Deutschland.
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Edition: [Friedrich Engels: Das Ministerium der Kontrerevolution. In: MEGA2 I/7. S. 737.]
[
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] Köln, 22. Sept.
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Frankfurt, 19. Sept.,
6 Uhr Abends. So eben sind 30 und 40 Gefangene, Theilnehmer der gestrigen Ereignisse, unter
scharfer Bedeckung zur Taunuseisenbahn gebracht worden, um auf derselben nach Mainz (Fort
Hartenberg) transportirt zu werden.
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Frankfurt, 19. Sept.
Bekanntmachung. In Folge der Erklärung ist ein ständiges Kriegsgericht niedergesetzt.
Dasselbe hat in der Hauptwache seinen Sitz; es sind somit dahin alle etwaige Gefangene
abzuliefern. Frankfurt, 19. September 1848. Das Reichsministerium der Justiz, R. Mohl.
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Frankfurt, 20. Sept.,
Vormittags 11 Uhr. So eben trifft die Nachricht von Hanau hier ein, daß die Bürger das
dortige Zeughaus gestürmt und alle Waffen genommen haben. Die Eisenbahn an der Mainkur soll
aufgerissen sein. Folgendes soll die richtige Verlustliste des hiesigen Barrikadenkampfes
sein:
Militär 72 Todte 145 Verwundete.
Bürger 35 Todte 72 Verwundete.
[(M. Z.)]
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Frankfurt, 20. Sept.
In Folge des Belagerungszustandes und proklamirten Standrechts ist ein ständiges
Kriegsgericht auf der Hauptwache eingesetzt, welchem die Gefangenen vorgeführt und alsobald
abgeurtheilt werden. Schon sind mehrere Transporte der Verurtheilten nach Mainz abgeführt
worden. Das Gerücht von der Gefangennehmung Metternich's hat sich nicht bestätigt. Die Zahl
der Todten stellt sich größer heraus, als man glaubt, doch läßt sich Bestimmtes noch nicht
angeben; gewiß sind 26 Todte auf Seite der Aufständischen; 40 Todte sollen die Truppen haben,
darunter mehrere Offiziere. Die Zahl der Verwundeten auf beiden Seiten wird aber auf mehrere
Hunderte geschätzt, da natürlich viele sich noch verborgen haben. Es geht das Gerücht, als
wolle die Majorität der Nationalversammlung die Abgeordneten, welche am Sonntag bei der
Volksversammlung gesprochen haben (Simon aus Trier, Schlöffel, Wesendonk, Zitz) in
Anklagezustand versetzen. Gestern bot die Stadt das reine Bild eines Kriegslagers, wie ich es
noch nicht gesehen habe. Die Zeile, der Roßmarkt und andere Straßen waren mit Stroh bedeckt,
auf welchem die Soldaten lagerten, um von den nächtlichen Strapazen sich zu erholen. Hie und
da brachte eine Patrouille einen Gefangenen vorüber, und dazwischen schwärmte eine bunte Menge
Neugieriger jedes Alters, Standes, Geschlechtes, um den Kampfplatz, sowie die Lagerstätten
sich zu besichtigen. Auf dem Roßmarkt und dem Götheplatze standen die Pferde dreier
Schwadronen und wurden im Freien gefüttert.
‒ Von Truppen befinden sich bis jetzt hier:
Preußen: 4 Bataillone Infantrie und 2
Geschütze.
Oestereich: 3 Bat. Inf. und 2 Geschütze.
Würtemberg: 1 Reg. Kavallerie
und 14 Geschütze.
Bayern: 2 Bat. Scharfschützen.
Kurhessen: 2 Bat. Inf.
Hessen-Darmstadt: 2 Schwadr. Kav., 1 Bat. Inf. und 8 Geschütze.
Der „edle Gagern,“ welcher jetzt so todesmuthig unter dem Schutz der
Bajonnette die Linke tyrannisirt und zu neuen Septembergesetzen herausfordert, ‒ der „edle Gagern“ wagte sich am Abend des Kampfes nicht nach Hause, sondern
hielt sich im Keller eines Gasthofes versteckt. ‒ Auf der Hauptwache werden bereits
standrechtliche Urtheile gefällt. ‒ In Mainz ist am 19. ein Transport von etwa 60 gefangenen
Insurgenten unter Bedeckung von 500 Soldaten eingebracht worden.
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Frankfurt, 20. September.
1/2 10 Uhr. 82. Sitzung der National-Versammlung. Präsident v. Gagern.
Tagesordnung:
- 1. Vorlage von Anträgen.
- 2. Einsammlung der Wahlzettel über unvollständig gewordene Ausschüsse:
- a. den
volkswirtschaftlichen-
- b. den Wehrverfassungs- und
- c. den Geschäftsordnungs-Ausschuß
betreffend.
- 3. Fortsetzung der Berathung über die Grundrechte des deutschen Volkes
Stavenhagen (preußischer Offizier) reklamirt gegen das Protokoll.
Präsident hätte nicht den Tod, sondern die nichtswürdige Ermordung des Lichnowsky und
Auerswald angezeigt. So müßte es im Protokoll lauten.
Präsident: Wird verändert.
Austritt eines Abgeordneten und Beiträge zur deutschen Flotte angezeigt.
Der Bericht wegen Erlaß der Reichsgesetze wird angezeigt.
Justizminister Mohl macht einen Gesetzvorschlag für die Sicherheit
der Abgeordneten und der National-Versammlung:
- 1. Ein gewaltsamer Angriff auf die National-Versammlung wird als Hochverrath bestraft.
- 2. Die Theilnahme an einer Versammlung in der Nähe der National-Versammlung, welche verboten
worden, wird an den Anstiftern mit 1 Jahr, an den Theilnehmern mit 3 Monate Gefängniß
gestraft. (!)
- 3. Volksversammlungen unter freiem Himmel sind nur in einer Entfernung von 5 Meilen von der
National-Versammlung gestattet. Uebertretungsfälle werden an den Theilnehmern mit 6 Monate
Gefängniß (!!) bestraft.
- 4. Eindringen Einzelner in die National-Versammlung wird, wenn den Verboten der
Exekutivbeamten der National-Versammlung nicht Gehorsam geleistet wird, mit 1 Jahr Gefängniß
bestraft.
- 5. Angriffe auf einzelne Mitglieder der National-Versammlung mit 5 Jahre; Bedrohungen eines
Abgeordneten mit 1 Jahr.
Stavenhagen: Nicht blos die leibliche Sicherheit, sondern auch die
Verdächtigungen, Herabwürdigungen der National-Versammlung im deutschen Volk müssen
unterdrückt werden. Verliest als Beispiel einen Artikel aus Rob. Blums Reichstagszeitung, eine
Beurtheilung der Abstimmung über die Waffenstillstandsfrage, unter furchtbarer Entrüstung und
Mißbilligung der Rechten und der Centren. Hierauf verlangt Hr. Stavenhagen, was man im
gewöhnlichen Leben Unterdrückung der Preßfreiheit nennt. (Furchtbares Bravo rechts.) Gegen
solche Angriffe der National-Versammlung, gegen solche Frechheiten muß man sich schützen.
(Geschrei. Toben. Links: Verkauft an Dänemark!)
Schaffrath: Nach welchem Paragraphen der Geschäftsordnung....
(Gelächter.) Nach rechts: Dies Lachen charakterisirt sie vollkommen! Nach welchem Paragraphen
der Geschäftsordnung ist es einem Mitgliede der Versammlung erlaubt, ins Materielle seiner
Vorschläge einzugehen, ehe die Dringlichkeit erkannt ist. (Zur Sache!) Wir leben in einem
Rechtsstaat, der die Preßvergehen straft (Unterbrechungen.)
