v. Bonin schrieb persönlich an den Baumeister Hildebrand in Gegenwart der Deputation, worin derselbe dem etc. Hildebrand
aufgab, sofort über die Zweckmäßigkeit der Maschine Bericht zu erstatten und vorläufig die Maschine nicht aufstellen zu lassen. Ein Bote vom Ministerium nahm dieses Schreiben an sich, und die
Deputation begab sich zu dem etc. Hildebrandt, derselbe war aber nicht zu Hause. Die Deputation begab sich nunmehr nach der Baustelle, um ihn dort aufzusuchen, war jedoch nicht zu finden. Als die
Deputation an der Stelle ankam, wo die Maschine abgeladen worden war, hatte dieselbe schon Beschädigungen, aber nur unerhebliche, erlitten, und zwar dadurch, daß der etc. Hildebrand, während die
Deputation noch anwesend, auf der Baustelle erklärte: „die Maschine wird aufgestellt!“ Daß der etc. Hildebrand nicht befugt ist, einen solchen absoluten Befehl zu ertheilen, ist wohl
einleuchend. Gegen 5 Uhr Nachmittags kamen
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[Spaltenumbruch]
Abtheilungen von Bürgerwehr und Schutzmännern. Die Zerstörung an der Maschine hörte auf; die Arbeiter unterhielten sich freundschaftlich mit der Bürgerwehr und den Schutzmännern; beide gaben den
Arbeitern Recht, daß die Arbeit durch die Maschine nicht befördert, sondern vermindert werde. Die Bürgerwehr sowohl, als die Schutzmänner zogen sich zurück, die Arbeiter gingen an die Arbeit und Alles
war ruhig. Nach Feierabend gingen mehrere Arbeiter an die Stelle, wo die Maschine lag; die Arbeiter natürlich glaubten in ihrem vollen Rechte zu sein, auf Grund des Beistandes der Bürgerwehr und der
Schutzmänner, die Maschine gänzlich zu demoliren, theils durch Verbrennen, theils durch andere Zerstörungen. Warum blieb nun die Bürgerwehr und Schutzmannschaft nicht am Platze?‒ Darum, weil
sie eine gänzliche Zerstörung der Maschine wünschte. Am Donnerstag ging Alles ziemlich ruhig ab; Näheres darüber ist hinreichend bekannt. Freitag und Sonnabend war wieder Bürgerwehr aufgestellt, um
Arbeiter zu bewachen, welche doch hoffentlich dieselben Rechte als Jene haben; dennoch blieben alle Arbeiter ruhig. Sonntag‒ unbekannt. Montag. Schrecklicher, fürchterlicher Tag! Hätten wir
einen solchen nie erlebt!
Zur Sache! Am Montag Morgen stellten sich wieder Bürgerwehr, theils vor, theils im Exercierhause am Köpnicker Felde, auf, unbeachtet von den Arbeitern. Am Sonnabend, den 14. d. M., hatten die
Arbeiter des SchachtmeistersPlate ein vereintes Fest. Die Arbeiter, welche ebenfalls zum souveränen Volke gehören, bringen gewöhnlich nach einem solchen Feste, am nächsten Arbeitstage ihren
andern Kameraden ein Lebehoch, als ein Zeichen, daß sie nach sechs schweren Tagen einige frohe Stunden verlebt haben. Ein solches Lebehoch wollten nun auch die Arbeiter aus dem Schacht des etc. Plate
eben der aufgestellten Bürgerwehr am Exerzierhause bringen, um zu beweisen, daß die Arbeiter nicht gegen, sondern für die Bürger sind. Leidet aber entstand ein Mißverständniß; die „Vossische
Zeitung“ erzählt es ja. Also schon wieder ein trauriges Mißverständniß, wann werden dieselben aufhören? Wann werden endlich einmal Einverständnisse eintreten? ‒ Durch benanntes
