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Das Domfest von 1848.
(Fortsetzung.)
Seit gestern spüre ich plötzlich die entsetzlichsten Gewissensbisse. Ich
hatte mir vorgenommen vom Dome zu erzählen und ich lasse mich durch die
Menschenzwerge immer wieder davon abbringen. Das ist nicht recht! Man sollte
fast sagen, ich liebte unsern alten Dom nicht, unsern guten alten Dom, der
am 14. August seinen sechshundertjährigen Geburtstag gefeiert hat, unsern
Großvater Dom, dem es nicht geht, wie gewöhnlich alten Leuten, die mit jedem
Jahre kümmerlicher und häßlicher werden, nein, der immer noch wächst und
immer schöner wird, ganz gegen alle Regel, ganz gegen alle Gewohnheit; der
trotz seiner luftigen Lebensstellung auf freiem Platze, hart am Rheine,
allem Regen und Wind ausgesetzt, doch noch nicht an Migräne und Rheumatismus
leidet, der ungeachtet seines vorgerückten Alters sich den Henker darum
schiert, ob ihm im Winter die Schneeflocken um die Nase fliegen, ja, der
aller Stürme lacht und immer fröhlicher und vertrauensvoller in die Welt
hinausschaut, ja, der mit einem Worte der heiligen Stadt Köln bejahrtester
Greis und hoffnungsvollster Jüngling ist! — O, ich liebe den alten Dom, ich
liebe ihn gerade wie all die Tausende von Menschenkinder, die neulich zu
seinem Geburtstag zusammentrafen, die dem alten Herrn zwischen den großen
Säulen-Beinen durchliefen, die ihm auf dem breiten Rücken herumkrabbelten,
die ihm mit Hüten und Mützen und Tüchern winkten, die sein ehrwürdiges Haupt
mit Fahnen und Guirlanden schmückten, die ihm Lieder sangen und Toaste
ausbrachten und die ihm aufs Neue die Versicherung gaben, daß sie ihm gern
jedes Jahr ein fünfzig- oder hunderttausend Thaler in die großen Rocktaschen
stecken wollen, damit der gute, alte Knabe sich auch ferner seines Lebens
freue, und ferner wachse und gedeihe.
Ja, ich liebe den Dom und es freut mich, daß es ihm wohlgeht. Er blüht jetzt
schöner als je. Vor einigen Jahren dauerte er mich aufrichtig. Da wurde sein
steinernes Zacken- und Spitzenkleid immer schäbiger und schlottriger. Man
sah, daß sich Niemand recht um ihn bekümmerte; er war wie ein alter Student,
der lange Zeit nicht unter die Hände der Mutter gerieth, dem die Knopflöcher
des Sammetrockes ausrissen und dem die Knöpfe abfielen, der ganz aus der
Wäsche kam, und der sehr schlechte Stiefeln besaß. Es that mir leid um den
Dom. Vergebens war es, daß die kleinen Mitbürger des großen Mannes jährlich
einmal ein paar Schoppen Weißen weniger tranken als sonst und das Ersparte
mit auswärtigen Beiträgen zusammenthaten und einem klugen Dombauschneider
mit seinen Gesellen den Auftrag gaben, wenigstens das Nothdürftigste zu
repariren, damit der alte Herr doch nicht ganz unter die Füße komme, und
sich wenigstens als ehrlicher und anständiger Bürger Kölns sehen lassen
könne — vergebens war dies! Was geschah, es war doch nur halbes Werk, es war
kaum der Rede werth und wenn die pfiffigen Franzosen und die stolzen Britten
oder die dicken Holländer an ihm vorübergingen, da blieben sie nicht selten
stehen und schüttelten mit den Köpfen und sprachen: Seht, wie die Deutschen
ihren alten Vater Dom vernachlässigen! Ach, stände er bei uns, wie wollten
wir ihn pflegen und wohlauf halten, daß es eine Freude wäre!
So sprachen sie und manchem guten Kölner schmeckte dann der Wein doppelt so
sauer als sonst.
Aber die Zeiten haben sich gebessert. Der Dom ist wieder auf den Strumpf, ja,
auf einen grünen Zweig gekommen. Er sieht aus wie ein Mensch, der ein
Viertel vom großen Loos gewann; wie Jemand, der seine Schulden bezahlte; wie
ein Vater, der alle seine schönen und häßlichen Töchter unter die Haube
brachte, und es konnte nicht fehlen, daß er sich bei seiner
sechshundertjährigen Geburtsfeier im höchsten Grade stattlich und
wohlgefällig ausnahm.
