Nachtrag.
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] Frankfurt, 8. Sept.
74ste Sitzung der National-Versammlung. Präsident: v. Gagern. Tagesordnung:
Fortsetzung der Grundrechte.
Präsident: Durch die gestrige Wahl ist der
Verfassungsausschuß in folgenden 5 Mitgliedern ergänzt worden: Compes,
Rieser, v. Rotenhahn, Zell, Briegleb.
Rappard interpellirt die beiden zur Berichterstattung
der Waffenstillstandsfrage bestimmten Ausschüsse:
Die Anträge in der Landesversammlung von Schleswig-Holstein
über Fortbestehen der Beschlüsse der provisorischen Regierung u. s. w. sind
einstimmig angenommen worden. (lautes Bravo links und linkes Centrum.)
Dieser Beschluß soll der National-Versammlung und dem Reichsverweser
vorgelegt werden, mit dem Bemerken, daß die Ausführung des
Waffenstillstandes ganz unmöglich sei.
In einer ungeheuren Volksversammlung in Kiel ist der Beschluß gefaßt worden,
von der provisorischen Regierung unter keiner Bedingung zu lassen; alle
Steuern nur an sie zu zahlen (lautes Bravo) — keiner
andern Regierung zu gehorchen (schallendes Bravo!) — und für diese
Grundsätze bis auf den letzten Mann zu kämpfen. — Hr. v. Moltke ist zwar ins
Land gekommen, aber die Männer, die mit ihm zusammen regieren sollen, haben
sich von ihm entfernt. — Er (Moltke) hat sich um Schutz an die provisorische
Regierung wenden müssen. (horribles Gelächter links.) — Diese hat ihm einen
Reisepaß ausgestellt. (schallender Beifall.) — Schon hat man in manchen
Theilen der Herzogthümer preußischen Offizieren nicht mehr Folge geleistet.
(hört! hört!) Man wird den Krieg allein fortführen! — Der Geist der
Aufregung ist auch im Begriff, sich den Bundestruppen mitzutheilen!
(hört!)
Deshalb frägt Rappard die
Ausschüsse: „ob nicht in Betracht dieser Umstände, bis spätestens Morgen der
Bericht erstattet werden könnte?“
Zachariä antwortet: Der Ausschuß bietet alles
Mögliche auf, um diesen Bericht zu beschleunigen.
Heckscher (Exminister). Mit hohler Grabesstimme. Hr.
Rappard hat mit lebhaften Farben geschildert, was geschehen ist, und was
geschehen wird, wenn die Nat.-Verf. den Waffenstillstand billigt. — Aber ich
möchte Ihnen die Frage an's Herz legen, was wird geschehen, wenn man den
Waffenstillstand verwirft?
Schodder beantragt: Morgen Nachmittag eine Sitzung
anzuberaumen, in welcher der Bericht in dieser Sache zu erstatten sei.
Wurm: Die engere Kommission, welche die beiden
Ausschüsse in dieser Frage niedergesetzt haben (sie besteht aus Dahlmann,
Cucumus und Wurm) giebt sich die größte Mühe. Ich selbst, trotzdem mir doch
dies nicht zuzumuthen, war in der Druckerei. Aber bis dato sind von allen
hierher gehörigen Aktenstücken nur drei Bogen gedruckt. Woran diese
Verzögerung liegt ist uns räthselhaft.
Zachariä bemerkt: auf Schröders Antrag einzugehen sei unmöglich.
Wiegard: Unsere stenographischen Berichte in fast 6 Bogen täglich, werden
stets in 12 Stunden gedruckt, und hier sind in 88 Stunden nur 3 Bogen
gedruckt; ich beantrage: das Büreau der Nationalversammlung zu beauftragen,
die Verzögerung des Druckes zu untersuchen.
Dieser Antrag wird fast einstimmig angenommen.
Simson und Haßler aus Ulm werden sofort als Untersuchungs-Commission in die
Druckerei geschickt. —
Tagesordnung. Die altbackenen Grundrechte. § 14. (Fortsetzung der
Diskussion.) Der Wortlaut des § und Minor: Erachten haben sie in einem
frühern Blatte. (Soiron präsidirt.)
Löwe aus Kalbe spricht in einer langweiligen durch stürmischen Schlußruf
unterbrochenen Rede für den Paragraphen. —
Kurth aus Bunzlau: Daß die Kirche vom Staat unabhängig sein muß, darüber sind
wir einig; nur über die Mittel sind wir nicht einer Ansicht. — Wenn die
Kirche das demokratische Element in sich aufgenommen hat, ist sie dem Staate
nicht mehr gefährlich. — Aber ehe dies geschieht wird es noch lange dauern,
Für das 2te Minoritätserachten mit einem von ihm gestellten Amendement. —
(Schluß! Schluß!)
Salzwedel aus Gumbinnen ist nicht zufrieden mit der Fassung des Ausschusses.
So wie Frankreich unser Vorbild in allen politischen Fragen, so müssen wir
Deutsche für alle moralischen Fragen das Muster der Welt sein. (Schluß!
