Deutschland.
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Edition: [Karl Marx: Die Krisis, Nr. I7_134_2. In: Marx-Engels-Gesamtausgabe, Neue Rheinische Zeitung. Nr. 102, 14. September 1848.2, I/7.
]
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]
Köln, 13. Sept..
Die Krisis in Berlin ist um einen Schritt weiter gerückt: der Konflikt
mit der Krone, der gestern nur noch als unvermeidlich bezeichnet werden konnte, ist wirklich eingetreten.
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!!!
] Frankfurt, a. M. den 11. Septbr. 1848.
75. Sitzung der National-Versammlung. Beginn 1/2 10 Uhr. Präsident von Gagern. Tagesordnung:
Grundrechte‒
Auf der Ministerbank sitzt Niemand. Nach Eröffnung der Versammlung und Verlesung der
Protokolle theilt der Präsident mit: Dahlmann hat angezeigt, daß er bei Bildung eines
Ministeriums auf unüberwindliche Hindernisse gestoßen.‒ In Folge dessen hat Schmerling
(interimistischer Reichsminister) gestern im Namen des Reichsverwesers von Hermann aus München
mit der Bildung eines solchen beauftragt.‒ Hermann war gestern abwesend, hat sich aber in
diesem Augenblick zum Reichsverweser verfügt‒(Also in drei Tagen ist nichts geschehen; und
Johannes wird durch sein Verzögern des neuen Ministeriums die Ausführung des Beschlusses vom
5. September schon zu verhindern wissen.)
Der volkswirtschaftliche Ausschuß zeigt einen Bericht betreffs des östreichischen
Geldausfuhrverbotes an. Der Ausschuß beantragt: „Oestreich sei zu veranlassen, sofort das
Ausfuhrverbot zurückzunehmen.“‒
Präsident: Folgende Anträge sind gestellt worden:
1) Die Nationalversammlung möge ihren Präsidenten ermächtigen, nachdem die Abstimmung über
den § 14 der Grundrechte erfolgt sein wird, vor dem Beginne der Berathung eines jeden
Paragraphen des Entwurfs der Grundrechte die Frage zu stellen, ob die Nationalversammlung auf
die Diskussion zu verzichten beschließe. Im bejahenden Falle sollen außer dem Antrage der
Mehrheit des Verfassungsausschusses auch die Minderheitsgutachten desselben Ausschusses, so
wie die etwa correspondirenden Anträge anderer Ausschüsse, wie z. B. des
volkswirthschaftlichen, zur Abstimmung gebracht werden.
2) Die Nationalversammlung möge den Verfassungsausschuß zur beschleunigten Vorlage des noch
rückständigen Theils der Verfassung auffordern und den Herrn Präsidenten ermächtigten,
beziehungsweise ersuchen, diesem Ausschusse die Möglichkeit dazu zu geben durch Aussetzen der
öffentlichen Sitzungen auf einige Tage nach vollendeter Berathung über den
Waffenstillstandsvertrag, so wie durch Einhalten der Regel, wonach wöchentlich nur vier
öffentliche Sitzungen Statt finden sollen.
Frankfurt a. M., den 8. September 1848.
Bassermann und Consorten.
Hr. Bassermann erhält das Wort zur Begründung der Dringlichkeit dieser beiden Anträge. ‒Der
Mensch spricht von Einheit, Freiheit und Rettung des Vaterlandes. Er meint, das Vertrauen im
Volk ist durch unsere Beschlüsse über die Grundrechte nicht gewachsen. (Links: richtig!) Nach
der jetzigen Art und Weise könnte die Nationalversammlung bis 1850 dauern. Auf mich, sagt Hr.
Bassermann, wirkt diese Ueberzeugung erschreckend. ‒Es kommt darauf an, dem Volk schnell seine
Constitution zu geben. ‒Nachher haben wir vom Partikularismus der Einzelstaaten nichts mehr zu
fürchten. ‒Erst wollen wir die Einheit ‒ dann den Wohlstand aufrichten. (Zischen.)
Moritz Mohl(oh! oh!) Will die Anträge Bassermanns an den
Verfassungsausschuß weisen.
Präs:ob die Versammlung die Dringlichkeit der Bassermannschen
Anträge erkennt. ‒ Antwort: ja!
SchoderundGenossenstellen einen hieher
bezüglichen Antrag:
„Sogleich auf die Berathung der das Vereinigungs-und Versamm-„lungsrecht, die Mündlichkeit,
Oeffentlichkeit und Geschworenengerichte „Befreiung des Grund und Bodens enthaltenden Artikel
des Ent-„wurfs überzugehen, und nach deren Beendigung, die Beschlüsse über „Gleichheit vor dem
Gesetz, Glaubens-Gewissens- und Preßfreiheit, „Freiheit der Person und Wohnung,
Unverletzlichkeit des Briefge-„heimnisses, Versammlung-Associationsrecht, Mündlichkeit,
Oeffent-„lichkeit und Geschworenengerichte, durch den Verfassungsausschuß zu-„sammenstellen zu
lassen und nach den durch die 2. Berathung er-„haltenen Modifikationen, als Gesetz zu
verkünden.‒
VogtundWiegand stellen zu Bassermanns
Anträge ein Amendement ‒
Schoder(zur Begründung seines Antrags.) Nach dem langen Antrag
Bassermanns, der uns Kürze anrath kann ich wenigstens kurz sein. (Gelachter.) Ich bin Hrn.
Bassermann sehr dankbar für seine zu Freiheit, Einheit und Wohlstand des Vaterlands gemachten
Anträge. ‒Aber wir haben ihn früher ganz anders sprechen hören. Durch seine Vorschläge bekommt
die Majorität eine ungeheure Macht in die Hände. Sie kann die Diskussion zulassen, wenn sie
Lust dazu hat. ‒Bassermann meint, man kann sich auf die Billigkeit der Majorität verlassen.
Davon, von dieser Billigkeit, haben wir schöne Exemplare gehabt. ‒(Links: hört!) Der
Billigkeit der Majorität ist gar nicht zu trauen. (Bravo!) Außerdem taugt der ganze
Bassermannsche Antrag nichts. Bassermann will die Interpellationen wegschaffen; wenn diese
nicht zulässig sind, so werden wieder Waffenstillstände à la Malmö geschlossen werden.
(Bravo!)
Empfiehlt schließlich seinen Antrtg. ‒
Präs. ob Schoders Antrag auch dringlich? Ja!
von Binke (Zischen begrüßt die Rückkehr des Ritters nach 4
wöchentlicher Absenz) erkennt in Bassermanns Anträgen einen Geschäftsterrorismus. Man würde
der Majorität mit Recht vorwerfen, sie wolle die Diskussion der Opposition unterdrücken,
deshalb ist er gegen die Anträge und gegen alle Amendements dazu. ‒Ebenfalls gegen Schoders
Antrag. Es sei gefährlich einzelne Stücke aus dem Entwurf herauszureißen Schließlich spricht
der Ritter zu allgemeiner Verwunderung von der Reaktion der Partikularstaaten.
Adams und Bürgers beantragen: „über
Bassermanns und Schoders Anträge erst Freitag zu diskutiren.“
Die Versammlung verwirft mit Stimmengleichheit (211 gegen 211 Stimmen) diesen Antrag.‒
Löweaus Magdeburg. Gegen Bassermanns Anträge, und für die
Schoderschen mit Modifikationen. Die Ungeduld des Volkes sei noch nicht so groß. ‒Die lange
Dauer der Verhandlungen sei ein nothwendiges Uebel. Bei Ergreifung anderer Maaßregeln erinnert
er an incidit in Seyllam qui vult vitare Charybdim.“
Soiron zeigt an, daß der Verfassungsausschuß sehr fleißig ist, und es der Versammlung nie an
Material zur Berathung werde fehlen lassen.‒
Vogtmacht darauf aufmerksam, daß bisher alle Anträge zur Abkürzung
der Berathungen von der Rechten ausgegangen. Ich bedaure, fährt Vogt
[0510]
[Spaltenumbruch] fort, daß Herr Bassermann für das was auf der rechten Seite vorgeht ein so
schlechtes Gedächtniß hat. (Bassermann vom Platz: Ich habe immer mit Ihnen gestimmt!) Meine
Herren! Herr Bassermann meint, er habe immer mit uns gestimmt. (Gelächter.) Am 29. Juni hat er
gerade das Gegentheil von seinen heutigen Meinungen aufgestellt. (Allgemeines Gelächter; sogar
der Edle lacht.) Ich freue mich, daß Hr. Bassermann jetzt auf einmal links geworden.