Wie meine Leser aus der Ueberschrift sehen, hatte ich mir vorgenommen diesen
Geburtstag in seiner ganzen Erhabenheit zu schildern und ich wäre auch gewiß
schon längst im besten Zuge, wenn ich nicht über Hrn. v. Gagern, über seinen
Sancho, über den herrlichen Dulder Hiob, über die Kölnischen Stadtsänger und
über so viele andere Männer des Jahrhunderts gestolpert, und von dem
unsterblichen Diner des Gürzenich erst eben wieder mit heiler Haut in die
frische Luft hinausgepurzelt wäre.
Die Götter wissen es, nichts ist leichter, als Das zu schildern, was man
gesehen hat und ich würde auch die Domfeier beschreiben können, den ganzen
Zug, die ganze Fahnen und Blumen geschmückte Kolonne, wenn ich, leider,
nicht statt des Schauspieles die Zuschauer, statt der bärtigen Bürgerwehr,
der frommen Dombaufreunde, der braven Steinmetze und der betenden Pastöre,
die lieblichen Frauen und Mädchen betrachtet hätte, die rechts und links aus
den Fenstern und von den Dächern herabnickten mit ihren
Vergißmeinnicht-Augen, mit ihren seligen Locken und mit jenem verfluchten
Lächeln, das uns arme Männer noch um all unsern Verstand bringen wird, wenn
wir sie nicht todtherzen und todtküssen, jene entsetzlichen kleinen
Personen, so viele es ihrer gibt, und ihnen ein Grab machen in unsern Armen
und sie versenken an unserer liebeklopfenden Brust.
Wenn ich daher meinen Lesern die wirkliche Dombaufeier so ohne Weiteres
schildern sollte, so müßte ich sie dichten; aber ich liebe die Wahrheit von
ganzer Seele, ich liebe die Göttin der Wahrheit, die so todternst aussieht
wie eine egyptische Pyramide, wie ein kahler Apostel oder wie ein
lateinischer Schweinslederband, ich liebe sie eben so aufrichtig wie die
trügerisch lachende Göttin der Lust, wenn sie uns ihren Lilienbusen zeigt
und uns den Champagner in die hohen krystallenen Gläser gießt, auf daß wir
lieben und trinken möchten die dämmerige Lenznacht hindurch, bis der Morgen
kommt, der fatale Morgen, wo man zu schwarzem Kaffe greift, ohne Zucker und
Milch, und wo einem mit Schrecken einfällt, wie doch Alles auf Erden
vergänglich ist, Pyramiden und Apostel und Schweinslederbände, ja sogar der
Champagner, ein Lilienbusen und die Luft der ambrosischen Lenznacht.
Als ich mich daher gestern hinsetzte, um die Schilderung meiner Dombaufeier
fortzusetzen, da langte ich, um ja nicht auf Irrwege zu kommen, nach dem
Born aller Wahrheit, nach der Kölnischen Zeitung, die uns schon während des
Festes, so stehenden Fußes,
[0446]
eine Beschreibung alles
Vorgefallenen in jenen frommtönenden Worten gab, die zauberisch, wie
Glockengeläut in unser Ohr dringen, oder jenen Klängen ähnlich sind, die wir
beim Sinken der Sonne vernehmen, wenn der Kuhhirt sein Horn bläst und die
sanften Rinder westwärts treibt zu der Heimath.
In der Kölnischen Zeitung las ich denn auch Alles, was ich gesehen und was
ich nicht gesehen. Wie dem Domzuge voran ein Musikkorps ritt und eine
Abtheilung der Bürgerwehr, wie dann die Sängerchöre der Gymnasien kamen, die
Gesangvereine, die Waisenkinder, die Dombauhütte mit ihrer Fahne und ihren
Insignien, der Vorstand des Central-Dombauvereins, die auswärtigen
Deputirten und zahllose Dombaufreunde, unsere alten, großen Meister
darunter, unser ehrwürdiger Sulpiz, unser Cornelius und Kaulbach, und wie
der Zug von Straße zu Straße wogend, den Herrn Erzbischof und die andern
goldstrahlenden Würdeträger der Kirche in sich aufnahm, um unter
feierlich-schönem Gesange sich endlich durch die Pforten des Domes in jene
Riesenhalle zu ergießen, aus deren Fläche jene ragenden Säulen sprossen, die
schlank, wie die Palmen des Mittags, ihre prächtige Wölbung tragen und den
Staunenden fortreißen zu Jubel und Entzücken, daß es Menschen gab, die so
Herrliches bauen und thürmen konnten mit ihren weißen winzigen Händen.
