Deutschland.
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Edition: [Friedrich Engels: Die Polendebatte in Frankfurt. In: MEGA2 I/7. S. 517.]
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**
]
Köln, 6. Sept..
Die Polendebatte in Frankfurt (Schluß.)
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!!!
] Frankfurt, 4. Sept.
71. Sitzung der Nationalversammlung. Präsident v. Gagern. Tagesordnung:
Fortsetzung und Berathung über die Grundrechte.
Der Minister des Aeußern, Heckscher, der heute seinen Gnadenstoß bekommen
hat, bringt die Bedingungen des von Preußen abgeschlossenen
Waffenstillstands zur Sprache. Es bleibt nun der Centralgewalt Deutschlands
überlassen, denselben hintendrein zu genehmigen oder nicht. Preußen habe
dabei allerdings seine Vollmacht überschritten. Heckscher verliest den
Waffenstillstand selbst, nachdem er vorher um Ruhe und Mäßigung gebeten.
Alle Dokumente werden gedruckt werden und nächstens erscheinen, man möchte
nicht voreilig sein. Auch er (Heckscher) ist sich bewußt, auch in dieser
Sache seine volle Pflicht gethan zu haben.
Folgende sind die interestantesten der 12 Artikel:
Art. 1. Die Feindseligkeiten werden für sieben Monate abgebrochen.
Art. 6. Die beiden Herzogthümer sind von allen Truppen zu räumen, die
schleswigschen Truppen gehen (also von den holsteinischen getrennt) nach
Schleswig. In Altona durfen 2000 Bundestruppen und in Alsen 2000 Dänen
zurückbleiben.
Art. 7. Aufhören der alten provisorischen Regierung von Schleswig-Holstein
und Bildung einer neuen von 2 Dänen, 2 Preußen und Hrn. v. Moltke als
Präsidenten an der Spitze. (Mißbilligung. Heckscher: meine Herren
Geduld!!!)
Art. 11. Dem definitiven Frieden präjudiziren diese Bedingungen nicht. Hierzu
kommen viele Separatartikel als Ergänzungen, z. B. ad 6 (s. oben): Die
militärischen Streitigkeiten in den Herzogthümern schlichtet ein preußischer
General; ad 7 (s. oben): Präsident der neuen Regierung wird v. Moltke.
Stellvertreter v. Falkenberg. Für Lauenburg wird eine aus ebenso
(preußisch-dänischen) gemischten Elementen gebildete Regierungskommission
niedergesetzt. Heckscher liest weiter eine lange so eben von Camphausen
erhaltene Zuschrift, die über den Abschluß des Waffenstillstands preußische
Erläuterungen und Rechtfertigungen gibt. Die Schrift ist lang und
verwickelt, im diplomatischen Styl der alten Schule, den Camphausen prächtig
gelernt. Heckscher liest schnell und nicht besonders deutlich, als wenn er
sich schämte.
Hauptinhalt: Bei Dänemark war die Centralgewalt noch nicht notifizirt. Der
Bundestag ist zwar aufgehoben — aber der Bund besteht noch. Deshalb hat der
König von Preußen im Namen des Bundes gehandelt und — die Centralgewalt hat
hintendrein zu sanktioniren. Preußen könne nicht in Verdacht kommen,
Partikularinteressen verfolgt zu haben. Preußen sei bisher in der danischen
Sache in Deutschland aufgegangen. Heckscher erneuert schließlich seinen
Antrag: die Nationalversammlung wolle erst nach schleunigem Abdruck aller
Aktenstücke und nach Bericht des Ausschusses einen Tag bestimmen, an dem sie
in dieser Sache einen Beschluß faßt. (Links: Die Vollmacht wollen wir
hören).
Heckscher: Die Vollmacht ist ohne die andern Aktenstücke nicht zu verstehen.
(Links: Die Vollmacht ist die Hauptsache)
Dahlmann: Nachdem der Abschluß des Waffenstillstandes außer Zweifel, und da
erst heute vom Minister die Bedingungen mitgetheilt werden, so habe ich
gestern dem Präsidenten die vier folgenden Interpellationen an den Minister
des Aeußern übergeben.
1. Ist es wahr, daß die provisorische Regierung in
Schleswig-Holstein aufgelöst, ihre Gesetze und Verfügungen aufgehoben, daß
also diese (mit erhobener Stimme) von der Centralgewalt anerkannte Regierung
plötzlich für eine ungesetzliche Macht erklärt worden ist?
[0482]
2. Ist Karl v. Moltke, der Mann, den die Herzogthümer hassen,
der Mann, von dem alle Unzufriedenheit ausgeht, wirklich Präsident der neuen
Regierungskommission? (Lautes Bravo).
3. Ist es wahr, daß die
schleswigschen Truppen von den holsteinischen getrennt, und somit die
Trennung der Herzogthümer angebahnt ist? (Bravo.)
4. Ist es wahr, daß
der Waffenstillstand auf volle 7 Monate abgeschlossen und also den deutschen
Waffen gerade die geeignetste Jahreszeit entzogen worden ist, durch
schnelles Handeln einen vortheilhaften Frieden zu erzwingen? (Bravo).
Endlich frage ich: Giebt das Reichsministerium diesen 4 Punkten seine
Zustimmung, oder wird es seine Genehmigung versagen? Am 9. Juni wurde hier
beschlossen, in dieser Sache die Ehre Deutschlands zu wahren. Also das ist
die Ehre Deutschlands!! (Fast allgemeiner Beifall).
v. Rappard (im Namen vieler Mitglieder) beantragt: Die Nationalversammlung
wolle diesem Waffenstillstand ihre Zustimmung versagen, und nach dem
Beschluß vom 9. Juli den Krieg rüstig fortsetzen. (Bravo.) Meine Herren,
sagt Rappard, Sie fühlen die Stunde der Entscheidung ist da, (Blum: Ja!)
wenn der Löwe nicht sehr bald sich zum Sprung bereit macht, wird man
glauben, ein Esel steckt unter der Löwenhaut. Europa verhöhnt uns aus allen
Fenstern. (Lautes Bravo.)
Waiz: Wir sind in einer Krisis für Deutschland. Ich fordere sie auf zu
ruhigem aber schnellem Gange. Die Akten sind zu drucken. Der Ausschuß soll
sie prüfen (Links: bis morgen!) und die Ausführung des Waffenstillstands
soll sistirt werden bis zum Beschluß der Nationalversammlung.
