Deutschland.
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Köln, 17. Okt.
Wittgenstein ist zum Kölnischen Deputirten für Berlin ernannt. In Paris scheitert Cavaignac, in Wien Jelachich, aber in Köln siegt Wittgenstein.
Das europäische Gleichgewicht ist gerettet. Der Hudibras der hiesigen Heulerparthei, Stuppius, Ritter des „richterlichen Erkenntnisses“ und der
„Civilklage“, Winkeltheologe und kölnischer Stadt-Schriftsteller, hat Kylls Wahl zum Deputirten für Berlin durch seine hinreißende Polemik hinter dem Strich der
„Kölnischen Zeitung“ vereitelt. Ist es erlaubt, Großes mit Kleinem zu vergleichen, so wissen wir der Adresse, die Stupp entworfen und nach Berlin expedirt, wie den übrigen Manifesten
dieser „Märzerrungenschaft,“ denn die Märzrevolution hat uns den großen Gesetzgeber Stuppium eingebracht, nur das Manifest Fuad Effendis zu Bukarest (vergleiche die gestrige
Zeitung) zu vergleichen. Es lebe der kölnische Fuad Effendi!
Was die Nachwahlen überhaupt betrifft, so möchten wir die Frage aufwerfen, ob sie in ihrer jetzigen Form irgendwie gültig sind? Das Kollegium der Wahlmänner ist zersplittert nach allen Seiten hin
und wäre es selbst vollständig, bilden die Wahlmänner eine stehende Zunft oder müssen sie nicht jedesmal neu aus den Urwahlen hervorgehen, so oft neue Deputirte aus ihnen hervorgehen
sollen?
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[
*
] Köln, 17. Oktober.
Man erinnert sich, daß die Kölnische Kommandantur einen Tagesbefehl austheilte, worin die „Jungens“, die „Soldaten“ dahin belehrt wurden, daß republikanische oder
demokratische Gewehre mit Kugeln, fausthohem Schrot, gehacktem Fensterblei und dergl. geladen gefunden worden seien.
Ein Exbürgerwehr-Hauptmann ersuchte Herrn Kommandanten Engels, ihm die Nummern der „schlechtgesinnten“ Gewehre anzugeben, damit er untersuchen könne, wer in seiner Kompagnie
gefrevelt.
Unser Exbürgerwehr-Hauptmann erhielt auf diese Anfrage folgendes Antwortschreiben:
„Ew. Wohlgeboren beehre ich mich zu benachrichtigen, daß keine Annotation derjenigen Gewehre stattgefunden hat, die mit Schrott, gehacktem Blei und Nägeln geladen gewesen sind“
u. s. w.
Engels.
Wie also die Jungfrau von Orleans aus reiner Inspiration den echten König vom falschen unterschied, so unser Stadtkommandant die Gewehre der Republikaner von den Gewehren der Royalisten. Die
Wissenschaft des Hellsehens wäre so um eine Thatsache bereichert. Bisher hielt man dafür, daß die clair-voyance nur in delikaten, zarten, weiblichen Naturen sich äußere. Aber in Stadtcommandanten!
Justinus Kerner wird außer sich gerathen.
Indeß ist der „Humor davon“ ein blutiger Humor, wie die euesten Heldenthaten des hiesigen Militärs beweisen.
Die Geschichte des Mordes eines Bürgers durch eine Patrouille von 2 Mann des 15. Regiments liefert den besten Beweis.
Ein Augenzeuge berichtet uns:
Zwei Mann vom 15. Regiment, welche von der Wache am Severinsthore über das Glacis patrouillirten, fanden eine Cressida, die sich seit 3 Monaten auf dem Glacis herumtreibt, auf einer Bank an der
Duffesbach sitzend. Die galante Patrouille hatte sich ungefähr 20 Minuten mit dem verlornen schönen Kinde unterhalten, als ein hiesiger Arbeiter, von unbescholtenem Rufe, hinzukam und die interessante
Gesellschaft einen Augenblick betrachtete. Die Patrouille bemerkte ihm, er habe hier nichts verloren und solle sich fortmachen. Mit dem Ausrufe „Oho!“ entfernte sich der Arbeiter. Ihm
folgte eine Frau mit einem Korbe voll Kartoffeln auf dem Kopfe. Die Patrouille rief ihr zu, sie solle sich aus dem Glacis herausmachen, sonst schlügen sie ihr den Korb vom Kopfe. Die Frau entfernte
sich, blieb ungefähr 10 Schritte von der Patrouille bei unsrem Arbeiter stehn, der sich seinerseits wieder der Patrouille näherte. Ein Mann von der Patrouille bemerkte ihm nun: „Scheer er sich
aus dem Glacis heraus; es ist nicht mehr wie sonst, wir sind jetzt im Kriegszustande“, und stampfte dabei mit dem Gewehrkolben auf die Erde. Der Arbeiter erwiderte: „das Glacis sei so
gut für ihn vorhanden als für sie“, bemerkte aber gleichzeitig: „Dann well ich ald gonn, dann künnt ehr bei der H ‒ ‒ stonn blieven.“ Die Soldaten warfen ihn hierauf
zu Boden und hieben mit Säbeln auf ihn ein. Der Arbeiter suchte sich zu flüchten, wurde aber von einem der Soldaten mit gefälltem Bayonette umgestochen. Der andre drehte sein Gewehr um und versetzte
ihm mit dem Kolben mehrere furchtbare Schläge. Der erste Soldat, der ihn umgestochen hatte, lud nun kaltblütig sein Gewehr. Beide nahmen ihr Opfer beim Kragen und rissen und zausten es unter der
Eisenbahnbrücke hindurch auf das Severinsthor zu. Auf dem Wege zwischen dem Pulverschuppen Nr. 4 und dem Fort Nr. 3 ungefähr, entsprang der Arbeiter wieder und fiel nach 50-100 Schritten aufs Gesicht
nieder. Mehrere Zeugen haben einen Schuß fallen und das Jammern des Schlachtopfers gehört, das gleich darauf in den Armen eines hinzugekommenen Bürgers verschied. Denselben Abend, und das ist die
Moral von der Geschichte, bemerkte ein Hauptmann vom 15. Regimente in einem Weinhause: „M.... L.... haben heute einen Balg, welcher im Glacis rauben (?) wollte, gespießt.“
Unser kölnischer Hudibras und Fuad Effendi wird bemerken, daß der gesellige Verkehr, speziell der Besuch der Kasinogesellschaft, und der „bürgerliche
Erwerb“, speziell die Civilpraxis, durch dergleichen Ebentheuer nicht im geringsten gestört werden, daß das Publikum sogar mit dergleichen Anekdoten unbelästigt bliebe, wenn die
„Zeitungswühlerei“ ein für allemal durch den Belagerungszustand abgeschnitten und nur die bekannte harmlose Schriftstellerei hinter dem Strich der „Kölnischen
Zeitung“ gestattet worden wäre. Und Hudebras hat Recht!
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*
] Köln, 15. Okt.
Die „Neue Kölnische Zeitung“, deren Verbreitung namentlich in der Armee sehr zu wünschen ist, bringt unter dem vorstehenden Datum folgende Anweisung:
„Wie bringt man die Soldaten eines ganzen Bataillons dazu, eine Erklärung zu erlassen, welche vielleicht von nur Wenigen gebilligt wird? Der Bataillonskommandeur macht den Hauptleuten
Vorwürfe über den Geist ihrer Kompagnien; diese fragen bei Appell: „Wer ist am Samstag in der Versammlung gewesen?“ Allgemeine Stille. ‒ Hauptmann: „Da Niemand antwortet,
so darf ich annehmen, daß Keiner von Euch dort war. Wer billigt denn die dort ausgesprochenen Ansichten?“ Allgemeine Stille. ‒ „Da Niemand antwortet, so nehme ich an, daß Ihr
diese Gesinnungen Alle mißbilligt. Das müssen wir in einer Erklärung bekannt machen, die Kosten werde ich dafür tragen. Wer gegen diese Erklärung ist, der trete vor. ‒ Da Niemand vortritt, so
ist die Sache abgemacht einstimmig beschlossen. Recht kurz und bündig, ‒ nicht wahr?“
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Wien.
Sitzung des constituirenden Reichstags vom 11. Oktober. Morgensitzung.
von Löhner ist eine Depesche angelangt, heute 5 Uhr Morgens hat er den Kaiser noch nicht in Brünn getroffen und ist ihn weiter suchen gegangen. Hornbostl hat seine Entlassung
eingereicht, weil der Kaiser Jellachich den Ban Jellachich nicht dem österreichischen Ministerium unterstellen wollte. Für die Deputation an den Kaiser aus allen Provinzen werden gewählt: Borkofski
(Gallizien), Stoda (Böhmen), Weiß (Mähren), Purtscher (Niederösterreich), Prutler (Oberösterreich), Thunfeld (Steyermark), Klementi (Tirol), Radowizza (Küstenland), Kautschitsch (Illyrien), Radmilli
(Dalmatien), Borrosch wird von der Kammer beauftragt, die Adresse an den Kaiser zu verfassen.
Abendsitzung vom 11. Oktober.
Borrosch verliest die von ihm entworfene Adresse. Es ist darin ausgesprochen, „daß der Reichstag den Thron und die Freiheit zu wahren sich bemühe.“ Es ist darin gewarnt vor dem
„Zu spät“, der Kaiser möge auch dießmal hören, wie in Insbruck. Es könne ihm nicht um Bürgerkrieg, Blutvergießen, Zersplitterung der Monarchie zu thun sein. Der Kaiser solle ein
volksthümliches Ministerium ernennen und zurückkehren. Eine blutvolle Militärherrschaft würde vergeblich versucht werden. ‒ Die Adresse wird angenommen. ‒ Smolka durch zweimalige
Acclamation zum Präsidenten ernannt.
Reichstagsverhandlungen.
Am 12. October.
Der Präsident eröffnet die Sitzung um halb 11 Uhr.
Zwei Protokolle von gestern werden verlesen und nach einigen Berichtigungen angenommen.
Schuselka erstattet Bericht vom Ausschusse. Das Wichtigste dieser Nacht ist, daß Auersperg aus seiner festen Position abgezogen ist. Die Veranlassung gab der Graf Auersperg, indem er anzeigte, es
rücke eine ungarische Armee an, und er wolle verhindern, daß hier kein croatisch-ungarischer Kriegsschauplatz werde. Er wolle im Falle eines Kampfes Weisung vom Ministerium. Er wolle in die Kasernen
rücken, wenn das Proletariat entwaffnet werde. Der Ausschuß habe die Entwaffnung des Volkes durchaus nicht zugestanden, und ihm bedeutet, daß nur bei Abzug Jellachichs volle Ruhe eintreten könne. Es
wurde der Graf ferner darauf hingewiesen, daß er Commandant Niederösterreichs sei, und da Jellachich selbst gesagt, daß er kaiserlich sei, so stehe es ihm zu, die Truppen aus dem Lande zu weisen.
Der Commandant antwortete hierauf, daß er mit Jellachich in Unterhandlung treten werde. Das war gestern Nachts.
Heute bei Tagesanbruch langte ein Schreiben ein, daß der böse Wille der Bevölkerung noch immer hervorleuchte, daß der Verproviantirung des Militärs Hindernisse in den Weg gesetzt werden etc. Um die
Stadt jedoch zu schonen, ziehe er sich nach Inzersdorf, also außer den Bereich der Stadt zurück. Er weist an, daß seine so wie Jellachich's Truppen zu verpflegen und zu bequartiren seien, und
macht die Behörden für militärisches Eigenthum verantwortlich.
