Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Kontrerevolutionärer Feldzug in Köln. In: MEGA2 I/7. S. 745.]
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] Köln, 25. Sept.
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] Köln, 25. Sept.
11 Uhr Vormittags. In Folge der heute früh vorgenommenen und versuchten Verhaftungen
sammelten sich in der Nähe des Appellhofes einige Volkshaufen. In der Gasse hinter dem
Zeughause, welche in Pflasterung begriffen, trugen einige Jungen Steinhaufen zusammen. Der
Lieutenant von der Regierungswache erschien mit seinen Soldaten und verhaftete die mit
Zusammentragen der Steine beschäftigten Kinder. Das Volk verlangte ihre Freilassung. Die
Bürgerwehr jenes Bezirks war inzwischen alarmirt worden. Aus dem Zeughause wurde von einigen
Soldaten mit Steinen herabgeworfen. Der wachthabende Lieutenant ließ seine Mannschaft vor den
Augen der Umstehenden scharf laden. Ein Zugführer der Bürgerwehr machte ihn für alle Folgen
verantwortlich und erklärte, daß sich die Bürgerwehr ganz zurückziehen werde, wenn das Militär
auf diese Art Vorbereitungen zum Einschreiten treffe, ehe es dazu requirirt worden. Die
Aufregung steigt. Ein Plakat beruft eine Volksversammlung nach dem Altenmarkt; Zeit 1 Uhr.
Sämmtliche Bürgerwehr wird alarmirt.
Wir hören so eben, daß der kommiss. Polizeidirektor Geiger eine Proklamation erlassen; sie
ist aber im Augenblick ihres Anklebens an allen Punkten so schnell abgerissen worden, daß
Niemand weiß, was darin gestanden.
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] Köln, 25. Sept.
Mittags 2 Uhr. Die Polizei hatte durch Anschlag die oben erwähnte Volksversammlung im Freien
verboten. Die Bürgerwehr war zur Verhinderung des Meetings aufgeboten. Ein großer Theil
derselben fraternisirt mit dem Volk. Die Versammlung auf dem Altenmarkt hat so eben begonnen.
Imandt aus Crefeld eröffnet die Sitzung mit einer ausgezeichneten Rede. Moll, der heute vom
Volk Befreite, sprach nach ihm. Er fordert auf, erst dann die Versammlung in den Eiser'schen
Saal zu verlegen, wenn das Militär einschreite, damit Blutvergießen vermieden würde. Imandt's
Anfrage an die Hauptleute der aufgestellten Bürgerwehr, ob letztere als Polizei oder zum
Schutze des Volkes dastehe? wird die Antwort: sie stehe zum Schutz des Volkes da. Sofort zieht
sich die Bürgerwehr nach allen Seiten in den Hintergrund. Ein dritter Redner macht aufmerksam,
daß die Bürgerwehr doch immer alle Zugänge besetzt halte und die Ankommenden verhindere. Die
Bürgerwehr öffnet hierauf alle Zugänge.
Vormittags sind im Polizeigebäude sämmtliche Fenster zertrümmert worden. Die gesammte
Kavallerie in Deutz soll aufgeboten sein, um den Zuzug des Landvolkes nach Köln zu
verhindern.
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!!!
] Frankfurt, 23. September.
84. Sitzung der National-Versammlung. 1/2 10 Uhr. Präsident v. Gagern.
Tagesordnung:
1. Berathung über den Entwurf einer Ansprache an das deutsche Volk.
2. Berathung über den vom Abgeordneten Breuning, Namens des Ausschusses für Gesetzgebung und
Rechtspflege, erstatteten Bericht, die Veröffentlichung der Reichsgesetze betreffend.
3. Berathung über den vom Abgeordneten Merck, Namens des volkswirthschaftlichen Ausschusses,
erstatteten Bericht, das Geldausfuhrverbot in Oesterreich betreffend.
4. Ablieferung der Wahlzettel für den Legitimations-Ausschuß.
Das Protokoll wird genehmigt.
Benedey interpellirt, in wie weit der Belagerungszustand sich auf
die Mitglieder der Reichsversammlung erstreckt und warum derselbe fortdauert, nachdem bereits
vollständige Ruhe eingetreten?
Präsident wird dem Ministerium diese Interpellation einreichen.
Tagesordnung.
Präsident: Zwei Anträge sind eingelaufen: 1. einer „über die
Ansprache an das deutsche Volk zur Tagesordnung überzugehen, unterzeichnet von mehreren
Mitgliedern des linken Centrums, Freudentheil u. a.
2. Eventueller Zusatzantrag von Vogt, Schaffrath etc.
Eisenmann beantragt sofortige Abstimmung über den ersten Antrag.
Die Versammlung verwirft die Tagesordnung, obwohl mit sehr schwacher Majorität.
Der Präsident beweist mit seiner gewöhnlichen starken Logik, daß der
Antrag auf Tagesordnung noch nicht entschieden ist, sondern daß es nur verworfen ist: „ohne
Diskussion zur Tagesordnung überzugehen;“ deshalb giebt er, obgleich das ganze Haus
widerspricht, Herrn Freudentheil das Wort zur Diskussion darüber: „ob Tagesordnung oder
nicht!“
Freudentheil: Ihr Zweck sei, welcher er wolle, durch Ihre Ansprache
an das deutsche Volk werden sie ihn nicht erreichen. (Bravo links.) Gerade das Gegentheil
werden Sie erreichen. Qui s'excuse s'acuse! Auch wegen des Inhalts halte ich die Ansprache für
nicht empfehlenswerth. Lassen Sie uns den Bau der deutschen Freiheit und Einheit schnell zu
Ende führen, das ist die beste Ansprache ans deutsche Volk. (Lautes Bravo!)
Osterrath spricht für die unumgängliche Nothwendigkeit, das deutsche
Volk anzusprechen. Er gebraucht die Taktik, noch einmal die Masse der Centren in Rührung zu
versetzen durch detaillirte Herzählung des Kampfes. (Schluß! Schluß!)
Vogt beantragt, dem Präsidenten strenge Unparteilichkeit in der
Folgereihe der Redner anzuempfehlen, die heute wieder verletzt worden.
Präsident giebt dies zu und bringt eine mangelhafte Entschuldigung
vor.
Vogt: Ich bin erstens gegen jeden Entwurf; ganz besonders aber gegen
diesen, weil er Unwahrheiten enthält. Deshalb haben wir dazu mehrere Verbesserungsanträge
gestellt.
1 Die Worte in freiester Wahl sind unrichtig, denn es haben indirekte Wahlen, sogar Wahlen
mit Census und Beschränkungen stattgefunden. Deshalb soll es heißen: „in gesetzlicher Wahl.“
Punkt 2 Ihrer Adresse spricht von der bisherigen Wirksamkeit der Versammlung. Diese
Wirksamkeit war leider eine sehr magere. (Tumult.)
Der Punkt 2 spricht auch von einheitlicher Regierung. Wo ist diese? Wir sollen sie erst
erkämpfen. Wir beantragen, dafür zu setzen: eine provisorische, durch die Bestrebungen der
Einzelstaaten leider gehinderte Centralgewalt!“ (Bravo links und Gallerie.) Der Entwurf sagt:
„Den Rechten des Volks sei eine feste Grundlage gestellt und die Verfassung kräftig
vorgearbeitet!“ Wo ist die kräftige Vorarbeitung? (Arndt: In den Ausschussen! Gelächter.) „Man
hat sich erfrecht, den Reichstag zu überfallen,“ sagt der Entwurf. Ich glaube, das Eindringen
war blos ein Andrang, um auf die Gallerien zu kommen. Und warum solche Andrange Statt finden,
Meine Herren, darauf finden Sie die Antwort dort! (Auf die kastrirten Gallerien deutend.)
(Gelächter. Bravo!)
Nach den Worten: „grauenvoll ermordet worden,“ beantragen wir die Worte: „und mancher
Unschuldige gefallen.“ (Bravo!)
Zu Punkt 4 beantragen wir statt: „die National-Versammlung fühle sich gedrungen,“ die Worte:
„Die Majorität fühlt sich gedrungen!“
Man will die ganze Ansprache blos so redigiren, um bei der Abstimmung zu erfahren, wessen
Gedanken etwa dagegen. Diese Gedanken-Inquisition weise ich mit der aller tiefsten Entrüstung
zurück. (Bravo!)
Zu Punkt 5 beantragen wir den Zusatz: „Widerrechtliche Bedrohung oder Gewalt, komme sie nun
von oben oder von unten,“ statt der einfachen Worte: „Bedrohung oder Gewalt!“
Zu solcher Bedrohung von oben ist aufgefordert worden. Sie wird bald stärker auftreten. Die
National-Versammlung muß die freieste Kritik in Rede und Schrift wünschen. Man hat von
Beschimpfungen der ganzen National-Versammlung gesprochen. Diese kann nicht beschimpft
werden.
Statt der Worte: „was sie (die National-Versammlung) die Beauftragte der gesammten Nation
beschließt;“ beantragen wir die Worte: „Die Beauftragten der Nation in Uebereinstimmung mit
dem Willen des Volkes beschließen!“
Ich glaube an den politischen Fortschritt, und wir können uns nicht anmaaßen zu glauben, daß
wenn wir jetzt (?) der Ausdruck des Volkes sind, wir es auch in späterer Zeit noch sein
werden. Daher kommen auch die Revolutionen, weil der Ausdruck des Volkes sich ändert.
Im Punkt 8 des Entwurfes heißt es; „Deutsche! wir werden deine Freiheit schirmen!“ Dafür
will ich: „wir werden für die Freiheit die dir errungen werden soll, einstehen!“
Denn wo ist denn die Freiheit, die wir schirmen sollen? Noch sehe ich nur sehr geringe
Theile davon, die man uns auch schon wieder abzuzwacken versucht! (Lautes Bravo Links).
Im letzten Punkt heißt es: „werden stehen wie Ein Mann, wenn es gilt unser Recht zu wahren!“
Dafür will ich „wenn es gilt das Recht des deutschen Volkes zu wahren“ denn auf dessen Recht
kommt es an, nicht auf unser kleinliches Recht. Zu Ende will ich noch, daß nach den Worten:
„wir werden von unsern Plätzen nicht weichen bis Deutschland eine freie Verfassung“ zugefügt
werde: „oder bis unsere Wähler uns von ihnen (den Plätzen) abberufen haben werden.“
Mit diesen Amendements sind wir wahr. In Ihrem Entwurf unwahr! Schallendes Bravo. (Schluß!
