Deutschland.
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Edition: [Friedrich Engels: Die Freiheit der Beratungen in Berlin. In: MEGA2 I/7. S. 717.]
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**
]
Köln, 16. September.
Es ist in der kontre-revolutionären Presse seit dem Eintritt der Krisis fortwährend
behauptet worden, die Berliner Versammlung berathe nicht frei.
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*
] Köln, 16. Sept.
In Nr. 101 fehlt unter den rheinischen Abgeordneten, welche für den Stein'schen Antrag
gestimmt, Hr. Schwickerath, Deputirter für den Kreis Prüm. Dies zur
Ergänzung der ebengedachten Liste mit dem Bemerken, daß Hr. Schwickerath stets mit der Linken
votirt hat.
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!!!
] Frankfurt,14. September.
77. Sitzung der National-Versammlung. Beginn 1/2 10 Uhr. Präsident v. Gagern. Tagesordnung:
Berathung über die Waffenstillstandsfrage. Tribunen und Gallerien (so weit sie nicht kastrirt)
sind gedrängt voll. Auf dem durch Beschluß der National-Versammlung geräumten Theil der
Gallerien stehen Stühle für eximirte (?) Zuhörer.
Präsident verliest unter tiefster Stille die Anträge der Majorität
und Minorität der beiden Ausschüsse.
Hierzu kommen vermittelnde Amendements von v. Lindenau, Franke u. a.,Wedekind u. a., Winter,
Jahn (Gelächter), Adams, v. Maltzahn und mehrere u. s. w.
Vor Beginn der Verhandlung beantragt Wesendonk: Die
National-Versammlung solle von allen (pro et contra) eingelaufenen Petitionen in Kenntniß
gesetzt werden, deren Art, Anzahl der Unterschriften und Anträge verlesen werden.
Präsidentverspricht dies im Laufe der Verhandlung zu thun.
(Widersprüch: links: Gleich! Alle! Gleich!)
v. Lindenau (unter fortwährendem Rufe: Laut! Laut!) erklärt (so viel
zu verstehen möglich: „daß er weder mit der Majorität noch der Minorität der Ausschüsse
stimmen könnte, deshalb einen eignen vermittelnden Antrag stellt. Von der Motivirung seines
Antrags versteht man nichts, „Ehre Deutschlands“ höre ich oft erwähnen. (Schluß!)
SekretairBiedermannverliest von Lindenau's Anträge, welche
lauten:
1. daß die im 3. Satz des Art. VII. angeordnete Aufhebung der seit dem 17. März 1848 für die
Herzogthümer erlassenen Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaßregeln wegfallen soll;
2. daß die Vorstände derjenigen Kommissionen, die zur interimistischen Verwaltung von
Schleswig-Holstein und Lauenburg, von den Königen von Preußen und Dänemark niederzusetzen
sind, von der National-Versammlung ernannt werden;
3. daß über die Friedensverhandlungen nach Anleitung des in der W. S. A. Art. 48. 49.
enthaltenen Vorschriften, von der Centralgewalt, unter Theilnahme der National-Versammlung
verhandelt werden möge.
Heckscher(Exminister): Mit schmerzlicher Ungeduld habe ich dieser
Stunde geharrt. Der Friede Europas, die Einigkeit Deutschlands, Glück und Wohlfahrt der
Herzogthümer; Geist und Richtung des künftigen Ministeriums hängen von ihr ab. Ich empfehle
ihnen zweierlei: 1. daß uns kein definitiver Friedensschluß vorliegt; 2. daß vom Ministerium
die Krone Preußens beauftragt war, einen Waffenstillstand zu schließen, daß nicht die
Centralgewalt ihn abgeschlossen. Heckscher liest seine ganze Rede mit brechender Stimme ab. Er
geht die Präcedentien mit äußerster Breite durch. Preußen hatte versprochen, so viel als
möglich an den zu Bellevue festgestellten Bedingungen im Wesentlichen festzuhalten. Darauf hin
(d. h. auf dies Versprechen Camphausens) hat der Reichsverweser die Vollmacht ausgestellt. Und
zwar nur unter obiger Voraussetzung hat er die Vollmacht ertheilt. Heckscher rechtfertigt die
(wie er sagt, vielfach mißverstandene) Sendung des Herrn Max Gagern. Er sollte sich nur in der
Nähe aufhalten; denn nach der Vollmacht wäre es unschicklich gewesen, sich in di Verhandlungen
selbst einzumischen. (Gelächter) Er sollte auch die Notisie kationen der Centralgewalt der
dänischen Regierung (trotz des Krieges) übergeben, um dadurch wo möglich zu influiren. Ueber
die Zusammensetzung der Regierungskommission für die Herzogthümer, glaubte die Centralgewalt,
wäre es besser, sich gleich in Bezug der Personen zu einigen ‒ ein Prinzip, nach welchem die
Zusammensetzung statt fände, nicht erst festzustellen. ‒ Ueber die Sistirung der
konstituirenden Versammlung in den Herzogthümern während des Waffenstillstandes sucht der
Exminister das Ministerium und Hrn. Camphausen zu rechtfertigen. Seine Beweisführung ist die
eines [Fortsetzung]
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@facs | 0521 |
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@facs | 0521 |
Leben und Chaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.
(Fortsetzung.)
Es ging Herrn v. Schnapphahnski wie den jungen Katzen, die sechs Mal aus der Dachrinne in
die Straße hinunterpurzeln können ohne den Hals zu brechen. Unser Ritter besaß wirklich vor
allem Andern die Eigenschaft, daß er ein unbeschreiblich zähes Leben hatte.
Nach so fatalen Niederlagen, wie sie unser Held in München und Wien erfuhr, würde jeder
andere Mensch nach Indien, nach Amerika, oder nach einem Eiland des stillen Oceans gereist
sein. Nur ein Schnapphahnski durfte noch hoffen, auch an einem andern Orte eine Rolle spielen
zu können.
Der Ritter konnte sich gratuliren, daß er deutscher Abkunft war, oder eigentlich
wasserpolakischer. Wäre er als Pariser oder Londoner einmal in recht Schnapphahnski'scher
Weise durchgefallen, so würde er sich schwerlich so schnell wieder erholt haben. Bei den
vielen Höfen des deutschen Vaterlandes wußte sich der erfinderische Mann aber schon eher zu
retten, und Gott weiß es, zu welchen verwünschten Prinzessen er sich noch hinabgelassen hätte,
wenn nicht um die Mitte des Jahres 1840 durch den Tod eines großen Monarchen plötzlich so
viele Hindernisse für unsern Helden aus dem Wege geräumt worden wären, daß er schnell wieder
den Plan aufgab, sich einstweilen nur in den mehr verborgenen Sphären des germanischen Adels
herumzutreiben, und es abermals wagen zu können glaubte, sogar in Berlin sein holdes Antlitz
von Neuem sehen zu lassen.
Sollte man es glauben? Schnapphahnski wieder in Berlin! ‒ Man wird über die Keckheit unseres
Helden lachen, wenn man bedenkt, wie schmählich er das dortige Feld einst räumen mußte. Wurde
nicht das Abentheuer aus O. in Schlesien und das Duell aus Troppau noch manchmal bei Hofe
erzählt? Lächelte nicht Carlotta noch immer so selig von der Bühne hinab in das Parquet, wo
der Adonis der Garde stand, und wußte man nicht noch allerwärts die rührende Geschichte jener
armen Tänzerin, die sich gerade so großmüthig von des Ritters Diamanten trennte, wie der
Ritter die Tänzerin ungroßmüthig im Stiche ließ? Aber alles das machte nichts. Der Ritter war
davon überzeugt, daß noch etwas aus ihm werden könne. Sein gewaltigster Feind war dahin; neue
Gesichter verdrängten die alten, und unser Held hätte nicht Schnapphahnski heißen müssen, wenn
er nicht versucht hätte, die Wendung der Dinge auch für sich zu exploitiren. Keck setzte er
den Fuß wieder in das Berliner Leben.
Schnapphahnski mußte etwas wagen, denn er hatte drei Sachen nöthig, drei Dinge die man
ungern im Leben zu entbehren pflegt. Unser Ritter bedurfte des Vergnügens, der Ehre und des
Geldes; nach dem letzteren sehnte er sich am meisten. Für das Vergnügen war in Berlin schon
gesorgt; Ehre konnte der Umschwung der politischen Zustände mit sich bringen; mit dem Gelde
sah es am schlimmsten aus, und kopfschüttelnd dachte unser Ritter bisweilen an das alte
Sprüchwort: „Wo Geld ist, da ist der Teufel; aber wo kein's ist, da ist er zwei Mal.“
Ueber die Geldverhältnisse unseres Helden finden wir in den schon erwähnten Dokumenten die
genauesten und wichtigsten Aufschlüsse. Wir würden unserm Freunde gern die Demüthigung
ersparen, so vor allem Volke seine Tasche umzukehren. Leider sehen wir uns aber gewissermaßen
dazu gezwungen, denn die spätern Liebesabentheuer unsers Ritters stehen in so genauem
Zusammenhange mit seinem Beutel, daß wir wirklich das Eine nicht ohne das Andere schildern
können.