Reh (Darmstadt): Ich zweifle gar nicht, daß wir über diese Angelegenheit
alles Nöthige wissen. Gegen Waiz's Vorschlag gleich berathen! (Bravo
links).
Lichnowsky: Daß die Vertreter unserer langsamen Nation so plötzlich
elektrisirt, freue ihn! Demungeachtet ist er für Waiz's Vorschlag. (Bravo
rechts).
Präsident: Wir haben bis jetzt 4 Anträge. Heckschers, (s. oben) nach dem ein
Tag zu bestimmen; der von Rappard (s. oben), Waiz (s. oben) und der jetzt
eben hinzugetretene von Neh, lautend:
Die Anträge von Rappard und Genossen den vereinigten
Ausschüssen für internationale Angelegenheiten und Centralgewalt zur
Berathung und Berichterstattung für heute Nachmttag zu übergeben. Somit die
jetzige Sitzung gleich zu schließen.
Franke aus Schleswig: So eben erhalte ich Briefe vom Präsidenten der
Landesversammlung unserer Herzogthümer. Die Landesversammlung hat sich
permanent (Bravo, bravo!) erklärt, und wird sich keinen so schmählichen
Waffenstillstand aufdrängen lassen
Eisenmann stellt auch noch einen Antrag.
Engel aus Holstein: Die Ehre Deutschlands ist geschändet durch diesen
Waffenstillstand! (Oho! — Ja!) Ich beantrage, die Ausfuhrung zu sistiren,
bis unser Beschluß gefaßt ist.
Beseler: (Zischen! Schluß!) Meine Herz ist in Schleswig, meinem Vaterlande,
geblieben, deshalb bin ich für Waiz's Antrag! (Zischen!) Wir haben zu
überlegen, ob wir diese Sache zu entscheiden haben oder das
Reichsministerium. (Unterbrechungen, Schluß!) Wir haben Rücksichten auf
Preußen — Rücksichten auf die Vollmacht — Rücksichten (Schluß! Links:
langweilig!)
Gagern wüthend: Wer da langweilig gerufen hat, den rufe ich zur Ordnung. Das
ist unschicklich! (Links Gelächter). Beseler predigt fort.
Es kommen zwei neue Anträge:
1) Durch Zimmermann von Stuttgart von der äußersten Linken:
„Die Nationalversammlung wolle nach ihrem Beschluß den Krieg sogleich
energisch fortsetzen.“
2) Von Wiegard, Blum, etc. „Sogleich zu
diskutiren, ob die Centralgewalt zu beauftragen sei, die Rückmärsche der
Truppen aus den Herzogthümern sogleich zu sistiren; über die Hauptfrage aber
morgen!“ (Sehr gut! Bravos.)
Zimmermann von Stuttgart zieht zu Gunsten Wiegard's und Blum's seinen Antrag
zurück, Eisenmann dito. Rappard und Genossen (s. Oben) ebenfalls. Während
der Präsident die verschiedenen Anträge ordnet herrscht große Aufregung, die
meisten Abgeordneten gehen von den Plätzen; nach Links großer
Zusammendrang.
Wiegard spricht zur Unterstützung seines Antrags.
Biedermann erklärt sich (Eheu!) für sofortige Sistirung der Ausführung des
Waffenstillstandes bis zu gefaßtem Beschluß! (Links, Bravo.)
Heckscher empfiehlt noch einmal Ruhe und Besonnenheit. Es handele sich um
einen europäischen Krieg, um Deutschlands Einheit, um Preußens Einfluß.
(Radowitz: Bravo!) Das Sistiren der Truppenrückmärsche steht ihnen nicht zu,
(!) sondern den Ministern! (Lauter Tumult.) Es ist eine reine
Exekutivmaßregel (Geschrei und Lachen) und geht nur die Centralgewalt an.
(Lautes Zischen. Fast allgemeine Indignation.)
Schoder (Stuttgart) widerspricht Herrn Heckscher. Der Waffenstillstand währt
nicht die Ehre Deutschlands, sondern schlägt ihr ins Gesicht! (Bravo!)
Deutschland hat weder das Recht noch das Geld seine Truppen hin und her zu
schleppen. (Bravo!)
Bassermann: Eine Sistirung der Truppenrückmärsche sieht einer
Nichtbestätigung des Friedens gleich. (Zischen) Ich weiß, daß eine Anzahl
(eine Anzahl?) der Abgeordneten den Waffenstillstand verwirft. Ich will
nicht sagen, sie sollen sich scheuen dies zu thun, aber große Folgen wird es
haben. Ich begreife die Ueberkühnheit derer nicht, die in dieser Sache
gleich beschließen wollen. (Zischen.)
Venedey: Mir scheint, Kühnheit ist uns am nöthigsten. Es ist dies die Frage,
die über die Ehre des Parlaments entscheiden wird. Was Bassermann sagt, läßt
Alles beim Alten; mag er auch Scheu vor dem König von Preußen als Grund
anführen. Ob König von Preußen, ob ein anderer, gilt gleich. Osez! Osez!
ruft der sanftmüthige Hr. Venedey, dessen Antheil an der französischen
Februarrevolution in Entwendung eines Bildes aus den Tuilerien bestand, in
kleiner Nachäffung Danton's, den Vertretern zu.
Vogt, vom Platz: Bis wenn werden die Attenstücke gedruckt?
Präsident: Das weiß ich nicht. Will die Versammlung nach Heckschers Antrag:
„Daß nach Vorlage der Aktenstücke von den beiden vereinigten Ausschüssen
schleunigst berichtet, und dann sofort ein Tag zur Berathung dieser Sache
anberaumt werde?“ Angenommen.
Siemens beantragt: Im Blum-Wiegard'schen Antrag den Ausdruck „die
Centralgewalt zu beauftragen“ in: „bei der Centralgewalt zu beantragen“
umzuändern.
Präsident: Ist der Antrag unterstützt?
Kein Mensch erhebt sich. Der „Edle“ will ihn trotzdem zur Abstimmung bringen.