Der Schwarzenberggarten wurde sogleich von der Garde besetzt, und die darin zurückgelassenen Effekten, da der Abmarsch mehr eine Flucht war, wurden unter den Schutz der Garde gestellt.
Abgeordneter Sbizevski, der Sr. Majestät mit Jellachich's Document nachgeschickt wurde, hat keine Audienz erhalten, ebenso wie Löhner (Unwille); jedoch ist die Hoffnung, daß Löhner heute
Morgens vorgelassen werde, und so ist heute Nachmittags eine Meldung zu erwarten.
Exminister Hornbostl ist von Hadersdorf mit einem Schreiben Sr. Majestät abgegangen und dessen verzögertes Hiersein erregt Besorgniß.
Es sind Anzeigen eingelangt, daß die Ungarn mit einer bedeutenden Macht bei Bruck an der Leitha stehen.
Der Gemeindeausschuß stellt Anträge an den Reichstag und bittet um deren Genehmigung. Es betrifft die Bewaffnung aller Waffenfähigen.
Podhotzki will dieß nicht dem Reichstage, sondern ganz dem Kommando, das die Leitung bereits übernommen, allein überlassen wissen.
Pillersdorff, Scherzer und Minister Kraus sind dafür. Bilinski und Siralkovski dagegen.
Präsident Smolka unterbricht die Debatte. Er hat so eben eine telegraphische Depesche erhalten.
Die Deputation des Reichstages ist nämlich 9 Uhr Morgens in Brünn eingetroffen, der Kaiser soll Mittags in Selovitz anlangen, die Deputation fährt also dahin.
Schuselka sagt, bezüglich der frühern Debatte, daß er sich nicht bestimmen lasse von der Ansicht abzugehen, daß der Reichstag die allgemeine Bewaffnung anbefehle, weil sie wirkungsreicher sei. Der
Reichstag hat sich groß gezeigt und einen permanenten exekutiven Ausschuß niedergesetzt, er möge jetzt nicht von der Konsequenz abstehen. Man spreche immer vom Mangel der Sanction, wir wissen nicht,
wo Se. Majestät ist, können also von ihm keine Sanction einholen, aber das Volk ist auch eine Souveränetät und diese sanctionirt das Gesetz. (Acclamation.)
Pillerdorff meint, daß Schuselka Prinzipien angeregt, die erst später zur Sprache kommen könnten, und meint, daß man in einzelnen Fällen nicht die Vollmacht der Gemeinde und des Kommandos
beschränken solle, da man sie ihm bereits gegeben.
Siralkowski nennt den Antrag ein Gesetz und als gesetzgebende Versammlung sei der Reichstag zum Erlasse befugt.
Smerecker sagt, indem wir durch eine Bewaffnung Thron und Volk schützen wollen, stehen wir auf dem Boden der heiligsten Gesetzlichkeit, und es ist unsere Pflicht Gesetze zu geben, welche den Thron
und die Volksfreiheit wahren.
Radler auch für den Antrag der Kommission.
Podhotzki spricht noch gegen das Gesetz, weil dann nicht mehr freier Wille, sondern Zwang eintrete, und man solle anders Gesinnte nicht zwingen.
Schuselka erwiedert, daß es hier nicht mehr bloß um eine politische Meinung sich handle, sondern um Schutz des Eigenthums, der Kranken, um Sicherheit der Person u. s. f., und da ist Jeder
verpflichtet Dienst zu leisten.
Ein Abgeordneter will Zählung des Hauses. Ein Secretär meldet, daß 219 Mitglieder anwesend seien, also mehr als beschlußfähige Anzahl.
Bei der Abstimmung bleibt Podhotzki in der Minorität.
Die Punkte der Commission lauten:
1. Alle waffenfähige Männer haben sich unter Commando ihres Bezirkschefs zu stellen. Majorität.
2. Alle Bewaffneten Wiens haben sich den Befehlen des Obercommandos unbedingt zu fügen.
Majorität.
3. Dienstverweigerung, Insubordination und Verrath werden durch ein Disciplinargericht bestraft.
Da Minister Kraus eine baldige detaillirte Ausführung des dritten Punktes vorlegen will, wird auf kurze Zeit die Abstimmung verschoben.
Gleispach macht aufmerksam, daß, wenn man von der allgemeinen Bewaffnung Niemand ausnimmt, der Reichstag nicht in der Lage sein werde, Beschlüsse kundzumachen.
Der Präsident hält sich ermächtigt, Personen, die er benöthigt, auszunehmen.
Schuselka verliest ein Schreiben Doblhoffs, wonach er erklärt, daß es ihm unmöglich ist, auch nur auf die kürzeste Zeit ein Amt zu übernehmen, da seine Gesundheit ganz zerrüttet ist.
Minister Krauß besteigt die Tribüne. Er eröffnet, daß er von dem bewilligten Credit von 20 Million bis Anfangs October nichts benützt. (Bravo.) Seit Anfang October hat er jedoch 4 Millionen
benöthigt, die ebenfalls noch nicht ganz ausgegeben, sondern zu dem baldigsten Bedarf reservirt sind. Da weiter noch Geld erforderlich ist, und die Hinausgabe von Kreditscheinen die solchen Umständen
unmöglich ist, möge die Kammer bewilligen, daß der Finanzminister ermächtigt sei, den Bedarf bis zu 20 Millionen so weit er ihn benöthigt, von der Nationalbank zu beziehen. Die Bank sei für die Zeit
der Noth hauptsächlich da, und Gleiches sei auch in Frankreich geschehen. Er hoffe den besten Erfolg von der Sache.
Die Nationalbank bittet ferner, daß er den Reichstag unter seinem besonderen Schutze erkläre, der Finanzminister unterstützt, dieß, indem die Bank von außerordentlicher Wichtigkeit für den ganzen
Staat.
Machalski und Pillersdorf wünscht den ersten Punkt dem Finanzausschusse zugewiesen, was angenommen wird. Der Finanzausschuß wird in der Abendsitzung berichten.
Neuwall will auch (betreff des 2. Punktes) die Sparkasse der Bank gleich behandnlt wissen.
Scherzer stellt den Antrag, ein Erkennungszeichen für die Abgeordn. zu wählen.
Borrosch ist dagegen, die Karte genügt.
Pillersdorf dafür, es sei in solcher Zeit nothwendig. Er beantragt eine Bronzemedaille.
Borrosch nimmt sein Veto zurück. Der Finanzminister beauftragt sogleich das Münzamt zur Präge.
Sidon stellt den Antrag, daß die dem Reichstage unter der Executivgewalt unentbehrlichen Individuen vom Waffendienste zu befreien seien.
Sidon will die Journalisten, welche über den Reichstag berichten, auch einbegriffen haben.
Die Journalisten geben schriftlich die Erklärung ab, nur bei Reichstagssitzungen vom Waffendienste befreit sein zu wollen, da ihre Berichte nöthig für die Provinzen sind, die übrige Zeit wollen sie
dem Waffendienste weihen. (Bravo.)
Der ganze Antrag sammt den Zusätzen wird angenommen.
Es werden noch mehrere Anträge wegen Enthebungen vorgelegt, welche auf Antrag Podhotzki's dem Gemeindeausschusse zugewiesen werden.
Die Sitzung wird bis 6 Uhr Abends unterbrochen.
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Wien.
Abendsitzung des konstituirenden Reichstags vom 12. Oktober. Eröffnung halb 7 Uhr.
Schuselka theilt mit, daß vor einer halben Stunde ein gräßlich verstümmelter Leichnam vor den Saal gebracht wurde, gewiß in der Absicht, um das Gefühl zu erregen. Schuselka und Prato haben für
Beerdigung gesorgt.
Pillersdorf berichtet vom Finanzausschusse über das Verlangen des Finanzministers, welches er heute Vormittag gestellt. Pillersdorf lobt das bisherige Verfahren des Finanzministers betreff des ihm
ertheilten Kredites von 20 Millionen, der Finanzausschuß trägt einstimmig auf Gewährung des vom Finanzminister gestellten Verlangens an, nämlich den Kredit der Bank nach Umständen bis zu 20 Millionen
benützen zu dürfen.
Dilevski bemerkt, daß die Banknoten bereits neunfach den wahren Fond übersteigen. Als man nur 6 Millionen aus der Bank nehmen wollte, nahm man Rücksicht auf diesen Umstand, nun wolle man noch 14
Millionen Papier schaffen. Er ist dafür, daß man nur noch 6 Millionen bewillige und hofft von den Ersparnissen des Ministers das Beste. Seine beantragte Einschränkung sei man dem Volke und dem
Mißverhältniß zwischen Papier und Baargeld schuldig.
Sirialkovski spricht dafür, daß für den Augenblick der Kredit nicht über die schon früher bewilligten 6 Millionen ausgedehnt werde.
[0598]
Pillersdorf spricht dafür, dem Finanzminister das volle Vertrauen zu geben. Er wird nicht mehr benützen, als er bedarf. Beim Bedarf über eine Beschränkung würde die Kammer nur neuerdings mit einer
Berathung behelligt und könnte dann abermals nur an die Bank weisen.
Dilevskis Antrag erhält Majorität.
Schuselka erstattet Bericht vom Ausschusse. Es erschien bei ihm eine Deputation von zwei Mitgliedern des ungarischen Reichstages und überbrachte eine Adresse. Es wird darin den edlen Bewohnern
Wiens gedankt, daß sie sich für Ungarn erhoben, und die Ungarn schwören vor Gott die Freiheit Wiens ihrer eigenen gleich zu achten. (Acclamation.) Sie wollen einen freien Bruderbund schließen und
bieten die Bruderhand. (Acclamation.)
Sie haben erfahren, daß Jellachich in Oesterreich 13,000 Mann Zuzug, bekommen und aus Galizien noch erhalten werden. Sie erklären Jeden- der sich gegen Oesterreich erhebt, als einen
Landesverräther, und erklären es für eine heilige Pflicht der Dankbarkeit, das edle Oesterreich zu unterstützen.
Die ungarische Nation hat daher beschlossen, dem Feinde zu folgen wohin er, auch flieht. Man möge es nicht als Gebietsverletzung betrachten, wenn sie auf unsern Boden kommen, sondern lediglich als
einen Zug des dankbaren Herzens.
Sie werden ihre Truppen selbst verpflegen und in demselben Augenblicke, als der Feind geschlagen und entwaffnet ist, das Gebiet verlassen.
Anhaltender Beifall.
Schuselka theilt ferner mit, daß Lohner gestern 10 Uhr Nachts, nach vielen Bitten eine Audienz beim Erzherzog Franz Karl erhalten.
Löhner hat ferner einen Erlaß des Kaisers überschickt, der auf dem Lande vertheilt wird, ohne Contrasignatur und aus Herzogenburg datirt ist. Es wird darin einer Partei in Wien sehr übel gedacht,
und der Kaiser erklärt einen andern Punkt als Wien zur Berathung auszuersehen.
Der Kaiser hat die Abdankung der Minister Doblnoff und Bach angenommen, von Hornbostel ist noch nichts bekannt.
Finanzminister Kraus erscheint und bedauert, daß er bei der frühern Beschlußfassung nicht gegenwärtig war. Er erklärt, mit 6 Millionen nicht den nächsten Monat auslangen zu können. Er findet es
nicht sehr ehrend, daß man immer das Vertrauen tropfenweise zumesse, er ist verantwortlich, und-wenn man es ihm nicht ganz schenke, sei es besser, man stelle einen Vertrauenswürdigeren an die
Stelle.
