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[Fortsetzung] Frauen verübt worden Sie hat nur dem dynastischen
Interesse gedient, ein Interesse, das jetzt nur mehr durch Standrecht und Blut zu erhalten
ist.
Latour, die Hand in der Tasche: Die geehrten Redner hätten sich
darauf beschränken sollen, ihr Gefühl zu fragen; sie Alle müssen damit einverstanden sein, daß
unsere mit Lorbeeren gespickte (!) Armee bei der Rückkehr in die Heimath von Frau und Kind,
Bruder und Freund mit Jauchzen begrüßt werde. Es handelt sich hier nicht darum, die
politischen Verhältnisse zu erörtern, es handelt sich blos um die Verdienste der Armee.
Füster. Das demokratische Prinzip ist Lebensprinzip des Reichstags;
aus ihm mögen und dürfen sich nur alle Funktionen des Reichstags entwickeln. Der italienische
Krieg ist ein trauriges Erbstück des Absolutismus; denken Sie an die 500 Szegedin gehaltenen
Gefangenen! Wenn Sie ein Dankesvotum aussprechen, so treten Sie das demokratische Prinzip mit
Füßen; Sie gerathen in Widerspruch mit Ihrer Entstehung und in Kollision mit dem, was Sie
sind.
Borrosch: Mit meinen Feinden weiß ich fertig zu werden, Gott hüte
mich vor meinen Freunden! Ich bin entrustet über Lasser's Beschuldigungen; doch die Linke muß
sich allezeit gefallen lassen, linkisch angegriffen zu werden. Er vertheidigt die
Journalisten-Bank, zu der man hier nicht reden dürfe, weil sie schweigen müsse. ‒ Wer von dem
Reichstag ein Dankesvotum begehrt, appellirt nicht an sein Gefühl, sondern an seinen
parlamentarischen Verstand; die Armee muß sich dies gefallen lassen, sie muß sich überhaupt an
konstitutionelles Leben gewöhnen. Das Ministerium wurde nicht verfehlen, den Dank als
Vertrauensvotum für die italienischen Angelegenheiten zu interpretiren. Die Armee kennt noch
immer keinen andern, als den Fahneneid des Absolutismus (Schallender Beifall.) Sie muß erst
jeder Verdächtigung enthoben werden, als könnte sie ein blindes Werkzeug wider die Freiheit
bleiben.
Der Präsident will die Sitzung auf Morgen vertagen, als Latour auf die Tribüne tritt.
Latour. Schon vor einer Stunde habe ich mittheilen wollen, daß die
Stadt in großer Aufregung ist und ein Aufstand sich vorbereitet. Man will von der Aula aus
nicht nur das Ministerium, sondern auch den Reichstag stürzen und sprengen. Die National-Garde
rückt nicht aus, ich sehe mich genöthigt, Militär einrücken zu lassen. (Furchtbarer Lärm, der
Präsident ersucht die Abgeordneten auf ihre Plätze zu gehen)
Löhner: Ich trage darauf an, daß der Reichstag sich für parmanet
erkläre.
Es geschieht.
Latour (auf der Tribüne) liest einige Anzeigen über das Treiben der
Aula und über das Nichtausrücken der Nationalgarde ab. Es ergibt sich aber auf Befragen mehrer
Abgeordneten, daß diese Anzeigen keineswegs vom Ober-Kommando der Garde gekommen, sondern daß
es nur anonyme Briefe sind. (Erstaunen, Latour verspricht nahere Berichte)
Präsident. Der Abgeordnete Goldmark ist der nächste eingeschriebene Redner.
Goldmark redet über die italienische Dankadresse. Viele Abgeordnete
entfernen sich. Unterbrechung
Bach erklärt nach einer halben Stunde, der Abgeordnete Füster sei
mit andern im Ministerium gewesen und habe die Wiederherstellung des Sicherheitsausschusses
beantragt, sei aber von dem Ministerium abgwiesen worden. (Beifall.)
Sierakowski beantragt, daß das Militär nur auf Requisition des
Reichstags erscheinen dürfe; daß der Sicherheitsausschuß wieder herzustellen sei, daß die
Oberkommandanten der Nationalgarde und Legion vor dem Hause zu erscheinen hätten, um Auskunft
zu geben
Peutscher. Ich komme so eben von der Aula; es ist keine Silbe von
den Absichten wahr, die der Kriegsminister ihr angedichtet; er hat uns wollen ins Bockshorn
jagen; wir müssen seine Angaben für eine Lüge erklären.