Präsident: Die Unterbrechungen sind Sitte geworden, besonders von
der Linken her
Zimmermann: Dagegen protestire ich.
Präsident: Protestiren Sie so viel Sie wollen!
Schaffrath: Wir brauchen keine Zeitungsartikel, keine
Ausnahmegesetze, keinen Schutz gegen Sie (rechts) und Andere. Denunziren Sie, wenn Sie Lust
haben, der gesetzlichen Macht. Uebrigens hat bei Gesetzen die Centralgewalt nicht die
Initiative zu ergreifen.
Präsident hat nicht gewußt, daß Hr. Stavenhagen das sprechen würde,
was er gesprochen hat.
Assessor Wichmann (Preußen): Das Ministerium hat die Initiative. Um
solchen Zweifeln gegen die Initiative ein für allemal zu begegnen, soll die Versammlung
darüber abstimmen. (Lärm.)
Präsident weist die Linke gehörig zurecht.
Widersprüche links. Werden vom Präsidenten unterdruckt.
Einer von Rechts: Wenn man dem Ministerium die Initiative nicht
zugestehen will, so erlauben Sie einem Stockpreußen die Anträge des Ministers zu den seinigen
zu machen.
Minister v. Mohl: Das Ministerium nimmt nicht in dem Maße
konstitutioneller Staaten das Recht der Initiative in Anspruch, aber das Recht, Vorschläge zu
machen, die es für nothwendig hält, werden Sie ihm nicht vorenthalten. Es steht Ihnen ja frei,
dann mit den Vorschlägen zu machen, was Sie wollen. (Besonders jetzt!) Auf Stavenhagens
Vorschläge ist jetzt nicht einzugehen.
Riesser im Allgemeinen gegen die ministerliche Initiative. Aber es
sind Dinge vorgefallen, die solche Anträge dringlich machen. Deshalb schnellste
Berichterstattung. (Furchtbares Bravo rechts).
Schluß der Debatte.
Die Versammlung überweist den Gesetzvorschlag des Justizministers zu schnellster
Berichterstattung an den Ausschuß für Gesetzgebung.
Dahlmann protestirt gegen jede Belobung, die ihm aus so unreiner
Quelle wie der Reichstagszeitung herkommt, feierlich und heilig. Hält eine rührende Rede dazu.
(Rechts Bravo!)
Schaffrath erklärt es im Gegensatz zu Hrn. Dahlmann für die höchste
Ehre, in einem Blatt, das von Hrn. Jürgens, Mitglied der Versammlung edirt wird, seine Person
schmähend erwähnt worden zu sein.
Vogt bedauert, daß der Präsident in solchen Persönlichkeiten und
Parteizwisten das Wort giebt, was sonst nie geschehen. Protestirt laut und feierlich gegen die
ganze Art der Geschäftsverhandlung und Ordnung der heutigen Sitzung. (Bravo links und
Gallerien).
Präsident findet die Bemerkungen und Protestationen Vogts gegründet,
hat aber wieder nicht gewußt, was Dahlmann sprechen würde. Abgemacht. (So sagt man unter dem
Schutz der. Bajonnette!)
Gravell beantragt einen neuen Ausschuß zur Ausarbeitung eines
Aufruhrgesetzes zu wählen. Fällt durch!
Wiesner, Berger, Breuning und mehrere beantragen, in Erwägung der Aufhebung der
Prügelstrafe, und mit Hinweisung auf das neueste Spießruthenlaufen in Mainz: „Aufhebung der
Prügelstrafe für die Reichstruppen.“ Fällt durch.
Briegleb beantragt: die Nationalversammlung solle beschließen, eine
Ansprache an das deutsche Volk im Hinblick auf die letzten (Frankfurter) Ereignisse.
Die Begründung der Dringlichkeit wird gestattet, und nachdem Briegleb die Dringlichkeit
empfohlen, die sofortige Diskussion gleichfalls beschlossen. Nur die Linke erhebt sich
nicht.
Briegleb empfiehlt seinen Antrag. Die Presse würde sonst die Ereignisse entstellen.
Eisenmann: Der Waffenstillstand war nicht die Ursache des
Aufstandes. (Widerspruch!) Man wollte diese ganze Versammlung mit Ausnahme weniger Mitglieder
prostituiren und die rothe Republik proklamiren. (Furchtbares Bravo. Gelächter.) Für Brieglebs
Antrag, man müsse aber um das Vertrauen des Volkes wieder zu gewinnen, mehr thun! (Bravo.)
Zimmermann (aus Stuttgart): Ich hätte nichts gegen Brieglebs Antrag.
Aber erst muß völlige Beruhigung eintreten. Jetzt würde der Aufruf der Ausdruck der Partei
sein, eine neue Brandfackel in das Volk schleudern. Stavenhagens Anträge sind auch eine solche
Brandfackel. (Tumult rechts.) Einheit und Friede in der Versammlung sind nöthig. (Rechts:
Nein!)
Waiz spricht für den Briegleb'schen Antrag.
Benedey: Belehrung des Volkes über die letzten Ereignisse finden
auch wir nöthig. Aber bedenken Sie (rechts), was Machiavell sagt: „Ein Aufstand bringt der
fliegenden Partei große Gefahr.“ Bedenken Sie, daß Mitglieder von Links die ersten Schläge (am
Abend des 17. in Westendhaus) bekommen haben. (Bravo.) Meine Herren, das sind Thatsachen,
beide Parteien sind prostituirt. (Die Diäten in Gefahr! Welche Gefahr für Herrn Venedey, der
schon in Paris die Arbeiter exploitirte!)
Goltz aus Brieg gegen Brieglebs Antrag.
Simson (Jude aus Königsberg) für Briegleb. Gegen die Uebergriffe der
Presse.
Joseph (aus Sachsen): Es ist keine Art und Weise, in so ordinären
Ausdrücken wie Simson (Jude aus Königsberg) sich auszusprechen. Der Terrorismus scheint eine
berauschende Kraft zu haben. (Bravo links.) Die Preßfreiheit kommt auch bald an die Reihe, wie
es scheint. (Rechts: Ja!) Ich bin gegen Brieglebs Anträge. Das Ministerium hätte den Aufruhr
verhindern können. Durch das Drängen des Militärs um die Kirche ist der Einbruch in die Kirche
hervorgerufen. (Unterbrechungen des Hohnes rechts). Man will, so scheint es, eine Pariser
Komödie aufführen.
Rößler aus Oels. Wohin führt der Gang der Debatte? ‒ (Zur Sache!) Es
wird sich schwerlich für die Proklamation die man vor hat, die Einheit der Versammlung finden.
‒ Und zu einer solchen Vertrauens-Ansprache ans deutsche Volk ist Einstimmigkeit nöthig,
Majorität reicht hier nicht aus. ‒ Den Aufstand betreffend, dieser war ein zweck- und
zielloser. (Widerspruch.) Die Leiter jener Versammlung haben den Aufruhr nicht mitgemacht!
(Sehr glaublich von diesen Verräthern!) Kaum 400 Menschen haben den Aufruhr gemacht. (Desto
größere Ehre.) Kaum 150 Gewehre haben diese gehabt. (Widerspruch!) Die Wuth des Volks kam
daher, daß ein alter Mann von den Preußen durch Bajonnetstiche verwundet ward. Dem Bau der
Barrikaden hat man ruhig zugesehn. Zum Schluß ersuche ich Herrn Briegleb seinen Antrag
zurückzuziehen. ‒
Merk aus Hamburg (mit komischen Pathos) beschreibt die
Einbruchsscenen an der Kirchtür. (Geschrei! Tumult! Gelächter! Schluß!)
Schluß der Debatte.
