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Das Gesetz über die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatze des bei
öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens.
[Von M. Rittinghausen.]
Das Ministerium Hansemann-Auerswald verirrt sich immer mehr in den alten
Staat zurück, welchen die März-Revolution zu stürzen versucht hat. Ueberall taucht wieder das verderbliche Bestreben
auf, Alles zu regeln und Alle für Alles verantwortlich machen zu wollen, was
sich im Leben regt und bewegt. Einen unermeßlichen Schritt in dieser
Richtung bildet auch der Gesetzvorschlag über die Verpflichtung der
Gemeinden zum Ersatze des bei öffentlichen Aufläufen verursachten
Schadens.
Es thut mir wirklich leid, daß die Gründe nicht veröffentlicht worden sind,
welche das Ministerium veranlaßt haben, einen vor dem Rechtsgefühl so wenig
haltbaren Gesetzentwurf auf das Büreau der Vereinbarer-Versammlung
niederzulegen. Diese Gründe müssen jedenfalls ein Wunder polizeilicher
Spitzfindigkeit sein. Da wir indessen noch nichts Näheres über sie erfahren,
so ist es mir weit angenehmer, das Ministerium einer unvorsichtigen Nachahmung dessen zu zeihen, was sich in einem
Nachbarstaate — wenn auch in höchst zweifelhafter Geltung — vorfindet.
Allerdings besteht eine gewisse Solidarität aller Mitglieder einer Gemeinde;
aber diese Solidarität dahin ausdehnen wollen, daß die ganze Gemeinde für
den aus dem tumultuarischen Handeln eines kleinen Haufens entstehenden
Schaden verantwortlich sein soll: das heißt in der Uebertreibung doch etwas
zu weit gehen; besonders wenn man bedenkt, daß in einer Emeute oft meistens
nur fremde, der Gemeinde nicht angehorige Personen thätig gewesen sind.
Warum soll der ruhige Kölner seinen Beutel ziehen, wenn einige hundert
seiner Mitbürger ohne sein Zuthun, ohne sein Wissen, ja gegen seinen Wunsch
irgendwo Scheiben eingeworfen oder Mobel zertrummert haben?! „Weil er den
Tumult nicht verhindert hat!“ sagt man; aber trifft denn die Entschädigung
nicht auch Die, welche physisch nicht einmal im Stande waren, einer Emeute
entgegenzutreten!? fällt sie nicht auch auf die Nicht-mitglieder der Bürgerwehr, auf die Kranken, Wittwen und
Waisen zurück!? Man merke sich wohl, daß es der eigentliche Zweck des Gesetzes nicht ist,
die unschuldigen Opfer der Volkswuth zu entschädigen: denn dann würde noch
wohl vorher in jedem einzelnen Falle zu untersuchen sein, ob der Beschädigte
nicht wirklich den Ausbruch des Volkszornes sich selbst zuzuschreiben habe.
Und wie könnte man überhaupt z. B. einen reichen
Unschuldigen auf Kosten armer Unschuldiger, d. h.
auf Kosten aller armen Gemeindeglieder entschädigen
wollen!? Das Gesetz hat blos einen politischen Zweck und wo die Politik des
alten régime anfängt, da hört jede Gerechtigkeit auf. Liegt es in der Macht
der Bürgerwehr, so möchte ich fragen, eine Emeute nicht allein zu
unterdrücken, sondern ihr sogar, wie das Gesetz verlangt,
zuvorzukommen!?
Eine schöne Gerechtigkeit, die! welche von dem Bürger verlangt, bei der
ersten Nachricht von dem Angriffe auf ein Gebäude oder auf Personen — sein
Geschäft vernachlässigend — zu den Waffen zu stürzen, die Ruhe
wiederherzustellen, und die dann noch obendrein — trotz seiner
Bereitwilligkeit, sich dem allgemeinen Wohle zu opfern —, von ihm Ersatz des
Schadens fordert, der vor seiner Ankunft an dem Orte des Tumultes oder auch
wahrend des Einschreitens verursacht worden ist; des Schadens welchen er
verhindert hat, bedeutender zu werden. Sonderbare Belohnung einer guten
That! Der Wehrmann hat seine Pflicht gethan, und er muß bußen für böse
Handlungen, denen er ein Ende gemacht hat! Dem Beschädigten, der vielleicht
die Schuld des Unglücks dadurch trägt, daß er sich durch niederträchtige
Handlungen den Haß des Volkes zugezogen: ihm hat er einen Theil seiner Habe
gerettet, und zum Danke dafür soll er ihm auch noch den verlorenen Theil
zuruckgeben!
