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] Frankfurt, 12. September.
76. Sitzung der National-Versammlung. Tagesordnung: Grundrechte. Protokoll genehmigt.
Flottenbeiträge u. a. 1700 Thlr. vom Central-Ausschuß der politischen Vereine in Weimar, mit
einem Begleitschreiben, worin gesagt, daß die meisten Beiträge von Proletariern. (Bravo.)
Stedtmann zeigt im Namen der beiden bekannten Ausschüsse an, daß sie
sich ihres Geschafts mit allem Ernste unterzogen. Eine absolute Majorität für eine oder die
andere Ansicht (d. h. für Ratifizirung oder Nichtratifizirung) zu erzielen, war unmöglich. Die
relative Majorität (11 Mann) mit ihrem Berichterstatter Wurm ist gegen die Ratifizirung. Die
relative Minorität mit 10 Stimmen (Berichterstatter Stedtmann) für Ratifizirung. Die Anträge
der Minorität lauten:
(Links Unterbrechungen: Zuerst Majoritätsanträge!)
Gagern, der Edle: Man mochte Herrn Stedtmann hören! (Nein! Nein!
Majoritätsanträge! Wurm! Wurm!)
Präsident (entschließt sich): Stedtmann möchte warten, bis der ganze
Bericht erstattet ist. (Bravo!)
Stedtmann: Lassen Sie mich wenigstens im Namen sämmtlicher 21
Mitglieder den Antrag stellen: Morgen in einer Extra-Sitzung diese Sache zu erledigen.
Claussen (Kiel): Es ist noch Herr Höfken aus Preußen zur Majorität
getreten, also eine absolute Majorität von 12 Stimmen. (Lautes Bravo!)
Lindenau zeigt an, daß er einen selbstständigen Antrag in dieser
Angelegenheit morgen stellen wird.
Schwarzenberg: Eine Adresse von der schleswig-holsteinischen
Landesversammlung ist angekommen. (Drucken! Links: Vorlesen!)
Präsident: Sie ist bereits gedruckt.
Fuchs (Berichterstatter des Petitionsausschusses) berichtet unter
fortwährendem Schlußruf mit sehr erzürnter Stimme über einige unwichtige Petitionen, die man
durch Tagesordnung beseitigt.
Franke (Namens des volkswirthschaftlichen Ausschusses): Bericht über
die Beschwerden der Segelschiffe auf dem Rhein.
Wird gedruckt.
Präsident theilt einen Antrag von Blum und anderen mit: „Bei der
dringenden Gefahr in den Herzogthümern etc. sofort eine Deputation von 15 Mitgliedern an den
Reichsverweser zu senden, um um Beschleunigung der Ministerkrise zu ersuchen.
Die Dringlichkeit des Antrags wird nach zweimaliger Zählung in etwas zweifelhafter Art mit
219 Stimmen gegen 208 verworfen.
Präsident: Schlöffel u. s. w. beantragen: „In Erwägung, daß der von
Preußen am 26. August abgeschlossene Waffenstillstand ohne Ratifikation der Centralgewalt ist,
daß ferner die vom Reichsverweser gegebene Vollmacht bei Weitem überschritten ist, daß
derselbe ferner ein Attentat auf Deutschlands Einheit ist (rechts: Oho!), beschließt die
National-Versammlung: sofort an die Berliner Versammlung die 29 Bogen gedruckter Aktenstücke
über diesen Waffenstillstand zu übersenden. (Rechts: Oho!)
Der Antrag wird nicht als dringlich erkannt und zur Tagesordnung (Grundrechte)
übergegangen.
Präsident: Die Tagesordnung bringt § 15 und 16 der Grundrechte, denn
ich habe die gestrigen Anträge von Schneer und Schoder (welche angenommen wurden) so
verstanden, daß erst nach Artikel III. und IV. zu dem Associationsrecht u. s. w. übergegangen
wird.
Schoder erklärt sich einverstanden.
Nach kurzer Debatte geht man demnach zu § 15 der Grundrechte.
„§ 15. Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.“
Die Amendements werden zur Unterstützung verlesen und dann, nach dem gestrigen Beschlusse,
die Frage gestellt: ob über den Paragraphen diskutirt werden soll?
Man verzichtet auf die Diskussion. (Bravo!)
Bei der Abstimmung wird die Fassung des Ausschusses angenommen. (S. oben).
Dazu ein Amendement von Riesser und mehreren, lautend:
„Die Form des Eides soll eine für alle gleichmäßige, an kein bestimmtes Religionsbekenntniß
geknüpfte sein,“
mit 226 gegen 183 Stimmen angenommen.
Ein Antrag von Vogt:
„Niemand kann zur Erfüllung irgend welcher religiösen Pflichten oder Handlungen gezwungen
werden,“
verworfen.
