[0583]
Neue Rheinische Zeitung
Organ der Demokratie.
No 117. Köln, Sonntag den 15. Oktober. 1848.
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Uebersicht.
Deutschland. Wien 9. Okt. (Reichstagssitzung ‒ Das Volk. ‒ Belvedere. ‒ Der englische Gesandte und die deutschen Gesandten ‒ Proklamationen. ‒ Scherzer. ‒ Der Hof. ‒ Schreiben aus Raab. ‒ Der Redakteur der A. O.-Z. ‒ Bach. ‒ Hurban. ‒ Jellachich. ‒ Auersperg's Soldaten. ‒ 10. Okt. Reichstag. ‒ Herrannahen des Kampfes. ‒ Die ungarische Armee). Prag. (Versammlung der anwesenden Reichstagsdeputirten und des Stadtverordneten-Kollegiums ‒ Proklamation) Frankfurt. (National-Versammlung). Berlin. (National-Versammlung vom 11. und 12. Oktober. ‒ Verwerfung der ministeriellen Vorlage zur Preßmaßregelung. ‒ Eine Deputation aus Brandenburg und Wrangel). Brandenburg. (Militairgeschichte). Breslau. (Neuste Nachrichten aus Wien). Hadersleben. (Mißhandlung von Deutschen in Jütland und Fühnen). Triest. (Die Unruhen von Cattaro)
Ungarn. Pesth. Ein „Liebesbrief“ Jellachichs. ‒ Warnungsruf der Ungarn an die Oesterreicher).
Italien. Mailand. (Stimmung der Bevölkerung. ‒ Feindseligkeiten auf dem Lande. ‒ Truppenbewegungen). Turin. (Die englisch-französische Vermittelung) Messina. (Die franzosische Flotte. ‒ Parker und Baudin)
Belgien. Brüssel (Die Affaire von Risquons-Tout
Franz. Republik Paris. (Vermisch es. ‒ National-Versammlung).
Spanien. Madrid. (Figueras und Narvaez. ‒ Die Insurgenten in Katalonien).
Großbritannien. London. (Cholera. ‒ Eisenbahnspekulation). Dublin. (Mac Manus. ‒ Meagher. ‒ O'Brien).
Handelsnachrichten.
Deutschland.
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[ 61 ] Wien, 9. Okt.
Nachdem der Reichstag heute Vormittag in den Kommissionen die Grundrechte berathen hatte, wurde am Nachmittage Sitzung gehalten.
Schuselka als Berichterstatter des Wohlfahrtsausschusses: Durch einen Eisenbahnführer ist die Nachricht angekommen, daß das Heer Jelachichs in Brück an der Leytha eingerückt ist und daß er in Trantmannsdorf sein Lager aufgeschlagen habe. Der Minister Hornbostel ist darauf sogleich als Eilbote an den Kaiser mit der Bitte abgegangen, er möge an Jelachich den strengsten Befehl ergehen lassen, nicht weiter vorzurücken. Zugleich begab sich der Reichstagabgeordnete del Prato in Jellachichs Lager, um ihn in Kenntniß zu setzen, daß der Kaiser zufolge seiner Antwort an die Deputation des Reichstags beschlossen habe, ein volksthümliches Ministerium zu bilden und mit diesem die Angelegenheiten der ganzen Monarchie zu berathen, daß Jelachich also jede Feindseligkeit vermeiden solle. Durch das Ministerium sollen wir diese Nachricht drm Grafen Auersperg mittheilen und ihn ersuchen lassen, das Militär sogleich in die Kasernen zurückzuziehen. Die Bauern des Marchfeldes und des Weinlandes haben eine mit vielen tausend Unterschriften versehene Adresse eingesendet und stellen sich zur Verfügung des Reichstages, um der Soldatenherrschaft ein Ende zu machen und die Verräther des Volkes zu verjagen. (Bravo der sämmtlichen im Reichstag sitzenden Verräther).
Vertagung bis 6 1/2 Uhr.
Schuselka, wie oben: Nachdem wir den Grafen Auersperg wiederholt aufgefordert haben, seine drohende Stellung zu verändern, oder seine Truppen in die Kasernen zurückzuziehen, indem wir erklärten, daß die Nationalgarde und Legion dafür bürge, daß die Soldaten nicht insultirt würden; nachdem wir ihm ferner mitgetheilt, daß Jelachich sich in der Nähe Wiens befinde, hat derselbe uns antworten lassen, daß ihm über das Anrücken Jelachichs nichts bekannt geworden sei, er aber auch für diesen Fall seine Stellung behalten müsse. Uebrigens hege er durchaus keine feindseligen Absichten wider die Stadt, erhalte indessen wohl von anderer Seite fortwährend Drohungen. Wir haben uns darauf mit dem Gemeinderathe Wiens ins Einvernehmen gesetzt und ein zweites dringenderes Schreiben an Auersperg abgehen lassen, worin wir ihm mit Bestimmtheit zu erkennen geben, daß Jelachich nahe, daß die bevorstehende Nacht die Gefahren verdoppeln würde und die Dynastie unter solchen Umständen bedroht werden könne. Wir haben ihn auf die Verantwortlichkeit aufmerksam gemacht, die er beim Fortbeharren in seiner Stellung über sich nehme. Wir haben ihm angezeigt, daß der Oberkommandant Braun den Befehl habe, die Garde zu allarmiren, obwohl auch wir keineswegs feindselige Absichten hegten. Auf dieses letzte Schreiben erwarten wir die Antwort. Inzwischen ist der Abg. del Prato von seiner Sendung zurückgekehrt.(Nach Bruck führt nämlich eine Eisenbahn.) Er hat den Banus Jelachich schon in Schoda, (halbwegs Wien) angetroffen. Seine Vorposten bestehen in unregelmäßigen Truppen in fremdartigen Trachten (vulgo Gesindel, kaiserliche Räuber). Der Herr Berichterstatter verbreitet sich hierbei über das Idyllische des Anblicks dieser Vandalenhorden und über del Prato's zuvorkommenden Empfang beim Banus. Del Prato überbrachte nämlich, fährt Schuselka fort, den Beschluß des Reichstags hinsichtlich des Ansuchens der Stadt Preßburg, worauf Jelachich meinte, er habe von dem östreichischen Reichstage zwar keine Zusendungen zu empfangen, das Interesse der Gesammtmonarchie veranlasse ihn indessen, für diesmal davon eine Ausnahme zu machen. Als del Prato ihn ersuchte, den Befehlen des Kaisers nicht vorzugreifen und bis zum Eintreffen derselben nicht weiter vorzurücken, erklärte Jelachich, er kenne keinen andern Wunsch, kein anderes Streben, keinen andern Befehl, als den des Kaisers, seines Herrn. Auf Weiteres ließ er sich nicht ein. Die Truppen boten ein sehr klägliches Bild dar, sie bestehen aus regulären und irregulären und sind meistens in Lumpen gehüllt, selbst die Offiziere. Das Dorf, worin diese Truppen standen, schien sich von ihnen nicht belästigt zu fühlen. (Gute Empfehlung, Jelachich wird sie an Schuselka zu würdigen wissen. Der Reichstag hörte den ganzen Bericht mit stummem Schweigen an. Natürlich, alle Welt hatte sich zu empfehlen).
Wir haben auch die Freude gehabt, eine sehr zahlreiche Deputation aus Prag zu empfangen. Sie versicherte uns, es seien über die Vorgänge in Wien zu Prag außerordentlich beunruhigende Nachrichten eingetroffen, namentlich wegen Bedrohung der czechischen Deputation. Die Deputation sei beauftragt worden, die Czechen aufzufordern, für diesen Fall den Reichstag und Wien zu verlassen. Wir haben dieser Deputation im Namen des Reichstags die beruhigendsten Versicherungen gegeben, indem wir betheuerten, daß wir in diesen Tagen keinen Ruf wider die persönliche Sicherheit der Abgeordneten vernommen hätten und daß die akademische Legion erst gestern erklärt habe, für die Sicherheit der Reichstagsdeputirten einstehen zu wollen. Wir wiesen sie ferner an unsere Proklamation an die Völker Oestreichs, aus welcher hervorgehe, daß von einer Nationalitätsfrage in diesen Tagen keine Rede gewesen sei und nur die Sache des Vaterlandes obgewaltet habe. Wir forderten sie endlich auf, im Interesse der Gesammtheit dieses Vaterlandes, das begonnene Werk seines Neubaues nicht zu stören und ihm alle Sonderinteressen unterzuordnen. Darauf versicherte die Deputation, daß auch die Czechen für die demokratisch-konstitutionelle Freiheit Gut und Blut zu lassen bereit seien. (Bravo).
Auch aus Brünn ist uns eine Deputation zugekommen, welche uns des Beistandes der dortigen Nationalgarde versicherte.
Um auf alle Fälle gerüstet zu sein, haben wir, obgleich wir den vielen lügenhaften Berichten keinen Glauben schenken und die Besorgnisse ängstlicher Gemüther nicht theilen (die Sprache aller dumm-feigen Volksverräther, die den Kanonen gegenüber rechten und winseln) auch an die Vertheidigung Wiens gedacht; wir haben die Nationalgarde ersucht, allen Zwiespalt unter sich zu vermeiden; wir haben dafür gesorgt, daß die Garde und Legion zum Kampf erscheine, daß Munition beschafft und noch Waffen vertheilt werden. (Wie die Herrn sich verlauten lassen, sollen die Arbeiter, das Volk sich schlagen und tödten lassen, um nach dem Siege die Waffen gutmüthig an sie wieder abzuliefern.) Wir dürfen uns keiner Sorglosigkeit hingeben. Wien ist das Herz der Monarchie. Nur soll sich die Bevölkerung nicht von den aus Dummheit oder böswilliger Absicht ausgesprengten fabelhaften Gerüchten aufregen lassen; Schuselka erwähnt hierbei einige dieser Gerüchte. Wir werden unsere Sorgfalt auch in dieser Nacht auf das Eifrigste fortsetzen. (Tritt unter Beifall ab.)
Präs. Smolka: Nicht der Reichstag hat den Abgeordneten del Prato an Jellachich gesendet, sondern er hat nur einen Auftrag des Ministeriums an denselben besorgt, wozu ich ihm einen dreitägigen Urlaub bewilligt habe.
Goldmark verliest eine wegen der fabelhaften Gerüchte (?) an das Volk von Wien gerichtete eselhafte Proklamation. (Einziges Genie dieser matten linken Esel.)
Dilewski fragt den Minister (es ist immer nur einer da), was das Ministerium zu thun gedenke, da Jellachich mit nichtöstreichischem Militär den östreichischen Boden betreten. Er will nicht gleich Antwort.
Krauß (mit welchem das ganze Komödienspiel abgekartet ist und welcher hinwiederum im genauesten Einvernehmen mit Auersperg und Jellachich u. s. w. steht) antwortet demnach, Jellachich sei östreichischer General, befehle östreichisches Militär und man könne daher von keinem fremden General und Militär reden. Ich habe durch del Prato den Beschluß des Reichstags Jellachich überbringen lassen, er hat durchaus keine feindseligen Absichten. Wir müssen uns daher darauf beschränken, zu beobachten, was der Banus unternimmt, ich werde keinen Schritt thun, ohne den Wohlfahrtsausschuß davon in Kenntniß zu setzen. (Die ganze Kammer ruft unisono Bravo; selbst die Journalisten-Juden der Linken.)
Kavelkabo: Sind Nachrichten von Hornbostl eingetroffen?
Krauß: Noch nicht; er hat den Hof wahrscheinlich nicht getroffen und ist ihm weiter nachgereist. Es gehen die grundlosesten Gerüchte umher. So sprach man von einer in Grätz errichteten provisorischen Regierung; ich ließ deshalb durch den Telegraphen anfragen und erfuhr, daß kein wahres Wort daran sei.(Einige Journalisten merken, daß Krauß ein Spitzbube sei; er hat sein Gerücht selber erfunden und exploitirt es.)
Hierauf entsteht auf Umlaufts Veranlassung eine Debatte über das Einberufen der davongelaufenen czechischen Abgeordneten. Es wird beschlossen, dieselben durch die öffentlichen Blätter zur Rückkehr zu vermögen.
Umlauft beantragt ferner, sofort ein Nationalgardegesetz zu erlassen oder das bestehende Gesetz provisorisch als solches zu verkünden. Nach einer längern Debatte beschließt der Reichstag, das bestehende Gesetz, jedoch nur insoweit es die Disciplin betreffe, als Nationalgardegesetz zu verkünden und auch auf die Provinzen auszudehnen.
Das Protokoll vom 5. Oktober wird verlesen, woraus hervorgeht, daß der Reichstag für Gesandtschaften nur 500,000 Fl. bewilligt und das außerordentliche Militärbüdget von 34 Mill. Fl. gestrichen hat. Schluß 8 Uhr. Morgen 9 Uhr Berathung in den Kommission; jedoch hat der Reichstag sich auf das erste Alarmzeichen zu versammeln.