Geschrei: Ist ja nicht unterstützt! Der „Edle“ meint mit kräftiger Betonung,
er müsse noch einmal fragen, ob der Antrag ünterstützt ist? Im gehorsamen
Centrum erheben sich circa 10 Mann. Also unterstützt!
Blum-Wiegards Antrag wird durch Hin- und Herreden, vermittelst der
gewöhnlichen parlamentarischen Intriguen des „edlen Gagern“ bei der
Fragestellung richtig verworfen!
Siemens mit seinem „beantragt“ statt „beauftragt“ dito.
Dagegen der von Hrn. Beseler empfohlene Antrag des Göttinger Professoren Waiz
angenommen; er lautet:
„Ueber die Sistirung der Truppenrückmärsche sollen die zwei
Ausschüsse binnen 24 Stunden Bericht erstatten, und dann die Verhandlung
beginnen!“
Man beschließt ferner, damit die Ausschüsse gleich arbeiten können, die
heutige Sitzung sogleich zu beschließen. (Um 12 Uhr Mittags.) Statt nun
diesem Beschluß Folge zu geben, wird noch eine Stunde verplaudert, wie
folgt:
Compes verlangt: An den gegenwärtig bevorstehenden Ausschußverhandlungen
solle der Minister Heckscher (er ist nämlich Mitglied beider Ausschüsse)
weder mit berathen noch mitstimmen.
Heckscher nennt Herrn Compes voreilig. Links ruft man zur Ordnung. Heckscher,
das leidenschaftliche Kind Israels, wiederholt äußerst wüthend und ganz ohne
Halt seinen Ausdruck dreimal.
Compes wiederholt seinen Antrag auf die Gefahr hin noch einmal voreilig
genannt zu werden. Wenn Heckscher meint, er vertrete Deutschland in seinen
Handlungen, so irre er sich; es wäre zu wünschen, daß Deutschland nicht
unter den Heckscher'schen Handlungen bald genug leiden möchte.
Gagern mißbilligt Herrn Compes.
Vogt unterstützt Compes.
Gagern nimmt Heckscher abermals in Schutz.
Siemens blamirt sich.
Der Antrag Compes wird zur ersten Hälfte (Antheil Heckschers an der
Ausschußberathung) verworfen; zur zweiten Hälfte nicht erst abgestimmt, weil
Heckscher auf die Abstimmung im Ausschuß verzichtet.
Heckscher reicht die Aktenstücke über die Limburg'sche Angelegenheit vom 12.
und 31. August der Versammlung zur Durchsicht ein.
Vogt beantragt deren Druck. Der Druck wird genehmigt.
Heckscher zeigt an, daß er Venedey's Interpellation wegen des Gesandten für
Petersburg am 8. September beantworten wird
Der Petitionsausschuß zeigt eine Menge dringliche Petitionen um Aufhebung der
Schutzzölle an. Schluß der Sitzung 1 Uhr. Man eilt in die Ausschüsse, um
morgen um 9 Uhr zu verkünden, daß man in denselben nichts beschlossen hat.
Morgen 9 Uhr Sitzung.
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@facs | 0482 |
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103
] Berlin, 4. September.
Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Nach Eröffnung der Sitzung läßt der
Präsident ein Schreiben des Staats-Ministeriums verlesen, welches den
Vertrag des Waffenstillstandes mit Dänemark, der am 1. d. in Lübeck
ratificirt wurde, vollständig mittheilt.
Hierauf wird die Antwort des Staats-Ministeriums auf das Schreiben des
Präsidenten Grabow verlesen, worin er demselben den Beschluß der Versammlung
vom 9. August mittheilte, welcher dahin ging:
„Der Herr Kriegs-Minister möge in einem Erlaß an die Armee sich dahin
aussprechen, daß die Offiziere allen reaktionairen Bestrebungen fern
bleiben, nicht nur Konflikte jeglicher Art mit dem Civil vermeiden, sondern
durch Annährung an die Bürger und Vereinigung mit denselben zeigen, daß sie
mit Aufrichtigkeit und Hingebung an der Verwirklichung eines
konstitutionellen Rechtszustandes mitarbeiten wollen; und es möge in dem
Erlasse denjenigen Offizieren, mit deren politischer Ueberzeugung dies nicht
vereinbar ist, zur Ehrenpflicht gemacht werden, aus der Armee
auszutreten.“
Darauf antwortete heute das gesammte Staatsministerium: Daß es in Folge des
Beschlusses der Versammlung, die an den Schweidnitzer Vorfällen betheiligten
Truppentheile aus Schweidnitz zurückgezogen habe. Was jedoch den
anderweitigen Beschluß betrifft, daß der Kriegsminister einen Erlaß an die
Armee etc. erlassen möge, so hat das Staatsministerium folgende Erklärung
abzugeben. Während der ganzen Zeit seiner Amtsverwaltung habe der
Kriegsminister auf das Aufrichtigste allen anti-konstitutionellen
Bestrebungen entgegengewirkt und sei darin von dem Geiste der Armee selbst
trefflich unterstützt worden. In dieser Weise wolle der Kriegsminister auch
ferner wirken, und er dürfe die Hoffnung aussprechen, daß er dabei nicht
ohne den genügenden Erfolg bleiben werde. Ein solcher Erfolg aber könne
nicht erreicht werden, wenn das Kriegsministerium jetzt jenen allgemeinen
Erlaß, wie er am 9. August von der Versammlung beschlossen worden,
nachkomme. Das Staatsministerium halte es daher für nothwendig, einen
solchen Erlaß nicht zur Ausführung zu bringen, und bittet die Versammlung,
ihm die Wahl der Mittel zu überlassen, durch welche es dasselbe Resultat,
das es als ein ihm mit der Versammlung gemeinschaftliches anerkenne, zu
erzielen hoffe.
Da der Abg. Stein eine schleunige Interpellation vor der Tagesordnung
angekündigt hatte: „Ob und wann das Kriegsministerium den erwähnten Beschluß
der Versammlung zur Ausführung zu bringen gedenke?“ so fragt der Präsident
denselben, wie er es nun damit zu halten Willens sei.