Briegleb wiederholt seinen Antrag, einen Ausschuß zu wählen, der die
Proklamation abfaßt. ‒
Der Antrag von Briegleb wird von der Versammlung angenommen. Die Linke und ein Theil des
linken Centrums dagegen. Es wird bestimmt daß zur Ausführung des Brieglebschen Antrags nach
der Sitzung jeder Ausschuß ein Mitglied wählt. Die Linke wird sich wahrscheinlich der Wahl
enthalten. (Großer Muth!)
Plathner bringt einen dringlichen Antrag: den Gesetzgebungs-Ausschuß
zu beauftragen, zu untersuchen, ob nicht ein Gesetz zu entwerfen, welches die Abgeordneten
gegen Injurien schützt.
Der Antrag wird nicht als dringlich erkannt.
Man schreitet zu Punkt 2 der Tagesordnung. Ergänzungswahlen der Ausschüsse.
Der Schwätzer Vogt stellt den Antrag wegen der nöthigeren Beschäftigungen der Ausschüsse,
die Sitzung zu vertagen. Der Antrag wird angenommen. ‒
Präs: Noch einige Mittheilungen:
1) Das Reichsministerium zeigt an, daß die Abgeordneten, welche Waffen haben, dieselben
anzeigen müssen.
2) Herr Jahn ist, trotz der ausgestreuten Gerüchte, wieder wohlbehalten in Frankfurt
eingetroffen. (Die Redaktion verweist auf die gest. No.)
3) Der Exminister Heckscher ist am Leben bedroht worden. In der Stadt Höchst hat man ihn
mißhandelt. Er ist glücklich nach Mainz entflohen.
4) Morgen 9 Uhr Beerdigung der gefallenen Offiziere und Soldaten. Die Abgeordneten werden
sich um 1/2 9 Uhr in der Paulskirche sammeln. Morgen also keine Sitzung. Nächste Sitzung:
Freitag 9 Uhr.
Aus der heutigen Sitzung sehen Sie, daß auch Deutschland seine Septembergesetze haben wird
Ich höre in Hanau ist Aufruhr, und Preußen von hier hin. Hier ist „Ruhe“, der
Belagerungszustand dauert fort.
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@facs | 0545 |
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103
] Berlin, 20. Sept.
Daß die Sache jetzt zur Entscheidung kommen wird, ist gewiß, da man von Oben alle
Vorbereitungen zur Contrerevolution trifft. General Wrangel hielt heute über die hiesige
Garnison eine große Parade ab, und an deren Schluß eine Anrede an die Soldaten und das Volk,
worin er von Anarchie sprach, die er unterdrücken werde; von einem kleinen Haufen Aufwiegler,
die er ausrotten wolle, indem sonst der früher so blühende (!!) Zustand nicht wieder
zurückkehren könne.
Man merkte aus dieser Rede, wie man Wrangel die alten Phrasen Kühlwetter's und Hansemann's
sogleich in den Kopf ge-
[0546]
setzt hat. Dabei ist zu bedenken, daß Berlin seit dem
18. März nicht so ruhig war, wie in den letzten vier Wochen, besonders seit dem 7. September,
seit der Niederlage des Ministeriums und doch spricht Wrangel von Anarchie, die er mit seinen
ruhmgekrönten Soldaten, die mit geschliffenem Schwerte und Kugeln in der Tasche seinem Rufe
harrten, niederschlagen werde.‒ So spricht man zu den Soldaten nur immer von einem kleinen
Haufen Aufwiegler, um sie an den Gedanken eines baldigen Kampfes zu gewöhnen, den man bald
hervorrufen wird, an dem aber nicht ein kleiner Haufen, sondern die halbe Bevölkerung Berlins
Theil nehmen dürfte.
Man erzählte heute folgenden Plan der Contrerevolution: Das neue Ministerium solle der
Vereinbarer-Versammlung ein in Potsdam schon ausgearbeitete Verfassung vorlegen, worüber sich
die Versammlung sofort über deren Annahme oder Verwerfung en bloc zu erklären haben würde. In
beiden Fällen wird die Versammlung alsdann sogleich aufgelöst und die Wahl der
verfassungsmäßigen Kammern, zur Berathung der organischen Gesetzte u. s. w. sogleich durch
Wahlen mit Census, die in der Verfassung vorgeschrieben sind,
angeordnet.
Wie unsere demokratischen Klubs hierüber denken, braucht kaum bemerkt zu werden. Man spricht
schon allgemein von dem bevorstehenden entscheidenden Kampfe, wo man das Aeußerste wagen, aber
auch Alles erringen will. Die nöthigen Pläne zum Kampfe werden schon entworfen; es fehlt
jedoch an einem fähigen und tüchtigen Anführer, dem sich Alle unterzuordnen hätten.
Mit größter Spannung sieht man unter diesen Umständen der morgenden Sitzung der
Vereinbarer-Versammlung entgegen. Es heißt allgemein, daß das neue Ministerium seine Sitze
morgen einnehmen wird. Die Linke entwirft schon ihren Operationsplan, die Majorität ist ihr
gewiß, da die Partei Unruh, das Centrum, wenn auch nicht vollständig, doch gewiß zum größten
Theil mit der Linken stimmen und ihr die Majorität verschaffen wird. ‒ In diesem Falle soll
die gemäßigte Partei am Hofe es mit einem Ministerium des linken Centrums versuchen wollen,
aber die Partei der Contrerevolution wird dies wahrscheinlich zu verhindern wissen.
Soviel scheint sicher, daß am Hofe selbst sich zwei Parteien noch stark bekämpfen. Der König
selbst, sagt man, sei unentschieden; er für seine Person möchte an seine Versprechungen vom
März festhalten, während seine Umgebungen ihn mit jesuitischer Beredsamkeit zur
Contrerevolution verleiten wollen.
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[
61
] Wien, 18. Sept.
Wien war ehemals nur ein menschlicher Viehstall, in welchem kaum erlaubt war, zu ‒ grunzen;
durch die Aula hat Wien Geist erhalten, darum muß diese Aula vernichtet werden. Das ist seit
lange das Feldgeschrei des spießbürgerlichen Blödsinns und der absolutistischen Wüthriche; mit
diesem Feldgeschrei ward der Sicherheitsausschuß beseitigt, mit diesem Feldgeschrei wird,
wenn's gut geht, die Legion und Nationalgarde, werden Vereine und Presse und endlich auch der
Reichstag beseitigt werden. Nur mit Beseitigung des Sicherheitsausschußes konnte am 21. und
23. Aug. der Koup gegen die Arbeiter und damit ihre Trennung von Legion und Garde gelingen.
Die Arbeiter werden nun von denen niedergemetzelt, von welchen sie Schutz erwarten durften;
ein nachträgliches Bedauern durch Trauerzüge und gedrücktes Gestöhn konnte sie nicht
versöhnen. Ihre gegenwärtige Stimmung ist daher eine grollende und sie haben erklärt, sich nun
um nichts mehr kümmern zu wollen, möge geschehen, was wolle. Dies ist ein Hauptgrund der am
13. so frech hervorgetretenen kontrerevolutionären Unverschämtheit. Es hatten sich damals nur
etwa 800 Arbeiter bei der Universität bewaffnet eingefunden. Nur das diktatorische Auftreten
des Reichstags und die getheilte Stimmung der Nationalgarde ist im Stande gewesen, den
Banditenchef Latour zum Verschieben der unvermeidlichen Metzelei zu bewegen. Dieselbe wird
seit gestern aber nun auf heute bestimmt angesagt; der Farbenkrieg soll sie in der Weise
einleiten, daß schwarzgelbe Fahnen überall statt der dreifarbigen ausgesteckt und so ein
Krawall herbeigeführt werde. Ein großer Theil der Nationalgarde hat bereits die Dreifarbe
abgelegt, um vorläufig keine zu tragen, es ist derjenige Theil, der unter anderm auch alle
Fremden aus Wien vertrieben, die Legion und alle Genies, wie sie sich ausdrücken,
zusammenkartätscht haben will.