(Gelächter.) Der Zweck der Bassermannschen Anträge scheint zu sein, nach schneller Abfertigung
der Volksrechte, zu den Rechten der Regierung, zur fixen Bildung der Centralgewalt
überzugehen. (Bravo!) Es ist nur die Frage, ob sie das Werk der Einheit durch das Volk, oder
durch die Regierungen zu gründen gedenken. Wenn Sie das letzte wollen, nehmen Sie Hrn.
Bassermanns Anträge an. (Gelächter. Bravo!) Herr Löwe hat von Ungeduld nichts im Volke
gesehen; da muß er wohl nur nach Oben gesehen haben. (Bravo!) Ehe Sie die Spitze des Baues,
den wir vorhaben, die Centralgewalt, bilden, lassen Sie uns erst die Säulen, die das Gebäude
tragen sollen, die Rechte des Volkes, gründen. (Sehr brav!) In Bezug auf das, was Herr
Bassermann von den Interpellationen gesagt, muß ich bedauern, daß Hr. v. Hermann nicht da ist,
um Hrn. Bassermann dafür zu danken, daß er dem neuen Ministerium die Interpellationen ersparen
will. Ich bin der Meinung die Minister sind dazu da, um interpellirt zu werden. Man hat ferner
gesagt, die Volksrechte seien in den Einzelstaaten schon garantirt; darauf antworte ich nein.
(Bravo!) Man sagt, die definitive Centralgewalt müsse zuerst hergestellt werden; diese würde
die Sicherheit geben. Dies ist nicht wahr, und trotzdem ich kein Freund von Provisorien bin,
muß ich doch sagen, daß, wenn man schon gegen das Provisorium rebellirt, wie dies geschieht,
man gegen das Definitivum sich noch viel mehr auflehnen wird. Jetzt macht zwar jene Seite
(nach rechts), die gegen das Provisorium rebellirt, den Antrag, das Definitivum schleunigst
herzustellen, aber warum? um das Definitivum an sich zu reißen. (Gelächter und Bravo).
Moritz Mohl beantragt Tagesordnung über sämmtliche Anträge.
Wird nicht unterstützt und ausgelacht.
Schaffrath: Nicht blos für seine Aeußerung, auch für die Anderer hat
Hr. Bassermann ein schlechtes Gedächtniß. Schaffrath braucht gegen Hrn. Bassermann das Wort
„unwahr“
Der edle Gagern findet hierin eine Beleidigung.
Schaffrath: Wenn ich nicht mehr sagen darf, was wahr oder unwahr
ist, dann steht es schlimm mit der Redefreiheit. Die Einheit, die Hr. Bassermann vorschlägt,
will auch ich, aber nur als Mittel zum Zweck der Freiheit. Bassermann hat als ein Motiv für
seine Anträge die Unzufriedenheit des Volkes mit unsern Beschlüssen angeführt. Bis zum
heutigen Tage hat die Rechte des Hauses die Majorität gehabt. Von ihr also gehen die
Beschlüsse aus. Wenn das Volk also damit unzufrieden ist, so ist es unzufrieden mit der
Majorität. (Lautes Bravo der Gallerien).
Präsident: Die Gallerien haben sich des Beifalls zu enthalten.
Schneer (Assessor aus Preußen) stellt Amendements zu Bassermanns
Anträgen.
Die Debatte wird geschlossen und es sprechen noch die beiden Antragsteller.
Abstimmung,
Präsident will über Bassermanns Anträge zuerst abstimmen.
Schoder verlangt die erste Abstimmung über seinen Antrag.
Schwerin beantragt, die Abstimmung zu vertagen, bis die Anträge alle
gedruckt sind. (Wird gleich verworfen).
v. Bincke will Künsbergs Antrag zuerst.
Die Versammlung entschließt sich über Schoders Antrag zuerst abzustimmen. (Es hat sich
nämlich der Theil der gemäßigten Linken, welcher Herr Schoder anhängt, mit der äußersten
Linken vereinigt, und diese beiden Parteien bilden zu knapper Noth die Majorität). Bei
zweifelhaftem Resultat wird gezählt und Schoders Antrag mit 243 gegen 209 Stimmen unter lautem
Bravo angenommen. Rechts ruft man nach namentlicher Abstimmung, wird aber zur Ruhe verwiesen.
Viele Mitglieder der Rechten, empört über ihre augenscheinliche Niederlage, umstürmen den
Präsidenten, der auch nicht übel geneigt scheint noch einmal abstimmen zu lassen. Bei der
drohenden Haltung der Linken jedoch beruhigt man sich endlich.
Punkt I. von Bassermanns Anträgen wird verworfen.
Schneer's Amendement dazu wird angenommen. Dasselbe lautet:
„Der Präsident ist zu ermächtigen, nach Abstimmung des § 14 die Frage zu stellen, ob auf
Diskussion der folgenden Paragraphen verzichtet wird; und dann, außer dem Antrag des
Ausschusses, den der Minorität und den der andern hierher bezüglichen Ausschüsse, so wie z. B.
des volkswirthschaftlichen, wie auch die eingebrachten, und von 20 Mitgliedern unterstützten
Einzel-Amendements, sogleich zur Abstimmung zu bringen, wenn nicht 100 Mitglieder die
Diskussion beantragen.“
Punkt II. von Bassermanns Anträgen wird verworfen.
Simon aus Trier stellt den Antrag: „die Nationalversammlung solle
der Berliner Versammlung ihre Anerkennung aussprechen in Betracht der über die Offiziere des
preußischen Heeres nach Steins Antrag gefaßten Beschlüsse. (Links und im linken Centrum Bravo!
Rechts: Zischen!) Die Versammlung beschließt zur Begründung der Dringlichkeit dieses Antrags
Hrn. Simon das Wort nicht zu gestatten. (Links und Gallerien: Oh!)
Tagesordnung. Abstimmung über § 14 der Grundrechte. Es entspinnt sich eine stundenlange
dürre Debatte über die Reihenfolge der Fragen. Dieselben, (30 an der Zahl) werden bis auf drei
in theils gewöhnlicher, theils namentlicher Abstimmung verworfen, z. B. das Minoritätserachten
des Hrn. Lassaulx und Konsorten, wird zum großen Verdruß des Hrn. Professors mit 357 gegen 99
Stimmen verworfen.
Die 3 angenommenen Anträge lauten:
1. „Jede Religionsgesellschaft (Kirche) ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbstständig, bleibt aber, wie jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen
unterworfen.“ (Antrag von Kuenzer und Genossen).
2. „Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden, einer Anerkennung ihres Bekenntnisses
durch den Staat bedarf es nicht.“ (Antrag des Verfassungs-Ausschusses).
3. „Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat. Es besteht
fernerhin keine Staatskirche.“ (Viertes Minoritäts-Erachten).
Diese 3 Punkte bilden also die Fassung des § 14.
Ein Amendement von Esterle, Unbescheiden u. s. w.: „Die Pfarrer und Kirchenvorsteher der
Gemeinden werden von diesen gewählt und ernannt, ohne daß es hierzu der Bestätigung von Seiten
des Staats bedarf“ wird mit 320 gegen 134 Stimmen verworfen
Schluß der Sitzung 3 Uhr. Tagesordnung für morgen, (wenn noch nichts Besonderes vorliegt):
Fortsetzung der Grundrechte.
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[
!!!
] Frankfurt, 10. Sept.
Abends. Heute fand eine große Volksversammlung in Bergen, 2 Stunden von Frankfurt, statt.