Entrüstet über die verrätherische Feigheit dieser Erbärmlichen und niedergeschlagen wegen des hirnlos-feigen Benehmens des demokratischen Judengesindels, welches das Steuer führt, verließ ich diese Versammlung, um mich unter das Volk in den Straßen und auf den Basteien zu begeben. Hier fand ich redlichen Muth und richtige Einsicht. Ueberall stand das Volk bewaffnet und aufmerksam hinter den Barrikaden und auf den Wällen, zahllose Wachtfeuer verliehen dem Anblick etwas Eigenthümliches. Von den Basteien aus lagen Wiens Vorstädte mit imponirender Gesammtmacht im herrlichen Mondschein da und von überall her verkündeten ferne Schüsse, daß man aufpasse. Doch mit gespensterhaftem Drohen ragte über sie hinaus das Belvedere und ich erkannte mit Ingrimm, daß Auersperg unser Windischgrätz, der Belvedere [Fortsetzung]
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Audienz der Posener Deputation bei Sr. Maj dem Könige in Berlin am 23. Mai 1848.
Am 20. März wurde von Posen aus eine Deputation an Se. Majestat den König abgeschickt. Dieselbe kam am 22ten in Berlin an und erhielt am 23ten Audienz. Mehre in Berlin anwesende Polen, unter diesen Miroslawski, schlossen sich der Deputation an, so daß sie wohl an 30 Mitglieder zählte. Gleich nach der Audienz haben mehrere, die bei derselben zugegen gewesen, alles was während derselben gesprochen wurde, niedergeschrieben und aus der Uebereinstimmung dieser Schriftstücke eine Darstellung zusammengetragen, die als der möglichst getreue Bericht anerkannt wurde. Diese Darstellung ist daher als eine solche zu betrachten, die zwar nicht aus stenographischen Materialien, wohl aber aus der sofortigen Aufzeichnung verschiedener Personen nach der gewissenhaftesten Prüfung zusammengetragen worden ist. Und diese Eigenschaft bestimmt das Maaß ihres Werthes oder Unwerthes.
Die Deputirten erschienen vor Sr. Majestät und der Erzbischof las folgende Petition vor:
Königliche Majestät!
Die allgemeine Bewegung zur politischen Reorganisation der europäischen Völker und Staaten im Sinne des Fortschritts, hat auch auf das Großherzogthum Posen und namentlich auf die polnische Bevölkerung desselben, mächtig eingewirkt. Nachdem Deutschlands Regierung und Völker sich zu einem nationalen Staate vereinigten, hat sich der ganzen Bevölkerung der Provinz Posen der einmüthige Gedanke bemächtigt, daß hiermit auch die Stunde der Wiedergeburt Polens geschlagen hat.
Diese Stimme ist zu einer moralischen Macht geworden, sie wird von der öffentlichen Meinung von ganz Deutschland unterstützt und getragen, sie wird zu einer Bewegung führen, die selbst blutig sein dürfte, und es ist unseren Anstrengungen kaum gelungen, dieselbe aufzuhalten, indem wir es über uns genommen haben, Euer Königl. Majestät den Drang der Umstände vorzustellen und diejenigen Maßregeln zu erbitten, welche geeignet sein möchten, die wach gewordenen Hoffnungen der polnischen Bevölkerung im Großherzogthum Posen zu kräftigen. Indem wir uns als Organe des Großherzogthums Posen kund geben, schlagen wir ehrerbietigst Ew. Majestät vor, prinzipaliter eine National-Reorganisation des Großherzogthums Posen zu gestatten, welche sich schnell, aber ruhig und gesetzlich entwickeln soll unter dem Schirme Ew. Königl. Majestät; dazu ist aber zunächst erforderlich die Bildung einer provisorischen Commission für das Großherzogthum Posen, welche im Verein mit einem Königl. Commissarius diese nationale Reorganisation des Großherzogthums Posen regeln müßte. Die Mitglieder dieser Commission, die Männer des allgemeinen Vertrauens sein müßten, werden Ew. Königl. Majestät bald vorgeschlagen werden. Die nächste Aufgabe dieser Commission würde sein:
1) Die Umgestaltung der militärischen Besatzung in ein einheimisches Truppenkorps.
2) Besetzung der Aemter mit Eingebornen.
Zur Anbahnung dieser Reorganisation ist es vor allem nöthig, Ew. Königl. Majestät wolle allergnädigst befehl,n:
I. Die Bildung der Nationalgarde.
II. Aufhebung der bestehenden Polizeigewalten und Einführung selbstgewählter Polizeibeamten.
Hierauf erwiedert Se. Majestät etwa wie folgt:
Ich habe öfters von meinen Ministern erfahren, daß sich die Polen des Großherzogthums über die Besetzung aller Stellen durch Deutsche und die Nichtachtung ihrer Nationalität beklagen. Dies ist mir immer sehr unlieb gewesen; es hat aber nicht anders sein können, indem die Polen es vernachlässigten, sich die nöthige Befähigung zur amtlichen Thätigkeit zu erringen.
Sie haben jetzt, wo ganz Europa in Bewegung gerathen, von der Möglichkeit eines Aufstandes und einer blutigen Kollision im Großherzogthum Posen gesprochen. Diese Möglichkeit involvirte eine andere, die Möglichkeit einer Losreißung des Großherzogthums von meinen Staaten. Meine Herrn! Ich spreche ganz offen, aufrichtig und äußere mich so, wie der Augenblick es erheischt und mein Herz es fühlt. Es ist ein ganz natürlicher Wunsch, daß ich eine schöne blühende Provinz, die ich von meinen Vätern geerbt habe, behalten will. Reißen Sie sich los, bedenken Sie, in welch ein unabsehbares Unglück Sie sich stürzen. Eine jede Bewegung würde die Provinz in die Hände Rußlands spielen. Ich bin den Kaiser von Rußland mit flehentlichen Bitten angegangen, damit er in keinem Falle, was auch geschehen möge, einschreite, und ich habe die Versicherung erhalten, daß er dies vor des Hand nicht thuen und der Entwickelung Deutschlands keine Hindernisse in den Weg legen wolle. Auf das Wort dieses Kaisers kann ich mich fest verlassen, denn sein Entschluß ist unerschütterlich und er ein Mann von eisernem Willen, von dem edelsten und festesten Charakter, der mächtigste, weiseste, der alleinige unter den Souveränen Europas, der seine Macht mit unerschüterlicher Kraft und Energie aufrecht zu erhalten weiß. Sein Wort ist ja, ja; nein, nein! Er würde sich gewiß jedes Einschreitens enthalten, so lange seine polnischen Besitzungen nicht bedroht würden. Wenn aber mit oder ohne meinen Willen eine freie nationale Entwickelung im Großherzogthum Posen versucht werden sollte, die auf seine polnischen Provinzen von Einfluß und mit Gefahr für dieselben verbunden wäre, so würde er, hierdurch gereizt, zum Schutze seines eigenen Reiches sofort seine Truppen ins Großherzogthum Posen einrücken lassen. Meine Bitten würden dann gewiß nicht mächtig genug sein, um ihn davon zurückzu-
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[Deutschland]
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[Fortsetzung] unser Hradschin geworden sei. Die von ihm eingenommene Position ist gewaltig, er kann mit seinem Belagerungsgeschütz die ganze Stadt vernichten, wenn er dasselbe aus den Fenstern des Belvedere und anderer Paläste spielen läßt. In der Anla war Alles in reger Wachsamkeit, alle öffentlichen Gebäude waren besetzt, man wartet ängstlich das Signal zum Kampfe ab. Die Straßen der Stadt und die Gebäude zeigen sonst eine schauerliche Oede.
Der englische Gesandte soll im Namen des Völkerrechts wider ein Bombardement Wiens protestirt haben; er wird die Stadt nicht verlassen. Dagegen haben unsere deutschen Gesandten sämmtlich Reißaus genommen und Schreiben an Jellachich in ihren Wohnungen zurückgelassen, worin sie ihn ersuchen, vor dieselben einen Posten stellen zu lassen. Es ist ein Uhr in der Nacht. Alles ruhig.
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[ 117 ] Wien, 9. Oktober. 4 Uhr Nachmittags.
Ich theile Ihnen nachfolgende Proklamationen mit, aus denen Sie erkennen mögen, wieviel Gutmüthigkeit Seitens der demokratischen Partei dazu gehört, Minister, wie Doblhof, Krauß, Hornbostel auch nach dieser entscheidenden Krisis wieder beizubehalten.
An die Bevölkerung Wiens.
Bei dem für heute früh angeordneten Abmarsche eines Theiles der hiesigen Garnison haben sich bei einem Theile dieser Truppen meuterische Bewegungen gegen diesen Befehl gezeigt, welche von einem Theile der Nationalgarde, untermischt mit einem Pöbelhaufen, noch unterstützt wurden.
Ohne daß bis zu diesem Augenblicke auch die erste Veranlassung bekannt ist, wurde von den Waffen Gebrauch gemacht.
Um dem Konflikte zwischen den Truppen Einhalt zu thun, wurden sogleich die geeignetsten Maßregeln ergriffen, und es ergeht zugleich an alle ordnungsliebenden Bewohner Wien's, an alle Korps der Nationalgarde die Aufforderung, diese Maßregeln, welche nur die Verhinderung jedes weiteren Konfliktes, die Aufrechthaltung der Ordnung und Sicherheit bezwecken, auf das Kräftigste zu unterstützen.
Zugleich werden alle friedliebenden Bewohner Wien's ermahnt, sich soviel als möglich von allen Aufläufen auf offener Straße zurück zu halten, um nicht unnöthiger Weise die Aufregung zu vermehren.
Wien, 6. Oktober 1848.
Der Ministerrath.
Proklamation.
Der Reichstag, von den verhängnißvollen Ereignissen benachrichtigt, die diese Hauptstadt erschüttert haben, hat sich versammelt, und wendet sich vertrauensvoll an die Bevölkerung Wien's, damit sie ihn unterstütze in der Erfüllung seiner schweren Aufgabe. Indem der Reichstag sein tiefstes Bedauern ausspricht über einen Akt schrecklicher Selbsthülfe, durch welchen der bisherige Kriegsminister seinen gewaltsamen Tod gefunden, spricht er seine feste Hoffnung, seinen entschiedenen Entschluß aus, daß von diesem Augenblicke an das Gesetz und die Achtung vor demselben wieder allein herrsche. Der Reichstag hat sich permanent erklärt, er wird diejenigen Maßregeln treffen, die die Ordnung, Sicherheit und Freiheit der Staatsbürger fordern, er wird dafür sorgen, daß seinen Beschlüssen unbedingte Vollstreckung werde. Er wird sich zugleich an den Monarchen wenden, und demselben die Dringlichkeit vorstellen, diejenigen Minister seines Rathes, die das Vertrauen des Landes nicht besitzen, zu entfernen, und das bisherige Ministerium durch ein volksthümliches zu ersetzen. Er stellt die Sicherheit der Stadt Wien, die Unverletzlichkeit des Reichstages und des Thrones und dadurch die Wohlfahrt der Monarchie unter den Schutz der Wiener Nationalgarde.
Wien, 6. Oktober 1848.
Im Namen des Reichstages.
Der erste Vice-Präsident:Franz Smolka.
An Scherzer's Stelle ist Braun, der sich am Tabor am 6 sehr ausgezeichnet haben soll, zum Oberkommandanten der Garde ernannt, weil Scherzer erklärte, er verstehe das Kriegshandwerk nicht genug, um in diesem gefährlichen Momente der Stadt die genügende Bürgschaft geben zu können. ‒ Der demokratische Central-Verein hat so eben den Muth bekommen, die Wiener Bürger von seinem Dasein zu benachrichtigen und aufzufordern, sich um ihn zu schaaren.
Im Reichstag wurden Adressen verlesen, welche Landgemeinden eingeschickt haben und worin sie ihn ihres Beistands versichern. ‒ Auch wurde ein Antrag des Wohlfahrtsausschusses, alle öffentlichen Gebäude Wien's unter den Schutz des Reichstags zu stellen, angenommen, bei welcher Gelegenheit Borrosch das Benehmen des Volks am 6. lobt, indem auch nicht ein Schnupftuch geraubt worden. ‒ Hierauf vertagte sich der Reichstag bis 6 Uhr.
Der Hof ist von Schönbrunn nicht allein, sondern in Begleitung von 6000 Grenadieren und vielem Geschütz abgezogen; er soll vom Landsturm bei St. Pölten wirklich aufgehalten worden sein.
Auersperg wartet auf Jellachich, der sich schon in unserer Nähe befinden soll. Kossuth soll mit 16,000 Mann nachfolgen.