Alles dies las ich in der Kölnischen Zeitung und wie ich mich über die
Reichhaltigkeit jener Festberichte freute, eben so sehr staunte ich über den
Styl, in dem sie abgefaßt waren. Niemals wird es mir wohl gelingen,
dergleichen nachzuahmen und zu erreichen. Schon bei dem ersten Worte dieser
Skizzen habe ich es versucht, aber alle meine Anstrengungen waren umsonst;
es fehlt mir die Weihe, die tieftraurige Frömmigkeit des Gemüthes, der
säuselnde verzückte Pathos der Begeisterung und die in ewiger Auflösung
begriffene Wehmuth einer unendlich fühlenden und empfindenden schönen Seele,
kurz, es fehlt mir Alles. Ich sehe, daß ich „ein flaches modernes Weltkind“
bin und melancholisch stiere ich hinab in mein großes, kohlschwarzes
Dintenfaß.
Außer der Beschreibung des Festzuges las ich auch noch die Rede des Hrn. Dr.
Everhard v. Groote, der im Namen des Vorstandes die ehrwürdigen Prälaten und
die Vertreter Deutschlands und Preußens, so wie alle Genossen deutscher
Stämme und Bewohner aller Gaue des Vaterlandes tausendmal willkommen hieß.
Ich muß gestehen, ich habe ein Vorurtheil gegen jede Rede, die mit:
„Genossen deutscher Stämme“ und: „Gaue des deutschen Vaterlandes“ anfängt;
namentlich seit jener Rede auf dem Gürzenich, jener einfachen Rede eines
einfachen Mannes, von allgemeiner Brüderlichkeit, bis an die äußersten
Gränzen.
Nichtsdestoweniger las ich die Rede des Hrn. v. Groote mit Pietät. Ich las
von „der Riesenschöpfung,“ wie Hr. Groote sagt, „bald nach jener Zeit als
der Hohenstaufe Friedrich I. Europa durch seine Thaten erschütterte und der
Erzbischof von Köln, den Raugrafen Reinold von Dassell an seiner Seite, —
ganz wie es jetzt Radetzky macht — die italienischen Städte züchtigte und
dem treulosen Mailand seinen Schatz entriß, über welchen der Dom sich
wölbte.“ Alles dies las ich und wie dann am 14. August 1248 der erste Stein
zu dem Baue gelegt wurde, und wie die Arbeit raschen Schrittes vorwärts ging
und je weiter ich kam und je mehr sich die Beredsamkeit des Hrn. v. Groote
entwickelte, desto ernster und tiefsinniger wurde ich, bis mir zuletzt, war
es vor lauter Tiefsinn oder durch den Duft der Druckerschwärze, die Augen
zufielen, ja, bis ich leise einschlief und auf den Sopha sank, die Kölnische
Zeitung fromm gefalten in beiden Händen‥‥
Selig schlummernd träumte ich die Groote'sche Rede zu Ende und ich bin fest
überzeugt, daß ich sie tausendmal schöner träumte, als sie wirklich gehalten
wurde und ich träumte auch noch den Fortgang und den Schluß der ganzen
Feier, bis sich alles Volk wieder verlaufen hatte und bis ich gegen Abend
mutterseelen allein unter den immer grauer und unheimlicher werdenden
Pfeilern stand.
Weiß der Teufel, der Küster hatte mich eingeschlossen! Aengstlich wie eine
Kirchenmaus polterte ich über Stühle und Bänke, durch alle Ecken und Winkel.
Umsonst! Ich war gefangen.