Bach Es scheint ein Mißverständniß obzuwalten.
Jonak [Bohemien]. Die Gründe der Permanenz haben also aufgehört; ich
trage auf ihre Aufhebung an; das Ministerium mag seine Feuerprobe bestehen; es sind keine
neuen Sicherheitsorgane nöthig.
Schuselka für die Permanenz; Rieger fordert
das Ministerium zur Erklärung auf.
Bach. Wir haben keine anderen Berichte mehr erhalten, Schuselka's
Besorgnisse sind also ungegründet. Wir werden streng und gewissenhaft verfahren. Klagt zum
Schluß über die fortwährenden Angriffe der Presse.
Paul.
Wir haben Offiziere gesagt, die Mediziner hätten gedruckte Zettel vertheilt, auf welchen die
Herstellung des Sicherheitsausschusses verlangt werde.
Klaudi und Tropau für die Permanenz bis zu
neuen Berichten.
Borrosch. Ich glaube nicht an die anarchischen Absichten einer
Partei, aber ich glaube daran, daß die Reaktion uns auch im parlamentarischen Kampfe umringeln
will.
Schuselka protestirt gegen Witzreißen in so ernstem Augenblicke.
Borrosch. Sollte die Reaktion so einfältig sein, nicht zu wissen,
daß ein Gewaltstreich mit einem Blutbad in allen Provinzen beantwortet würde?
Löhner für Permanenz, sonst Abstimmen durch Namensaufruf.
Ein Abgeordneter bringt eine Proklamation und übergibt sie dem Präsidenten.
Präsident liest: Bürger Wiens! Nur eins kann uns retten, die
Wiederherstellung des Sicherheitsausschusses u. s. w.
Jude Mayer. Nur außerordentliche Umstände lassen eine Permanenz zu.
Schwarzer. Das Militär erscheint nur auf ausdrucklichen Befehl der
Nationalgarde.
Rieger.Dann müssen wir beisammen bleiben.
Es ist 4 Uhr. Vertagung auf 1/2 Stunde.
Hornbostel. Handelsminister. Die Stadt ist ruhig; die Garde ist gut.
Ob die Ruhe wieder hergestellt wird, weiß ich nicht.
Eine Adresse des Ausschusses der Studenten Wiens langt an und wird verlesen:
Der Ausschuß setzt zur Vermeidung von Verdächtigungen den Sachverhalt über die Vorgänge auf
der Universität auseinander. Die Aula sei seit einigen Wochen für's Volk geschlossen gewesen
und nur zu Studentenversammlungen geöffnet worden, die dort Beschlüsse gefaßt habe. Die
Akademie habe dagegen protestirt. Sie habe die Anschuldigung des Kriegsministers so eben
vernommen und gebe die Versicherung, daß sie keine Störung bezwecke, jedoch laut die
Herstellung des Sicherheitsausschusses verlangen müsse. Die Adresse schließt mit der
Versicherung, daß die akademische Legion den Reichstag mit ihrem Leben schützen wurde.
(Allgemeiner Beifall).
Schuselka: Der Kriegsminister ist aufzufordern, woher ihm die
anonymen Zettel zugegangen seien, durch welche die akademische Legion verdächtigt worden?
Brauner: Mir genügt die Erklärung des Ministers nicht; die Permanenz
dauere fort.
Rieger: Schicken wir eine Deputation an die abwesenden Minister.
(Oho! Nein!)
Außer Schwarzer und Hornbostel ist nämlich seit Stunden kein anderer Minister mehr
anwesend. Mit Stadion ist Furst Lubomirski Arm in Arm abgegangen.
Hornbostel: Wenn der Reichstag will, daß die Minister erscheinen, so
werde ich sie rufen.
Pause. Wiedereröffnung 5 1/4 Uhr.