Schluß!)
Schaffrath namentliche Abstimmung über alle Fragen, die gestellt
werden konnten.
Schluß der Debatte!
Wernher von Rierstein (Berichterstatter) erklärt sich über seine
Stellung zu diesem Entwurf. Er sagt: Ich habe überhaupt gegen den Entwurf gestimmt. Auch ist
er nicht von mir, sondern von mehreren. (Ein schönes Mixtum Compositum!) Aber sprechen muß man
in der jetztigen Zeit. Wer schweigt, hat Unrecht.
Abstimmung.
Der Antrag Freudentheils: „Ueber den Entwurf der Ansprache an das deutsche Volk zur
einfachen Tagesordnung überzugehen“ Resultat zweifelhaft. Es wird gezählt. Der Antrag wird mit
197 Stimmen gegen 173 angenommen. Also die berühmte Ansprache findet nicht statt. (Sieg der
Linken während der Niederlage.)
Tagesordnung.
Bericht des Ausschusses für Gesetzgebung über die Emanirung der Reichsgesetze. Mehrere
Amendements werden dazu verlesen.
v. Linde Staatsrath aus Mainz spricht mit staatsrathlicher
Langweiligkeit über das Gesetz. (Ein großer Theil des überhaupt in großer Minorität anwesenden
Theils der Vertreter geht sich während Herrn Lindes Rede erholen.)
Scheller (Oberlandsgerichtspräsident aus Preußen) erörtert, nach
langer Einleitung, die einzelnen 4 Paragraphen, und macht dazu unendlich uninteressante
formelle Abänderungen und Erleuterungen.
Graevell. (Schluß! Schluß!) Man hat für diesen interessanten Artikel
drei erbauliche Redner ausgesucht. Herr Grävell plautert unverständlich. Wer nicht Frühstücken
ist, treibt Allotria! Grävell empfieht das Gesetz so anzunehmen, wie es der
Gesetzgebungsausschuß vorschlägt.
Fuchs aus Breslau. (Schluß!) Ich sei, gewährt mir die Bitte“ ‒
In eurem Bunde der Vierte!“ ‒
Die harmlose Debatte schließt sich von selbst, da außer den Vorstehenden kein Redner
eingezeichnet ist.
Nachdem der Berichterstatter Breuning einige Worte für den Ausschuß gesprochen, geht man zur
Abstimmung.
Das Gesetz lautet:
Gesetz, betreffend die Verkündigung der Reichsgesetze und der
Verfügungen der provisorischen Centralgewalt.
Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der Reichsversammlung vom verkündet als
Gesetz:
§ 1. Die Verkündigung der Reichsgesetze geschieht durch den Reichsverweser. Er vollzieht
dieselbe durch die Reichsminister.
§ 2. Der betreffende Minister macht das Gesetz durch Abdruck in dem Reichsgesetzblatte
bekannt, und theilt es zugleich den Einzeln-Regierungen zum Zwecke der örtlichen
Veröffentlichung mit.
§ 3. Die verbindende Kraft eines Gesetzes beginnt ‒ falls es nicht selbst einen anderen
Zeitpunkt feststellt ‒ für ganz Deutschland mit dem zwanzigsten Tage nach dem Ablaufe
desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Frankfurt
ausgegeben wird.
Der Tag der Ausgabe in Frankfurt wird auf dem Blatte angegeben.
§ 4. Das Reichsgesetzblatt ist auch das amtliche Organ zur Veröffentlichrug der
Vollziehungsverordnungen der provisorischen Centralgewalt.
Das ganze Gesetz wird in dieser Form angenommen, alle Amendements dazu werden verworfen.
Tagesordnung.
Bericht des volkswirthschaftlichen Ausschusses über das Geld-Ausfuhrverbot in Oestreich
(Berichterst: Merk)
Der Ausschuß trägt darauf an, die hohe Nationalversammlung wolle beschließen:
„der provisorischen Centralgewalt aufzugeben, ungesäumt die östreichische Regierung
aufzufordern, das Ausfuhr-Verbot auf edle Metalle sofort aufzuheben, damit der Verkehr
deutscher Staaten unter einander wiederum in seine alten Rechte eingesetzt werde.“
Berger (aus Wien.) Die Kalamitäten welche das Ausfuhrverbot mit sich
brachte, sind alt und bekannt. Der Partikularismus in Oestreich geht nicht vom Volk aus. Das
Volk ist durchaus deutsch. Das ewige Reden vom innigen Ausschuß ist blos eine Phrase. Auch die
Frage über das Geldwesen muß die Nationalversammlung selbst in die Hand nehmen und
entscheiden, nicht wieder an die östreichische Regierung weisen die bis jetzt noch alles beim
Alten gelassen hat. Deshalb geht mein Antrag dahin: nicht wieder (wie der Ausschuß sagt) die
östreichische Regierung aufzufordern, sondern selbst dieses Geldausfuhrverbot aufzuheben,
diesen Beschluß durch das intermistische Reichsministerium zur Ausführung zu bringen, sowie
auch Oestreich zu veranlassen, in seinen Staaten, die nicht zum deutschen Bunde gehören, dies
Verbot aufzuheben. (Lautes Bravo!)
Kaiser aus Oestreich gegen Bergers Ansicht. In diesem Moment schwebe
die Sache beim östreichischen Reichstag, dessen Entscheidung man abwarten müsse. Die
Kompetenzfrage der Nationalversammlung wird hier in sehr zweifelhaft sein. Wollen Sie die
Kompetenz der Nationalversammlung auf die Verwaltungsmaßregeln der Einzelstaaten ausdehnen?
(Nein! Links Jawohl!) Beantragt: bei der östreichischen Regierung auf die Aufhebung des
Ausfuhrverbots hinzuwirken. (Oho! Ist schon längst geschehen).
Biedermann (Leipzig): Auf die vielfachen Aufforderungen Seitens der
Centralgewalt an die östreichische Regierung ist nicht einmal geantwortet worden. Wenn ich nun
auch nicht so weit gehe als Hr. Berger, so verlange ich doch mehr als der vorige Redner,
nämlich eine kategorische Aufforderung der Centralgewalt an Oestreichs Regierung. Wir
verlangen hierdurch von Oestreich gar kein Opfer. Also für die Fassung des Ausschusses.
Jordan (der Apostat aus Berlin) will zuerst erklären, warum er gegen
den Ausschuß spricht, während er früher dafür gesprochen. (Das ist man bei Hrn. Jordan
gewöhnt). Es handelt sich hier nicht um das Geldausfuhrverbot, sondern um Oestreichs Stellung
zu Deutschland. Oestreich hat sich des Partikularismus, der Indifferenz schuldig gemacht. Ich
werde Oestreich selbst zu fragen beantragen, was für eine Stellung es zu Deutschland
einzunehmen gedenkt. (Bravo). Bis dahin bitte ich Sie über den vorliegenden Antrag zur
Tagesordnung zu gehen.
Der Unterstaatssekretar v. Wurth aus Wien zeigt an, daß die
östreichischen Abgeordneten mit dem Antrag des Ausschusses in dieser Sache vollkommen
einverstanden sind.
Kolbe aus Speyer schließt sich aufs Entschiedenste dem energischen
Antrag des Hrn. Berger an; wenn Oestreich es gestattet ist, ungehorsam gegen die Centralgewalt
zu sein, was sollen die kleineren Staaten thun? (Lautes Bravo!)
Mühlfeld (Oestreich): Das östreichische Volk sei mit dem
Ausfuhrverbot zufrieden. Ein Beschluß wie der Bergersche, von der Nationalversammlung
gegenüber der östreichischen Regierung gefaßt, könnte nur mit Gewalt der Waffen durchgesetzt
werden. (Oho! Oho!) Für den Antrag des Ausschusses mit Hinweglassung des letzten Satzes.
Wiesner (Oestreich): Das jetzige Ministerium in Oestreich stellt
sich die Aufgabe, Deutschland in kommerzieller Beziehung auseinander zu halten; eine
chinesische Mauer zu ziehen; also hat man Recht zu sagen, daß es auch mit diesem
Geldausfuhrverbot nichts anderes als reaktionäre Bestrebungen verfolgen will.
Jordan aus Berlin hat die Frage auf ein ganz anderes Gebiet geworfen. Das Silber und Gold,
was Hrn. Jellachich uberliefert wird, um den Bürgerkrieg zu fuhren (hört! hört!) wird der
Ausfuhr entzogen. Es sitzen hier östreichische Abgeordnete, welche keinen innigen Anschluß an
Deutschland wünschen (hört!) Die Versammlung muß dekretiren! Nicht Erwartungen und
Aufforderungen aussprechen.
Meine Landsleute haben ganz andere Ansichten, als eine kleine Partei in Wien, welche um
jeden Preis Oestreich von Deutschland abschließen, und die Metternichschen Zustände
zurückführen wollen. (Gelächter rechts. Links: hört! Bravo! Schluß!)
v. Kürsinger, noch ein östreichischer Abgeordneter im Namen vieler
seiner Kollegen hält es für seine Pflicht, sich für Berger auszusprechen (Bravo, Bravo!) um
endlich einmal gegen den bis jetzt still geduldeten östreichischen Partikularismus entschieden
aufzutreten. Sprechen Sie dies entschiedene Wort aus, die Millionen Deutschen in Oestreich
werden Ihnen beistimmen.
Moritz Mohl dankt den östreichischen Abgeordneten für ihren Kampf
gegen den Partikularismus, ‒ aber räth doch zu den Anträgen des Ausschusses, weil der
Bergersche Antrag zu energisch.
Die Debatte geschlossen.
Der Berichterstatter Merk (Hamburg) empfiehlt die
Ausschußanträge.
Abstimmung.
Jordans Antrag auf Tagesordnung wird gar nicht unterstützt.
Bergers Antrag wird mit schwacher Majorität verworfen.
[0554]
v. Mühlfelds Antrag, welcher den Ausschußantrag theilt, wird angenommen.
Hierauf der von Mühlfeld gestrichene Theil des Ausschußantrages ebenfalls angenommen.
(Großes Gelächter) Also ist der Ausschußantrag mit einigen Umständen ‒ angenommen!!!
Hierauf wird Punkt 4, nämlich Einsammlung der Wahlzettel, der Tagesordnung erledigt. (S.
oben.)
Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte.
Schluß um 1/2 2 Uhr.
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@facs | 0554 |
[
110
] Frankfurt, 21. Sept.