Ueber dem Schlosse von Schönbrunn wehte indessen gestern noch die deutsche Dreifarbenfahne;
nur bemerkte ich, daß schwarz und gelb darin gänzlich zerrissen, roth
aber noch unversehrt geblieben war.
Aus Prag sind gestern Nationalgarden hier eingetroffen; es sind Czechen, welche dem
freigesinnten Theile der Wiener Nationalgarde die Sympathie der Prager Bürgerschaft durch
Ueberreichung einer czechisch-deutschen Fahne überbringen. Zugleich ist an den Abgeordneten
Borrosch eine Adresse aus Prag angelangt, in welcher die Czechen sich gegen das Verhalten
ihrer Abgeordneten im Reichstag verwahren und Borrosch's Verdienste um die Freiheit
anerkennen.
Um den Zwei- und Dreifarbenkrieg lächerlich zu machen, sind viele mit Kokarden aller Völker
und Kronen Oestreichs herumspazirt und haben ihre Hunde, die meistentheils noch immer
Metternich getauft werden, mit schwarzgelb dekorirt. Nach dem Beispiel mehrer Akademiker
tragen auch die entschiedenen Demokraten keine Dreifarben mehr, sondern eine rothe Halsbinde,
oder eine rothe Feder auf dem Kalabreser ist ihr neuester Schmuck und diese Rothen werden tagtäglich zahlreicher.
So eben vernehme ich, daß die Nationalgarde der Stadt während der ganzen Nacht sur le qui
vive bleiben mußte, ferner, daß die Nationalgarden der Vorstadt Wieden erklärt haben, ihre
deutschen Farben nur mit den rothen vertauschen zu wollen.
Später, 2 Uhr Nachmittags. Eine Deputation aus Pesth durchzieht so
eben die Straßen der Stadt unter dem Jubelruf des Volks. Nationalgarden und akademische Legion
waren zu ihrem Empfang in die Leopoldsstadt geeilt. Was die Deputation will, wird folgendes
Plakat sagen:„Mitbürger! Die ungarische Reichsversammlung hat in der Sitzung vom 15. d. M.
einstimmig beschlossen, aus ihrer Mitte eine Deputation nach Wien zu senden. Nicht an den König, nicht an die Minister, sondern an das Volk
von Oestreich. Das östreichische Volk hat gewiß seine alten Sympathien für die hochherzigen
Magyaren trotz der unablässigen Bemühungen einer großen Rückschrittspartei bis jetzt aufrecht
erhalten. Es gilt nur bei der Gelegenheit dieser feierlichen und entscheidendsten Deputation,
diese Gesinnungen, wie es freien Völkern geziemt, öffentlich vor Gott und der Welt zu
bethätigen. Wir hoffen, das Volk Oestreichs wird sich als freie Nation
beweisen! Im Namen vieler Garden.“
Der Empfang der Deputation war erschütternd. Nirgendwo in Deutschland erblickt man so
begeisterte Physionomien, nirgendwo steht dem großen Volke so auf der Stirne geschrieben, daß
gewaltige Bewegungen es sehr bald durchzucken werden.
Gestern ist die Stadt Komorn in Ungarn gänzlich abgebrannt; das Regiment des Prinzen von
Preußen soll sie angezündet haben: Komorn ist nämlich auch Festung. 800 Freiwillige aus Wien
sind bereits in Budapesth angelangt. Das Militär soll die schwarzgelben Kokarden abgerissen
und rothe dafür angesteckt haben. Das Repräsentantenhaus hat dem Palatin Stephan, der sich an
die Spitze der ungarischen Armee gestellt und ins Lager begeben hat, zwei Commissarien zur
Seite gestellt; ebenso dem Kriegsminister Meßaros. Die ungarische Deputation wird sich Morgen
mit dem östreichischen Reichstag in Verbindung setzen. Die Dinge müssen nun einer letzten,
gewaltsamen Entscheidung entgegengehen; der Anfang ist vielleicht heute noch möglich, denn die
Aufregung und bange Erwartung ist die gewaltigste. Heute Morgen wurden auf dem Kohlmarkt mehre
Läden zertrümmert, welche schwarzgelbe Bänder ausgestellt hatten. Ich begegnete ungewöhnlich
vielen rothen Kokarden, rothen Bändern und rothen Kalabresern. Kühnheit und Energie lagert auf
allen Gesichtern. ‒ Heute keine Reichstagssitzung, aber eine große Versammlung im Odeon, viel
Spannung und Ingrimm.
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@type | jArticle |
@facs | 0546 |
Wien, 16. Sept.
Der „Radikale“ denunzirt folgende „Lüge des Ministeriums “:
„Der erste Punkt der in der gestrigen Reichstagssitzung von Dr.
Bioland gemachten Interpellation lautet:
„ Ist etwas davon wahr, daß unser Ministerium sich in seinen einzelnen Individuen nicht
jenes Grades von Zugänglichkeit zum Monarchen erfreue, die ein gänzlich unbehinderter Verkehr
mit ihm voraussetzt.“
Minister Wessenberg antwortete hierauf lakonisch: Nein.
Ich erlaube mir dagegen folgendes Faktum zur Oeffentlichkeit zu bringen.
Einige Tage nach der Arbeiter-Hetze stand Minister Schwarzer, ich, Ed. Mauthner und
Redakteur P. Löwe im Vorsaale der Kammer. Die jüngsten Ereignisse bildeten Anfangs den Stoff
des Gespräches. Man kam endlich auf andere Gegenstände und so theilte uns der Hr. Minister
auch mit, daß nicht alle Glieder des Ministeriums gleich freien Zutritt beim Monarchen haben,
sondern daß sich dieses Vorzuges nur einige Mitglieder desselben erfreuen, welche auch zur
Tafel gezogen werden. Herr Schwarzer führte noch an, daß wenn die übrigen Minister etwas
veranlassen wollen, sie es stets durch die Bevorzugten müssen einleiten lassen, so z. B. daß
endlich Jemand von Hof in der Kammer erscheine u. dgl.
Als ich mich hierauf äußerte, daß, wenn ich Minister wäre, ich dies gewiß nicht so dulden
würde, setzte mir Hr. Schwarzer noch auseinander, daß in dieser Beziehung durchaus nichts zu
machen sei. ‒ Also wer hat gelogen, Schwarzer dazumal oder Wessenberg gestern? Uebrigens
dürfen uns Widersprüche von unsern Herren Ministern nicht wundern. Am 21. August hörte ich
Hrn. Schwarzer sagen, daß blos Geldmangel den 5 Kr. Abzug bei dem Taglohn der Arbeiter
veranlaßt habe, wenige Tage darauf hörte ich Hrn. Schwarzer wieder sagen, daß durchaus nicht
Geldmangel die Ursache des Abzuges gewesen ist. ‒ Was war Lüge? ‒ ‒
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@facs | 0546 |
Potsdam, 19. Sept.
Einer vom Bürgerwehrklub an den Kommandeur des Garde-du-Corps-Regiments abgesendeten
Deputation hat derselbe auf die Frage, ob eine Untersuchung gegen die Soldaten eingeleitet
sei, welche am 12. Abends ohne vorherige Aufforderung zum Auseinandergehen und ohne Kommando
scharf eingehauen haben, die Antwort ertheilt, daß dies nicht der Fall, da ihm die Sache amtlich nicht zu Ohren gekommen wäre. ‒ Bei der ersten hier gehaltenen
Volksversammlung haben sich über 2000 Soldaten aller Truppengattungen betheiligt, trotzdem
ihnen von vielen Offizieren das Versprechen abgenommen war, nicht hinzugehen. Sie ging ohne
Störung vorüber und die Redner, welche über denselben Gegenstand sprachen, der in der
Volksversammlung vor dem Schönhauser Thore am vorigen Sonntage verhandelt wurde, ernteten
ungeheuren Beifall.
