Deutschland.
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*
] Köln, 21. Sept.
Wir erhalten folgendes Extrablatt der Berliner Zeitungshalle. Sind die darin enthaltenen
Nachrichten begründet, so dürfen wir uns auf einen blutigen Zusammenstoß und auf eine
entscheidende Schlacht gefaßt machen.
Wir geben zuerst den Armee-Befehl des General Wrangel, der in der folgenden Nachricht citirt
wird und der folgendermaßen lautet:
„Armee-Befehl. Potsdam, den 17. Sept. 1848. Seine Majestät der König haben mir einen neuen
Beweis Seiner Gnade und Seines Vertrauens gegeben, indem Sie mir mittelst Allerhöchster
Kabinets-Ordre vom 15. d. M. den Oberbefehl über die sämmtlichen in den Marken stehenden
Truppen ertheilt haben. Meine Aufgabe ist, die öffentliche Ruhe in diesen Landen, da, wo sie
gestört wird, wieder herzustellen, wenn die Kräfte der guten Bürger hierzu nicht ausreichen.
Die Aufgabe ist schwer und mit großer Verantwortung verknüpft, das verkenne ich nicht, aber
sie wird ausgeführt werden; dafür bürgen mir das gegenseitige Vertrauen zwischen dem Soldaten
und seinem Offizier, seinem Führer, durch welches sich die preußische Armee, so lange sie
besteht, immer rühmlichst ausgezeichnet hat, sowie die Liebe und die treue Hingebung für den
König, von der wir Alle gleich erfüllt sind. Ich gebe mich indeß der bestimmten Hoffnung hin,
daß ich keine Veranlassung erhalten werde, mit der militärischen Macht einzuschreiten, denn
auch mein Vertrauen zu den Bürgern, daß sie ebenfalls nur das Gute wollen, steht fest; es ist
ja ihr eigener Heerd, den sie und ich beschützen sollen. Es sind jedoch im Lande auch Elemente
vorhanden, welche zur Ungesetzlichkeit verführen wollen, sie sind zwar nur gering, aber desto
kräftiger treten sie hervor, während die guten Elemente sich zurückhalten. Diesen letztern
will ich fortan zunächst eine moralische Stütze sein, um ihnen die Erhaltung der öffentlichen
Ordnung zu erleichtern, ohne die keine gesetzliche Freiheit möglich ist. In Potsdam habe ich
schon die erfreulichsten Beweise erhalten, wie dessen Bewohner mit der ganzen Bürgerwehr sich
zu diesem Zweck gern um mich schaaren. Dies war mir um so erfreulicher und um so werthvoller,
als es schon am ersten Tage meiner Uebernahme des Oberbefehls in den Marken geschah; es
erfüllt mich deshalb mit Hoffnung und Vertrauen für die Zukunft. ‒ Soldaten! laßt Euch nicht
irre leiten von den Reden und Proklamationen, welche von Euch unbekannten Leuten an Euch
gerichtet werden; hört nicht darauf, wenn sie auch noch so schmeichelhaft für Euch klingen und
sie Eure Zukunft mit herrlichen Worten ausmalen, sobald Ihr die Euch gegebenen Rathschläge
befolgt. Zu den Versammlungen, wo dergleichen Reden an Euch gehalten werden sollen, geht
lieber gar nicht hin; hört dagegen auf meine Stimme, die Stimme Eures
Generals, sie ist wohlgemeint! Haltet fest an Euren Offizieren, wie
diese an Euch; zwischen beiden darf sich kein fremdes Element
einschleichen. Habt Ihr gerechte Wünsche, so tragt sie Euren Offizieren in der
gesetzlichen Weise vor, von Niemand wird Euch sicherer geholfen werden, als von diesen, denn
Niemand kennt Eure Bedürfnisse besser als sie, und Niemand ist mehr von dem Wunsche beseelt,
Euch mit Rath und That beizustehen. ‒ Als Beweis, in welchem Grade ich nicht nur für Euer Wohl
als Soldat, sondern auch für Euer häusliches Wohl zu sorgen bereit bin, bestimme ich hiermit,
daß die durch Einziehung von Reserven auf die Kriegsstärke gesetzten Infanterie-Bataillone
sofort auf 900 Mann vermindert werden, und binnen Kurzem hoffe ich eine abermalige
Verminderung derselben bis auf 800 Mann eintreten lassen zu können. Zu der ersten Entlassung
sind zunächst alle Reklamirten und dann Diejenigen aus den ältesten Reserven zu bestimmen,
deren häusliche Anwesenheit dringend nothwendig ist; nach deren Berücksichtigung hat das
unparteiische Loos unter den ältesten Reserven zu entscheiden. Zum Schluß rufe ich Euch zu,
Offiziere und Soldaten! haltet fest in Eurem gegenseitigen Vertrauen und
an Euren theuren König! Er lebe dreimal hoch! Der Oberbefehlshaber in den Marken.
(Gez.) v. Wrangel.
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Die Nachricht selbst lautet wie folgt:
Potsdam, 19. September, Nachmittags 2 Uhr.
Das hiesige Militär, Kavallerie, Artillerie und Infanterie hat in einem Extra-Appell, 1 Uhr Mittags, die strengste Ordre erhalten, sich
marschfertig zu machen. Die Soldaten selbst glauben nicht anders, als
daß es nach Berlin gehen soll, vielleicht heut
Abend, oder morgen früh. Denn kein Soldat darf seine Wohnung
verlassen; Jeder ist angewiesen, den Befehl geheim zu halten. Fleisch
und Reis ist den Leuten geliefert. ‒ Die Offiziere fühlen sich sichtlich stark. ‒ Stehen wir
auf einem Krater?
Dieses kurze Schreiben erhalten wir so eben (6 1/2 Uhr) aus Potsdam. Der Verfasser hat sich
uns genannt und erklärt, daß er für die Nachricht bürge. Wir dürfen dieselbe dem Publikum
nicht vorenthalten, um so weniger nach dem heutigen Wrangel'schen Armeebefehl, und nachdem wir
jetzt als gewiß erfahren, daß folgende Ministerkombination zu Stande
gekommen sei:
Pfuel, (von Höllenstein) Premier,
Bonin, Inneres,
Eichmann, Kultus,
Wentzel,
Justiz,
Dönhoff, Auswärtiges ‒
also vollständig reaktionär.
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Edition: [Friedrich Engels: Fædrelandet über den Waffenstillstand. In: MEGA2 I/7. S. 733.]
[
**
] Köln, 21. Septbr.
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*
] Köln, 21. Sept.
Am gestrigen Abend fand auf den Aufruf des Sicherheitsausschusses, des demokratischen und
des Arbeitervereins eine Volksversammlung im Eiser'schen Saale statt, in welcher eine
Proklamation beschlossen wurde, dahin lautend:
1. die Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung, mit Ausnahme derjenigen, welche sich
dem Volk bereit erklärt haben auszutreten, sind Volksverräther;
2. die Frankfurter Barrikadenkämpfer haben sich um das Vaterland wohl verdient gemacht.
Diese Proklamation wird durch Maueranschläge und weiterhin durch die Presse möglichst
verbreitet werden.
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*
] Köln, 20. Sept.
Reisende erzählen, daß in Koblenz das Haus des Abg. Adams, welcher sich an dem
volksverrätherischen Beschluß über Annahme des Waffenstillstands betheiligte, vom Volke
demolirt worden sei.
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15
] Düsseldorf.
Am 16. d. M. haben die Herren Appellations-Gerichtsräthe Krey (Präsident), v. Gerolt, v.
Fuchsius, v. Drüffel und Hermes zu Köln auf Antrag des Herrn Prokurators Ackermann den Dichter
F. Freiligrath an den hierselbst am künftigen Montag zusammentretenden Assisenhof verwiesen.
Der Anklageakt schließt folgendermaßen:
„Demnach wird F. Freiligrath angeklagt, im August d. J. durch das Vortragen des von ihm
verfaßten Gedichtes „die Todten an die Lebenden“ in einer öffentlichen Versammlung zu
Düsseldorf, so wie auch durch den Druck desselben die Bürger direkt aufgereizt zu haben, sich
gegen die landesherrliche Macht zu bewaffnen, auch die bestehende Staatsverfassung
umzustürzen.