Mißverständniß sah sich der Commandirende, Hr. Müller, veranlaßt, die Bürgerwehr schlachtmäßig aufzustellen. Dieses jedoch ist zu verzeihen. Der Arbeiter Stiefel erzählt, als sich die Bürgerwehr
aufgestellt hatte, sei er an sie heran getreten, um derselben auseinander zu setzen, daß die Arbeiter nur friedlich gegen die Bürger gesonnen seien; allein ein Anführer des 82sten Bezirks, ein großer,
starker Mann ohne Bart, habe ihm einen Säbelhieb über die Schulter gegeben. Der etc. Stiefel erwiederte hierauf: „Bedienen Sie sich nicht solcher Grobheiten,“ darauf zog dieser Anführer
ein Pistol aus der rechten Hosentasche, setzte dasselbe dem etc. Stiefel auf die Brust; hätte auch abgedrückt, wenn der Hauptmann Jahn, Linienstraße Nr. 105, demselben nicht in die Arme gefallen
wäre.‒ Der etc. Jahn gab an, den Anführer nicht zu kennen, aber er soll und muß ermittelt werden, um dessen Namen öffentlich bekannt machen zu können, und denselben der öffentlichen Verachtung
preiszugeben.‒ Auf Grund obiger Behandlung zogen sich mehrere in der Nähe stehende Arbeiter, aber ohne Waffen, zusammen. Die Bürgerwehr, dieses sehend, stachen die nahe stehenden Arbeiter mit
den Bajonetten; darauf erhob sich ein Geschrei unter den Arbeitern, wodurch der Andrang derselben stärker wurde. Jetzt fielen einzelne Schüsse auf die Arbeiter, dieselben ergriffen Steine und suchten
sich zu vertheidigen; in diesem Augenblicke hieß es, die Bürgerwehr erhalte Verstärkung, Rimpler komme. ‒ Jetzt erst begann der Kampf; Schuß auf Schuß fiel, die Bürgerwehr drang vor
gegen die Arbeiter; mehrere Arbeiter fielen. In der ersten Bude, links vom Exerzierhause, saß ein alter Mann und trank seine Flasche Bier, auch dieser wurde von der Bürgerwehr erschossen. Die
Bürgerwehr rückte weiter vor, die Arbeiter zogen sich zurück. ‒ An der Adalbertsbrücke wurde ein Maurer, welcher ruhig in der Bude saß, um sein Mittagbrod zu essen, von der Bürgerwehr
erschossen. ‒ Die Arbeiter zogen sich nun nach und nach zurück, die Bürgerwehr wüthete fort. ‒ Todte waren auf der Stelle vier, nach einer Stunde starb wieder Einer, schwer verwundet
sind zehn, welche theils noch im neuen Krankenhause liegen. Eine Frau, welche ihrem Manne Essen bringen wollte, wurde ebenfalls erschossen; was späterhin noch geschehen, konnten wir bis dahin noch
nicht genau erhalten, werden aber nicht verfehlen, es noch zur Zeit zu thun. Dieses ist der ganz genaue Hergang der Gräuel- und Mordscenen.
Berlin, 18. Oktober 1848.
Sämmtliche Kanalarbeiter.
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] Breslau, 18. Oktbr.
Heute, als am 18. Oktbr., ist zur Feier des befreiten Deutschlands unser Mitbürger, der Arzt Dr. Borchardt, wegen einiger Worte, die er vor längerer Zeit in einer Volksversammlung gesprochen, und
die auf eine Steuerverweigerung hindeuteten, wenn der König sich ferner so, wie jetzt den Einflüssen der Potsdamer Camarilla hingeben sollte, verhaftet. Wieder ein Streich maßloser Willkür, indem
diese Worte als Hochverrath bezeichnet worden und bei unserm alten geheimen inquistorischen Verfahren für den Angeklagten sehr verderblich ausfallen werden.
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X
] Trier, 17. Okt.