Schluß!)
A. Bally (aus Beuthen, Adjudant von Radowitz). Wir wollen volle
Unabhängigkeit der Kirche. (Schluß!) Wir wollen Freiheit überall. (Schluß!)
Daß das Volk die Lostrennung der Kirche vom Staat will, geht aus der Masse
von Bittschriften in diesem Sinne hervor. Der Werth dieser Petitionen ist
zwar angetastet worden, aber für die in meiner Heimath abgefaßten wenigstens
kann ich einstehen. (Schluß!) Redner (sehr erzürnt): Lassen Sie mich reden,
so lange ich rede ist die Rede mein Eigenthum, wenn ich fertig bin, können
Sie ihre Bemerkungen machen. (Schluß!) Ich beantrage für mein mit vielen
Freunden gestelltes Amendement namentliche Abstimmung, (Schluß!) damit die
Namen Derer bekannt werden, die die Finsterlinge in diesem Hause sind.
(Großer Tumult. Links: Zur Ordnung!)
Schluß der Debatte über § 14; der bekannte Berichterstatter, Herr Beseler,
spricht für die Fassung des Ausschusses ungefähr eine volle Stunde.
Prato beantragt namentliche Abstimmung über § 14.
Lassaulx beantragt namentliche Abstimmung über das
erste Minoritätserachten zu § 14.
Beckerath beantragt namentliche Abstimmung über das
zweite Minoritätserachten zu § 14.
Salzwedel namentliche Abstimmung für sein
Amendement.
Rösler (Oels) namentliche Abstimmung für D'Esterles
Amendement.
Simson (Königsberg) verliest sämmtliche Amendements,
deren Anzahl Legion ist, zur Unterstützungsfrage.
Gagern bittet, in der Unterstützung der Amendements
vorsichtig zu sein. Denn wenn alle Amendements zur Abstimmung kommen
sollten, müßte man drei Tage abstimmen.
Diese Nachricht bewirkt, daß mehrere Amendements zurückgezogen, und viele
nicht unterstützt werden.
Die Druckerei-Untersuchungskommission, der sich Wurm und Max v. Gagern
angeschlossen, ist indessen zurückgekommen, und erstattet durch Hrn. Simson
im Hauptsächlichsten folgenden Bericht:
Der Drucker erklärt, bis heute Abend 5 Uhr 29 Druckbogen von den zu der
Waffenstillstandssache gehörigen Drucksachen fertig haben zu wollen. — 23
Bogen sind bereis fertig vorgewiesen. Die einzelnen Manuscripte sind bereits
seit dem 4ten nach und nach zum Druck gegeben. Die Verzögerung ist allein
durch die Masse der Manuscripte herbeigeführt worden, und dadurch, daß erst
in der Druckerei selbst die Manuscripte zum Druck geordnet worden sind.
Die Vesammlung beschließt über diesen Gegenstand Tagesordnung. (§ 14. der
Grundrechte).
Schlör (Baiern) beantragt bei der ganz enormen Masse
von Amendements, dieselben in der Ordnung, wie sie zur Abstimmung kommen
sollen, drucken zu lassen und an einem andern Tage abzustimmen.
Dieser Antrag wird angenommen, und somit ist es mit der Tagesordnung wieder
vorbei.
Blum interpellirt Herrn Dahlmann: Wie weit es mit der
Bildung eines Reichsministeriums gekommen sei? Wenn die Interpellation nicht
genügend beantwortet werden sollte, wird er einen Antrag stellen.
N. N. meint, einzelne Abgeordnete dürfen nicht interpellirt werden, und
beantragt: Die Versammlung solle Herrn Dahlmann nicht gestatten zu
antworten. (Gelächter.) Der Antrag bleibt ununterstützt.
Dahlmann (sehr mystisch): Es genügt zu erklären,
Unterhandlungen sind angeknüpft; an Eiser fehlt es nicht; in diesem
Augenblick ist aber noch kein Resultat da; man solle sich nicht mit
Kombinationen quälen.
Blum beantragt: In Erwägung der großen Wichtigkeit
und Dringlichkeit, den Beschluß vom 5. schnell auszuführen, solle man Morgen
Sitzung halten, und in derselben eine Deputation an den Reichsverweser
wählen, die denselben um schleunigste Beendigung der Ministerkrisis
ersucht.
Die Versammlung verwirft die Dringlichkeit dieses Antrags.
Schoder zieht seinen Antrag (S. oben) zurück.
Präsident: So wäre denn die heutige Tagesordnung
erschöpft. (Links: § 15 diskutiren.)
Es stellt sich jedoch heraus, daß man früher einmal beschlossen hat, § 15
nicht eher vorzunehmen, bis über § 14 abgestimmt ist (warum? weiß Niemand);
deshalb, und weil sonst auch nichts mehr vorliegt, muß man wohl oder übel
die Sitzung schließen. Schluß 12 1/2 Uhr. Morgen und Sonntag keine Sitzung.
— Montag, wenn nicht die Ausschüsse mittlerweile fertig werden,
Grundrechte.