Fedorovitsch verwahrt sich, daß die Kammer kein Vertrauen gehegt habe, im Gegentheile, sie spendete Lob; es waren ihr aber die Grunde unbekannt, die jetzt der Minister vorgelegt und man kann nun
den Kredit erweitern.
Dieses wird von der Kammer bewilligt.
Smolka bittet nun, da die gemessene Zeit abgelaufen ist, ein neues Bureau zu wählen. Er bittet das vorgeschriebene Serutinium zu beobachten und muß, trotz der gestrigen zweimaligen Acclamation, auf
Serutinium dringen, da die Geschichte zeigt, daß man selbst Beschlüsse als ungültig erklärt hat, weil das Bureau nicht gesetzmäßig war. Er dankt im Namen der Kammer den Schriftführern für ihre
bisherigen Dienste.
Die Wahl des Präsidenten findet noch heute statt, der andern Bureaumitglieder noch morgen früh Borrosch ergreift das Wort im Interesse des jetzt so bedrothen Vaterlandes. Er fürchtet nach dem oben
eingelangten Erlasse, daß der Kaiser durch seine Umgebung gehindert sein werde, die wahre Sachlage zu erkennen. Er macht ferner auf seine Rede aufmerksam, als die Ungarn an der Schwelle des Hauses
waren, und ruft nach den Ereignissen Alle zum Zeugen an, daß er es damals ehrlich gemeint. Er beantrage, dem Kaiser eine zweite Adresse nachzusenden, und die Ungarn zu einem Völkerkongresse nach Wisn
einzuladen. So werde das Interesse des Gesammtvaterlandes und des Thrones gewahrt werden.
Acclamation.
Das Scrutinium findet statt, es stimmen 200 Mitglieder. Smolka erhält 186 Stimmen, ist daher Präsident, und dankt für die Ehre.
Podlevski stellt den Antrag, die ungarische Adresse zu drucken.
Wird angenommen.
Borrosch nimmt nach einer Pause das Wort. Er habe keineswegs einen gemeinsamen Reichstag in der Absicht wie Manche meinen. Es möge nur eine internationelle Kommission niedergesetzt werden,
bestehend aus Reichstagsabgeordneten der beiden Reiche und unter Beziehung der beiden Ministerien. Aehnliches auch für Italien
Zimmer will die Berathung der permanenten Kommission zuweisen.
Fischer will, man möge diese Adresse den Herren mittheilen, und so Waffenstillstand bis zur Erledigung herbeiführen.
Smerecke sagt, wir dürfen den Vorwurf nicht auf uns laden, indem wir die ungarische Armee aufhalten, der Stadt Wien in ihrer Vertheidigung hinderlich gewesen zu sein. (Beifall.)
Zimmer sagt, er müsse sich gegen den Antrag erklären. Der Hof will nichts hören in unserer eigenen Sache, viel weniger wenn wir zugleich in Angelegenheit eines andern Volkes sprechen. Der Hof will
siegen, und ein Waffenstillstand wird nur dazu dienen, um Truppenmassen heranrücken zu lassen um uns ganz zu erdrücken.
Pillersdorff rathet zur Versöhnung. Borrosch eben so. Die Kammer müsse alle Mittel versuchen.
Fedorovitsch ermahnt die Pflicht zu thun. Die Kammer ist wahrhaftig jetzt mehr hier, um das edle Blut der Wiener zu schonen, als Gesetze zu geben. Wir thun unsere Pflicht, ob sie der Kaiser thut,
dies hängt nicht von uns ab. Das Mittel ist vorgeschlagen, versuchen wir es ‒ vielleicht ist es in dem Rathschlusse Gottes, daß es doch etwas helfe.
Piencikovski beantragt mit der Beschlußfassung bis zur Rückkunft der Deputation zu warten. Wird verworfen.
Borrosch's Antrag wird angenommen.
Die Adresse wird morgen der Kammer vorgelegt werden.
Reuwall beantragt eine Abschrift an den ungarischen Reichstag mit der Einladung, sich dem Wunsche anzuschließen.
Violand theilt mit, daß der heute ernannte Kommandant Spitzhütes seine Stelle wieder niederlegt. Der Ausschuß hat sich an die Garde und Legion gewendet, daß sie einen Vertrauensmann erwählen.
Die Sitzung wird geschlossen, 9 Uhr. Eröffnung morgen 10 Uhr.
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@facs | 0598 |
Wien, 12. Oktober.
Die Adresse des Ungarischen Reichstags an den Wiener lautet:
An den konstituirenden Reichstag in Wien.
Die ungarische Nation, im heiligen Kampfe für ihre Freiheit und ihr gutes Recht gegen den in der Weltgeschichte unerhörten Verrath der reaktionären Camarilla und ihre eidbrüchichen Söldlinge
begriffen, ist von dem wärmsten Dankgefühle durchdrungen für die heldenmüthige Aufopferung der edlen Bewohner Wiens, womit selbe die Verstärkung der Armee des Verräthers Jellachich zu verhindern sich
so glorreich erhoben hat.
Die ungarische Nation erklärt vor Gott und vor der Welt, daß sie die Freiheit Oesterreichs ihrer eignen Freiheit gleich achten und zu deren Aufrechthaltung gewiß den Wünschen der österreichischen
Nationen nach Kräften beizutragen stets zu ihrer heiligsten Pflicht rechnen wird. Die Gefahr ist gemeinschaftlich, welche die Freiheit beider Nationen bedroht.
Ungarn weis't entschieden von sich jeden Tractat mit der Camarilla und ihren eidbrüchigen Söldnern, bekennt sich aber vor Gott und der Welt zum tiefverpflichteten Freunde, treuen
Bundesgenossen und Bruder der österreichischen Nationen, und erklärt sich unwandelbar geneigt, die gegenseitigen Interessen zur beiderseitigen Zufriedenheit auf der breitesten Basis des Rechtes, der
Billigkeit und der treuen Bruderliebe regeln zu wollen, und bietet hierzu seine treue Bruderhand.
Ungarn erklärt zugleich seinen wärmsten Dank der hohen Reichs-Versammlung für die kräftigen Maßregeln zur Verhinderung des Anmarsches von einer reaktionären Soldateska, bestimmt, die räuberischen
Horden Jellachich's zu unterstützen; findet sich aber auch zugleich veranlaßt, die hohe Reichs-Versammlung zu benachrichtigen, daß die ungarische Regierung Kunde bekommen habe, daß trotz der
vorbemerkten Maßregeln dem Empörer Jellachich es doch gelungen sei, gegen 13,000 Mann Verstärkung aus Oesterreich an sich zu ziehen und, daß unserm armen verrathenen Vaterlande auch von dem in
Galizien stationirten Militär eine Invasion droht.
Die ungarische Nation ersucht die edlen Vertreter Oesterreichs, hiegegen kräftig einschreiten zu wollen, und so, wie wir jeden Ungar für einen Landesverräther zu erklären, der seine unheilige Hand
gegen die Freiheit Oesterreichs erhebt, eben so jeden Unterthan der österreichischen Monarchie für einen Landesverräther zu erklären, der dem Empörer Jellachich, dem eidbrüchigen Werkzeuge, das sich
die Camarilla zur Unterdrückung der Freiheit Oesterreichs und Ungarns auserlesen, die mindeste Unterstützung gewähren würde.
Der Empörer Jellachich treibt seine Horden mit Kartätschen in den Kampf gegen die Freiheit. Es ist höchst wahrscheinlich, daß er, von unseren tapferen Truppen gedrängt, seine räuberischen Horden
auf das Gebiet Oesterreichs wirft, und wo möglich selbst Wien zu bedrohen beabsichtigt.
Die ungarische Nation ist fest überzeugt, daß er in diesem Falle unter dem Racheschwerte der Freiheitssöhne Oesterreichs unrettbar fallen wird; doch erachtet es die ungarische Nation für ihre
heilige Pflicht der Dankbarkeit gegen Wien und Oesterreich, in diesem Falle Jellachich nachzujagen, und in dem Werke seiner wohlverdienten Vernichtung das edle Völk Oesterreichs zu unterstützen.
Darum haben die Repräsentanten der ungarischen Nation den Befehl an die ungarische Armee ertheilt: Jellachich zu verfolgen, wohin er sich wenden möge.
Doch betheuert die ungarische Nation vor Gott und der Welt: daß wenn ihre Truppen den fliehenden Feind nach Oesterreich zu verfolgen bemüssigt wären, hiermit nicht nur keine Gebiets-Verletzung
Oesterreichs beabsichtigt würde, sondern daß in diesem Falle die ungarische Nation auch dem Triebe der Dankbarkeit folgt, welcher ihr es zur Ehrenpflicht macht, die edlen Bewohner Wiens nicht ohne
Unterstützung zu lassen gegen den gemeinsamen Feind.
Möge die hohe Reichsversammlung diese aufrichtig gemeinte Erklärung mit gleicher Bruderliebe entgegen nehmen. Die ungarische Nation erklärt, daß ihre Truppen in dem nämlichen Augenblicke Halt
machen und sich nach Ungarn zurückwenden werden, wo die edlen Vertreter des tapfern Oesterreichs dem commandirenden Generale der ungarischen Armee die Weisung zukommen lassen, daß die Entwaffnung des
gemeinsamen Feindes, durch eigene Kräfte bewirkt, und die Mitwirkung unserer Truppen zum Siege der gemeinsamen Freiheit nicht mehr nöthig sei.
Ungarns Regierung hat die strengsten Befehle erlassen, daß, im Fall die ungarische Armee vorrückt, ihre Verpflegung selbst auf den uns heiligen österreichischen Boden, von Ungarn aus verfolgt, und
dem edlen Volke Oesterreich nicht die mindeste Last aufgebürdet werde.
Gruß, Hochachtung und Bruderliebe.
Pesth, den 10. October 1848.
Des ungarischeu Reichstages.
Unterhauses erster Vice-Präsident, Johann Pallfy, m. p. Oberhauses erster Vice-Präsident, B. Sigm. v. Perenj, m. p.
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@facs | 0598 |
Wien, 13. Okt.
Der Reichstag hat in Erwiederung auf die Demonstration der ezechischen Parthei, welche zu einem Sonderreichstag in Brünn auffordert, folgende Proklamation
erlassen:
Kundmachung.
Der hohe Reichstag beschließt, mit Rücksicht auf die im „Constitutionellen Blatte aus Böhmen“ vom 11. d. Mts. enthaltene Aufforderung einiger böhmischer Abgeordneten: Der Reichstag
hat auch unter den Ereignissen der letzten Tage seine Berathungen mit Beobachtung aller legalen Formen nie unterbrochen. Er ist die einzige legale konstituirende und gesetzgebende Autorität. Die
überwiegende Mehrzahl hat, ihrer Pflicht eingedenk, ihre Plätze nicht verlassen, und wird ihre Aufgabe, ohne sich durch irgend ein Hinderniß beirren zu lassen, ununterbrochen fortsetzen. Der Reichstag
hat alle abwesenden Mitglieder aufgefordert, ungesäumt den Verpflichtungen gegen ihre Kommittenten und gegen die Gesammt-Monarchie nachzukommen. Diese Pflichten können nur hier, am Sitze des
Reichstages erfüllt werden. Jeder Versuch von Abgeordneten oder andern Individuen, sich an einem andern Orte zu sammeln, um Beschlüsse zu fassen, welche nur dem Reichstage zustehen, ist ungesetzlich
und ungültig, Der Reichstag erklärt daher auch jede Aufforderung zu diesem Zwecke als null und nichtig-protestirt in vorhinein gegen alle etwaigen Beschlüsse und macht, die Urheber und Theilnehmer an
denselben für alle Folgen vertantwortlich. Das Ministerium wird aufgefordert, diesen Beschlüssen sogleich die ausgedehnteste Publicität auf dem geeignetsten Wege zu geben.