Simon von Trier wurde zum Präsidenten und Pflüger von Hanau zum Vicepräsidenten gewählt. ‒ Es
sprachen Hörfel, Präsident des Arbeitervereins aus Frankfurt und Professor Winkelblech aus
Cassel unter vielem Beifall, über ein Programm zur Zusammenberufung eines socialen
Vorparlaments. ‒ Simon von Trier sprach über die gegenwärtigen
politischen Zustände. ‒ Nach ihm sprach noch Essler aus Frankfurt. Port, Präsident des
Frankfurter demokr. republik. Vereins, brachte Hecker, und Metternich aus Mainz den deutschen
Flüchtlingen in der Schweiz ein Lebehoch!
Vor Schluß der Versammlung sprach Wesendonk aus Düsseldorf. ‒ Gegen 9 Uhr zog man unter Sang
und Klang nach der freien Reichsstadt zurück, ‒ um wieder schlafen zu gehen!
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[
*
] Frankfurt, 11. Sept.
Aus folgender Mittheilung der F. O. P. A. Z., der offiziellen Reichsverweser-Zeitung, wird
man entnehmen, wie Alles in der kurzen Zeit vorbereitet worden, um Deutschlands tiefste
Schmach und den Sieg der potsdam-berlin-frankfurter Reaktion parlamentarisch zu besiegeln.
Dieses kurze Artikelchen, das die reaktionäre Bande als Fühlhorn unters Publikum
hinausstreckt, lautet:
„Dem Vernehmen nach hat sich in den kombinirten Ausschüssen für Centralgewalt und
internationale Angelegenheiten eine Mehrheit von 10 gegen 9 Stimmen für die Nichtverwerfung
des Waffenstillstandes erklärt, nachdem die Ausschüsse die Akten geprüft haben. Herr Stedtmann
wird Bericht für die Mehrheit erstatten.“
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[
103
]Berlin, 11. September.
Vereinbarerversammlung.
Die Vereinbarer hatten sich vor der Eröffnung der heutigen Sitzung, erwartungsvoll in großen
Kreisen versammelt. Im Sitzungssaal wogte die Menge unruhig um die entlassenen Minister
sowohl, die sämmtlich erschienen waren, als um die Herren Waldeck, Rodbertus und die andern
Parteiführer. Endlich läßt der Vice-Präsident Kosch die Klingel ertönen und zeigt an, daß der
Präsident Grabow noch durch Krankheit zurückgehalten sei, den Vorsitz zu führen. Die Minister
haben ihre Plätze am Ministertisch eingenommen. Da verlangt der Minister-Präsident das Wort.
Die größte Spannung und athemlose Stille herrschte im Saal und auf den gefüllten Tribünen.
Minister-Präsident v. Auerswald: Das Ministerium hat in Verfolg der
Verhandlungen vom 7. d. M keinen Augenblick gezögert, bei des Königs Majestät seine Entlassung
einzureichen, und dieselbe folgendermaßen begründet:
[Spaltenumbruch]
Ew. Königlichen Majestät haben wir bereits die ehrerbietige Bitte um Entbindung von den uns
anvertrauten Aemtern vorgetragen. Indem wir dieses Gesuch hierdurch ehrfurchtsvoll
wiederholen, erlauben wir uns, zur Begründung desselben Folgendes anzuführen:
Unserer Ansicht nach muß das von uns vertretene und in der Sitzung der National-Versammlung
vom 7. d. M. vertheidigte Prinzip:
daß derselben die Festsetzung von Verwaltungs-Maßregeln nicht zustehe,
aufrecht erhalten werden, weil ohne dasselbe die konstitutionelle Monarchie nicht bestehen
kann. Wir glauben aber, aus dem in jener Sitzung gefaßten Beschlusse der National-Versammlung
einen Mangel an Vertrauen zu unseren Personen folgern zu müssen, welcher es uns in hohem Grade
schwierig machen würde, jenes Prinzip aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grunde bitten wir Ew.
Königl. Majestät ehrfurchtsvoll, uns die nachgesuchte Dienst-Entlassung Allergnädigst
ertheilen zu wollen.
Berlin, 9. September 1848.
Die Staats-Minister
(gez.) von Auerswald. Hansemann Frhr. von Schreckenstein. Milde. Märcker. Gierke
Kühlwetter.
An des Königs Majestät.
Es haben des Königs Majestät darauf erklärt:
„Ich bin mit der in Ihrem Berichte vom 9. d. M. ausgesprochenen Ansicht einverstanden, daß
ohne Aufrechterhaltung des darin aufgestellten Prinzips die konstitutionelle Monarchie nicht
bestehen kann. Gleichwohl werde Ich Ihnen aus dem von Ihnen angeführten Grunde die
nachgesuchte Dienst-Entlassung ertheilen. Bis zur Bildung eines neuen Ministeriums haben Sie
Ihre Geschäfte fortzuführen.
Sanssouci, den 10. September 1848.
(gez.) Friedrich Wilhelm.
(contras.) von Auerswald.
An sämmtliche Mitglieder des Staats-Ministeriums.
Ich habe Ihnen ferner mitzutheilen, daß der Abgeordnete in der deutschen
National-Versammlung, Herr von Beckerath, zu Sr. Majestät berufen worden; hiernächst ersuche
ich die hohe Versammlung, Ihre Sitzungen auf eine angemessene Zeit aussetzen zu wollen. Da der
Umzug aus diesem Sitzungssaal nach dem neueingerichteten vom nächsten Freitag bis Dienstag
stattfindet in Folge dessen ihre Sitzungen bis Dienstag über acht Tage aussetzen zu
wollen.
Abg. Temme: Ich glaube, daß wir in einer Zeit, die so kritisch ist,
wie die jetzige, keinen Augenblick uns vertagen dürfen. Ich schlage vor, daß wir unsere
Sitzungen nach wie vor halten; es wird uns nicht an solchem Material fehlen, bei dessen
Bearbeitung die Minister nicht nöthig sind.
Abg. Tamnau: Es ist Hauptgrundsatz des konstitutionellen Systems,
daß die Krone bei allen gesetzgeberischen Arbeiten der Versammlung vertreten sein muß. Auch
die Geschaftsordnung giebt den Ministern das Recht, ihre Stimme bei den Verhandlungen
abzugeben; wir müssen ihnen also die Möglichkeit dazu lassen.
Abg. v. Berg: Auch ich meine wir können nicht ohne die Organe der
Krone verhandeln. Wenn Sie aber Zwischenfälle ins Auge fassen, die zu zarter Natur sind, um
sie hier in die Verhandlung zu ziehen, so werden Sie meinem Antrag beistimmen, nur die heutige
Sitzung zu schließen. Wir werden uns dann morgen früh wieder hier versammeln und von Neuem,
wenn nichts Wichtiges vorliegt, die Sitzung bis auf den nächsten Tag schließen.
Abg. Waldeck. Es ist nicht das konstitutionelle Prinzip, daß die
Sitzungen vielleicht vier Wochen wegen einer Ministerkrisis ausgesetzt werden. Sie haben
gehört, daß den Ministern aufgegeben worden ist, ihre Geschäfte provisorisch fortzuführen; sie
haben diese Aufgabe nicht erfüllt, denn sie haben ihre Plätze in dieser Versammlung verlassen.
Ich denke wir machen es anders; wir können dringende Fragen erörtern, bei denen das
Ministerium nicht interessirt ist.
Abg. D'Ester: Dieser Augenblick ist für alle Verhältnisse des Staats
sehr wichtig und darum werden Sie Alle mit mir einverstanden sein, daß wir unsre Sitzungen
nicht vertagen, denn wir sind deswegen hierher geschickt, die Rechte des Volkes zu jeder Zeit
zu vertreten, deshalb kommen wir morgen früh hier wieder zusammen, damit wir täglich die
nöthigen Beschlüsse fassen können. ‒ Es ist hier von dem konstitutionellen Prinzip die Rede
gewesen, wir haben aber nur nach unsrer Ueberzeugung zu stimmen. Ich muß mich sogar dagegen
verwahren, daß stets die Worte in diese Versammlung geschleudert werden: „Das konstitutionelle
Prinzip ist in Gefahr!“ ‒ Lassen Sie sich nicht bange machen; die Verhandlungen in der
denkwürdigen Sitzung vom 7. d. M. haben dargethan, daß gewisse Einschüchterungsmittel
verbraucht sind.
Abg. v. Auerswald: Wir sollen uns ja nicht auflösen, sondern nur
unsere Sitzung in der Art aussetzen, daß wir jeden Augenblick wieder zusammenberufen werden
können.