Verbrechen gegen Art. 102 und 87 des Str. G. B.“
Der Art. 102 droht mit dem Tode, wenn die Aufregung Erfolg, und mit Verbannung, wenn sie
keinen Erfolg gehabt hat. In dem Anklageakte wider Wulff heißt es ausdrücklich, daß die von
ihm verursachte Aufreizung keinen Erfolg gehabt habe. Es ist also Absicht, daß in dem
Anklageakte wider Freiligrath gar nichts davon erwähnt ist. Am 3. Oktober wird die Sache
contra Freiligrath, am 4. die contra Wulff verhandelt werden. Von den Konstellationen am
politischen Himmel wird es abhangen, ob man der angeblichen Aufreizung Freiligrath's Erfolg
beimessen wird oder nicht.
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106
] Elberfeld, 20. Sept.
Gestern Abend ist August v. d. Heydt nach Berlin berufen und heute schon dorthin abgereist.
Also mit einem solchen abgestandenen Vereinigten Landtagsritter will sich Beckerath
rekrutiren? In der ersten Volksversammlung, die hier stattfand, sagte
dieser Ex-Abgeordnete wörtlich: „Dieser Mensch, (der König nämlich)
hat uns immer getäuscht, er verdient kein Vertrauen, wir müssen jetzt
Garantien haben.“ Und in der letzten Philisterversammlung sagte
derselbige Ex-Abgeordnete: „die Nationalversammlung hat am 7. d. M. die heiligen Rechte der
Krone verkannt und müsse sofort aufgelöst werden.“
Der Ex-Abgeordnete und hoffnungsvolle Ministerkandidat wird nun wohl in Berlin die
Versammlung sofort auflösen, um somehr, als er es in Elberfeld so trefflich verstanden hat,
anarchische Bestrebungen niederzuhalten und zwei Katzenmusiken
vermittelst der Polizei zu widerstehen.
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103
] Berlin, 19. Sept.
Unsere Ministerkrisis, die man heute beendigt glaubte, fängt wieder von Neuem an. Schon
gestern Nachmittag verbreitete sich das Gerücht, Beckerath hätte den erhaltenen Auftrag zur
Bildung eines neuen Ministeriums in die Hände des Königs zurückgegeben, welches heute von
allen Seiten bestätigt wird. Man erzählt, daß Hr. Beckerath dem Könige ein ganz liberales
Programm vorgelegt hatte, ein Programm, welches sich der Unterstützung der Centren zu erfreuen
gehabt und aus deren Mitte er wohl Einen oder Mehrere ins Ministerium gezogen hätte. Er
verlangte vor Allem die Genehmigung des Königs zu den Beschlüssen der Vereinbarerversammlung,
namentlich für die bereits angenommenen: Gesetz über Abschaffung der Todesstrafe, Gesetz zum
Schutz der persönlichen Freiheit und für den Steinschen Antrag vom 7. September. Der König
soll aber beharrlich seine Zustimmung für diese Gesetze und Beschlüsse der Vereinbarer
verweigern und deshalb mußte Beckerath auf die Bildung des neuen Ministeriums verzichten. Er
beabsichtigte schon gestern Abend wieder abzureisen, soll aber auf dringendes Ersuchen des
Königs noch einige Tage hier bleiben. Die Umgebung des Königs soll einen sehr großen Einfluß
auf seine Beschlüsse haben und ihn zu Gewaltmaßregeln anspornen.
Der heute bekannt gewordene Armeebefehl des General Wrangel, der zum Oberbefehlshaber
sämmtlicher Truppen zwischen Oder und Elbe ernannt ist, hat einen schlechten Eindruck in der
ganzen Stadt hervorgebracht. Man sieht darin gerade das Gegentheil von dem, was der Steinsche
Antrag bezwecken sollte und glaubt, daß Radowitz und die Kamarilla ihre Hände dabei im Spiele
haben. Es ist nicht mehr möglich, in dieser Verwirrung klar zu sehen. An der Börse fängt die
Bourgeoisie an, sehr ängstlich zu werden. Die Reichen zittern schon vor der in Aussicht
stehenden Einschließung Berlins, im Falle die Vereinbarerversammlung aufgelöst würde, was
diese Leute jetzt als gewiß voraussetzen. So nähern wir uns von allen Seiten der
Entscheidung.
[0542]
Die heutige Sitzung der Vereinbarer-Versammlung, welche zum ersten Male im Concertsaale des
Schauspielhauses stattfand, begann mit der Verlesung eines Schreibens des Ex-Minister
Präsidenten Auerswald an den Präsidenten, worin er anzeigte, daß die Verhandlungen, wegen
Bildung des neuen Ministeriums noch zu keinem Resultate gediehen seinen und daher anheim
stellt die Sitzung wieder auszusetzen. ‒
Abg. v. Berg beantragt in Folge dessen, daß die Versammlung
beschließe, eine Deputation bestehend aus dem Präsidenten, dem Vicepräsidenten und zwölf durch
das Loos zu bestimmende Abgeordnete zum König zu senden, um ihn zur baldigen Bildung eines
Ministeriums zu veranlassen. Er wünscht, daß dieser Antrag Donnerstag discutirt werde. Wir
glauben aber nicht, daß dieser Antrag durchgehen wird. Sowohl die Rechte als die Linke erklärt
sich dagegen; die Linke wird darauf bestehen mit den Berathungen der vorliegenden Gesetze auch
ohne Ministerium fortzufahren. ‒
Hierauf ging die Versammlung sogleich zur Wahl des neuen Präsidiums über Die Linke hatte den
Abg, Philipps als Präsident bestimmt. Die Partei Robbertus unterstützte diese Canditatur. Die
Rechte und die Centren hingegen stimmten für den bisherigen Präsidenten Grabow und da das
Resultat sehr zweifelhaft erschien, kamen sogar die alten Minister Auerswald, Milde, Hannemann
und Gierke, die auch Abgeordnete sind, in die Versammlung um ihre Stimmen für Grabow abzugeben
und einige Schwankende wieder für Grabow zu gewinnen. Die Ministerstühle nahmen sie nicht ein,
sondern die Herren Ex-Minister bewegten sich unter den verschiedenenen Gruppen, welche sich
gebildet hatten. Das Resultat der Wahl war, daß von 330 Abstimmenden, (Majorität 166) Grabow
179 Stimmen und Philipps 51 Stimmen erhielt. ‒ Grabow ist demnach wieder Präsident. Während
der Wahl der Vicepräsidenten die mehrere Stunden dauerte wird von mehrern Bürgern eine Adresse
an den König verbreitet, welche auch schon zahlreiche Unterschriften erlangt hat, und den
König bittet: „den Abgeordneten Waldeck mit der Bildung des neuen Ministeriums zu
beauftragen.“
Die Wahl der Vice-Präsidenden rief heute einen harten Kampf hervor der von 11 Uhr Vormittags
bis 5 Uhr Nachmittags dauerte und damit endete daß die Linke drei ihrer Canditaten
durchsetzte, wärend die Rechte nur einen einzigen vom rechten Centrum-Geheimrath
Jonas-durchbringen konnte. ‒ Das erste Serutinium brachte keinen einzigen Namen mit absoluter
Majorität hervor; im zweiten wurden Philipps, Waldeck und Jonas gewählt und zuletzt wo eine
engere Wahl zwischen Unruh und Kosch stattfand, wurde der Erste als Candidat der Linken zum
vierten Vice-Präsidenten gewählt. Kosch war seit Monat Juni Vice-Präsident und fiel heute zum
ersten Mal durch, da er nur von der Rechten unterstützt wurde. ‒
Vom Abgeordneten Rees von Esenbeck sind schon zwei dringende Interpellationen für das
zukünftige Ministerium angekündigt. Die erste lautet: „der Herr Justiz-Minister möge, in
Erwägung, daß das von der Versammlung beschlossene Gesetz, zum Schutz der persönlichen
Freiheit dem Volke nicht einen Augenblick hätte vorenthalten werden sollen, erklären, wann dieses Gesetz und zwar in der kürzsten
Frist, Gesetzeskraft erhalten werde.“ Die zweite: das hohe Ministerium wolle erklären,
ob es das von dem abgetretenen Ministerium eingebrachte Gesetz zur
Beschränkung des freien Versammlungsrechts bei der Versammlung zu vertreten
gewilltsei?
Die nächste Sitzung der Vereinbarer wird regelmäßig übermorgen Statt finden. Im Falle bis
dahin noch kein Ministerium gebildet ist, haben wir interessante Debatten zu erwarten Ist das
neue Ministerium von schwarz-weißer Farbe bis dahin gebildet, so muß es in dieser ersten
Sitzung sogleich an die oben angekündigten Interpellationen scheitern. Alles ist hier auf
Donnerstag gespannt. ‒
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@facs | 0542 |
Berlin.