Wie ich Ihnen bei meiner Abreise von Köln versprach, beeile ich mich Ihnen einige Details
über die hiesige Vorgänge zu geben.
Allgemein verbreitet ist die Ansicht, daß der Kampf ein vom Gouvernement provozirter,
geflissentlich herbeigeführter war, um einmal recht in dem Hochgefühl einer unterdrückten
Rebellion schwelgen zu können.
Was den Kampf selbst betrifft, so ist derselbe der heldenmüthigste von all' den
Straßenkämpfen, die wir seit Beginn des Jahres erlebt. Keine 500 Kämpfer von Seiten des Volkes
hielten sich von 12-5 Uhr gegen eine 25 fache Uebermacht, und schlugen dieselben von allen
Seiten zurück ‒ wären sie besser geleitet gewesen, hätten die Deputirten der Linken nicht den
Zuzug von Auswärts zurückgehalten ‒ so war das Volk Sieger; als aber letzteres nach dem
Verlauf des von ihm erzwungenen Waffenstillstand's, die als bereits im
Anzuge angekündigten Zuzüge nicht ankommen sah, da blieb ihm nichts als der letzte Kampf der
Verzweiflung übrig, der auch mit beispiellosem Heldenmuthe bis gegen 10 1/2 Uhr in der Nacht
bis zur gänzlichen Erschöpfung aller Munitionen fortgeführt wurde ‒ da erst verließen die
erschöpften Kämpfer die Barrikaden in der Dönges- und Allerheiligengasse.
Bei keinem der Gefangenen ‒ es waren deren 60-80, sämmtlich verwundet ‒ fand man auch nur
eine einzige Patrone; der Verlust an Todten und Verwundeten auf Seiten des Militärs soll die
Zahl sämmtlicher Vertheidiger der Barrikaden bei Weitem übersteigen ‒ eine genaue Ermittelung
der Zahl derselben wird wohl unmöglich sein, da Todte und Verwundete heimlich während der
Nacht nach Mainz transportirt werden, ebenso die Gefangenen die in Hardenberg (bei Mainz)
eingekerkert und von welchen schon mehrere in den Festungsgräben erschossen worden sein
sollen, ‒ einer derselben ist durch die brutale Behandlung wahnsinnig geworden.
Während der ganzen Zeit, während welcher der reichste Theil der Stadt in Händen der
Insurgenten war, wurde nicht das Geringste entwendet, wohl aber haben die Böhmen nach
Erstürmung der Barrikaden mehrere Gewölbe, worunter namentlich ein Kleidermagazin, rein
ausgeplündert ‒ selbst die erbitterten Bourgeois anerkennen dies mit verbissenem Grimme. Auch
nicht das leiseste Gerücht befleckt die Ehre der braven Opfer.
Was nun den Punkt anbetrifft, der am meisten Stoff zu Proklamationen über Meuchelmord u. s.
w. herleihen muß, so habe ich folgende, durchaus glaubwürdige Erzählung aus dem Munde des
Bewohners des Gartenhauses, in dem Lichnowsky und Auerswald gefangen wurden, selbst
vernommen:
Beide, Lichnowsky und Auerswald, ritten während des heftigsten Kampfes aus dem Friedberger
Thore, um die heranziehende hessische Artillerie zur Beschleunigung ihres Anmarsches
anzutreiben; bei einem Haufen Turner vorüberkommend, rief Lichnowsky: Wartet nur, ihr seid gut
genug für Kanonenfutter, und fochte mit seinem Stockdegen theatralisch in der Luft herum. Nach
diesen Worten und Gebärden erst wurde auf ihn und seinen Genossen geschossen, worauf sie sich
beide in ein dem Kunstgärtner Schmitz gehöriges Haus flüchteten; hier zog Auerswald den
Schlafrock des Hauseigenthümers an, während Lichnowsky sich in den Keller versteckte.
Auerswald wurde von den Eindringenden zuerst gefunden und ohne weitere Mißhandlungen an die
Gartenmauer geführt und erschossen. Lichnowsky etwas später aufgefunden, wurde auf Bitten der
anwesenden Leute, denselben zu schonen, auf die Bornheimer Heide geführt; hier kam den
Insurgenten ein gewisser Dr. H. aus B. entgegen, der sie bat, den Lichnowsky doch zu schonen.
Sie schienen wirklich dazu geneigt, indem sie sich mit Dr. H. in Diskussion einließen, als
Lichnowsky den unglückseligen Einfall hatte, einem der Insurgenten sein Gewehr zu entreißen,
um mit Gewalt durchbrechen zu wollen, worauf er sofort durch 4-5 Schüsse zu Boden gestreckt
wurde.
Die Barrikade, die sich am längsten hielt die in der Allerheiligen-Gasse nämlich, war von
einem Bürgerwehr-Cavalleristen in voller Uniform, dem Sohne eines jüdischen sehr reichen
Banquiers kommandirt, wie denn überhaupt fast sämmtliche Kämpfer den bemittelten Klassen
angehörten; erst als 20 Kanonen gegen die von noch kaum so vielen Männern vertheidigte
Barrikade aufgeführt wurden da erst zogen sich diese Helden zurück, nicht ein einziger wurde
hier gefangen, der Anführer Arnold Reinach steckbrieflich verfolgt ebenso Esselin und
Metternich, in Barbenhausen von 30 Gendsdarmen überfallen entkamen sie auch hier, nachdem sie
3 Mann getödtet und mehrere verwundet.
Ueber 100 Bürgerwehrmänner kämpften in den Reihen der Insurgenten sämmlich in Parade
Uniform, als Anführer den übrigen mit den heldenmüthigsten Anstrengungen vorangehend. Im
Vogelgesangs-Gäßchen vertheitigten 5 Mann eine Barrikade 3 Stunden lang gegen 200 Oestreicher
und erst als die große Barrikade in der Döngesgasse genommen war zogen sie sich zurück.
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@facs | 0554 |
[
103
] Berlin, 22. Sept.
Sitzung der Vereinbarer-Versammlung.
Die neuen Minister erscheinen pünktlich um 9 Uhr im Sitzungssaal und die Abgeordneten finden
sich nach und nach ein. Die Tribunen sind überfüllt und Alles sieht mit gespannter Erwartung
dem Programm des neuen Ministeriums entgegen. Endlich nach 9 ein halb Uhr wird die Sitzung
eröffnet und nach Verlesung des Protokolls nimmt der Minister-Präsident v. Pfuel das Wort, um folgendes Programm zu verlesen:
„Ich trete vor dieser hohen Versammlung mit der Versicherung, daß wir dem schwierigen uns
gewordenen Beruf folgend, fest entschlossen sind, auf dem betretenen konstitutionellen Wege zu
verharren und jeder Reaktion, besonders in allen Zweigen des öffentlichen Lebens, sowohl im
Civil als Militär, mit allem Ernst entgegenzutreten, die Rechte des Volkes kräftig zu wahren
und für die ungehinderte Entwickelung aller seiner Interessen Sorge zu tragen. Dabei werden
wir nicht unterlassen, der Anarchie überall entgegenzutreten, in der Ueberzeugung, daß die
wahre Freiheit in der Ordnung beruht und nur so Gewerbe und Handel zur Blüthe gelangen können.
‒ Zugleich erkennen wir die Nothwendigkeit an, daß die Berathung der Verfassungsurkunde nach
dem sehnlichsten Wunsche des Volkes gefördert werde und daß die hohe Versammlung nach
Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes und der Gemeinde-Ordnung, sich vorzüglich damit beschäftige!
Ueber unsere Verwaltung werden wir pflichtmäßige Auskunft geben und schuldige Rechnung legen.
Wir achten es jedoch für unsere Pflicht, die Rechte der Krone, als die einzige Trägerin der
ausübenden Gewalt gewissenhaft zu wahren. ‒
Hierauf verlangt Abg. Hansemann das Wort, in einer persöhnlichen
Angelegenheit.
Hansemann: Meine Herren! Das abtretende Ministerium war, wie Sie
wissen, von mir gebildet worden, und daher glaube ich die Verpflichtung zu haben, über die
Erfüllung meiner Mission einige Worte zu sagen. ‒ Das abgetretene Ministerium wurde das
Ministerium der That genannt und ich glaube, daß es diesen Namen wohl verdient hat. Wenn sie
zurück sehen, auf die vielen vom abgetretenen Ministerium vorgelegten Gesetzentwürfe; wenn Sie
zurück sehen auf Zustand des Landes vor drei Monaten und wie sich derselbe jetzt gestaltet
hat, wo Handel und Gewerbe wieder blühen. ‒ Das abgetretene Ministerum hat die Gründe seines
Austritts schon in einer früheren Mittheilung auseinandergesetzt. Wir mußten annehmen, daß die
Versammlung ihr Mißtrauen gegen das Ministerium ausgesprochen. Ich für meine Person habe diese
Ansicht vollkommen getheilt. Das abgetretene Ministerium ist vielfach von der Reaktion
angefeindet worden und namentlich bin ich die Zielscheibe dieser Reaktion gewesen, weil meine
Entwürfe tief in das Fleisch der Reaktion schnitt. Wenn nun diese Versammlung die Reaktion
unterdrücken will, so hätte sie mein Ministerium aufrecht erhalten müssen, weil es von der
Reaktion angegriffen war. Es mußte also der ausdrückliche Wille der hohen Versammlung sein,
mich nicht mehr als Minister zu sehen. ‒ Es freuet mich aus dem Programm des neuen
Ministeriums zu sehen, daß es der Reaktion entgegentreten und die Rechte der Krone schützen
werde. Ich werde dem neuen Ministerium meine Unterstützung dazu geben. ‒
Hierauf wird ein Schreiben des Minister-Präsidenten mit einer Königlichen Botschaft
verlesen, die sehr ausführlich über die Verhältnisse der Erhöhung der Brantweinsteuer spricht
und die Berathung der desfallsigen Gesetzesvorlage einstweilen auszusetzen bittet, bis das
Ministerium sich näher über alle Verhältnisse unterrichtet haben wird. ‒ Das heißt so viel
als, das neue Ministerium giebt den Anforderungen des Bülow-Cummerowschen Gutsbesitzer-Vereins
nach und wird keine Erhöhung der Brantweinsteuer eintreten lassen. ‒
Alsdann kommen die längst eingereichten dringenden Anträge zur Berathung. Zuerst der Antrag
des Abg. Hartmann: Die hohe Versammlung wolle beschließen:
„Daß fortan wöchentlich nach Berathung des Bürgerwehr- und Jagdgesetzes, vier Tage
ausschließlich zur Berathung des Verfassungs-Entwurfs bestimmt; alle übrigen Anträge,
Interpellationen und Gesetze aber ein für allemal auf zwei anderen, im Voraus zu bestimmenden
Tagen jede Woche verwiesen werden.“ ‒
Dieser Antrag wird nach namentlicher Abstimmung mit 251 gegen 98 als dringlich
anerkannt.
