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] Frankfurt, 12. Oktober.
Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte. Präsident: Simson.
Breuning erstattet Bericht in der Schmidt-Wiesnerschen und Gagern-Simsenschen Angelegenheit. Die Anträge lauten:
1. Die Abgeordneten Schmidt aus Schlesien und Wiesner haben, Jeder besonders, folgende schriftliche Erklärung:
Ich erkläre hierdurch, daß ich den in der Sitzung vom 5. Oktober 1848 von mir gestellten Antrag, also lautend:
In Erwägung, daß es wünschenswerth ist, daß die National-Versammlung in ihrem wahren Charakter vor das Volk trete, beantragen wir:
Die National-Versammlung möge ohne weiteres die verlangten Verhaftungen genehmigen.
gez. Schmidt aus Schlesien. Wiesner.
hiermit, wegen der darin liegenden gröblichen Mißachtung der Würde der National-Versammlung förmlich zurücknehme, dem Vorsitzenden zur Mittheilung an die National-Versammlung zu übergeben.
2. Die genannten Abgeordneten sind, bis sie dem vorstehenden Beschlusse, jeder so weit er ihn betrifft, Genüge geleistet, zur Ausübung ihrer Funktionen als Abgeordnete nicht zuzulassen.
In Betreff des Präsidenten v. Gagern und Vicepräsidenten Simson, beantragt die Versammlung über die von Schaffrath desfalls gestellten Anträge Tagesordnung.
Blum beantragt: der seit unendlicher Zeit ruhende Bericht in der Brentanoschen Angelegenheit sei vor den eben angezeigten Berichten auf die Tagesordnung zu setzen.
Präsident Simson findet dies Verlangen gerecht und wird dahin wirken. (Bravo)
Rühl interpellirt das Reichsministerium, von wem die ausnahmsweise in Frankfurt zusammengezogenen Truppenmassen bezahlt würden. (Bravo! Gelächter).
Eisenmann: Das Ministerium habe auf seine Interpellationen Betreffs Ungarns und Oesterreichs noch nicht geantwortet; jetzt sei es dazu zu spät. Er wünscht einen Antrag zu stellen.
Präsident: Der Minister sei jetzt nicht da, würde vielleicht noch im Laufe der Sitzung antworten.
Jucho stellt einen dringlichen Antrag: den Belagerungszustand an dem Tage aufzuheben, an welchen das Reichsgesetz zum Schutze der National-Versammlung in Kraft tritt, weil dann weder zum
Schutze der Versammlung noch zur Ruhe der Stadt besondere Maßregeln nöthig. Zur Begründung der Dringlichkeit erhält er das Wort nicht. (Links höhnisch Bravo)
Berger aus Wien: Dringlicher Antrag von bedeutend vielen Unterschriften unterzeichnet. In Erwägung der großen Verdienste, welche die Majorität der Wiener Reichsversammlung und die Demokraten
Wiens bei dem letzten heldenmüthigen Kampfe erworben, wolle die National-Versammlung erklären:, Die Wiener Reichsversammlung und die Barrikadenkämpfer haben sich um das Vaterland wohl verdient
gemacht. (Links kräftiges Bravo. Centrum ruhig)
Der Antrag wird für nicht dringlich erachtet. (Links: Bravo)
Berger: Ich nehme meinen Antrag, der nur als ein dringlicher Werth hat, zurück. (Rechts Unterbrechungen. Berger läßt sich nicht stören) Ich will ihn nicht in den Ausschuß, damit man einst
mit dem Dichter sagen kann, „den Antrag sah Niemand wieder!“ (Bravo links.) Die in meinem Antrag verlangte Erklärung wird unsre Partei abgeben, wahrscheinlich nicht (an die Centren) zu
ihrer Zufriedenheit. (Bravo!)
Eisenmann beantragt dringlich: von Seiten der Centralgewalt Reichskommissäre an den Oesterreichischen Kaiser zu senden, um in der gegenwärtigen Lage der Dinge für das Sachgemäße zu sorgen.
Wird nicht zur Begründung der Dringlichkeit zugelassen. (Links: Bravo!)
Zitz verlangt, der Ausschuß, welcher in der Anklage- und Verhaftungs-Angelegenheit Bericht zu erstatten hat, soll sich beeilen, damit die patriotische Ungeduld der Herren von Rechts gestillt
wird. (Gelächter. Bravo!)
Hergenhahn (im Namen des Ausschusses) Morgen wird der Bericht fertig.
Wiegard frägt den Ausschuß, welcher Jahns Antrag (auf in Anklageversetzung der ganzen Linken) zu begutachten hat, ob derselbe bald berichten wird? (Heiterkeit).
Simson (Namens des Ausschusses) wird bald dafür sorgen.