Abg. Schramm (Langensalza) beantragt, daß die Minister ersucht
werden sollen, entweder selbst in der Versammlung zu erscheinen, da sie noch die Geschäfte zu
versehen hatten, oder ihre Kommissarien zu schicken.
Der Antrag auf Vertagung bis Dienstag über acht Tage wird zurückgenommen; dagegen hat der
Abg. Dunker den Antrag gestellt; „daß die nächste Sitzung Donnerstag den 14. d. M. stattfinden
solle.“
Jetzt erhebt sich aber eine hitzige Debatte über die Fragestellung, ob nämlich der
Dunker'sche Antrag oder der Berg'sche auf Schluß der heutigen Sitzung zuerst zur Abstimmung
kommen soll. Die Majorität beschließt zuerst über den Dunker'schen Antrag abzustimmen und
dadurch sieht sich der Abg. v. Berg genöthigt seinen Antrag zurückzunehmen.
Hierauf wir der Antrag des Abg. Dunker angenommen und die nächste Sitzung findet demnach
Donnerstag statt. ‒
Vor dem Schluß der Sitzung gibt der Präsident noch dem Abg. Unruh das Wort, um den Bericht
der Wahlprüfungskommission über zwei Nachwahlen abzustatten. Darüber entsteht ein
fürchterlicher Tumult, indem die rechte Seite keinem das Wort lassen will, da sie der Meinung
ist, daß durch Annahme des Dunker'schen Antrags die Sitzung geschlossen sei.
Die Rechte schickt mehrere Redner, um den Abg. Unruh von der Tribüne zu verdrängen; der Abg.
v. Meusebach will reden, ohne vom Präsidenten das Wort erhalten zu haben, die Linke trommelt
ihn wieder herunter und die Prasident gibt Niemand das Wort, indem er fest darauf beharrt, daß
der Bericht noch verlesen werden soll. Um die Rechte zu beruhigen, verliest der Sekretär den
Dunckerschen Antrag noch einmal, woraus keinesfalls hervorgeht, daß die heutige Sitzung
sogleich geschlossen werden müsse.
Endlich kommt der Abg. v. Unruh zum Worte. Er erstattet Bericht über die Wahl des frühern
Ministers Bornemann und des Abg. Temme und tragt auf Genehmigung an, welche auch von der
Versammlung ertheilt wird. Die gegen die Wahl Bornemanns eingegangenen Proteste konnen nicht
berucksichtigt werden, da die Gründe nicht als genügend erkannt worden sind. Sie heben
besonders hervor, daß 5 Wahlmanner gar nicht mehr in den Wahlbezirken wohnten. Da aber die
Wahl mit so großer Majorität statt gefunden habe, daß, wenn auch diese 5 Stimmen davon
abgerechnet würden, sie dennoch zu Gunsten des Gewählten ausgefallen, so kann dieser Einwand
nicht berücksichtigt werden. Ebenso der Einwand, daß noch einmal neue Urwahlen statt finden
müssen. Der bisherige Gebrauch spreche dagegen.
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@facs | 0510 |
[
30
] Berlin, 11. Sept.
(Der „Sun“ über die Wiederherstellung Polens.) Es war zu erwarten, daß die Gerüchte über den
Ausbruch einer Revolution in Moskau und St. Petersburg sich nicht bestätigen würden. Es gehört
noch eine beträchtliche Zeit dazu, bis die Russen im Stande sind, die Segnungen der Freiheit
und das Elend ihres blinden Gehorsams zu begreifen. Bis dahin aber bleibt es völlig ungewiß,
ob die Kosaken und Kalmüken nicht bestimmt sind, Deutschland, Italien und die spanische
Halbinsel zu verwüsten. ‒ Schon im Frühling 1813 hatte der Kaiser Napoleon Ideen gefaßt,
welche später zu einer der merkwürdigsten Prophezeihungen gereift sind. Napoleon erwog die
männliche Kraft der russischen Barbaren und die Entnervung der Bewohner des westlichen
Europa's. Er erkannte demnächst, daß die Soldaten von 1814 und 1815 Nachrichten von dem
Reichthum der civilisirten Länder nach Rußland bringen würden und daß die Sage diese
Erzählungen bis in's Unglaubliche steigern müßte. Daher die tiefsinnigen und prophetischen
Unterhaltungen auf Longwood, die noch mehr als seine heroischen Thaten die Größe seines
Geistes bekannten. Und diese Weissagung wird in Erfüllung gehen, wenn die Reiche des
westlichen Europa's den Schlag nicht abwenden durch einen großen Akt der Gerechtigkeit, durch
die Wiederherstellung Polens, und auf keine andere Weise. Der Zustand Deutschlands, Italiens,
Ungarns, der Wallachei und Bulgarei treiben den Kaiser Nikolaus, seine Pläne zu beschleunigen.
Bei der Leichtigkeit, mit welcher den Russen die Theilungen Polens geglückt sind, kann man
sich jetzt kaum zu ominöser Ausdrücke bedienen. Wenn wir bemerken, daß der letzte diabolische
Akt des an Polen verübten Raubes Rußland auf 60 deutsche Meilen an Wien und auf 50 an Berlin
heranrückte, so dürfen wir wohl, mit Rücksicht [Spaltenumbruch] auf die furchtbare Uebermacht des
Czaren, die Lage Oestreichs und Preußens für äußerst gefährlich halten. Mit Hülfe des Dampfes
kann Rußland in wenig Stunden eine furchtbare Armee aus dem fernsten Winkel Podoliens oder
Wolhyniens in's Centrum von Galizien bringen. In gleicher Weise können die russischen Truppen
Breslau und ganz Schlesien nehmen. Wie die Sachen stehen, gibt's jetzt keine Hülfe gegen eine
solche Invasion des Czaren. Nur eine Hülfe konnte sich das Festland Europa's und somit die
Civilisation schaffen, das ist die Herstellung des Königreichs und der Nationalität
Polens.
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@type | jArticle |
@facs | 0510 |
Berlin, 11. Sept.
Der Kaufmann Korn hat vorige Woche, schon wieder der Majestätsbeleidigung angeklagt, vor der
ersten Abtheilung des Kriminalgerichts gestanden. Der Gerichtshof hat ihn diesmal
freigesprochen, weil derselbe in dem, in einem Plakat des Angeklagten gebrauchten Ausdrucke:
der alte Dünkel und absolutistische Stolz der Hohenzollern keine
Majestätsbeleidigung, sondern nur eine allgemeine historische Bemerkung fand. ‒ Der Kaufmann
Herold ist in derselben Sitzung zu 6 Monat Festungsarrest verurtheilt worden, weil er das Volk
aufgeregt haben soll, sich dem Einzuge des 12. Regiments zu widersetzen. Vorläufig wurde
derselbe jedoch seiner Haft entlassen.
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@type | jArticle |
@facs | 0510 |
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61
] Wien, 9. Sept.
Durch die Abstimmung vom 6. ist der Reichstag aus einem politischen Wesen zu einem bloßen
kaiserlichen Projektenmacher hinabgesunken. Es dürfte nicht uninteressant sein, zu erfahren,
wie sich die einzelnen Provinzen dabei betheiligt haben und ich habe darum nach meinen Notizen
folgende bis auf etwa 10 Stimmen ganz genaue Aufstellung darüber gemacht. Sie ersehen daraus
den Stand der politischen Bildung im Lande.
Diejenigen, welche mit „Nein“ gestimmt, haben, trotz ihrer konstituirenden Eigenschaft, zur
Proklamation des Beschlusses über Aufhebung der Unterthänigkeitsverhältnisse die kaiserliche
Sanktion für nöthig gehalten, sind also „Vereinbarer“ geworden.