Abg. Waldeck erklärt sich gegen den Antrag Hartmanns. Den Kern
dieses Antrages haben wir schon aus früheren Aeußerungen entnommen. Wir hörten auch das
unglückliche Wort „Vereinbarung,“ als ob wir weiter nichts zu thun hätten als ein Rieß Papier
fertig zu machen. Wir sind nicht blos zur Entwerfung der Verfassungsurkunde hier. In einer
Zeit wie die jetzige wo solche Armeebefehle und Tagesbefehle vorliegen, dürfen wir keinen Tag
ausschließen, um das zu verhandeln was das Land interessiren könnte, die Versammlung würde
sich sonst der größten Verantwortung aussetzen und das vergossene Blut wurde auf unsere Kopfe
kommen, denn Niemand weiß, was uns der morgende Tag bringt. Die Versammlung könnte viel
wichtigere Gegenstände zu thun haben, als die Verfassung zu berathen. ‒
Die Rede des Ab Waldeck, wurde von der Rechten vielfach unterbrochen. Sie influirte aber
sehr auf die Abstimmung die sogleich stattfand. Der Antrag wurde im Sinne der Linken, nach
namentlicher Abstimmung, mit 212 gegen 135 Stimmen verworfen. ‒ Die Freude des Ministeriums
und die abgetretenen Minister stimmten mit der Minorität. ‒
Hierauf wird das im Sinne der Linken vom Abg. Kämpf gestellte Amendement „nach Beendigung
der Berathungen über das Bürgerwehr- und über das Jagd-Gesetz vorläufig wöchentlich an zwei
Tagen, vorzugsweise den Verfassungs-Entwurf zu berathen, die übrigen Vorlagen aber in den
beiden anderen wöchentlichen Plenarsitzungen zu erledigen,“ 338 gegen 1 Stimme angenommen.
Alsdann stellt der Abg. Otto von Trier den Antrag daß die Interpellation des Abg. Kirchmann
vorzugsweise vor allen andern sogleich an die Reihe komme. ‒ Der unterstützte Antrag wird
motivirt.
Abg. Otto: Wissen Sie meine Herrn, was außerhalb der Mauern von
Berlin vorgehet? Ich will es Ihnen sagen: Berlin ist von 50,000 Mann mit Geschütz, mit
Kartätschen und Schrapnells umgeben. Wissen Sie was in Berlin vorgeht? (Geschrei von der
Rechten) Sie scheinen es nicht zu wissen. Ganz Berlin gleicht einem Krater, der jede Minute
zum Ausbruch kommen kann. Die militärische Schreckens-Herrschaft ist im Anzuge. Ich rufe Ihnen
mit Hannibal zu: Hannibal anté portas! Thun wir daher sogleich etwas zur Beruhigung des ganzen
Landes. ‒
Der Antrag angenommen.
Abg. Kirchmann: Es ist zwar der Versammlung noch keine Mittheilung
gemacht worden, wie die Namen der Herren Minister sind, welche diese Plätze eingenommen haben,
aber ich habe zufällig aus dem „Staats-Anzeiger“ ersehen, daß der Minister-Präsident zugleich
als Kriegsminister fungirt, und ich werde daher meine Interpellation an denselben richten. Er
wird auf diese Weise die beste Gelegenheit haben, den Worten seines Programmes eine bestimmte
Deutung zu geben. Die Maßregel der Ernennung des Generals Wrangel ist jedenfalls ganz
außerordentlicher und exzeptioneller Natur. Der Armeebefehl des Generals Wrangel hat eine
große Aufregung nicht allein in dieser Stadt, sondern im ganzen Lande hervorgebracht. Demnach
frage ich:
1) Ob es gegründet, daß durch eine Allerhöchste Kabinetsordre vom 15. d Mts. dem General
Wrangel der Oberbefehl über die Truppen in den Marken ertheilt worden, und wer diese
Kabinetsordre kontrasignirt habe?
2) Ob dem General Wrangel hierbei noch besondere Instruktionen ertheilt worden?
3) Mittheilung zu machen von den Gründen, welche zu dieser außerordentlichen Maßregel Anlaß
gegeben?
4) Mittheilung zu machen, ob und aus welchen Gründen um Berlin eine bedeutende Militärmacht
konzentrirt worden?
5) Ob der Herr Kriegsminister mit dem Inhalte des Erlasses des Generals Wrangel vom 17. d.
Mts. überall einverstanden sei?
Der Minister-Präsident v. Pfuel beantwortete die Frage einzeln: Ad
1) daß die Kabinetsordre wirklich erlassen und vom abgetretenen Kriegsminister Schreckenstein
kontrasignirt sei. Er verlies't diese Kabinetsordre; ad 2) „Nein“; ad 3) erklärt er, es sei
Gebrauch, wenn verschiedene Armeekorps und Truppentheile sich in einer Provinz zusammenfinden,
den Oberbefehl einem Einzigen zu übergeben; ad 4) daß die politische Lage der Dinge in
Deutschland, die Bewegung in dieser Stadt es nothwendig gemacht, auf alle Dinge geruster zu
sein. Wir sahen die Gefahr, in welcher diese Versammlung bei einer der letzten Abstimmungen
schwebte, und dies veranlaßte die Vorsichtsmaßregeln. Die fünfte Frage bejaht der
Minister.
Nachdem Abg. Kirchmann noch auf mehrere Ausdrücke in dem Armeebefehle Wrangel's aufmerksam
gemacht, welche geeignet seien, Besorgnisse zu erwecken, da derselbe sagt, es sei seine
Aufgabe, die offentliche Ruhe in diesen Landen da, wo sie gestört wird, wieder herzustellen,
wenn die Krafte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen. Dies ist aber gegen die
ausdrückliche Versicherung, welche den Bewohnern Berlins in den letzten Tagen des März gegeben
wurde, daß nämlich die Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung nur der
Bürgerwehr zustehe. Der Bürgerwehr erwähnt aber Wrangel gar nicht, sondern nur der guten Bürger. Der Unterschied zwischen Bürgerwehr und guten Bürgern ist
aber ein unermeßlicher, denn der Begriff „guter Bürger“ ist durchaus dem Ermessen derjenigen
uberlassen, die ihn stellen.
Minister-Präsident v. Pfuel erwidert, daß in einem Armeebefehle die Worte nicht so genau
abgewogen werden. Meiner Meinung nach ist unter guten Bürgern nur die Bürgerwehr zu verstehen.
Was die im März ertheilte Zusicherung betrifft, so erkläre er hiermit wiederholt, daß das
Militär nur auf Requisition der zuständigen Civilbehörden einschreiten werde.
Waldeck beantragt: „daß das Ministerium den General Wrangel anweise,
seinen Armeebefehl zurückzuziehen.“ Dieser Antrag wird jedoch, nach namentlicher Abstimmung,
mit 202 gegen 139 Stimmen verworfen. Die Centren stimmen mit der Rechten gegen die Linke.
Jetzt wird beantragt, den gestern von den Abgg. Bloem und Berg gestellten Antrag vor allen
anderen auf die Tagesordnung zu bringen.
Dieser Antrag des linken Centrums wird durch Elsner von der Linken stark angegriffen. Es
half jedoch nichts; der Antrag wurde nach kurzer Debatte mit 238 gegen 77 Stimmen
angenommen.
Endlich kommt die Linke dazu, ihre längst verabredete Interpellation wegen des Stein'schen
Antrages stellen zu können. Es ist aber schon 3 Uhr Nachmittags, und die Rechte verlangt den
Schluß der Sitzung. Die Rechte hatte heute die Taktik befolgt, jedesmal namentliche Abstimmung
zu verlangen, um die Zeit mit unwichtigen Dingen zu todten. Der Präsident Philipps will jedoch
zuvor erst die Interpellation des Abg. Pax vornehmen. Dies verursachte eine tumultuarische
Scene, wie sie noch nie, sage noch nie, in dieser Versammlung
vorgekommen. Mehr als zehn Redner sprachen nach der Reihe, ob der Schluß sofort verlangt
werden kann oder nicht; da nimmt zuletzt noch Hansemann das Wort und sagt unter Anderm: Auf
diese Weise können uns ja diese Herren (auf die Linke zeigend) noch zwei Stunden mit ihren
Anträgen regaliren. ‒ Die Linke fordert nun aus fünfzig Kehlen den Ordnungsruf für die
unparlamentarischen Ausdrücke des Redners. ‒ Der Präsident Philipps beeilt sich auch, Herrn
Hansemann zur Ordnung zu verweisen, da er eine Partei beleidigt habe. ‒ Hansemann giebt zu,
daß seine Aeußerung nicht ordnungsmäßig war.
Der Präsident entschließt sich endlich, die Frage zu stellen, ob die Sitzung geschlossen
werden solle?
Um die Rechte, die nach dem Mittagbrod lechzte, noch länger hinzuhalten und sich für die von
ihr heute so vielfältig verlangten namentlichen Abstimmungen zu rächen, verlangt nun die Linke die namentliche Abstimmung.
Das geht den Herren von der Rechten zu weit; sie wollen den Sitzungssaal in Masse verlassen.
Nur mit Mühe gelingt es Milde und Hansemann, ihre Getreuen zurückzuhalten, um sich nicht zu
blamiren. Sie finden endlich nur den einen Ausweg, daß sie den Antrag auf Schluß der Sitzung
zurücknehmen.
Pax verlies't seine Interpellation:
„Ich frage das hohe Ministerium, welche Stellung es in Bezug auf den Stein-Schulze'schen
Antrag und zu den in den Sitzungen vom 9. Aug. und 7. Sept. gefaßten Beschlüssen einnehmen und
welche Schritte es zur Ausführung derselben gethan oder thun werde?“
Diese Interpellation wird von der Linken und den beiden Centren einstimmig unterstützt und
für dringlich anerkannt. Nur die Rechte blieb sitzen; Niemand erhob sich dafür, sie war die
Minorität vom 7. d. Mts.