Wien, 13. Okt. 1848.
Smolka, Präsident.
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@facs | 0598 |
Prag, 12. Oktober Mittags.
Eben wird folgendes Plakat angeschlagen:
An die Bewohner Böhmens!
Anarchie und deren gräuliche Folgen, die sich leider in Wien auf empörende Weise entwickelt haben, und alle Grundfeste einer geregelten Verfassung zu untergraben drohen, legen mir die Pflicht auf,
mit einem Theile der mir unterstehenden braven Truppen zum Schutze der geheiligten Person des Monarchen und zur Wahrung der Einheit der konstitutionellen Monarchie mich von hier zu entfernen. Der nun
schon seit geraumer Zeit hier bestehende geregelte friedliche Zustand und die loyalen Aeußerungen der Bewohner dieser Hauptstadt gewähren mir die beruhigende Ueberzeugung, daß die so bedauerlichen
Juni-Ereignisse hauptsächlich durch fremden Einfluß herbeigeführt wurden. Ich verlasse daher die Stadt und das Land mit dem festen Vertrauen, daß Ruhe und Ordnung nicht mehr gestört werde; ‒
die Ehre und Wohlfahrt der Nation hängt wahrlich davon ab, daß dieses mein Vertrauen nicht getäuscht werde. Prag am 11. Oktober 1848. Fürst Windisch-Grätz, kommandirender
General.“
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@facs | 0598 |
Prag, 12. Oktober.
Reichstagspräsident Strobach ließ heute folgendes Plakat anschlagen:
„Die Herren Reichstagsdeputirten, welche durch die letzten Ereignisse genöthigt sind, Wien zu verlassen, werden eingeladen, sich heute um 6 Uhr Abends im Lokale der Bürger-Ressource zu einer
wichtigen Berathung einzufinden. Zugleich wird bekannt gegeben, daß der Drang der Ereignisse es nöthig macht, sich täglich um 6 Uhr Abends in dem erwähnten Lokale zu versammeln, daß demnach alle im
Verlaufe dieser Tage hier ankommenden Reichstags-Abgeordneten ihre Kollegen in Berathung versammelt antreffen werden. Prag am 12. Oktober 1848. Dr. Anton Strobach, im eigenen und im Namen 30 anderer
Reichstags-Mitglieder.“
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Prag, 12. Oktober.
Die Nordbahn-Direktion soll sich, dem Reichstagsbeschlusse gemäß, standhaft weigern, Militär auf der Bahn gegen Wien zu befördern, und es dürfte, falls sich diese Angabe bestätigt, zu
eigenthümlichen Konflikten zwischen den Militärbehörden, welche die physische Gewalt in Händen haben, und den Beamten führen, welche der einzigen jetzt noch legalen Exekutivgewalt gehorchen. ‒
Gestern in der Nacht und heute Morgens kamen Linientruppen aus den böhmischen Festungen hier an, welche die hiesige nach dem Süden abgehende Garnison theilweise ersetzen sollen. ‒ Unter den
gestern hier eingetroffenen Reichstags-abgeordneten befand sich auch Dr. Helfert; heute wurde die Zahl derselben noch durch die Ankunft Placek's, Kucera's und Dusek's
vermehrt.
[(C. B. a. B.)]
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@facs | 0598 |
[
*
] Olmütz, 10. Oktober.
Die in Olmütz erscheinende „Neue Zeitung“ enthält in ihrem Aufruf zur Unterstützung der Wittwen und Waisen der in Wien Gefallenen, folgende Worte: „Wien ist das Herz
Oestreich's; unsre Freiheit ist dort geboren worden, unsre Freiheit erhält dort die Bluttaufe. Wir haben bei jeder Gelegenheit unsre warmen Sympathien für die Wiener ausgesprochen; lassen wir
es nicht bei Worten bewenden!“
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@facs | 0598 |
Berlin.
Bis zum 13. Oktober Mittags waren als an der Cholera erkrankt gemeldet 2056 Personen, Zugang bis 14. Mittags 46 Personen. Zusammen 2102 Personen. Davon sind gestorben 1312, genesen 494, in
ärztlicher Behandlung 296 Personen. In Summa 2102 Personen.
[(N. Z.)]
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@facs | 0598 |
Breslau,: 13. Okt.
Wir sind in den Stand gesetzt, über die Ereignisse in Preßburg den Bericht eines Augenzeugen zu geben. Freitag früh kamen österreichsische Truppen nach Preßburg. Die Stadt, die schwach besetzt war,
wurde ihnen übergeben. ‒ Abends kamen die Nachrichten von Wien an; das Militär wurde sofort in den Kasernen konsignirt. Man erwartete noch die Ankunft von Cekopieri-Infanterie und
Joseph-Dragonern. Das Militär aber, bereits von den Ereignissen unterrichtet, brach aus den Kasernen aus und fraternisirte mit dem Volke. Offiziere, die selbst mit der Waffe in der Hand die Soldaten
zurückhalten wollten, wurden verlacht und verspottet. Die Brücke wurde ausgehängt. Am Sonnabend kamen 8 Sereczaner mit einem Briefe von Jellachich an den General Knöhrl, Brigadier in Preßburg. Die
Boten wurden von den Bürgergarden aufgehalten und mit dem Briefe auf's Stadthaus gebracht. Man schickte zu Knöhr, er möge auf's Stadthaus kommen, und den Brief verlesen. Er erschien
nicht; als man ihn suchte, war er verschwunden. Der Brief wurde verlesen; er war vom General Zeisberg im Namen Jellachich's geschrieben und lautete etwa folgen dermaßen: „Haben Sie sich
der Brücke in Preßburg bemächtigt und auf welche Weise? Schicken Sie mir die disponiblen Truppen herüber. Haben Sie meinen Brief von gestern erhalten? Berichten Sie mir über die Stimmung in Preßburg
und über den Stand der Dinge. Hauptquartier. Ungar. Altentenburg.“
Als das Volk diesen Brief gehört hatte, suchte es den General Knöhr überall, um ihn zu hängen. Er war nicht zu finden. Plötzlich aber zog sich das Militär aus der Stadt. Alle Wachen wurden leer,
ohne daß man besondere Vorbereitungen gesehen hatte. Die Bürgergarde behielt die Stadt, die in dieser Weise entsetzt wurde. Von den Soldaten selbst ist eine Anzahl zurückgekehrt und in die ungarische
Nationalgarde eingetreten. Sie haben ihren Obersten und Hauptmann erschossen, die sie zurückhalten wollten; die übrigen Offiziere weggejagt. Das übrige Militär, meldeten sie, würde von
Cekopieri-Infanterie und Joseph-Dragonern bewacht.
Mittlerweile waren zu Knöhr zwei Schwadronen Joseph-Dragoner gestoßen und die kroatischen Truppen hatten Neudorf und die Brücke über die March besetzt. Jellachich schrieb wiederum an den Magistrat
von Preßburg. Der Brief lautete:
„Die Stadt Preßburg wird wissen, daß ich zum Civil- und Militär-Gouverneur ernannt bin; ich lege, falls es unbekannt ist, das Manifest des Kaisers bei. Ich will Sonntag Mittag über die
Brücke marschiren, dieselbe muß eingehängt sein; es sollte mir leid thun, wenn ich damit anfangen sollte, die Stadt zusammen zu schießen.“
Der Magistrat schickte ihm 2 seiner Mitglieder mit der Antwort: sie würden die Brücke nicht einhängen. Zugleich schickte er ihm die 8 Sereczaner zurück. Die Antwort Jelachich's war:
„Er wolle verzeihen, wenn man Folge leiste, wenn nicht, würde er Gewalt anwenden.“
In Preßburg selbst stehen 8000 Bauern, mit Sensen bewaffnet. Von ihnen wurden den Ungarn, die bei Wieselburg unter dem Obersten Moga und einem Obersten Wanka standen, 1500 Mann als Succurs
geschickt. Die Nachricht ist bestätigt, daß General Rott gefangen ist, und 7000 Mann entwaffnet worden sind.
[(A. O. Z.)]
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@facs | 0598 |
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] Dresden, 10. Oktober.
Der russische Flüchtling Bakunin, der neulich aus Preußen ausgewiesen wurde, hatte sich auch hier, leigch nach seiner Ankunft, eines Besuches der Polizei zu erfreuen, und trotzdem daß sein Paß
durchaus in Ordnung war, erhielt er doch den Befehl, das Land auf der Stelle zu verlassen.
Man muß gestehen, der Arm des Kaisers Nikolaus ist sehr lang und die deutschen Regierungen sind äußerst gefällig!
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@facs | 0598 |
Altenburg, 7. October.
(Die Ansicht des Erzherzogs Johann über den Liberalismus.) Sie wissen, daß wir eine Deputation nach Frankfurt geschickt haben, um gegen die Besetzung unseres Landes zu protestiren. Dieser
Deputation hat der Reichsverweser folgende interessante Antwort gegeben: „Die nach Altenburg beorderten Truppen sind keine fremden, sondern einheimische, weil sie Truppen des einigen deutschen
Reichs sind. Die militärische Besetzung Altenburgs ist keine volksfeindliche Maßregel. Es ist nicht wahr, daß das Volk diese Maßregel als volksfeindlich betrachtet. Das wird dem Volke nur von den
Demagogen eingeredet, die nicht wollen, daß man Maßregeln gegen ihre anarchischen Bestrebungen trifft. Den Demagogen werde ich kräftig entgentreten; die Demagogie ist Anarchie und Lüderlichkeit, und
das ist alles Streben der Demagogen.“ Auf eine Aeußerung eines Mitgliedes der Deputation über Militärübermuth, die neuesten Vorfälle in Mainz und die Berichte darüber in den liberalen
Zeitungen, bemerkte der Reichsverweser: „Ich erkenne keine liberalen Zeitungen an; ebenso keine liberalen Menschen.“ Nach meiner Ansicht gibt es nur gesetzmäßige Menschen und Wühler, die
gesetzmäßigen Menschen, welche sich dem Gesetze unterwerfen, die Wühler oder Demagogen, welche nie ruhen, sondern Anarchie und Umsturz begehren.“ Nie wohl sind die Grundsätze der Reaktion mit
größerer Naivität ausgesprochen worden, als hier.
[(A. Oder-Ztg.)]
Französische Republik.
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@facs | 0599 |
Paris, 15. Okt.
Großes Ereigniß: Der „National“ geht zur Opposition über! Entweder dankt Cavaignac morgen ab, oder wir haben übermorgen wieder Barrikaden ‒ das ist die Bedeutung dieses
Schrittes.
Doch hören wir den Mann mit den Glacehandschuhen, den Républicain en gants jaunes selbst:
„Wir können nicht annehmen, daß das im Februar zur Geltung gekommene Prinzip, dessen Anwendung vor unsern Augen geschieht, durch den Eintritt der neuen Glieder in das Kabinet bedroht sei.