Abg. Stein: Die uns so eben vorgelesenen Aktenstücke des Ministeriums
erklären, daß dasselbe den von dieser Versammlung mit großer Majorität
gefaßten Beschluß weder zur Ausführung bringen wolle noch könne. Da es sich
aber um einen Beschluß handelt, so stelle ich den Antrag:
„Die Versammlung wolle beschließen, daß es die dringende
Pflicht des Staatsministeriums sei, denjenigen Erlaß, welchen die
Versammlung am 9 August beschlossen, ohne Weiteres, zur Beruhigung des
Landes und zur Erhaltung des Vertrauens, so wie zur Vermeidung eines Bruches
mit der Versammlung unverzüglich ergehen zu lassen.“
Abg. Behnsch glaubt, daß der Steinsche Antrag gar nicht nothwendig sei, indem
ein Ministerium, welches erklärt, einen Beschluß dieser Versammlung nicht
zur Ausführung bringen zu wollen, aufhört, ein preußisches Ministerium zu
sein.
Der Steinsche Antrag wird hinreichend unterstützt, dessen Einbringung vor der
Tagesordnung nach namentlicher Abstimmung mit 198 gegen 148 und die
sofortige Berathung mit 198 gegen 147 beschlossen.
Die Minister und die rechte Seite stimmen mit der Minorität.
Abg. Stein motivirt seinen Antrag. Die Ausführung des Beschlusses ist jetzt
nöthiger als je, denn es sind inzwischen neue Reibungen vorgefallen. Nicht
dem ganzen Heere kann der Vorwurf eines reaktionairen Geistes gemacht
werden, aber es existirt im Heere ein numerisch kleiner Theil, der
namentlich wegen der ihm unter dem alten Regiment zu Theil gewordenen
Bevorzugung sich nach den frühern Zuständen zurücksehnt. Gegen diesen
Sondergeist sollte der vom Kriegsminister begehrte Erlaß gerichtet sein. Wir
wollten dem ganzen Volke sagen, daß wir vereint nach einem Ziele
hinzustreben wünschen — nach der Verwirklichung eines konstitutionellen
Rechtsstaats. Das war der innere Grund, der uns zu dem in Frage stehenden
Beschlusse veranlaßte. Jetzt ist auch noch ein äußerer Grund dazu gekommen.
Die Ehre und die Würde dieser Versammlung verlangt die Ausführung unseres
Beschlusses.
Minister-Präsident v. Auerswald: Er müsse bemerken, daß der Antrag vom 9.
August nicht bloß an den Kriegsminister, sondern an das gesammte
Staatsministerium gerichtet worden; der Kriegsminister sei daher nicht
besonders verantwortlich, sondern die Verantwortlichkeit wegen
Nichtausführung des Beschlusses treffe das ganze Ministerium.
Der Abg. v. Unruh beantragt hierauf: die Debatte auf künftigen Donnerstag
vertagen zu wollen, damit der Antrag erst gehörig erwogen und geprüft werden
könne. Es handle sich hier nicht bloß um den Sturz des Ministeriums — so
etwas kommt in konstitutionellen Staaten oft vor — nein, es handelt sich um
viel Wichtigeres, um eine Spaltung dieser Versammlung. Jedes Mitglied möge
sich daher die Folgen seiner Abstimmung klar machen.
Die Vertagung bis zum Donnerstag wird hinreichend unterstützt und der
Präsident giebt einem Redner für und einem Redner gegen die Vertagung das
Wort.
Abg. Reichensperger (der Koblenzer Polizei- und Jesuitenfreund) spricht für
Vertagung. Ihm genüge der vom Kriegsminister bereits mitgetheilte Erlaß. Er
glaube, daß eine Gewissensinquisition erzielt werden würde, wie sie noch nie
da gewesen. (Großer Tumult und Widerspruch.) Er schließt mit der Behauptung,
daß derjenige die Omnipotenz der Versammlung in Anspruch nehme, welcher das
Ministerium zum Erlasse eines solchen Rescripts zwingen wolle.
Abg. Waldeck spricht gegen die Vertagung. Die Frage ist so einfach als
möglich. Es handelt sich darum, einen Beschluß dieser Versammlung aufrecht
zu erhalten, der ihr durch 22 blutige Leichen diktirt worden war, und
welcher den teuflischen Geist entmuthigen soll, der vielen Offizieren selber
ein Gräuel ist. Wir können mit Ehren keine Minute hier länger sitzen
bleiben, wenn das Ministerium unseren Beschluß nicht ausführt. Die ganze
Nation verlangt es.
Großer Beifall und allgemeine Bewegung folgt den Schlußworten des
Redners.
Das Resultat der namentlichen Abstimmung ist, daß die Vertagung der Debatte
bis Donnerstag mit 183 gegen 169 beschlossen wird.
Nachdem noch ein dringender Antrag des Abg Dziadek.
„daß über die am meisten druckende Last in der Provinz
Oberschlesien, namentlich die Michaelis-Zinsen und Getraide-Abgaben sofort
berathen werde, ehe dieser Termin herrannahet,“
zwar unterstützt, aber nicht zur sofortigen Berathung zugelassen wird,
schließt der Präsident die Versammlung.
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@facs | 0482 |
[
103
] Berlin, den 4. September.
Der Tag der Entscheidung ist endlich gekommen. Das Ministerium hat die
Ausführung des am 9. August mit großer Majorität gefaßten Beschlusses
hinsichtlich des Circulars an die Armee, wegen Fernhaltung von reaktionären
Umtrieben, verweigert. Die Vereinbarer-Versammlung war diesmal consequent
und beschloß mit 197 gegen 148 Stimmen sogleich darüber zu berathen, daß es
dringende Pflicht des Ministeriums sei jenen Beschluß, ohne Weiteres zur
Beruhigung des ganzen Landes auszuführen. Sollte sich aber ein kleiner Theil
wieder überreden lassen und Donnerstag in der entscheidenden Abstimmung
anders stimmen wie heute, so daß das Ministerium doch eine kleine Majorität
für sich hat, so ist die Minorität fest entschlossen, den Worten Waldek's zu
folgen und die Versammlung einmüthig verlassen. Das ganze Land wird dann
darüber zu entscheiden haben, ob es sich von einem solchen Ministerium
länger tyrannisiren lassen will.
Gut Unterrichtete Personen wollen schon in Erfahrung gebracht haben, daß das
Ministerium in Folge der heutigen Abstimmung schon auseinander fallen wird.