Gestern Abend den 18. ds. drangen eine große Anzahl von Soldaten vom Füselier-Bataillon des
24. Regiments in den in der Karlstraße belegenen Tabaksladen des Herrn Wigaart ein und
begannen damit, die darin befindlichen Vorräthe, gleich einer Räuberbande hinauszuwerfen und
zu zerstören, ohne daß zu dieser ruchlosen That von Seiten des Hrn. Wigaart oder seiner Leute
die mindeste Veranlassung gegeben worden wäre, es müßte denn sein, daß ein mit dieser Horde in
Streit gewesener Schutzmann vor derselben in den Laden flüchten wollte. Wenn gleich es der
herbeigeeilten Nachbarschaft und Bürgerwehr gelang, einige dieser Missethäter zu verhaften, so
konnte doch der gänzlichen Zerstörung und Beraubung des Ladens nicht vorgebeugt werden, so wie
auch noch diese Soldaten auf ihrem Rückzuge nach der Kaserne ihre Wuth nicht allein an den
Fenstern der Karlstraße, sondern auch an die ruhig auf der Straße befindlichen ihnen
begegnenden Personen durch thätliche Mißhandlungen, ausließen. ‒ Von den Verhafteten aber
zeigten Einige Reue über dieses Betragen und thaten die merkwürdige Aeußerung, daß sie von
ihren Vorgesetzten dazu aufgestachelt worden wären. Am Sonnabend den 16. Abends war ein
ähnlicher Fall in der Karlstraße Nr. 2 vorgekommen, wo von Soldaten desselben Bataillons ein
Branntweinladen demolirt wurde.
[(B. Z.-H.)]
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12
] Breslau, 18. Septbr.
Die hiesige Jägerabtheilung hatte sich in letzterer Zeit stark bei den abendlichen
Versammlungen des hiesigen demokratischen Centralvereins betheiligt. Der Major von Pfircks,
Kommandeur dieser Abtheilung hatte dies kaum erfahren, als er die Jäger antreten ließ,
dieselben haranguirte und ihnen schließlich den Besuch dieser Versammlungen untersagte. Dies
dem freien Vereinigungsrecht wiederstrebende Verfahren war kaum im Publikum bekannt geworden,
als dem ohnedieß in hiesiger Stadt seit dem 19. März mißliebigen Major eine Katzenmusik
gebracht wurde. Dieselbe widerholte sich am Sonnabend und sollte am gestrigen Tage wieder
stattfinden. Ein Haufe zog gegen die Straße, 8 Uhr Abends heran, als ohne allen Warnungsruf 28
in grauen Jacken gekleidete Oberjäger aus dem Hause des Majors
herausstürzten, blank zogen, mit scharfen Hirschfängern blindlings einhieben und so gegen 30
Personen mehr und minder verwundeten. Die gemeinen Jäger hatten die Mitwirkung bei dieser
feigen und hinterlistigen That versagt. Die Aufregung über diese schamlose Willkühr der
Soldateska ist groß und es wird heute Abend jedenfalls unruhige Auftritte geben, obgleich der
demokratische Verein in Plakaten davon abräth.
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61
] Wien, 16. Sept.
Gestern Nachmittag fanden starke Zusammenrottungen auf dem Kohlmarkt und Graben Statt, die
bis in die Nacht hinein dauerten.
Die Tagespresse ist über die Ereignisse des 13, vielmehr über die zu bedauernden
Nichtereignisse, bereits fast stumm oder äußert sich doch höchstens nur ad usum Delphini. Die
„Konstitution“ hat es so weit gebracht den Minister Bach zu einem Mephistopheles avanziren zu
lassen. Sie wissen, daß ich denselben keineswegs für eine solche Größe, sondern höchstens nur
für einen fuchsschnautzigen Schwätzer ausgegeben habe, der seinem Grundcharakter nach
Polizeispion ist. Kraft dieses Genie's arbeitet er gegenwärtig an einem Repressivgesetze wider
die so unschuldige sogenannte Demokratenpresse des Kaiserreichs. Ich würde Ihnen nun noch
berichten müssen, was der „Radikale“ sagt, was der „Freimüthige“ und Konsorten sagen, wenn sie
nicht alle gar nichts sagten, wenigstens für mich und Ihre Leser. Mit der „Presse“ jedoch,
Stadion's gedrucktem Gewissen, verhält es sich anders. Sie hat heute eine diplomatische
Wendung gemacht; ihr leitender Artikel streichelt ‒ Ungarn. Nicht möglich! werden Sie
ausrufen. Aber dennoch. Kossuth's Diktatur, die Energie der Magyaren haben Angst und
Bestürzung in Schönbrunn hervorgebracht. Der König von Kroatien ist außer sich, er könnte als
König von Ungarn dergestalt siegen, daß er als Kaiser von Oestreich in eine so bedeutende
Klemme gerathen müßte, daß ihn selbst die Krone der Zigeuner nicht mehr zu schirmen
vermöchte.
Die Presse sagt: „Vor Allem läge es dem Ministerium ob, den kriegführenden Ländern seine
freundschaftliche Vermittlung anzubieten, die sicherlich von keiner Seite abgelehnt würde.“
Welche Wendung nach der Abweisung der ungarischen Deputation! Haben Ferdinand und Frau Sophie
Besorgnisse bekommen? ‒ Die listige „Presse“ sagt ferner: „Der Standpunkt, von dem die
östreichische Vermittlung auszugehen hätte, muß offenbar jener des Rechtes sein, da es uns wohl nicht einfallen kann, lediglich durch
Gewalt, ohne Rücksicht auf Ungarns Verfassung, die Integrität des Kaiserreichs
herstellen und die Magyaren als Besiegte behandeln zu wollen.“ Welch interessanter Rückzug!
„Höchst gefährlich wäre es, die Zugeständnisse, die im März den Ungarn wurden, in Frage zu
stellen (sakerlot!), weil sie in Sturm und Hast gegeben sind. Solche Behauptungen kann der
Freund der Freiheit (eine östreichische Katze, die sich zufällig jetzt Sophie nennt) nie
billigen. ‒ Sind die Grundzüge des Staatsorganismus bestimmt, so kann man auch Ungarn
einladen, dem östreichischen Gesammtreiche beizutreten.“ (!) Welches
unendliche paradiesische Hochgefühl in diesem „Beitritt“ liegt!
Aus der heutigen Sitzung des Reichstags habe ich Ihnen nur eine Interpellation Violands anzumelden. Er fragte den Minister des Aeußern und des Hauses,
(!) dem darüber die Brille von der Nase fiel und das Zähnekauen verging, 1) ob es wahr sei,
daß nur er und Latour Zutritt zum Kaiser hätten, während das gemeine Ministerpack à la
Schwarzer gleich übelduftenden Pferdeknechten in Schönbrunn nicht erscheinen dürfe?
Wessenberg mit der entrüsteten Hitze bundestagsmäßigen Blutes:
Nein!
2) Ob es wahr sei, daß die Beschlüsse der Minister, bevor sie zur Vollziehung kämen, noch
andern unverantwortlichen Räthen (Stadion, Pillersdorf, Cibini, Sophie, Windischgrätz,
Metternich u. s. w.) vorgelegt werden müßten?
Bach, als dienstfertiger Handlanger: Das Ministerium kennt kein
Kabinet über sich; es steht in direktem Verkehr mit dem Monarchen; es kann nicht dulden, daß
der Monarch, der unverletzliche, in eine solche Debatte gezogen wird.
Violand: In der That, der Monarch kümmert mich wenig, um so mehr
aber das monarchische Ministerium.
4. Wie es komme, daß der Brief, den der Kaiser am 4. Sept. von Schönbrunn aus an Jellachich
geschrieben, weder von einem östreichischen noch von einem ungarischen Ministerium
kontrasignirt worden und auf welchem Fleck seiner Gesammtstaaten dieser Kaiser noch ein
absoluter sei?
5. Welche Ansicht und Politik das Ministerium über Ungarn und Kroatien habe?
Wessenberg verspricht morgen eine von dem geheimen Kabinet berathene schriftliche Antwort
lautlos abzulesen.
Auch Schwurzer wurde von Borrosch wegen von k. k. Beamten gestohlenen 300,000 Fl,
interpellirt; die Antwort war Schwarzers würdig, nämlich eine Grobheit.
