Französische Republik.
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Paris, 12. Okt.
Eine Verordnung des Unterrichtsministers stellt das Studium der Geschichte der Revolutionen Europas und insbesondere Frankreichs, seit 1789, auf das Programm sämmtlicher Schüler der Republik, von
wo es bisher ausgeschlossen war. Mit Eröffnung des so eben beginnenden Schuljahrs ist damit der Anfang zu machen.
‒ So eben versammelt sich der Ministerrath, in welchem die aus Wien eingetroffenen Depeschen den Hauptgegenstand der Berathung bilden sollen. Sind wir gut unterrichtet, so sei das Kabinet
endlich entschlossen, jetzt den Marschall Radetzki etwas die Zähne zu zeigen.
Den zweiten Gegenstand wird der gestern Abend gefaßte Beschluß der Nationalversammlung bilden, wonach der Durriensche Vorschlag: „Dem Exekutiv-Chef das Recht der Journalsuspension selbst
während des Belagerungszustandes nicht länger zuzugestehen,“ nur mit einem relativen Mehr von vier Stimmen (345 gegen 336) fallen gelassen wurde.
Dieses Votum scheint selbst dem National so bedenklich, daß er sagt: „Eine solche Ziffer kann für keinen Sieg gelten; sie enthält einen Fingerzeig für die Regierung, dem sie Berücksichtigung
schuldig ist.“
Somit werden wir wohl heute oder morgen schon die Journalsuspension aufhören sehen.
‒ Die angefangenen Stadt- und Privatbauten sehen sich von Neuem unterbrochen. Sämmtliche Tischlergesellen haben, da sie sich mit den Meistern wegen des Lohnes nicht einigen konnten, ihre
Arbeiten eingestellt.
‒ Der Arbeitsausschuß der Nationalversammlung prüft jetzt ein Gesetz über Aufnahme und Behandlung von Lehrlingen die in großen Städten einen Gegenstand ganz besonderer Ausbeutung bildeten.
In Zukunft soll kein Meister mehr Lehrlinge als Gesellen beschäftigen und alle körperliche Züchtigungen fallen weg.
‒ Die Partei Ledru Rollins (Andere sagen auch die Proudhonsche und kommunistische Partei) bereitet in aller Stille ein Manifest vor, das bereits tausende von Unterschriften trage und mit
welchem sie plötzlich vor die Nationalversammlung treten wolle.
‒ Der National erhielt eine Post aus Konstantinopel vom 25. Sept., die ihm die Stimmung der Donaufürstenthümer oder Russen feindlich und Türken freundlich schildert.
‒ Von Lamartine kündigt das „Bien public“ zwei interessante Broschüren als Lockspeise für seine Abonnenten an: 1) Briefe über das Eigenthum. 2) Geschichte der Revolution von
1848. (24. Febr. bis zum Sturz der Exekutivkommission am 22. Juni) und der Gründung der Republik.
‒ Nationalversammlung Sitzung vom 12. Oktober. Anfang 12 1/2 Uhr. Präsident Marrast. Das Protokoll wird vorgelesen. In dem Vorsaale spricht man vom Ministerwechsel.
Crespel de la Touche: Gestern Abend als Präsident Bixio das Resultat der Abstimmung über Verwerfung des Durrien'schen Antrages bekannt machte, erklärte Justizminister Marie, daß
morgen (also heute) früh das Journalunterdruckungsrecht aufgehoben werden solle. Diese Erklärung wurde von allen in der Nähe der Tribüne stehenden Gliedern deutlich gehört und doch steht sie nicht im
Protokolle. Ich verlange, daß es berichtigt werde.
Präsident Marrast: Man kann nur das in's Protokoll aufnehmen, was auf der Tribüne gesprochen und vom Bureau gehört wird.
Das Protokoll wird berichtigt.
Präsident Marrast: Bei dieser Gelegenheit rüge ich wiederholt, daß Glieder doppelte Stimmzettel in die Urne werfen. Es ist dieß gestern Abend wiederum geschehen.
Nach erfolgter Berichtigung stellt sich das Durrien'sche Votum auf folgende Zahlen: Es stimmten 673 Glieder. Davon für Fallenlassen des Antrags 339 und dagegen 334 (Sensation).