Die Herren Hansemann und Milde, die sich um jeden Preis am Ruder halten wollen, (die
bürgerliche Vergangenheit des Erstern hat auch alle Ursache dazu!)
entfernten sich schon bei den heutigen Abstimmungen um nicht mitzustimmen.
Sie werden sich der ihnen lästigen Kameraden bei dieser Gelegenheit zu
entledigen suchen und Herr Milde wird beauftragt
werden, ein neues Ministerium zu bilden, wozu er Männer aus dem linken
Centrum hinzuzuziehen gedenkt. Die Alternative wird indeß wohl
Vinke-Radowitz-Arnim oder Waldeck-Rodbertus sein.
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@facs | 0482 |
[
*
] Berlin. 4. Sept.
Die Centralkommission hat ihren Bericht über die Aufhebung des Autonomie- und
Korporationsrechtes des rheinischen Adels so eben an die Mitglieder der
Vereinbarer-Versammlung vertheilen lassen. In den Abtheilungen haben sich
zwei, in der Voraussetzung, daß diese Sache in der Verfassung ihre
Erledigung finden werde, in keine Erörterung eingelassen; die 6 übrigen
Abtheilungen sind den Ansichten des 5. rheinischen Landtags (Juli 1837)
beigetreten, welcher beim König auf Aufhebung des Autonomie-Gesetzes v. Jahr
21, Jan. 1837 angetragen hatte. Die Centralkommission hat sich ebenfalls den
letztern Ansichten angeschlossen und der Versammlung folgenden Gesetzentwurf
vorgelegt:
Art. I. Es werden hiermit aufgehoben:
a) Die Kabinetsordre vom 16. Januar 1836 über die
Wiederherstellung der von der rheinischen Ritterschaft fruher ausgeübten
Befugniß, die Erbfolge in ihrem Nachlaß durch Verträge oder Testament zu
ordnen.
b) Die Verordnung vom 21. Januar 1837, die autonomische
Successionsbefugniß der rheinischen Ritterschaft und das darüber
stattfindende schiedsrichterliche Verfahren betreffend.
c) Die
landesherrliche Bestätigung des Status der Stiftung für die
rheinisch-ritterbürtige Ritterschaft zum Besten der von der Succession in
das Grundeigenthum ausgeschlossenen Söhne und Töchter vom 31. Mai 1837.
Art. II. Die Rechtsbeständigkeit aller von Mitgliedern der rheinischen
Ritterschaft getroffenen Dispositionen über ihr Vermögen ist bei künftigen
Sterbefällen der Disponenten sowohl rücksichtlich der Form als des Inhalts
nur nach den allgemein geltenden Gesetzen zu beurtheilen. Bei bereits
eröffneten Successionen sind die im Art. I. bezeichneten Gesetzen für die
Rechte der Erben maßgebend.
Art. III Das der rheinischen Ritterschaft verliehene Recht einer Korporation
ist aufgehoben.
Der Antrag, dem Aufhebungsgesetz rückwirkende Kraft zu ertheilen, damit auch
denjenigen ausgeschlossenen Descendenten, deren Eltern bereits verstorben,
die Wohlthat des Gesetzes zu Theil werde, blieb in der Kommission in der
Minorität.
[0483]
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@facs | 0483 |
Edition: [Friedrich Engels: Text des Waffenstillstandes von Malmö. In: MEGA2 I/7. S. 662.]
Berlin, 5. September.
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@facs | 0483 |
[
41
] Erfurt, 1. Sept.
Das Organ unserer Reaktion, die Erfurter Zeitung, welche meist von
Regierungs-Beamten redigirt wird, sagt in ihrer Nummer vom 26. v. M., über
das bekannte Verbrechen in Charlottenburg, folgendes: „Charlottenburg,
welches Preußens heilige Reliquien in dem Mausoleum des Schloßgartens
aufbewahrt, hat sich dieser Auszeichnung würdig bewiesen. Es duldet den
Verrath der Umsturz-Partei nicht in seinen Mauern, die Entweihung der
heiligen Erde hat es durch seine Manneskraft verhütet, die Verräther fern
von Preußens Kleinod gehalten.“ Wie mag man nun das Rechtsgefühl des Volkes
in den unteren Schichten so sehr verdammen, wenn es, in Folge solcher
Provokationen, selbst Justiz zu üben versucht, wie dieses neulich in der
Nacht dadurch geschehen, daß dem Redakteur der Erfurter Zeitung die Fenster
demolirt wurden und die Druckerei zerstört werden sollte? Wenn solche
Volks-Justiz auch unter die Competenz der gewöhnlichen Gerichte fällt, so
bezeichnet sie doch ein politisches Bewußtsein, welches Anerkennung
verdiente.
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@facs | 0483 |
[
!
] Kassel. 2. Sept.
Gestern hatten wir hier eine interessante Ständesitzung. Es kam der Antrag
von Lederer und 21 Genossen und von Henkel und 23 Genossen vor. Der Eine verlangte, daß
der Kurfürst der Civilliste entsage, der Andere, daß er entweder den
Einkünften des Hausschatzes (370,000 Rthlr.?) entsage, oder der Civilliste
(300,000 Rthlr.). — Kurz, der langen Rede kurzer Sinn, der Kurfürst sollte
die Hälfte seines Einkommens schwinden lassen. Der Ausschußbericht (Referent
v. Waitz) war ein Fabrikat voll Beschönigungen und Unrichtigkeiten. Als
Hauptgrund, das Hofeinkommen nicht schmälern zu dürfen, wurde angeführt, daß
ein solch reiches Einkommen zum Glanz der Monarchie gehöre. Die Deputirten
Henckel und Knobel gingen darauf in's Feuer. Und o Himmel! Die alten
Landgrafen von Hessen müssen sich im Grabe umgedreht haben bei dem heillosen
Sündenregister des edlen Fürstenhauses, das hier abgewickelt wurde. Das
ganze Vermögen des Kurhauses stammte aus jenem Blutgeld für die von Landgraf
Friedrich an England verkauften 16,000 Soldaten, die in Amerika gegen die
Freiheit kämpften (30 Rthlr. für jeden Mann, 20 Pfd. Sterling für jeden
Gebliebenen). Das ist der Grundstock des Vermögens, welches für Se. königl.