C. Jmandt, der, wie Sie wissen, beder Worringer Volksversammlung und der Scene auf dem Altenmarkte in Köln betheiligt war, sollte am 15. d. M., am Königsgeburtstage, hier verhaftet werden. Die
Polizei gibt zwar an, jene Betheiligung an den Versammlungen in Köln und Worringen seien der Grund der Verhaftung; allein es ist wahrscheinlicher, daß einige Reden, die er hier im demokratischen Klub
hielt, diese Maßregel veranlaßten. In Begleitung seiner Mutter und seines Bruders wurde er auf der offenen Straße außerhalb der Stadt von einem Polizeikommissar und zwei Gensd'armen, die in
einem Wagen hinter ihm her kamen, arretirt. Alle Versuche, ihn in den Wagen zu bringen, Versuche, die durch die Gensd'armensäbel und das Pistol des Kommissars unterstützt waren, scheiterten;
Imandt zog es vor, zu Fuß zu gehen. Ganz in der Nähe der Stadt stellte sich in demselben Wagen, der ihm mit einem Gensd'arm verausgeeilt war, eine Masse der Herren von der Hermandat ein; auch
die Soldaten der Wache wurden requirirt; alles umsonst; es war nicht möglich, Imandt in den Wagen zu heben, obgleich es eine Menge von Händen versuchten. Man begreift es nicht, auf welche Weise er den
Häschern entkam; er lief in die Stadt, die Gensd'armen und Soldaten hinterher; es sammelte sich Volk ‒ er verschwand und die Polizei wurde verlacht. Imandt ist nach Frankreich gereist;
der Polizeikommissarius soll, wie man sagt, seine Stelle verlieren, weil seine Ungeschicklichkeit die ganze bewaffnete Macht mehr oder minder kompromittirt hat.
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12
] Barmen, 19. Okt.
Wenn man das neueste Treiben der Polizei beobachtet, ihre allseitige Hetzjagd auf Aufreizung zu hochverrätherischen Unternehmungen, so erkennt man mit Genugthuung, daß wir den Rechtsboden des
Polizeistaats wiedererobert haben. Ein Exempel:
Am 8. d. fand, wie Ihre Zeitung schon mitgetheilt, zu Gerresheim eine Volksversammlung von circa 5000 Menschen unter freiem Himmel statt. Wir wohnten dieser Versammlung bei und können
versichern, daß keiner der Redner die gesetzliche Grenze überschritten hat. Unter bewundernswürdiger Ordnung und mit einer wahren Andacht von Seiten des Volkes wurde die Versammlung zu Ende
geführt.
An dem darauf folgenden Tage erschien der kön. preuß. Kammerherr und Landrath Freiherr Raitz von Frentz, Ritter etc. in höchsteigener Person, um Erkundigungen über das Geschehene und Gesagte
einzuziehen und heute am 19. werden eine Anzahl Zuhörer durch den dazu beauftragten Friedensrichter protokollarisch vernommen.
Französische Republik.
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Edition: [Karl Marx: Die „Réforme“ über die Juniinsurrektion, vorgesehen für: MEGA2, I/8.
]
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] Paris.
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
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Paris, 19. October.
Der Moniteur veröffentlicht den gestrigen Beschluß der Nationalversammlung, der die im Artikel 4 des Dekrets der provisorischen Regierung vom 7. März 1848 auf 9 ausgedehnte Majorität bei
Geschworenengerichten wieder auf 7 herabsetzt. Der Versicherung Cremieur's zufolge hätten die Staatsanwälte mehrerer Departements erklärt, daß die Gesellschaft bei der Zahl 9, wegen zu häufiger
Freisprechung von Verbrechern Gefahr laufe. Somit wäre abermals eine Verordnung der Februarperiode abgeschafft.
‒ Das neue Ministerium fährt in seinem Beamtenwechsel fort. Der Moniteur setzt zunächst drei neue Oberbeamte an dem Telegraphischen Institut ein und verweis't den Vater Flocon in
Ruhestand. Ein wegen der Rachel abgesetzter Theaterkommissarius unter Senard ist gleichfalls wieder zu Ehren erklärt, und außerdem befinden sich noch in den ministeriellen Mappen lange Listen von
rothen Republikanern, welche aus den Aemtern gejagt werden sollen.