Schmerling (Reichsminister) beantwortet die Rühlsche Interpellation. (S. oben.) Das Reichsministerium hat beschlossen, allen ausnahmsweise verwendeten Reichstruppen Entschädigung zu Theil
werden zu lassen, welche aber keine neue oder besondere Auflage verursachen wird. Betreffs der Wiener Angelegenheiten hat das Ministerium mit dem Reichverweser seine Maßnahmen getroffen, und wird der
National-Versammlung demnächst seine Mittheilungen machen.
Tagesordnung.
Berichterstatter Beseler spricht eine Stunde über § 31 und 32 der Grundrechte.
Abstimmung.
Nach Ablehnung von 6 bis 7 Anträgen kommt das Minoritätserachten von M. Mohl, Ph. Schwarzenberg und Pagenstecher (nach dem Antrag Röslers) zur namentlichen Abstimmung. Dasselbe lautet:
„Die Familien-Fideikommisse aller Art, die Majorate, Minorate, Seniorate und dergleichen Abweichungen von der gemeinrechtlichen gleichen Erbfolge sind aufgehoben und treten bei dem nächsten
Todes-oder anderen Besitzveränderungsfalle außer Kraft. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.“
Der Antrag wird abgestimmt mit Vorbehalt der Abstimmung über die Fideikommisse der regierenden Häuser insbesondere. Der Antrag wird mit 208 Stimmen gegen 194 Stimmen verworfen (Bravo höhnisch
links).
Der Antrag des Ausschusses für Volkswirthschaft:
„Alle Fideikommisse sind aufgehoben. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.“
Der Antrag ist mit 204 gegen 174 Stimmen abgelehnt. (Links höhnisch Bravo).
Ein Antrag von Haubenschmied, Lette etc.:
„die Familien-Fideikommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten,“
wird angenommen.
Der Antrag von Sprengel, Sellmer etc.:
„Die Bestimmungen über die Familien-Fideikommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben den Landesgesetzgebungen vorbehalten,“
wird angenommen.
Der Antrag von Wachsmuth etc.:
„Gleiche Bestimmungen wie für die Familien-Fideikommisse gelten für die Stammgüter,“
wird angenommen.
In beiden Anträgen waren Linke und linkes Centrum einig.
Unter dem Titel „Lehen“ wird der Antrag des volkswirthschaftlichen Ausschusses mit 222 Stimmen gegen 169 Stimmen angenommen.
Derselbe lautet:
„Aller Lehensverband ist aufgehoben. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.“ (Bravo.)
Die angenommenen Anträge bilden die Materie der §§ 31 und 32. Man kommt zur Abstimmung der §§ 34 und 35, Artikel VIII.
§. 34. Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus.
Es sollen keine Patrimonialgerichte bestehen.
Wird angenommen.
Dazu ein Amendement von Werner aus Koblenz:
„Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten ausgeübt. Kabinets- oder Ministerialjustiz ist unstatthaft.“
wird unter freudiger Aufregung angenommen. (Linke und linkes Centrum).
§35. Es soll keinen priviligirten Gerichtsstand der Personen oder Güter geben.
Wird angenommen.
Dazu ein Zusatz-Antrag des Ausschusses für Gesetzgebung:
„Die Militairgerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militairischer Verbrechen und Vergehen, so wie der Militairdisciplinarvergehen beschränkt, vorbehaltlich der Bestimmungen für den
Kriegsstand.
§. 36. A. Anträge des Verfassungs-Ausschusses.
Kein Richter darf außer durch Urtheil und Recht von seinem Amte entfernt werden.
Kein Richter darf wider seinen Willen versetzt werden.
Der Richter darf wider seinen Willen nur auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses in den durch das Gesetz bestimmten Fallen und Formen in Ruhestand versetzt werden.
Minoritäts-Erachten. Kein Richter darf wider seinen Willen versetzt oder in den Ruhestand gesetzt werden. (Beseler, Droysen, Jürgens, Gagern, Waiz).
Nach Lesung der Amendements zu dem § beschließt die Versammlung auf die Diskussion zu verzichten. (Bravo.) Bei der Abstimmung wird ein Antrag von Werner aus Coblenz: „Kein Richter darf
außer durch Urtheil und Recht von seinem Amte entfernt oder suspendirt werden.“ mit 212 Stimmen gegen 156 Stimmen angenommen. Dazu ein Antrag von Wulffen: „oder an Rang und Gehalt
beeintrachtigt werden.“
Alinea 2 des Verfassungs-Ausschusses (S. oben) wird angenommen.
Dazu ein beschränkender Zusatz: „außer durch richterlichen Beschluß in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen.“
Alinea 3 des Verfassungs-Ausschusses (S. oben) angenommen.
Ein Zusatz etwa des Inhalts: „kein Richter darf außerordentliche Gehaltszulagen oder Prämien erhalten“ wird nur von der Linken genehmigt. (Heiterkeit).