„Die in der Wasserpolackei gelegenen Güter Schnapphahnski's“ ‒ heißt es in unsern Notizen ‒
„waren fast gänzlich ertraglos, da enorme Schulden auf ihnen lasteten; Schulden, die dadurch
täglich stiegen, daß der edle Ritter auch nicht im entferntesten nur so viel Einkünfte besaß,
als zur Bezahlung der Hypothekenzinsen nöthig waren. Der Vater Schnapphahnski's schaffte sich
einen Theil dieser Schuldenlast auf höchst geniale Weise vom Halse, indem er sich seiner
Zeitfreiwillig interdicirenließ. Die Güter gingen durch dieses
Manoeuvre auf den damals noch blutjungen Ritter über, der die Schulden des Vaters nicht
bezahlte, da Majorate nicht angreifbar sind und selbst auf die Revenuen derselben nur so lange
von den Gläubigern gerechter Anspruch gemacht werden kann, als der eigentliche Schuldner Herrdes Majorates ist.
Durch dieses feine Finanzkunststück der Familie Schnapphahnski war zwar mit den Schulden
großentheils tabula rasa gemacht und manche bürgerliche Canaille ruinirt worden. Aus Mangel an
jedem Betriebskapitale geriethen indeß die Güter sehr bald wieder in die alte Lage. Alle ihre
Einkünfte wurden abermals verpfändet und der ganze Besitz war wiederum von Hypotheken
erdrückt. An und für sichsind die Einkünfte dieser Güter sehr
bedeutend.
Tzztzztzzt ‒ hier trägt das Manuscript einen unaussprechlich schönen, wasserpolakischen
Namen, den wir dem Scharfsinn unserer Leser zu buchstabiren überlassen ‒ also, an und für sich
sind die Einkünfte dieser Güter sehr bedeutend. Tzztzztzzt hat in ganz Deutschland die beste
Zucht von Merino-Mutterschaafen und Böcken ‒ „ich bitte meine
freundlichen Leserinnen höchst aufmerksam zu sein, da meine Skizzen über Herrn v.
Schnapphahnski in diesem Augenblicke sehr belehrend werden ‒ „diese Merino-Mutterschaafe und
Böcke werfen allein jährlich einen Ertrag von 60,000 Thlrn. Revenue ab, von denen Se.
Hochgeboren indeß damals nicht einen Heller besah.“ ‒
Armer Schnapphahnski! Für 60,000 Thaler Schaafe und Böcke und dann nicht einmal einen
Pfennig Einkommen. ‒ Das ist unbegreiflich, das ist entsetzlich! Uebrigens hat die Geschichte
etwas [Fortsetzung]
[Deutschland]
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@facs | 0522 |
[Fortsetzung] Tertianers Man hätte es gefährlich erachtet,
Beschlüsse fassen zu lassen von der konstituirenden Versammlung, während man noch nicht einmal
wisse, wer in dem Lande Befehle zu geben haben würde. Er beleuchtet die Frage: wie es damit
steht, daß Preußen eine unumschränkte Vollmacht erhalten habe, wie das Berliner Ministerium
behauptet hat.
Das Reichsministerium konnte die Hoffnung hegen auf eine Identitätsbill der
Nationalversammlung bei Ertheilung der Vollmacht, da ja am 9. Juli sogar der etwaige Friede
mit Dänemark ganz in die Hände der Centralgewalt gelegt worden ist. (Vor der Kirche Tumult.
Die Versammlung zeigt Theilnahmlosigkeit und Unruhe.) Er sucht die Vorwürfe zu widerlegen, die
man in Bezug auf die Vollmacht dem Reichsministerium gemacht hat. Preußen habe ja nie das
Vertrauen Deutschlands verscherzt. (Unruhe.) Auf den Vorwurf: warum das Ministerium nicht
selbstständig über Annahme oder Nichtannahme beschlossen hätte, antwortet er: verwerfen
konnten wir ihn nicht aus höhern (und deshalb unsichtbaren!) Gründen für das Wohl
Deutschlands; annehmen auch nicht. Geht zur Prüfung des Waffenstillstandes selbst und nimmt
die einzelnen Bedingungen durch, die er nach alter Advokatenmanier zu rechtfertigen sucht.
Bezüglich der 7 Monate ist die Centralgewalt auf den ersten Anblick schmerzlich überrascht
gewesen. Preußen, so meine ich, war sogar selbst überrascht. (Gelächter!) Als Grund giebt man:
Schweden habe genügende Zeit verlangt, um seine Truppen zu dispansiren. (Gelächter.) Auch in
der Trennung der schleswigschen Truppen von den holsteinischen findet er keinen Grund zur
Unzufriedenheit, vielmehr findet er dies sehr gut, um die dänischen Elemente von den deutschen
zu trennen!
(Sehr gut!) In Bezug auf Artikel VII., die Administration der Herzogthümer: Auch uns war der
Artikel unwillkommen, aber man muß billig sein. Moltke hätte mit Recht Unzufriedenheit erregt
(Wahrhaftig!) Gegen die anderen Regierungsmitglieder nichts Wesentliches zu erinnern. Aus
seiner Beleuchtung müsse es klar geworden sein, daß das Ministerium für Annahme des
Waffenstillstandes stimmen mußte. Die Nachtheile des Gegentheils sind: 1. Bruch mit Preußen,
dessen Ehre verpfändet. (Unterbrechungen. Tumult an der Kirchenthür.) „Preußens Ehre ist
gewissermaßen engagirt,“ dies sind die Worte des Exministers. 2. Zerrissenheit, Entzweiung
Deutschlands. 3. Die Fortführung der Krieges etc. bei Fortführung des Krieges zu Gunsten
Preußens. (Links: Nein!)
Ich stehe hier im Bewußtsein, nie und nimmer in meiner Amtsführung gefehlt zu haben. Der
deutsche Gesandte in London, und der offiziöse Gesandte Englands hier, werden mir (mit
weinender Stimme) das Zeugniß geben. Zum Schluß heult Hr. Heckscher, weil kein anderes Mittel
ihm übrig bleibt. (Fortwährender Tumult vor der Kirche.) Alle Mächte Europas haben mit Krieg
gedroht. Keine Drohung gilt bei mir, aber das Wohl Deutschlands. Bedenken Sie, daß ein
Waffenstillstand kein Friede ist. Ich begreife nicht, wie die deutsche Ehre dadurch verloren
gehen kann. (Gelächter.) Selbst wenn kein Krieg zu fürchten, müssen wir Rücksicht nehmen auf
die andern Länder Europas, in deren Verband Deutschland als Neuling tritt. (Zischen.) Endlich
sucht er noch durch ein Rechenexempel zu beweisen, daß die Majoritöt des Ausschusses keine
Majorität sei, weil er nicht mitgestimmt.
Vogt: Ich bitte die Namen der Redner zu verlesen. ‒ Gagern: Nein! ‒
(Auf dem Platz des Herrn Radowitz sitzt ein Sekretär der emsig nachschreibt.‒ Radowitz selbst
fehlt.
Venedey wird weniger von der Ehre Dänemarks, (wie Heckscher) als von
der Ehre Deutschlands sprechen. ‒ Wird auch die Aktenstücke durchnehmen und das Gegentheil von
Herrn Heckscher beweisen! ‒ (Die Bänke ken der Abgeordneten lichten sich.) v. Arnim (früher
Gesander in Paris) und Wrangel erwähnt er rühmend in dieser Sache. ‒ Aus einer Note Bunsen's
beweist er daß derselbe, einer der besten Staatsmänner Deutschlands, die Bedingungen des
Waffenstillstandes für ganz verwerflich erklärt hat. (Links: Hört! Hört!) ‒ Auerswald in einer
Note spricht von der Centralgewalt und National-Versammlung als von einer dritten Macht, die
sich in diese Angelegenheit mischt. ‒ Er hat sich auf den Standpunkt des Auslands in dieser
Frage gestellt. ‒ Von Allem spricht er darin, nur nicht von Uns! ‒ Ebenso verhält es sich mit
Herrn Camphausen. ‒ (Während der Rede Venedeys gehen die meisten Volksvertreter spazieren.)
Die auswärtigen Mächte alle, glauben mit uns wohlfeiles Spiel zu haben, man verachtet uns, man
tritt uns auf den Füßen herum. (Schallendes Bravo auf den Gallerien.) Wer die Vollmacht
gemacht und gegeben hat, hat unser erstes Recht mit Füßen getreten. (Sehr gut!) Heckschers
Vertheidigung des alten Ministeriums sei so schwach, daß er sich scheue dasselbe noch
anzugreifen. ‒ Mit Max von Gagern habe man sein Spiel in Schleswig getrieben. ‒ Wenn es uns
nicht gelingt, uns wieder Achtung zu verschaffen, wird es mit der Achtung Preußens auch
vorüber sein. Preußen ist nur eine deutsche Provinz. (Schallender Beifall) Präs: der Beifall
der Gallerien ist verboten. Einer auf der Gallerie ruft: (Nicht verboten und wird von den
Constablern heraus geschmissen! ‒)
Arndt.(Aufregung.) Diesseits und jenseits ist in meiner Abwesenheit
in dieser Sache geredet worden. Heute z. B. von dem wailand Reichsminister Heckscher.
(Gelächter.) Ich will nur von der Stellung des Hauses in dieser Sache sprechen. Er denkt mit
Wehmuth an die Küstenländer, in denen er geboren ist. ‒ Unser Zustand des Augenblicks hat mich
bewegt in dieser Sache meine Meinung zu ändern.‒ Seit vierzehn Tagen haben wir keine
Regierung, kein Ministerium! (Gelächter ‒ ) Dies ist ein gefährlicher Zustand. ‒ In großen
Gefahren hat mein altes Herz nie gezittert, immer die rechte Entscheidung gefunden. ‒ Der alte
Mann redet immer confuser in's Blaue und wird von dem Präsidenten zur Sache ermahnt. ‒ (Das
Haus lacht.) ‒ Zuletzt scheint er sich (denn er faßt dies sehr dunkel) für die Anträge der
Majorität, die er selbst mit unterzeichnet hat, zu erklären. ‒
Präs: (zur Linken.) M. H. ich bin erbötig die Petitionen vorlesen zu
lassen. Rechts: Nein!