Hätte man die Entschädigungspflicht der Gemeinden nur für den Fall
festgestellt, wo die Bürgerwehr die Einschreitung verweigert oder unterläßt:
so würde die Bestimmung des Gesetzvorschlages zwar eine unglückliche, aber
doch eine begreifliche sein. Eine unglückliche sage ich, weil die Emeute der
Art sein kann, daß — wie bei der März-Revolution — kein Einschreiten der
Bürgerwehr erwartet werden darf, indem sie selbst unzufrieden mit der
Regierung ist; weil endlich der Aufruhr die Folge falscher Staatsmaßregeln,
der unvernünftigen Aufführung oder gar des Aufhetzens schlechter Beamten
sein kann. In solchen Fallen wäre es eigentlich der Staat, der als
Hervorrufer oder Anstifter der Emeute für den daraus entspringenden Schaden
verantwortlich sein müßte; aber gewiß nicht die Gemeinde. Die Aufruhrer sind
dann als Staatsbürger, nicht als Gemeindebürger aufgestanden.
Unter zehn Fällen, die vorkommen werden, wird vielleicht nur ein einziger
sein, in welchem die Gemeinde (mithin auch die Bürgerwehr), den verursachten
Schaden nach strengen Rechtsbegriffen zu tragen haben würde; und deshalb ist
es auch eine schreiende Ungerechtigkeit, ihr denselben immer und ohne
Ausnahme aufbürden zu wollen.
Aber noch mehr. Das Ministerium der That ist zu energisch, um auf halbem Wege
stehen zu bleiben.
Nach dem §. 1. des Gesetzentwurfs hat die Gemeinde auch für die
Beschädigungen des Eigenthums oder der Personen zu haften, die durch die
„Anwendung gesetzlicher, zur Zerstreuung der Menge getroffener Maßregeln“
verursacht werden.
Das würde wirklicher Machiavelismus sein! Das Gesetz des Staates zwingt den
Bürgerwehrmann, seine Flinte zu gebrauchen, im Nothfalle seine Kanonen gegen
Gebäude und Straßen spielen zu lassen: und dann soll er schließlich Alles
bezahlen; er soll seine Börse verbluten lassen, wie er seinen Körper hat
verbluten lassen; er soll vielleicht mit der wenig angenehmen Aussicht
fallen, daß seine Wittwe für die Schüsse ausgepfändet werden kann die er für
das öffentliche Wohl abgefeuert hat.
So weit ging das lächerliche Gesetz nicht, welches die furchtbare
französische Revolution gebar, um zu terrorisiren; jenes Gesetz, das aus
einer Versammlung kam, die auch alle „Gleichgültigen“ und alle die als
„verdachtig“ einsperren ließ, welche über den „Druck der Zeit“ zu klagen
wagten.
Und doch scheint das französische Gesetz, das in Frankreich in den letzten
fünfzig Jahren nie ausgeführt worden, das gleich nach der Rückkehr besserer
Jahre von selbst in Vergessenheit fiel, das thatsächlich abgeschafft ist,
und nur durch die Spitzfindigkeit einiger Richter vor 14 Jahren in Brüssel
eine berüchtigte Anwendung fand, — und doch scheint dieses Gesetz dem
preußischen zur Richtschnur gedient zu haben. Nur haben die Schüler noch die
Lehrmeister übertroffen! Unsere Gemeinden sollen verbunden sein, auch für
alle vorgekommenen persönlichen Verletzungen Schadenersatz zu leisten. Dies
allen Neugierigen zur Nachricht, die sich eine Verwundung in einem Tumulte
holen. Ob auch für alle Wunden der Bürgerwehr, des Militärs und der Polizei
„Entschädigung“ gezahlt werden muß, darüber beobachtet das Gesetz ein
ziemlich beunruhigendes Schweigen. Eine Ausnahme wird man doch nicht bei
ihnen machen wollen; will man es aber nicht, so wäre es gut gewesen, dies
bei der eigenthümlichen Stellung klar und deutlich auszusprechen. Der
Vorfall in Schweidnitz beweist, daß dies nicht überflüssig ist.