Als ich den Reichstagssaal aus Langweile verließ, stand ein Trupp Nationalgarden in der
Vorhalle. Sie klagten, daß der Hornbostel dem der Reichstag am 14. 2 Millionen Gulden zur
Unterstützung herabgekommener Gewerbtreibenden bewilligt, dieselben nur dann und so vertheile,
daß die Petenten ihm für das zu empfangende Unterstützungsquantum eine goldene Uhr, eine
Tabacksdose u. dergl. verpfänden müßten. Sie meinten, unter diesen Bedingungen hätten sie auch
auf das Leihaus gehen können; sie meinten die 2 Millionen hörten ihnen und sollten dazu
dienen, die in ihrem Besitze befindlichen Swoboda'schen Aktien zu heben und ihnen auf diese
Weise Geld zu verschaffen. Die Leute schienen mir sehr vernünftig zu sein; ich sprach mit
ihnen und sie wollten mich zum Minister haben, als ich ihnen erklärte, daß die reichen
Bankjuden noch keine unprigilepirten Aktienkonkurrenten brauchen könnten.
Fröbel hält heute demokratische Vorträge und schreibt an einem Werk über
kroatisch-slavonisch-serbisch-illyrisch-magyarisch-czechische Wirren, wird aber dann nach
Frankfurt abreisen, und eine neue Zeitung in's Leben rufen.
Der große Johannes Ronge ist gestern ebenfalls hier angekommen und hält Morgen seine erste ‒
Predigt. Ungeheure Aufregung unter allen Demokraten und Demokratinnen Italiens. Aus allen
Winkeln Deutschlands werden wir mit demokratischen Abentheurern überschüttet.
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61
] Wien, 17. Sept.
Der Krieg der Schwarzgelben gegen die Trikoloren oder gar Rothen wurde gestern Mittag und
Abend mit dem eigentlichen Humore Wiens fortgesetzt. ‒ Gewaltige Streitheere belagerten
Graben, Kohlmarkt und andere nahe Straßen, so daß die Kommunikation unterbrochen war. Jedoch
kam es zu nichts, als zu einigen Faustkriegen, die aber, da fast Jeder einen Stockdegen trägt,
doch einmal eine blutige Wendung nehmen dürften.
In der Nacht vom 15. auf den 16. sind Windischgrätz Cheveauxlegers und neue Infanterie hier
angekommen.
Das Prager Abendblatt vom 13. Sept. schreibt im Augenblicke, als hier Unruhen ausgebrochen
waren: „So eben vernehmen wir, daß eine telegraphische Depesche von Wien ankam, in welcher dem
Fürsten Windischgrätz mitgetheilt wird, in jeder Stunde zu einer Abreise nach Wien bereit zu
sein.“
Aus einem Handschreiben des Kaisers an Vetter Stephan vom 31. August gehen die Bedingungen
hervor, unter welchen das östreichische Ministerium die Vermittlung in der
ungarisch-kroatischen Angelegenheit übernommen hatte. Sie lauten:
1) Den Verhandlungen in Wien ist Baron Jellachich oder ein Bevollmächtigter desselben und
der betheiligten Landestheile zuzuziehen.
2) Alle Angriffe, Feindseligkeiten und Rüstungen Ungarns gegen Kroatien, Slavonien und die
Militärgränze und umgekehrt sind alsogleich einzustellen und zu unterlassen.
3) Die gegen den Ban und Metropoliten ergriffenen persönlichen Maßregeln sind
zurückzunehmen.
4) Die Militärgränze ist provisorisch der Leitung des Wiener Kriegsministers zuzuweisen.
Gestern sagte man, Jellachich sei hinter die Drau zurückgegangen. Soviel ist gewiß, er hat
unvermuthet zwei neue Feinde bekommen, welche ihn in seinem Vordringen nach Ungarn bedeutend
hemmen dürften. Der eine offene Feind sind die Türken, welche die Entfernung der Gränzer von
der Heimath benutzt haben und aus Bosnien und türkisch Kroatien raub- und plünderungssüchtig
in die Militärgränze eingefallen sind; der andere geheime ist der Bladika von Montenegro.
Aus Peterwardein wird geschrieben, daß die Serben Unabhängigkeitsgelüste trügen, die dem
Banus, wenn er keine eigenen Ambitionen verfolgt, übel bekommen dürften. Man ruft: „Hier ist
und bleibt der serbische Boden, der durch unsern eigenen König verwaltet werden muß; keine
ungarische Kreatur, keine „Schwabenbrut“ (Schwaben heißen bis tief in
die Türkei hinein alle Deutsche). Wenn der Ban noch länger die Befehle Sr. Majestät annimmt,
so wird er vernichtet werden!“
Der große am 13ten mißglückte Schlag der Contrerevolution thürmt sich von Neuem immer mehr
über Wien zusammen und wird für einen Moment ‒ gelingen. Italien, Böhmen und Süd-Ungarn sind
gebunden; Tyrol hat den Geist des März noch nicht einmal gerochen; die äußersten Ende der
Monarchie sind also todt; alles drängt sich nach dem Herzen, nach Wien und Pesth. ‒ Vom
französischen Judenthum verlassen, ohne Hoffnung auf den Krähwinkelzustand Deutschlands,
Jellachich, Windischgrätz, Radetzky und russische Heere im Rücken, an der Spitze unserer
Demokratie nur feige, treulose Schacherjuden und Phrasenhelden, sehe ich nicht ab, wie wir
siegen sollen. Und wenn wir siegen, werden wiederum nur gemeine Juden, deren feiges
Spekulantentreiben der Demokratie im Volke alles Ansehen beraubt, den Gewinn davon tragen, um
uns in alle Niederträchtigkeiten eines Bourgeoisregimentes zu leiten. An der Spitze aller
demokratischen Vereine, an der Spitze der ganzen Presse stehen nur Juden. Sie führten auch im
Sicherheitsausschusse das Regiment, spielten dort die Demokraten, zogen Scharen von Juden von
überallher nach Wien und als sie, wie Fischhof, Mannheimer und Mayer, ihr Ziel als
Ministerialräthe erreicht hatten, wurden sie urplötzlich die schamlosesten Volksverräther. Der
allgemeine Nothstand wird von dem eingezognen Schwarm mit wahrem Heißhunger zum schändlichsten
Wucher benutzt. Sehr viele Bourgeois-Nationalgarden versicherten mich, sie würden sich
augenblicklich für Wiederherstellung des Sicherheits-Ausschusses entscheiden, wenn sie sich
der Judeneindringlinge zu erwehren wüßten. Als ich mich neulich in Gegenwart mehrer
Judenredakteure in dieser Weise ausdrückte, hatte einer derselben die Frechheit, zu sagen, er
würde, wenn er's vermöchte, alle fremden Demokraten von Wien austreiben lassen. Daraus machen
Sie sich einen Begriff von dem Standpunkt der hiesigen Demokratenpresse, denn der dies sagte,
redigirt ein sogenanntes demokratisches Organ. Wenn es wirklich die That gilt, dann sind diese
Geister Tausenau, Jellenik, Kolisch, Deutsch, Silberstein, zwei Löbenstein, Eckhard, Löve,
Mahler, Reinisch, Hrzka, u. s. w. nirgendwo zu sehen; am andern Tage aber quaken sie wieder.
Es gibt in Oestreich eine ganze Million Juden, die sich nur von dem Schacher ernähren; also
auf 30 Menschen ein Blutsauger.
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@facs | 0542 |
[
!!!
] Frankfurt, 19. Sept.
Folgender Artikel konnte gestern nur für die Abonnenten in der Stadt abgedruckt werden:
Die Stadt ist ruhig ‒ von Soldaten übersät. Frankfurt und Sachsenhausen sind von den
Insurgenten gereinigt. Die National-Versammlung hat drei Anträge Zachariä's angenommen:
1) Dem Reichsministerium die Zustimmung für die getroffenen Maßregeln;
2) den Ministern Unterstützung für ihre zukünftigen Maßregeln für die Einheit und Freiheit
Deutschlands auszusprechen und
3) den Reichstruppen den Dank des Vaterlandes (!) für ihre Hingebung und Mäßigung
auszusprechen.
Die Versammlung vertagte sich dann bis morgen. Uebermorgen Begräbniß Lychnowski's und
Auerswald's.
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@type | jArticle |
@facs | 0542 |
Frankfurt, 19. Sept.
Unter der Rubrik „Amtliches“ enthält die Ob.-P.-A.-Z. folgende Bekanntmachungen, die im
Laufe des 18. erschienen.
Bürger von Frankfurt! Die bedauerlichen Vorfälle, welche vorgestern Abends hier
stattgefunden haben, und die durch zahlreiche Zuzüge von Außen herbeigeführte Bedrohung der
Ruhe und Ordnung haben den Senat der freien Stadt Frankfurt veranlaßt, das Reichsministerium
aufzufordern, daß es unmittelbar die Pflicht, die National-Versammlung vor äußerer Gewalt zu
schützen, zu erfüllen übernehme. In Folge dieser Aufforderung hat das Reichsministerium sich
unverzüglich bereit erklärt, die zum Schutze der konstituirenden deutschen
National-Versammlung und zur Herstellung der Ruhe und Ordnung erforderlichen Maßregeln selbst
zu ergreifen.