[(B. Z. H.)]
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@facs | 0546 |
Potsdam, 17. Sept.
Heute Nachmittag um 3 1/2 Uhr war ein Jägerkommando in dem auf dem Brauhausberge neuerbauten
Schießhause mit der Anfertigung von Spitzkugel-Patronen beschäftigt, als sich der nicht
unbeträchtliche Pulvervorrath entzündete und das Dach sowie ein Theil des Hauses in die Luft
flog. Glaubhaftem Vernehmen nach sind dabei 11 Mann mehr oder minder beschädigt.
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@facs | 0546 |
Provinz Posen. Kosten, 15. Sept.
Der hiesige Distrikts-Kommissar hat in Folge höherer Anweisung an die Schul-Vorsteher die
Aufforderung ergehen lassen, die bei jeder Schule angesammelten Fonds aus den für
Schulversäumnisse eingezogenen Strafen zur freiwilligen Staatsanleihe beizusteuern oder die
Fonds bei der Regierungshauptkasse niederzulegen, welche 4 procentige Staatspapiere dafür
ankaufen und der Schule die Zinsen erstatten werde. Eine gleiche Aufforderung ist auch an die
Schulvorstande, sowohl in Dörfern als in Städten, vermuthlich im ganzen Großherzogthum,
ergangen. Nun muß man wissen, daß von diesen Fonds, die sich gewöhnlich auf 15-25 Thaler
belaufen, die Reparaturen in den Schullokalen, an dem Inventarium etc. bestritten, daß endlich
auch Bücher für arme Schulknaben dafür angeschafft werden. Wie groß muß die Armuth des Staates
sein, wenn er sich an dem winzigen Vermögen der Landschulen wieder emporarbeiten will. Oder
soll diese Maßregel vielleicht eine Strafe fur die Insurrektion sein?
[(B. Z. H.)]
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@facs | 0546 |
[
34
] Mülheim a. d. Ruhr, 19. Septbr.
In unser schönes romantisch-preuß. Ruhrthal, in dem das politische Leben sich bisher
höchstens in dem begeisterten Bewußtsein:„Ich bin ein Preuße“ koncentrirt hat, hat auch die
neue Zeit ihre unheilvollen Ideen hineingeschleudert. Man denke sich den Greuel, es hat sich
hier neben dem constitutionellen preuß. Verein ein demokratischer Verein constituirt.
Obschon der erstgenannte Verein bis dato immer der Majorität der Berliner-Versammlung
gehuldigt, so fand sich derselbe doch in Folge des Beschlusses über den Steinschen Antrag
veranlaßt, gegen diesen Majoritäts-Beschluß Protest einzulegen, und hat diesen Protest am 16.
d. M. beschlossen.
Der hiesige demokratische Verein erließ gegen obigen Protest eine Gegen-Adresse, und schrieb
Tags nachher durch Maueranschlag eine Volks-Versammlung in einem hiesigen Locale aus. Eine
Volks-Versammlung durch Maueranschlag, vielleicht die erste in unserm lieben Mühlheim. Man
denke sich die Besturzung, das ganze pietistische Bürgerthum faltete zitternd seine Hände, und
rüstete sich gegen solch gottloses Unwesen, das Preußenthum witterte Republick und Anarchie,
und mußte seinen Konig schützen. Die ganze Stadt war in Allarm, ob diesen unerhörten
Wuhlereien, und wurde der Operations-Plan gehörig eingeleitet.
Als am Abende zur bestimmten Zeit die Versammlung ihren Anfang nahm, hatten sich denn auch,
obschon nur diejenigen die die Adresse in unserm Sinne wünschten, eingeladen waren, alle
Schattirungen des Volks in solcher Zahl eingefunden, daß die Demokraten glaubten Wunder gethan
zu haben.
Aber das Wunder enthüllte sich noch mehr als der Präsident nach kurzer Motivirung die
Adresse vorzulesen versuchte. Er konnte vor Pfeifen, Toben, Rufen und Skandal kaum mehr zu
Worte kommen. Wenige Worte von den Häuptera des konstitutionellen Vereins reichten hin, um die
ganze Versamluung in Allarm zu bringen.„Herunter mit den Kerls“„wir wollen Preußen
bleiben“,„Hurrah's, Bivats“, Getrommel und Wuthgeschrei im höchsten Grade, und als der Sturm
sich wieder etwas gelegt hatte, und sich die wirklich demokratisch Gesinnten anschickten zur
Unterschrift, und so der Plan der Gegner am Ende noch vereitelt worden wäre, da wurden noch
einmal alle Maschinen angesetzt, und ein neuer Tumult brach los, so daß sich der Vorstand des
demokratischen Vereins mit Mühe und unter Lebensgefahr aus dem Staube machen mußte. Das
Luftspiel endete mit Fahndung auf Demokraten in allen Wirthshäusern, unter starkem Zusetzen
von gebranntem Wasser, was von einigen hiesigen aristokratischen Wohlhabenden zu diesem Zweck
bezahlt worden sein soll.
Es fehlte weiter nichts, als Allarmirung der Bürgerwehr, und Mühlheim hätte einen seiner
vollends würdigen Tage erlebt.
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[
15
] Crefeld, 21. Sept.
Mit welcher fanatischen Wuth die Reaktion da, wo sie durch Geld und Macht noch das
Uebergewicht hat, auftritt, davon gibt ein in Uerdingen a. Rhein stattgehabtes Attentat ein
gutes Beispiel ab. Unterm 19. d. M. kamen mit dem Dampfboote von Düsseldorf in Uerdingen
mehrere Demokraten an, um mit dem Lokalwagen von dort nach Crefeld zu fahren. Durch
Bestechungen gelang es einigen Uerdinger Fabrikanten, eine Schaar Rheinarbeiter gegen jene
Reisenden aufzuhetzen. Ein Steueraufseher Namens Meuten war der Anführer dieser Rotte, und
suchte die mit Schnaps angefeuerte Masse zum Todtschlagen zu haranguiren. Nur das ruhige und
feste Benehmen der Angegriffenen, deren Wagen von einigen Hunderten schon gewaltsam angefallen
war, rettete sie. ‒ Dies ist der gesetzliche Boden, von welchem die Reaktion so erbaulich
winselt, und solcher Art sind die Mittel, deren sich die Fanatiker der Ruhe und Ordnung mit
Gott für König und Vaterland bedienen. Dem Oberprokurator ist die Sache bereits angezeigt und
wir werden seiner Zeit über das Weitere berichten. ‒ Bei dieser Gelegenheit füge ich Ihnen
noch die Namen der Denuncianten bei, welche einen Verhaftsbefehl gegen den Präsidenten des
demokratischen Vereins, Bürger Imandt, auszuwirken suchten. Sie
heißen: Camphausen, Bloem, Puller, Höffelmann, Overlach, Halfes, Paulus. ‒ Der hiesige
Denunziantenverein hat eine Dankadresse an Beckerath ausgelegt, woraus zu ersehen, was für
Hoffnungen man auf Beckerath setzt. Der demokratische Klub wird ein Mißtrauensvotum gegen
denselben erlassen. ‒ In der letzten Volksversammlung von beinahe 2000 Personen wurde ein
Protest gegen das Bürgerwehrgesetz erlassen, worauf der reaktionäre Theil der Bürgerwehr durch
Bajonnett-Attaken in der Nähe des Sitzungssaales den demokratischen Klub einzuschüchtern
versucht. An der Spitze dieser Umtriebe steht Herr Beckerath, Bruder des
Ex-Reichsministers.