‒ Auf Befehl der Regierung wurde die gestrige Nummer des Journals „ La Republique“ auf der Post und in ihrem Verlage von der Polizei weggenommen, weil sie einen Artikel aus
Brest über die unglückliche Lage der Juni-Insurgenten enthielt, in dem die hohe Regierung eine Aufhetzung zum Hasse gegen die Regierung der Republik erblickt.
‒ Die heutige Sitzung der Nationalversammlung verspricht wieder einigen Tumult. Zuerst wird Marrast in aller Eile für den „ letzten“ Monat wohl wieder zum Präsidenten gewählt
werden, dann wird es aber einigen Belagerungssturm absetzen und endlich wird die Diskussion der legitimistischen Sonderbundsgelüste bei Gelegenheit der Artikel 74, 75 und 76 der Verfassung starken
Lärmen absetzen.
‒ Die Verfassungsdebatte naht mit Riesenschritten ihrem Ende. Sie wird bis Mitte der künftigen Woche jedenfalls geendet und die Verfassung selbst am 27. oder 28. Octbr. zum letzten (dritten)
Male verlesen.
‒ Das Ministerium beabsichtigt übermorgen der Nationalversammlung einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die Wahl des Präsidenten der Republik schon für den 25. Nov. vorschreibt.
‒ Die Journalpolemik fängt an, etwas mehr Salz zu bekommen. Der allmälige Sieg der Rue de Poitiers (Thierspartei) lös't ihr die Zunge. Die Politik des National steht jetzt völlig
unter Null. Kein Mensch wird bald mehr nach ihm greifen. Sie transit gloria!
‒ Die gestrige Soirée bei Cavaignac war gedrückt voll. Die ganze Rue de Poitiers hatte sich dort Rendezvous gegeben; sie will ihm natürlich ihre Anerkennung für die jüngsten Zugeständnisse
zollen. Die Linke betritt dagegen mit keinem Fuße die Schwelle des Palastes in der Rue de Varennes.
‒ Als Grund, warum die Linke vorgestern nicht in Masse an die Barriere Poissoniere zog, wird die Anwesenheit Proudhons angegeben. Die Herren Bourgevisrepublikaner der äußersten Linken können
ihrem Kollegen die Schonungslosigkeit nicht verzeihen, mit der er sie in seiner letzten Broschüre über das Recht auf Arbeit behandelt.
‒ Ueber die Entstehung des Dufaure-Vivien-Freslon'schen Ministeriums ist man ziemlich im Klaren. Vivien selbst soll Marrast den Gedanken beigebracht haben, daß ihn nur eine solche
Ministerialveränderung auf dem Präsidentenstuhle erhalten könne, für den die Rue de Poitiers den Thiers'schen Adjudanten Dufaure unwiderruflich dies Mal bestimmt hatte. Marrast's Plan
war somit gefaßt und Cavaignac, der nie einen Gedanken hatte, mußte sich natürlich ohne Schwertstreich ergeben.
Dieses letzte Manöver hat Marrast in der öffentlichen Meinung (wir meinen das Kleinbürgerthum, bei dem der National noch viel galt) unrettbar verloren. Marrast's Träume, selbst wenn ihm die
erste Vizepräsidentur zufiele, sind zerronnen! Er ist vernichtet.
‒ Die Diebe, welche die süddeutsch-schweizerische Briefpost bei Besancon überfielen, sind in Dijon arretirt worden. Man fand bei ihnen ein großes Paket Papiere und 8000 Franken in
Silber.
‒ Selbst unter den Invaliden herrscht Gährung. Ein Tagesbefehl verbietet ihnen von jetzt an, keinerlei Speise mehr aus dem Invalidenhause passiren zu lassen. Es herrschte nämlich die Sitte,
daß die alten Stelzfüße einen Theil ihres Mahls in die nächsten Kneipen trugen und dort gegen Wein und Schnapps verschacherten. Diesem Austausch will obiger Tagesbefehl ein Ziel setzen; doch wollen,
wie es scheint, die alten Graubärte mit ihren Stöcken dagegen protestiren. Mehrere der Anstifter sind in Arrest geworfen worden.