Dieses Prinzip ist zu erhaben, seine Wurzeln sind zu tief ins Volk geschlagen, um nicht den Anstrengungen aller Derer trotzen zu können, die versuchen sollten, es zu erschüttern. Uebrigens würde jene
Majorität, die seit dem Februar in mehr als einer feierlichen Gelegenheit den festen Willen gezeigt hat, die demokratische Republik aufrecht zu erhalten, solchen Versuchen einen unübersteigbaren Damm
entgegensetzen. Dennoch befehlen uns diese neuen Elemente, eine neue Stellung einzunehmen. Unsere Haltung wird außerordentlich vorsichtig, wir sagen mißtrauisch.
Das Kabinet wird sich morgen der Approbation der Nationalversammlung unterwerfen. Indessen zugegeben selbst, sein Programm wäre annehmbar und ihm die Majorität günstig, so würden wir doch die
Handlungen des Kabinets erst abwarten, ehe wir unsere Meinung bilden. Die Beifügung dieses oder jenes Namens an das Kabinet würde unsere Grundsätze keineswegs erschüttern; aber jene Namen geben uns,
da sie einer verdächtigen Vergangenheit angehören, das Recht, unsere Forderungen zu stellen (d'être exigeans) und wir werden sie um so höher stellen, je weniger die neuen Minister der
republikanischen Meinung Bürgschaft gewähren u. s. w.“
‒ Senard und Baulabelle, die beiden Exminister, richten ihrerseits Briefe an die „Patrie“, worin sie die Details berichtigen, welche dieses ultrakonservative Lügenblatt über
ihren Rücktritt und die Zeilen Cavaignacs gegeben hatte.
‒ Die Maigefangenen in Vincennes sollen endlich gerichtet werden! Es wird gemeldet, daß der Untersuchungsrichter übermorgen, Dienstag, 17. d. M. seinen Bericht der Anklagekammer endlich
vorlegen und man hören wird, was mit den Eingesperrten geschehen soll?
‒ Der Berg wird morgen durch Demosthenes Ollivier in Form eines Dekretsentwurfs den Antrag auf völlige Amnestie aller politischen Gefangenen der Nationalversammlung stellen. Dieser
Beschluß wurde gestern Abend in seiner Sitzung im Taitbout gefaßt. Man wird seine Wichtigkeit im gegenwärtigen Augenblick begreifen.
‒ Marrast's Präsidentenamt der Nationalversammlung läuft am nächsten Donnerstag (19.) ab. Die Rue de Poitiers hat beschlossen, ihn wieder zu erwählen. Wahrscheinlich um ihn zu
trösten?
Seine letzte Soiree war sehr dürftig. Die englischen Damen waren sehr spärlich gesäet. Die böse Welt sagt, die Ladys hätten geäußert, daß sie nicht mehr zur Frau Marrast gehen würden, weil sie
erfahren, daß sie die Tochter eines reichen, in Paris am Bouleward etablirt gewesenen englischen Schusters sei etc.
‒ Der „Moniteur“ beeilt sich, die gestrigen Beschlüsse der Nationalversammlung rücksichtlich der griechischen Schuld (Zahlung des am 1. Sept. c. fällig gewesenen Semesters) u.
s. w. zu promulgiren. Tief unten erblickt man auch folgendes Dekret.
Französische Republik. Freiheit, Gleichheit, Brüderschaft. Auf den Vorschlag des Ministers des Innern und nach Anhörung der Minister, beschließt der mit der Vollziehungsgewalt beauftragte
Konseilpräsident:
Art. 1. Der Bürger Gervais (ein Arzt aus Caen) ist zum Polizeipräfekten von Paris, in Ersetzung des Bürgers Ducoux, Demissionaires, ernannt.
Art. 2. Der Minister des Innern ist mit Vollführung gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.
Paris, 14. Okt. 1848.
(gez.) Cavaignac.
(Gegengez.) Dufaure, Minister des Innern.
‒ In diesem Augenblicke (wo wir zur Post geben, 12 Uhr), sind die meisten Glieder der Nationalversammlung in Cafés und den Konferenzsäälen versammelt. Die Aufregung ist unbeschreiblich.
Wir stehen an einem Wendepunkt, der dieses Mal um so entschiedener, als es sich darum handelt, zu wissen, ob Republik und Volksherrschaft (Demokratie) wirklich bloß ein hohler Name, oder wie sich
Francisque Bouvet in gestriger Sitzung bei der Debatte über Art. 82 sehr richtig ausdrückte, ein Freistaat mit monarchischem Firlefanz sein sollen oder nicht?
Mit oder ohne Belagerungsstand, das ist nunmehr gleichgültig. Der tödtliche Schlag gegen die Februarrevolution ist geschehen; indem man die Männer Louis Philipps zu Ministern machte.
‒ Cavaignac vindizirt heute die Initiative gewisser Maßregeln im Moniteur durch folgende Zeilen: „Gewisse Journale melden, daß die Aufhebung des Belagerungszustandes und die
Uebersiedelung der Juni-Insurgenten nach Algerien von den neuen Ministern als Bedingungen ihres Eintritts in das Kabinet gestellt worden seien. Diese Maßregeln wurden in dem Augenblick getroffen, als
das Votum über Durrien's Antrag erfolgte. Sie haben übrigens die Beistimmung des neuen ganzen Ministeriums erhalten.“
Also die Juniräuber segeln nach Algerien!
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@facs | 0599 |
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15
] Paris, 13. Oktober.
Die Spannung auf das Resultat der, wohl schon in vier bis sechs Wochen stattfindenden, Wahl des Präsidenten der Republik ist groß: „Ihr habt's gewollt, ruft der National de
L'Quest in Nantes, ihr habt das Geschick der eben wiedergeborenen Republik in die Hände der Ackerbaubevölkerung gelegt, die seit Robespierres Sturz im fanatischen Haß gegen alles
antimonarchische auferzogen worden. Die Neunsous-Uebersteuer, die Nichtabsetzung der königlichen Beamten groß und klein, die Versäumung jedweder zeitgemäßen dem Hypothekenbelasteten Landmann
aufhelfenden Maßregel hat vollends seine Seele mit Erbitterung gegen die Februarrevolution erfüllt; und ob Herr Lamartine noch so lieblich die Zither schlägt und sich den Barden der Humanitätsrepublik
nennen läßt, das hilft alles doch nichts; das Heil der Republik hängt jämmerlicher Weise an einem Haar. Was wollt ihr machen, großartige Humanitätshelden des Provisoriums, die ihr Guillotine und
Papiergeldmaschine und Nationalindustrie als unzeitgemäß weg dekretirtet, wenn ein Drittel des Heeres den läppischen, bereits 40jährigen Knaben Bonaparte, ein andres den blödsinnigen Wundersohn Henri,
oder den Joinville ausruft? wenn von neun Millionen Wählern nur zwei Millionen einen echt demokratischen Kandidaten wählen, und die übrigen einen Massakrirer Bugeaud, oder einen der Prätendenten? u.
s. w.“ Das Höhnen und Jubeln der Reaktionspresse wächst täglich; die Provinzialblätter sehen aus wie zur schönen Zeit Louis XVIII, da spukt es von Glaubensbataillonen, Glaubenssocietäten,
Ordnungslegionen, über das südliche Frankreich bis Lyon ist eine halb geheime, halb öffentliche, geschloßne Gesellschaft „zur Beschützung des Eigenthums und der Sittlichkeit“
ausgebreitet, in die jeder „honnette“ Franzose und Ausländer eingeschrieben wird; Monatsbeiträge von einem Franken, Gliederung in Waffenbrüderschaften, Eide, heilige Fahnen,
fanatisirende Pamphlete, alles im besten Gange wie unter Karl X. In Marseille tragen die Mauern Affischen wie folgt: „Die Befreiung naht, das gotteslästerliche, geldsaugende Ungeheuer des
Februar wird verenden unter dem siegreichen Flammenschwert unsres gebenedeiten Wundersohnes Henri V. der den Kredit herstellen, die Schuldscheine des frommen Landmanns zerreißen wird. Hoch lebe der
König, das Gesetz, und das schöne Geschlecht! Ein Gesetzesfreund.“ Diese und ähnliche Druckzettel erscheinen in Bordeaux, Marseille und Arles immer wieder, so oft die Demokraten sie vernichten.