Hornbostel: Auf dem Hof hat vor dem Kriegsministerialgebäude eben
ein Zusammenstoß stattgefunden. Garden und Akademiker, den bewußten Zettel auf den Czatos,
sind dorthin gekommen und haben einen Angriff gewagt. Es scheint, man will den
Sicherheitsausschuß mit Gewalt durchsetzen. Die Minister werden erscheinen, sobald es möglich
ist.
Um 5 3/4 Uhr.
Minister Schwarzer: Vor einer halben Stunde drang ein Hause von 30
bis 40 Individuen, Zettel auf den Hüten, über den Hof durch das Carree der Nationalgarde;
einige wurden verhaftet. Darauf erschien ein Trupp von 500 Bewaffneten, denen 400 andere
folgten; alle mit den Zetteln. Sie stellten sich dem Kriegsgebäude gegenüber auf. Der
Ministerrath erließ eine Aufforderung zur Abnahme des revolutionairen Abzeichens.
(Zischen).
Schwarzer(mit barscher Gemeinheit): Ja, es kann nur ein
revolutionaires Zeichen genannt werden. Maßregeln zur Entwaffnung sind getroffen. Selbst der
Oberkommandant der Nationalgarde hatte das Zeichen aufgesteckt Es ist möglich, daß ein
Konflikt entsteht.
Löhner: Ich beantrage, daß der Minister diesen Bericht schriftlich
deponire. Sind alle bewaffnet gewesen?
Schwarzer: Beide Schaaren waren bewaffnet; die Minister können nicht
erscheinen.
Der Antrag Löhners wird unterstützt.
Präsident: Sollen weitere Mittheilungen abgewartet werden.
Angenommen.
Mayer: Wir müssen mit Namensaufruf abstimmen, ob der
Sicherheitsausschuß, wie es Sierakowski beantragt, wieder erstehen soll.
Sierakowski giebt eine Geschichte des Sicherheitsausschusses und
schildert sein gutes Wirken.
Doliak (Beohmien): Der Sicherheitsausschuß war eine Behörde der
Unordnung; [von allen Seiten: Nein, nein!] er hat die guten Behörden gestört. [Oh! Oh!] In den
Provinzen herrschte wegen seiner Anmaßung nur eine Stimme, daß er aufgelöst werden müsse. [Oh!
Oh! Zischen]
Es ist 7 Uhr. Der Reichstag sendet eine Deputation in die Aula und eine an den
Kriegsminister zum Zurückziehen des Militairs.
Acht Uhr.
Hornbostel: Es hat sich nicht bestätigt, daß Barrikaden gebaut
werden; nur in der Wollzeile sind Versuche dazu gemacht worden.
Goldmark [aus der Aula kommend]: Je näher der Universität, um so
mehr Menschen; die Nationalgarde schließt sich der Universität immer mehr an. Ich wurde mit
Jubel empfangen. Man hat keine republikanische Bewegung vor. Das Militair zieht theilweise ab.
Wegen des Militair nur wollte man Barrikaden bauen, um die Universität zu schützen und die
Auflosung der akademischen Legion zu verhindern.
Lotzel: Ich komme vom Kriegsministerium. Das Militair wird sich
allmählig zurückziehen.
Schwarzer: Die Ordnung ist gestört worden, aber den Ministern ist
der Gedanke fern, durch Militair die Freiheit zu beeinträchtigen. Zu rasches Zurückziehen
würde aber zu falschen Annahmen verleiten. Auch die Nationalgarde müsse sich zurückziehen. Die
Bewegung ist angelegt worden. [Von dem Ministerium.]
Goldmark: Wir haben also lauter falsche Angaben erhalten; das
Ministerium hat noch gar nichts klar gemacht. Wir haben beschlossen, daß das Militair sich
sogleich entferne; unser Beschluß muß Wort für Wort ausgeführt werden; kein strategisches
Zurückziehen dürfen wir dulden. Es sind noch Grenadire eingerückt. Smolka's Antrag auf
Entfernung des Militairs muß ganz vollstreckt werden.
Pinka [Bohemien]: Es wird auch sogleich zurückgezogen.
Ein Bauer: Der Stephansplatz ist noch voll von Militair.
Lotzel: Der Kriegsminister hat den Befehl zum Zurückziehen des
Militairs vor unsern Augen erlassen.
Pause 8 3/4 Uhr. Die Kommission kommt aus der Aula zurück.