‒ Der Sack feinstes Waizenmehl, im Gewicht von 159 Kilogramm, kostet in diesem Augenblick 48 Fr. Gewöhnliches Waizenmehl nur 46 bis 47 Fr. Und dennoch haben Tausende keinen Bissen Brod zu
essen!
‒ Zur Charakteristik des Generals Cavaignac bringt Girardin's „Presse“ folgende neue Randzeichnungen.
In der Sitzung der Nationalversamlung vom 16. Oktober gesteht Cavaignac ein, daß er im Schooße der Verfassungskommission der Ansicht war, die Präsidentschaft der Republik müsse durch allgemeine
Wahl übertragen werden, während er auf der Tribüne, im Augenblicke der Abstimmung, für die Wahl des Präsidenten durch die Nationalversammlung sich entschied. Eine ungeheure Majorität von 602 Stimmen
gegen 211 entscheidet sich gegen die letzte Meinung des Generals Cavaignac, die er durch sein eignes Votum unterstützte. Was thut unser Cavaignac? Er verabschiedet 3 seiner Minister, und er selbst
bleibt.
Gerade so benahm er sich am 24. Juni. Wer war Kriegsminister am 22. Juni? Der General Cavaignac. Wer war also verantwortlich für alle zur Aufrechterhaltung der Ordnung nothwendige Maßregeln?
Cavaignac. Keine Maßregel wird getroffen. Kein Befehl gegeben, von allen Seiten schreit man: Verrath! Auf wen mußte vor allem die Verantwortlichkeit fallen? Auf den General Cavaignac. Auf wen
fällt sie? Auf die exekutive Kommission. Sie ist aufgelöst. Die ganze exekutive Gewalt wird in die Hände des Generals Cavaignac niedergelegt.
Man muß es anerkennen. Das heißt Glück haben.
National-Versammlung. Sitzung vom 19. Oktober. Corbon eröffnet sie um 12 1/2 Uhr. Nach Verlesung des Protokolls zieht er die Stimmzettelzähler für die sofort vorzunehmende
Präsidenten-Monatswahl durchs Loos.
Das Scrutin wird eröffnet und ergiebt folgendes Resultat:
Zahl der Stimmenden 630. Absolute Mehrheit 316. Für Marrast 485. Für Senard 72. Für Lacrosse 25. Für Bac 16.
Marrast wird zum Präsidenten der Versammlung proklamirt. Er besteigt sogleich den Präsidentenstuhl und ersetzt Corbon.
Vivien, Staatsbautenminister, beantragt die Ueberweisung eines Kredits von 200,000 Fr. für Straßenbauten.
Francisque Bouvet erhält das Wort zu Interpellationen. Bürger-Vertreter! beginnt er, ich sehe den Minister des Auswärtigen auf seinem Platze und wünsche, die Versammlung möge mir gestatten,
das Ministerium zur Rede zu stellen über die Angelegenheiten....
(Nein! Nein! Unterbrechung. Stimme: Zur Verfassung! Zur Verfassung!)
Fr. Bouvet: Ich möchte nur einige allgemeine Fragen stellen. (Lärm.)Ich möchte gern wissen, was die Regierung in Rücksicht auf die Ereignisse in Wien nunmehr.... (Hoho! Wie? Nein! Sprechen
Sie!) Die französische Regierung ist entschlossen, den König Karl Albert zu unterstützen. (Oh, oh! Zur Tagesordnung! Zur Tagesordnung!) Ich möchte doch, daß man mir einen Tag für diese
Interpellationen bewillige. (Nein, nein!)