Eisenmann. Ebenso wie Arndt fühlt er sich gezwungen in dieser Sache
seine Meinung zu ändern. ‒ Norddeutsche Blätter meinen, es gäbe bei diesem Waffenstillstand
noch geheime Artikel. (Rechts: Gelächter!) Er bewundert die schnellen Fortschritte die
Heckscher in der Diplomatie gemacht.(Schwerin und Vinke gebärden sich ungezogen.) Endlich
fragt sich, ob man über so einen absurd geschlossenen Waffenstillstand erst zu entscheiden
nöthig hätte. ‒ Einheit über Alles ist mein Grundsatz. Ich stelle sie sogar fast noch höher
als die Freiheit. (Bravo links) Preußen anlangend; ‒ was ist denn Preußen ohne die
Centralgewalt. ‒ Erinnern sie sich, wie Preußens Regierung nach den Märztagen schwankte, wie
es eben die Centralgewalt wieder aufrichtete; und wie hat Preußen dies gelohnt! ‒ Er erinnert
daran, daß Preußen (hört! hört!) die Berliner Versammlung auseinander sprengen wolle, wenn sie
nicht jenem trotzigen Cabinet folgt. (v. Schwerin und Vinke Unterbrechungen. ‒ Links Bravo!)
Es scheint es gibt Männer und Regierungen. die nur dann des Volkes Stimme hören, wenn es von
den Barrikaden zu ihnen spricht. (Links: Bravo!) Wenn der Volksvertreter sich überzeugt, daß
die große Menge des Volks hinter ihm; enn ist es Pflicht seine Meinung darnach zu richten.
Unter der Legion [Spaltenumbruch] von Petitionen werden sie sehr gewichtige Stimmen finden. ‒
Endlich! Was ziehen sie vor? Ein Zerwürfniß mit Preußen oder eines mit Deutschland? ‒ Preußen
ist mit Deutschland stark, ohne Deutschland ein Zwerg! Wir haben den festen Punkt endlich
gefunden, von dem aus wir, wie Archimed mit der Welt thun wollte, die Reaktion und den
Despotismus aus ihren Angeln heben wollen. ‒ Der Punkt ist das Volk! (fortwährendes Bravo
links begleitet die Rede.) Schließlich stellt Eisenmann selbstständige Anträge, auf vorläufige
Verwerfung des Waffenstillstand's und Abschließung eines solchen Seitens der Centralgewalt.‒
(Links und Gallerien Bravo! ‒)
Franke,Regierungs-Präsid. aus Schleswig (mit sehr unvernehmlicher
Stimme) (laut!) hat zwar für Sistirung des Waffenstillstands gestimmt, ‒ aus Dankbarkeit für
Preußen (Zischen links und Galerie ‒ rechts und diplomatische Tribüne bravo! ‒) Der edle König
von Preußen (langes Zischen! furchtbares Bravo von Schwerin und von Vinke,) ist in der
Bewegung Deutschland ja immer vorausgegangen. ‒ Theilt die Furcht vor dem Ausland und den
inneren Zerwürfnissen. ‒ Einige Punkte im Waffenstillstand findet er außerordentlich
vortheilhaft. Alle Punkte übrigens präjudiciren ja dem Frieden nicht. ‒ (Langes Zischen
begleitet ihn von der Tribüne.)
von Maltzahn Landgerichts-Direktor von Küstrin. Die Sorge für sein
engeres Vaterland (Preußen) treibt ihn auf die Tribüne. ‒ Er hat am 5. September mit der
Minorität gestimmt, weil er die Akten noch nicht kannte. ‒
Wenn Moltke an der Spitze in Schleswig-Holstein geblieben wäre und die Centralgewalt
(Vertreterin eines Volkes von 45 Millionen) in dem Waffenstillstand ganz vernachläßigt wäre,
so würde er ihn wohl auch mißbilligt haben. Aber seit dem 5 habe sich vieles geändert. Er
stellt die Anträge: In Erwägung, daß der Waffenstillstand theils unausführbar, theils den
Wünschen des Volks nicht entsprechend ist, ‒ soll der Waffenstillstand doch genehmigt werden,
aber mit Modifikationen. ‒
von Hermann(Vicepräsid.) Vor der Vollmacht hätte das
Reichsministerium sollen der Nat.-Vers. die Bedingungen vorlesen. ‒
Man hat einen Bevollmächtigen (Max Gagern) in die Nähe der Verhandlungen geschickt, hätte
man ihn doch so nahe geschickt, daß er sie mit angehört hätte ‒ Ich hätte mich (wenn ich das
Ministerium gewesen wäre) (hört!) an die preußische Regierung gewendet und ihr voraus gesagt,
solche Bedingungen können nicht ratifizirt werden ‒ (Links sehr gut!) Man hat gesagt, Preußens
Ehre sei verloren, wenn wir nicht ratifiziren. Nein! Es handelt sich nur um die Ehre einiger
Minister. Warum haben sie einen ungeschickten Vertrag geschlossen? ‒ In der Nichtratifizirung
liegt gerade Preußens Ehrenrettung! (allgemeines lautes Bravo! Warmer Beifall! Zischen
rechts!) Das gewesene Ministerium hat gemeint es habe immer gewissenhaft gehandelt man kann
gewissenhaft handeln, und doch viele Fehler machen. (Gelächter Bravo!) ‒
Ich bin bei Camphausen gewesen, und habe ihn gefragt, ob kein Ausweg möglich, keine
Vereinbarung der verschiedenen Anträge, durch Aenderung der Artikel. ‒
Camphausen hat sich nur für Modalitäten bei der Ausführung des Waffenstillstandes, nicht für
Aenderung einzelner Artikel erklärt. Ich habe unter den Fraktionen dieses Hauses herumgehört,
ob ein vermittelnder Antrag möglich sei der die Meinungen vereint. Ich habe mich von der
Unmöglichkeit überzeugt. ‒ (Links: hört!) Deshalb trete ich in meine alte Stellung zurück, und
erkläre mich für den Antrag der Majorität des Ausschusses. (Lauter Beifall!) ‒ Wir sprechen
einfach aus, wir genehmigen nicht, so hat die ganze Sache ein Ende!
Man hat der Sache eine übergroße Wichtigkeit beigelegt; ‒ man hat uns mit Preußen gedroht ‒
Das Gefühl was sich in Preußen (hier und da) kund giebt ist eine übertriebene Tugend. ‒ An
einen Krieg zwischen deutschen Stämmen glaube ich überhaupt nicht. Meine Herren, wollte
Preußen einen Krieg, es würde den Feind in seinen eignen Lagern haben, nämlich alle Freunde
der Einheit, alle Freunde der Freiheit. (Stürmischer Beifall.) Danemark diese kleine Macht,
die obendrein noch den Krieg mit Unrecht führte, hat sich, ich sage es unverhohlen, die
Achtung aller europäischen Mächte erworben, durch seine Energie! ‒ Ahmen Sie es darin nach;‒
hüten sie sich daß man ihnen nicht eines Tages nachsagt: „sie sind zum Kinderspott geworden!“
‒ (Endloser Beifall von allen Seiten des Hauses außer etwa 15 Mitgliedern der Rechten und der
Diplomatentribüne.)
Schmerling(wailand Minister) greift, statt über die Sache selbst zu
reden, unter fortwährendem Ruf: „zur Sache!“ mit bissigen Worten Hermann an, den er den neuen
Ministerkandidaten nennt. Sucht das alte Ministerium zu rechtfertigen. Seine kurze Rede athmet
das, was man „Brodneid!“ nennt.
Nach Schmerling wird die Diskussion bis Morgen um 9 Uhr vertagt. ‒ Schluß um 1/2 4 Uhr.
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@facs | 0522 |
[
103
] Berlin, 14. Sept.
Die Ministerkrisis dauert noch fort. Nach einem Schreiben, welches der Minister-Präsident an
den Präsidenten der Vereinbarer-Versammlung heute gerichtet und welches nach Eröffnung der
heutigen Sitzung verlesen wurde, wird Herr von Beckerath erst morgen Nachmittag hier erwartet
und da das neue Ministerium demnach noch nicht gebildet ist, stellt der Minister-Präsident
anheim, die Sitzungen noch ferner auszusetzen. ‒ Da der Umzug nach dem Konzertsaal des
Schauspielhauses morgen beginnt und bis Dienstag beendet sein wird, so ist die nächste Sitzung
zu Dienstag Vormittag 9 Uhr anberaumt worden.
Auf Antrag von 18 Mitgliedern der linken Seite, daß das Präsidium während der Zeit des
Umzuges aus dem jetzigen Lokal in das neue für ein passendes Versammlungslokal Sorge tragen
möchte, für den Fall, daß es nothwendig wäre, daß sich die Vereinbarer versammeln müßten, hat
das Präsidium die Aula der Universität zu diesem Zwecke bestimmt und vom Rektor der
Universität auch die Genehmigung dazu erhalten. Nachdem diese kurze Mittheilungen heute
gemacht waren, wurde die Sitzung wieder geschlossen.