Gottergeben setzte ich mich daher in einen alten harten Betstuhl und bildete
mir ein, ich läge in den weichsten Kissen. Rings war Alles so märchenhaft
still; ich sah die Säulen hinan und es war mir, als läge ich in einem alten
nordamerikanischen Urwalde. Bald ging der Mond auf und zitternd fiel sein
bleiches Licht durch die farbigen Scheiben. Das Laubgewinde des Chores
blitzte von Gold und Smaragden; es war ein wunderschöner Anblick und in
meinem Leben ist es mir nie wohler um's Herz gewesen. Schnell schwanden die
Stunden; es schlug zehn und es schlug elf Uhr — immer feierlicher und
stiller wurde es. Da tönte es Mitternacht und es bebte der Dom bis hinab in
den letzten Basaltblock. Ein Rauschen und Flüstern begann in dem Laubgewinde
der Säulen, in den Bogen der riesigen Fenster, in dem heiligen Düster der
Kapellen — die Gräber öffneten sich und heraufstiegen in prangender Rüstung
die todten Fürsten und Ritter verschollener Zeit und in langen,
weihrauchduftenden Chorgewändern die Heroen der Kirche und weithin wogte der
geisterhafte Zug, der graberstandene, und ihm voran schwebte eine himmlische
Frau, ein stolzes, königliches Weib, rollende Welten ihre Augen, rollende
Meerfluth ihr Diadem geschmücktes Haar und im Nu erkannte ich, daß es
Niemand anderes sei, als die göttliche Maria von Medicis.
(Fortsetzung folgt.)
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@facs | 0446 |
Zum Beweise, daß es noch Sklaven gibt:
Steckbrief.
Am 8. d. Vormittags sind die beiden Sklaven Christian Hansen und Hermann
Jacob Axel Siewike aus der Festung entwichen und bis jetzt nicht wieder
aufgegriffen worden.
Alle Militär- und Civilbehörden werden hiemittelst ersucht, auf die unten
näher signalisirten Sklaven Christian Hansen und Herrmann Jacob Axel Siewike
vigiliren und im Betretungsfalle dieselben gegen Erstattung der Kosten anher
transportiren zu lassen.
Rendsburg, den 10. August 1848.
v. Abercron, Major und Platzkommandant.
[Deutschland]
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@facs | 0446 |
gentheil. Je freisinniger die Institutionen, desto freier werden sich die
heterogenen Elemente auseinander scheiden, desto mehr wird sich zeigen, wie
nothwendiger die Trennung ist, desto mehr wird die Unfähigkeit der Berliner
Politiker aller Parteien an den Tag kommen.
Wir wiederholen: Innerhalb Deutschlands mit den
altpreußischen Provinzen zusammenzubleiben, dagegen hat die Rheinprovinz
nichts einzuwenden; aber sie zwingen wollen, ewig innerhalb Preußens,
gleichviel ob eines absolutistischen, eines konstitutionellen oder eines
demokratischen Preußens zu bleiben, das hieße Deutschlands Einheit unmöglich
machen, das hieße vielleicht sogar — wir sprechen die allgemeine Stimmung
des Volks aus, ein großes, schönes Gebiet für Deutschland verloren machen,
während man es für Preußen erhalten will.
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@facs | 0446 |
[
61
] Wien, 21. August.
9 Uhr Abends. Die Stadt ist in drohender Aufregung; die Läden wurden früh
geschlossen, je mehr Arbeiter in die Stadt geströmt kamen. Auf dem Graben,
Kohlmarkt, unter den Tieflauben und fast in allen Straßen stehen
Arbeiterklubs. Ich habe mich unter die Leute begeben und hörte die ärgsten
Drohungen. „Wozu Fackelzüge, Beleuchtungen für den Kaiser, sagte man? Wir
lassen uns keine Lohnherabsetzung gefallen.“ Das Wort „hängen“ wurde dabei
mit den bedeutendsten Personen in Verbindung gebracht. „Jetzt werden wir sie
nicht mehr mit dem Gelde abziehen lassen, wir werden den Kerls zeigen, daß
wir mächtig sind“, hörte ich an vielen Stellen. Namentlich zeichneten sich
die Frauen in dergleichen Reden aus. — Die Nationalgarde ist überall in
Bereitschaft und ich hörte manche sich äußern, man müsse der Sache ein Ende
machen. Indessen dürfte dies nicht so leicht sein; unter den Wiener
Arbeitern steckt die ganze österreichische Bevölkerung, d. h. Böhmen,
Ungarn, Deutsche, Italiener, Croaten, Czekler, Illyrier, Serben u. s. w. Sie
sind entschiedene, thatkräftige Leute. Die akademische Legion ist auf ihrer
Seite; an Führern fehlts also nicht. — Nach Schönbrunn konnte ich nicht
gelangen; das Burgthor war gesperrt, die Wagen fuhren nicht mehr. — Die
ganze Aufregung ist durch einen Entschluß des Ministeriums vom 18.