Hoheit den Kurfürsten beansprucht wird. Knobel hatte ausgerechnet, daß
dieser Grundstock mit Zins und Zinseszinsen a 5 pCt., 44 Mill. ausmache. Von
Rechtswegen gehörten diese Millionen den Hinterbliebenen der Kämpfer, auf
welche pr. Kopf ohngefähr 3500 Rthlr. käme — auf die Hinterbliebenen jedes
Gefallenen dagegen circa 4500 Rthlr.
Der Dep. Henkel zählte außerdem auf, wie der Hof des
regierenden Kurfürsten während der Mitregentschaft des Kurfürsten von seinem
Einkommen nicht im geringsten den Gebrauch gemacht habe, den er davon hätte
machen müssen. Die Schlösser, die er hätte erhalten sollen, sind verfallen;
an der Bezahlung der Hofdiener wurden jährlich 60,000 Rthlr. gespart. Noch
mehr! Der Staat wurde bei jeder Gelegenheit übervortheilt. — Knobel
rechnete, daß der Hof seit 17 Jahren allein an baarem Geld mit Zins über die
Hofdodation erhalten habe 900,000 Rthlr. (So viel läßt sich nur nachrechnen!) — So konnte der Kurfürst jährlich
144,000 Rthlr. auf der Landeskreditkasse anlegen, wodurch es machem andern
Kapitalisten unmöglich gemacht wurde, seine kleinen Kapitale unterzubringen.
Die Hofgelder hatten den Vorzug.
Und nun kommt der Ausschußbericht, und sagt, der Hof werde bei jeder
Verminderung seiner Einkünfte die Unterstützungen, die er Künsten und
Wissenschaften und der Armuth gespendet, fallen lassen! Es brach allgemeine
Heiterkeit aus.
Als im Jahr 1831 die Theilung des Vermögens, vermittelst Vertrags in Haus-
und Staatsschatz vorgenommen wurde, kamen 22 Millionen zur Theilung. Aber
andere 22 Millionen waren schon in Sicherheit gebracht. Diese 22 Millionen
spazierten nach Frankfurt. Davon solle die erste Maitresse des alten
Kurfürsten, Gräfin Reichenbach, 14 Mill. haben, nur 1,600,000 Rthlr. kamen
wieder zurück an den jetzigen Kurfürsten; das übrige hat die Bergen, letzte Geliebte des alten Kurfürsten und des
Ritter Schnapphahnsky.
Aber der Glanz der Monarchie!
Am Schluß wurde der Henkel'sche Antrag mit 25 Stimmen angenommen, nicht um
dem Kurfürsten persönlich, sondern den Ministern mitgetheilt zu werden.
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@facs | 0483 |
[
!
] Kassel, 3. Sept.
Seit dem kurfürstlichen Geburtstag ist bei uns der Krawall in Permanenz
erklärt. Vom Anfang des Unheils habe ich schon berichtet. Er ging gegen die
retrograden Offiziere am 21. August. Am 22. verbreitete sich das Gerücht,
daß D. Kellner und Heise vorgeladen seien. Große Volkshaufen versammelten
sich vor dem Untersuchungslokale, um die Sache abzuwarten. D. Kellner war
verreist; Heise wurde vom Richter aufgefordert, die Menge zu entfernen, die
er bestellt habe. Heise, der
nichts bestellt bestellt hatte, weigert sich dessen. Des Abends zog die
Masse mit Musik und Lebehoch's vor die Wohnungen mehrerer Demokraten, und
brachte einigen Reaktionären Charivaris, bei welcher Gelegenheit der
Untersuchungsrichter aus Furcht durch das Fenster entsprang. Seitdem wurden
die strengsten Maßregeln ergriffen; nach 9 Uhr sollten keine 6 Leute
zusammenstehen u. s. w. Eben schienen sich die Unruhen gelegt zu haben, da
fiel es den Bäckern und der Polizei ein, die Brodtaxe zu erhöhen. Das Volk
rottete sich überall zusammen. Am 1. September Abends 9 Uhr wurden
sämmtliche Bäckerläden demolirt; es wurde Allarm geschlagen als Alles vorbei
war. Am 2. Sept. war die gesammte Macht unter Waffen. Dennoch wurde an einem
einzelnen Punkt eine Bierbrauerwohnung angegriffen. So eben, Sonntags 12 Uhr
Mittags, beordert man schon wieder die Bürgergarde, da in der Altstadt
Unruhen ausgebrochen sind. Man hat einen Bäckerladen demolirt. In allen
Straßen wird Allarm getrommelt.
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@facs | 0483 |
[
*
] Rendsburg, 2. Sept.
Die „Schlesw.-Holst. Ztg.“ spricht sichauf den Grund der im Publikum
vorläufig bekannt gewordenen Bedingungen des Waffenstillstandes in einem
fulminanten Artikel gegen denselben aus. Sie verlangt unter Anderm, daß die
Landesversammlung (die am 4. d. M. wieder zusammentreten wird) sich für
permanent erkläre, daß Niemand der aufgedrungenen Regierung Gehorsam leiste,
eine allgemeine Steuerverweigerung eintrete, und daß, wenn diese Mittel des
passiven Widerstandes nicht hinreichen, zum aktiven Widerstande übergegangen
werde.
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@facs | 0483 |
Triest, 29. Aug.
Gestern erschien ein Banalcommissär in Begleitung eines Notars in Fiume mit
der Ankündigung: der dortige Gouverneur und alle ungarischen Beamten müssen
sofort ihren Posten verlassen, und dafür sorgen, daß die in den öffentlichen
Kassen befindlichen Gelder in Fiume verbleiben, und nicht an das ungarische
Ministerium abgeliefert werden. Fiume ist sohin faktisch zu Croatien
geschlagen worden.
Französische Republik.
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@facs | 0483 |
Paris, 4. Sept.
Der Moniteur enthält wieder eine Liste derjenigen „Juniräuber“, die in
voriger Nacht abermals nach Havre geschafft wurden. Wir erblicken darunter
wieder ein Dutzend deutsche Namen.
— Heute hält die Nationalversammlung zum erstenmale Doppelsitzung. Die erste
von 11 bis 1 [?]/2, die [?]weite von 2 bis 6 Uhr. Die Nachmittagssitzungen
sind der Verfassungsberathung gewidmet.