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*
] Koblenz, 20.Sept.
Gestern Abend, als die Nachricht von dem durch den ehrlosen Waffenstillstand hervorgerufenen
Blutvergießen in Frankfurt sich hier verbreitete, sammelte sich das Volk vor dem Hause des
Abg. Adams, welcher jenen volksverrätherischen Beschluß mit
durchgesetzt hatte. Die Fenster, Thüren, Fenstergesimse und Laden wurden demolirt, und zuletzt
stürmte das Volk in das Haus, von wo man die Möbel auf die Straße warf.
Zwei Stunden darauf wurde der Generalmarsch geschlagen, und von den 2000 Mann der Bürgerwehr
fanden sich wirklich 150 „Wohlgesinnte“ ein, welche von dem Volk verhöhnt wurden.
Hrn. Stedmann, dem Frankfurter komischen Portefeuillejäger, war ein
gleicher Besuch zugedacht.
„Die Stimme der Frankfurter Versammlung aber ist die Stimme des Volkes!“ (Jordan,)
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R. Aus Franken, 18. Sept.
(Baierische Justiz.) Die Verhaftung des Herrn Sticht, Redakteurs der „Fränkischen
Volkszeitung“ in Schwabach, wegen Preßvergehen, wurde seiner Zeit in Ihrem Blatte mitgetheilt.
Was ich Ihnen damals über die Schamlosigkeit des baierischen Richterstaates schrieb, findet in
dem gegen Sticht nun vollendeten Untersuchungsverfahren und in dem soeben erfolgten Erkenntniß
seine volle Bestätigung. Sticht wurde wegen Majestätsbeleidigung und
Amtsehrenbeleidigung zu einem Jahre Festungsstrafe verurtheilt, ein nach dem baierischen
Gesetzbuch mildes Erkenntniß, wenn Sticht strafbar war, ein himmelschreiendes aber, da selbst nach dem Buchstaben des baierischen
Strafgesetzbuches Sticht durchaus schuldlos erscheint, und nur seine eigenen, dem objektiven
Thatbestand geradezu widersprechenden, nur durch beispiellose Gefängnißqualen abgefolterten
und den Charakter der Unzurechnungsfähigkeit allzudeutlich an der Stirne tragenden
Geständnisse eine gewisse Handhabe zu einem verurtheilenden Erkenntniß darboten. Ich bitte
Sie, mir über diesen baierischen Justizmord, über den natürlich die baierische „unabhängige“
Presse ein tiefes Schweigen beobachtet, in Ihrem geschätzten Blatte einigen Raum zu gönnen.
Was ich Ihnen gebe, ist zwar nichts vollständiges, aber es ist authentisch. Nach dem baierischen Strafgesetzbuch gehört zum Begriff der
Majestätsbeleidigung, daß man „ die Person des Staatsoberhauptes mit
herabwürdigender Verachtung durch Worte oder Handlungen beleidigt.“ Von der Person des Königs
von Baiern nun ist in den sämmtlichen incriminirten Stellen, welche aus dem Blatte Sticht's
herausgehoben wurden, gar nicht die Rede. Nur aus Anlaß der Einladung, durch welche der König
von Baiern vor dem Beginn der Nationalversammlung mehrere baierische Abgeordnete zu sich
beschied, war in Sticht's Blatt bemerkt, daß solche königliche Einwirkungen auf Volksvertreter
unstatthaft seien, und es war die Frage gestellt:„Kann ein solcher Fürst ein Herz zu seinem
Volke haben, kann er es redlich meinen mit dem Wohle desselben?“ Und darin findet man hier
Majestätsbeleidigung!
In folgender historischen Schilderung von dem Treiben der deutschen Fürsten im vorigen
Jahrhundert:„Wir alle haben davon gehört, wie diese Geschlechter in Deutschland haus'ten, wie
bei uns die entmenschten Markgrafen wütheten, wie in Sachsen die wollüstigen Churfürsten
bankettirten und banquerottirten, wie die hessischen Seelenverkäufer ihre Unterthanen
jochweise an England als Kriegssklaven verkauften u. s. w. “ ‒ in dieser Stelle fand der
Untersuchungsrichter eine Majestätsbeleidigung. Und zwar folgendermaßen: Er findet darin eine
Unterlassungssünde; ‒ weil, da die Wahrheit der Geschichte für den
Stand der Fürsten unangenehm sei (sic), man neben dem Sündenregister wenigstens auch einen
Tugendspiegel edler Regenten hätte beisetzen müssen, wenn man nicht eine Beleidigung
aller Fürsten habe beabsichtigen wollen!! ‒ Eine weitere angeschuldigte
Stelle ist ganz unverfänglich, und der Untersuchungsrichter hatte zuerst gar nicht auf sie
reflektirt, und nahm sie erst dann vor, als er sah, daß der „mürbe gewordene“, d. h. durch die
scheußlichste Mißhandlung in völlige Apathie und an die Gränze des Wahnsinns gebrachte
Angeschuldigte Alles zugab, was man nur wünschte. Es ist nämlich jetzt von der
Untersuchungshaft des Unglücklichen ein Wort zu sagen. Sticht war während der Dauer der
Untersuchung mit einem wegen gemeiner Verbrechen inhaftirten Subjekte zusammengesperrt, er
mußte mit diesem ein und dasselbe, mit dem scheußlichsten, ekelhaftesten Ungeziefer angefüllte
Lager theilen, man ließ ihn in diesem Loch dem Schmutz und Unrath preisgegeben
ohne Wäsche, ohne Waschwasser, und als man ihm endlich frische Wäsche
gewährte, gab sie ihm keine Erleichterung, weil sein Schlafgefährte nicht ebenfalls sich
gereinigt hatte; man ließ ihn in diesem Zustand ohne Bücher, ohne Schreibzeug, ohne die
Möglichkeit einer geistigen Beschäftigung. Wie es ihm gelang, einige mit Bleistift
geschriebene Briefe aus dem Gefängniß zu spediren, ist mir nicht bekannt. Die, welche ich sah,
lassen keinen Zweifel darüber, daß bereits der Wahnsinn bei dem durch diese ungewohnte,
schauderhafte Mißhandlung gänzlich gebrochenen Unglücklichen angesetzt hatte. In der Hoffnung,
nach Beendigung der Untersuchung in ein besseres Gefängniß versetzt zu werden, gab er alle
Antworten, die man nur wünschte, ließ aufzeichnen und sich in den Mund legen, was man nur
wollte, ohne im Mindesten etwas gegen das Protokoll zu erinnern, wenn er es sich je vorlesen
ließ. Dieser Gemüthszustand wurde, wie von einem baierischen Untersuchungsrichter zu erwarten,
zu Gunsten der Schuldhaftigkeit gehörig ausgebeutet. Der Vertheidiger, welcher die Fragen und
Antworten durchlesen hat, spricht sich hierüber zwar sehr gemäßigt aber unzweideutig aus. Er
sagt:„Dieser Aufsatz ist so unverfänglich, daß der Inquirent beim ersten Verhör ihn
wegzulassen selbst für gut befunden hat und erst im 2. Verhör mit herausrückt, als er sah, daß
Sticht mit einer wah
[0547]
ren Begierde Alles, was nur von ihm hätte verlangt werden
können, zugab, und insbesondere bekannte, daß er die Fürsten habe beleidigen wollen. Dieses
Geständniß nun hat Sticht allerdings abgelegt, allein mir (dem Vertheidiger) ausdrücklich
bemerkt, daß er dabei in einem ganz abgespannten Gemüthszustande sich befunden habe, daß er
nur von der Ansicht ausging, Etwas einzugestehen, was man durchaus von ihm haben wollte, und
daß, wenn man denn um jeden Preis eine Majestätsbeleidigung finden wolle, er dann dagegen
Nichts erinnern könne. Uebrigens hat er die Worte, die Inquirent als Antwort diktirte, nicht
selbst gesprochen und zu Protokoll gegeben, das Protokoll sich nicht mehr vorlesen lassen und
sich in einem Zustand völliger Lethargie befunden.“ Auf solche Weise bringen baierische
Richter Majestätsbeleidigungen zu Tage!