‒ Nicht nur in dem formellen Justizwesen sondern auch in der Gesetzgebung schreitet die
Reform vorwärts. Der Entwurf zu einer neuen Hypothekenordnung ist beendigt, der Entwurf zur
Gerichtsordnung aber befindet sich bereits unter der Presse. Wie man hört, soll dieser Entwurf
aus nicht mehr als 900 Paragraphen bestehen. Die alte Gerichtsordnung zählt nicht weniger als
5160 Paragraphen. Rechnet man dazu die seit 33 Jahren her ergangene ungeheure Anzahl von
ergänzenden und erläuternden Gesetzen und Rescripten, so kann man schon hieraus die ganze
Schwerfällig- [Spaltenumbruch] keit unserer formellen Gesetzgebung ermessen und wie ein
Zurechtfinden darin den Richtern kaum mehr möglich ist, geschweige denn dem nicht juristisch
gebildeten Bürger. ‒ Wie man hofft, werden wir bis zum Schlusse dieses Jahres
Geschwornengerichte nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Lande erhalten, wenigstens
vorläufig gewiß bei allen politischen und Preßprozessen. Was die Aufstellung der
Geschwornenlisten zu den Assisen anbetrifft, so scheint man dahin übereingekommen zu sein,
diese für jetzt durch die aus dem Wahlgesetze vom 8. April hervorgegangenen Wahlmänner
vornehmen zu lassen.
(Publicist.)
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@facs | 0522 |
‒ [
*
]
Die „Vossische Ztg.“ berichtet aus Köln, Freiligrath sei „nicht wegen Majestätsbeleidigung, sondern wegen Erregung von Mißvergnügen und Unzufriedenheit“
angeklagt ‒ so wenigstens soll Hr. Nikolovius einer Deputation des Arbeitervereins gesagt
haben. Die gute „Vossische“, die ihre angebornen Landrechtskategorieen von
„Majestätsbeleidigung“, und „Erregung von Mißvergnügen“ etc. etc. für die ganze Welt für
maßgebend hält!
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@facs | 0522 |
[
*
] Wien.
Unsere Wiener Briefe vom 11. waren uns gestern ausgeblieben, so daß wir die
Reichstagssitzung nach den dürftigen Berichten norddeutscher Blätter mittheilen mußten. Heute
kommen uns gleichzeitig die Briefe vom 11. und 12. zu, und wir vervollständigen daher noch
nachträglich aus dem Schreiben unseres [
61
] -Korrespondenten die
Reichstagsdebatten über die Berichte des Petitionsausschusses.
Doliak trägt als Berichterstatter das Gutachten des
Kommissionsausschusses über eine Petition der Dalmatiner vor, worin verlangt wird, daß für die
italienischen Abgeordneten die Fragestellungen, Anträge, Auszüge der Verhandlungen u. s. w. in
ihre Sprache übersetzt werde.
Borrosch spricht sich in sehr satyrischer Weise dagegen aus, indem
er auf die Schwierigkeiten der Ausführung und auf die Kosten aufmerksam macht, wenn alle
Nationalitäten des Reichstags ein gleiches Verlangen stellten.(Palacki lacht höhnisch
dabei).
Ambrosch stellt einen ähnlichen Antrag für die Südslaven in den
deutschen Provinzen.
Hawlitschek will die Uebersetzung auch für die Polen und Ruthenen,
indem er die Sprache, die jeder spreche, für die beste ausgibt. Die Mehrzahl verstehe polnisch
und ruthenisch.
Trojan hält sich nicht für schlechter als ein Deutscher, schließt
sich aber Borrosch's Antrag auf Ernennung einer Kommission an, die darüber entscheiden
solle.
Potocki: Wir haben nie auf des Recht verzichtet, hier unsere Sprache
zu reden; es fragt sich nur, ob es zweckmäßig ist, daß wir sie reden; das Unrecht ist nur da
vorhanden, wo die Abgeordneten kein Deutsch verstehen.
FürstLubomirski, der poln. Demokratenrenegat: Wir haben freiwillig
deutsch gesprochen, wir müssen also auch den guten Willen der Petenten anerkennen. Was für
Viele ein Recht ist, kann nicht wegen Schwierigkeiten verweigert werden; es verursacht keine
Verspätung, wenn die Uebersetzung auch in 30 Sprachen geschieht. (Dieser dreißigfache
Dudelsack würde einen herrlichen Canon heulen).
Borrosch: Es ist an meine Gerechtigkeit appellirt worden, ich nehme
die Berufung an. Aber die Gerechtigkeit ist nicht zu seziren; die politische Gerechtigkeit
steht mit dem Vernünftigen auf einer Stufe. Wenn wir fortfahren, uns mit solchen Dingen
abzugeben so wird die Knute über uns siegen; die Nationalität wird sehr oft als Hetze
gemißbraucht. Wir sitzen schon 8 Wochen und sprechen deutsch. Wenn wir Polyglottie einführen,
so ist dieser erste Reichstag auch der letzte. In Nordamerika, in der Schweiz gibt es auch
Sprachen, aber keinen Sprachstreit. Kein französischer Republikaner hat jemals das
abgeschmackte Verlangen gestellt, daß der Baske, der Provenzale in seiner Sprache reden könne.
(Murren, Bravo, Zischen). Nur hier kommen Nationalitätsliebhabereien und reaktionäre
Sonderbündeleien zum Vorschein. (Wüthendes Gebrüll unter den Czechen und einem Theil der
Polen; sie erheben sich, ballen die Fäuste gegen Borrosch. Vor allen andern zeichnen sich
dabei Rieger, Palacki, Lubomirski, Trojan, Klaudy u. s. w. aus. Ordnungsruf von allen Seiten;
der Präsident klingelt verschiedenemale und ruft mit büreaukratisch-leidenschaftlicher
Stimmung den unter diesem Gewitter mit stoischer Ruhe stehen gebliebenen Borrosch zur
Ordnung).
Borrosch will, immer gegen den grimace-schneidenden Palacki
gewendet, weiter reden; der Präsident ermahnt ihn in dem vorigen Tone, sich der;
Geschäftsordnung gemäß gegen ihn zu wenden.
Borrosch (mit spöttischer Verbeugung): Ich werde dem Herrn
Präsidenten geschäftsordnungsschuldig gehorchen und beantrage ein eigenes Gericht für
Uebersetzertreue.
Der Schluß der Debatte wird beantragt.
Löhner beantragt eine Vertagung auf morgen.
Lasser dagegen, weil der Petitionsausschuß ohnehin schon Vorwürfe
bekommen habe.
Goldmark unterstützt den Antrag auf Vertagung.
Ein Abgeordneter stellt den Antrag, über Löhners und Goldmarks Antrag zur Tagesordnung
überzugehen.
Die Tagesordnung wird angenommen
Rieger (mit tiefausgeholter czechischer Entrüstung): Ich bin bewegt,
empört uber die Worte, die hier entfallen; man hat sich nicht entblödet....(bei seiner Wuth
kaum verständlich).
Borrosch. Ich ersuche den Herrn Präsidenten, den Abgeordneten Rieger
zur Ordnung zu rufen.
Präsident ruft denselben zur Ordnung, weil Borrosch vorhin die Erklärung gegeben, daß er
keine Nationalität habe angreifen wollen.
Rieger: Damit kann ich nicht zufrieden sein. Wollen die Deutschen
die Gleichberechtigung so verstehen, daß nur sie das Recht haben sollen, in ihrer Sprache zu
reden? Sie sind die Minorität, wir Sklaven bilden die Macht, von uns hängt das Schicksal der
Monarchie ab. Es gibt keine Staatssprache, keine privilegirte Nation, also auch keine
privilegirte Sprache. Wir haben die Zwangsjacke an, wenn wir nur diese Sprache reden sollen.
Die Nationalität ist so heilig, wie die persönliche Freiheit und wenn die Versammlung die
deutsche Sprache als Geschäftssprache anerkennt, so werde ich mich diesem Beschluß nicht
fügen, denn sie kann mir nicht rauben, was mir angeboren ist. (Herr Rieger spricht übrigens so
gutes deutsch, wie ein geborner Deutscher und seine flegelhaften Wuthausdrücke, welche die
Verhandlung sehr widerlich machen, sind ebenfalls sehr national-deutsch.)
Löhner: Die diese Frage jetzt einbrachten, haben das Gewicht nicht
bedacht, nicht die Folgen, die sie haben muß. Im Anfang des Reichstag's [Fortsetzung]
[Spaltenumbruch]
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@facs | 0522 |
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@facs | 0522 |
[Fortsetzung] sehr patriarchalisches. Man denke sich den kleinen
Schnapphahnski „ sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd“ mitten zwischen seine Schaafe und Böcke
tretend. Zu seiner Rechten stehen die Schaafe, zu seiner Linken die Böcke. „ Verehrte
Mutterschaafe und Böcke,“ beginnt Schnapphahnski‒„ ich bin im höchsten Grade erfreut Euch
wieder zu sehen. Ich habe viel gereis't und außerordentliche Thaten bezeichnen meine Laufbahn.
In O. in Schlesien, setzte ich dem Grafen S. ein Paar Hörner auf“. ‒ hier unterbrach den
Redner das freudige Geblöck sämmtlicher Böcke ‒ In Troppau erschlug ich den wilden
Menschenfresser, den Grafen G. (allgemeines Erstaunen). In Berlin genoß ich den Lilienleib
Carlottens (alle Schaafe schlagen verschämt die Augen nieder). In Spanien erwarb ich mir
unsterblichen Ruhm unter Don Carlos (Schaafe und Böcke brechen in Oho und Bravo aus). In
München erschoß ich den Herzog von...... und wurde deswegen verbannt (schmerzliche Rührung auf
allen Gesichtern). In Wien drohte mich die Liebe der Damen zu erdrücken‒(die Böcke wedeln und
beißen einander in die Ohren). Verehrte Heerde, theure Majorats-Mutterschaafe und Böcke! Ihr
begreift, daß mich ein wehmüthig süßes Gefühl beschleichen muß, wenn ich nach so
ungewöhnlichen Fahrten und Schicksalen endlich in Euren stillfriedlichen Kreis zurückkehre
(stilles Einverständniß aller Seelen). O, es ist mir zu Muthe, wie einem jener alten Nomaden,
die uns das Buch der Bücher in so trefflichen, arabeskenhaften Mährchen zu schildern sucht.