— Cormenin (Timon) hat ein „Petit Pamphlet“ über die neue Verfassung, deren
Taufpathe er ist, veröffentlicht, von dem die heutigen Blätter Auszüge
liefern. Er gesteht darin, daß Er die Phrase: „Im Namen Gottes und des
französischen Volks“ an deren Spitze gestellt, und zeigt sich sehr unwillig,
daß man das Recht auf Arbeit daraus gestrichen habe.
In der Hauptsache bekämpft er die Zweikammergelüste eines großen Theils der
Nationalversammlung.
— Das Gerücht geht, die Herzogin v. Berry sei in Marseille gelandet. (?)
— Die Rue de Poitiers, konspirirt fleißig. Ergrimmt über die Niederlage,
welche die Propositionen Lichtenberger's und de la Touche's erlitten,
beabsichtigt sie in Masse gegen den Pascal Duprat'schen Antrag: „die
Nationalversammlung möge auch die organischen Gesetze berathen, ehe sie sich
trenne,“ zu stimmen, indem sie die question préalable verlangt, was einer
Beerdigung gleichkömmt.
— Die monarchische Union widerlegt das Gerücht von einer Anleihe von 2 Mill.
Fr. für den Herzog v. Bordeaux (Grafen v. Chambord), die kürzlich negozirt
worden sei.
— Ein Erlaß des Ministers Senard vom 22. Juli, der aber durch ein
Rundschreiben des Direktors der schönen Künste, Karl Blanc, an sämmtliche
Theaterdirektionen erst heute bekannt wird, setzt im Interesse der
öffentlichen Moral und Staatssicherheit die Theatercensur
wieder ein. Die Gesellschaft der dramatischen Künstler und
Schriftsteller redigirt so eben einen Protest gegen diese Maßregel.
— Man spricht von großer Uneinigkeit unter den Ministern. Die Einen wollen
warten, bis sich Karl Albert und Radetzki völlig überworfen; die Anderen
wollen in's Feld rücken, sobald Oestreich die Mediation definitiv
ausgeschlagen. Ein anderer Punkt zu Mißhelligkeiten bestehe in der Frage:
wer die Armee befehligen solle, die in Oberitalien einrücke? Mehrere Stimmen
hätten schüchtern den Marschall Bugeaud genannt. Dieser Vorschlag sei mit
einigem Stirnrunzeln empfangen worden.
— Die Demokratie pacifique erläßt eine lange Proklamation an das deutsche
Volk. Nachdem sie der sozialistischen Partei das Vorrecht vindizirt hat,
schon seit 1837 die innige Verbrüderung des deutschen und französischen
Volks gepredigt zu haben „weil nur diese beiden Völker die Freiheit mit
gleichem Enthusiasmus lieben,“ räth sie jedoch den Deutschen, sich ihre
Freiheit und nationalen Größe nicht durch Unterjochung der Italiener und
Dänen erstreben zu wollen. Im übrigen enthält es nur bekannte Phrasen.
— Protestation der Italiener in Paris gegen jede Verschmelzung der Lombardei
mit Sardinien.
Die nach Paris geflüchteten Italiener erlassen durch das Organ F. G. Urbino's
folgende Protestation, gegen die vom sardinischen Ministerium an den Rath
der Lombardei unterm 24. August gerichtete Einladung, die Lombardei mit
Piemont zu verschmelzen.
— Protestation der italienischen Emigration.
Im Namen der italienischen Emigration und aller Lombarden und
Nach Einsicht des Inhalts des Dekrets der provisorischen Regierung vom 12.
Mai 1848, das sich über die Verschmelzung der Lombardei mit Piemont
ausspricht;
Nach Einsicht der Einladung, die der Ministerrath von Turin an die Glieder
der provisorischen Regierung der Lombardei unterm 24. August richtet;
In Erwägung, daß die in dem erwähnten Dekret der lombardisch provisorischen
Regierung vom 12. Mai 1848 rücksichtlich einer Verschmelzung der Lombardei
mit Piemont aufgestellten Gründe gar nicht mehr existiren; daß die
Unterschriften unter jenem Dekret auf betrügerische und ungesetzliche Weise
erzielt worden sind;
In Erwägung endlich daß Karl Albert in seiner Kapitulation vom 6. August, die
übrigens von keinem der anwesenden Lombarden genehmigt worden, aus eigener
Machtvollkommenheit aller Rechte entsagt hat, die er etwa aus seinem Dekret
auf die Lombardei hätte geltend machen können;
Erklären die Emigration und sämmtliche Lombarden die Verschmelzung der
Lombardei mit Piemont als null oder nichtig und gar nicht geschehen, und
protestiren gegen alle Handlungen der Exprovisorischen Regierung, welche auf
diese Verschmelzung Bezug haben.
Paris, 2. September 1848. (Unterschriften).
— Nationalversammlung. Sitzung vom 4. Sept. — Anfang
11 Uhr. — Präsident: Marrast.
Goudchaux, Finanzminister, legt heute schon einen neuen Plan rücksichtlich
der direkten Steuern für 1849 vor.
Fallour erhält das Wort. „Sie entsinnen sich, Mitbürger, daß Laurent
(Ardeche) den Antrag auf Untersuchung der im Lande [?]itirenden drei
dynastischen Parteien stellte. Die jüngste Rede des Konseilspräsidenten — in
der er sich weigerte, weder den Belagerungsstand von Paris aufzuheben noch
die Zeitungspresse freizugeben, weil Staatsgefahr obwalte — verleihen diesem
Antrage besondere Wichtigkeit. Ich trage daher auf Beschleunigung desselben
an.“
Cavaignac (sehr gereizt): „Meine Erklärung vom Sonnabend war eben so klar als
bündig. Sie bezog sich auf kein Glied, auf keinen Theil der Versammlung,
sondern auf ein Pariser Journal, das die Republik unten und die Monarchie
oben hin stellte“ (wörtlich). „Die Sprache gewisser Departementsblätter ist
nicht minder heftig. Gegen diese Zeitungspolemik war meine Rede vorzüglich
gerichtet.“
Falloux dankt dem Diktator für die gefällige Antwort, findet sie aber doch so
dürftig, daß er auf Beschleunigung und Erledigung des Laurent'schen Antrages
dringt.
Babaud-Laribiè, Berichterstatter, verspricht im Namen des Ausschusses für
innere Angelegenheiten sein Gutachten der Versammlung bald vorzulegen.