Bastide, Minister des Auswärtigen: Ich habe die Ehre, der Versammlung zu versichern, daß in unserer auswärtigen Politik nichts geändert ist. Unsere Verbindungen sind dieselben und und wir
folgen mit gleicher Aufmerksamkeit den Ereignissen. Ich füge nur ein Wort bei: Die Versammlung begreift alle Rücksichten, die man unserer äußeren Politik schuldet, sie begreift daher auch die
Unmöglichkeit, daß wir, die Minister, auf die an uns gerichtete Frage Rede stehen und hiefür einen Tag anberaumen lassen. Noch ist es unmöglich, den Tag zu bestimmen, an dem wir werden frei sprechen
können.
Baune (vom Berge) unterstützt den Antrag Bouvets. Es liegt ihm weniger daran, ob mit der jüngsten Ministerialänderung die Lage nach Außen geändert worden, als zu wissen, ob Venedig und die
Lombardei befreit werden. (Zur Ordnung! Zur Tagesordnung von vielen Bänken rechts).
Bastide, Minister des Auswärtigen: Ich bin aufs Innigste davon überzeugt, daß es Niemand unter Ihnen gibt, der nicht fest davon überzeugt wäre, daß eine öffentliche Besprechung schwebender
Völkerfragen die größten Gefahren berge. (Nein, nein! vom Berge) Ich trage auf Tagesordnung an.
Baune (lebhaft): Ich zeige der Versammlung an, daß ich am nächsten Montag das Ministerium wegen Italien und Oesterreich interpelliren werde.
Marrast: Ich bringe zuerst den Antrag auf Tagesordnung zur Abstimmung.
Die Versammlung entscheidet mit gewohntem Mehr, daß sie zur Tagesordnung, zu Artikel 74, 75 und 76 der Verfassung, wie sie gestern von den Legitimisten amendirt wurden, zurückkehre.
Goudchaux eilt auf die Bühne und verliest eine Heerde von Gesetzentwürfen und Steuergesetzen, für die er die Dringlichkeit beantragt. Er könne sonst sein Büdget von 1849 nicht
anfertigen.
Dupin (der ältere) verweist ihn auf Montag; die Verfassung sei das Dringendste.
Die Versammlung nimmt die Verfassung vor und es drängen sich bereits ein halb Dutzend Redner auf die Bühne.
Der Versuch der Legitimisten und einiger halben Demokraten, wie z. B. Pascal Duprat's, die Administrativ-Centralisation aus dem Lande zu peitschen und dafür nach echt Luzerner oder
Freiburger Sonderbundsgesetzen jede Dorfgemeinde souverain zu erklären, kostet der National-Versammlung mehrere Stunden.
Pascal Duprat, Jouin, Boulatignier, Delarochette, Bechard etc. sprechen theils für, theils gegen die Nothwendigkeit der Decentralisation der Republik.
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Dufaure hält jedoch eine lange Gegenrede, durch die er die Versammlung überzeugt, daß ähnliche Anträge die ganze Verwaltungshierarchie zusammenstürzen würden.
Die Versammlung erklärt daher die Diskussion über das Bechardsche Amendement geschlossen und behält sich vor, die auf dieselben Paragraphen Bezug habenden anderen Amendements mit den organischen
Gesetzen zu diskutiren.
Demnach wird Artikel 73 definitiv angenommen. Die Artikel 74, 75 und 76 dagegen den organischen Gesetzen zugeschoben.
Unterbrechung der Verfassungsdebatte.
Aylis liest im Namen des Ausschusses der 15 seinen Bericht über die Aufhebung des Belagerungsstandes vor.
Die Fünfzehner-Kommission trägt auf sofortige Aufhebung des Belagerungsstandes an.
Niemand verlangt das Wort und somit wird das Diktaturdekret vom 24. Juni abgeschafft.
Paris ist wieder frei!!!
Die Versammlung kehrt zu Artikel 106 der Verfassung zurück
Wird angenommen.
Artikel 107, vom Militair-Ersatzwesen handelnd, wird auf Antrag Lamoricieres auf morgen verschoben.
Die Sitzung wird um 5 3/4 Uhr geschlossen.