Das Reichsministerium ist entschlossen, innerhalb der Schranken der Gesetze mit aller Kraft
und Entschiedenheit die Berathungen der National-Versammlung vor jeder Einwirkung von Außen
sicher zu stellen, und es rechnet dabei mit Zuversicht auf die Mitwirkung und bereits
wiederholt erprobte aufopfernde Thätigkeit der biederen Bewohner von Frankfurt.
Frankfurt, den 18. September 1848.
Das Reichsministerium des Innern: Schmerling.
Erinnerung. Alle Familienhäupter werden aufgefordert, dahin zu wirken, daß ihre Angehörigen
so viel möglich zu Hause und von Zusammenläufen ferne gehalten werden, da das
Reichsministerium entschlossen ist, die Ruhe dieser Stadt und den Schutz ihrer Bewohner mit
allen Mitteln aufrecht zu erhalten und Störungen zu unterdrücken.
Frankfurt, den 18. September 1848.
Der interim. Reichsminister des Innern: Schmerling.
Erinnerung. In Folge der Zuzüge befindet sich eine Menge von Personen in der Stadt, die
geeignet ist, deren Ruhe zu gefährden. Es ergeht daher an alle Jene, die an den Zuzügen Theil
genommen haben, die ernstgemessene Ermahnung, die Stadt zu verlassen, und in ihre Heimath
zurückzukehren, widrigenfalls gegen sie mit der Strenge der Gesetze verfahren werden
würde.
Frankfurt, den 18. September 1848.
Der interim. Reichsminister des Innern: Schmerling.
Belagerungsstand. Bei der Fortdauer des Aufruhres wird Frankfurt in Belagerungsstand
erklärt, und das Kriegsgesetz verkündet. Alle Vereine sind suspendirt, und es wird deren
Mitgliedern verboten sich zu versammeln. Wer zu Aufruhr aufreizt, wer den Truppen Widerstand
leistet, oder sich nur unbefugter Weise bewaffnet einfindet, wird standrechtlich
behandelt.
Frankfurt, den 18 September 1848.
Der Reichsverweser Johann.
Der Reichsminister des Innern Schmerling.
Bekanntmachung. Zur Durchführung der zur dauernden Ruhe erforderlichen Maßregeln, wird die
Entwaffnung der hiesigen Einwohner, insofern sie nicht zur organisirten Bürgerwehr und
Schutzwache gehören, hiermit verfügt. Es sind daher alle Feuergewehre, Hieb- und Stichwaffen
unverzüglich in das Kriegszeugamt abzuliefern. Diejenigen, welche diesem Befehle nicht
längstens binnen 24 Stunden entsprochen haben, werden nach der Strenge der Kriegsgesetze
behandelt.
Frankfurt a. M. am 19. Septbr. 1848. Morgens 10 Uhr.
Der interimistische Reichsminister des Innern: Schmerling.
Ueber den Kampf gibt die Oberpostamts Zeitung folgende Schilderung:
Frankfurt, 19. Sept. Die ersten Anzeichen des Barrikadenkampfes, der
gestern von 2 1/2 Uhr Nachmittags bis 11 Uhr Nachts (mit Ausnahme einer kurzen Waffenruhe
zwischen 5 1/2 und 6 1/2 Uhr Abends) andauerte, zeigten sich bereits um 12 Uhr Mittags, durch
gewaltsame Erbrechung mehrerer Läden und Magazine, wo man Waffen zu finden hoffte und zum
Theil auch fand. Die Barrikade beim Türkenschuß, an der Ecke der Zeil und der Hafengasse, war
noch nicht vollendet, als sie von östreichischen Reichstruppen ohne Widerstand genommen wurde.
Um so hartnäckiger bethätigte sich die Gegenwehr der Aufständischen an der Barrikade am andern
Ende der hier sehr schmalen Hafengasse, an deren Mündung in die Döngesgasse, in welcher
letztern, am trier'schen Höfchen, ebenfalls eine Barrikade sich erhoben hatte, die gegen den
von preußischen Reichstruppen besetzten Platz Liebfrauenberg gerichtet war. In gleicher Weise
war die Döngesgasse von der Fahrgasse abgeschnitten. In dieser letzteren befanden sich vier
Barrikaden: an der Mündung der Zeil und Allerheiligengasse, an jener der Schnurgasse, und
zwei, welche die Straße unsern der Mehlwage und der Johanniterkirche durchschnitten. An
mehreren andern Stellen war das Straßenpflaster aufgerissen und zeigten sich Anfänge von
Barrikaden in verschiedenen Straßen und an den Ausgängen der Plätze, namentlich des
Pfarreisens. Die stärksten Werke dieser Art waren jedoch in der Friedberger und Altegasse, am
Eingang der Stelzengasse gegen die Zeil und in der Allerheiligengasse; ferner zwischen dem
Waisen- und dem Versorgungshause, unsern der Gensd'armerie-Kaserne, im obern Graben etc.
Am stärksten war der Kampf in der Döngesgasse, an der Mündung der Allerheiligen- und
Fahrgasse, in der Friedberger- und Altgasse zwischen 3 1/2 und 5 Uhr Nachmittags, wie von 7
bis 9 Uhr Abends. Die preußischen und östreichischen Truppen, denen noch kurhessische und
hessendarmstädtische Infanterie beigegeben worden, verfuhren überall mit eben so großer Ruhe
als Entschiedenheit. Um 6 Uhr Abends langten die ersten hessendarmstädtischen Geschütze unter
Bedeckung von Chevauxlegers an, und jene wurden unmittelbar gegen die Barrikaden am Ende der
Allerheiligen- und Fahrgasse und in der Döngesgasse, am trierschen Höfchen gerichtet. Nach 10
Uhr Abends erreichte der Kampf sein Ende; alle Barrikaden wurden geräumt und im Laufe der
Nacht von den Truppen besetzt. Die Zahl der Gebliebenen und der Verwundeten auf beiden Seiten
läßt sich noch nicht genau bestimmen, doch soll sie nicht unbedeutend sein. Unter den ersteren
befinden sich der Fürst v. Lichnowsky und der Oberst v. Auerswald.
Die Ob.-P.-A.-Ztg. bemerkt dazu in einer Nachschrift: „Die Börse blieb gestern geschlossen;
es konnten also durchaus keine
[0543]
Geschäfte in Staatspapieren gemacht werden.“
Beklagenswerthe Wucherer!
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@type | jArticle |
@facs | 0543 |
Frankfurt, 19. Sept.
G. Metternich ist heute Morgen, als er ruhig über die Straße ging, von Soldaten verhaftet
und schwer in den Hals durch Stiche verwundet worden.
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@type | jArticle |
@facs | 0543 |
[
*
] Frankfurt, 19. Sept.
Wie es heißt, standen 2000 bewaffnete Hanauer vor den Thoren, die sich an dem Kampfe
betheiligen wollten, wenn die Insurgenten die Republik ausrufen wollten.
Jahn wird vermißt. Nach Einigen wäre er in Bockenheim erschlagen worden; Andere versichern,
daß er wohl bald aus einem Keller ans Tageslicht kriechen wird.
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@facs | 0543 |
[
!!!
] Frankfurt, 19. September.
81. Sitzung der National-Versammlung.
Die Vertreter versammeln sich spärlich und allmählig und in großer Aufregung. In den
Straßen wogt es von Soldaten. Die Stadt sieht aus wie ein Heerlager. Niemand darf hinaus. Der
Belagerungszustand ist erklärt. Unzählige Truppen bivouakiren auf den Straßen.
Die Vertreter haben sich bis gegen 10 Uhr zahlreich versammelt.
Das Protokoll wird verlesen. Fuchs vermißt 2 Thatsachen. 1. Das Eindringen des Volks in die
Versammlung. 2. Die Eingabe der Volksversammlung wegen der Landesverrätherei.
Präsident: Meine Herren! Unter dem Eindruck der traurigsten
Ereignisse eröffne ich die Versammlung. Neue Opfer der Bewegung sind muthwillig geliefert
worden. Unter diesen Opfern v. Auerswald und Lichnowsky. Sie sind meuchlings gemordet worden.