§. 37. Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
Auf die Diskussion wird verzichtet. Der §. 37 wird angenommen (Fast einstimmig). Ein Zusatz von Trutzschler: „und das Urtheil von Schwurgerichten gesprochen werden“, wird verworfen.
Ein Zusatz-Antrag: „Ausnahmen bestimmt das Gesetz“ wird verworfen. (Bravo links und linkes Centrum). ‒
§. 38. „In Strafsachen gilt der Anklageprozeß, Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen urtheilen.“
Die Amendements werden gelesen. Auf die Diskussion wird verzichtet.
Der §. wird nach dem Verfassungs-Ausschuß angenommen. ‒ Ein Antrag von Trützschler und Genossen: „über die Zulässigkeit der Anklage urtheilen Geschworene“, wird verworfen.
(Links: oh!)
§. 39. A. Antrag des Verfassungs-Ausschusses.
Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch Männer aus dem Volke geübt werden. (Handelsgerichte, Fabrikgericht:, Landwirthschaftsgerichte u. s. w.)
Minoritäts-Erachten. Dieser Paragraph (39) sei nicht in die Grundrechte aufzunehmen. (Mühlfeld, Bassermann, Tellkampf, Scheller, Andrian).
Der volkswirthschaftliche Ausschuß schlägt vor: „Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch fachkundige von den Berufsgenossen frei gewählte Richter geübt
oder mitgeübt werden.“
Ohne Diskussion wird der §. nach dem volkswirthschaftlichen Ausschuß angenommen.
§. 40. „Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt sein.“
Der §. wird ohne Diskussion einstimmig angenommen. Dazu ein Antrag von Wulfen: „Ebenso soll die streitige Gerichtsbarkeit von der freiwilligen getrennt sein“, mit 191 Stimmen gegen
188 Stimmen verworfen. (Mit 3 Stimmen).
Ein Zusatzantrag von Teichert: „Der Polizei steht nirgend Strafgewalt zu. ‒ Im deutschen Kriegsheer gilt nur ein und dasselbe Kriegsgesetz, auf Schwurgerichte und öffentliches
Verfahren gegründet“, wird angenommen. (Linke und linkes Centrum). [Also das Heer hat durchgänig Schwurgerichte; Civil nicht. ‒]
§. 41. „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte.“
Ohne Diskussion und ohne (!) Amendements angenommen.
§. 42. „Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in jedem deutschen Lande gleich den Erkenntnissen der Gerichte dieses Landes vollziehbar.“
Auf die Diskussion wird verzichtet. ‒ Der Antrag des Verfassungsausschusses wird verworfen.
Ein Antrag von Spatz dagegen: „Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte und öffentliche authentische Urkunden sind in allen deutschen Landen gleich wirksam und vollziehbar“;
mit 208 Stimmen gegen 172 angenommen. ‒ Hiermit Art. VIII. beendet.
Schoder beantragt: Der Verfassungsausschuß soll so schnell als möglich alle bisher angenommenen Paragraphen zusammenstellen und drucken lassen, damit die zweite Berathung derselben
spätestens nach 8 Tagen beginnen könne. ‒
von Trützschler mit mehreren beantragt, bei der zweiten Berathung verschiedene formelle Abänderungen vorzunehmen. (Wird auf Morgen zurückgelegt.)
Wesendonk stellt den dringlichen Antrag: „Das Reichministerium solle der Nationalversammlung alsbald den Beschluß mittheilen, welchen es nach Schmerling's Erklärung, in
Verbindung mit dem Reichsverweser, in Folge der neuesten österreichischen Ereignisse gefaßt hat“. ‒ Die Dringlichkeit wird nicht erkannt.
Wiesner mit Anderen: In Folge des Beschlusses, wonach es der Centralgewalt nur im Einverständniß mit der Nationalversammlung zusteht, Beschlüsse über Krieg und Frieden zu fassen, und in
Erwägung, daß Reichstruppen gegen die Demokraten Wiens geschickt werden sollen (rechts Gelächter ‒ links: Ruhe! das ist die Reaktion!) beantragt; ‒ die Nationalversammlung soll
beschließen. dies sofort zu verhindern. ‒ Die Dringlichkeit wird abgelehnt.
Schüler aus Jena und Mehrere beantragen dringlich: „Die Nationalversammlung soll beschließen, jeder Schritt. welcher bezweckt, in die neuesten Wiener und österreichischen Verhältnisse
einzugreifen, sei ungesetzlich. ‒ (Große Sensation, links Bravo.) Der Antrag wird als nicht dringlich erkannt. ‒
Graf Wartensleben, Backhaus, Eisenmann und Mehrere beantragen als dringlich: „In Erwägung der neuesten österreichischen Verhältnisse, vor allen Dingen die Berathung der Verfassung
vorzunehmen.“