Die Versammlung geht zur Tagesordnung über, nämlich zu der abgebrochenen
Debatte über Abschaffung des Dekrets vom 2. März 1848, das die Arbeitsdauer
auf 10 Stunden täglich festsetzte.
Leon Faucher legt im Namen des Arbeitsausschusses die neue Fassung des
Gesetzentwurfes vor:
Art. 1. Das Dekret vom 2. März 1848 ist abgeschafft. Art. II. Die
Arbeitsdauer in Fabriken und Hüttenwerken darf 12 Stunden täglich nicht
uberschreiten. Art. III Ausnahmen sind nur durch obrigkeitliche
Spezialverordnungen zu bewilligen. Art IV Die Arbeitszeit über 12 Stunden
ist als Supplement besonders zu bezahlen. Art. V. Uebertretungen dieser
Verordnung sind mit 100-1000 Frs. im ersten und mit 1000-2000 Frs. im
Wiederholungs-Falle zu ahnden
„Bürger Reprasentanten! Das Gesetz, welches Ihnen der Arbeitsausschuß
vorlegt, läßt sich in die Worte zusammenfassen: Feststellung der
Arbeitsdauer mit voller Aenderungsfreiheit für die Behörden. Jede andere
Verfügung würde Sie nothwendig in die Februar-Irrthümer führen und aus
Frankreich ein neues Egypten oder einen Kommunistenstaat machen
(Agitation)“.
Senard, Minister des Innern, sieht in diesem Schlusse einen Angriff gegen die
Regierung, die sich dem Alcan'schen Amendement beigesellt habe, ohne deshalb
sozialistisch zu sein.
Alcan (bitter): „Ich danke dem System des Laisser faire und Laisser passer,
daß es meinen Antrag, obgleich verstümmelt, zu Tage förderte. Derselbe ist
weder sozialistisch noch kommunistisch, er hatte nur die Besserung des
fürchterlichen Looses unzähliger Arbeiter zum Zwecke.“ Um diese Besserung zu
wollen, brauche man weder Sozialist noch Kommunist zu sein. Das Geschrei der
Freihandelsschule über Eingriffe in die Freiheit der Fabrikanten, wenn man
die Arbeitsstunden regulire, sei lächerlich. Wie könne man das Verhältniß
zwischen Arbeitern und Arbeitgebern ein freies nennen?
Flocon: Es schlägt Ein Uhr! Der neuen Anordnung gemäß müsse man daher die
Diskussion abbrechen. In so kurzen Vorsitzungen lasse sich, wie man sehe,
kein wichtiger Gegenstand erledigen Er trage daher auf Beibe-
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haltung der alten Ordnung an.
Montreuil erneuert seinen Antrag, der neuen Verfassung nur 4 Sitzungen
wöchentlich zu widmen, nämlich am Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag;
die beiden anderen Tage, Freitag und Sonnabend, den anderen Geschäften.
Dieser Antrag wird angenommen und die Sitzung bis um 2 Uhr aufgehoben.
Um 2 1/4 Uhr eröffnet Marrast wieder die Sitzung.
Zur Berathung kommt die von Pascal-Duprat aufgestellte Frage: ob sich die
Nationalversammlung trennen dürfe, ohne die organischen Gesetze votirt zu
haben? — Dalbis de Salze tragt dagegen darauf an, daß sie sich 2 Monate nach
der Verfassungsannahme auflöse. — Ein furchterlicher Kampf entspinnt sich um
den Duprat'schen Antrag. Die Rue de Poitiers, mit Lasteyrie an der Spitze,
erhebt sich in Masse dagegen. Sie verlangt Vertagung. Vesin schreit: „Man
gehe zur Tagesordnung über!“ (Nein! Nein!) Inmitten des Lärmens schreitet
die Versammlung zur Abstimmung Mit 552 gegen 180 Stimmen verwirft sie die
Vertagung. Der Antrag Pascal's wird sofort berathen. Die Rue de Poitiers ist
geschlagen. — Goudchaux legt ein Dekret rücksichtlich der Lyoner Bahn
vor.
Goudchaux zeigte der Versammlung an, daß von den alten Aktionairen der Lyoner
Bahn bereits eine große Zahl von der Befugniß Gebrauch gemacht habe, die
zweite Hälfte des Aktienkapitals gegen Rentenempfang nachzuzahlen und somit
von den Vortheilen des Rückkaufdekrets Gebrauch zu machen. Die Zahl der auf
diese Weise vervollständigten Aktien belaufe sich auf 237 á 500 Fr. Viele
andere Träger alter Aktien hätten um Aufschub des Einzahlungstermins
gebeten, weshalb er darauf antrage, denselben bis zum 15. September zu
verlängern.
An den Ausschuß gewiesen
Nach dieser Unterbrechung nahm die Versammlung die Diskussion der Pascal
Dupratschen Proposition wieder auf und schritt endlich zur Abstimmung.
Marrast stellt die Frage: Will die Versammlung im Sinne des Pascal
Dupratschen Antrags und dem Gutachten der Verfassungskommission gemäß, nach
der Verfassungsannahme zur Berathung der organischen Gesetze schreiten?
Bejaht mit 586 gegen 154 Stimmen.
Die Versammlung wird sich demnach nicht früher aufgelöst erklären, als sie
die organischen Gesetze der Republik votirt hat.
Jetzt schritt die Versammlung zu der Verfassungsberathung.
Maurin will das Militairersatzwesen beibehalten wissen und möchte zwei
Kammern haben.
Audry de Puyraveau, ein Republikaner vom alten Schrott, liest eine Rede, aber
mit so altersschwacher Stimme vor, daß wir uns bis zum Abdruck des
Manuscripts im Moniteur gedulden müssen.
Jobez will Bürgerwehr und Linientruppen egalisiren und erklärt sich noch mit
einigen anderen Artikeln unzufrieden.
Geurdy stellt die Hypokrisie und Korruption Louis Philipps als Warnung auf,
bei der Wahl der neuen Exekutivgewalt ja recht vorsichtig zu sein, damit
keine neuen Stürme nothwendig würden.
Während seines burlesken Vortrags leeren sich die Bänke und die Versammlung
geht um 6 1/2 Uhr auseinander.