Glaubt das Ministerium etwa, sein Gesetz würde ein Sporn für Bürgerwehr sein,
bei Aufständen oder Aufläufen nachdrücklicher aufzutreten, als es jetzt hier
oder dort geschehen ist?! Ich bezweifle es, da es im Interesse der
Bürgerwehr liegen würde, in den meisten Gelegenheiten gerade das Gegentheil
zu thun. Wirft man irgendwo einige Scheiben ein, und die Bürgerwehr sieht
das Gewehr im Arm ruhig zu: gut! so wird die Gemeinde zahlen müssen, aber
nicht viel. Schreitet die Bürgerwehr dagegen ein, und verwundet einige
Personen oder veranlaßt gar ein Gefecht: nun, dann wird die Stadt nicht so
leichten Kaufs davonkommen. Besonders wird man sich hüten mussen, schreiende
und tobende Banden zu zerstreuen; man konnte sie dadurch reizen, ihre
Ausgelassenheit an einigen Gegenständen oder Personen zu erproben, und die
Stadt, d. h. wir Alle, müßten dann „entschädigen,“ die gestrengen
Ruhestifter nicht einmal ausgenommen.
Wie gefahrdrohend, wie ungerecht das Gesetz für die Gemeinden ist, möge
folgendes Beispiel zeigen, das einzige, welches bekannt ist. Im Jahre 1834
sollten in Brüssel die Pferde des Prinzen von Oranien auf Verlangen des
belgischen Staates verkauft werden. Einige pflichtvergessene Belgier ließen
eine Beitragsliste umlaufen, aus deren Ertrage man die Pferde zu einem
Geschenke für den Prinzen, der mit Belgien noch im Kriege *) begriffen war, wieder ankaufen wollte. Das Ganze schien dem
Volke, und wohl nicht mit Unrecht, stark nach Landesverrätherei zu riechen,
und gewisse Umtriebe des Ministeriums Lebeau, sagt man, thaten das Uebrige.
Der Pöbel zerstorte einige zwanzig Hotels der Orangisten, ohne daß Militär
und Bürgergarde einschreiten wollten. In Folge dieser Begebenheit wurde, auf
den Antrieb der sehr einflußreichen Beschadigten, die Stadt Brüssel, welche
jene Auftritte weder hervorgerufen, noch hatte verhindern können, zum
Schadenersatze verurtheilt, wahrend der Assisenhof die Tumultuanten
freisprach. Der Schadenersatz belief sich auf viele Millionen, die nur
dadurch aufzutreiben waren, daß die Stadt alle ihre Sammlungen an das Land
verkaufte. Wäre Brüssel aber nicht zufällig Hauptstadt gewesen, so würde
eine solche Operation, ein solcher Scheinverkauf nicht möglich gewesen sein.
Durch denselben wollte der Staat seine Mißbilligung des von den
Gerichtshofen angewandten, veralteten französischen Gesetzes ausdrücken. Er
gab sein Geld hin, ohne daß Brüssel seine Sammlungen faktisch verlor; ja die
Stadt hat sogar noch den Vortheil, die Unterhaltungskosten nicht mehr
beschaffen zu müssen. Dagegen wende man das Gesetz — besonders das weit
scharfere preußische — in einem ahnlichen Falle auf Köln oder eine
Provinzialstadt an; man wende es auf eine arme Landgemeinde des Bergischen
an, in welcher eine Riesenfabrik durch einen Arbeiterhaufen zerstört ist:
und man wird diese Gemeinde vielleicht für ein Jahrhundert zerrüttet haben.
Aber warum habt ihr auch eine Bürgergarde verlangt! „Was, Teufel! macht ihr
auch auf dieser verfluchten Galeere!“ wie Moliere scherzend
niederschrieb.
Es ist vor Allem die heilige Pflicht der Gemeindebehörden, den Gesetzentwurf
im Interesse der von ihnen verwalteten Bürgerschaft genau zu prüfen, und
dann auf seine Zurücknahme oder Verwerfung dringend anzutragen.