Galizien, Krakau, Bukowina. | ‒ |
Nein
| ‒ |
Ja
| ‒ | Enthielten sich des Abstimmens oder waren abwesend. |
| | 48 | | 36 | | 20 |
Nieder-Oestreich | | 10 | | 22 | | 2 |
Ober-Oestreich | | 3 | | 14 | | 5 |
Tirol | | 14 | | - | | 3 |
Böhmen | | 57 | | 15 | | 14 |
Mähren | | 19 | | 11 | | 9 |
Schlesien | | 4 | | 3 | | 1 |
Illyrien | | 4 | | 7 | | 2 |
Steiermark | | 7 | | 7 | | 6 |
Dalmatien | | 2 | | 6 | | 2 |
Küstenland | | 5 | | 5 | | 2 |
| Total | 173 | | 126 | | 66 |
Das Lieblingsland der Aerndte, das deutsche Kernland Tirol spielt hierbei ohnstreitig die
pikanteste Rolle; es hat nicht einen Streiter für die Freiheit gestellt; ihm ist schon die
Vereinbarung ein Greuel.
Sämmtliche Juden haben natürlich mit Nein
gestimmt, oder sich, um auf alle Fälle gedeckt zu sein, wie der Ministerialrath Fischoff,
rechtzeitig aus dem Staube gemacht.
Unter den Polen, welche auf Seite der Freiheit geblieben sind und dem Nationalhaß der
Czechen kein Gehör gegeben haben, befinden sich auch die Grafen Borkowski, Drieduszycki,
ferner Hubicki, Sierakowski u. s. w.; sämmtliche galizischen Pfarrer haben mit dem Ministerium
gestimmt; sie und Stadion wußten einige Bauern ebendazu zu beschwatzen. ‒ Fürst Lubomirski
hatte ebenfalls das polnische Lager verlassen und viele Landsleute, wie andere Slaven, zur
Abtrünnigkeit zu überreden keinen Anstand genommen. Viele Bauern, denen die Verhandlung, weil
deutsch, unverständlich geblieben war, und die sich weder an Stadion noch Lubomirski
anschließen wollten, hatten sich aus Depit entfernt. Sie werden bei andern Gelegenheiten
vielleicht einen andern Ausschlag geben und die 76 giftgeschwollenen Czechen aus Böhmen und
Mähren mit ihrer neuerfundenen Nationalität unschädlich machen. Wären die 126 Stimmen der
Minorität nur halb so entschieden und muthvoll, wie der Pole Hubicki, so würden sie insgesammt
gegen die Abstimmung protestirt haben und dann den Reichstag nicht ferner besuchen; es würde
dann an der Majorität von 191 Stimmen fehlen, man müßte andere Saiten aufziehen, um
fortbeschließen und fortberathen zu können.
Die ungarische Deputation hatte heute Morgen Audienz beim Kaiser ‒ Kaiser in Schönbrunn. Sie
erhielt den Bescheid, die Gesundheit des Kaiser-Königs erlaube nicht, daß er in Budapesth
residire; was das Uebrige anbelange, so werde er seinen Willen durch das östreichische
Ministerium demnächst kundgeben lassen. Also eine ausweichende Antwort. Die Deputation, welche
unter Anführung Pasmandy's aus den ausgewähltesten magyarischen Deputirten und Magnaten
besteht, hatte die sofortige Uebersiedelung des Kaisers nach Budapesth und den Befehl
verlangt, daß von Seite Jellachichs die Feindseligkeiten in Ungarn eingestellt würden. ‒ Jetzt
muß Ungarn sich vollends von Oestreich losreißen, es wird Kossuth zum Diktator ernennen und
alle östreichischen Beamten aus dem Lande jagen. Die Werbungen, welche hier für Ungarn
gehalten werden, finden ungeheuren Zuspruch; ich habe so eben einen Magyaren gesprochen, der
seinen Dienst in Rom aufgegeben und sich hier hat anwerben lassen. Möchte das französische
Juden-Bourgeoisthum doch diese Gelegenheit benutzen, den morschen Bau Oestreichs vollends über
den Haufen werfen zu helfen!
Die „Geißel“ ein reaktionäres Blatt, welches an gemeiner
Schamlosigkeit alles überbietet, was jemals gedruckt worden ist, erkühnte sich, heute eine
schwarzgelbe Fahne aus den unter den Tuchlauben befindlichen Redaktionslokalen zu stecken.
Sogleich sammelte sich das Volk in der Straße und begann zu murren. Eben sollte das Haus
gestürmt werden, als ein Garde der akademischen Legion sich in die Redaktion begab und unter
dem Triumphgeschrei der Menge die Fahne hinwegnahm, um sie als Beute zur Universität zu
bringen. ‒ Nun war aber das Volk nicht länger zu halten; es stürzte in die Redaktionslokale,
aus welcher der Redakteur Böhringer sich bereits geflüchtet hatte, und warf Alles zum Fenster
hinaus, was von Schriften und Drucksachen vorräthig war.
Morgen halten sämmtliche demokratischen Vereine Wiens im Odeon, einem Saal der seine 15,000
Menschen faßt, eine große Versammlung zur Besprechung der dringendsten Tagesfragen, die den
Sturz des Ministeriums vorbereiten sollen.
Uebermorgen wird Ungarn eine Republik sein.
Nachschrift. Beim Empfang der 200 Ungarn war das Schloß von
Schönbrunn von Militär und Nationalgarde umringt; man fürchtete bei Hofe gewiß einen
Handstreich.
Die Begeisterung der Magyaren geht soweit, daß Pfaffen sogar sich in die Regimenter
einreihen lassen und Frauenzimmer sich nicht scheuen, die Waffen zu ergreifen.
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@facs | 0510 |
Wien, 9. Sept.
Die amtliche Zeitung enthält folgende Mittheilung:
„Noch haben die Unterhandlungen zur Herstellung des Friedens mit dem König von Sardinien
wenig Fortgang gehabt. Indessen hat aber die kaiserliche Regierung den Entschluß gefaßt, mit
der Konstituirung des lombardisch-venetianischen Königreichs nicht mehr länger zu zögern, und
zu diesem Behuf in Bälde Deputirte aus den verschiedenen Provinzen desselben nach Verona zu berufen,
[0511]
[Spaltenumbruch] welche die künftige Verfassung des Landes nach den Grundsätzen größter Freiheit
und mit gehöriger Beachtug der Nationalität in Berathung zu nehmen haben werden. Diese
Deputirten sollen, wie wir aus guter Quelle vernehmen, aus ganz freien Wahlen hervorgehen, und
wird die Zahl der Deputirten nach dem Maßstabe der Bevölkerung bemessen werden. Die innere
Administration wird rein italienisch sein.“
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@type | jArticle |
@facs | 0511 |
Mainz, 11. Sept.
So eben erfahren wir, daß der Bürgermeister nebst einer Deputation des Gemeinderathes nach
Frankfurt sich begeben hat, um dort der Centralgewalt Kenntniß von dem Zustande unserer Stadt
zu geben und Abhülfe zu verlangen. Wir zweifeln nicht, daß namentlich die letzten Ereignisse,
daß die Kenntniß der Menschenjagd, die mit einem Morde endete, an dessen Möglichkeit man
mitten in einem civilisirten Lande nicht hätte glauben können, wären nicht Tausende Zeugen
dieser grausamen That gewesen, die Centralgewalt bestimmen werden, Maßregeln zu ergreifen,
welche die Bevölkerung von Mainz zu erwarten das Recht hat.
[(Mz. Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0511 |
Kassel, 8. Sept.
Heute, des Nachmittags, kam das vor einigen Tagen hier durchpassirte würtembergische
Reiterregimeat wieder hierdurch zurück, eine Folge des abgeschlossenen Waffenstillstandes in
Schleswig-Holstein. Dem Regimente folgten jedoch ungefähr 6 Mann mit einem Unteroffizier,
geschlossen auf einem Wagen unter scharfer Bedeckung, welche sich dem Rückzuge dem Vernehmen
nach haben widersetzen wollen.
[(Fr. J.)]
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@facs | 0511 |
[
*
] Konstanz, 9. Sept.
Gegen Fickler (Redakteur der „Seeblätter“) sind bekanntlich nicht weniger als 7 Preßprozesse
anhängig. Der erste kam heute zur Verhandlung. Der Staatsanwalt fiel gänzlich durch; er hatte
auf 4 Monate Gefängniß angetragen. Fickler wurde freigesprochen. Am 11. d. beginnt der zweite
Prozeß; Antrag des Staatsanwalts: 6 Monate Gefängniß. Hoffentlich folgt ein gleiches
Resultat.