Die Pesther Zeitung vom 6. Oktober bringt die Nachricht, Kossuth habe auch um Szepedin 50,000 Bauern zusammenzubringen gewußt.
Aus Raab wird vom 4. Oktober geschrieben: Gestern Abend 5 Uhr ist Jellachich hier an der Spitze von circa 20,000 Mann, theils regulärer Gränzer, theils irregulären bewaffneten Bauernvolks, einer Kompagnie Szeresaner, dann dem Regimente Kreß-Chevauxlegers und Hardepp-Kuriassiren eingezogen und hat ein Lager bezogen, welches von der Stadt mit Viktualien versehen werden mußte. 5000 Nationalgarden waren unter Zichy entgegengerückt, konnten aber den Einzug nicht verhindern. Den Zug des feindlichen Heeres eröffneten 60 Banderialhusaren mit einem Rittmeister an der Spitze; dann kam General Zeisler mit den Kuirassiren, sodann General Hartlieb mit Infanterie, General Kampter mit den Gränzern, endlich Jellachich selbst, umgeben von einer Suite von 15 Offizieren. Nun kam der übrige Theil des Heeres, und bei dessen Anblick konnte ich mich der bittersten Empfindungen nicht erwehren. Es wird zeitlebens ein Schandfleck für das Haus Oesterreich bleiben, daß es solches Gesindel von k. k. Generälen anführen ließ. Ausgehungerte und zerlumpte Leute, denen die Raubbegierde aus den Augen blickt.
Der Redakteur der „Allgemeinen Oesterreichischen Zeitung“ soll vor Schrecken über die Bewaffnung der Arbeiter nicht nur entflohen, sondern auch wahnsinnig geworden sein. Sein Name fehlt auch unter dem Blatte.
Der Exminister Bach soll sich beim Kaiser in Reichholdsheim hinter St. Pölten befinden. Der Slovaken- und Czechen-Führer, Pastor Hurban, ist verwundet hier eingetroffen, wie man sagt. Hurban, Hodza und Stur warben ihre Rotte, wie man jetzt erfährt, unter dem Vorwande, daß sie mit den Ungarn gegen Jellachich ziehen würden, versprachen jedem Manne 20 Fl. K.-M. Handgeld und 20 Kr. tägliche Löhnung. Sie fuhren bei 450 Mann auf der Eisenbahn bis Pisek in Mähren, und zogen sodann mit 18 Wagen, worauf Gewehre und Munition sich befanden, gegen die ungarische Gränze, welche sie mit dem Rufe Elpen Kossuth! passirten. ‒ Erst nachdem sie eine gute Strecke fortmarschirt waren, wurden sie mit dem eigentlichen Unternehmen bekannt gemacht und ihnen ein panslavistischer Schwur abgenommen.
Eben wird mir mitgetheilt, Jellachich sei heute Mittag von Bruck an der Leitha (6 Stunden von Wien) aufgebrochen, um in der Nacht hier einzutreffen. Damit stimmt das Hurrah von heute Morgen wohl überein. Man rüstet sich hier zum Kampfe und wird, wie ich vernehme, gegen Abend mit Bomben in Schwarzenberg's Park zu werfen beginnen. Fortwährend treten Soldaten zu uns über. Das Militär der Umgegend wird von den Bauern vom Marsch auf Wien zurückgehalten. ‒ Die Truppen Auersperg's haben geschworen, nicht das Kind im Mutterleibe zu schonen. Wir wollen sehen, ob wir diesen Rotomonden erliegen werden. Mein nächster Brief wird hoffentlich einen Schlachtbericht bringen, wenn ich nicht mit erwürgt werde.
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Wien, 9. Okt.
Der rechte Flügel Jellachichs, unter Kommando des General Roth, ist von den Magyaren unter Perczel geschlagen. Roth sammt dem Generalstab und 2000 Croaten gefangen worden. Die Hauptarmee der Magyaren unter Kossuth und Meszaros ist 70,000 Mann stark in Wieselburg eingerückt. Jellachich, fort und fort gedrängt, zu feig und zu schwach eine Schlacht zu liefern, zieht sich fort und fort zurück; Preßburg ward am 7. von den zwei k. k. Bataillons geräumt worden. Jellachich, der vorüberzog, wollte den Donauübergang, d. i. die Herstellung der von den Preßburger Bürgern ausgehängten Schiffbrücke, durch Drohung mit Bombardement erzwingen, aber man lachte ihn aus. In der That hat er nicht einmal Wurfgeschütz bei sich; er mußte daher fortretiriren, und soll jetzt in Bruk an der Leitha stehen. Das ungarische Heer folgt ihm auf der Ferse.
[(B. Z. H.)]
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[ 61 ] Wien, 10. October, 12 Uhr Mittags.
Permanenz des Reichstags. Die Protokolle vom 8ten und 9ten werden verlesen, Karolkabó redet von einer Aenderung des Protokolls vom 4ten und 5ten hinsichtlich des Finanzgesetzes. Die Centren finden ein ungeheures Vergnügen, sich darüber zu unterhalten; sie verstecken darunter ihre Feigheit.
Schuselka als Berichterstatter des Ausschusses: Die Nacht ist ruhig gewesen, insoweit man unter den obwaltenden Umständen von Ruhe überhaupt reden kann. Wir haben berittene Sicherheitswachen in die Umgegend ausgeschickt und uns von Stunde zu Stunde Bericht erstatten lassen. Es sind nicht unbedeutende Truppenmassen gegen Wien angerückt; die aufregendsten Gerüchte verbreiteten sich und man verlangte mit Ungestüm, anzugreifen, um das Zusammenziehen dieser Truppen zu verhindern. Wir glaubten diesem Kampfesungestüm im Interesse der Ordnung Widerstand leisten zu müssen, uns davon nicht hinreißen lassen zu dürfen. Darum konnten wir dem Ansinnen nicht genügen, schon jetzt den Landsturm aufzubieten. Wir trauen den Freundschaftsversicherungen Auersperg's zwar nicht und rüsten uns, die Freiheit zu schirmen, (Bravo) allein wir müssen die Aufrechthaltung der Ordnung noch immer als Hauptsache betrachten, damit wir nicht das Gegentheil von Freiheit hervorrufen. Die Aufbietung des Landsturms ist ein gefährliches Mittel, obwohl wir der aufopfernden Bereitwilligkeit des Landvolks alle Anerkennung zollen. (Tiefe Stille in der Versammlung.) Wir haben das Landvolk indessen auch nicht ganz abgewiesen; wir haben uns mit ihm in Verbindung gehalten und die Nationalgarde der Umgegend bis nach Brünn requirirt. Wir tragen Alles öffentlich vor, damit wir gerechtfertigt dastehen.
Die Truppen im Schwarzenberg's Palais sind verstärkt worden; Jellachich ist bis Kaisers-Ebersdorf vorgedrungen, aber wir haben noch einmal einen friedlichen Weg und Versuch gemacht, wir haben eine aus Männern, die allen Parteien genügen, bestehende Kommission mit dem bestimmtesten Auftrage zur sofortigen unumgänglich nothwendigen Aufgebung der Stellung an Auersperg abgeschickt; diese Kommission besteht aus den Abgeordneten Borrosch, Pillersdorf, Stobnicki (galiz. Bauer). ‒ Auch das Ministerium hat wegen Jellachich fernere Schritte gethan; es hat eine Depesche durch zwei Abgeordnete an ihn ergehen lassen, worin es in energischer Sprache ihn auffordert, sich ihm zu unterwerfen und durch sein Einmarschiren den kroatischen Krieg nicht auf östreichisches Gebiet hinüberzuspielen; worin es ihm befiehlt, sich über seine Absicht zu erklären, indem es darauf hinweis't, daß es seine Pflicht gewesen, diese Absicht und sein Einrücken schon im Voraus bekannt zu geben.
Wir sind inzwischen indessen nicht müßig geblieben und haben dem Gemeinderath und Oberkommando der Nationalgarde den Auftrag ertheilt, alle noch im Zeughause vorfindlichen Waffen unter die waffenfähigen Männer verabfolgen zu lassen.
Indem wir so handelten und die Vertheidigung der Stadt übernommen haben, mußten wir auch alle Vertheidigungsmaßregeln, die von anderer Seite kamen, zu verhindern suchen und haben demzufolge den Gemeinderath beauftragt, kund zu geben, daß kein anderer Befehl befolgt werde, der nicht von ihm oder dem Oberkommando komme.
Zimmer beantragt, daß der Reichstag erklären möge, daß er auch noch mit 150 Anwesenden beschlußfähig sei.
Potocki dagegen, weil ein solcher Antrag die Würde der Kammer verletze.
Löhner: Die Kammer darf kein Mißtrauen in sich selbst aussprechen; er verbreitet sich mit dichterischem Brei über diese Ansicht.
Schuselka stimmt für den Antrag, obwohl wider dessen Motiv. Die Nothwendigkeit sei das einzig wahre Motiv.
Smereker beantragt die Tagesordnung. (Angenommen.)
Die Deputationen sind noch nicht zurückgekehrt. Minister Kraus hat sich während der ganzen Sitzung nicht gezeigt. Viele Abgeordnete sind abwesend und nur etwas über 200 anwesend. 192 müssen zu Beschlüssen gegenwärtig sein.
Um 6 Uhr wird wiederum Sitzung sein.
3 Uhr. Der Generalmarsch wird geschlagen, die Sturmglocken ertönen, es scheint zum Kampfe zu kommen. Wenn wir unterliegen, so trägt die miserabele deutsche Halbheit, dieses Erschöpfen aller Friedenswege, wo der Feind nur den Krieg will und unterdessen zur Verstärkung alle Gelegenheit erhält, die Schuld davon. ‒ Ein leichter Regen beginnt zu fallen.
Die Nachricht trifft ein, daß die ungarische Armee mit 70,000 Mann im Anzuge ist, 15 Dampfboote bringen die Avantgarde in Eile die Donau hinauf. Heute, oder doch in diesen Tagen, heißt's: Freiheit oder Tod!
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Krems, 9. Okt.
Heute Morgen zwischen 11 und 12 Uhr ist der Kaiser von der Station Herzogenburg kommend unter Bedeckung von 5 - 6000 Mann verschiedener Truppengattungen sammt 4 Kanonen mit seinem Gefolge mit 20 - 30 Wagen durch Krems passirt. Der Kaiser geht über Znaim nach Ollmütz. Sein Empfang in den Städten Stein und Krems war ohne sichtbares Zeichen von Beifall oder Mißfallen, ein ernster, schweigender. Die braven Nationalgarden der Schwesterstädte hatten beabsichtigt, die Donaubrücke abzutragen, um den Kaiser zu bewegen, das Erzherzogthum nicht zu verlassen. Leider wurde dies Vorhaben vermittelt.
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Prag, 9. October.
Heute Nachmittags fand auf dem Rathhause eine Versammlung mehrer der hier anwesenden Reichstags-Deputirten (es befinden sich deren bereits 27 in Prag) und des Stadtverordnetenkollegiums statt, um die Schritte zu berathen, die durch die Wiener Ereignisse für unsere Stadt und unser Land als nothwendig erscheinen dürften. Palacky gab einen langen ausführlichen Bericht über die Wiener Octoberrevolution mit vielen Ausfällen auf die deutsche und magyarische Demokratie, eine Rechtfertigung Jellachich's, und die Behauptung, die Stützen der Dynastie seien jetzt nur die Nord- und Südslaven. Rieger sprach über dieselbe Angelegenheit und erzählte einige interessante Details über die Begebenheiten, die der blutigen Wiener Katastrophe vorangegangen waren. Hierauf wurde das Manifest (welches unten mitgetheilt ist) berathen und nach langer und heftiger Debatte angenommen und von den anwesenden Stadtverordneten und Bürgermeister unterfertigt. ‒ Mit dem heutigen Abendtrain ist der Exminister Wessenberg hier angelangt.
‒ Das Stadtverordneten-Collegium erläßt folgende Proklamation:
Aufruhr, Mord und Gewaltthat hat in Wien die Garantien der Freiheit in Frage gestellt; der Partei des Umsturzes ist es ‒ wir sind überzeugt, gegen den Willen der Majorität der biedern Bewohner Wiens ‒ gelungen, unsern constitutionellen Kaiser-König zur Flucht zu veranlassen, den Reichstag zu terrorisiren, in welchem jetzt die bisherige Minorität ohne Rücksicht auf Ordnung und Gesetz illegale Beschlüsse faßt.
Im Namen und im Sinne der loyalen Bevölkerung Prags protestiren wir gegen alle im Reichstage ungesetzlich gefaßten Beschlüsse, wir protestiren gegen eine Versammlung, welche in beschlußunfähiger Minderheit, ihr Mandat überschreitend, die executive Gewalt an sich zu reißen versuchen sollte.