Lamartine verlangt Urlaub und erhält ihn. Die Versammlung geht dann zur Tagesordnung, Verfassungsdebatte, über. Sie war bekanntlich bei Art. 45 stehen geblieben, zu dem Matyieu (Droun) einen
ganzen Stoß von Nebenanträgen gemacht hat. Sie lauten im Wesentlichen: „Art. 45. Der Präsident der Republik kann durch einen Beschluß der Kammer seines Amts entsetzt werden, doch muß er mit
zwei Drittel Stimmenzahl gefaßt werden etc.
Matyieu (Drôme) entwickelt seine Anträge, die er wie die einzige Barriere gegen gewisse Herrschgelüste schildert.
Vivien, im Namen des Verfassungsausschusses bekämpft diese Anträge.
Sie werden verworfen.
Salmon trägt darauf an, daß der Repräsident der Republik nicht Mitglied der Kammer sein durfe.
Vivien bekämpft dieß. Salmon zieht ihn zurück.
Man schreitet zu Art. 46. „Der Präsident überwacht die Ausführung der Gesetze etc.“
Saint-Priest will angehangen wissen: „und er läßt die Gesetzentwürfe durch seine Minister vorlegen, welche die Gründe auseinanderzusetzen etc.“
Vivien ändert diese Redaktion ein wenig, worauf auch Saint-Priest ihr beitritt und sie dann durchgeht.
Art. 47. „Er befiehlt die Land- und See-Armee etc.“
Brunet macht einen unbedeutenden Nebenantrag, worauf der Artikel durchgeht.
Die Art. 48, 49, 50 u. 51 geben zu wenig erheblichem Widerspruch Veranlassung.
Art. 52, vom Recht der Begnadigung handelnd, wird ziemlich breit getreten. Dabeaux, Vivien und Cremieux nehmen an der Diskussion Theil.
Julien dringt darauf, daß die hochsten Beamten u. s. w. nur von der Nationalversammlung selbst begnadigt werden sollen.
Dieser Zusatz geht durch.
Art. 53, 54 und 55, rein von dem Mechanismus der Exekutivgewalt handelnd, gehen mit mehr oder minder geringfügigen Aenderungen durch, die für das Ausland kein Interesse.
Die Diskussion schleppt sich unter allgemeiner Theilnahmlosigkeit fort.
Die Gerüchte vom Ministerwechsel im Sinne der Rue de Poitiers werden stündlich stärker.
Artikel 56 ohne alle Dikussion angenommen.
Artikel 57 desgleichen
Artikel 58 desgleichen.
Artikel 59, vom Gehalte des Präsidenten handelnd, wird vielfach amendirt.
Tourret, Ackerminister, findet 600,000 Fr. jährlich für den Präsidenten zu hoch und schlägt 400,000 Fr. vor. Er verlangt geheime Abstimmung.
Resultat: Es stimmen 731 Glieder. Mehrheit 366. Dafür 182. Dagegen 549.
Also mit Glanz verworfen.
Deslongrais beantragt jährlich 3000,000 Frk. (Oh! oh!)
Der Artikel des Entwurfs mit 600,000 Frk. wird beibehalten. Der Präsident erhält diese Summe.
Senard, Minister des Innern, verlangt das Wort. Allgemeine Aufmerksamkeit.
Marrast, der Minister des Innern, hat das Wort für eine Mittheilung der Regierung (Stimme: Still! Still! Er wird uns das neue Ministerium vorlesen!)
Senard: Ich habe die Ehre Ihnen einen Dekretsentwurf für ein Anleihen des Somme Departements vorzulegen ‥ …
Ein fürchterliches Gelächter aus dem ganzen Saale unterbricht hier den Minister. Alle Welt sieht sich getäuscht. Endlich stellt sich die Ruhe wieder her und man schreitet zu Artikel 60, von dem
Wohnsitz des Präsidenten handelnd. Angenommen.
Artikel 61 von der Befugniß der Ernennung zu den Staatsstellen handelnd, wird angenommen.
Hiermit ist die Sitzung geschlossen. Die Versammlung geht um 6 Uhr auseinander.