entstanden, wonach der Tagelohn von 20 auf 15 Kr. herabgesetzt worden ist,
um die Geldmittel des Staats nicht zu erschöpfen. Durch ein am Abend
angeheftetes, von dem Minister Schwarzer unterzeichnetes, durch die Arbeiter
indessen überall herabgerissenes Plakat wird nun erklärt, daß das
Ministerium bei der Herabsetzung des Lohns verharren müsse.
Nachdem Mittags die Aufregung begonnen, ließ der Gemeindeausschuß dem
Oberkommandanten der Nationalgarde bedeuten, die Garde unter die Waffen zu
rufen. Daher der Generalmarsch, daher aber auch die erhöhte Aufregung. — Der
Sicherheitsausschuß, durch das Ministerium wiederum mit voller Macht
bekleidet, hat in seiner Permanenz, die ich eben verlasse, den Beschluß
gefaßt, den Oberkommandanten vorfordern zu lassen, um Rechenschaft von ihm
zu verlangen über das Verhalten der Garde und ihm zu bedeuten, daß er den
Befehl zum Generalmarsch künftig von niemand anderem mehr zu empfangen habe,
als vom Sicherheitausschuß; daß er nur allein unter diesem stehe. Ebenso
wurde der Beschluß gefaßt, daß Militär sich nur auf ausdrücklichen Befehl
des Sicherheitsausschusses der Stadt nähern dürfe. Der Gemeindeausschuß ist
vernichtet; Sicherheitsausschuß und Reichstag werden künftig nunmehr allein
in Wien herrschen; jede andere Gewalt ist durch den heutigen Tag annullirt,
wenn die Kamarilla kein Kabinetsstückchen wagt. — Wie ich eben höre, ist der
Fackelzug unterblieben; alle Straßen sind wie gekehrt von Kavaleiren, man
sieht nur Arbeiter, Studenten und Nationalgarden. Der Reichstag hält noch
Sitzung, die Berichterstattung über die Finanzlage ward so eben abgethan.
Ich werde Morgen das Nähere mittheilen.
Eine Arbeiter-Deputation hat den Minister Schwarzer aufgesucht, um von ihm
die Zurücknahme des Beschlusses vom 18. und dessen heutige Bestätigung zu
erlangen. Bis jetzt ist aber Schwarzer nirgends zu finden gewesen.
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@facs | 0446 |
[
61
] Wien, 21. Aug.
In der gestrigen Sitzung des Sicherheitsausschusses entwickelten sich unter
den Anwesenden eine äußerst anziehende, höchst stürmische Debatte darüber,
ob der Beschluß des Ausschusses, eine Adresse an die äußerste Frankfurter
Linke zu senden aufrecht zu erhalten oder zu annulliren sei. Die vielen
Anfeindungen des Ausschusses, die Frage, ob der Ausschuß dadurch nicht im
Volke den Boden verlieren würde, hatte diese Debatte hervorgerufen.
In einer feurig-geistreichen Rede bewies Wessely, daß, obgleich die Adresse
vom demokratischen Vereine dem Ausschusse vorgelegt worden, man, wie gesagt
werde, durch ihre Annahme dennoch nicht im Schlepptau dieses Vereines gehe,
weil es überhaupt nicht darauf ankomme, woher die guten Vorschläge und
Thaten kämen, sondern nur darauf, daß sie ausgeführt würden.
Das Frankfurter Parlament habe leider gezeigt, daß es kein demokratisches
sei, es habe durch die Mißhandlung Brentano's bewiesen, daß es nichts
verdiene, als die Entrüstung aller edlen deutschen Herzen und diese
Entrüstung müsse der Ausschuß aussprechen, weil er als ein demokratisches
Institut Deutschlands solchen unwürdigen Thaten mit Gleichgültigkeit nicht
zusehen dürfe, ohne an der Demokratie Verräther zu werden. Auf die Worte der
Adresse komme es übrigens weniger an, als darauf, daß sie selbst abgehe. Was
die Zuständigkeit des Ausschusses betreffe, so könne darüber kein Zweifel
sein. Der Ausschuß sei ein Kind der Revolution, hervorgegangen aus dem 26.