Pfuel erklärt, daß er erst in der Montags-Sitzung antworten könne, da ihm heute die nöthigen
schriftlichen Vorlagen nicht bei der Hand wären.
Schluß der Sitzung.
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@facs | 0554 |
[
103
] Berlin, 22. Sept.
Die großen Erwartungen, welche man allgemein von der heutigen Sitzung der
Vereinbarerversammlung hegte, sind nicht erfüllt worden und wir müssen uns bis auf Montag
vertrösten.
Eine bemerkenswerthe Mittheilung ist hinzuzufügen: daß das Ministerium entschlossen sein
soll, fort zu regieren, wenn es auch Montag in der Minorität bleibt, oder sogar ein
Mißtrauensvotum bekömmt. Das könnte zu einem andern Resultate führen, denn das dürfte sich
weder die Linke noch das Berliner Volk gefallen lassen.
Aufgefallen ist es ferner, daß das neue Ministerium in seinem nichtssagenden Programm weder
den Stein'schen Antrag noch die Habeas-Corpus-Akte erwähnt hat. In Betreff der letztern ist
auch eine Interpellation des Abg Nees v. Esenbeck zum Montag auf der Tagesordnung.
Die abgetretenen Minister: Hansemann, Milde und Kühlwetter haben heute ihre Plätze als
Abgeordnete auf der rechten Seite eingenommen, nur Gierke nahm seinen früheren Platz im
Centrum wieder ein.
Es ist ein großer Werth darauf zu legen, daß es der Linken gelungen ist den Hartmann'schen
Antrag zu verwerfen, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, in jeder Sitzung einen dringenden
Antrag oder Interpellation zu stellen. Die Majorität der Linken stellt sich dabei wieder auf
77 Stimmen heraus, obgleich Milde und Hansemann alle mögliche Ueberredungskunst aufwandten, um
das Centrum abwendig zu machen. Diese beiden Ex-Minister und Ex-Excellenzen haben sich heute
durch ihr Benehmen allgemein lächerlich gemacht. Man sieht ihnen den Aerger an, daß sie
gezwungen worden, den Ministersessel wieder mit der Abgeordnetenbank zu vertauschen.
Während der Sitzung umwogten Tausende von Menschen den Sitzungssaal. Alles war begierig
etwas Entscheidendes zu vernehmen. Die Menge, die von 9 Uhr Vormittags bis 5 Uhr Nachmittags
ausharrte, verhielt sich jedoch sehr ruhig, obgleich es an aufregenden Plakaten über Wrangel
und das neue Ministerium nicht fehlte. Ein Plakat der demokratischen Klubs forderte für heute
noch zur Ruhe auf, und dem leistete die Menge ruhig Folge.
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@facs | 0554 |
[
103
] Berlin, 23. Sept.
Alles ist bis auf Montag vertagt; die Sitzung der Vereinbarer ‒ die Antwort des neuen
Ministeriums auf die Interpellation wegen Ausführung des Stein'schen Antrags ‒ und die
Barrikaden. Wir glauben jetzt nicht nur an die Möglichkeit, sondern auch an die Nothwendigkeit
des Entscheidungskampfes; denn die gegen die Märzversprechungen verstoßende Militärdiktatur
Wrangel's und der Eintritt eines aristokratischen contrerevolutionären Ministeriums beweisen
es klar und deutlich, daß die Contrerevolution endlich entschlossen ist, einen Kampf
herbeizuführen, bei dem es sich um Sein oder Nichtsein handelt, und dessen endliches Resultat
also nur die absolute Monarchie oder die Republik sein kann.
Aber die Contrerevolution zögert ebenso wie die Demokraten. Keine Partei will der
angreifende Theil sein; sie fürchten, daß es noch „zu früh“ ist und während dem wird die Zeit
vergehen und es wird „zu spät“ werden.
Das vorgestern hier verbreitete Gerücht von der Verhaftung Bekunins soll sich nicht
bestätigen. Ebensowenig das Gerücht von der Anwesenheit Mirolawski's, der bestimmt sein soll
den bevorstehenden Aufstand hier zu organisiren und einen angemessenen Plan zu entwerfen. Wir
glauben jedoch nicht, daß er sich zu diesem Zweck hier eingefunden hat.
Der Präsident des souveränen Lindenklubs, Müller, wollte morgen Vormittag eine große
Volksparade unter den Linden, als Gegensatz zur Militärparade des Generals Wrangel, abhalten;
der demokratische Klub jedoch hat geglaubt von einem solchen Vorhaben abrathen zu müssen,
indem dadurch die Ruhe gestört werde und ein vorzeitiger Krawall ausbrechen könnte.
Schließlich wollen wir noch unsere Befürchtung dahin aussprechen, daß auch Montag noch
nichts Entscheidendes geschehen wird, indem wir Grund haben zu vermuthen, daß das Ministerium
wieder eine vermittelnde Antwort auffinden wird, wodurch sich das Centrum, von dessen Verrath
wir erst gestern Beispiele hatten, veranlaßt finden wird, von der Linken abzufallen oder
keinen entscheidenden Schritt zu wagen. Von der Halbheit des linken Centrums lieferte
Kirchmann gestern den besten Beweis, indem er sich so trocken, in Folge der von ihm gestellten
Interpellation, vom Kriegsminister abspeisen ließ. Offene Feinde schaden nicht so viel als
solche unentschiedene Verbündete.
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@facs | 0554 |
[
61
] Wien, 20. September.
In der gestrigen Abendsitzung des Reichstags wurde mit der Debatte über den Antrag
Sierakowski's, die Zulassung der ungarischen Deputation in den Reichstag betreffend,
fortgefahren. Unter den Rednern, die noch für den Antrag sprachen, sind Schufelka, Zimmer und
Violand zu bemerken; die czechische Partei aber, die mit ihr verbundene Fraktion der
polnischen Partei (Lubomierski, Potocki), die wiener ministerielle Partei und die Absolutisten
bieten Alles auf, jede Sympathie für Ungarn zu ersticken. Neumann, in Schimpfreden wider die
Magyaren sich ergehend, stellt Jellachich als einen Märtyrer der Freiheit dar, mit welchem man
vor allen Dingen die Magyaren bekämpfen und bekehren müste.
Der Abgeordnete Helfert (Czeche) beantragt, der Reichstag möge in
Beziehung auf die ungarische Deputation keine Ausnahme von der Geschäftsordnung machen,
dieselbe also nicht empfangen.
Sierakowski hat als Antragsteller das letzte Wort und tritt, weil er
der deutschen Sprache nicht Meister genug, dasselbe an Borrosch ab; Borrosch will reden, aber
der Präsident will sich am Buchstaben der Geschäftsordnung gehalten wissen, wonach das Recht
des letzten Wortes nur der Person des Antragstellers zustehe, indem eine Cession hier nicht
angehe. Sierakowski sieht sich daher genöthigt, zu sprechen; er thut es in gebrochenem
Deutsch, indem er unter Anderm sagt: „Der Reichstag kann einem furchtbaren Blutvergießen ein
Ende machen und wird sich damit größere Verdienste erwerben, als wenn er sich am Buchstaben
seiner Geschäftsordnung hält; wo sich früher die Kabinette wider die Völker verständigt haben,
(es geschehe eben in dieser Reitschule), da sollten sich nun auch die aufgewachten Völker
verständigen u. s. w.
Der Präsident will nun Sierakowsky's Antrag zuerst und da es verlangt wird, mittelst
Namensaufruf zur Abstimmung bringen, allein das Czechenthum setzt es durch, daß Helferts
Antrag mit namentlicher Abstimmung ihm vorgezogen wird; dieser Antrag wird mit 186 gegen 108
Stimmen angenommen. Die Versammlung beschließt, daß Sierakowsky's Antrag nun nicht mehr zur
Abstimmung komme und nimmt dann mittelst Sitzenbleiben und Aufstehen folgenden Antrag Lassers
an:
„Die ungarische Deputation ist durch den Vorstand des Reichstages einzuladen, ihre
Mittheilungen schriftlich an die Hohe Versammlung gelangen zu lassen.“
Die ungarische Deputation ist also abgewiesen, weil Lasser's Antrag unter den obwaltenden
Verhältnissen nichts Anderes bedeutet. Die Czechen begreifen wohl, daß, wenn Ungarn und
Deutsche zusammenstehen mit dem freigesinnten Slaventhum der Polen, Ruthenen u. s. w. ihre
geträumte Hegemonie zu Wasser wird. Der Geist dieser Czechen, wie er sich namentlich in einem
Rieger, Palacki, Trojan, Hawlitschek, Doliak, Jonak, Brauner, Helfert, Hawelka, Klaudy u. s.
w. bekundet, kennt keinen höhern Aufschwung, als den: „Lieber die russische Knute küssen, oder
den österreichischen Dalai-Lama-Absolutismus verehren, als die Freiheit verfechten in der
deutsch-ungarischen Vereinigung!“
Der Pole
Potocki hatte anfangs gegen den Antrag Helfert's gestimmt;
nach der Abstimmung widerrief er indessen. Zum Bedauern des Präsidenten war der Widerruf nicht
mehr annehmbar. ‒ Justizminister Bach gab den Inhalt der Staatsschrift zum Besten, welche das
österreichische Ministerium dem ungarischen zugeschickt hat. Diese Staatsschrift ist zwar
breit geschrieben, aber dennoch kurz von Inhalt. Sie will nur
eine
[0555]
Monarchie, Einheit in der obersten Staatsleitung, in der Leitung des
Gesammt-Finanzwesens, in der Verwaltung und Führung des Heeres; sie will Alles, was Ungarn
nicht will, sie bestreitet seine frühern und im März vollends errungene Nationalunabhängigkeit
und meint, mit dem Namen Oesterreich sei nie das Erzherzogthum allein bezeichnet worden.
Vortheile und Lasten seien unter allen Ländern Oesterreichs gemeinschaftlich, kurz Ungarn sei
nichts, als eine von Wien aus verwaltete Provinz mit einigen eigenthümlichen
Einrichtungen.
Während der ganzen um 8 Uhr Abends beendeten Sitzung stand czechisch gesinnte Nationalgarde
auf dem Josephsplatz vor den Zugängen des Reichstags. Mit gespannter Erwartung harrten die 12
Gesandten der Magyaren des reichstäglichen Beschlusses. Wir lesen in der Geschichte der
sogenannten Wilden Amerikas und des innere Afrikas, daß diese Völker gegenseitige
Freundschaftsbündnisse schließen und keinen hülferufenden Stamm ihren Beistand versagen; nur
die civilisirten Menschenhorden Europas drehen diese Grundsätze um, sie braten die Menschen à la Jelachich, um sie für Thron und Alter zu civilisiren. ‒ Die
deutsche Familie, welche von Jelachichs Horden gebraten wurde, heißt
Neumann.