Ebenso ein Antrag von Dewes verworfen, lautend wie in der belgischen
Konstitution Tit. II. Art. 15:
„Niemand soll gezwungen sein, die kirchlichen Ruhetage zu halten.“
§ 15 lautet demnach:
„Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden Die Form des
Eides soll eine für alle gleichmäßige an kein bestimmtes Religionsbekenntniß geknüpfte
sein.“
§ 16 Artikel III. lautet: nach dem Antrag des Verfassungs-Ausschusses.
Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilactes abhängig; die
kirchliche Trauung kann erst nach der Vollziehung des Civilactes statt finden.
(Ganz aus der belgisch. Constit. übersetzt)
Bischof Geritz (aus Frauenburg) stürzt zur Tribüne und ruft mit
erzürnter Stimme: „Ich kann die Competenz der hohen Versammlung hierzu nicht anerkennen. ‒
(Tumult!)
Gagern: Herr Geritz, lassen Sie mich erst fragen, ob über den
Paragraphen diskutirt werden soll. Die Diskussion über den § wird beschlossen, da mehr als 100
Mitglieder sich dafür erheben
Bischof Geritz: M. H., ich kann der Competenz; die
National-Versammlung. (Unterbrechungen. ‒ Larm. ‒ Allgemeines Gelächter.)
Gagern. Professor Deiters hat das Wort.
Prof. Deiters aus Bonn. Ich will zuerst ein Mißverständniß
aufklären. Man scheint zu glauben es handele sich hier vorzüglich um Aufhebung des Cölibats;
dies ist aber nicht beantragt, sondern Aufhebung der Kirchenehen ‒ Deiters empfielt den ersten
Absatz des Ausschußantrags; erklärt sich aber dagegen, daß die kirchliche Trauung erst nach
dem Civilakt stattfinden soll.
Prof. Dieringer aus Bonn. Ganz derselben Ansicht wie Deiters
Pof. Mitternmyer unterstützt den ganzen Antrag des Ausschusses und
empfielt dazu sein Amendement. (S. unten.) ‒ Im Mittelalter, sagt er, war die Kirche berufen
die Ehe zu heiligen, heute aber, wo wir alle Confessionen gleichgestellt haben, muß die
Civilehe eingeführt werden. ‒ Man hat gesagt, die Sittlichkeit leide bei diesem Institut. Im
Rheinland und Frankreich habe ich mich vom Gegentheil überzeugt.
Die Civilehe muß vor der kirchlichen Trauung vollzogen werden, wie in Belgien, dort straft
man die Geistlichen, (hört!) die eine Kirchentrauung vor der Civilehe vornehmen.
Schluß der Debatte.
Berichterstatter Beseler (Schluß!) spricht diesmal nur 7 1/2
Minuten. (Bravo!)
Bei der Abstimmung werden angenommen:
1 Die Fassung des Ausschusses (s. oben), hierzu ein Amendement von Mittermaier: „Die
Religionsverschiedenheit ist kein burgerliches Ehehinderniß. Die Standesbücher werden von
bürgerlichen Behörden geführt.“ (Bravo!) Dies Amendement neben der Fassung des Ausschusses (s.
oben) bilden also § 16; den letzten Paragraphen des Art. III.
Verworfen wurde unter andern folgendes Amendement:
Den katholischen Geistlichen, welche ihren Kirchendienst niederlegen, steht als solchen bei
Schließung der Civilehe kein civilrechtliches Hinderniß entgegen. (Fehrenbach. Itzstein.
Sachs. Zitz. Schaffrath u. Konsorten. Reinhard).
Und ein Antrag von Wedekind: „Das Gelöbniß der Ehelosigkeit ist bürgerlich unwirksam. Alle
geistliche Gerichtsbarkeit ist aufgehoben.“ ‒ Die Linke und ein Theil des linken Centrums war
dafur.
Folgt Artikel IV der Grundrechte
Paur aus Neiße. (Berichterstatter des Schulausschusses) will über
Art IV. erst berathen, wenn alle Amendements und der Bericht darüber gedruckt ist.
Demgemäß vertagt der Präsident die Berathung über Artikel IV. Weil man aber
schicklicherweise noch nicht zu Tisch gehen kann, kommen einige Allotria
1) Osterrath beantragt: Veränderung des §. 41 der Geschäftsordnung
(von den Abstimmungen) und dafür Abstimmung durch schwarzr und weiße Kugeln.
Präsident: will die Versammlung Hrn. Osterrath zur Begründung der
Dringlichkeit dieses Antrags das Wort geben? Ja wohl!
Osterrath: Die Resultate unserer Abstimmungen waren fast immer
zweifelhaft (oh! oh!) ‒ hebt die Vortheile der Kugelabstimmung hervor.