Gleiche ich nicht einem Joseph, einem Benjamin oder lieber jenem:
‒ ‒ ‒ Sohne des Hethiten,
Der einst die Maulthier' in der Wüst erfand,
Als er des Vaters Esel mußte hüten?
[(Allgemeines Interesse.)]
O, ihr Gespielen meiner Jugend, ihr lieben Angehörigen der Familie Schnapphahnski, seid mir
gegrüßt, ja, seid mir von Herzen willkommen! Mit Euch aufgewachsen bin ich, ihr unvergleich-
[Spaltenumbruch] lichen Mutterschaafe, und gern denke ich noch daran, wie ich Euch oft so zärtlich
an die Lämmerschwänzchen faßte. Ja, mit Euch habe ich mich entwickelt, ihr herrlichen Böcke
und nie werde ich vergessen, daß ich von Euch alle meine tollen Sprünge lernte, bis ich
endlich älter und erfahrener wurde, und zu einem großen Sündenbock
gedieh (Rauschender Beifall.) Ihr Schaafe zur Rechten und ihr Böcke zur Linken, hört meine
Rede! Beide liebe ich Euch, und es ist nur ans altadliger Courtoisie, daß ich mich gewöhnlich
mehr der Rechten zuwende; ja, Euch ihr trefflichen Mutterschaafe, da ihr der Stamm und der
Hort der ganzen Race seid. (Bravo! Bravo! auf der Rechten.) O, mein Enthusiasmus für Euch und
für diese Versammlung kennt keine Gränzen. Mit Euch, ihr Schaafe und Böcke, will ich schaffen
und wirken für alle Schaafe und Böcke außerhalb dieser Versammlung. (Stürmische
Jubelunterbrechung.) Groß ist unsere Aufgabe, aber nichts wird uns erschüttern. Einer der
kühnsten Streiter stehe ich unter Euch, heiter das Haupt erhebend, und nur eins, ach, kränkt
mich und schnürt mir das Herz zusammen (peinliche Aufmerksamkeit und lautlose Stille). Ja,
eins nur thut mir weh, daß Ihr herrlichen Merino-Mutterschaafe und Böcke alle miteinander
hypothezirt seid, und daß ihr nicht geschoren werdet für mich.“
Es wird meinen Lesern nicht entgangen sein, daß die Beredsamkeit unsres Helden namentlich in
einer tieftraurigen elegischen Wehmuth ihren Hauptreiz hat. Viele der ausgezeichnetsten
Schaafe und Böcke haben mir versichert, daß sie bei verschiedenen Gelegenheiten wahrhaft davon
bezaubert gewesen seien und sich schon bereit gehalten hätten, den Demosthenes der
Wasserpolakei mit einem Donner des Applauses auf seinen Sitz zu begleiten, wenn nicht wider
Erwarten, trotz aller adlig-patriarchalischen Phrasen, schließlich der Finanznoth blasse
Wehmuth, tiefe Trauer, zum Vorschein gekommen wäre und der ganze Sermon in einem unsterblichen
Gelächter sein Ende erreicht hätte.
Ja, die Finanznoth! Sie spielt in dem Leben unseres Helden [Spaltenumbruch] eine eben so große
Rolle als die Liebe. Die Finanznoth war es auch, welche Sr. Hochgeboren vor allen Dingen
wieder nach Berlin trieb.
Es wäre hier die Stelle, näher auf die Festlichkeiten einzugehen, die bei der Huldigung im
Spätjahre 1840 in Berlin statthatten. Wir unterlassen dies aber. Herr von Schapphahnski hatte
sich natürlich sehr darauf gefreut. Er hoffte, daß man bei dem allgemeinen Tumult nicht mehr
an seine seltsame Vergangenheit denken würde. Mit der angebornen liebenswürdigen Frechheit
glaubte er das Verlorene wieder erobern zu können und dann auch schnell zu Amt, Ehre und
Credit, kurz, zu Allem zu gelangen was sein Dasein wünschenswerth machte.
„In Berlin“ ‒ heißt es in unsern Manuscripten ‒ „wartete Sr. Hochgeboren aber ein äußerst
schlechter Empfang von Seiten der schlesischen Ritterschaft. Nach langen Debatten beschloß
dieselbe nämlich, zu einem Diner, das sie als Korporation gab, Herrn von Schnapphahnski nicht zuzulassen. Unser Ritter fand sich aber dennoch ein und setzte sich
mit zu Tische. Da erhob sich die ganze Ritterschaft…(Fortsetzung folgt.)
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@type | jArticle |
@facs | 0522 |
Die Petitionskommission der Vereinbarungsversammlung hat einen zweiten Bericht
veröffentlicht. An Kuriositäten ist derselbe wo möglich noch reicher als der erste. Fast die
meisten der in ihm besprochenen Petitionen erstreben eine Abhülfe der partikulärsten Noth,
Geldunterstützungen, Erlaß von Pachtzinsen, Erdledigung lästiger Prozesse u. dgl. m. Ein Hr.
v. Brandenburg zu Memel bittet sogar um Veranstaltung einer Kollekte zur Abhülfe seines
Nothstandes, da er, „obgleich Verkünder einer bessern Temperatur, Entdecker der wahren
Entstehungsursache der Cholera und Stifter eines neuen naturgemäßen Weltsystems, von der
Vorsehung mit unüberschwänglichen Gaben ausgestattet, dennoch unbelohnt und arm geblieben
sei.“
[Deutschland]
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@type | jArticle |
@facs | 0523 |
[Fortsetzung] hätte man sie noch diskutiren können, nicht aber
gegenwärtig. Weh' uns, wenn jetzt Nationalitätskämpfe uns spalten! Vergessen wir nicht die
eine Sprache, die wir alle reden sollen, die Sprache der Freiheit, die uns so nöthig ist! Die
Reaktion steht hinter diesem Streit, das Grauen des Absolutismus. Der Boden ist nicht mehr
fest, die Wände werden unheimlich und Menschenalter sind hinter dem März, wenn wir also
fortfahren. Lassen wir uns daher vergessen, was wir vor 8 Wochen hätten thun können! Ich
stimme für eine Kommission zur Regelung der Sprachverhältnisse. (Bravo links. Zischen der
Reaktionäre.)
Mit mehr oder minder Leidenschaftlichkeit sprechen hierauf noch im slavischen Sinne
Dylewski, Hawelka, Hauschild, Potocki. Letzterer bemerkt: da die Nationalfrage hier zum
Vorschein gekommen ist, so muß ich eine Erklärung machen. Borrosch hat das Wort
Gesammtvaterland ausgesprochen. Ich finde darin nur mein Vaterland Polen. Ich stelle es höher,
als jedes Prinzip.(!) So lang dies Vaterland verletzt ist, können wir nicht von
Gesammtinteressen reden.
Borrosch: Wir bilden einen Völkerkongreß, zu welchem man hätte
Leute schicken sollen, die fähig sind, sich zu verständigen.
Doliak, Berichterstatter, sucht Löhner und Borrosch zu widerlegen,
wird dabei heftig und sagt unter Anderm: Wenn die Stimmung hier schon so ist, so mag man erst
beurtheilen, wie man sich in Frankfurt wider uns benimmt. (Heftiger Lärm, von allen Seiten
erheben sich Abgeordnete, Löhner will den Redner zur Ordnung gerufen haben).
Doliak verlangt, daß mit Namensaufruf über den Antrag des
Petitionsausschusses abgestimmt werde.
Ein Anderer verlangt Vertagung auf 10 Minuten. Beides angenommen.
Präsid. verliest erst die verschiedenen Anträge Löhner's,
Borrosch's, Lubomirski's, Hawlitschek's, Bosner's und ordnet sie.
Rieger will den Ordnungsruf zurückgenommen; er habe sich keiner
Persönlichkeit schuldig gemacht, den § 66 der Geschäftsordnung also nicht übertreten.
Präsident nimmt den Ordnungsruf zurück.
Borrosch will nun auch den seinen zurückgenommen wissen und
appellirt an die Gerechtigkeit des Präsidenten.
Präsident thut es unter umschweifenden Erklärungen.
Doliak: Die Dalmatiner haben erklärt, daß sie auf ein ausführliches
Detail verzichten, und nur einen kurzen Auszug der stenographischen Berichte verlangten, wie
ihn die Wiener Zeitung gebe.
Bei der gewöhnlichen Abstimmung fallen die Anträge Löhner's und Borrosch's durch, alle
slavischen Anträge werden angenommen.
Der fernere Antrag Borrosch's, daß der Kommissionsantrag auf alle Nationalitäten ausgedehnt
werde, wird ebenfalls angenommen.
Bei der namentlichen Abstimmung wird dieser Kommissionsantrag angenommen.
Die Abgeordneten können also nun in ihren Sprachen reden, Anträge stellen u. s. w. Der
Reichstag wird eine Uebersetzungsanstalt, eine babylonische Verwirrung, deren Resultat
Auflösung sein wird. Finis Austriae.
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@type | jArticle |
@facs | 0523 |
[
61
] Wien, 12. Sept.