Auf den abweisenden Beschluß des Reichstags folgte ein der magyarischen Gesandtschaft
gebrachter Fackelzug, an welchem sich eine gewaltige Menschenmasse betheiligte. Hier ließ vor
dem Frankfurter Hof das erbitterte Volk seinen Gefühlen freien Lauf und die stärksten Reden
durchwetterten mit Säbelklirren und Eljen Magyar! die Luft bis nach 11 Uhr, wo man unter dem
festen Versprechen schied, in Budapest wie in Wien, die Freiheit bis zum letzten Mann und bis
zum letzten Blutstropfen zu vertheidigen.
Sie wissen, daß nach der vergeblichen Deputation an den Kaiser, Kossuth gleichsam Diktator
geworden und aus eigener Machtvollkommenheit ein Ministerium bildete, daß er aber abstand, als
der Palatin Stephan den Grafen Batthyany darauf einen Kurier hieher sandte, um die königl.
Bestätigung einzuholen. In der Sitzung des ungarischen Repräsentantenhauses vom 16. ‒ und das
mögen Sie vielleicht noch nicht wissen ‒ erklärte nun Batthyany, der Kurier sei angekommen,
die Antwort sei eine unbefriedigende, er müsse daher, weil nur Kossuth das Vertrauen des
Hauses besitze, abtreten. Er verliest das königl. Reskript, worin Se. Majestät sich über die
Beschlüsse vom 11. Sept. (Vollzug der Gesetze ohne königl. Sanktion) ungehalten äußert, (es
soll voll von groben Invektiven sein) die Schlichtung der kroatischen Angelegenheit dem Wiener
Reichstag (!!) überträgt, (man scheint also der czechisch-polnischen Zusicherungen schon
damals gewiß gewesen zu sein?) und die Liste der Ministerkollegen verlangt, ehe eine bestimmte
Aeußerung erfolgen könne. (Nur Zeit gewinnen!) ‒ Stzari, Madaraß und Kossuth beantragen, daß Batthzany demnach Ministerpräsident bleibe, das Haus nimmt den
Antrag an. Batthyany nimmt die Ministerstelle mit der Versicherung an, er wolle Jellachich
jeden Schritt Boden streitig machen und Pesth bis aufs Aeußerste vertheidigen. Die neuen
Minister, welche am 17. von Batthyany ernannt waren, heißen: Ghiczy, Szentkiralyi, Erdödy,
Bay, Kemeny, Eötvös, Mesaros. ‒ Kossuth lehnte, weil die Kamarilla stets seine Person zum Vorwand ihrer Umtriebe nehme, seine Theilnahme ab. Alle Parteien
verschmolzen und verbanden sich in der Idee, den revolutionären Boden noch nicht zu betreten,
weil man sonst den Palatinus Stephan, der die Nation auf legalem Wege zu unterstützen
versprochen ‒ opfere. Kossuth sagte, er ordne sich Batthyany unter, wolle selbst Schanzen
graben, die Wache beziehen, die Bürger enthusiasmiren.
Die Pesther Zeitung vom 17. denkt schon revolutionärer als das Haus, denn sie sagt: „Die
Nachricht von dem schmählichen Verrath, welcher an Ungarn von jenen Männern verübt wurde,
(Telecki's Uebergang zu Jellachich am Plattensee) welche an der Spitze der ungarischen
Vertheidigungsarmee stehen, dürfte außer der tiefempörten Aufregung in den Gemüthern und einem
verzweifelten Aufwand von Energie auch zwei Lebensfragen durchschnitten haben. Die erste ist
die faktische Unsicherheit der ältern lothringischen Herrschaft in Ungarn; die zweite, daß wir
von dem freien konstitutionellen Oesterreich noch viel weniger eine Anerkennung unseres
Rechtes zu hoffen haben, als vom Fürsten Metternich.
Unter den heutigen Plakaten sind viele für und wider Ungarn. In einem derselben wird
angezeigt, daß sich eine Wiener deutsch-katholische Gemeinde gebildet habe, die sich indessen
von aller Politik durchaus fern halte.
Ein anderer Anschlag trägt die viel bedeutendere Ueberschrift: „Macht uns
glücklich durch Arbeit!“
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@type | jArticle |
@facs | 0555 |
[
*
] Wien, 20. Sept.
Jellachich rückt gegen Stuhlweissenburg. Die Aufregung in Pesth grenzt an Wahnsinn.
Volksredner haranguiren die Menge; ein stürmischer Beschluß treibt in der Kammer den andern;
deutsche und magyarische Plakate bedecken die Straßenecken.
‒ Der Jubel und die Sympathie für die ungarische Freiheit wächst im Volke von Stunde zu
Stunde. Die Perfidie der Hofpolitik tritt immer klarer hervor.
‒ Windischgrätz ist wirklich hier, und darum Alles zu erwarten. Der Fackelzug der
„Schwarzgelben“ nach Schönbrunn unerbleibt auf Befehl des Kaisers; desto festlicher war der
gestrige zu Ehren der Magyaren. Es war eine großartige ergreifende Demonstration.
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@type | jArticle |
@facs | 0555 |
[
61
] Wien, 21. Sept.
Gestern Abend soll durch eine Staffette die Nachricht hierher gebracht worden sein, daß die
Ungarn bei Pancsova einen bedeutenden Sieg über die Serben errungen
hätten und mehre Bataillone der feindlichen Armee übergegangen seien. ‒ Was das Letzte
betrifft, so ist es möglich, daß der Umstand, daß nun ein kaiserlicher Prinz den Horden
Jellachichs entgegentritt, diese stutzig und von ihm abwendig macht. ‒ Ferner haben nach einem
aus Kesthely datirten Bericht des königl. Kommissars Csanzi die Offiziere von Nikolaus Husaren
unter Major Bubea, sodann die Offiziere von Alexander Husaren unter Rittmeister Barizay, beide
unter den Befehlen Teleckis stehend, Jellachich durch eine Adresse aufgefordert, ihnen den
kaiserlichen Befehl vorzuweisen, welcher ihn ermächtige, einen Feldzug wider Ungarn zu
unternehmen. ‒ Pesth und Ofen werden in Vertheidigungszustand gebracht, alle Stände müssen
sich an den Arbeiten betheiligen. Nach den im Repräsentantenhause am 18. gefallenen
Aeußerungen soll das Aeußerste gewagt und selbst dann noch nicht nachgegeben werden, wenn auch
Budapest von Jelachich genommen sei. ‒ Es hat sich eine französische Legion in dieser Stadt
gebildet, welche alle Franzosen zum Beitritt beim Kampfe um die Freiheit auffordert.
Jelachichs Armee soll 160,000 Mann zählen, wahrscheinlich aber sind 50,000 dieser Kämpfer
erlogen. Man ist hier in gespannter Erwartung über die näwsten Ereignisse in Ungarn;
Oestreichs Lebensfrage hängt ja mehr noch von Ungarn ab, als von Italien und Galizien.
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@type | jArticle |
@facs | 0555 |
[
*
] Prag, 16. Sept.
Ein Ministerialerlaß hat die Criminalbehörde hiesiger Stadt angewiesen, alle wegen der
Juni-Vorfälle verhafteten Personen, bis auf ein Paar, die als Urheber und Rädelsführer
bezeichnet werden, freizulassen. Ueber letztere soll nach einem mündlichen und öffentlichen
Schluß verfahren durch ein Geschwornengericht geurtheilt werden.
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@type | jArticle |
@facs | 0555 |
[
*
] Stuttgart, 20. Sept.
Heute sind die Kammern eröffnet worden. Aus der Thronrede, die im übrigen die gewöhnlichen
heuchlerisch-liberalen Phrasen enthält, heben wir folgende Stelle hervor: „Von der königl.
Regierung wird unumwunden anerkannt, was die Nationalversammlung beschließt und die
provisorische Centralgewalt bestimmt.
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@facs | 0555 |
Kiel, 22. Sept.
Je schwieriger die Verhältnisse werden, desto entschiedener zeigt auch die Landesversammlung
Einigkeit und Entschlossenheit.
@xml:id | #ar112_016 |
@type | jArticle |
@facs | 0555 |
Kiel, 21. Sept.
Die heutige Sitzung der Landesversammlung war sehr aufgeregt, theils in Folge der traurigen
Nachrichten aus Frankfurt, theils besonders wegen der eben eingelaufenen Kunde von der
angeordneten theilweisen Demontirung und Entwaffnung unserer Strandbatterien und namentlich
der Festung Friedrichsort.
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@facs | 0555 |
Rendsburg, 22. Sept.
Rundschreiben an sämmtliche Polizeibehörden der Herzogthümer Schleswig-Holstein. Da es zur
Kunde der provisorischen Regierung gekommen, daß der Graf Karl Moltke, der Konferenzrath
Friedrich Heinrich Christian Johannsen, vormaliger Amtmann des Amtes Hadersleben und der
Bischof Jörgen Hansen zu Ecken sich zu einer sogenannten Immediatkommission für die
Herzogthümer konstituirt und eine im landesfeindlichen Sinne abgefaßte Proklamation an das
Volk erlassen haben, und da es der provisorischen Regierung obliegt, einem solchen Treiben
entgegen zu wirken, so beauftragt sie ..... die genannten Personen, sobald dieselben sich im
..... Polizeidistrikte einstellen sollten, unverzüglich in Verwahrsam zu nehmen und daß
solches geschehen, an die provisorische Regierung einzuberichten. Rendsburg, den 22. Septbr.
1848. Die provisorische Regierung. Beseler. F. Neventlow. M. T. Schmidt.
Französische Republik.
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@facs | 0555 |
[
17
] Paris, 22. Sept.
Der Präsident Bernard vom Klub Bonne Nouvelle, der kühne, geistvolle Südfranzose, Mitglied
des demokratischen Oberwahlkomité, ist wegen eines Dutzend „Vergehen“ vor die Assisen zitirt;
„Aufreizung gegen die Reichen, Anreizung zu Brand, Mord und Diebstahl, Verleumdung“ u. s. w.