In Bordeaux, diesem „Natternest der Verstocktheit und Selbstsucht“ predigt das Memorial Bordelais der Kaufmannschaft geradehin Ausrufen des Königthums, und sagt: „zu diesem allein
moralischen, mit Frankreichs Bedürfniß allein harmonirenden Ziele haben wir Bordeleser, die wir 1813 schon zuerst den korsikanischen Uhuopator stürzten und die Herzogin Angouleme aufnahmen, jetzt den
edeln weisen Grafen Molé in die Nationalassemblée geschickt; er möge dort getrost die Drachen des rothen Berges bekämpfen, wir stehen hinter ihm, dem großen Politiker und würden die leisesten
Versuche der Pariser, Frankreich aufs Neue zu despotisiren, aufs Blutigste rächen.“
Der „Constitutionnel“ jubelt über das allgemeine Stimmrecht; „ein erhabenes Volk wird jetzt sich seinen Chef erkiesen und alles Geheul der kleinen, verworfenen Minorität, die
ein 93 herausbeschwören will, wie den Vampyr aus dem Grabe, wird in Wuthgestöhn verhallen. Ha, wenn die honette, auf das von der rothen Demokratie so oft angerufene Volk Frankreichs sich stützende
Majorität sich rächen wollte! aber nein, sie ist immer großmüthig und wird es auch jetzt sein wo die Wahl des Präsidenten so gewaltig zur Beschämung der Ordnungsfeinde beitragen wird.“ Es
scheint gleichwohl, in Montpellier, wo der henrianische Abbe Genoude wieder durch fiel und der radikale Advokat Laissac trotz Annullirung der Wahl wieder gewählt wurde, halten die Philippisten zu den
Republikanern „aus Angst vor der Rache der unerbittlichen Legitimisten, die im Fall wenn Henri käme, ohne Bedenken den weißen Schrecken von 95 und 1815 wiederholen würden, d. h. mit den Sonnen-
und Jesusbataillonen die Demokraten in Masse niederhauen, mit den abgehackten Köpfen Kegel spielen, die Guillotine durch die Städte fahren,“ wie die „Liberté“ in Lyon sehr
treffend erinnert. „Es kommt zum Bruch (sagt „Le Republikain alsacien“) und Cavaignac wird, um nicht unterzugehen und obendrein seinen Namen aus dem Tempel des Ruhms ausgelöscht
zu sehen, sich der Partei in die Arme werfen müssen, die er jüngst so hart bekriegte. Sein Nachgeben half weder ihm noch der guten Sache; die Gegner derselben wurden dadurch nur immer kecker und
ziehen die weiße Standarte in Journalen auf, die noch vor wenig Wochen mit der Trikolore kokettirten.“
Mit unendlichem Herzklopfen blickt die junge Demokratie über den Rhein, jede Bewegung der Deutschen beobachtend; Struve's Schilderhebung, die Berliner, Kölner, Wiener Ereignisse werden mit
namenlosem Interesse besprochen. So ruft der „Republicain de l'Allier“ (ein Blatt in Moulins): „Stände neben dem strauchelnden, fast in Alterschwäche ‒ Gott verzeih
uns diesen Ausdruck, der unserm patriotischen Munde so weh thut, aber nur zu wahr ist! ‒ versinkenden Frankreich, nicht das urkräftig aufstrebende demokratische Deutschland, so wäre Europa
schlimm berathen. Beide Demokratieeu müssen sich verbrüdern.“ La Reforme theilt die Protestation des hiesigen deutschen Vereins gegen die insolenten Angriffe des „Journal des
Debats“ mit, welches, wie „Le Corsaire“ und „La Presse“ behauptete: die kölner „honnetten Klubisten“ welche die rothe Republik proklamirt, wären doch
gewiß bereit, Tags darauf Elsas und Lothringen von Frankreich abzureißen. Es versteht sich, daß die Sophisten des ehrenwerthen Bertin'schen Hofblatts, selbst nicht im allermindesten an diese
Beschuldigung glauben, ebensowenig wie wenn sie gestern schrieben: „Jelachich, das ist der gewaltige Krieger, der siegesfreudig (!) das solide Recht der Ordnung geltend zu machen versteht, der
des Kaisers von Demagogen bedrohte Krone selbst wider Willen des Kaisers retten wird, ist von den Ruhestörern auf's ekelhafteste verleumdet. In der That, zwischen den rothen aber
kraftsprudelnden Barbaren des Ostens und den mit Literatur und Civilisation prahlenden Ordnungsrichtern des Westens muß endlich ein mittleres, Gleichgewicht erhaltendes, Element auftreten und wir
erblicken den Beginn dazu bereits freudig in dem gemäßigten, energischen, zusammenpressenden Verfahren, das die frankfurter, berliner und sonstige Parlamentsmajoritäten Deutschlands annehmen. Nur auf
diesem Wege kann für unsere überrheinischen Nachbaren Heil erblühen. Man sieht, in Frankfurt weiß die Majorität kräftig zu sein; der greise Jahn hat gerufen: die rothe Republik ist eine Pest und wird
vergehen wie die Pest! Jahn hat ein hohes, herrliches Wort gesprochen.“ (Der alte ungewaschene Bettler wird sich freuen, solch Lob passirt ihm selten!) „Und daß die deutsche
Mäßigkeitspartei, die Ordnung und Civilisation will nur dreist einherschreite! Die Gleichgesinnten aller civilisirten Länder werden mit ihr sein! “ ‒ „La Presse“ heult:
„Die 30,000 terroristischen Proletarier Berlin's wollen, scheint's, das deutsche Parlament in ihre Mauern verlegen, aber schon sind von Johann Befehle zum Arretiren der gar zu
vorwitzigen Radikalen gegeben, die etwa dorthin pilgern möchten. Die Ordnung wird siegen, aber der Kampf wird leider der deutschen Mäßigkeitspartei Blut kosten. Unsere wärmsten Wünsche mit
ihr!“ Herr Alexander Weill wird sehr warm bei Verfertigung dieser Artikelchen. ‒ Daß die Strasburger Polizei sechs Frankfurter Flüchtlinge, die ihr die deutsche Polizei als Mörder des
„Märtyrer“ Felix Lychnowski (des „edelsten, vollendetsten deutschen Ritters,“ sagt der Constitutionnel) ausgeliefert, läugnet der Moniteur; ich weiß aber daß, sie sie als
„Vagabonden“ einsteckte; ein neues Auskunftmittel mit „mißliebigen“ Refugiés ganz sachte fertig zu werden. Strasburg ist übrigens wie Thann, Mühlhausen u. s. w. sehr
demokratisch und macht der pariser Reaktion viel Sorge.
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@facs | 0599 |
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17
] Paris, 15. Oktbr.
Cavaignac's neuester wahnwitziger Handstreich, drei erzroyalistische, im höchsten Grade volksfeindliche Minister zu erwählen, ruft eine ehrenwerthe Protestation des Dr. med. Ducour,
Polizeipräfekten (aus der Partei des National) hervor: „Bürgerpräsident, Sie stellen ein Ministerium auf, welches in meinen Augen die leibhaftige Gegenrevolution ist; die Republik, nach
achtmonatlichem Bestehen, wird also jetzt von Leuten gelenkt werden, die alle ihre Zeit, Intelligenz und Kraft anwandten, das Entstehen derselben zu hindern. In Betracht der die Freiheit in Frankreich
bedrohenden Gefahren, während sie in Deutschland gerade Triumphe feiert, will ich abermals meinen Platz unter den Königsfeinden einnehmen; ich werde das Königthum in allen seinen Gestaltungen
bekämpfen. Jetzt müssen alle Soldaten der Demokratie auf ihren Posten stehen; der meinige ist aber nicht mehr dort, wo meine politische Sympathie aufhört. Gruß und Brüderschaft.“ Ducoux ist
Volksrepräsentant; er überreichte diese Zeilen nebst Abschied eigenhändig dem General Cavaignac. Letzterer ist fortan als ein „abgethaner Mann“ zu betrachten; das Arbeitervolk haßte ihn
seit der Junikanonade, jetzt verachtet es ihn, und wird ihn vielleicht zornig von sich stoßen, wenn er, und zwar bald, sich in die Arme der Blouseninsurgenten zu werfen gezwungen sehen wird. Das
Urtheil der ächten, der Sozialdemokraten, ist: „Cavaignac ist ein ehrlicher bornirter Bourgeoisrepublikaner, der durch den unehrlichen Marrast und den ehrlosen Thiers völlig gegängelt wird;
folglich muß er fallen und verenden. Er will jetzt den Belagerungszustand aufheben, wofür das kindische Siecle, dessen Redakteur ins Ministerium schlüpft, ihm lobhudelt; aber der arme General versöhnt
damit weder die Volksfreunde, die Rothen, noch beschwichtigt er die Volksfeinde, die Weißen; man sehe nur zum Plaisir die Leitartikel von La Presse, wo ein talent- und sündenreicher Skribler, E.
Girardin, Cavaignac's Vater, den energischen Konventsmann von 1793, als Bluthund hinstellt und fragt, ob der Sohn nicht in dieselbe Krankheit verfallen könne? Man mag sich das zähnefletschende
Krampfgeheul denken, womit Union monarchique, Ere nouvelle, Constitutionnel die von Ihrer Zeitung schon veröffentlichten Briefe des alten Cavaignac begleiten. Das „Bordeauxer Memorial,“
das Louis Philipp einen Märtyrerkönig nennt, meint dem „Sohn des konventionellen Blutsäufers“ dadurch in den Augen des Girondevolks einen unheilvollen Stoß zu versetzen, daß es schwört:
er sei melancholisch in Folge einer ihm durch eine Ballettänzerin beigebrachten Krankheit; dies ist jedenfalls maßgebend für die Bildungsstufe der Bordeleser Kaufmannsgilde, die bekanntlich dem
Witzblatt Charivari im Frühjahr aufs Wort glaubte, in Paris bestehe ein Regiment bewaffneter Weiber, welche mit einer „Dampfguillotine“ in die widerspenstigen Provinzen geschickt werden
würden. Außer Graf Molé hat Bordeaux den Jesuitenzögling Advokat Denjoy in die Kammer gewählt, der von seiner Bande eine Goldmedaille für die Offenherzigkeit bekommt, mit der er das Guillotinesystem
als ultima ratio revolutionum auf der Rednerbühne am 22. Sept. proklamirte. Die Leidenschaften im Süden sind sehr erhitzt, in Toulouse schreit man oft in den Straßen seit dem großen Demokratenbankett:
„Hoch lebe die Guillotine!“ Die Bankette mehren sich, es geht wie im letzten Jahre Louis Philipps; diesmal dürfte es den Ministern wie dem Latour ergehen. Bastide, Lamoriciere sind
bereits nicht minder verabscheuungswerth als Duchatel und Konsorten. Bastide, vom National, der „katholische Jakobiner“ ehedem genannt, ist so zahm und blödsinnig geworden, daß, wenn er
Cigarren rauchend, die Hand in der Tasche, mit stupidem Lächeln durch die Säle der Marrast'schen Soiree schlendert, Arm in Arm mit seinem Sekretär Hetzel (ein deutscher Buchhändler), er
allerdings den Beinamen vieille vaché verdient, womit man ihn beehrt hat. Lamoriciere wird täglich unverschämter und spricht schnurrbartdrehend von Massakriren der Blousenkanaille, von
„soldatischer Ehre“ u. s. w., während seine Gemahlin den Ball eröffnet. Trotz alle den Heldenthaten dieser großen Republikaner haben die Kammerbureaux schon wieder über runde neun
Million zu diskutiren, die unter die Hungerleider des Seinedepartements sofort vertheilt werden sollen; in Paris ist der siebente Mensch derzeit unterstützungsbedürftig. Während Marrast mit seinem
„interessanten Griechengesicht“ (wie La Republique mit Anspielung auf die Bedeutung des Wortes Grec, Beutelschneider und Falschspieler sagt) die Honneurs macht, transportirt man immer
neue Ladungen Junimänner und Junifrauen; im Ganzen sind nach polizeilicher Angabe 3423 bisher weggebracht, worunter 460 Erdarbeiter, Tagelöhner; 217 Landleute; 150 Musiker, Maler; 122 Tapezirer,
Weber; 111 Professionslose (National de L'Quest ruft: „Schon allein wegen dieses einzigen monstruösen Faktums, daß 111 professionslose junge starke Männer in der Februarrepublik
vorhanden, wäre die ganze Kammer, das ganze Ministerium, das ganze Provisorium von Menschheitsrechtswegen zu unerbittlichster Strafe zu ziehen); 51 Thürwächter, Bediente; 33 Gelehrte, endlich 7
Rentiers; über letzteres ringt der Constitutionnel die Hände: „Ja, es wird immer klarer, daß der besitzende Stand, er, dem Gott die Aufgabe verlieh, das Staatsgleichgewicht zu erhalten, von der
wahnwitzigen Geistespest, gegen die Hr. Thiers mit so großem Erfolg schrieb, angesteckt worden sind; es ist leider wahr, daß auf dem Bankett zu Toulouse, wo Wände und Möbeln roth behängt waren, und
auf dem zu Paris in den Champs Elysées, Nationalgardenoffiziere sich nicht entblödeten in Uniform Theil zu nehmen;“ was ich bezeugen kann; ich sprach zwei Hauptleute, die von dem des 17.
Oktober kamen; „wir sind hingegangen, um die schreckliche Schmach, die auf unserm Kleide seit Juni klebt, in Gegenwart von Blousen abzuwaschen,“ sagte mir der eine. „Marrast est
une Canaille“ setzte er wüthend hinzu; er sei letzten Donnerstag nebst sechs Offizieren seiner Legion zum Abendzirkel eingeladen gewesen, an der Thüre des Palastes hörten sie indeß, daß ein
nicht eingeladener einfacher Soldat der Bürgerwehr von den Marrast'schen Huissiers hinweggestoßen worden, und der gastgebende „Amphitryon“ dem deshalb mit einem Handbillet des
Gemißhandelten hineingeschickten Kammerdiener geantwortet: „sagt, ihr hättet mich nicht sprechen können;“ die Offiziere kehrten auf der Stelle um und publiziren heute den Spaß. ‒
Alle Wochen ist jetzt ein Sozialdemokratenbankett zu billigem Preise; jedesmal schließt der Toast „auf das Wohl der gefangenen Brüder,“ was, wie Corsaire und Constitutionel hoffen, dem
Staatsprokurator es möglich machen wird, auf „Rebellion und Verrath an der Nation“ zu klagen. Im Klub de la Redoute bedeckte sich eine feurige Adresse an die Wiener mit vielen Namen.