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@facs | 0511 |
Altona, 11. Septbr.
Die gestern angekommene hannov. Infanterie hat uns heute Vormittag verlassen; die gestern
angekommene preußische Infanterie wird heute Nachmittag den Rückmarsch antreten. Zu gleicher
Zeit werden heute noch preußische Gardebataillone hier eintreffen. Auch die Würtemberger
bereiten sich zur Rückkehr vor, doch ist 1 Bataillon des 8. würtemb. Inf.-Reg. heute nach
Norden befördert worden, um einen Theil der in den Herzogthümern bleibenden Besatzung zu
bilden.
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@facs | 0511 |
Rendsburg, 11. Septbr.
Gestern Abend machte der General v. Wrangel bei seiner Reise durch Rendsburg den Mitgliedern
der provisorischen Regierung einen Besuch und theilte denselben die Nachricht mit, daß das dänische Gouvernement darin willigen werde, daß die Trennung unserer
Truppen in Schleswigsche und Holsteinische während des Waffenstillstandes wegfalle und daß
ferner der § 7 der Waffenstillstandskonvention dahin verändert werde, daß die von der
provisorischen Regierung erlassenen Gesetze und Verfügungen in Kraft erhalten würden und es
der neuen Regierung nur freistehe, einzelne Erlasse der provisorischen Regierung
aufzuheben.
Französische Republik.
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@facs | 0511 |
Paris, 11. Sept.
Eine Post aus Algier vom 4. September meldet, daß im Westen der Kolonie einige Stämme sich
empört hätten. Der interimistische Gouverneur hat Truppen dorthin geschickt, die sie züchtigen
sollen. Im Uebrigen ist die Kolonie ruhig.
‒ Rothschild, der Allmächtige, wurde seit einigen Tagen wieder mehrere Male in dem
Finanzministerium gesehen. Es handele sich, heißt es, um eine neue Anleihe!
‒ (Arbeiter-Emigration.) Gestern, Sonntags, fand in der
Richelieustraße eine Versammlung von Abgeordneten der 10,000 Arbeiter statt, welche bei der
Nationalversammlung um die Erlaubniß nachsuchen, nach Algerien überzusiedeln. Die Versammlung
war lebhaft und zahlreich. Das Sekretariat derselben stattete Bericht über die Lage der
Angelegenheit ab, und schob die Schuld der Verzögerung ihrer Abreise hauptsächlich den
Hindernissen zu, welche der Kriegsminister Lamoriciere der öffentlichen Debatte der Pascal
(Air) und Ferdinand Barrot'schen Kolonisationsvorschläge bisher entgegengesetzt habe. Es wurde
ein Ausschuß von zwölf Abgeordneten gewählt, dem man den Auftrag gab sich in den Ausschuß der
Nationalversammlung (Abtheilung für Algerien) zu begeben und ihm zu erklären, daß die Arbeiter
an dem Recht auf Eigenthum durch die Arbeit festhielten, und ganz auf die Auswanderung
verzichteten, wenn man ihnen diesen Grundsatz nicht zugestehe. Für den 12. September Mittags
ist in dem Saale der Société Algérienne, Rue Favart 12, eine neue Versammlung angesagt.
‒ Die Nationalversammlung diskutirt heute den Crespel de la Touche'schen Antrag
rücksichtlich der unterdrückten Journale. Dann schreitet sie zur Verfassungsberathung.
‒ Labrousse, der die bekannte Brüsseler Handels- und Industrieschule lange Jahre leitete,
und nach dem Februarsturm hierher zurückkehrte, von wo man ihn als Kommissarius in sein
Heimathsdepartement schickte, das ihn dann zum Vertreter wählte, ist von Cavaignac zum
Vertreter der Republik in Brüssel ernannt worden. Wie man hört, hat aber Leopold I. erklärt,
daß er diesen ehemaligen Schulmeister an seinem Hofe nicht empfangen werde. Wir sind neugierig
zu erfahren, was Bastide und Cavaignac auf diese Weigerung hin thun werden.
‒ Vorgestern empfing Cavaignac eine Dank-Deputation der von ihm jüngst dekorirten
fünfhundert Juniritter, bei der sich auch Leclerc befand, der die Reihen der Bürgerwehr nur
darum verließ, um auch seinen zweiten Sohn herbeizuholen, nachdem der erste im Feuer
gefallen.
„Ich weiß, antwortete Cavaignac in der bekannten abgebrochenen Art, daß man die
Exekutivgewalt getadelt hat, für einen Bürgerkampf Orden ausgetheilt zu haben; man hat uns
vorgeworfen, unseren ehemaligen Grundsätzen untreu geworden zu sein, das ist ein Irrthum. Wie
wir früher dachten, denken wir noch. Es war kein Bürgerkrieg, in dem Ihr das Ordenskreuz
erwarbt, sondern in einem sozialen (Klassen) Kampf, auf dem Schlachtfelde der Gesellschaft
gegen ihre Feinde. Die bürgerliche Gesellschaft war das eigentliche Schlachtfeld. Ich hoffe,
wir werden uns daran [Spaltenumbruch] nicht mehr zu schlagen brauchen. Ich zeige Ihnen bei dieser
Gelegenheit an, daß wir uns überhaupt nicht schlagen werden. Die Mediation Frankreichs ist von
Oestreich angenommen worden! Wir hatten diese Nachricht schon über Berlin erhalten, heute aber
empfingen wir eine direkte Depesche aus Wien von unserem dortigen Vertreter. Die Mediation ist
von Oestreich angenommen worden, weil wir uns moderirt zeigten. Wir sind also der Erhaltung
des Friedens sicher. Ich weiß nicht, was die Zukunft uns vorbehält; was mich betrifft, so
werde ich Alles aufbietn, um den Frieden zu erhalten; denn nur durch den Frieden können sich
unsere neuen Einrichtungen befestigen, unsere materiellen und geistigen Reichthümer entfalten,
und ich wiederhole Ihnen, daß die Mediation, die nun angenommen ist, von uns den Oestreichern
aufgezwungen wurde, (et je vous le répète, la médiation qui est acceptée, c'est nous qui
l'avons imposée).
‒ National-Versammlung. Sitzung vom 11. Sept. Anfang 12 Uhr
Präsident Marrast. An der Tagesordnung ist der berüchtigte Antrag des Crespel de la Touche
gegen die Cavaignac'sche Preßdiktatur und die neue Verfassung.
Crespel de la Touche erhält das Wort. Mein Antrag, sagt er, hat zum Zweck, die regelmäßige
Aktion der Gerichtsbehörden, an die Stelle der unregelmäßigen Gewalt des Ministeriums zu
setzen. Der Gesetzgebungsausschuß hat meinen Antrag etwas geändert; doch vernichtet diese
Aenderung die Natur desselben nicht und entschließe mich daher ihm an, sowie allen Zusätzen,
die ihn verbessern und vervollständigen könnten.
Jambert bekämpft den Antrag. Seiner Ansicht nach sei die Garantie der Gerichte rein
illusorisch, die Crespel de la Touche an die Stelle des Status quo setzen wolle. Er ziehe den
jetzigen anormalen Zustand dem trügerischen Gerichtsschutze vor, so prekär auch dieser Zustand
sei. Uebrigens lasse das letzte Straßenbülletin des Polizeipräsidenten durchblicken, daß der
Belagerungszustand unmöglich mehr lange dauern könne.
Labordere unterstützt den Antrag. Er beabsichtige zwar eine Preßgesetzgebung von großer
Härte, doch dünke ihm auch das strengste Gesetz immer noch besser als die reine Willkür. Er
will diese zweite Septembergesetzgebung als eine politische Nothwendigkeit ertragen.
St. Gaudens bekämpft den Antrag, weil er dem Richter noch viel schärferes Recht einräume als
die Septembergesetze. Ein Journal könne sofort unterdrückt d. h. getödtet werden. Bei den
heutigen Eigenthumsverhältnissen sei dieß ein unerhörter Angriff auf das Preßeigenthum. Lieber
will er den Belagerungsstand ertragen. Ich will lieber, ruft er aus, mit dem Chef der
Regierung als mit einem Gerichtsprokurator zu thun haben. (Gelächter) Uebrigens werden diese
Ausnahmezustände den gefährlichsten Schlag ihren Urhebern selbst versetzen. Man denke nur an
die Restauration und die Julimonarchie.