In dem gewaltsamen Sturze eines Ministeriums, welches in Uebereinstimmung mit der Majorität der freien Vertreter eines freien Volkes handelt, sehen wir nicht die Erhebung einer edeln Nation für ihre unterdrückten Rechte, sondern nur verbrecherischen Aufruhr und Anarchie.
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[Fortsetzung] halten. Schon habe ich Nachrichten, daß sich bedeutende Kräfte an den Gränzen sammeln. Bedenken Sie also, welcher Gefahr Sie von dieser Seite entgegenlaufen, um so mehr, als Sie dem Angriff ohne meinen Schutz nicht widerstehen könnten. Im Interesse Deutschlands, auch zum eigenen Wohl des Großherzogthums Posen ist die gewaffnete Neutralität das allein noththuende und ersprießliche Rettungsmittel. Viele der Bewegungen Deutschlands, das Drängen nach nationaler Einheit kommen von der bangen Ahnung einer Gefahr vom Westen, wo zwar nicht die Regierung, aber hundert und abermals hundert Tausend Stimmen nichts anderes als ein gewaltsames Revolutioniren und die Rheingränze predigen. Ein Krieg gegen Rußtand ist unter solchen Umständen unmöglich, und ich würde es gegen meine Pflicht und mein Gewissen halten, denselben zu führen, und mit meiner Ehre ist er nun vollends unverträglich.
Ich hoffe deshalb und wünsche, daß die Besonnenheit der Einwohner des Großherzogthums Posen dieselben vor unbedächtigen, verderblichen Unternehmungen abhalten werde. Sie schlagen sich, meine Herren, mit eitlen Hirngespinnsten und Sie mögen zusehen, daß Sie statt des Schwertes nicht ein Schilfrohr in die Hand nehmen, welches bei dem ersten Schlag Ihnen in der Hand zerbrechen würde. Sie täuschen sich auch, wenn Sie auf die Hülfe des Landvolkes Ihre Hoffnungen stützen. Bedenken Sie, daß Sie zwei Nationalitäten in der Provinz neben einander haben, und wenn die deutsche, wie es sich von selbst versteht, Ihnen ihre Mithülfe versagt, werden Sie eben so wenig sich auf Ihre polnischen bäuerlichen Einsassen verlassen können. Diese sind, wie ich es aus den sichersten Quellen weiß, der Regierung treu ergeben, und habe ich auch persönlich denselben nicht so viele Wohlthaten, wie mein seliger Vater erweisen können, so habe ich doch selbst erfahren, welch ein edler Stamm der der Großpolen sei. Deshalb liebe ich aber auch das Volk so sehr, weil es für die Dankbarkeit gegen seine Wohlthäter ein so offenes Herz hat. Diese Anhänglichkeit an die Regierung hat sich zuletzt auch dadurch erwiesen, daß im Jahre 1846 es nur die preußischen Beamten gewesen, welche die Grundherren vor ähnlichen Ausbrüchen des Landvolks, wie in Galizien, geschützt haben. Diese Treue des Volkes ist mir aus den besten Quellen. durch meinen Vetter Radziwill und durch die achtbarsten Landtagsdeputirten bekannt, und ich werde dasselbe schmerzlich wegen des Schicksals bedauern, welches Sie ihm durch Ihre Unternehmung bereiten würden. Sie würden aber mir hierdurch auch noch den größten Kummer bereiten, daß ich an dem großen Werke der Entwicklung Deutschlands gehindert werden würde. Aber auch abgesehen davon, Sie würden, selbst wenn Sie organisirt wären, dem Angriffe Rußlands nicht widerstehen können. Sie haben erst im Jahre 1831 die traurige Erfahrung gemacht, daß bei einer Einwohnerzahl von 4 Mill., mit einer Armee von über 40,000 Mann der schönsten, vortrefflichsten Truppen in Europa (was man dem Großfürsten Constantin, der sie organisirt hat, mit Ruhm nachsagen kann), Sie nichts ausgerichtet und sich nur ein unglaubliches Unglück bereitet haben. Es sind damals Heldenthaten, wie selten, ausgeführt worden, und wo ich solche sehe, da fließt mir mein preußisches Herz über; aber auch dies ist vergebens gewesen. Bedenken Sie also, was Sie mit den Kräften des Großherzogthums Posen, welches nur etwas über 1 Mill. Einwohner zählt und ohne eine nationale Armee, ausrichten können. Ich vertraue deshalb und erwarte, daß sich die polnischen Einwohner Posens nicht in ihr eigenes Unglück stürzen werden.
Hierauf nahm der Deputirte Kraszewski das Wort und sagte:
Ich habe schon bei dem Vereinigten Landtage ausgesprochen, daß ich keinen König ohne Volk kenne, und diesen meinen Ausspruch haben unerwartet früh die neuesten Ereignisse gerechtfertigt. Nun, so geruhen Ew. Majestät mir zu gestatten, auch diesmal von diesem Standpunkte aus zu sprechen. Ew. Majestät waren und sind auch jetzt durch Ihre Posen'schen Beamten über die dortigen Zustände und Verhältnisse falsch unterrichtet. Die Versprechungen des Jahres 1815, die uns die Nationalität garantirten, sind nun einmal nicht gehalten worden, und die Behörden zu Posen verwalteten die Provinz mit Nichtachtung aller uns zustehenden Rechte. Jetzt aber, wo sich die deutsche Nation selbst auf eine so edle Weise erhoben, jetzt, wo das Interesse Preußen's in dem des einigen Deutschland's aufgehe, jetzt erhebt auch von Neuem die polnische Nation ihre gerechten Ansprüche auf eine brüderliche Anerkennung ihres bisher unbeachtet gebliebenen Rechtes. Ganz Deutschland hat seine Sympathie für Polen offenbart, und die Fürsten werden sich derselben nicht entziehen wollen. Es ist freilich das Loos der Herrscher, in ihrer Beziehung zum Volke von ihren Dienern getäuscht zu werden.
Se. M. der König: So wie das Loos der Polen, wie die Geschichte lehrt, das gewesen, daß sie sich in ihren Hoffnungen immer getäuscht sahen.
Kraszewski: Leider auch durch die Vorfahren Ew. Königl. Majestät.
Se. M. der König: Wie so?
Kraszewski: Ich will nicht weit in die Vergangenheit zurückgehen. Ew. Majestät kennen die Geschichte. Wenn aber Ew. Majestät uns den Aufstand von 1831 als Beispiel vorführen, so muß ich erinnern, daß der Vorfahr Ew. Majestät uns in demselben den Todesstoß gegeben.
Se. M. der König: Wie können Sie das behaupten?
Kraszewski: Ohne die damals den Russen von Preußen geleistete Hülfe würden wir nicht unterdrückt worden sein. Aber abgesehen davon, so waren auch die Zeitumstände damals wesentlich von den heutigen verschieden. ‒ Die Völker waren damals weniger reif, die Macht der öffentlichen Meinung, des öffentlichen Gewissens nicht so gewaltig, wie in der jetzigen Zeit. Die ver- [Fortsetzung]
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[Deutschland]
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[Fortsetzung] Wir erklären unsere Anhänglichkeit an die Dynastie, an die constitutionell demokratische Monarchie, wir erklären fest und feierlich, daß ein einiges, selbstständiges Oesterreich wieder erstehen soll aus dem Chaos, welches perfide Organe des Umsturzes heute aus Oesterreich gemacht.
Nur in einem selbstständigen Oesterreich kann Böhmen, kann seine Hauptstadt gedeihen.
Wir vertrauen dem Kaiser und bauen fest auf sein kaiserliches Wort, ohne Furcht vor dem hohlen Gespenste der Reaction, mit welchem ein irregeleiteter Theil der Bevölkerung sich schrecken, sich mißbrauchen läßt, von einer Partei des verbrecherischen Umtriebes; in dieser Partei allein liegt die Gefahr der wahren Volksfreiheit.
Böhmens Bevölkerung erwartet, Treue und Anhänglichkeit bietend, auch Treue von seinem Könige!
Wir fordern Prags loyale Bewohner auf, durch festes, inniges Zusammenstehen Ordnung und Ruhe aufrecht zu halten, jede Aufreizung geschäftiger Agenten der Wiener Umsturz-Partei entschieden von sich zu weisen und aufmerksam zu verfolgen.
Wir warnen die Einwohner Prags vor den Gefahren jenes anarchischen Treibens, das Böhmen in Unglück und ewige Dienstbarkeit zu schlagen gedenket; darum haltet fest und treu zusammen; uns Böhmen sei der geschichtliche Ruhm vorbehalten, aller Verdächtigung zum Hohn eine treue Stütze geblieben zu sein der Monarchie!
Eintracht gibt Kraft, darum bewahret die Eintracht, in ihr liegt der Sieg über unsere Feinde, wie über unsere Verläumder.
Prag, den 9. October 1848.
Von dem Bürgermeister und Stadtverordneten-Collegium.
Manka, Bürgermeister. ‒ Prokop Richter. ‒ Dr. Roskosny. ‒ C.A.Fiedler. ‒ Franz Dittrich. ‒ F. L. Jaros. ‒ Dr. Jos. Fryc. ‒ Joh. Slawik. ‒ Wenzel Seidl. ‒ Joh. Meisner. ‒ Joh. Nowotny. ‒ Johan Spott. ‒ V. J. Rott. ‒ Karl Suchy. ‒ Med. Dr. Hofrichter. ‒ Dr. A. M. Pinkas.
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[ !!! ] Frankfurt, 12. Oktober.
Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte. Präsident: Simson.
Breuning erstattet Bericht in der Schmidt-Wiesnerschen und Gagern-Simsenschen Angelegenheit. Die Anträge lauten:
1. Die Abgeordneten Schmidt aus Schlesien und Wiesner haben, Jeder besonders, folgende schriftliche Erklärung:
Ich erkläre hierdurch, daß ich den in der Sitzung vom 5. Oktober 1848 von mir gestellten Antrag, also lautend:
In Erwägung, daß es wünschenswerth ist, daß die National-Versammlung in ihrem wahren Charakter vor das Volk trete, beantragen wir:
Die National-Versammlung möge ohne weiteres die verlangten Verhaftungen genehmigen.
gez. Schmidt aus Schlesien. Wiesner.
hiermit, wegen der darin liegenden gröblichen Mißachtung der Würde der National-Versammlung förmlich zurücknehme, dem Vorsitzenden zur Mittheilung an die National-Versammlung zu übergeben.
2. Die genannten Abgeordneten sind, bis sie dem vorstehenden Beschlusse, jeder so weit er ihn betrifft, Genüge geleistet, zur Ausübung ihrer Funktionen als Abgeordnete nicht zuzulassen.
In Betreff des Präsidenten v. Gagern und Vicepräsidenten Simson, beantragt die Versammlung über die von Schaffrath desfalls gestellten Anträge Tagesordnung.
Blum beantragt: der seit unendlicher Zeit ruhende Bericht in der Brentanoschen Angelegenheit sei vor den eben angezeigten Berichten auf die Tagesordnung zu setzen.
Präsident Simson findet dies Verlangen gerecht und wird dahin wirken. (Bravo)
Rühl interpellirt das Reichsministerium, von wem die ausnahmsweise in Frankfurt zusammengezogenen Truppenmassen bezahlt würden. (Bravo! Gelächter).
Eisenmann: Das Ministerium habe auf seine Interpellationen Betreffs Ungarns und Oesterreichs noch nicht geantwortet; jetzt sei es dazu zu spät. Er wünscht einen Antrag zu stellen.
Präsident: Der Minister sei jetzt nicht da, würde vielleicht noch im Laufe der Sitzung antworten.
Jucho stellt einen dringlichen Antrag: den Belagerungszustand an dem Tage aufzuheben, an welchen das Reichsgesetz zum Schutze der National-Versammlung in Kraft tritt, weil dann weder zum Schutze der Versammlung noch zur Ruhe der Stadt besondere Maßregeln nöthig. Zur Begründung der Dringlichkeit erhält er das Wort nicht. (Links höhnisch Bravo)
Berger aus Wien: Dringlicher Antrag von bedeutend vielen Unterschriften unterzeichnet. In Erwägung der großen Verdienste, welche die Majorität der Wiener Reichsversammlung und die Demokraten Wiens bei dem letzten heldenmüthigen Kampfe erworben, wolle die National-Versammlung erklären:, Die Wiener Reichsversammlung und die Barrikadenkämpfer haben sich um das Vaterland wohl verdient gemacht. (Links kräftiges Bravo. Centrum ruhig)
Der Antrag wird für nicht dringlich erachtet. (Links: Bravo)
Berger: Ich nehme meinen Antrag, der nur als ein dringlicher Werth hat, zurück. (Rechts Unterbrechungen. Berger läßt sich nicht stören) Ich will ihn nicht in den Ausschuß, damit man einst mit dem Dichter sagen kann, „den Antrag sah Niemand wieder!“ (Bravo links.) Die in meinem Antrag verlangte Erklärung wird unsre Partei abgeben, wahrscheinlich nicht (an die Centren) zu ihrer Zufriedenheit. (Bravo!)