Er scheute sich freilich nicht letzthin den Herrn Thiers einen „in allen politischen,
physischen und moralischen Lastern und Verbrechen erprobten Ausschweifling und
Macchiavelisten“, und seinen „Constitutionel“ ein infames Schmutzblatt zu nennen unter
donnerndem Applaus von 5000 Männern und Frauen; letztern hatte er durch Umänderung des Titels:
„Klub“ in: „Wahlreunion“ den Eintritt ermöglicht. Sie nahmen mit feurigem Enthusiasmus Theil;
eine Dame warf ihre goldne Uhre auf die Schale für Unterstützung der Junimärtyrer; eine andere
ging mit Bernard gestern vor das Polizeigericht (wo die Frage: „ob die Umänderung des Titels
eine Contravention?“ zu seinen Gunsten entschieden ward) und rief: „Wir Frauen kamen, um
unsere drei Kandidaten zu erwählen.“ „Der Klub, täglich in den Königsjournalen
„gesellschaftsgefährlich“ denunzirt, wird geschlossen, aber sofort in einem andern Lokal
fortgesetzt. Zwei Kandidaten sind durch die Dummheit und Kinderei der Demokraten ausgefallen;
nur Raspail kam durch, der mehr Stimmen als Cabet hatte. Es ist erwiesen, daß viele Demokraten
einen ihrer drei Männer durch Louis Bonaparte ersetzten, als dieser „albernste aller Prinzen“
(wie die „Liberté“ ihn nennt) plötzlich mit allen langen Lettern zum sechsten Mal wieder auf
den Mauern klebte, und bei „Gott und Frankreich und den Namen des Oheims“ schwur ein guter
Republikaner bleitzen zu wollen. Manche wurden sogar gerührt ob seiner abentheuerlichen
Schicksale, mancher sagt: „er besitzt 200 Millionen Franken, macht jährlich 8 Millionen Rente,
die er in Paris verzehren, also Handel und Arbeit befördern wird.“ Viele Arbeiterinnen
schwärmen für ihn; man kauft seine Medaillons, und fragt nach dem Tage seines Einzuges, um ihn
mit Geleit einzuholen. Auch die Thiersmänner, Kaufleute und kleine Geschäftsleute stimmten für
ihn, weil er „der Neffe des Oheims“ und ein Prinz ist. Vier Departements haben ihn wieder
gewählt, wie im Juni, eins ihrer Blätter ist so keck zu sagen: „Wir lieben die Republik nicht;
des Kaisers Neffe wird den Rückweg zu einem frühern bessern Zustande anbahnen.“ Daher votirten in der Yonne und Orne alle Philippisten und Henricinquisten
für ihn. Der „National de l'Ouest“ aber sagt: „Dieser 40jährige Knabe dürfte nächstens eine
Rolle spielen wie weiland Herzog Egalité, Herrn Louis Philipp's Papa; es ist nicht übel, wenn
eine junge Republik einen Prinzen im Käfig sich hält zu allgemeinem Plaisir, und ihm, wenn er
Skandal macht, das gesalbte Haupt abschlägt. Bei diesem Individuum ist außerdem interessant,
daß Kaiser Nikolaus ihn mit Briefen, Emissären und Geld mehr als je unterstützt. „La Reforme“
publizirte darüber ein hübsches Dokumentchen, welches noch nicht widerlegt ist. „Le
Constituant“ in Toulouse ruft: „Wenn dieser Thor nochmals, wie in den April- und Juniwahlen
die Vota der Arbeiter durch sein unverschämtes Zwischendrängen verwirrt, was leicht bei dem
der Demokratie seit Juni angelegten Hemmschuh passiren könnte, so ist er des dreifachen Volksverraths schuldig. Er mag noch so breit von seiner Tugend
salbadern, er ist schon im Voraus verurtheilt, und wenn er, wie sicher ist, sich in der Kammer
lächerlich macht, so bekommt das Königsgelichter Europa's einen doppelten Fußtritt!“ Die
Bauern schwören darauf, er und Henri V., der als „Monsieur Crédit“
besungen wird, würden alle Schulden des Staats und die Hypotheken
bezahlen; wenn das nun nicht geschieht, so schlagen sie ihn mit Knitteln nieder; sie spaßen
nicht im Geldpunkt.“ Mehrere Epiciers versicherten mir, er werde gleich 50 Millionen in den
Kommerz werfen; thäte er das nicht, so wollten sie ihm „aufspielen“, denn nur deswegen hätten
sie ihn votirt. ‒ Der jüdische Banquier Achill Fould, louisphilippistischer Pritchardist,
salisfait und Hausfreund des aimabeln Exministers Graf Narziß Salvandy, ward mit 80,000
Stimmen erwählt durch die kolosalsten Bestechungen (im verhungernden Faubourg St. Marcean hat
sich mancher kaufen lassen), Lügen und Kniffe; seine Broschüre, worin er die Neun-Sousstener,
die Nichtzahlung der Sparkasse, die Luxussteuer, kurz alle Finanzböcke
der provisorischen Minister Garnier und Goudchaux lächerlich darstellt, hatte zudem in ihm den
„Heiland“ erblicken lassen, der allein vor „Bankerntt und vor Kommunismus“ retten könne. Eine
Million Votirzettel kursirten seit 8 Tagen, worauf bereits der Name Fould, oder Delessert gedruckt stand, die Wähler hatten somit „weniger Schreibmühe“, wie der
Corsaire, der diese Spitzbüberei vertheidigte, meint. Hr. Delessert, Verwandter des
Louisphilipp'schen Polizeipräfekten, ließ sie sogar durch den Luftschiffer Green auf die Köpfe der Bauern bei Paris ausstreuen; das zog. So viel steht aber fest:
eine kompakte Masse von 60,000 Mann stimmte, wie für Proudhon und
Cabet im Juni, so jetzt wieder für Raspail, Cabet und Thoré; der Maire des 10. Bezirkes
knirschte vor Wuth und schrie: „Wie diese Kerle organisirt sind!“ auch mußte er erst förmlich
gezwungen werden, das Wahllokal bis 9 Uhr Abends, der Arbeiter
halber, offen zu lassen. Bernard im Klub „Bonne Nouvelle“ und das Obercomité verordneten auf's
Dringendste, die Blousen sollten Tag und Nacht an den Wahlurnen Wache stehen und die Addirung
der Vota beaufsichtigen; das sei nun einmal „in der honneten Republik“ nöthig. Trotzdem fand
man manche Urnen über Nacht gesprengt, andere blieben in einem Saale
mit zwei Thüren und Fenstern. Im Juni ward erwiesenermaßen durch geschickte Instrumente Nachts mancher Zettel heraus- und
hineinpraktizirt. ‒ Warum Dr. Raspail diesmal „um zwei Pferdelängen den Papa Cabet schlug“
(wie der höhnische „Corsaire“ sagt), ist einfach: er liegt im Thurm zu Vincennes. Das
eigentliche Volk liebt Beide gleichmäßig; auf dem Stadthausplatze zischte es gestern bei der
Ausrufung der drei Gewählten bei Nennung des Namens des Banquiers, jubelte bei der von Raspail
und schrie: „Auf nach Vincennes!“ Er ist auch durch seine früheren volksmedizinischen
Schriftchen und guten Kuren beliebt. „Der Kampher-Doktor wird erst den Maiprozeß bestehen
müssen“ (spottet L'Assemblée Nationale“), „und wir hoffen, er wird dabei eine Pille bekommen,
die ihm sein Politisiren verleidet.“ In Lyon ist ein Bourgeois-Republikaner des „National“
gewählt, der Karlist Genoude im Departement du Nord durchgefallen und wird es auch in
Montpellier; nur in zwei Departementen fiel die Wahl bisher gegen die Königlichen, trotz ihrer
famosen „Assoziation zur Vertheidigung der Ordnung und des Eigenthumes“, die ihre Statuten
veröffentlicht hat und einen „Staat im Staate“ bildet, wie „La Libertè“ richtig klagt. Der
„elende greise Sünder“ Graf Molé ist so eben in Bordeaux erwählt. „Fehlt bloß noch der
Kartätschen-Herzog Bugeaud, der Vater aller Arbeiter, wie seine
Affiche ihn nennt, der Gauner-Literat E Girardin und der moderirte Jesuit Genoude, dann sitzen
alle reaktionären Herrschaften der Julizeit wieder traulich beisammen in der Kammer, die schon
jetzt eine camera obscura ist“ („National de l'Ouest“). ‒ Die Theater spielen seit Juni nicht
mehr gratis für die Blousen, es ist „zu kostspielig“; aber „Perikles-Marrast“ bettelt um 6000
Franken Monatszulage für seine Abendzirkel, und die Hungerleider werden von der Garnison am
Gitter gefüttert! Die Kolonisirung Orans (Algier) durch 12,000 Arbeiter nebst Frauen ist
endlich dekretirt, aber mit ausdrücklichen Verbote der Assoziation; man will durchaus diese
Leute zu kleinen Bourgeois machen. „Narren oder Betrüger“ (ruft ein Lyoner Blatt), „die Ihr
gleich den Römern Afrika mit Euren Proletariern bevölkern wollt! ahmt doch auch den
praktischen Takt der Alten nach, die wahrlich durch Asioziation kultivirt hätten, wäre sie
ihnen schon bekannt gewesen!“ ‒ Die Worringer Versammlung, die Frankfurter Insurrektion, der
schlesische und sächsische Aufstand der Bauern und Arbeiter erregen die feurigste Theilnahme
der Pariser und departementalen Demokratenpresse; „La Reforme“, „Demokratie pacifique“,
„National de l'Ouest“, „Constituant“ (Toulouse), „Républicain alsacien“ geben oft Artikel der
„Neuen Rheinischen Zeitung“. Die Erklärung des hiesigen deutschen Vereines ward in zehn Blättern auf's Freudigste abgedruckt. Die Reaktionäre zittern vor
Wuth und Angst; Hr. Alex. Weill fabrizirt in Girardin's „La Presse“ heute, was folgt: „Die
deutschen Demokraten sind die erbittertsten Feinde Frankreichs, wollen
Dänemark, Italien zerreißen, Elsaß und Lothringen einstecken; ihre rheinischen Klubs sind sehr
keck und senden Chefs bis nach Wien; die Berliner sind frech genug, die konstitutionelle
Monarchie umwerfen zu wollen; sie haben sich von dem Schlage des Junitriumphes rasch erholt;
die Frankfurter Abenteurer, meist nicht zur Stadt gehörige Leute, haben …“ u. s. w. Weiter
heißt es: „Wir hoffen, die Ordnung wird siegen; die Kölner Anarchisten, die geworbenen und
eingepaukten (endoctrinés) Arbeiter Sachsens werden unterliegen.“ Noch heftiger zürnte das
Blatt des Hrn. Thiers. Das katholische „Univers“ ruft: „Da habt Ihr's, reformirte
Reformatoren, das Volk lernte Lesen durch Eure aufklärenden Schulen,
lies't Revolutionsschriften und schwingt in Deutschland die dreifachen
Streitkolben des Jakobinismus, Atheismus und Sozialismus; wahrlich, nicht ihr, hochweise Aufklärlinge von Gottes Gnaden, werdet diese Götterdämmerung beschwören
können; gerade wie hier, wo, wie Montalembert richtig sagte, das lesende Arbeitervolk Proudhon's Bücher lies't.“
National-Versammlung. Sitzung vom 22. September. Corbon eröffnet sie
um 121/2 Uhr. An der Tagesordnung: ein Kreditverlangen von 6 Millionen für Straßenbauten
Behufs Beschäftigung des müßigen Landproletariats.