Mai, wo er allein ein obrigkeitliches Ansehen zu erringen gewußt. Der
Ausschuß müsse eine permanente Revolution bleiben, so lange er bestehe; er
habe Minister gestürzt und neue erhoben, er müsse auf der Warte der Freiheit
stehen und von dieser Warte herab sähe er auch dem Schauspiel in Frankfurt
zu. (Ungeheurer, nicht enden wollender Beifall im Saale und von den
Galerien.)
Lichtenstern spricht gegen die Adresse, weil man gegen eine oberste Behörde,
als welche man das Frankfurter Parlament zu betrachten habe, nicht auftreten
könne.
Freund: Die Frage sei wichtig; es sei zwar eine Einfältigkeit zu sagen, der
Ausschuß lasse sich vom demokratischen Vereine ins Schlepptau nehmen, allein
der Ausschuß könne sich seines Erachtens doch nicht als Partei hinstellen
und müsse qua Ausschuß die Adresse vermeiden. Wenn der Wiener Ausschuß eine
Adresse erlasse, so bedeute dies etwas mehr, als die Adressen bloßer
Vereine, denn es ständen 50,000 bewaffnete Nationalgarden hinter dieser
Wiener Adresse, vor welcher das Frankfurter Parlament doch einigen Respekt
haben müsse und auf welche sich diejenigen, welche ihn zu sprengen Luft
trügen, wohl berufen könnten.
Willner, Abgesandter der akademischen Legion: Bei dem Erstreben der Freiheit
komme es auf Verstand und Herz an, nicht blos auf den Verstand, wie ein
Vorgänger gemeint. Auch die Kamarilla habe Verstand und das größte Unglück
Deutschlands sei es eben, daß die Frankfurter lauter herzlose Theoretiker
seien, lederne Pergamente. Durch eine kräftige Einsprache aller
demokratischen Körper Deutschlands werde dessen Einheit keineswegs
geschwächt, sondern nur verwirklicht; das Frankfurter Parlament aber stelle
diese Einheit durchaus nicht dar. Wien stehe über Frankfurt, denn es bewahre
die Demokratie, während Frankfurt sie mit Füßen trete; auf etwas Anderes
komme es dabei nicht an; Wien müsse daher sein Augenmerk auf Frankfurt
richten, ihm die ernste Miene zeigen. Nur die Linke
befördere die Einheit Deutschlands; die Rechte gewähren lassen, würde auch
Deutschlands Oesterreich erdrosseln machen, wie Brentano. (Ungeheurer, viele
Minuten dauernder Beifall.) Ob Wien nicht Verwahrung einlegen würde, wenn in
seinem Reichstag Deputirte geprügelt würden? (Ungeheurer Beifall.) — Das
ganze Volk von Wien würde diese Adresse unterschreiben; der Ausschuß habe
bei seiner Gründung auf das Recht, Adressen zu entsenden, niemals
verzichtet. Die heute vorgelegte Adresse enthalte eine Perfidie, weil in der
Ueberschrift das Wort äußerste vor Linke weggelassen sei. Wenn dieser Tag des
Ausschusses Ende bestimmen sollte, so ende er mit Ruhm, denn er nehme dann
ein demokratisches Ende. (Ungeheurer Beifall.) Eine Deputation der
Mariahilfer Nationalgarde (Vorstadt) betritt den Saal und es entsteht, da
auch draußen große Menschenmassen die Straßen sperren, eine gewaltige
Aufregung. Der Ausschuß will die Deputation anfangs nicht hören, gibt dann
aber nach. Sie ist vom 8ten Bezirke und sagt: Obgleich die Republik unser
Ideal ist, können wir jetzt doch noch keine wollen, aber das Frankfurter
Parlament hat unsere Errungenschaften verrathen. Wir müssen es tadeln,
zurechtweisen, indem wir Diejenigen anerkennen, die sich Deutschlands
Freiheit würdig bezeigen. Es muß also jedenfalls eine Adresse an die Linke
erlassen werden, nicht aber an die äußerste Linke, weil wir vorläufig noch
nicht mit den Fäusten zu reden gedenken. Keine Republik mit der Faust, bis
nichts anderes mehr übrig bleibt. (Großer Beifall.)