Und nun urtheile man nach diesem getreuen und authentischen Referat, ob die Preßfreiheit in
Baiern nicht ein leeres Wort ist. ‒ Zum Schluß noch ein Wort über das baierische
Gefängnißwesen. Die baierischen Gefängnisse verschließen Greuel, von denen man keine Ahnung
hat. Als vor Kurzem ein Baubeamter meiner Bekanntschaft zur Inspektion in ein baierisches
Gefängniß trat, bot sich ihm ein Anblick dar, dessen Details zu schildern die Feder sich
sträubt. Jammergestalten, seit Monaten in einer verpesteten Luft dicht auf einander gedrängt,
kamen aus dem Hintergrund des Kerkers, wo sie auf faulem Stroh lagen, hervor und baten den
begleitenden Landrichter fußfällig, ihnen nur zu sagen, weshalb sie da
seien. Nach 1monatlicher Einsperrung hatten sie den Grund ihrer Verhaftung noch nicht
erfahren. Kranke Weiber, für die in ihrem Zustand die verpestete Atmosphäre tödtlich sein
mußte, flehten um Gotteswillen, sie doch in einem besseren Gefängniß die letzten Tage ihres
Lebens zubringen zu lassen, ausgehungerte Handwerksbursche kamen hervor und klagten, daß sie
seit drei Tagen keinen Bissen zu essen bekommen, weil sie kein Geld
hätten, um dem Gerichtsdiener die Speise zu bezahlen! Das ist das Baiern, von welchem die
baierische liberale Presse sagt, daß es sich an die Spitze des süddeutschen Fortschrittes
stellen wolle!
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58
] Aus Franken, 19. Septbr.
Vorgestern erhielten die Abgeordneten von Nürnberg und von Fürth, Krafft und Gebhardt
Mißtrauensvota. In Nürnberg sprach sich eine Versammlung von etwa 2000 Urwählern gegen zwei Stimmen, die eines Advokaten und eines Bourgeois, gegen den
Abgeordneten aus, und beschloß ihn zu sofortiger Niederlegung des Mandats aufzufordern. In
Fürth war der Beschluß einstimmig. Da an beiden Orten noch Ersatzmänner da sind, von denen man
nichts Besseres erwarten kann, als die Abgeordneten selbst leisteten, so wurden auch diese
Ersatzmänner aufgefordert, von ihrem Mandat keinen Gebrauch zu machen. Man will neue Wahlen.
Es regt sich ein besserer Geist in Franken, auch in den Städten. Nur die hohe Bourgeosie und
die Bureaukratie ist zum Aeußersten entschlossen. Sie werden nichts ausrichten, denn die
Kleinbürger werden nach und nach gescheidt.
Französische Republik.
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Paris, 20. Sept.
Aus allen Blättern starrt dem Leser nichts als Zahlen entgegen, die ihm das Wahlresultat
anzeigen.
Die Wahl der Deputirten für Paris ist:
Louis Bonaparte | 107,763 Stimmen. |
Achille Fould | 77,553 Stimmen. |
Raspail | 65,222
Stimmen. |
Cabet | 63,236 Stimmen. |
Thoré | 63,157 Stimmen. |
Roger | 61,218 Stimmen. |
Adam | 53,489 Stimmen. |
Bugeaud | 48,195 Stimmen. |
Delessert | 48,000 Stimmen. |
Girardin |
27,507 Stimmen. |
Das ist eine große Niederlage für die Republik Senard und Marrast.
‒ Napoleon Bonaparte, Repräsentant und Vetter des gefürchteten Prätendenten, richtet diesen
Morgen einen Brief an alle Journale, worin er die Nachricht von der angeblichen Landung
desselben für eine Lüge erklärt. Sein Vetter habe London noch nicht verlassen.
‒ In der Rue St. Croir des Petits Champs und der P.. ssage Choiseul machte die Polizei noch
gestern Abend auf mehrere verdächtige Buben Jagd, die ein Blatt ausschrieen mit Details über
die „Landung des Prinzen in Boulogne.“ Die Ausschreier sind erwischt und in das Stadtgefängniß
geworfen worden. Man wird sie verhören und dann sehen, für welche Partei sie den demokratschen
Kaiser schon gestern in Boulogne landen ließen.
‒ [unleserlicher Text]er Prinz Louis ist nicht nur in Paris, sondern auch in einem halben
Dutzend Departements (Yonne, Nord, Orne, Moselle, Charente etc.) mit bedeutender Stimmengunst
überhäuft worden.
‒ Admiral Baudin, der den Oberbefehl über unsere miltelländische Flotte führt, hat der
Regierung die Entfernung der sardinischen Flotte und die Annäherung der östreichischen Flotte
vor Venedig gemeldet und angefragt: was er thun solle, wie er sich zu verhalten habe? Der
Telegraph hat ihm die Antwort gebracht, daß er sich jedem Angriff zu widersetzen habe, den die
östreichische Flotte etwa gegen Venedig wagen könnte.
‒ Basel oder Genf werden als die Städte bezeichnet, in denen diplomatische Konferenzen
rücksichtlich der italienischen Frage gehalten werden sollen.
‒ Die Polizei nahm gestern in allen Buchläden eine Brochüre Coup de sabre ‒ Säbelhiebe ‒ von
Barbet, weg.
‒ 230 Offiziere der Bürgerwehr in den Batignolles haben dem Oberkommandanten der Bürgerwehr
General Changarnier ihre Entlassung eingereicht. Der Grund dieses Entschlusses soll in
gewissen Klagen liegen, die sich im Schooße dieser vorstädtischen wackern Bürgerwehr gegen die
Cavaignacschen Junikreuze erhoben. Changarnier soll auf mehrere ihrer Klagen mit dem
verächtlichsten Stillschweigen geantwortet haben. Das ergrimmte die Junihelden, und sie haben
ihre Entlassung fast Alle eingereicht. Nicht zu läugnen ist es, daß diese Demission einige
Verlegenheit bereitet.
‒ Wir verlieren Hrn. Senard diesmal noch nicht. Er hat sich mit der Rue de Poitiers, die ihm
durch den kleinen Baze wegen der Departementsmissionäre so arg mitgespielt, wieder
ausgesöhnt!
‒ Im Norddepartement haben der Oberst Regrier (ein Bruder des gefallenen Generals) und der
Prinz Louis Bonaparte die meisten Stimmen. Ueber Genoude's Schicksal hört man von keiner Seite
bisher etwas Bestimmtes. Girardin ist mit Glanz durchgefallen.
‒ Die Nationalversammlung votirte gestern den Lamoriciereschen Auswanderungsplan im
Sturmschritt.
‒ Heute früh ruft bereits ein großes Plakat das gesammte Proletariat zusammen, um sich
demnächst in Masse im Ueberschiffungsbureau nach strenger Prüfung ihrer materiellen und
moralischen Verhältnisse einschreiben zu lassen.