Eisenmann beantragt dringlich: von Seiten der Centralgewalt Reichskommissäre an den Oesterreichischen Kaiser zu senden, um in der gegenwärtigen Lage der Dinge für das Sachgemäße zu sorgen. Wird nicht zur Begründung der Dringlichkeit zugelassen. (Links: Bravo!)
Zitz verlangt, der Ausschuß, welcher in der Anklage- und Verhaftungs-Angelegenheit Bericht zu erstatten hat, soll sich beeilen, damit die patriotische Ungeduld der Herren von Rechts gestillt wird. (Gelächter. Bravo!)
Hergenhahn (im Namen des Ausschusses) Morgen wird der Bericht fertig.
Wiegard frägt den Ausschuß, welcher Jahns Antrag (auf in Anklageversetzung der ganzen Linken) zu begutachten hat, ob derselbe bald berichten wird? (Heiterkeit).
Simson (Namens des Ausschusses) wird bald dafür sorgen.
Schmerling (Reichsminister) beantwortet die Rühlsche Interpellation. (S. oben.) Das Reichsministerium hat beschlossen, allen ausnahmsweise verwendeten Reichstruppen Entschädigung zu Theil werden zu lassen, welche aber keine neue oder besondere Auflage verursachen wird. Betreffs der Wiener Angelegenheiten hat das Ministerium mit dem Reichverweser seine Maßnahmen getroffen, und wird der National-Versammlung demnächst seine Mittheilungen machen.
Tagesordnung.
Berichterstatter Beseler spricht eine Stunde über § 31 und 32 der Grundrechte.
Abstimmung.
Nach Ablehnung von 6 bis 7 Anträgen kommt das Minoritätserachten von M. Mohl, Ph. Schwarzenberg und Pagenstecher (nach dem Antrag Röslers) zur namentlichen Abstimmung. Dasselbe lautet:
„Die Familien-Fideikommisse aller Art, die Majorate, Minorate, Seniorate und dergleichen Abweichungen von der gemeinrechtlichen gleichen Erbfolge sind aufgehoben und treten bei dem nächsten Todes-oder anderen Besitzveränderungsfalle außer Kraft. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.“
Der Antrag wird abgestimmt mit Vorbehalt der Abstimmung über die Fideikommisse der regierenden Häuser insbesondere. Der Antrag wird mit 208 Stimmen gegen 194 Stimmen verworfen (Bravo höhnisch links).
Der Antrag des Ausschusses für Volkswirthschaft:
„Alle Fideikommisse sind aufgehoben. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.“
Der Antrag ist mit 204 gegen 174 Stimmen abgelehnt. (Links höhnisch Bravo).
Ein Antrag von Haubenschmied, Lette etc.:
„die Familien-Fideikommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten,“
wird angenommen.
Der Antrag von Sprengel, Sellmer etc.:
„Die Bestimmungen über die Familien-Fideikommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben den Landesgesetzgebungen vorbehalten,“
wird angenommen.
Der Antrag von Wachsmuth etc.:
„Gleiche Bestimmungen wie für die Familien-Fideikommisse gelten für die Stammgüter,“
wird angenommen.
In beiden Anträgen waren Linke und linkes Centrum einig.
Unter dem Titel „Lehen“ wird der Antrag des volkswirthschaftlichen Ausschusses mit 222 Stimmen gegen 169 Stimmen angenommen.
Derselbe lautet:
„Aller Lehensverband ist aufgehoben. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.“ (Bravo.)
Die angenommenen Anträge bilden die Materie der §§ 31 und 32. Man kommt zur Abstimmung der §§ 34 und 35, Artikel VIII.
§. 34. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus.
Es sollen keine Patrimonialgerichte bestehen.
Wird angenommen.
Dazu ein Amendement von Werner aus Koblenz:
„Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten ausgeübt. Kabinets- oder Ministerialjustiz ist unstatthaft.“
wird unter freudiger Aufregung angenommen. (Linke und linkes Centrum).
§35. Es soll keinen priviligirten Gerichtsstand der Personen oder Güter geben.
Wird angenommen.
Dazu ein Zusatz-Antrag des Ausschusses für Gesetzgebung:
„Die Militairgerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militairischer Verbrechen und Vergehen, so wie der Militairdisciplinarvergehen beschränkt, vorbehaltlich der Bestimmungen für den Kriegsstand.
§. 36. A. Anträge des Verfassungs-Ausschusses.
Kein Richter darf außer durch Urtheil und Recht von seinem Amte entfernt werden.
Kein Richter darf wider seinen Willen versetzt werden.
Der Richter darf wider seinen Willen nur auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses in den durch das Gesetz bestimmten Fallen und Formen in Ruhestand versetzt werden.
Minoritäts-Erachten. Kein Richter darf wider seinen Willen versetzt oder in den Ruhestand gesetzt werden. (Beseler, Droysen, Jürgens, Gagern, Waiz).
Nach Lesung der Amendements zu dem § beschließt die Versammlung auf die Diskussion zu verzichten. (Bravo.) Bei der Abstimmung wird ein Antrag von Werner aus Coblenz: „Kein Richter darf außer durch Urtheil und Recht von seinem Amte entfernt oder suspendirt werden.“ mit 212 Stimmen gegen 156 Stimmen angenommen. Dazu ein Antrag von Wulffen: „oder an Rang und Gehalt beeintrachtigt werden.“
Alinea 2 des Verfassungs-Ausschusses (S. oben) wird angenommen.
Dazu ein beschränkender Zusatz: „außer durch richterlichen Beschluß in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen.“
Alinea 3 des Verfassungs-Ausschusses (S. oben) angenommen.
Ein Zusatz etwa des Inhalts: „kein Richter darf außerordentliche Gehaltszulagen oder Prämien erhalten“ wird nur von der Linken genehmigt. (Heiterkeit).
§. 37. Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
Auf die Diskussion wird verzichtet. Der §. 37 wird angenommen (Fast einstimmig). Ein Zusatz von Trutzschler: „und das Urtheil von Schwurgerichten gesprochen werden“, wird verworfen. Ein Zusatz-Antrag: „Ausnahmen bestimmt das Gesetz“ wird verworfen. (Bravo links und linkes Centrum). ‒
§. 38. „In Strafsachen gilt der Anklageprozeß, Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen urtheilen.“
Die Amendements werden gelesen. Auf die Diskussion wird verzichtet.
Der §. wird nach dem Verfassungs-Ausschuß angenommen. ‒ Ein Antrag von Trützschler und Genossen: „über die Zulässigkeit der Anklage urtheilen Geschworene“, wird verworfen. (Links: oh!)
§. 39. A. Antrag des Verfassungs-Ausschusses.
Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch Männer aus dem Volke geübt werden. (Handelsgerichte, Fabrikgericht:, Landwirthschaftsgerichte u. s. w.)
Minoritäts-Erachten. Dieser Paragraph (39) sei nicht in die Grundrechte aufzunehmen. (Mühlfeld, Bassermann, Tellkampf, Scheller, Andrian).
Der volkswirthschaftliche Ausschuß schlägt vor: „Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch fachkundige von den Berufsgenossen frei gewählte Richter geübt oder mitgeübt werden.“
Ohne Diskussion wird der §. nach dem volkswirthschaftlichen Ausschuß angenommen.
§. 40. „Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt sein.“
Der §. wird ohne Diskussion einstimmig angenommen. Dazu ein Antrag von Wulfen: „Ebenso soll die streitige Gerichtsbarkeit von der freiwilligen getrennt sein“, mit 191 Stimmen gegen 188 Stimmen verworfen. (Mit 3 Stimmen).
Ein Zusatzantrag von Teichert: „Der Polizei steht nirgend Strafgewalt zu. ‒ Im deutschen Kriegsheer gilt nur ein und dasselbe Kriegsgesetz, auf Schwurgerichte und öffentliches Verfahren gegründet“, wird angenommen. (Linke und linkes Centrum). [Also das Heer hat durchgänig Schwurgerichte; Civil nicht. ‒]
§. 41. „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte.“
Ohne Diskussion und ohne (!) Amendements angenommen.
§. 42. „Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in jedem deutschen Lande gleich den Erkenntnissen der Gerichte dieses Landes vollziehbar.“
Auf die Diskussion wird verzichtet. ‒ Der Antrag des Verfassungsausschusses wird verworfen.
Ein Antrag von Spatz dagegen: „Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte und öffentliche authentische Urkunden sind in allen deutschen Landen gleich wirksam und vollziehbar“; mit 208 Stimmen gegen 172 angenommen. ‒ Hiermit Art. VIII. beendet.
Schoder beantragt: Der Verfassungsausschuß soll so schnell als möglich alle bisher angenommenen Paragraphen zusammenstellen und drucken lassen, damit die zweite Berathung derselben spätestens nach 8 Tagen beginnen könne. ‒
von Trützschler mit mehreren beantragt, bei der zweiten Berathung verschiedene formelle Abänderungen vorzunehmen. (Wird auf Morgen zurückgelegt.)
Wesendonk stellt den dringlichen Antrag: „Das Reichministerium solle der Nationalversammlung alsbald den Beschluß mittheilen, welchen es nach Schmerling's Erklärung, in Verbindung mit dem Reichsverweser, in Folge der neuesten österreichischen Ereignisse gefaßt hat“. ‒ Die Dringlichkeit wird nicht erkannt.
Wiesner mit Anderen: In Folge des Beschlusses, wonach es der Centralgewalt nur im Einverständniß mit der Nationalversammlung zusteht, Beschlüsse über Krieg und Frieden zu fassen, und in Erwägung, daß Reichstruppen gegen die Demokraten Wiens geschickt werden sollen (rechts Gelächter ‒ links: Ruhe! das ist die Reaktion!) beantragt; ‒ die Nationalversammlung soll beschließen. dies sofort zu verhindern. ‒ Die Dringlichkeit wird abgelehnt.
Schüler aus Jena und Mehrere beantragen dringlich: „Die Nationalversammlung soll beschließen, jeder Schritt. welcher bezweckt, in die neuesten Wiener und österreichischen Verhältnisse einzugreifen, sei ungesetzlich. ‒ (Große Sensation, links Bravo.) Der Antrag wird als nicht dringlich erkannt. ‒
Graf Wartensleben, Backhaus, Eisenmann und Mehrere beantragen als dringlich: „In Erwägung der neuesten österreichischen Verhältnisse, vor allen Dingen die Berathung der Verfassung vorzunehmen.“
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Berlin, 12. Okt.
Vorgestern, am 10., erhielt das in Brandenburg garnisonirende 20. Infanterieregiment, das erst kürzlich aus Schleswig-Holstein dorthin wieder zurückgekehrt war, die Ordre zum Ausmarsch, und zwar wurden Küstrin, Frankfurt a. d. O. und Guben als die neuen Garnisonen bezeichnet. Die Soldaten zeigten sich wenig geneigt, den ihnen liebgewordenen Ort zu verlassen, ebenso war es der allgemeine Wunsch der Bürgerschaft, gerade jenes Militär, namentlich das Füsilierbataillon zu behalten. Auf gestern, den 11., wurde eine große Bürgerversammlung auf dem Markt angesagt, zu welcher sich Nachmittags auch viele Personen einfanden. Als man darüber berieth, was zu thun sei, um die Maßregel abzuwenden, erschien der Oberbürgermeister und erklärte, daß eine Versammlung unter freiem Himmel nicht zulässig sei. Die Bürger zogen sich darauf in ein geschlossenes Lokal zurück, um hier weiter zu berathen, und beschlossen, demnächst den Obristlieutenant von ihrem Wunsche in Kenntniß zu setzen. Von dem Obrist-Lieutenant wurde der Deputation die Antwort, daß die Ordre nicht zurückgenommen werden könne und daß es beim Abmarsch der Soldaten am 12. sein Bewenden habe. Eine hierauf nochmals an jenen Offizier abgesandte Deputation erklärte diesem, daß die Bürgerschaft eine Deputation an den Kriegsminister nach Berlin senden wolle und bat, daß mit dem Abmarsche der Soldaten jedenfalls bis zur Rückkehr der Deputation gewartet werden möchte. Die Deputation der Bürgerschaft Brandenburgs, bestehend aus vier dortigen Bürgern, kam gestern Abends spät hier an, begab sich sogleich in die Wohnung des Hrn. Kriegsministers und da sie denselben nicht antraf, verweilte sie in der Wohnung bis gegen 12 Uhr Nachts, wo der Hr. Minister zurückkam. Dieser empfing in sehr humaner Weise die Deputirten, bedauerte, daß sie ihn nicht im Ministerrathe, von dem er so eben komme, aufgesucht, erklärte jedoch, als die Deputirten ihm ihr Anliegen mittheilten, daß er in dieser Sache nichts thun könne, daß Hr. v. Wrangel allein darüber zu bestimmen hätte, und verwies sie schließlich an diesen. Nachdem noch die Deputation durch den General Jaenicke, an den Hr. v. Pfuel sie zunächst verwiesen, erfuhr, daß nur Hr. v. Wrangel ihnen eine entscheidende Antwort in ihrer Sache geben könne, begaben sich die vier Herren sofort nach Charlottenburg zum Hauptquartier. Nachts 1 Uhr kamen sie an, ließen sich durch den General Hahn dem Hr. v. Wrangel melden und wurden, nachdem sie den Ersteren mit ihrer äußerst dringenden Angelegenheit bekannt gemacht hatten, von Hrn. v. Wrangel vorgelassen. Dieser, im Bette liegend richtete sich etwas auf, als die vier Herren eintraten und fragte, was sie wünschten? ‒ „Wir sind von der Stadt Brandenburg hergeschickt, um zu erklären, daß die dortige Bürgerschaft wünscht, das Militär zu behalten, und daß sie entschlossen ist, den Ausmarsch der Soldaten zu hindern“ ‒ ‒ Der im Bette liegende General ließ nicht weiter reden, fragte barsch: „was [Fortsetzung]
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[Fortsetzung] änderten Grundsätze und Gefühle, die siegreich sich erhebende Idee internationaler Gerechtigkeit, haben auch die Verhältnisse der Nationen zu einander verändert.