(Aufregung). Was ist die Veranlassung? Was die Folgen? Die Veranlassung der Beschluß der
Mehrheit der Versammlung am 16 September. Ich ehre alle Ueberzeugungen. Die der Minorität und
Majorität Der Gehorsam gegen die Majoritat ist muthwillig verweigert worden. Die gerechte
Strafe wird folgen. (Ja! Ja!) Man hat angestrebt durch diesen Aufruhr gegen die Einheit des
Vaterlandes. Wer behauptet, der Norden habe ein schlechteres Ehrgefühl als der Süden, der
zerreißt das Vaterland. Auch die Freiheit ist gefährdet.
Aber das Rachegefühl muß unterdrückt werden. Noch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
ist geübt worden durch die Thaten des gestrigen Abends und der Nacht. Die neuesten Ereignisse
sind hervorgegangen aus einem Zerwürfniß dieser Versammlung und dem Parteigeist. Es ist wahr,
daß ein Reichsministerium jetzt keine Mojorität hat. Es ist leicht, ein Ministerium zu
stürzen, aber schwer, ein neues zu bilden. Deshalb mussen wir jetzt das Ministerium schützen,
denn die Zeit ist wichtig und die Verantwortlichkeit ist groß. (Jawohl! Bravo! Arndt und
Stedmann weinen).
Schmerling: Als ich Ihnen vor 24 Stunden sagte, daß wir das
Ministerium behalten würden, wußte ich wohl, daß ernste Bewegungen bevorstehen, aber so
schrecklich habe ich sie nicht geahnt. Im Bewußtsein, die National-Versammlung auf jede Weise
schützen zu müssen, haben wir unsere Maßregeln getroffen, um die Ruhe der Stadt um jeden
Preis herzustellen. Barrikaden wurden zum Theil genommen. Die Waffenruhe wurde zugestanden.
Dies war ohne Erfolg. Deshalb Angriff mit Kanonen, Reinigung der Straßen und Häuser. Ich habe
die Ehre Ihnen mitzutheilen, daß ganz Frankfurt und Sachsenhausen in den Händen der
gesetzlichen Macht ist (Bravo!) Deshalb Kriegs-und Belagerungszustand! (Bravo!) Er wird so
lange dauern, bis die Ruhe vollständig. (Bravo!) Die Ruhe der Stadt und der Nachbarstaaten
ist gesichert durch die Soldatenmassen.
Minister v. Mohl: Wenn die Untersuchungen eingeleitet, wird Ihnen
das Resultat mitgetheilt werden. Macht ferner eine Mittheilung wegen der Sicherheit der
National-Versammlung. Es muß ein Gesetz zu ihrem Schutz gegeben werden. Diesen Gesetzentwurf
werden wir morgen vorlegen.
Venedey: Im Namen der Linken erklärt er, daß die Linke die
Entrüstung theilt, daß der gestrige Sieg, ein Sieg der National-Versammlung. Doch ist der
Sieg gefährlich, hüten Sie sich, daß die Reaktion ihn nicht ausbeutet. (Jawohl, hüten Sie
sich!)
Zachariä: Centralgewalt und Reichsministerium muß man jetzt
stützen. Deshalb stelle ich mit vielen Mitgliedern des Hauses den Antrag: Die
National-Versammlung beschließt:
1. Dem Reichsministerium die volle Zustimmung zu den Maßregeln, die es bisher getroffen,
auszusprechen.
2. Unterstützung der zukünftigen Maßregeln für Einheit Deutschlands und Vertrauen dazu
auszusprechen
3 Dank des Vaterlandes an die Reichstruppen für die Hingebung, mit der sie sich geschlagen
(!). (Bravo! Bravo!)
Venedey: Nicht unserer Würde angemessen, jetzt über eine solche
Diskussion schon einzugehen Gegen die Dringlichkeit.
Baly Für die Dringlichkeit. Namentliche Abstimmung über die
Dringlichkeit.
Vogt: Ueber Punkt 1 und 3 kann unmittelbar verhandelt werden,
obgleich ruhige Diskussion noch nicht möglich. Ueber Punkt 2, das Vertrauensvotum für das
Ministerium ist jetzt nicht zu berathen.
Beseler. Für die Dringlichkeit aller Punkte
Raveaux: Jetzt ist noch keine ruhige Diskussion möglich. Das
Ministerium muß und wird unterstützt werden. Aber die Anträge Zachariä mögen durch die
Ausschüsse gehen. Die Dringlichkeit ist nicht auszusprechen.
Vinke: Durch das Vertrauen ist die Verantwortlichkeit nicht
ausgeschlossen. Für die Dringlichkeit.
Schaffrath. Aufregung! Die Beschlüsse sind unnöthig und
überflüssig. (Unruhe!) Das Ministerium hat ohne unsere Beschlüsse seine Rechte und Pflichten.
‒ Gegen die Dringlichkeit. ‒
Präsident. Abstimmung über die Dringlichkeit.
Die Dringlichkeit der 3 Zachariäschen Anträge erkannt.
Eisenmann. Er kann versichern, daß die Linke die Bewegung mit
Aufopferung und mit persönlichem Muth zu verhindern gesucht hat. (Bewegung ‒ Widersprüche
rechts;) ‒ Zur Sache! Für Punkt 2: die Billigung der zukünftigen Maaßregeln, kann er sich
nicht aussprechen (Unruhe.) Dies ist gegen unsre Pflicht und unsre Würde. Das Ministerium hat
selbst erklärt, Stadt und Vorstadt ist ruhig. Also wo denn die Dringlichkeit, wo denn die
Gefahr, die außerordentliche Maaßregeln erheischt. (Unruhe. Schluß!)
Major Teichert, hält eine Lobrede auf die Sachsenhäuser (Vorstädter
von Frankfurt) die den Bau der Barrikaden verhindert. ‒ (Bravo!) Die National-Versammlung
solle sich ein Beispiel nehmen. ‒
Präsident. Verbesserungsantrag, der Punkt 2 der Zachariäschen Anträge von Schaffrath: zu
sagen, nicht bloß zu allen Maaßregeln der Einheit, sondern auch der Freiheit. ‒
Jordan (Berlin.) Für unbedingte Annahme des Antrags, und sofortige
Abstimmung ohne Diskussion (Bravo! Schluß!)
Präsident. Amendement von Rösler von Oels: den Soldaten nicht bloß für ihre Hingebung,
sondern auch für ihre Mäßigung zu danken. (Bravo!)
Zachariä: nimmt beide Amendements von Schaffrath und Rösler von
Oels in seine Anträge auf; ‒ und bemerkt: seine Anträge sollen nur eine moralische Stütze für
das Ministerium in diesem kritischen Augenblick sein, kein Vertrauensvotum zu allen möglichen
etwaigen Maaßregeln. ‒
Der erste Punkt wird angenommen. (Die Linke bleibt sitzen)
Während der Abstimmung schreit man von vielen Seiten nach namentlicher Abstimmung. Tumult.
Unruhe.
Jordan gegen die namentliche Abstimmung wegen der Gefahr derer die
gegen die Anträge stimmen würden. (Links Geschrei: Wir brauchen Ihren Schutz nicht! Wir
wollen namentliche Abstimmung!)
Rösler von Oels. Nach der Motivirung des Herrn Jordan muß ich Ihnen
erklären, daß wir uns nicht fürchten vor dem Kugelregen, wie wir gestern bewiesen, ‒ und auch
vor keiner namentlichen Abstimmung. ‒
Baly verlangt namentliche Abstimmung für den 2. Punkt.
Präsident. Die ist zu spät! ‒ Es wird wie gewöhnlich abgestimmt. ‒ 2. Punkt mit Schaffraths
Amendement angenommen.
3. Punkt dito. (auch die Linke steht auf außer 8 bis 10 Mitglieder.)
Beseler stellt den Antrag heut die Versammlung zu schließen ‒
Angenommen.
Zugleich wird beschlossen die nächste Sitzung Morgen zu halten.
Uebermorgen Leichenbegängniß von Lychnowsky und Auerswald. ‒
Die Stadt ist ruhig, so ruhig wie ein Militärlager. ‒ Verhaftungen ‒
Soldatenherrschaft.
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@facs | 0543 |
[
*
] Rendsburg, 19. Sept.
Heute ist das Grundgesetz für Schleswig-Holstein amtlich publizirt
worden.
Französische Republik.
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@facs | 0543 |
[
17
] Paris, 19. Sept.
Der „Conrrier francais“ theilt die Kölner Adresse an die Versammlung ausführlich mit.