Bonnard präsidirte. L'Union monarchique ermahnt die „gesittete, religiöse“ französische Nation gegen die gottlosen deutschen Menschenfresser, Mörder Lichnowsky's,
Auerswalds und des edlen Latour auf ihrer Hut zu sein, und im Nothfalle „sich zum heiligsten Kriege der Civilisation Galliens gegen die Barbarei und den Atheismus Germaniens“ zu
rüsten.
Das Blatt von Nouen ruft: „Seid auf dem Sprunge, Männer der Tugend und Ordnung, ohne inniges Zusammenhalten
[0600]
diesseit wie jenseit des Rheins seid ihr verloren; die Ordnungsfeinde Deutschlands verbrüdern sich merkwürdig, trotz aller Nationalvorurtheile, schnell mit den französischen; gegen diese
höllische Liga beider Demokratieen laßt uns ein gesegnetes, moralisches Bündniß der Ordnungsfreunde beider Länder ausrichten“ u. s. w. Daß es dahin kommt, ist sonnenklar; es wäre gut wenn ein
Kongreß der deutschen und französischen Demokraten möglich bald stattfände, um dem ihrer Feinde zuvorzueilen. Denn ob zwar Thiers als Don Quixote und Duvergier als Sancho karrikirt aushängen, so ist
nicht zu verkennen, daß sie seit vier Monaten täglich an Macht zunehmen, und durch die leider wahrscheinliche Wahl des verrückten Louis Bonaparte zum Präsidenten noch mehr zunehmen dürfte. Das ist in
ihren langweiligen Schandjournalen ein Karessiren, ein Tänzeln, ein Liebäugeln, ein Nicken nach der Frankfurter, Berliner und Wiener Reaktionspartei! vor dem Radetzky ziehen diese feigen ehrlosen
Wichte den Hut ab und dem Jellachich jauchzen sie Bravo; das Journal des Debats vom 12. Okt. predigt: „Struve war eine verlorene Schildwache, ein verlorner Sohn, so zu sagen jenes deutschen
Radikalismus, den wir beim letzten Frankfurter Attentat in Tendenzen und Manövern recht klar kennen lernten; jener Partei, die ganz Deutschland zu überziehen trachtet und gegen die der greise Jahn,
der Vater der ehemaligen Demokraten, der Apostel der Gymnastik und der Deutschthümelei, neulich seinen herben Fluch schleuderte. Vergleicht man die jetzigen Demagogen mit den Wiederherstellern der
Ordnung, ei so dürften gerade die erstern dabei den Kürzern ziehen. Diese Herren Radikalen hockten bis Februar im Literaten- und Privatdozentenstübchen, trieben sich in Abstracktheiten sonder Maaß
umher, sagten sich sogar los von Hegel ihrem Meister und idealisirten aufs unerhörteste: ‒ da mit einem Ruck mußten sie Tribunen werden, und sie fingen damit an, daß sie die konstitutionellen
Erfahrnisse der maßhaltenden, gesetzlichen Fortschrittspartei hohnlachend von sich stießen, ja ihre eigenen Theorieen mit der sozialistischen Lärmposaune als sogenannte Herolde deutscher Republik, ins
Land hineinbliesen. Ach, leider (hier wird das ehrenwerthe Louis Philipp'sche Blatt des am 24. Februar vom Siegervolk aus Dumas Großherzigkeit verschonten Herrn Armand Bertin furieusement
sentimental) leider, ach! fanden sie in Deutschland ein Echo; nimmer würden sie es bei uns finden. Jene aufrührerischen Schöngeister zielten nur gar zu gut aufs Herz des Bauern, welches zu verwunden
und zu vergiften sie wirklich einige Chance hatten. Die Feudalzeit ist noch nicht weit genug zurück, als daß sie nicht Wunden hinter sich gelassen, die solche Literaten-Rebellen pfiffig ausbeuten.
Daher die schaurigen Sensenmänner, die den Fürsten Lychnowsky zerhackten. Es kann durch die nobeln Bemühungen dieser Herren zum Bauernkrieg kommen, aber in Ländern, wo der französische Code besteht,
ist diese Gefahr null. Struve und seine Leute waren zudem gar kleinlich, intriguenhaft, literatenhaft, wie ihre aufgefangenen Briefschaften ausweisen; ganz anders dagegen tritt ein Jellachich einher,
dieser wackere Krieger.“ (Folgt der Panegyrikus des croatischen Banditenkapitano). „Diese slawischen, eben erst zum modernen politischen Dasein erweckten Völkerschaften scheeren sich
nicht um Reaktion oder Progreß, es handelt sich für sie um Nationalgröße. Deutschlands ächte Politiker zittern, sie begreifen, vor dem hereinbrechenden Slawismus voll Energie und Wildheit kann nicht
der demagogische Schwarm schützen. Und darum freuen wir uns, daß unter dem Doppeldruck von innen und außen endlich sich kluge, feste, wuchtige Majoritäten in Berlin und anderswo bilden.“
‒ Der „Courrier du bas Rhin“ attakirt desgleichen die deutsche Demokratie aufs unverschämteste; heulend gesteht er die Gefahr ein, die Frankreich von Nachbaren drohe, welche ganz
blos von aller Moral, allen Tugendbegriffen, sich nicht einmal, wie die Franzosen nach dem Morde General Brea's, (der notabene das Volk verhöhnt hatte) nach Lychnowski's Tode rein zu
waschen bemühen, sondern dazu lachen; was daher rührt, daß die deutschen Fürsten das Volk so lange in Dummheit und Stumpfheit ließen. Da ahnt die rothe Republik, verbunden mit einem Bauernkrieg,
wirklich Aussichten.“ Schließt eine Lobhubelei aller Heuler im Parlament. Der „Republicaiu alfacien“ erwidert bereits dem Reaktionsblättchen gebührend und ruft: „weiß es
denn nicht, daß die französischen Bauern alle nicht lesen und schreiben können? Die Deutschen können's und lassen deshalb sich weniger leicht betrügen. Wo ist mehr Volksbildung als in
Deutschland? Frankreichs Bauern sind rückschreitender als je; wer mit ihnen renommirt, ist in Gefahr sich und Frankreich zu blamiren. Es geht unter, wenn der Bauer so verbleibt.“
@type | jAnnouncements |
@facs | 0600 |
Neue Rheinische Zeitung.
Es ist uns von vielen Seiten mitgetheilt worden, daß unsere auswärtigen Leser in dem Glauben sich befinden, als brauchten sie beim Beginn des neuen Quartals die Zeitung bei der Post-Anstalt nicht
wieder neuerdings zu bestellen, sondern sie würden ihnen, wenn sie nicht ausdrücklich abbestellt werden, von Neuem wieder zugesandt. ‒ Die Post-Anstalten verlangen Pränumeration und neue
Bestellung vor oder beim Beginn eines jeden Quartals.
Dies zur Kenntniß unserer Abonennten und Leser.
Köln, den 17. Oktober 1848.
Die Geranten der „Neuen Rheinischen Zeitung.“
Römischer Circus von Alexandro Guerra.
Heute Mittwoch den 18. Oktober 1848
Große Vorstellung mit ganz neu vorkommenden Scenen und Reitstücken, Zum Beschluß großes Damen-Mannöver im griechischen Kostüme, geritten von 9 Damen, kommandirt von Madame Elise Guerra.
Bei den erstfolgenden günstigen Tagen findet das Wettrennen auf dem Exerzierplatze neben der Kavalleriekaserne in Deutz Statt.
Zugleich vorletzte Woche!
Zum Cirkus des Herrn Alexandro Guerra in der Bauchischen Reitbahn, Lungengasse Nro. 15, ergebenste Einladung.
Alexandro Guerra.
Civilstand der Stadt Köln.
Vom 11. Okt. 1848.
Geburten.
Agnes Maria, T. v. Eberh. Brinkwerth, Tagl., Biberstr. ‒ Anna Gertr., T. v. Franz Anton Riessen, Schlosserm., Maximinstr. ‒ Wilh., S. v. Joh. Eman. van der Weyden, Schreinerges.,
Wilhelmstr. ‒ Heinr., S. v. Gottl. Daniel Albrecht, Schuster, Severinstr. ‒ Carol., T. v. Thom. Bierkötter, Bäcker, Mauritiussteinw.
Joh., S. v. Franz Mönch, Arresthaus-Aufseher, Bayenthurm. ‒ Maria Gertr. Christ., T. v. Heinr. Jos. Weiser, Schreinerm, Johannstr. ‒ Agnes, T. v. Jos. Corsten, Faßb., Follerstr.
‒ Christina, T. v. Peter Röttgen, Anstr., Spulmannsg. ‒ Thecla, T. v. Bened. Scholl, Maschinist, Glockenring. ‒ Elisab., T. v. Conr. Sauer, Treppenbauer, Kämmerg. ‒ Anna
Maria, T. v. Engelb. Rosenbaum, Steinh., Weißbütteng ‒ Carol., T. v. Friedr. Denz, Spezereih, kl. Brinkg. ‒ Elise Julie, T. v. Frdr. Wilh. Küster, Handlungscommis, Plankg. ‒
Nicol., S. v. Jos. Roß, Steinmetz, Engg. ‒ Karl Jos., S. v. Jacob Pütz, ohne Gew., Lungeng. ‒ Anna Cathar. Hub. Helena, T. v. Paul Lemper, Metzger, Thurnm. ‒ Thom., S. v. Joh.
Graß, Dachdeckerges., kl. Griechenm. ‒ Eva, T. v. Jacob Jansen, Schreinerg., gr. Griechenm. ‒ Joh. Cathar, T. v. Win. Jansen, Schreinerm., Tempelstr.
Sterbefälle.
Sus. Amalia Priester, Wittwe Bauer, 32 J. alt, Löwengasse. ‒ Aug. Obladen, 3 J. alt, Streitzeugg. ‒ Elisab. Simon, 4 W. alt, Schafenstr. ‒ Jacob Michels, Tagl., 56 J. alt,
verheir., gr. Griechenm. ‒ Nicol. Berz, Kanonier, 21 J. alt, unverh., Garn-Lazar. ‒ Christina Hecker, Wittwe Meurer, 54 J, alt, Achterstr. ‒ Heinr. Thomas, 6 T. alt, Entenpf.
Elisab. Siecke, 1 J. 2 M. alt, Streitzeugg. ‒ Cath. Wirtz, Wittwe Tillmann, 70 J. alt, Mühleng. ‒ Ther. Beier, 18 J. alt, unverh., Streitzeugg. ‒ Veron. Euler, 59 J. alt,
unverh., Sterneng. ‒ Joh. Georg Lott, Lanzleidiener am Appellhof, 56 J alt, verheir., Weberberstraße. ‒ Peter Welling, 7 W. alt, gr. Griechenm ‒ Wilhelm. Hollmann, 78 J. alt,
unverh., Minoritensp.
Anzeigen.
Schifffahrts-Anzeige.
Köln, 17. Oktober 1848.
Angekommen: Joh. Budberg von Duisburg. C. Brögmann von Rotterdam mit 2656 Ctr. C. Hegewein vom Obermein. Joh. Acker von Mainz. Conr. Nees vom Niedermain. Kapt. Hempel von Rotterdam mit 4159
Ctr. Kapt. Hollemberg von Rotterdam mit 4462 Ctr. Kapt. Scholwerth von Amsterdam mit 4288 Ctr.
Abgefahren: L. Tillmann nach Koblenz. A. Castor nach der Saar.