Der Reichstag hält heute keine Sitzung, um der Kommission Zeit zu lassen, den
Verfassungsentwurf zu vollenden. Sein gestriger Nationalitätenhader hat auf das Volk einen
höchst peinlichen Eindruck gemacht; macht er sich auch unter diesem geltend, so wird ein
unbeschreiblicher Kampf entstehen, schlimmer als alle Religionskriege je gewesen. Nur die
Aristokratie und der Absolutismus könnten daraus Vortheile ziehen. Ich will nicht daran
glauben.
Als die ungarische Deputation den ungenügenden kaiserlichen Bescheid erhalten und den Brief
Ferdinand's an Benjamin Jellachich erfahren hatte, steckten sehr viele der Abgeordnetenrothe Federn auf die Hüte.
In Preßburg harrte ihrer eine große Menschenmenge und empfing sie mit Eljen, allein die
Deputation blieb lautlos und einer der Deputirten sprach folgendes zum Volke:
„Brüder Magyaren! Wir waren in Wien bei unserem König, haben aber dessenungeachtet nichts
Näheres erfahren; wir wissen eben so viel, als wir vorher gewußt haben. Volk von Ungarn,
Brüder! Ihr seht, wir sind uns nun ganz allein überlassen, auf fremde Hülfe können wir nicht
bauen, unsere einzige Stütze ist unser eigener Arm. Auf daher, Volk von Ungarn! Wer immer nur
das Rohr zu lenken und das Schwert zu führen weiß, der reihe sich unter die Fahnen zum
heiligen Kampfe, zur Rettung unserer Freiheit, zur Rettung der ungarischen Nationalität!
Magyaren! in Wien bildet sich ein zahlreiches Freikorps, das mit uns für die heilige Sache der
Freiheit kämpfen will; mit diesem vereint laßt uns siegen oder sterben!“ ‒ „Auf zum Kampfe!“
schrie das ganze Volk.
Pesth und Ofen sind in der größten Aufregung. Alles greift zu den Waffen. Folgendes Plakat
wurde sofort nach Wiederankunft der Deputirten dort angeschlagen:
„Bürger! Die sich über das Vaterland zusammenthürmenden Verhängnisse haben die
Gleichheitsgesellschaft bewogen, aus ihrem Schooße ein permanentes Comité zu ernennen, dessen
Aufgabe sei, wie ihr es einzeln thut, so im Ganzen über die Ereignisse zu wachen. Mit jener
patriotischen Begeisterung, die in des Vaterlandes gegenwärtigen Augenblicken kein wahrer
Bürger entbehren kann, fordert das Comité jeden Bürger auf, alles was er weiß, was auf das
Vaterland von Einfluß sein könnte, dem Comité so schnell als möglich mitzutheilen.“
Aus der Generalsitzung der Gleichheitsgesellschaft.
Madaràsz Làszló, Zerrssi Gusztav.
Die Wiener Demokratie theilt noch die allgemeine ideologische Erbärmlichkeit der deutschen.
Statt mit den Ungarn gemeinschaftliche Sache zu machen, hat die ganze demokratische Presse
über die Ungarn nicht genug schimpfen können und beginnt erst jetzt, wo es fast zu spät ist,
anderer Einsicht zu werden. Wie richtig die fortwährenden Denunziationen gewesen, die ich
Ihnen in Beziehung auf unsere demokratische Judenpresse immer gemacht, beweisen täglich die
ungarischen Korrespondenzen unserer sogenannten demokratischen Journale selbst. Was Sie
Bourgeois nennen, das sind hier die Juden, die sich der demokratischen Leitung bemächtigt
haben. Dies Judenthum ist indessen noch zehnmal niederträchtiger als das westeuropäische
Bourgeoisthum, weil es die Völker unter der erheuchelten, börsengestempelten Maske der
Demokratie betrügt, um sie direkt in den Despotismus des Schachers zu führen.
Wo die Demokratie nur die Dummheit und die jüdische Schacher- und Stellenjägerei-Gemeinheit
zur Grundlage hat, wird sie es weit bringen.
So eben vernehme ich, daß die ungarische Nobelgarde, die herrlichste Kavallerie der Erde,
ihre Entlassung eingereicht hat, um sich in die Armee ihres Vaterlandes aufnehmen zu lassen. ‒
Der Hof soll gestern einen Kourier mit dem Auftrage an Jellachich abgesendet haben, vorläufig
Halt zu machen. Jellachich selbst soll an die Ungarn eine Proklamation erlassen haben, worin
er verkündet, daß er nicht gegen das ungarische Volk, sondern gegen das Ministerium zu Felde
ziehe. (In der That!)
Aus zuverlässigen Privatnachrichten geht hervor, daß Rußland der Pforte den Krieg erklärt
hat. England soll letztere zu einer entschiedenen Erklärung wider die russische Einmischung in
die Angelegenheiten der Donaufürstenthümer vermogt haben. ‒ Das Ganze ist wohl nur eine
diplomatische Komödie, um für den Fall eines ungarischen Siegs die Anwesenheit der
russisch-türkischen Heere zu beschönigen und dann gemeinschaftlich mit dem persiden Oestreich
wider die Freiheit zu operiren. Jedes andere Interesse tritt ja einstweilen noch in den
Hintergrund.
Der Minister v. Schwarzer soll nun bestimmt aus dem Ministerium
treten, er hat den Tritt des Mephistopheles gefühlt. An seine Stelle kommt ein wüthender
Metternichianer Namens Brück.
Der Erzherzog Ludwig, der hartnäckigste Vertheidiger des alten Systems, ist in Schönbrunn
wieder angelangt. Er ist unser„Prinz von Preußen“ und soll sich oft schnupfend und fluchend im
Park von Schönbrunn herumtreiben.
Unter der Redaktion des Arbeiters Hillisch erscheint seit einigen Tagen eine Arbeiterzeitung, welche von dem ersten Wiener Arbeiterverein ausgeht.
Der Drucker von Schmid hat Freiligrath's Gedicht: „Die Todten an die
Lebenden“ nachgedruckt und setzt dasselbe zu 2 Kr. C. M. in ungeheurer Anzahl ab. ‒ Die
Dichter singen und werden in den Kerker geworfen, aber die gemeinen Schacherjuden ziehen den
Gewinn davon. Freiligrath wird von den erlösten Kreuzern schwerlich einen zu sehen bekommen. ‒
Ich habe mehre Redakteure hiesiger Blätter auf den Unfug aufmerksam gemacht und sie werden den
Drucker bei der Ehre angreifen, ‒ Bourgeoisehre!
Nachschrift. So eben 12 Uhr wurde auf Befehl des Ministers Dobblhoff
Generalmarsch geschlagen. Alles läuft nach dem Judenplatze, wo sich das Ministerium des Innern
befindet. Der Platz ist gedrängt voll Menschen; von allen Seiten rückt Nationalgarde heran,
das Volk empfängt sie mit Hochs, sie steckt die Bajonnette ab und entfernt sich bald wieder
unter dem Beifalljauchzen des Volkes.
Die Veranlassung zu diesem Auftritt ist folgender Maueranschlag, der alle Gewerbetreibenden
ebenso in Aufregung brachte, wie die frühere Herabsetzung des Arbeitslohns die Arbeiter, und
der zwischen Bürgerwehr und Nationalgarde dieselben Scenen herbeizuführen droht:
Der von dem Hrn. Swoboda gegründete Aktienverein kann nur als eine Privatunternehmung
angesehen werden, daher Niemand verhalten werden, die durch ihn ausgegebenen Aktien als bares
Geld anzunehmen.
Dieser Umstand hat diejenigen, welche sich bei diesem Verein betheiligten, in ihren
Hoffnungen getäuscht, und zu den gestern stattgefundenen Auftritten, welche nicht zu
entschuldigen sind, Anlaß gegeben.
Damit aber der verarmte Gewerbsmann, welcher von obigem Vereine und von den durch ihn
ausgegebenen Aktien Hülfe erwartete, nicht zu empfindlichem Schaden gelange, und damit die
Vervielfältigung dieser Aktien nicht zu Störungen des allgemeinen Verkehrs und der
öffentlichen Ruhe verleite, so hat das Ministerium des Innern sich bewogen gefunden eine
Kommission zusammenzusetzen, welche sich vorerst mit der Liquidirung der von Herrn Swoboda
ausgegebenen Aktien und mit der theilweisen Einlösung derselben von dem unmittelbaren
Empfänger, sohin aber auch mit der Frage beschäftigen wird, unter welchen Bedingungen und
Vorsichten der fernere Bestand des swobodischen Aktienvereins gestattet werden könne.
Diese theilweise Einlösung der bereits ausgegebenen und noch in dem Besitze der
ursprünglichen Empfänger befindlichen Aktien in dem Maße, welches von der Kommission bestimmt
werden wird, beginnt morgen 13. Sept. von 8 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittags. Ueber die bereits
an dritte Personen abgetretenen Aktien werden später die nöthigen Bestimmungen getroffen
werden.
Der baldige und befriedigende Abschluß dieser Angelegenheit kann nur durch Mäßigung, Ordnung
und Vertrauen erreicht werden, jede Art von Aufregung aber, oder von ungestümen, unmöglichen
Forderungen würde das Ministerium in die unangenehme Nothwendigkeit versetzen seine
bereitwillige Unterstützung zur Ausgleichung dieses Gegenstandes zurückzuziehen und gegen
gesetzwidrige Eingriffe mit Strenge einzuschreiten.
Wien, 12. September 1848.
Vom Ministerium des Innern,Doblhoff.
@xml:id | #ar105_013 |
@type | jArticle |
@facs | 0523 |
Swoboda hatte einen Aktienverein zur Unterstützung zurückgekommener
Gewerbtreibenden gestiftet, bei welchem sich der Kaiser mit 10,000 fl. C. M. betheiligt hatte.