Mehrere Departementsblätter sprechen sich abermals aufs freudigste aus über „die entschiedenen
und taktvoll geführten Bestrebungen der Demokraten in Deutschland, welche bei der bösartigen
Zerrissenheit des Landes eine weit schwierigere Aufgabe haben als die jetzigen französischen.“
Le National de l'Quest (in Nantes) vergleicht erstere mit den französischen
Einheitsrepublikanern von 93; „wie diese unsere ewig ruhmstrahlenden Vorfahren, haben auch die
heutigen deutschen Demokraten das vielköpfige, giftgeifernde Scheusal des Föderalismus zu
bekämpfen; sie werden es, hoffen wir, mit Glück, und wie Theseus den Minotaur erschlug, wird
die junge Demokratie das alte thierische Sonderbundswesen zermalmen. Robespierre, St. Just,
Couthon, die gewaltigen Ritter vom Berge, haben gegen vier Fünftel Frankreichs gesiegt und
sind siegend verblutet; mögen unsere edlen deutschen Brüder ein Beispiel daran nehmen. Ihre
Rolle ist erhaben, ist welthistorisch; sie werden das feurige Schwert der Gleichheit, die
Donnerkeule der Freiheit zu schwingen haben gegen die Banditen und Ränkemacher der heiligen
Allianz, gegen die Bajonnete der Geldfürsten, gegen die Giftmischer des religiösen Aberwitzes
und der metaphysischen Pedanterie; sie werden gegen die Mongolen des Zaren ihre Blitze zu
schleudern haben, aber wie Erzengel Michael werden sie den Satanas überwinden. Dies Vertrauen
hegen wir zu der Ehrenhaftigkeit und Macht des deutschen verjüngten Nationalcharakters“ u. s.
w. ‒ Die Spannung, die etwas nachgelassen, beginnt wieder; die Wahlkämpfe in Paris sind heißer
gewesen als alle früheren; der Constitutionel heult: „wenn die rothen Kandidaten Cabet, Thoré,
Raspail in die Kammer kommen, dann ist alles aufs Spiel gestellt; zwar wird die honnette
Majorität sich von den drei Unruhstiftern nicht übermannen lassen, allein die Provinzen würden
tief betrübt, ja empört werden, die wahnsinnige Partei der Rothen würde neuen Muth schöpfen
und Juniscenen herbeiführen.“ Dies klingt ziemlich deutlich; noch
deutlicher der Aufruf des Marschall Bugeaud (er hat mindestens drei ankleben lassen) dieser
„Vater der Bauern, Soldaten und ‒ Arbeiter“ (die er in der Straße Transnonain massakrirte); es
heißt: „Ich erbiete mich zum Schwertführer der Republik aller honnetten
Leute, und kämen die Kommunisten wieder herangerückt, ich würde gern meinen letzten
Blutstropfen gegen sie verspritzen.“Dieser „Vater“ wird bereits offen in der
Deputirtenklike der Straße Poitiers, und deren saubern Blätter als Nebenbuhler dem General
Cavaignac entgegengehalten. „Hr. Thiers schwört zwar auf die Republik, aber er schämt sich
nicht gegen die energische Maßregel Cavaignac's 25 Volksrepräsentanten in die von
Königsspionen aufgestachelten Provinzen als Kommissäre zu senden, mit Händen und Füßen zu
opponiren. Ha! bis in den Staub schmiegte sich diese Thierspartei, mit gekrümmtem Rückgrat,
und grüßte mit Heuchlerrede den Sonnenaufgang der Volksherrlichkeit; warum heulen sie denn so
gegen Cavaignac's Maßregel?“ sagt Bareste in La Republique.“ ‒ In Rogent schreit man auf der
Straße: „es lebe Heinrich V., herunter die Republik.“ Der „Independant de l'Ouest“, ein
Legitimistenblättchen reinsten Wassers, jauchzt: „hier haben die Männer der Rechten über die
Liberalen gesiegt.“ In Ganges ward ein Bezirksrath dieser Partei unter dem Jubelruf: es lebe
der König! ernannt, man zog um Mitternacht die Glocken, trommelte, ließ Raketen steigen, und
ein Triumphbogen mit weißgrünem Papier und Lilienfahnen prangte. Cavaignac hat den
erzköniglichen Stadtrath in Montpellier aufgelöst; die Wuth des „Echo du Midi“ gränzt daher an
Epilepsie. „Die Honnetten allein sind Menschen, sind Christen“, kreischt es in seiner letzten
Nummer. ‒ In Paris kam es seit kurzem zu öftern Prügeleien, man fand sich beleidigt durch die
Impertinenz der Volksfeinde, die auf Straßen und im Kafé ihre Republik als „honnett“
proklamiren; ein Blousemann schrie: „also sollen wir wohl malhonnett sein?“ Honnetten
Bourgeois, die kommunistische Wahlaffischen abrissen, ward Hut und Rock weidlich zerklopft;
was der stets geistreiche Constitutionnel so erzählt: „ein kurzsichtiger Ehrenmann (sic!) hat
ohne böse Absicht mit dem Finger eine Affiche berührt um dadurch besser lesen (sic) zu können;
sofort ward er von entarteten (sic!) Handwerkern brutalisirt.“ Derselbe Constitutionnel sagte
früher: „ach, da sitzt ein Proudhon in der Kammer, und wem verdanken wir's? nur seinen
Wählern.“ Im Klub Bonne Nouvelle wurde dies Schmutzblatt neulich vom Präsidenten Bernard in
ganzer Niedertracht enthüllt, und der Saal brach fast zusammen vor endlosem Beifall; Bernard
zeigte sodann die Wahl der drei Volksmänner als unausbleiblich an, und zugleich eine endlose
Menge perfider und plumper Umriebe, z. B. wieder das Schließen der Einschreiblokale um 6 Uhr
statt um 8, die Austheilung von Zetteln mit den Namen zweier der
Volksmänner und dem eines Volksfeindes, u. dgl. Dieser Klub ist der
energischeste, er steht in direkter Verbindung mit den Delegirten der Arbeiterkorporationen
und demokratischen Associationen, die eine Affische erließen, worin sie sagen: „Volk, auf!
nicht zum Schlagen diesmal, zum Wählen. Du bist trotz deiner fünfzigjährigen Kämpfe wider die
Despoten immer noch elend. Warum? weil du nach deinem Siege dich jedesmal deinen Gegnern
anvertrautest. Volk! du hast seit Februar wenigstens Wahlrechte; und du brauchtest nur zu
wollen, da traten Lagrange, Proudhon, P. Leroux, Caussidiere ins Repräsentantenhaus… Laß jetzt
die drei an Stimmenzahl am 5. Juni reichsten eintreten: Cabet, Thoré, Raspail. Arbeiter, wer
von Euch einen zerfetzten Rock hat, aus Elend und Arbeitsmangel, der schäme sich deßhalb nicht
zur Wahlurne zu eilen. Bürgerinnen! ihr die ihr unsere Noth und Sorgen treulich theilt, stärkt
unsern Muth und Eifer, kommt mit uns bis zur Wahlurne. Und möge Niemand sagen: ich gehe nicht
stimmen, weil ich arbeiten muß; Freunde, diese Stunde Arbeitsverlust
wird Euch nicht gereuen. Hilf, dir, so hilft dir der Himmel, Volk! im Namen der
social-demokratischen Republik!“ Bernard empfahl ferner, an der Urne Tag und Nacht Wache zu
stehen, damit nicht „die honnetten Republikaner wie im April und Juni
mit langen Haken Votazettel herausfischen, auch beim Skrutiniren zugegen zu sein, damit nicht
wieder, wie in Courbevoie, dem Dr. Francois Raspail 390 Stimmen von seinen 490 gestrichen
werden, weil die Herren Skrutinirer Raspail Fs. für Raspail Sohn
([unleserlicher Text]) auszulegen beliebten, oder der Name Thiers 699 Male statt Thoré
punktirt werde, wie im 5. Bezirk letzthin.“
‒ Die Misere steigt, während „Perikles-Marrast“ 6000 Fr. Monatszulage fordert, „um durch
würdiges Repräsentiren die Ehre des Amtes zu wahren und dem Kommerz aufzuhelfen“ (wörtlich)
müssen die Garnisonssoldaten täglich etliche hundert Bettlerfamilien füttern, denen sie die
überschüssige Suppe hinausreichen. „Wir sind begierig auf den Winter, sagt La Republique, und
versprechen im Voraus den weisen Vätern des Vaterlands, den Priestern der Konkurrenz, den
Anbetern des Malthus, den Verhöhnern des Arbeits-d. h. des Lebensrechts, eine fröhliche
Rückkehr des Vertrauens.“
‒ La Reforme zeigt die Constituirung des „deutschen Vereins zu Paris“ in seinem Cirkular an,
und sagt: „Die hiesigen deutschen Demokraten haben jetzt eine Societät gebildet um mit ihren
Brüdern in Deutschland sich zu verbinden, welchem Schritte wir lebhaft Beifall zollen, denn
seine weitern Folgen können der Sache der europäischen Demokratie mächtig nützen“, während die
„Erenouvelle“ des Pater Lacordaire sagt: „unsere östlichen Nachbaren scheinen die ärgste Seite
unsrer modernen Geschichte, die Jahre 92 und 93, sich zum Muster zu wählen, und allerdings
steht von der Nation, die eine luther'sche Kirchenrebellion, eine kant'sche Vernunft- und
Glaubensrevolution, endlich einen zum Sozialismus führenden Pantheismus und Atheismus der Welt
schenkte, in diesem Jahre noch viel Gefahr zu befürchten.“
Nachschrift. Auf dem letzthin abgegangenen Eisenbahnzuge mit
„Juniräubern“ befinden sich die drei Deutschen: Peter Jakobs (Marmorsäger) aus Preußen,
Johannes Hattenhauer, 50 J. alt, (Schreiner) aus Vochlitz in Sachsen, Blank aus Rheinbaiern.