Victor Hugo vertheidigt den Entwurf und reinigt sich von dem Verdacht, als dringe nur die
sogenannte reaktionäre Presse auf dessen Annahme. Die Freunde der Ordnung seien die wahren
Freunde der Freiheit; in den Straßen die Anarchie bekämpfen, oder sich der Willkür der
höchsten Staatsgewalt entgegensetzen, heiße der Freiheit gleiche Dienste erweisen. Nimmermehr
habe er geglaubt, daß Cavaignac die votirten Preßgesetze bei Seite werfen werde, ohne sie
versucht zu haben. Das sei ein Staatsstreich (Lärm). Ja wohl ein Staatsstreich (Ja, Ja. Nein,
Nein.) Das allgemeine Stimmrecht ohne die Preßfreiheit sei ein Trugbild. Chateaubriands
größter Ruhm habe in seiner Vertheidigung der Preßfreiheit bestanden, die man den Franzosen
nach 30jährigem Gebrauche nicht wieder entwenden werde.
Altaroche bekämpft den Entwurf, den er für mörderisch in Betreff der Zeitungspresse hält.
Stört der Belagerungsstand das freie Wort, so hebe man den Belagerungsstand auf, aber votire
keine neuen Gesetze, die die Zeitungen erwürgen müßten.
Senard, Minister des Innern, bekämpft den Entwurf. Er wolle den Gerichten ein Recht
übertragen, das die Nat.-Versammlung ausschließlich dem Chef der Regierung zugestanden. Die
Regierung handle unter den Augen der Versammlung; ihre Maßregeln seien für das Heil der
Republik nöthig gewesen; es habe die vollste Uebereinstimmung zwischen ihr und der Regierung
dabei obgewaltet. Läge Willkür vor, längst wären die herbsten Interpellationen an die Minister
gerichtet worden. Die ganze Vergangenheit der Männer, welche die Regierung bilden, bürge für
jeden Uebergriff gegen die eigentliche Preßfreiheit (Ah! Ah!) Nehmt Euch in Acht, schließt der
Minister, das Recht über die Tagespresse der richterlichen Gewalt zu übertragen, die Euch
keine Rechenschaft ihrer Handlungen schuldet wie wir! Daß der Belagerungsstand fortdauern
müsse, habe die Versammlung vor kaum acht Tagen selbst bestimmt.
Charamaule, Berichterstatter des Gesetzgebungs-Ausschusses, der den Antrag günstig
begutachtet hatte, vertheidigt natürlich den Entwurf, ohne den Minister gründlich zu
widerlegen
Boudet, von der Minderheit des Ausschusses, die den Antrag verworfen, bekämpft denselben und
sagt, er ziehe die Willkür momentan einem Dekret vor, das der Zeitungspresse den Todesstoß
geben müsse
Favre sieht in dem Vorschlage gerade die Rettung der Presse. Er nehme der Vollziehungsgewalt
das Recht der Suspension der Journale und übergebe es den zuständigen Gerichten. Es sei Zeit
aus dem willkürlichen in den gesetzlichen Zustand zurückzukehren. (Zum Schluß. Zum
Schluß).
Die Versammlung verwirft den Antrag des Gesetzgebungs-Ausschusses mit 515 gegen 238 Stimmen.
Dasselbe Schicksal theilt der Latouchesche Antrag.
Die Versammlung entschied mit 457 gegen 267 Stimmen durch geheimes Skrutinium (indem sie die
sogenannte Question préalable gegen die ursprüngliche Latouchesche Fassung des Antrags
annahm), daß sie das Cavaignacsche Provisorium gegen die Zeitungspresse beibehalte.
Große Aufregung im Saale über diesen neuen Sieg des Diktators und der Republik-Senard.
Pascal Duprat erbittet einen Urlaub, um eine Mission nach Wien zu erfüllen.
Bewilligt.
Die Versammlung nimmt die Verfassungsberathung wieder auf. Sie war am Donnerstag bis zum
Artikel VIII. der Einleitung gedrungen.
Dieser Artikel lautet:
„Die Republik soll den Bürger in seiner Person, Religion, Eigenthum und Arbeit beschützen
und Jeden in den Stand setzen, sich den allen Menschen nöthigen Unterricht zu erwerben; sie
schuldet Beistand allen bedürftigen Bürgern, sei es, indem sie ihnen Arbeit verschafft u. s.
w. u. s. w.“
Mathieu (Ariege), ein Phalansterianer mit starkem kommunistischen
Anstrich, will das Recht auf Arbeit oder vielmehr die Arbeit als Recht vor Allem garantirt
wissen. Das Recht auf Arbeit sei der Weg zum Wohlstand des Volkes. Warum sei das bewußte
Dekret der provisorischen Regierung vom Volke mit so großem Enthusiasmus aufgenommen worden?
Weil es das Ende eines Elends darin herrannahen sah! Jawohl, das Elend, die Bedürfnisse des
Magens sei der Grund der Revolutionen und Kriege aller Völker gewesen. (Stimme von der
Rechten: Und der trojanische Krieg?) Die ökonomischen Verhältnisse eines Volkes verrathen sich
selbst in dynastischen Fragen.… Der Redner wirft den bisherigen französischen Regierungen vor,
daß sie viel zu sehr die Industrie auf Kosten des Ackerbaus begünstigt haben. Dadurch sei ein
Mißverhältniß in der Bevölkerungsart entstanden, dessen Früchte man jetzt bitter finde. Er
dringt auf größern Schutz der Agrikultur und sofortige Bebauung der wüsten Ländereien, dann
werde sich das Unverhältniß zwischen Arbeit und Kapital ändern.
Diese Rede dauerte über 11/2 Stunden und schloß die Sitzung der Versammlung, die sich um 6
Uhr trennte.
Nachtrag.
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@facs | 0511 |
[
*
] Köln, 13. Sept.
Auf das gestrige Alarmblasen trat die Bürgerwehr unter die Waffen, aber nicht wie es nöthig
gewesen, um etwas Entscheidendes durchzusetzen, bannerweise, sondern kompagnieweise, über die
ganze Stadt zersplittert. Es zeigte sich in manchen Kompagnien der Bürgerwehr ein sehr
entschiedener Geist; sie verlangten sofortige Entfernung der 27ger, Abdankung des Kommandanten
der Bürgerwehr, Hrn. Wittgenstein, Besetzung der Thore durch die Bürgerwehr. Aber die
Zersplitterung machte alles einmüthige Handeln unmöglich, und Hr. Wittgenstein wußte die
[0512]
[Spaltenumbruch] sämmtlichen Offiziere der Bürgerwehr durch Zaudern und Hinhalten zu lähmen. Es
zeigte sich abermals, daß die meisten Hauptleute und Bannerführer bei Weitem nicht die nöthige
Energie besitzen, um im entscheidenden Falle ihre Mannschaft gehörig zu benutzen.
Eine telegraphische Depesche war nach Koblenz und Berlin geschickt, um wegen Verlegung der
27 ger anzufragen. Von Koblenz aus wurde die Antwort, diese Truppen sollten so lange in die
Forts ziehen bis die Antwort von Berlin da sei. Sie zogen wirklich theilweise aus, und der
stellvertretende zweite Kommandant, General Kaiser, (zum General avancirt bald nach den
Aachener Vorfällen, denen er damals als Oberst assistirte) gab sein Ehrenwort: bis auf 20 M.
in der Kaserne und 14 M. auf Posten seien alle 27 ger aus der Stadt. Die Offiziere der
Bürgerwehr, die diesen Bescheid holten, hielten es hierauf für unnöthig der Volksstimme
nachzugeben und zu untersuchen, ob nicht in der Kaserne noch 27 ger, in Mänteln des 16.
Regiments, versteckt seien. Es wurden noch Theile des 27. Regiments erwartet, die aber
Contreordre erhalten haben sollen. Die Bürgerwehr trat gegen Abend endlich bannerweise
zusammen; ein Theil zog nach dem Rathhause, wo endlich beschlossen wurde, eine Deputation von
4 Stadträthen und 2 Bürgerwehr-Offizieren nach Koblenz zu schicken, die auch sofort
abreiste.