Dieser Verein wurde den Bank- und Börsenjuden ein Dorn im Auge; sie glaubten ihr Privilegium
dadurch geschmälert und zettelten Intriguen an, in deren Folge gestern ein Volkssturm auf das
Landhaus stattgefunden hat, wobei im Innern des Gebäudes vieles zertrümmert wurde. Dadurch
entstand obige Verordnung Dobblhoffs, worauf sich das Volk heute sofort in Massen vor seinem
Ministerium versammelte. Die reichen Bürgergrenadiere und die goldene Kavallerie, die
eigentlichen Bankjuden, ergriffen die Sache des Ministers d. h. ihre eigene und kamen dadurch
mit einem Theil der Nationalgarde, die dem Gewerbestande angehört, in Konflikt. Auf den
Generalmarsch des Ministers erschien nun zwar ein bedeutender Theil der Nationalgarde,
fraternisirte aber sogleich mit dem Volke und zog, dem Generalmarsch zum Trotz, wieder ab. ‒
Das Ministerium ist noch in diesem Augenblick vom Volke umringt, die Minister zittern und,
wenn, wie vorauszusehen, Morgen die Nationalgarde zur Ausübung der Strenge nicht erscheint, so
wird es neue Auftritte geben. Jedenfalls hat sich das Ministerium nun auch bei der
Nationalgarde moralisch vernichtet und nur mehr die Bankjuden sind noch seine Stütze. Es muß
gänzlich fallen. Ein Blatt publizirt folgende Ministerliste: Schuselka, Auswärtiges; Löhner,
Inneres; Kudlich, Handel; Borrosch, Justiz u. s. w.; aber die Slaven werden kein deutsches
Ministerium mehr aufkommen lassen; sie werden ein knutiges schaffen.
Morgen schon wird der neue Reichstagspräsident erwählt. Die Czechen bieten Alles auf,
wiederum einen antideutschen Präsidenten durchzusetzen. Europa wird über diese Nationalhetze
lachen.
Die akademische Legion hält eine allgemeine Säuberung; jeder Nichtstudent, der nicht den
Künsten und Wissenschaften unmittelbar angehört, wird ausgestoßen. Die ganze Legion wird rothe Halsbinden tragen. Die Bevölkerung befreundet sich immer mehr mit
der Republik; sie wird hier ganz gewiß zum Ausbruch kommen und muß siegen, wenn Ungarn den
ersten günstigen Schlag gethan.
Die reaktionäre Stimmung schlägt täglich mehr um, man spricht schon davon, daß der
Sicherheitsausschuß bald wieder als provisorische Regierung auftauchen
werde. Durch Maueranschläge ladet derselbe heute die Gewerbtreibenden in das Nationaltheater
an der Wien zur Empfangnahme der zu ihrer Unterstützung eingegangenen Gelder ein. Das wirkt. ‒
Wenn Ungarn siegt, wird der slavische Reichstag, weil er aus Deutschenhaß mit dem Absolutismus
gemeinschaftliche Sache macht, vom Volke gesprengt werden. Man ist im höchsten Grade
unzufrieden mit ihm.
Der Sturz der Ministerien in Berlin und Frankfurt hat ungemein gewirkt und trägt viel bei,
den Sturz des hiesigen zu beschleunigen.
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@type | jArticle |
@facs | 0523 |
Wien, 12. Septbr.
Gestern Abend fand eine starke Zusammenrottung vor dem Ständehause statt. Wir konnten im
Augenblicke nur erfahren, der alte Gemeindeausschuß sei im Ständesaal gesessen und habe vom
Volke einige Unannehmlichkeiten zu erdulden gehabt. Man sagte sogar, die Herren haben etwas
unfreiwillig den Saal verlassen. Es scheinen aber keine politischen Interessen, sondern
pekuniäre dabei im Spiele gewesen zu sein, denn das Volk war dann auf den Judenplatz vor die
Wohnung des Hrn. Swoboda gezogen, wegen der von ihm ausgegebenen Aktien. Es ward auch eine
Deputation zum Minister des Innern geschickt, um eine Garantie für das Geld zu verlangen, das
für diese Aktien gegeben worden ist. Der Minister soll auf heute Morgens Untersuchung und
Ordnung dieser Angelegenheit versprochen haben.
[(Constitution.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0523 |
[
*
] Chemnitz, 11. Sept.
Unsere Stadt ist in der größten Aufregung, Generalmarsch wird geschlagen, die Hauptwache
(bloß 150 Mann) erhält scharfe Patronen, und die Straßen sind von erbitterten Arbeitern
durchwogt. Ueber die Ursache Folgendes: In der am vergangenen Sonnabend abgehaltenen
Arbeiterversammlung war erzählt worden, daß ein bei dem Bäckerkrawall verhafteter
Fabriktischler nunmehr vierzehn Monate in unnöthiger Weise verlängertem Arrest gehalten werde,
ja man hörte sagen, er sei vierzehn Wochen lang in kein Verhör gekommen. Von der bei Einigen
auftauchenden Meinung, den Gefangenen zu befreien, wurden sie abgebracht, und man beschloß,
Montags durch eine Deputation die Freilassung der Gefangenen zu verlangen. Deshalb
versammelten sich schon Nachmittags nach 3 Uhr viele Arbeiter auf dem Markte, während die
Deputation auf das Stadtgericht ging. Hierauf begab sich der Gerichtsrath Grötsch mit einem
Arbeiter in das Stadtgefängniß, wohl um diesen zu überzeugen, ob der Gefangene wirklich so
schlecht behandelt werde, als man erzählt hatte. Auf dem Neumarkt wurden die Arbeiter
unterdessen unruhig; die reitende Kommunalgarde überritt ein Kind, und dies gab den Anlaß, daß
die Arbeiter unter wüthendem Rachegeschrei einen Angriff mit Steinen gegen die Hauptwache
machten. Es gelang einigen Bürgern, die Arbeiter durch den Vorschlag einer großen Versammlung,
zum Zweck einer Amnestiepetition, für den Augenblick zu beruhigen. Noch war ein allgemeiner
planmäßiger Angriff indeß nirgend erfolgt. Um 7 Uhr Abends nahm die Bewegung einen
ernstlicheren Charakter an, die Frohnfeste ward von der Masse gestürmt, die beiden Gefangenen
wurden gewaltsam befreit und im Triumph nach der „Aue“ geführt. Die schwache Besatzung der
Frohnfeste und des dahin führenden Gäßchens mußte fliehen, an der Hauptwache begann die Menge
Barrikaden zu errichten und das Pflaster aufzureißen, Steine flogen und es mögen gegen 20
Verwundungen vorgekommen sein. Von der etwa 2000 Mann starken Kommunalgarde waren im Ganzen
300 Mann erschienen, die gegen die Massen Nichts ausrichten konnten und im entscheidensten
Moment zum Abtreten und Nachhausegehen kommandirt wurden.
Vor der Hauptwache traten um 1/2 10 Uhr die Behörden mit den Arbeitern in Unterhandlung. Die
Arbeiter verlangten: die Kommunalgarde soll bis auf die gewöhnliche Wache abziehen, die
Arbeiter sollen sich entfernen und das Amnestiegesuch unterschreiben. Die Bedingungen werden
angenommen, und die Arbeiter ziehen nach dem Gasthofe zur Aue, wo das Gesuch unterzeichnet
wird. Die Straßen sind noch belebt, aber ruhig.
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@type | jArticle |
@facs | 0523 |
Chemnitz, 12. Sept. 4 Uhr.
Die Revolte entbrennt auf's Wüthendste wieder, da man die freigegebenen Gefangenen heute wieder verhaftet hatte(!!!).Soeben ertönt Rottenfeuer des Militärs in der
Johannisgasse, wo zwei Barrikaden errichtet und mehrere Häuser abgedeckt sind. Vor dem
Johannisthore ebenfalls Barrikaden, nicht minder an der Frohnfeste aufgerissenes Pflaster;
Geschrei, Toben und dazu ‒ kaum der fünfte Theil der Kommunalgarde; doch Kavallerie aus
Freiberg und Marienberg. Diese Notiz unter den Waffen, ‒ der Himmel weiß, was die Nacht
bringt.
6 Uhr. Salve auf Salve von beiden Seiten, Barrikaden in allen Gassen, viele Verwundete; die
Revolte scheint einen politischen Charakter anzunehmen, eine Disposition macht sich bemerkbar,
die Vorstädte sind bewaffnet gegen uns, das Militär noch zu schwach, die Kavallerie kann wenig
wirken wegen des aufgerissenen Pflasters und der Barrikaden, die mit Kunst konstruirt sind.
Wie soll das enden? Die Maschinenarbeiter sind furchtbar ergrimmt. Um 7 Uhr erwartet man
Militär von Schneeberg. Die beiden Gefangenen mußten auf's neue freigelassen werden.
@xml:id | #ar105_017 |
@type | jArticle |
@facs | 0523 |
Dresden, 13. Sept. Mittags.
Rittmeister Helbig und ungefähr 20 Soldaten sind geblieben, Geh. Regierungsrath Todt durch
einen Steinwurf auf der Brust verwundet. Die reitende Batterie ist von Radeberg hier durch
nach Chemnitz abgegangen.
[(Dresd. J.)]
@xml:id | #ar105_018 |
@type | jArticle |
@facs | 0523 |
München, 10. Sept.