Borrosch: Auf dem Stephansplatz standen Militairmassen; sie gaben
uns ein Geleite, das wir ablehnten, um kein Mißverständniß zu veranlassen. Auf der Aula wurden
wir mit Jubel empfangen. Die Aula hat Vertrauen zum Reichstag, sie will die Ruhe aufrecht
erhalten [Bravo. Applaus], sollte der Reichstag auch ihren Wünschen in Betreff des
Sicherheitsausschusses nicht entsprechen. [Allgemeiner Beifall].
Schuselka: Die Aula hat auch Forderungen; sie will den
Sicherheitsausschuß; sie will, daß die Verdächtiger vom Reichstag in Anklage versetzt werden.
Borrosch: Wir haben erklärt, daß der alte Sicherheitsausschuß nicht
wieder herstellbar sei, daß aber einer aus dem Reichstag erstehen würde.
Rieger: Das konnten wir nicht im Namen des Reichstags erklären.
Borrosch: Ein Gemeinderath mit dem Vertrauen des Volks existirt in
diesem Augenblicke nicht; die Polizeigewalt ist doch wahrlich keine Behörde, die Vertrauen
hat! Hätten wir eine Sicherheitsbehörde, dann würden keine Zettel ohne Unterschriften uns
zukommen.
Es ist 9 Uhr. Eine Pause tritt ein.
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[
61
] Wien, 14. September.
Die Stadt hat heute wieder ihr gewöhnliches Ansehen. Nachdem gegen 10 Uhr gestern Abend die
Deputation, welche der Reichstag an den Kriegsminister gesendet hatte, um die Ausführung des
Beschlusses, ‒ Zurückziehen des Militärs ‒ zu überwachen, wieder zurückgekehrt war und das
wirklich erfolgte Abziehen der Soldateska gemeldet hatte, wurde die Permanenz um 10 1/2 Uhr
aufgehoben.
Einen Augenblick schien es, als breche der Sturm in der That los. Meines Erachtens würde der
Sieg schließlich auf der Seite des Volkes gewesen sein. Die Nationalgarde der Vorstädte, als
sie das Militär erblickte, entschied sich immer mehr für die Universität; aber man hatte sie
fern davon aufgestellt, während um die Universität in der nächsten Nähe nur Militär und die
Nationalgarde der Stadt standen.
Soviel steht fest, die Latour's, Bach's und ihre Handlanger hatten schlimme Nachrichten aus
Ungarn erhalten, wo das Ministerium bis auf Koffuth und Szemern nach dem Wiedereintreffen der
Wiener Deputation abgedankt hat, um erstern mit der Allgewalt der Diktatur auszustatten. Sie
wollten hier einen raschen Sieg feiern, um alle ihre Kräfte gegen Ungarn wenden und nach
dessen Besiegung Italien's wegen den Franzosen gegenüber den Kopf in den Nacken werfen zu
können; denn eine andere Bedeutung hat die Annahme der Mediation Frankreich's nicht, als
Zeitgewinn.
Koffuth bildete sich aus Mezaros, Pazmandi, Ryari und Peronyi ein neues Ministerium und
erklärte der Gutheißung des Palatins nicht zu bedürfen. Er ließ sich vom Hause sofort das
Banknoten-Emissionsgesetz mit 61 Millionen, das Rekrutirungsgesetz zu einer rein magyarischen
Armee, die Schadloshaltung für aufgehobene Fendallasten u. s. w. bestätigen.
Dem Palatin Stephan war von den Verfügungen des Hauses Anzeige gemacht worden; er soll der
Deputation geantwortet haben, daß er die Gesetze kenne und beobachte; er sehe in der
Bestätigung vorstehender Gesetze durch das Haus, sowie darin, daß man, ohne ihn zu fragen,
Minister ernannt habe, ein Mißtrauen, welches allein ihn nöthigen könnte, sein geliebtes,
angebetetes Vaterland zu verlassen; er erklärt, daß das Haus, solange es sich innerhalb der
Gränzen der Gesetzlichkeit bewege, eine feste Stütze an ihm haben werde, darüber hinaus aber
durchaus nicht. Diese Antwort erregte im Hause allgemeine Mißstimmung und ein nicht enden
wollendes Elgen für Koffuth.