Hr. Wittgenstein, der anfangs nachzugeben schien, weigerte sich zuletzt bestimmt,
abzutreten, und wollte sich nur einem Votum der Hauptleute, oder einer Abstimmung nach
Kompagnieen, nicht nach Köpfen unterwerfen. Inzwischen cirkulirt in mehrern Kompagnieen
folgender Protest zur Unterschrift:
An den Kommandanten der Kölner Bürgerwehr Herrn von Wittgenstein hier.
Die unterzeichneten Bürgerwehrmänner der ....... Kompagnie in Erwägung,
daß die Stelle eines Regierungspräsidenten mit dem Amt eines Kommandanten der Bürgerwehr
unvereinbar ist;
daß heute Morgen auf dem Rathause der Kommandant der Bürgerwehr sich nicht als solcher,
sondern als Regierungspräsident benommen hat;
daß der Kommandant der Bürgerwehr heute Morgen durch seine anhaltende Weigerung, die
Bürgerwehr zusammenzuberufen und dadurch der Bevölkerung Kölns eine Garantie gegen die
Uebergriffe einer übermüthigen Soldateska zu gewähren‒ eine Weigerung, von der er nur durch
die Gewalt der Volksstimme abging‒ das Vertrauen der Bevölkerung Kölns verloren hat;
daß es unumgänglich nöthig ist, daß ein Kommandant der Bürgerwehr das Vertrauen nicht bloß
der Bürgerwehr, sondern der gesammten Bevölkerung Kölns besitze;
daß der bisherige Kommandant seine Unfähigkeit zu seinem Posten im gegenwärtigen kritischen
Moment um so mehr bewiesen hat, als er sonst bei der geringsten Veranlassung gewohnt war die
Bürgerwehr alarmiren zu lassen
fordern den bisherigen Kommandanten der Bürgerwehr auf:
1)Seine Stelle sofort niederzulegen,
2) die Bannerführer unter sich einen provisorischen Kommandanten ernennen zu lassen,
3) durch diesen eine neue Wahl für einen definitiven Kommandanten vornehmen zu lassen.
Köln, den 12. Septbr. 1848.
Die… Kompagnie der Bürgerwehr.
Schon in den Reihen der Bürgerwehr wurde gestern der Ruf laut nach einem
Sicherheitsausschuß, der, direkt aus der Volkswahl hervorgegangen, das Kölner Volk gegenüber
dem auf dem Census beruhenden Stadtrath und der Regierung vertrete, und in wichtigen Fällen
Volksversammlungen berufe.
Da die Bürgerwehr durch das Ueberwiegen des Bourgeois-Elements und durch die
Unentschiedenheit der Befehlshaber nicht zur Wahl eines solchen Ausschusses kam, so wurde spät
Abends beschlossen, an's Volk zu appelliren. Demgemäß ist auf heute Mittag zwölf Uhr eine
Volksversammlung auf den Frankenplatz berufen, um sofort zur Wahl des Ausschusses zu
schreiten.
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@facs | 0512 |
Der Rheinische Demokratenkongreß zu Köln.
(Schluß).
Wegen des zweifelhaften Ertrages von Kollekten, namentlich auf längere Zeit, wurde der
letzte Vorschlag vielseitig angegriffen. Man einigte sich zunächst dahin, daß der
Kreis-Ausschuß im Voraus wenigstens annaherungsweise seine Einnahmen musse überschlagen können
und daß deshalb ein fester Beitrag für jedes Mitglied eines Vereins zu leisten sei. Alle
Anträge, ein höheres Minimum als 2 Pf. für den Kopf monatlich zu zahlen, blieben in der
Minorität, worauf das Minimum auf 2 Pf. festgesetzt wurde. Der Abgeordnete von Trier, der sich
der Abstimmung enthalten hat, gibt dagegen ein motivirtes Separatvotum dahin ab,
daß er zwar persönlich für ein festes Minimum, auch der Ansicht sei, daß der Centralausschuß
auf einen bestimmten Fonos müsse rechnen können und das lockere und schwankende System
freiwilliger Beiträge einem sichern und durchgreifenden Handeln im Wege stehe, den Verband der
Vereine lockere und überhaupt einer tüchtigen Organisation zuwider sei; er habe sich aber
gegen jene Firation aussprechen müssen, weil er in dieser Beziehung an ein Präjudiz Seitens
des von ihm vertretenden Vereins gebunden sei. Derselbe habe sich nämlich zur Zeit gegen jenes
System, dagegen für das der freiwilligen Beiträge ausgesprochen, er glaube aber, daß der
Verein von Trier dem dermaligen Systeme beitreten werde, indem die Gründe, welche den frühern
Beschluß motivirt hätten, nicht mehr oder doch nicht mehr in dem Maße wie früher
obwalteten.
Der Vertreter des Arbeitvereins in Köln und des Volksklubs in Dusseldorf legten ebenfalls
wegen Mittellosigkeit vieler ihrer Mitglieder gegen den Beschluß des Kongresses Verwahrung
ein.
Als hierauf die Geldleistungen für den Berliner Centralausschuß zur Sprache kamen, wurde
einstimmig anerkannt, daß, nachdem der Kreisausschuß die Vermittlung der einzelnen Vereine mit
dem Centralausschuß ubernommen, und in seiner Kasse die Beiträge der Vereine flossen, derselbe
auch die betreffende Zahlung nach Berlin zu besorgen habe.
Da die Geldkräfte des Kreisausschusses noch nicht zu übersehen, so wurde die Festsetzung der
Summe für Berlin spätern Beschlußnahmen vorbehalten.
Im Namen des hiesigen Arbeitervereins wurde der Antrag gestellt: eine Unterstützungskasse zu
bilden, 1. für die wegen demokratischer Tendenzen Verfolgten und deren Familien; 2. für
hülfsbedürftige auf Reisen befindliche Mitglieder demokratischer Vereine. Die erste Halfte des
Antrags wurde angenommen, die zweite wegen der bei beschränkten Mitteln für den Ausschuß
entstehenden Verlegenheiten verworfen und jedem Vereine überlassen, was er in seinem Orte in
dieser Beziehung thun wolle.
Bürger Julius Reichelm, Mitglied des demokratischen und Arbeitervereins so wie des
Turnvereins in Köln übergibt den schriftlichen Antrag:
„Der Kongreß möge die ausgedehnteste Betheiligung am Turnwesen als ein großes
Förderungsmittel der Demokratie anerkennen und demgemäß beschließen,
daß in allen beim Kongreß vertretenen oder dem Verbande sich später anschließenden Vereinen
auf eine solche Betheiligung kräftigst hingewirkt und dieser Gegenstand in den periodischen
Berichten besonders erwähnt werden solle.“
Die Majorität entschied sich für Reichhelm's Antrag.
Bläser,Abgeordneter der rheinisch-westphälischen Demokraten,
überreicht eine Zuschrift seines Vereins, welche sowie ein Schreiben des Bürgers Giolina aus
Cincinnati zu den Akten genommen wurde, nachdem man dem freundschaftlichen und ermunternden
Inhalt beider Briefe die Anerkennung ausgesprochen.
Der bisherige provisorische Kreisausschuß wurde durch Akklamation zum definitiven
konstituirt, und beschlossen, denselben, wenn ein Mitglied ausschiede, durch den Kölner
Verein, der dasselbe kommittirt, ergänzen zu lassen.
Endlich wurde der nächste Kongreß auf den 24. Sept. angesetzt und beschlossen, denselben
ebenfalls in Köln zu halten.
Nachmittags kamen die noch nicht abgereisten Abgeordneten in der Mailuft zu Deutz zusammen:
Hier kam noch einmal die Wirksamkeit der Vereine zur Sprache, und die Anwesenden beschlossen
vor allen Dingen dahin zu wirken, daß in der Nähe größerer Städte Vereine entständen, die sich
den größern Vereinen als Töchtervereine anschlossen, sowohl um die demokratische Regsamkeit zu
heben, als auch die Kräfte zu centralisiren und den Geschäftsgang zu erleichtern, indem die
Bezirksvereine den Verkehr zwischen den Filialvereinen und dem Kreisausschuß vermitteln.