Durch ein Circular des königlichen Kriegsministeriums werden sämmtliche Militärkommandos auf
die Rechte und Pflichten des stehenden Heeres vom verfassungsmäßigen Standpunkte aufmerksam
gemacht; es soll in der Armee die größtmögliche konstitutionelle Einsicht verbreitet werden;
daß der freie Gebrauch des Wortes und der Presse, so weit er nicht durch Strafgesetze
beschränkt ist, auch dieser Klasse von Staatsbürgern gewährleistet ist, die bewaffnete Macht
nach Außen gerichtet sei und nur auf Requisition der Civilbehörde einzuschreiten habe, dies
Alles soll der Armee eröffnet werden.
Französische Republik.
@xml:id | #ar105_021 |
@type | jArticle |
@facs | 0523 |
Paris, 14. Sept.
Nächst dem Arbeitsrecht regt die legitimistische Propaganda die Gemüther am Meisten auf.
Legitimistische Zettelträger rennen von Haus zu Haus und prophezeien die Rückkehr des alten
Glücks und Königsgeschlechts für Ende dieses Monats mit einer wahrhaft klassischen
Unverschämtheit.
In der Rue Duphot hob gestern die Polizei einen legitimistischen Klub auf. Ein Stoß von
Papieren, aufwieglerische Lieder, vorzüglich aber die Namenlisten sämmtlicher Glieder wurden
mit Beschlag belegt.
‒ In Bannes wird ein neues legitimistisches Orakel„La Bretagne, redigirt von Georg Cadoudal“
vom 15. Septbr. an erscheinen.
‒ Senard, Minister des Innern, zeigt sich im heutigen Moniteur gewaltig ergrimmt gegen die
Reforme, weil sie gestern die Existenz eines geheimen lithographischen Korrespondenzbureaus,
das die Departementspresse mit reaktionärem Proviant versehe, denunzirt hatte. Hr. Senard
verneint es, erklärt jedoch bei der Reinheit seiner alten republikanischen Gefühle am Schluß,
„daß, wenn wirklich ein Korrespondenzbureau des Genre's bestehe, wie ihn die Reforme
signalisire, so sei Hr. Senard und die Angestellten seines Ministeriums demselben persönlich
fremd.“ Beruhigen Sie sich, Hr. Senard, die Reforme war gut unterrichtet, das fragliche Bureau
zur Beaufsichtigung des öffentlichen Geistes existirt wirklich, nur wandeln Ihre Couverts aus
der Rue de Grenelle in die Rue de Barennes, von wo sie gefüllt zur Post expedirt werden.
‒ Der Moniteur enthält die Namenslisten der jüngsten Insurgentenverpackung nach Havre. Es
sind deren 500, darunter mehrere Ausländer, z. B. Bergys, Bildhauer aus Belgien, Frank, Trich,
Kohner, Link, Maurer, Zott, Gilmer, Specht, Meyer, Typograph, Fick, Ulmann etc. aus den
Rheingegenden.
‒ Ein Dekret der Exekutivgewalt setzt eine neue Eisenbahn-
[0524]
[Spaltenumbruch] kommission an die Stelle der in der letzten Zeit unter Guizot errichteten
ähnlichen Behörde zur Beaufsichtigung und Schlichtung von Eisenbahnstreitigkeiten ein.
‒ Gestern fällte das Kriegsgericht nach viertägiger Debatte und Vernehmung eines Heeres von
Zeugen, sein Urtheil gegen den berüchtigten Maire des 12. Bezirks, der auf Seite der
Insurgenten mit Arago und Lamartine von den Barrikaden herab parlamentirt hatte. Pinel,
Grandchamp, sein Name, wurde von Chair d'Est Ange vertheidigt, und hört, hört, nur zu
1jährigem simplem Gefängniß verurtheilt. Seinen Kameraden auf der Barikade, Bataillonschef
Dupont, der sich geflüchtet, traf dagegen eine 10jährige Kettenstrafe in Contumaciam.
‒ Das „Bien Public“ erklärt heute die von ihm gegebene Nachricht für ungenau: daß Hr.
Labrousse, Gründer und Exdirektor der Brüsseler Handelsschule, und jetziger französischer
Volksrepräsentant, vom König Leopold als französischer Gesandter in Brüssel zurückgewiesen
sei.
Nationalversammlung Sitzung vom 14. September. Anfang 12 1/2 Uhr
Mittags. Präsident Marrast. Tagesordnung: Die Debatte über das Recht auf Arbeit und
Staatshülfe für den Armen, nach dem Antrage Matthieu's zum § 8. der Verfassungs
Einleitung.
Bouhier de l'Ecluse bekämpft den Antrag; er gehe zu weit.
Andererseits sei der Verfassungsentwurf zu engherzig; ihm zufolge müsse der Staat zwei Zwecke
erfüllen, den Handel ermuntern und die Volksaufklärung durch gute Schulen heben. Das sei aber
Alles, worauf man sich beschränken müsse.
Cremieur legt sein Ausschußgutachten über die erforderlichen
Majoritäten bei den neuen Geschwornen-Gerichten auf ben Tisch.
Martin Bernard unterstützt das Arbeitsrecht. Es sei die schönste
Ueberschrift welche die Versammlung der Verfassung geben könne. Der Geist der Assoziation
wirke verjüngend auf die Gesellschaft, er versetze dem alten Gespenst „Politik“ den Todesstoß.
Der Staat müsse der Regulator des Kredits werden. Nur auf diese Weise sei eine vernünftige
Transaktion zwischen Ueberfluß und Elend, Arm und Reich möglich.
Billault (allg. Aufmerksamkeit.) Ich bin kein Utopist, beginnt er;
während meiner polit. Laufbahn bestrebte ich mich, stets praktisch zu sein. Ich gestehe es
Euch ganz demüthig ich bin nur ein Republikaner du lendemain; aber ich hege die Ueberzeugung,
daß jeder Ehrenmann sich dem republikanischen Prinzip weihen muß und daß wir, die den Staat
als Gesammtgesellschaft repräsentiren, gütlich der Februar-Revolution Zugeständnisse machen
müssen (allg. Erstaunen; Entsetzen zur Rechten, der Redner gehörte bekanntlich zu den
einflußreichsten Glieder der ehmal. Kammerlinken.)
Duvergier de Hauranne warnt vor Uebertreibungen und bewies uns die Nothwendigkeit die Frage
nakt und klar zu betrachten. Wohlan, ich rathe Ihm sich nicht von dem Glauben hinreissen zu
lassen, daß Ihre sozialistischen Gegner die Welt einreissen wollten, um sie nachher wieder
aufzubauen ‒ im Studirzimmer. Es giebt unter den Sozialisten Leute, die allmählige Reform
wollen, zu dieser Schule sog. Progressisten gehöre er Was verlangt man von Euch? Sollt Ihr
Eure Staats-Einnahmen als Almosen vertheilen und das Volk umsonst füttern? Keineswegs. Wir
verlangen nur die Anerkenntniß einer Schuld, die Ihr später bezahlen sollet. Ein altes
Sprüchwort sagt: Adel verpflichtet,“ wohlan der Februarsieg sagt Euch: „Republik
verpflichtet,“
Dufaure sucht den günstigen Eindruck zu verwischen, den Billault's
Rede hervorbracht. Der Redner beharrt dabei, daß man die Pflicht zu Arbeitsgabe, aber nicht
das Recht auf Arbeit in die Verfassung schreiben dürfe und schließt mit einer Voltaireschen
Floskel.
Die Sitzung wird auf zehn Minuten aufgehoben. Dann erhält Lamartine das Wort.
Er berichtet von vornherein, daß er nicht für, sondern gegen das Amendement stimme, und den
Fassungs-Ausschuß unterstützen werde.
Lamartine's Rede trug keinen bestimmten Charakter. Sie schwamm zwischen dem Amendement,
dessen Geist er lobte, aber dessen Form er verurtheilte. Wir haben nie den poetischen
Advokaten des Proletariats schwächer gesehen. Seine Rede wurde wohl gehört, aber sie machte
fast gar keine Wirkung zur Linken.
Dufaure erwidert einige Worte. Keine Bedeutung.
Glais-Bizoin entwickelt sein Amendement, das die Worte eingeschoben wissen will:
„Der Arbeiter hat das Recht auf Existenz durch Arbeit und Staatshilfe, nach den
Gesetzen.“
Mathieu schließt sich dieser Fassung an.
Der Rapporteur protestirt
Goudchaur, Finanzminister, besteigt die Bühne, um das Amendement zu bekämpfen. Er beginnt
wie gewöhnlich mit der Betheurung, sich sein ganzes Leben lang mit dem Arbeiterwohle
beschäftigt zu haben. Er liebe die Arbeiter. Die Arbeiter ernähren die Regierung, nicht die
Regierung die Arbeiter. (Beifall.) Allein der Kredit fehle ihnen und den müsse man ihnen
verschaffen. (Gut) Dies könne ihnen aber nur die Ruhe und der Frieden des Landes geben, nicht
jene socialistischen Lehren. (Oh! Oh!) Ja wohl, ihr Leute des Berges, die Welt wird ohne Euch
und trotz Euch marschiren, denn Ihr wollt sie tödten.
Diese Worte rufen einen furchtbaren Tumult hervor. Goudchaur steht wie ein armer Sünder auf
der Tribune. Endlich gönnt man ihm Gehör. Er leistet Abbitte und vollendet seine Rede über
Hals und Kopf.
Lagrange stürzt auf die Bühne und treibt den Minister förmlich herunter. Gräßlicher Scandal.
Lagrange protestirt im Namen des Berges gegen die blutigen Anschuldigungen Goudchaur
Die Rechte schreit: Schluß! Schluß der Debatte auf morgen!
Favre protestirt mit einigen Worten gegen den Schluß, aber vergebens G. Bizoins Amendement
wird mit 596 gegen 187 verworfen und die Sitzung geschlossen.