‒ Unsere offizielle Presse weiß noch nicht recht, ob sie zum Wahlresultat lachen oder weinen
soll? Der National und die dynastischen Blätter suchen sich über ihre Niederlage so gut wie
möglich zu trösten. Die weiße Presse jubelt im Stillen, denn die Ernennung Louis Bonaparte's
und Raspail's dünken ihr gewaltige Verlegenheiten für die bestehende Regierung.
Im Ganzen sind sie mit ihrem Urtheile noch höchst zurückhaltend. Nur die Reforme geißelt
Marrast tüchtig.
Nationalversammlung. Sitzung vom 20. September. Marrast eröffnet sie
um 12 1/2 Uhr. An der Tagesordnung ist die Verfassungs-Debatte.
Gouin, Präsident des Finanzausschusses, beantragt: sich vor Beginn
der Tagesordnung mit Berathung eines Dekrets zu beschäftigen, das dem Seeminister 14.
Millionen Franken vom 1849ger Büdget für die Kolonien (Entschädigung der ruinirten Eigenthümer
der Zuckerpflanzungen) bewilligt.
Das Dekret wird ohne erheblichen Widerspruch angenommen.
Ein Glied dessen Namen uns entfallen, stellte den Antrag, gewisse Civilverbrecher nicht dem
Schaffot sondern der Deportation zuzuweisen.
Ueber diesen Antrag wird das Ausschußgutachten auf den Tisch gelegt.
Berninhac, Seeminister, verlangt einen neuen Kredit von 1,500,000
Franken pro 1848.
Wird an den Ausschuß gewiesen.
Jetzt geht die Versammlung zur Verfassungs-Debatte über.
Montalembert hatte bekanntlich zu Artikel 8 den Antrag gestellt, das
Wörtchen: „und sich zu unterrichten“ hineinzuschieben. Der katholische Chef antizipirte auf
diese Weise die Diskussion über die Unterrichts-Freiheit, die eigentlich erst später
standfinden sollte, und wonach die Geistlichkeit so lüstern ist. Der Graf bestieg heute
wiederholt die Bühne, um seine Predigt zu vollenden. Er wies den Verfall des Katholizismus,
unter dem Frankreich vierzehn Jahrhunderte so glücklich gewesen, wiederholt nach und verfehlte
natürlich nicht, über den Sturz des Glaubens seit den Philosophen, namentlich seit Voltaire
und Cousin, bittere Thränen zu vergießen. Duvergier de Hauranne habe neulich gesagt, das
Eigenthum werde untergehen wenn man es nicht beschütze, das mag sein; aber die katholische
Religion werde nicht untergehen.....
Stimme: Weder das Eine noch das Andere!
Montalembert, Ja, aber beide müssen sich auf die Moral stützen. Man
werfe dem Christenthum vor, daß es wohl für's Volk, aber nicht für die gebildete Welt tauge.
Wollen Sie wissen wer diesen Satz zuerst aufstellte? Voltaire! Derselbe Mann, der da sagte:
ein gebildeter Mann werde nie wie sein Waschweib denken (une intelligence d'élité ne pourra
jamais se resoudre à penser comme sa blanchisseuse). Für die erschütterte Gesellschaft sei
Religion die einzige Rettung und religiöser Glaube könne nur errungen werden, wenn der
Unterricht frei gegeben werde, u. s. w.
Vaulabelle, Unterrichtsminister, kommt der angegriffenen Universität
und dem modernen Unglauben zu Hülfe. Er weist statistisch nach, daß der Unterricht in
Frankreich seit 1789 bedeutend zugenommen habe. Die Geistlichkeit könne sich nicht beklagen;
sie lehre ja noch unumschränkt in 21 Gymnasien (colléges). Er bekämpft den Antrag.
Roux-Lavergne unterstützt denselben. Es müsse jedem Vater frei
stehen, wo und bei wem er sein Kind unterrichten lassen wolle. Er will ebensowenig eine
Staatsphilosophie als eine Staatsreligion dulden. Gibt es eine Philosophie, die das Schicksal
der Menschheit löse? Nein. (Allg. Gelächter.) Er tritt ab.
Jules Simon vertheidigt die Universität gegen die indirekten
Angriffe des Grafen Montalembert, der sie eine philosophische Giftmischerei schelte, die dem
Volke statt geistlicher Nahrung Gift gebe. Die Gesellschaft sei krank; aber sind wir denn
Schuld? Bestehen nicht neben den Lehrstühlen auch Kanzeln? Waren die Eklektiker nicht fast
alle Schüler der Jesuiten? (Beifall.) Ich meiner Seits, fährt der Redner fort, gehöre zur
rationalistischen Schule die dem Volke weder Genuß verspricht, noch ihm Verachtung gegen die
Obrigkeit predigt. (Lächeln.) Montalembert habe seinen Antrag nur gestellt, um im
gegenwärtigen bewegten Augenblick das Volk aufzuwiegeln, die Geistlichkeit hinter die
Universität zu hetzen. (Oh, oh! Ja, ja!) Ich will, schließt der Redner, Unterrichts-Freiheit,
aber keine zügellose, illusorische!
v Fallour, Adjutant Montalembert's, dankt dem Vorredner sarkastisch
für die versöhnende Sprache, mit der er den Antrag bekämpft habe und behält sich dann weitere
Unterstützung desselben für die große Debatte des Artikel 19 über die Unterrichts-Freiheit
vor. Es sei falsch beweist er, daß man alle Freiheit immer nur von 1789 datire. Von Karl dem
Großen bis Luther und 1789 sei vieles Großartige vollbracht worden.
Dupin (senior) bekämpft den Antrag und bereitet ihm dasselbe
Schicksal wie dem Recht auf Arbeit, d. h. er wird verworfen. Die erste Hälfte des Artikels 8
wird angenommen. Ebenso die zweite. Ueber den dritten rucksichtlich der Preß-Censur wird eben
abgestimmt.
Artikel 8 garantirt bekanntlich jedem Bürger das Recht seine Gedanken zu manifestiren und
schließt mit dem Satze: „Die Presse darf in keinem Falle der Censur unterworfen werden.“
Dieser letzte (dritte) Absatz gibt zu lebhafter Besprechung und mehreren Abkugelungen
Veranlassung.
Worthery schlägt den Beisatz vor: „ und auch keiner Caution.“
Moirhaye bekämpft ihn. Er wird verworfen.
Charamaulr trägt darauf an die Worte anzuhängen: „noch irgend einer
Präventivmaßregel.“
Wird bekämpft; aber endlich von 483 gegen 285 Stimmen verworfen.
Felix Pyat stellt den Antrag: „Die Censur dürfe niemals wieder
hergestellt werden.“ Auch diese Fassung wird verworfen.
Pierre Lerour stellt den Zusatz: „Das Druckrecht darf keinem Monopol
mehr unterworfen werden (L'imprimerie ne doit être soumise à aucun monopole.)
Vivien bekämpft ihn im Namen des Verfassungszusschusses.
Es wird zur geheimen Abkugelung geschritten. Die Urnen werden aufgestellt. Die Glieder
schreiten über die Bühne und werfen in die rechte oder linke Urne eine schwarze oder weiße
Kugel. Als der Antragsteller Pierre Leroux sich den Urnen nähert, täuscht er sich in der Farbe
und wirft eine schwarze Kugel in der Urne statt der weißen. Er stimmt somit gegen seinen
eigenen Antrag. (Allgemeines Gelächter.) Er bemerkt dieses und klopft sich, die Treppe
herabsteigend, mit der flachen Hand vor die Stirn. (Wiederholtes Gelächter).
Auch dieser Antrag wird mit 478 gegen 143 Stimmen verworfen.
Artikel 8 ist somit angenommen.
Die Sitzung wird um 6 Uhr geschlossen.