Diese Diskussion raubt fast drei Stunden und endigt natürlich mit Genehmigung der
Hauptparagraphen.
Um 3 1/2 Uhr ersetzt Marrast den Corbon auf dem Präsidentenstuhle. Sonteyra, ein Glied der
Rue de Poitiers, verlangt das Wort, um den Konseilpräsidenten zu interpelliren. (Erstaunen.
Allgemeine Aufmerksamkeit).
Unter wahrer Grabesstille des Saales legt der Redner einen Stoß von Papieren vor sich und
beginnt eine lange Rede vorzulesen. Die Juni-Ereignisse bildeten die Einleitung. Dann eifert
das Manuscript gegen den Sozialismus;, unausführbare Lehren,“ welche alle honneten Leute, die
sich der Februarregierungsform angeschlossen hätten, mit gerechter Besorgniß erfüllten, und
die Regierung schwächten. Das Land sei zerrissen. Die National-Versammlung solle mit dem
Beispiele der Einigkeit und Versöhnung vorangehen. Die Wahlresultate hätten eine bedenkliche
Gährung hervorgerufen, er zweifle indeß nicht, daß der General Cavaignac Energie genug
besitzen werde, um jeden Versuch zur Anarchie zu unterdrücken und nicht (giebt das Manuscript
zu verstehen) zur Fahne der sozialistischen Republik überzugehen. Es wäre gut, wenn der
General sich über alle diese Punkte dem Lande gegenüber ausspräche. Er interpellire ihn daher.
Das öffentliche Vertrauen würde gestärkt und manche Befürchtung gelegt, wenn man genau wisse,
was die Regierung von der Lage denke und was sie zu thun beabsichtige.
Beim Herabsteigen des Redners ruft die tiefe Linke: Man schreite zur Tagesordnung!
Cavaignac begibt sich aber dennoch auf die Bühne und antwortet.
Nach den gewöhnlichen nichtssagenden Einleitungsphrasen gesteht er zu, daß sich finstere
Wolken am Horizonte zusammengezogen, daß er aber keiner andern Fahne als der Republik dienen
werde. Indessen übertreibe man die Dinge, die außerhalb der National-Versammlung vorgingen.
Man wolle vom Ministerium wissen, was es im Falle von Unordnungen thun werde. Gestatten Sie
mir, sagte der General geschmeidig, daß wir Ihnen die Antwort auf diese Frage schuldig
bleiben. Wir werden unserm Mandat getreu, die Pflicht erfüllen u. s. w. (Beifall. Zur
Tagesordnung!)
de
Charancey wirft der Regierung vor, die Vortheile des Junisieges
nicht gehörig ausgebeutet zu haben. Sie habe nicht die gute Stimmung der Bürgerwehr, dieser
Lebensader des Staats, zu benützen verstanden, oder sie sogar verscherzt. Die größte Gefahr
stehe aber der ganzen französischen
[0556]
Gesellschaft
[unleserlicher Text] wenn
sich die Exekutivgewalt jener Lehre zuwende, die man Sozialismus nenne.
Duclerc steigt mit einem Moniteurbande in der Hand auf die Bühne und
beweist dem Vorredner, daß die National-Versammlung auf Antrag der Regierung ja der Bürgerwehr
von Paris und der Bannmeile speziellen Dank votirt habe.
Cavaignac erklärt von Neuem, daß er unmöglich hier Doktrinen
diskutiren oder gar den Weg angeben könne, den die Regierung einzuschlagen gedenke. Man solle
sich wegen des Heils der Republik auf ihn verlassen. Er habe bisher sicher das Vertrauen der
Versammlung gerechtfertigt. (Beifall).
Man ruft: Schluß! Schluß!
Laboissiere schlägt eine motivirte Tagesordnung vor.
Kerdrel will von diesen monarchischen Ueberbleibseln, wie
Vertrauensvoten u. dgl. nichts wissen und bekämpft die Tagesordnung. Cavaignac bedürfe solcher
Voten nicht.
Mehrere Andere sprachen noch für und gegen, ohne verstanden oder gehört zu werden.
Endlich geht die folgende motivirte Tagesordnung durch: „Die National-Versammlung erklärt in
Erwiderung der Vorträge des Konseilpräsidenten, daß die Regierung ihr volles Vertrauen besitze
und geht zur Tagesordnung über.
Proudhon und der Berg stimmten gegen die Tagesordnung.
Mole, zum ersten Male anwesend, blieb sitzen.
Zum Schluß ging die Versammlung zu den Ackerbauschulen über, verschob jedoch um 6 Uhr die
Diskussion auf morgen.
Nationalversammlung Sitzung vom 23. Septbr. Corbon nimmt um 12 1/2 Uhr vor ziemlich leeren
Banken den Präsidentenstuhl ein.
Marie, Justizminister, richtet einen Brief an den Präsidenten in dem die Regierung erklärt,
daß sie das Ehescheidungsgesetz zurückziehe (Allgemeines Erstaunen.)
Sonteyra übereicht einen Antrag, den Artikel 42 des
Verfassungs-Entwurfs dahin zu ändern.
„Der Präsident der Republik muß geborner Franzose sein, darf nie die Eigenschaft eines
Franzosen verloren haben und muß über 30 Jahre zählen Er muß das französische Gebiet
mindestens fünf Jahre lang ununterbrochen vor seiner Wahl bewohnt haben.“
Dieser Antrag ist offenbar gegen den Prinzen Louis Bonaparte gerichtet.
An der Tagesordnung ist die Fortsetzung der Debatte über die berühmten Musterpachthöfe oder
Ackerbauschulen.
Mehrere Stimme: „Aber wir sind ja nicht vollzählig! Namensaufruf!
Während man zu demselben schreitet, eilt alle Welt aus den Nebensäälen in die Sitzung und
die Ackerschulen beginnen.
Aubergié liest eine lange schwülstige Rede zu Gunsten der
Schulen.
Amable Dubois bekämpft dieselben. Sie werden nichts nützen. Die
unerhörte Steuerlast, die den Bauer erdrücke, erleichtern: das heiße, der Agrickultur auf die
Beine helfen. Die 45 Centimensteuer sei für sie der Todesstoß gewesen.
Tillaucourt für den Entwurf.
Luminais, beantragt Vertagung.
Stimmen: Zum Schluß! Zum Schluß!
v. Montreuil protestirt. Der Gegenstand müsse tief erwogen
werden.
Flocon legt der Versammlung an's Herz, das Gesetz ja nicht zu
vertagen, sondern es zu votiren. Seit dem 4. Mai habe sie kein Gesetz votirt, das
demokratischer gewesen wäre.…
Stimmen: Ah bah, Sie haben den Plan der Monarchie entnommen!
Flocon(empfindlich.) Wenn es Jemanden hier im Saale gibt der der
Monarchie das Wort redet, dann will ich ihm die Bühne gern abtreten. In der Hauptsache zeigt
er aber doch auf die belgische, englische und deutsche Arbeiter hin, welche die französische
Kultur weit überflügelt hatten.
Luueau beantragt die Vertagung.
Tourret Minister des Ackerbau, vertheigt deu Entwurf.
Der Antrag auf Vertagung wird zur Abstimmung gebracht.
Für Vertagung 200, gegen dieselbe 449 Stimmen.
Die Ackerschulen haben gesiegt. Einige Agitation im Saal.
Lamoriciere beantragt die Bewilligung eines Kredits von 2 Millionen
zur algierischen Expropriation.
Wird sofort bewilligt.
Duplan beantragt die möglichst baldige Diskussion des Industrial-
und und Rustikalkredits.
Goudchaux erklärt, daß er am Montag oder Dienstag einen
Gesetzentwurf über denselben Gegenstand vorlegen werde. Dann könne die Versammlung wählen.
Schluß um 1/4 6 Uhr.
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Paris, 22. Sept.
Das Bergbanquett zum Andenken an die Gründung der Republik von 1792 hat gestern Abend 7 Uhr
vom schönsten Wetter begünstigt in den Gärten dieses Etablissements stattgefunden. Audry de
Puyraveau, der schon vor zwanzig Jahren ein Privatvermögen von mehreren 100,000 Franken seinen
republikanischen Grundsätzen opferte, führte den Vorsitz an der Spitze von 500 Gedecken. Er
hielt eine Rede, die eine Lebensfrische verrieth, welche wenige Greise theilen. Der
hervorragendste Moment bildete eine Rede Ledrü-Rollins. So derb er auch gegen die ganze
Zusammensetzung der Nationalversammlung loszog, wies er doch auf die Nothwendigkeit hin, daß
die Umstände Einigkeit und gemeinschaftliches Zusammenwirken gebieten, um den kaiserlich
königlichen Bestrebungen energisch entgegen zu treten. Nachdem er auf diese Weise zur
Einigkeit unter den Volksvertretern (soll wohl nur heißen unter der Linken, von der über 150
Glieder anwesend waren) aufgefordert hatte, warf das Ex-Glied der wailand provisorischen
Regierung einen Blick auf die innere und äußere Lage der Republik. Er leerte seine ganze Galle
gegen die Achselträgerei und Verräthereien eines Arago, Marie und Konsorten; freilich geschah
dies Alles sub rosa, aber für den Eingeweihten doch verständlich. Das Banquett verlief ohne
die geringste Störung. Demosthene Olivier, ein halber Kommunist, trank die Gesundheit der abwesenden Republikaner. (Louis Blanc, Caussidiere, Barbes u. s. w.)