Und haben wir auch im Jahre 1831 unglücklich gestritten, so haben wir doch gezeigt, daß der russische Koloß tönerne Füße habe.
Se. M. der König: Ich bin anderer Meinung und glaube, daß der Koloß eiserne Füße habe.
Kraszewski: Nun, die neuesten Ereignisse haben uns bewiesen, daß auch manche andere eiserne Füße zu tönernen werden können.
Die Minister traten bei diesen Worten näher zum Könige, und Brodowski, einen Schritt vortretend, sagte mit lauter Stimme:
Die Gefühle heiliger Anhänglichkeit an die Sache der Väter, an die Sprache und Sitte des Volkes sind im Großherzogthum in keinem einzigen Punkte geschont worden, obgleich selbst die Wiener Traktate die Unantastbarkeit dieses Heiligsten, was die Natur in die Herzen der Menschen geschrieben, garantirt hatten. Aber den Behörden im Großherzogthum waren auch diese Konventionen von 1815 zu freisinnig, zu gerecht und für den Zweck der Regierung nicht angemessen.
Hierauf sprach wieder Kraszewski, seine unterbrochene Rede aufnehmend:
Ew. Majestät haben an die schrecklichen Ereignisse in Galizien im Jahre 1846 erinnert. Die unselige Zerrüttung der geselligen Zustände in Galizien ist aber lediglich dem Machiavellismus der österreichischen Regierung zuzuschreiben; im Krakauischen, da, wohin sich dieser zerstörende und demoralisirende Einfluß von Oben nicht erstreckte, da war die Nation Eins gewesen. Die Mordthaten in Galizien sind durch eine, die innere Zerwürfniß erregende und unterhaltende feindselige Administration vorbereitet und zuletzt sogar bezahlt worden. Die galizische Stände haben seit Jahren wegen der Ablösung der Roboten petitionirt, aber der österreichischen Regierung war es genehmer, den Samen der Zwietracht, als den des Friedens zu pflegen.
Sr. Maj. der König: Dies ist nicht wahr. Der Aufstand der Bauern ist ein selbst erregter gewesen, indem die galizischen Bauern, obgleich sie dieselben Wohlthaten wie die posen'schen nicht genossen, doch die Wiederkehr eines Zustandes befürchteten, der sie wiederum wie im alten Polen, unter die völlige Willkühr der Herrn bringen würde. Ich habe es von den höchstgestellten Personen des österreichischen Staates sagen hören: „die Commotionen in Italien, die Zerrüttungen in der Schweiz haben uns viel geschadet, die finanzielle Krisis hat uns viele Schwierigkeiten gebracht, aber nichts ist für unsere Monarchie so verderblich gewesen, als der Aufstand der polnischen Bauern gegen den Adel und zu Gunsten der Regierung.
Kraszewski: Dies mag sein, aber die offiziellen Dokumente haben hinlänglich dargethan, daß der Aufstand der Bauern durch die Beamten bewirkt worden, die auf die Köpfe der Gutsbesitzer einen Preis gesetzt haben.
Sr. Maj. der König: Ich habe mein Wort gegeben, daß dies nicht der Fall gewesen.
Kraszewski: Nun so hat sich wenigstens die österreichische Regierung vor dem Verdachte eines solchen Verbrechens nicht gerechtfertigt.
Sr. Mnj. der König: Dies zu thun, würde unter ihrer Würde gewesen sein.
Kraszewski: Die Rechtfertigung vor einer solchen Anklage ist meines Erachtens Pflicht eines Jeden, er mag hoch stehen, oder niedrig.
Sr. Maj. der König: Unsere Sitte ist es nicht. (Die letzten Worte, die nicht ohne gewisse Erregtheit gesprochen wurden, unterbrachen diese merkwürdige Unterredung.) Der König wendete sich hierauf zu dem Erzbischofe, den er ungefähr so anredete:
„An Sie, verehrter Herr Erzbischof, der Sie mir so viele Beweise aufrichtiger Liebe gegeben haben, wende ich mich namentlich mit der Bitte, beruhigen Sie, ich beschwöre Sie, das Volk, und unterdrücken Sie durch öffentliche Aufforderungen eine Bewegung, die die Provinz ins Verderben stürzen kann. Bei dem Volke ist noch Religion, und es wird Ihren Aufforderungen Gehör geben.“
Der Erzbischof von Gnesen und Posen schloß das ganze Anliegen der Deputation durch folgende Worte:
Unter den Unterthanen Ew. Königl. Majestät gibt es gewiß keinen Einzigen, dessen Herz wahrer und dankbarer, denn das meinige, an Ew. Majestät hinge. Um deswillen flehe ich Ew. Majestät noch einmal um die Gewährung unserer gerechten Bitten, als um das einzige Mittel, um, wie Ew. Majestät selbst sich ausdrückten, unsäglich Unglück von der Provinz abzuwenden.
Hierauf wurde die Audienz von dem Minister Grafen v. Arnim für beendet erklärt; wegen der Berathung über die einzelnen Punkte verwies der König die Deputation an die Minister, ließ sich dann die Mitglieder der Deputation durch den Erzbischof vorstellen, sprach an sie einzelne Worte und entließ sie.
(Aus der höchst interessanten Schrift von Adalbert Lipski: „Beiträge zur Beurtheilung der Ereignisse im Großherzogthum Posen im Jahre 1848.“ 1. Heft. Berlin, gedruckt bei den Gebr. Unger.)
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[Fortsetzung] wünscht die Bürgerschaft? „ ‒ „„Daß das Militär nicht fortmarschire!““ ‒ „Wünscht das die Bürgerschaft?„ ‒ „„Ja!““ ‒ „Nun, dann marschirt es!“ ‒ Sprach's, legte sich wieder hin, warf sich auf die andere Seite und schnarchte weiter.
Die vier Deputirten sind heute früh nach Brandenburg zurückgereist.
[(B. Z.-H.)]
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[ * ] Berlin.
Die unten nachfolgende Vorlage des Ministeriums ist von der Commission der National-Versammlung für Justizreform verworfen worden, obgleich Jung, und Doerk ausgenommen, nur Mitglieder der Rechten in dieser Commission sitzen und Reichensperger sie präsidirt. So groß ist der Schrecken, den die Wiener Nachrichten unter den konservativen Catos heraufbeschworen.
Botschaft an die zur Vereinbarung der Verfassung berufene Versammlung.
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc. etc. lassen der zur Vereinbarung der Verfassung berufenen Versammlung hierbei den von Unserem Staats-Ministerium ausgearbeiteten Entwurf eines Gesetzes, die §§. 151 bis 155. Tit. 20. Th. II. Allg Landrechts betreffend, nebst Motiven zu ihrer Erklärung zugehen. Gegeben Sanssouci, den 8 Okt. 1848. (gez.) Friedrich Wilhelm. (gez.) v. Pfuel. Eichmann. v. Bonin. Dönhoff. Kisker. Für den Minister der geistlichen Angelegenheiten: v. Ladenberg.
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen etc. etc. verordnen auf den Antrag Unseres Staats-Ministeriums und mit Zustimmung der zur Vereinbarung der preußischen Verfassung berufenen Versammlung was folgt: §. 1. Wer durch Reden an öffentlichen Orten oder bei öffentlichen Zusammenkünften, oder durch Schriften, Abbildungen oder andere Darstellungen, welche verkauft, ausgetheilt oder sonst verbreitet oder öffentlicht ausgestellt oder angeschlagen werden, gegen die Landes-Verfassung, die Gesetze, die Staats-Einrichtungen oder die Maßregeln der Verwaltung durch Erdichtung von Thatsachen oder durch Entstellung der Wahrheit, Haß oder Verachtung zu erwecken sucht, wird mit Gefängniß von vierzehn Tagen bis zu sechs Monaten bestraft. Die zur Verbreitung vorräthigen Exemplare solcher Schriften, Abbildungen, oder andern Darstellungen, so wie dazu bestimmten Platten und Formen sind in Beschlag zu nehmen und zu vernichten. §. 2. Die §§. 151. bis 155 Tit. II. Allg. Landrechts und die darauf Bezug habenden neuen Verordnungen, soweit sie noch gültig sind, treten außer Kraft. Urkundlich etc. etc.
Motive zum Entwurf eines Gesetzes über die Abänderung der §§. 151. und folg. Titel 20. Theil II. des Allgem. Landrechts. Es muß anerkannt werden, daß die §§. 151 und folg. Titel 20 Theil II. des Allgem. Landrechts in Verbindung mit der Volkschrift des Censur-Ediets vom 18 Oktober 1819 §. XVI. ad 2. (Gesetz-Sammlung S. 232.) in mehrfacher Beziehung nicht haltbar erscheinen. 1) Zunächst ist eine Beschränkung insofern nothwendig und dem Geiste der neuen Legislation angemessen, als die incriminirten Handlungen nur dann als strafbar betrachtet werden dürfen, wenn sie öffentlich in Worten. Schriften oder Darstellungen geäußert sind. Denn nur dann werden sie als wirklich die Würde des Staates verletzend und gefährlich für denselben angesehen werden können, weil sich nur unter solchen Umständen die Erregung von Unzufriedenheit und Mißvergnügen gegen die Regierung in einem bedeutungsvollen Maaße erwarten läßt. Eine ähnliche Auffassung der Sache hat sich auch in andern neuen Gesetzgebungen geltend gemacht. 2) Hiernächst ist gegen die §§. 151 und folg. zu bemerken, daß die Ausdrücke: „frecher unehrerbietiger Tadel und Verspottung“, eine zu weite unbestimmte Anwendung zulassen. Es erscheint nothwendig, den Begriff des Verbrechens in engere Grenzen zu schließen; dies geschieht, wenn der Thatbestand lediglich auf den Fall beschränkt wird, wo durch Erdichtung von Thatsachen oder durch Entstellung der Wahrheit Haß oder Verachtung zu erwecken versucht wird. 3) Endlich ist in dem Allgem. Landrechte das Strafmaaß zu hoch. Es wird Gefängniß von 14 Tagen bis zu 6 Monaten genügen Wenn die Strafbestimmungen des Landrechts in der so formulirten Art und Weise beschränkt und umgestaltet werden, so dürften sie den Verhältnissen entsprechen. Die Bestimmungen des Landrechts ohne alles Surrogat aufzuheben, ist nicht zulässig, da es unmöglich gestattet werden kann, daß wider besseres Wissen und in der Absicht, die Regierung herabzuwürdigen, Thatsachen entstellt oder erdichtet werden. Es ist dies eine Verläumdung, die, wenn sie gegen Privatpersonen begangen wird, eine viel höhere Strafe, als die oben vorgeschlagene, nach sich zieht. Das Allgem. Landrecht spricht im §. 153 und 154 auch von Verkauf und Verbreitung strafbarer Schriften und Darstellungen. Indeß wird es der Aufnahme derartiger Bestimmungen nicht bedürfen. Es sind hierbei zwei Fälle zu unterscheiden. Haben die Verkäufer und Verbreiter wissentlich und vorsätzlich, mit Kenntniß des strafbaren Inhalts, gehandelt, so sind dieselben schon nach allgemeinen Grundsätzen über Miturheber und Gehülfen strafbar. Anders verhält es sich, wenn ein solcher Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann. Für diese Art der fahrlässigen Verbreitung kann es allerdings wünschenswerth erscheinen, Bestimmungen zu treffen; allein nach dem Vorgange anderer Gesetzgebungen würden diese Bestimmungen immer nicht in Beschränkung auf ein einzelnes Verbrechen, wie das vorliegende, sondern von einem allgemeinen Standpunkte aus erlassen werden müssen, da solche Verbreitung auch für Provokationen zu Hochverrath, Majestäts-Beleidigung etc. von Bedeutung ist. Was schließlich die in Folge der landrechtlichen Bestimmungen erkannten Strafen so wie die nach denselben Vorschriften eingeleiteten Untersuchungen betrifft, so gehört die Bestimmung über den Erlaß der Strafe und die Niederschlagung der Untersuchung nicht in das Gesetz; vielmehr wird mit Rücksicht auf § 18 der Einleitung zum Allgem. Landrechte die Angelegenheit im Verwaltungswege zu erledigen sein.