Da ist hohe Zeit, daß die demokratischen Vereine Deutschlands wegen dieser und der früher
transportirten Landsleute auf Einschreiten der Gesandtschaft in Paris dringen. Daß der
Murmelthierkönig Karl Albert, daß Leopold „auf breitester Basis“ die transportirten Savoier
und Belgier nicht reklamirt, darf keine Norm für das revolutionäre Deutschland abgeben.
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@facs | 0543 |
Paris, 19. Sept.
Der Wahlakt ist vorüber. Gestern Abend 9 Uhr wurden die sämmtlichen Listen geschlossen und
heute werden die Stimmen gezählt. Vor 4 Uhr dürfte jedoch schwerlich ein Resultat bekannt
werden.
‒ Der Wahlakt ging ohne Störung vorüber. Klubs und Straßen waren zwar bis tief in die Nacht
überfüllt; allein zu Störungen kam es nicht. Nur auf dem Platze Chatelet, nächst dem
Stadthause wäre beinahe Blut geflossen. Die Arbeiter hatten sich dort in Masse versammelt und
die Patrouillen trieben sie ziemlich ernst auseinander.
‒ 1 1/2 Uhr Mittags. Die Wahlen sind ganz bonapartistisch und roth ausgefallen.
‒ Gegen die Vorsitzer der beiden volksthümlichsten Klubs im Café Spectacle am Boulevard
Bonne Nouvelle und der Flitt'schen Reitbahn, Chaussee d'Antin, sind gewisser Anträge und Reden
halber Untersuchungen eingeleitet worden. Somit fände das berüchtigte Klubgesetz seine erste
Anwendung!
Auch gegen die Drucker des Blanqui'sche Plakats aus dem Donjon und einer Anempfehlung des
Prinzen Joinville zum Kandidaten der Nationalversammlung sind gerichtliche Schritte
geschehen.
‒ Die Gerber (corroyeurs) haben ihre Arbeiten eingestellt. Die Erbitterung unter ihnen soll
fürchterlich sein. Deshaies, der die größte Arbeiterzahl beschäftigt, hat die Polizei um
Schutzmannschaften gebeten, weil sie ihm drohte, seine Fabriken in Brand zu stecken.
In Elbeuf herrscht immer noch die größte Gährung unter den dortigen Fabrikarbeitern. Sie
sind wüthend, daß die Nationalversammlung das Arbeitsstundendekret vom 2. März abschaffte. Nur
mit unsäglicher Mühe gelingt es den Behörden die Ruhe aufrecht zu erhalten.
‒ Die Lyoner Schneiderwerkstätten arbeiten über Hals und
[0544]
Kopf an sardinischen
Soldatenröcken, deren sie an 50,000 zu liefern übernommen.
‒ In dem Marseiller großen Krankenhause Hotel Dieu ist eine Weiberrevolte ausgebrochen, die
nur durch Nationalgarde und Militär unterdrückt werden konnte.
Nationalversammlung. Sitzung von 19. September. Tagesordnung:
Präsidentenwahl und Diskussion des Lamoricierischen Auswanderungsplans nach Algerien.
Vicepräsident Malleville eröffnet die Sitzung und läßt sogleich zur Präsidentenwahl
schreiten. Zahl der Stimmenden 670. Absolute Mehrheit 336. Marrast erhält 527, Dusaure 54, Bac
50 und Lacroste 17 Stimmen Marrast wird sonach wiederholt zum Präsidenten ausgerufen. Die
Versammlung geht dann zur Berathung des Kredits von 50 Millionen Franken für Anlagen von
Auswanderungskolonien in Algerien über. Dieser Plan soll bekanntlich 15,000
Proletarierfamilien eine neue Heimath öffnen. Indessen zeigt sich die hohe Versammlung wenig
geneigt, der Debatte große Aufmerksamkeit zu schenken. Auf den Bänken entspinnen sich allerlei
Gespräche; Louis Napoleon sei in Paris und in einigen Departements fast einstimmig gewählt
worden, er sei in Boulogne schon gelandet, ferner werde die halbe Linke einem großen Banket am
22. Zum Andenken an die erste Einführung der republikanischen Staatsform beiwohnen u. s. w. u.
s. w.
Poujoulat unterstützt unter dieser allgemeinen Zerstreutheit den
ministeriellen Entwurf.
Didier bekämpft den Entwurf. Der Staat habe kein Geld, die Arbeiter
würden sich bald auf ihre nakten Arme beschränkt sehen. Lamoriciere habe den Plan in den
Mappen seiner Vorgänger gefunden. Derselbe sei so mangelhaft wie alle früheren, werde deshalb
ebenso fruchtlos ausfallen als sie. Kaum daß noch einige Dörfer von allen frühern,
kostspieligen Versuchen übrig blieben. Das einzige Mittel, wodurch der Plan gelingen könne,
sei die freie Assoziation aller Arbeiter unter einander, und die Erwerbung des Grundbesitzes
durch Arbeit, das aber habe der Minister aus dem Plan gestrichen.
Lamoriciere rechtfertigt sein Plan.
Bruner bekämpft den Entwurf: Man wolle die Uebervölkerung nach
Algerien schicken und sie dort niederlassen, werde man sich aber in den Erwartungen nicht
täuschen? Wird der Entwurf seinen Zweck erfullen? Er hält die 50 Millionen zum Fenster
hinausgeworfen. Bugeaud, Bedeau und Lamoriciere hätten Pläne vorgelegt, die einander
schnurstraks entgegenlaufen. Die Sache sei nicht grundlich geprüft und sehr zu überlegen.
Möntreuil will die Bühne besteigen. Man ruft aber: Schluß!
Schluß!
Die allgemeine Diskussion ist geschlossen.
Etienne stellt einen Zusatz der für dieses Jahr 5 Millionen
bringt.
Deslongrais unterstützt ihn.
Lamoriciere bekämpft ihn.
Dufaure im Namen des Ausschusses desgleichen.
Die Artikel I. bis III. werden angenommen. Letzterer mit einer unwesentlichen Aenderung.
Artikel IV., der vom Eigenthumsverhältniß handelt und von dem Recht, sich zu associren, ist
unstreitig der wichtigste.
de Rancé (aus Algier) versichert der Versammlung, daß sie den Segen
von ganz Algerien für diesen Paragraphen verdiene, so wie überhaupt für den ganzen
Kolonisationsplan.
Buchez trägt darauf an, das Prinzip der Association ausdrücklich
anzuerkennen.
Lamoriciere widersetzt sich der ausdrücklichen Anerkennung oder
Verpflichtung. Das Associationsrecht soll durchaus fakultativ für die Einwanderer bleiben. Die
Regierung widersetzte sich der Associarion nicht. Die Einwohner blieben darin völlig frei.
Die Versammlung trat dieser Ansicht bei. Artikel IV geht durch.
Die Diskussion der übrigen Artikel (V., VI., VII., VIII., IX., X., XI., XII., XIII.) bietet
wenig Erhebliches. Die Artikel werden fast wörtlich angenommen.
Ein 14. Artikel wollte eine Inspektionskommission für 1849 einsetzen, die sich vom Zustande
der Kolonien im Interesse der Auswanderer im nächsten Jahre an Ort und Stelle überzeuge.
Nach einigen Erörterungen zwischen Dufaure und Lamoriciere wurde der Artikel fallen
gelassen.
Das ganze Gesetz ist angenommen.
Senard, Minister des Innern, legt einen Gesetzentwurf über die
Nationalbelohnungen für die Februarkämpfer vor.
Die Sitzung wird um 6 1/4 Uhr geschlossen.