In Ladung: Nach Ruhrort bis Emmerich W. Pesch. Nach Düsseldorf bis Mülheim an der Ruhr Joh. Budberg. Nach Andernach und Neuwied A. Boecking und M. Wiebel. Nach Koblenz, der Mosel u. Saar.
Jac. Tillmann. Nach der Mosel, nach Trier und der Saar Fr. Deiß. Nach Mainz A. Dorweiler. Nach dem Niedermain C. Nees. Nach dem Mittel- und Obermain B. Kraus. Nach Worms und Mannheim Wilh. Linz. Nach
Heilbronn G. A. Klee. Nach Kannstadt und Stuttgart L. Hermann. Nach Bingen H. Leineweber.
Ferner nach Rotterdam Kapt. Breyncks Köln Nr. 15.
Ferner nach Amsterdam Kapt. Koenen Köln Nr. 2.
Rheinhöhe am 17. Okt. 5′ 10″.
Mosel-Dampfschifffahrt.
Täglicher Dienst.
Abfahrt von Trier Morgens um 5 Uhr.
Abfahrt von Koblenz (nach Ankunft der Nachtboote von Köln) Morgens um 6 Uhr.
Trier, den 24. August 1848.
Die Direktion.
Antwort auf eine Interpellation der Neuen Rheinischen Zeitung.
Da die Neue Rheinische Zeitung auf ihre Interpellation des „bandwurmartig sich hinziehenden“ Prozesses wegen Gottschalk und Anneke (und Esser) von der betreffenden hohen
Behörde wohl schwerlich eine Antwort erhalten wird, will der Unterzeichnete ihr diese Antwort geben.
Daß die Angeklagten schuldig sind, wissen alle „gutgesinnten“ Bürger Kölns, alle denen die Erhaltung der Ordnung und Ruhe am Herzen liegt, alle die sich unter der Herrschaft des
Belagerungszustandes so wohl, wie nie vorher, befanden; alle, die in der bekannten rühmlichen Adresse ihr innerstes Herz ausgeschüttet, den Kommandanten und Soldaten ihre inbrünstige Liebe und
Verehrung und jenen wühlerischen Abgeordneten in Berlin ihre tiefste Entrüstung ausgedrückt haben. Läßt sich den Angeklagten auch keine verbrecherische That nachweisen, ihre Gesinnungen machen sie
schuldig, ihre rothen republikanischen Gesinnungen, von denen jeder Gutgesinnte weiß, daß sie auf Mord, Raub und Plünderung gerichtet sind. ‒ Strafe verdienen sie also unzweifelhaft. Nun
wär' es aber möglich, daß sie in dem Prozeß sich durchschmuggelten und straflos ausgingen. Darum hat der Himmel es so gefügt, daß sie für ihre, wenn auch nur beabsichtigten Missethaten
wenigstens eine kleine Vergeltung durch die Untersuchungshaft empfangen. Der Himmel hat es gefügt, daß unter den Händen der Richter, die Untersuchung mehr und mehr sich ausgesponnen und einen
gesegneten Umfang gewonnen hat. Der Himmel hat es gefügt, daß sein Vertreter auf Erden, die Herren Beamten immer so vollauf zu thun hatten, daß sie um diese Untersuchung sich nicht nunausgesetzt
kümmern, daß sie insbesondere die von Menschenhänden errichteten Satzungen, über Innehaltung gewisser Zeiträume nicht immer beobachten konnten. So ist es denn durch die Fügung des Himmels gekommen,
daß, wenngleich die Voruntersuchung 10 oder 12 Tage vor Eröffnung der jetzigen Assisen zum Endabschluß gediehen war, ‒ der Prozeß doch nicht mehr vor dieser Assise geführt werden konnte,
sondern bis zum nächsten Jahre aufgehoben werden muß.
Jeder Gutgesinnte wird also einsehen, daß die Angeklagten wegen ihrer verderblichen Gesinnungen durch himmlische Fügung zu einer halbjährigen oder etwa noch längern Untersuchungshaft
verurtheilt sind.
Ein „Gutgesinnter.“
F. W. BAU AUF UNS WIR FOLGEN DIR.
Do müßt ehr Uech drob halde!
Herrn Stupp sagen wir für seine Aufforderung in der gestr. Kölner Zeitung, wodurch er wieder einmal den Weg der Oeffentlichkeit betreten, unsern herzlichen Dank.
Schreite so fort wackerer Kämpfer und rechne darauf, daß wir Dir, wie bisher, stets zur Seite sein werden.
Köln, den 17. Oktober 1848.
Schmitz, Becker, Schäfer.
Biographie.
- 1. Nichts.
- 2. Karnevals-Präsident.
- 3. Gemeinderath und Volksmann (?)
- 4. Erster Klüngler im Stadtrath.
- 5. Bürgerwehr-Kommandant.
- 6. Regierungs-Präsident.
- 7. Bürgerwehr-Kommandant ohne Vertrauen.
- 8. Ausrangirter Bürgerwehr-Kommandant.
- 9. Todtengräber der Bürgerwehr- und Mitarbeiter am Belagerungszustand von Köln.
- 10. Angedankter Regierungs-Präsident. Oeffentlicher Lebensmüder.
-
11. Volksvertreter.
- 12. - - - - ? ? - - - - +
Wird Rentrnr Herr v. Wittgenstein, der erklärt hat, sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen zu wollen, die auf ihn gefallene Wahl eines Abgeordneten für Köln annehmen? ?
?
Heinr. v. Wittgenstein, heute zum Abgeordneten der Stadt Köln erwählt, wird das Vergnügen genießen, wenn er die auf ihn gefallene Wahl annimmt, ein Mißtrauensvotum von der Mehrzahl der Urwähler mit
nach Berlin zu nehmen.
Ist Hr. Graeff nicht einstimmig zum Abgeordneten für Berlin gewählt worden? Nicht?
Ist nicht nach den gesetzlichen Bessimmungen die Wahl eines Abgeordneten ungültig, wenn Männer, die nicht Wahlmänner, bei der Wahl zugegen sind? Beweis, daß dieses der Fall gewesen, wird
erboten.
Lieber Heinrich wir haben eine große Anhänglichkeit an Dich, halte Dich dessen versichert. Wir stehen stets hinter Dir.
W. U. R. G. C. R.
Beiträge zur Heuler-Adresse.
Handwerkern wurde versprochen, ihnen Kundschaften zuzuführen, oder gedroht, nicht mehr bei ihnen arbeiten zu lassen. ‒ Hr. Saddé, der sich durch Sammeln von Unterschriften gewiß den
Heulorden 4ter Klasse verdient, würde hierüber gute Auskunft geben können.
An die Redaktion der Kölner Zeitung.
Was man von der Unpartheilichkeit des Kölner Zeitungsblattes zu halten hat, (deren man sich mir gegenüber rühmte) beweist mein gestriges Inserat, welches trotz fester Zusicherung nicht publizirt
ist. ‒ Dieses Blatt nimmt also vor dem Wahltage in der Abwesenheit des Hrn. Justiz-Raths Kyll nicht nur Schmähartikel ohne Namensunterschrift gegen denselben auf, während es Schutzworte
willkührlich fort läßt.
Köln, 17. Oktober 1848.
Gustav Meyer.
Bekanntmachung.
Da vom 5. Hujus ab ‒ als dem Beginn des Winterfahrplanes der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft ‒ der zweite Deutz-Düsseldorfer Dampfwagenzug eingezogen wird, so wird die
Köln-Crefelder Personenpost von diesem Tage ab statt bisher Abends um 7 Uhr schon Abends um 5 Uhr, zum Anschluß
in Crefeld
- a. an die Düsseldorf-Clever Personenpost zur Beförderung der Correspondenz- und Fahrpostgegenstände nach Hüls, Aldekerk, Neukerk, Geldern, Issum, Grünthal, Wesel, Goch, Kevelaer, Weeze, Cleve;
-
b. an den Cours nach Breyell mit der Currespondenz nach Kempen, Oedt, Strahlen, Wachtendonk, Gressrath, Cobbernick, Breyell, Kaldenkirchen, Venlo;
-
c. an den Cours nach Odenkirchen mit der Correspondenz etc. nach St. Thönis, Süchteln, Viersen und Dülken;
-
d. an den Cours nach Aachen mit der Correspondenz nach Neersen, ferner
-
e. nach Willich, Linn und Uerdingen; in Neuß:
-
a. an die Personenpost von Düsseldorf über Corrschenbroich nach Gladbach und Rheydt;
-
b. von Düsseldorf nach Aachen mit der Correspondenz nach Gladbach, Rheydt, Odenkirchen, Wickerath, Giesenkirchen, Glehn, Juchen, Fürth, Garzweiler etc.
abgefertigt, wovon das Publikum hierdurch in
Kenntniß gesetzt wird.
Köln, den 14. Oktober 1848.
Der Ober-Postdirektor, Rehfeldt.
Gerichtlicher Verkauf.
Am Donnerstag, den 19. Oktober 1848, Vormittags 10 Uhr, wird der Unterzeichnete auf dem Waidmarkte zu Köln: eine Kuh, circa tausend Pfund Nieren-Kartoffeln und verschiedenes kupfernes Küchengeräthe
etc. etc. dem Meist- und Letztbietenden gegen gleich baare Zahlung öffentlich verkaufen.
Der Gerichtsvollzieher, Gassen.
Weinmost.
Von heute an verzapfe ich Weinmost die Flasche zu 5 Sgr. Salzgasse Nr. 10.
Neuer Wein.
1848r Rheinbreitbacher Bleichart à 6 Sgr. per Quart.
Brückenstraße Nro. 7.
Einige aber nur ganz erfahrene Kleidermacher-Gehülfen finden Arbeit bei J. H. Schulz, Schildergasse 14.
Ein fehlerfreies Pianoforte bester Qualität, wird verziehungshalber zu dem festen Preise von 80 Thlr. verkauft. Die Exped. Sagt wo.
Herrenkleider werden gewaschen und reparirt, Herzogstraße Nr. 11.
Ein besonders gut empfohlener braver Handlungsgehülfe der in verschiedenen Geschäftszweigen gearbeitet hat, wünscht recht bald eine Anstellung und sieht nicht so sehr auf hohes Salair als auf eine
freundliche Behandlung. Die Expedition sagt welcher.
Stiefel und Schuhleisten nach den neuesten pariser Facons, werden angefertigt und verkauft bei F. Faßbinder, auf der Uhr Nr. 10.
Berlin: Mehrere Pharmaceuten und Handlungs-Commis können sehr gute und dauernde, mit hohem Gehalt verbundene Stellen in Apotheken ‒ Droguerien ‒ Fabrik ‒
Komptoir ‒ Material-Manufaktur- ‒ Schnitt- und sonstigen Geschäften erhalten und wollen sich baldigst wenden an die Agentur des Apothekers Schulz in Berlin, Alexanderstraße Nro.
63.
Futter gegen Ratten, Mäuse, Wanzen und Schaben Thurnmarkt Nr. 39.
Theater-Anzeige.
Mittwoch, den 18. Oktober, 17 Vorst. u. 1 Ab.
Die Nachtwandlerin, Oper in 3 Akten von Bellini.
Donnerstag, den 19. Oktober:
Gastdarstellung des Hrn. und Fr. Martin.
Des Malers Traumbild,
Ballet in 1 Akt und 2 Tableaus vom Balletmeister Herrn Martin.
Dazu:
Der Heirathsantrag auf Helgoland, Lustspiel in 2 Akten von Schneider.