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Berlin, 11. Okt.
(Preuß. Nationalversammlung.) Wir tragen aus dieser Sitzung Folgendes nach. Zunächst mehrere Interpellationen: Behnsch vermißt in den amtlichen Mittheilungen der öffentlichen Blätter bezüglich der Posener Amnestie die „mittelbaren Staatsbeamten“, welche doch, nach dem vom Justizminister in der vorigen Sitzung verlesenen Dekrete unter die, für die „unmittelbaren Staatsbeamten“ ausgesprochene Amnestie ausdrücklich mitgehören sollten. Der Hr. Minister erklärt die Auslassung des Wortes „mittelbar“ für einen Druckfehler und die Urschrift zu der Publikation als verloren gegangen. Der Abg. Kanonikus Richter verlangt. daß die Amnestie für die Polen (in Posen) auch auf die Polen in Westpreußen ausgedehnt werde und Temme fordert unbedingte Amnestie (nicht blos Befreiung von der Untersuchung) für alle in den Polenaufstand verflochtene Beamte, Offiziere, Geistliche und Lehrer. Beide Anträge werden als nicht dringlich zurückgestellt; nachdem der Justizminister erklärt hat, wie jede Amnestie eine doppelte Bedeutung habe, (leider sehr wahr) nämlich als Akt der Begnadigung und als bloße Niederschlagung der Untersuchung. Die Amnestie vom 9. habe zunächst nur die letzte Bedeutung; die erste, die „Begnadigung“ werde späterhin erfolgen. Für die Anträge sprechen Waldeck, Jung, Bensch. Die beiden letzteren finden in dieser Amnestie (v. 9.) eine halbe Maßregel und gefährlich. Arntz und Philipp's verlangen vom Finanz-Minister noch vor dem 1. Dezember d. J. die Vorlegung des Büdjets für das Jahr 1849. Der Antrag wird, nach einigen weder zusagenden noch ablehnenden Bemerkungen des Herrn Ministers, von der Versammlung fast einstimmig zu dem ihrigen gemacht.
Dem Abgeordneten Krauß genügt das ministerielle Programm vom 22. September nicht; er will wissen, wie das Ministerium in Betreff der, schon von den beiden frühern Ministerien, in Aussicht gestellten Steuer- und Abgaben-Reform gesonnen ist; und ob es namentlich die Wahl-, Schlacht- und Klassensteuer abschaffen und dafür eine Einkommens- und Vermögenssteuer einführen wolle? Der Nachfolger des Hrn. Hansemann und Erbe dessen parlamentarischer Tugenden warnt, indem er sich ausdrücklich auf seinen (großen) Vorgänger beruft, vor „Täuschungen und mißlichen Experimenten“ auf finanziellem Gebiete. (Sehr richtig! wir dürfen nur an den Staatsschatz denken.) Der Aufhebung der Wahl- und Schlachtsteuer widersetze sich das Ministerium nicht; in der Einkommensteuer ‒ mit deren Einführung die Klassensteuer von selbst fortfalle ‒ wolle man noch einen Schritt weiter gehen; nur lasse sich das Ertragsverhältniß noch nicht übersehen.
(Wir fragen ganz einfach: wie weit man denn mit den Vorarbeiten zur Einkommensteuer gekommen und welches der „Schritt“ ist, den man „noch weiter gehen“ wolle?)
Hierauf bringen Kirchmann, Kämpf und Wachsmuth als dringlich (vor der Tagesordnung) einen Gesetzesvorschlag ein, wonach bis zur Feststellung der Verfassung und Gemeindeordnung, in Betreff der Bürgerwehr folgende Vorschriften gelten sollen:
1) Das feierliche Gelöbniß der Treue für den König u. s. w. (§ 7 des Bürgerwehrgesetzes) findet nicht statt.
2) Auch die Hauptleute sollen „in dringenden Fällen“ auf eigene Verantwortlichkeit, ohne Requisition der Behörden, die Bürgerwehrmänner ihres Bezirks zum Schutze der gesetzlichen Ordnung u. s. w. versammeln und wirken lassen dürfen.
3) Die vom Staate den Gemeinden verabreichten Waffen bleiben bis zum Erscheinen der Verfassung jedenfalls im Besitze der Gemeinden.
Gegen den Vorschlag sprechen: Stein; erst muß das Bürgerwehrgesetz im Ganzen zur Abstimmung kommen; er will nicht, daß der Versammlung die Annahme des Bürgerwehrgesetzes durch den jetzigen Vorschlag plausibler gemacht werde; ‒ Temme: will durchaus keine transitorischen Bestimmungen mehr; er findet in dem Vorschlag die Absicht einer Beschwichtigung des Volkes wegen des Mißtrauensvotums, welches das Bürgerwehrgesetz gegen die ganze Bürgerwehr ausdrücke (Sturm) D'Ester begreift nicht, wie man über eine Gesetzesvorlage diskutiren könne, welche sich auf ein anderes, noch gar nicht existirendes Gesetz bezieht.
Elsner erklärt den Vorschlag als ein Amendement zum Bürgerwehrgesetz und deshalb die Diskussion für unzulässig; auch er findet, daß man die öffentliche Meinung, die sich entschieden gegen das Bürgerwehrgesetz ausgesprochen, nur beschwichtigen wolle (oho!).
Für den Antrag sprechen außer den Antragstellern verschiedene Redner, die gerade mit dem ‒ von der Opposition angegriffenen ‒ Zugeständnisse an die öffentliche Meinung, den Vorschlag rechtfertigen. Dieser wird endlich von der Versammlung angenommen, nachdem noch Gladbach und Behrends an der Debatte über die einzeln §§. sich in der Art betheiligt haben, daß Gladbach (zu § 3 ) verlangt: Die Gewehre sollen den Gemeinden „bis zum Erlasse eines volksthümlichen Bürgerwehrgesetzes“ verbleiben (nicht angenommen); und Behrends gegen den § 2 sich erklärt, weil darin von dem „ Schutze der Freiheit des Volks“ nichts stehe.
Bevor nun in der Berathung des Ablösungsgesetzes fortgefahren wird, (welche für heute mit Annahme des § 1 Nr. 2 schließt) erhebt sich ein gewaltiger Sturm über ein in der Versammlung cirkulirendes Schreiben des Abgeordneten Prof. Haase von Breslau, in welchem dieser seinen Wählern ein durchaus unwürdiges Bild entwirft von den Parteistellungen in der Kammer. v. Berg, der diesen Gegenstand zur Sprache bringt, glaubt, daß das Druckstück wohl ein Falsum sein müsse, da es für einen Professor zu schlecht stylisirt, für einen Abgeordneten aber zu unehrenhaft sei, worauf Haase erwiedert, daß das Schreiben allerdings von ihm, aber nicht zur Veröffentlichung bestimmt, sondern nur an eine Person gerichtet sei, auf deren Diskretion er sicher rechnen zu können geglaubt habe. (Schluß der Sitzung 2 Uhr).
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Berlin.
Nationalversammlung. (Sitzung vom 12. Oktober).
Das Protokoll wird genehmigt, die üblich gewordenen Urlaubsgesuche werden bewilligt. Tagesordnung: Bericht der Central-Abtheilung über den Titel I. des Entwurfs der Verfassungs-Urkunde. Der Berichterstatter der Central-Abtheilung (Lüdike) beantragt, nachdem er die Motive für die Fassung der Eingangsformel explicirt, die Fortlassung der Worte „von Gottes Gnaden“. Ein Amendement von Schreiber beantragt die Suspension der Debatte über die Eingangsformel bis zur Vollendung der ganzen Verfassung. Die Formel in der Verfassung der Centralabtheilung lautet: Wir, Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen, thun kund und fügen zu wissen, daß wir mit den nach dem Wahlgesetze vom 8. April 1848 gewählten und demnächst von Uns zusammenberufenen Vertretern Unseres getreuen Volkes die nachfolgende Verfassung vereinbart haben, welche wir demnach hierdurch verkunden.“ Ein Amendement von Mätze lautet: „Wir, Friedrich Wilhelm, u. s. w. verkünden hiermit etc. Von Schneider ist ebenfalls ein Amendement gestellt, welches lautet: „Wir, Friedrich Wilhelm, König von Preußen u. s. w.“, er vertheidigt dasselbe, indem er auf die Zartheit aber auch Wichtigkeit der Frage aufmerksam macht und zeigt, daß der Ausdruck „von Gottes Gnaden“ dem alten patriarchalischen Absolutismus angehöre und einer Urkunde, die die künftige Verfassung eines constitutionellen Staates enthält, nicht vorgesetzt werden dürfe. Was den Ausdruck „König von Preußen“ beträfe, so sei die Zeit vorüber, wo Landesschacher und Völkerraub möglich ist, darum darf auch der Fürst nicht mehr den Eigenthumstitel führen; abgesehen davon, daß er unconstitutionell ist Walther für die Formel der Centralabtheilung: Wenn es heißen sollte: „König von Preußen“ so müßte das Potworowsky'sche Amendement: „beim Titel des Königs den Titel Großherzog von Polen beizubehalten“ ebenso verändert werden, und da in Polen auch Deutsche sind, so müßte der Titel heißen: Großherzog der Posener Polen und Deutschen. Uebrigens fühle er das Bedürfniß, sich beim Namen des Königs an die Verantwortlichkeit zu erinnern, die derselbe nicht gegen die Nation, nicht gegen deren Vertreter, sondern gegen eine höhere Macht, die göttliche Vorsehung, hat. Borchart kräftig gegen diese Sentimentalität: Am 19. März hat es nicht von Gottes, sondern von des Volkes Gnade abgehangen, daß Friedrich Wilhelm noch König von Preußen geblieben ist. v. Daniels sieht eine Barbarei in dem Ausdruck „der Preußen“, da die Vandalenkönige sich auch dieses Genitivs bedient hatten. Der Minister des Innern: Wir wollen treue Vermittler sein zwischen der Krone und der vereinbarenden Versammlung. Wir werden die Rechte des Volks wahrnehmen, aber auch die der Krone vertheidigen. Unconstitutionell ist der Ausdruck „von Gottes Gnaden“ nicht. Die Engländer haben denselben auch beibehalten. Stolz können die Könige nicht darauf sein, vielmehr muß es sie demüthig machen, da es sie stets an ihren Ursprung erinnert. Auch ist die Krone jetzt im Besitz dieses Titels, man darf ihn ihr nicht rauben. So ist es auch mit dem Ausdruck: „König der Preußen“ Solche Ausdrücke schaden ja Niemanden, warum sollen sie der Krone nicht bleiben. Kruhl findet eine tiefe Bedeutung in den Ausdrücken; besonders in dem ersten. Denn die Menschen bedürfen eines Symbols an dem sie mit Innigkeit und Hingebung hangen, Außerdem würde uns der Ausdruck „König von Preußen“ zu Leibeigenen, zu Sklaven machen. Temme und Lisiecki haben ein Sousamendement des Schneider'schen Amendements eingereicht, zu setzen: „König von Preußen und Großherzog von Posen“. Wird unterstützt, ebenso das von Parrisius: „Wir Friedrich Wilhelm, König von Preußen, verkünden hiermit u. s. w.“ Nur das Centrum erhebt sich bei der Unterstützungsfrage. Hildenhagen: wir wollen den König nicht erniedrigen. Aber statt daß der Königliche Thron früher von Aeußerlichkeiten umgeben war, vor denen das Volk in knechtischem Aberglauben niederzuknieen gewohnt war, soll jetzt die innere Tüchtigkeit, die Mannhaftigkeit und Intelligenz des Fürsten der Magnet sein, der die Herzen seines Volkes zu seinem Throne zieht. Während Wien vielleicht in diesem Augenblick seinen Fürsten dafür durch Verlust der Krone bestraft, daß er seine Zeit und ihre Forderungen nicht verstanden, debattiren wir über Worte, und erlangen vielleicht nicht einmal, daß auch nur der Form nach dem constitutionellen Verlangen der Zeit, nachgegeben werde. Wenn wir nicht brechen mit der alten Zeit, so wird die neue Zeit brechen mit uns. ‒ Ein anhaltendes Bravo folgte der kernigen und von edler Begeisterung getragenen Reden und der folgende Redner, Sommer von der Rechten, wurde fast gar nicht angehört. Bodener (aus dem Centrum): Bei der Frage über die Verfassung gibt es keine Gemüthlichkeit und keine Phrasen, sondern strenge Bedachtsamkeit deshalb bin ich für den Ausdruck „von Preußen:“ aber gegen „Gottes Gnaden“ Rath einigen unwichtigen Reden wird durch Abstimmung eine viertheilige Diskussion, resp. Abstimmung beliebt. Das Schreiber'sche Amendement, welches eine Aufschiebung der Berathung über die Verkündigungsformel bis zur Vollendung der ganzen Verfassungs-Urkunde beantragt, wird verworfen. ‒ Uhlich beantragt sofort den Schluß der Diskussion über die Worte: „von Gottes Gnaden.