Rösler (Oels) ist gegen die Dringlichkeit; verweist den Antrag an
die Geschäftskommission. Nachdem noch Reh gegen Dringlichkeit, und
Lichnowsky sich für die Dringlichkeit ausgesprochen, verwirft die Versammlung die
Dringlichkeit, und weist den Antrag an den Ausschuß.
Ein ähnlicher Antrag geht den nämlichen Weg.
Ob Morgen Extra-Sitzung und Erledigung der Waffenstillstandsfrage ist zwar von der
Beendigung des Drucks und der Vertheilung der vielberührten Aktenstücke (29 Bogen) abhängig,
aber mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Von einem Ministerium noch keine Spur.
Zum Schluß der Sitzung wurden wider alles Erwarten noch die Anträge (der Majorität und
Minorität) der beiden Ausschüsse für die Waffenstillstandsfrage verlesen. Obschon Sie
dieselben bereits durch die Frankfurter Blätter haben müssen, folgen sie hier noch bei, mit
dem was sonst in dieser Sache verlautet. ‒
Der Antrag der Majorität (Arndt, Blum, Claussen, Cucumus, Dahlmann, Esmarch, Höfken, Raumer,
Stenzel, Trutzschler, Wippermann, Wurm) geht dahin: „In Erwägung, daß der am 26 August zu
Malmoe abgeschlossene Waffenstillstand, vermöge der in seinem VII. und IX. Artikel, im fünften
Separatartikel und den beiden Zusatzartikeln enthaltenen Bestimmungen wesentliche
Selbstständigkeitsrechte verletzt, welche durch die Beschlüsse der Nationalversammlung allen
in ihr repräsentirten Stämmen gewährleistet sind; in Erwägung, daß der von der Krone Preußen
nach Malmoe abgesandte Unterhändler in wesentlichen Punkten die ihm von der deutschen
Centralgewalt ertheilten Vollmachten überschritten hat, namentlich in Bezug auf die Dauer des
Waffenstillstandes, die Trennung der schleswigschen Truppen von den holsteinischen, die in den
Herzogthümern Schleswig und Holstein bestehenden Gesetze und das Personal der für beide
Herzogthümer zu bildenden prov. Regierung, nicht minder in Bezug auf die Lage des Herzogthums
Lauenburg während des Waffenstillstandes; in Erwägung ferner, daß die Ausführung mehrerer
politischer Punkte des Malmöer Vertrages, vermöge der einstimmigen Weigerung der
schleswig-holsteinischen Landesversammlung ihnen nachzukommen, unthunlich geworden ist,
während dagegen es thunlich und wünschenswerth erscheint, eine Waffenruhe zum Zweck
schleuniger Friedensunterhandlungen anzubahnen; in Erwägung alles dessen beschließt die
Nationalversammlung: 1) der Malmoer Waffenstillstand vom 26. August wird von der deutschen
Nationalversammlung nicht genehmigt; 2) das Reichsministerium wird aufgefordert, die zur
Fortsetzung des Krieges erforderlichen Maßregeln zu ergreifen, sofern die dän. Regierung sich
nicht bereitwillig finden sollte, die Friedensunterhandlungen mit der Centralgewalt des
deutschen Bundesstaates sogleich zu eröffnen.“ Der Antrag der Minorität (Dunker, Flottwell, M.
v. Gagern, Gombart, Mayern, Schubert, Stedtmann, Würth, Zachariä, Zennette) geht dahin: 1. Die
deutsche Nat.-Vers. beschließt: Im Hinblick auf eine durch die k. preuß. Regierung,
vermittelte Erklärung der dän. Regierung daß sie auf das Eintreten des Grafen Karl v.
Moltke-Nütschau in die interimistische Regierung der Herzogthümer Schleswig-Holstein
verzichte, und auf Modifikationen und Koncessionen, welche für die Ruhe der Herzogthümer
wünschenswerth erscheinen, bereitwillig eingehe; in der Voraussetzung, daß die Erklärung der
dänischen Regierung auch für das Herzogthum Lauenburg zu verstehen sei; in der Voraussetzung,
daß die erwähnten Zusagen sofort durch Vermittlung der Centralgewalt in Erfüllung gehen
werden: 1) daß der Waffenstillstand vom 26. August l. J. ihrerseits nicht weiter beanstandet
werde; 2) daß die Friedensunterhandlungen mit Dänemark durch die prov. Centralgewalt direkt
und unverzüglich zu eröffnen seyen. II. Die Nationalversammlung beschließt: daß sie nach
Einsicht der Verhandlungen über die Verhältnisse Deutschland's zu Schleswig, vom 2. April bis
zum 26. August l. J., den Ausschuß für Centralgewalt beauftrage, über das von der preußischen
Regierung der provisorischen Centralgewalt gegenüber eingehaltene Verfahren der
Nationalversammlung zu berichten.
Morgen keine Sitzung.