“ Nach Unterstützung und Motivirung des Schlusses spricht Schultz (Delitzsch) dagegen, weil ein Gesichtspunkt noch nicht genug erörtert ist. Wenn eine Firma banke ort gemacht hat, so wird in dem neuen Geschäft die Firma geändert. Die Worte „von Gottes Gnaden“ stellten die Firma des Absolutismus dat, der bekanntlich nebst seinem Geschäftsführer Bankerott gemacht hat. Wollen wir nun auch den alten Geschäftsführer erhalten, so müssten wir doch die Firma abändern. Nach einer Menge faktischer Berichtigungen die theils nicht faktisch, theils nicht berichtigend sind, wird noch ein Amendement von v. Cziescowsky verlesen, das jedoch nicht unterstützt wird. Der Schluß wird darauf angenommen, und darauf die Worte „von Gottes Gnaden“ zur namentlichen Abstimmung gebracht, welche das Resultat ergibt: 217 Ja, 134 Nein, 51 haben gefehlt. Für die Streichung stimmten aus dem Centrum und aus dem linken Centrum: Kosch, Moritz, Parrisius, Schadebrodt, Schwiegen, v. Unrub, Wachsmuth, Uhlich, v. Berg, Duncker, v. Kirchmann. Gegen die Streichung stimmten Harkort, Jonas I. und II, Zachariae, Zweifel, Auerswald I., Bornemann, Daniels, Milde, Märker und die ganze Rechte. Das die Linke (Waldeck, Elsner, Stein, Gladbach, Jung, Berends, Temme u. s. f.) für die Streichung stimmten, glauben wir kaum erwähnen zu dürfen. Es fehlte Sybow (der unmittelbar nach Beginn der Abstimmung hinausging und nicht eher wiederkam, als bis das Resultat verkündet war). ‒ Es folgt hierauf die Diskussion über die Worte „König der Preußen.“ Jung trägt auf sofortigen Schluß der Debatte an. v. Mäusebach trägt auf Namensaufruf an, der von der äußersten Rechten und von der äußersten Linken unterstützt wird, worauf Schneider sein Amendement zurücknimmt und dann der Ausdruck: „König von Preußen“ fast einstimmig angenommen wird. ‒ v. Potworowski motivirt sein Amendement, wonach jenem Ausdruck hinzugesetzt werden soll: „Großherzog von Posen.“ Wir sind Polen unter preußischer Oberhoheit, keine Deutsche, keine Preußen. Soll ich mich hier vor den Vertretern des preußischen Volks im Jahre 1848 auf die Verträge von 1815 berufen? Wir sind schmählich behandelt, aber wir geben nicht die Hoffnung auf einstige Wiederherstellung unsrer nationalen Selbstständigkeit auf. Seien Sie gerecht, und löschen Sie nicht den letzten Funken von Hoffnung, indem Sie den Beinamen: „Großherzog von Posen“ aus dem Titel des Königs streichen. Seeger gegen das Amendement, da er in den Wiener Verträgen durchaus nicht die Garantie für die Selbstständigkeit des Großherzogthums als eines solchen finde. Schramm: Da wir den alten Ausdruck „König von Preußen,“ gelassen haben, so scheint schon daraus zu folgen, daß dann auch die übrigen Titel, welche einen bestimmten Inhalt haben, verbleiben. Wir machen ja keinen Zusatz, indem wir das Amendement annehmen. Auch dürfen wir den Polen nicht die letzte Garantie für die Möglichkeit ihrer künftigen nationalen Selbstständigkeit rauben. Geßler dagegen, da dies Amendement keinen Unterschied mache zwischen den Theilen, die bei Deutschland verbleiben wollen, und denen, die einer Reorganisation unterworfen werden sollen. Nach einer thatsächlichen Berichtigung von v. Zoltowsky wegen der Abhängigkeit Posens von Preußen ergreift der Minister des Innern das Wort: Wenn gegenwärtig darauf angetragen ist, den Titel „Großherzog von Posen“ in die Verfassungs-Urkunde mit hinüberzunehmen, so würde die Regierung nichts dagegen haben, wenn nicht damit eine ganz besondere politische Bedeutung verbunden wäre. Insofern muß sich die Regierung allerdings gegen das Amendement erklären. Er verliest darauf den Beschluß der deutschen National-Versammlung vom 7. Juli, betreffend die Zulassung der 12 deutschen Abgeordneten von Posen. v Dönhoff (Minister des Auswärtigen): Es würde sich hier nur um eine Bestimmung der Gränze handeln, da die Landestheile des Retzdistrikts und mehrere andere Kreise bereits am 22. Mai von der deutschen National-Versammlung in das deutsche Reich aufgenommen sind. ‒ v. Zoltowski: Niemand hat bestritten, daß nach den Wiener Verträgen das Großherzogthum Posen nicht zum deutschen Bunde gehören solle. Somit ist die deutsche National-Versammlung gar nicht kompetent zu solchen Beschlüssen. (Oho!) ‒ Bauer (Krotoschin) beantragt Verwerfung der Vertagung und den Schluß der Debatte. Das erstere wird angenommen, das zweite verworfen, worauf Temme für das Amendement. Er wolle sich nicht auf Staatsverträge berufen, sie gelten für ihre Zeit, und nicht für die neue Zeit, die das Prinzip der Nationalität und deren Selbstständigkeit zur Geltung bringen will. Ehren Sie dieses Verlangen und nehmen Sie das Amendement an, welches aus diesem Verlangen entsprungen ist. ‒ Kalizki mit der Gluth nationaler Begeisterung die Schwierigkeiten einer ihm nicht geläufigen Sprache überwindend, für das Amendement. Er protestirt gegen die Kompetenz der Frankfurter Versammlung in Bezug auf die Posen'schen Verhältnisse und gegen die Rechtsgültigkeit ihrer Beschlüsse ‒ Schmidt aus Czarnikau macht die Gleichberechtigung der Nationalitäten geltend gegen das Amendement. ‒ Lisiecki: Nur das Verzweifelte unserer Lage treibt uns zur Berufung auf diese Verträge, deren bloßer Name meine tiefste Entrüstung hervorruft. Aber ich werde es nicht thun. Ich bin zu bewegt, um Vieles zu sagen. Ich beschwöre Sie, meine Herren, seien Sie gerecht. Der Pole hat überall sein Blut für die Freiheit vergossen, und wird es noch ferner vergießen, und er soll nicht einmal einen eigenen freien Heerd haben. Seien Sie gerecht, meine Herren. (Bravo.) Das Keserstein'sche Amendement kommt zur Unterstützung, wonach hinter dem Ausdruck „König von Preußen“ nichts als ein „etc. etc.“ folgen soll. Hanow gegen das Amendement. Phillips trägt auf Vertagung der Diskussion bis zur Debatte über § 1 der Verfassungs-Urkunde an. Von der Linken und vom Centrum unterstützt. Die Abstimmung ist zuerst zweifelhaft, bald darauf entscheidet sich die Majorität für die Vertagung. Morgen: Bürgerwehrgesetz wird verlesen, ebenso die transitorischen Bestimmungen dazu, sowie das Jagdgesetz und zur definitiven Abstimmung darüber geschritten. Darauf Weinmoststeuer. Sitzungsschluß 2 ein halb Uhr.
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Brandenburg a. d. H., 10. Oktbr.
Zwischen der hier garnisonirenden Kavallerie und Infanterie ist es dieser Tage zu einer Schlägerei gekommen, bei welcher die Infanterie die Oberhand behielt.
[(B. Z. H.)]
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Breslau, 10. Okt., 9 1/2 Uhr.
So eben trifft der Abendzug der Oberschlesischen Eisenbahn mit der Wiener Post ein. Es ergibt sich, daß letztere deßhalb heute Mittag nicht eingetroffen war, weil der Train auf der Nordbahn, 25 Waggons stark, welche zum großen Theil Flüchtlinge aus Wien fortschafften, den Anschluß an den durchgehenden Zug versäumt hatte.
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Hadersleben, 6. October.
Es kehren fortwährend deutsche Geschäftsreisende, die sich nach Jütland und Fühnen begeben haben, von dorther zurück und stimmen alle darin überein, daß man sich ungefährdet dort nicht aufhalten könne. Einer mußte sich zu Fuß von Bogense aus dem Staube machen, und erhielt in Odense vom Polizeimeister, Kammerjunker Klaumann, die Weisung, sich sofort aus der Stadt zu begeben, da die dortige Polizei sich nicht im Stande sehe, ihm Schutz zu gewähren. In Aarhuns mußten mehre Reisende des Nachts aus dem Bette heraus, um nicht ein Opfer der gegen sie gerichteten Pöbeldemonstration zu werden. Mehre Geschäftsreisende sind dadurch bewogen worden, theils auf halbem Wege wieder umzukehren, theils von hier aus nicht weiter zu reisen. In Raskov fand man des Morgens den Kaufmann Schüler aus Lübeck todt im Bette liegen, nachdem man ihn zuvor dadurch zu ärgern gesucht hatte, daß man ihm eine als Boot geformte Gurke mit der deutschen Trikolore en miniature präsentirte. Von einigen Jachten, die hier im Hafen liegen, sah man heute früh, am Geburtstage des dänischen Königs, dänische Flaggen wehen, die jedoch sehr bald, nach dem Einschreiten des Bürgermeisters, wieder gestrichen wurden. Patrouillen werden fernern Demonstrationen vorzubeugen wissen. Auf morgen wird der Rittmeister Matthiessen mit einer Eskadron schleswig-holsteinischer Dragoner hier erwartet.
[(Sch.-H. Z.)]
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Triest, 6. October.
Man erfährt, daß die im Kreis von Cattaro ausgebrochenen Unruhen in der Verweigerung der Bauern die Steuern zu bezahlen, ihren Grund haben.
Ungarn.
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Pesth, 5. Oktober.
Der reichstägige Ausschuß für die Landesvertheidigung hat folgenden Warnungsruf der Ungarn an die Oestreicher erlassen:
Ein unerhörter Verrath, an Ehre, Recht und der heiligsten Volkstreue verübt, machte es den räuberischen Horden, mit welchen Jellachich in unser Vaterland einbrach, allein möglich, bis nahe an die Hauptstadt vorzudringen. Das schändlich getäuschte Ungarn bedurfte aber nur zu erwachen und seinen Zustand der dringendsten Nothwehr zu erkennen, um diesem verbrecherischen Wagnisse ein Ziel zu setzen. Trotzdem, daß selbst manche ehrliche Kriegerscharen in einer nicht genug zu beklagenden Begriffsverwirrung nicht erkannten, wie die Fahnen Oesterreichs geschändet wurden und sich der verrätherischen Führung Jellachich's preisgaben, fand dieser zwischen Stuhlweißenburg und Ofen sein „bis hierher und nicht weiter“, das ihm unsere tapfere Armee, obwohl damals noch der Zahl nach beiweitem schwächer, in einem entscheidenden Siege mit blutiger Schrift vorzeichnete. Von unserer tapfern Armee hart bedrängt, bat der Verräther um Waffenstillstand. Obwohl so oft getäuscht, verschollen wir doch unser Ohr nicht der Menschlichkeit und gewährten ihm sein Begehren; und siehe! ehrvergessen bricht der treulose Feind den Waffenstillstand, ändert seine beiderseitig auf Treue und Glauben festgesetzte Stellung und wendet sich vor Ablauf des Waffenstillstandes mit Raub und Verwüstung gegen Raab. Unsere über diesen Treubruth entrüstete Armee, die sich an Zahl, Kriegsmaterial und Hülfsmitteln aller Art von Tag zu Tag Hierzu eine Beilage.