Sylvester: Das Wort äußerste müsse dabei bleiben. Auch eine Behörde könne
Adressen erlassen und dies dürfe hier nicht als Auflehnung ausgelegt
werden.
Nach der Reihe treten noch mehrere Redner pro und contra auf, bis zuletzt
abgestimmt und der Beschluß, eine Adresse an die Frankfurter äußerste Linke
zu senden nur mit der Modifikation aufrecht erhalten wird, das Wort äußerste
zu vermeiden. Die Adresse wird den 230 Kompagnieen der Nationalgarde zur
Unterschrift vorgelegt und ein großer Theil des Reichstags wird sie
ebenfalls unterzeichnen. — Die Kamarilla ist über diese Vorgänge in
Verzweiflung und sucht nun den Spießbürger aufzuhetzen.
In der heutigen Morgensitzung kam der Fortbestand des Ausschusses zur
stürmischen Berathung. Auf Anstiften der Kamarilla ward der Arbeitslohn um 5
Cr. herabgesetzt; die Arbeiter dringen von allen Seiten in die Stadt. Der
Sicherheitsausschuß, ohne dessen Bewilligung ein solcher Beschluß nicht zur
Ausführung gebracht werden konnte, nimmt sich ihrer an, sieht aber in seiner
Uebergehung eine Verletzung seiner Stellung. Er erklärt sich in Permanenz.
Eine Deputation wird abgesendet und überbringt nach kurzer Zeit folgenden
Entscheid Dobblhoff's:
„Der Minister des Innern hat heute auf die an ihn gestellte Frage über die
Stellung und Mission des Vereinigten Ausschusses der abgesendeten Deputation
eröffnet: daß seiner Ansicht nach der Vereinigte Ausschuß weder in seiner
bisherigen Stellung noch in seiner ihm übertragenen Aufgabe irgend welche
Modification erlitten habe, er müsse daher an die Bürgerpflicht des
Ausschusses die Forderung stellen, daß derselbe seine Aufgabe so wie bisher
auch fortan und namentlich in der bestehenden jetzigen schwierigen Lage mit
der Aufopferung erfülle, wie er es bisher gethan hat.“
Dobblhoff mochte einsehen, daß auch er falle, wenn er den Ausschuß fallen
lasse.
Ich theile Ihnen zum Schluß die oben besprochene Adresse mit; sie lautet:
„An die Vorfechter deutscher Freiheit,
an die Deputirten
der Linken
im Frankfurter-Parlamente!
„Die Demokraten Wiens, entrüstet über die mannichfachen Anfeindungen und
terroristischen Angriffe, welche die Vertreter der wirklichen und wahren
Volksfreiheit von Seite der dinastischen Partei in der Nationalversammlung
sowohl als außer derselben zu erleiden hatten, und noch haben, — und in der
Ueberzeugung, daß die von der äußersten Linken in Frankfurt vertretenen und
standhaft verfochtenen Principien die einzige mögliche Grundlage für
Deutschlands Freiheit und Einheit seien, fühlen sich gedrungen diesen edlen,
wahren Volksvertretern öffentlich vor ganz Deutschland den Ausdruck ihrer
wärmsten Sympathieen hierdurch mit aller Entschiedenheit freier Männer
auszudrücken.“
Wien am 16. August 1848.
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@facs | 0446 |
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61
] Wien, 21. Aug.
27. Sitzung des Reichstags. Anfang 9 1/4 Uhr. Vorsitz: Strobach.
Tagesordnung: Ablesung des Protokolls der vorhergehenden Sitzung; Berichte
des Petitionsausschusses; Verhandlung über den Antrag Kudlich's u. s. w.
Petranowich interpellirt den Minister des Innern, ob
nicht-ungarische Truppen an dem Kampfe wider die Kroaten Theil nähmen, wie
es verlaute, und ob das Ministerium solche Truppen nicht zurückzuziehen
gedenke.
Dobblhoff: Es sei ihm nicht bekannt, daß in Syrmien
deutsche Regimenter stehen; wegen Rückberufung deutscher Offiziere in der
ungarischen Armee sei aber das Nöthige bereits eingeleitet.
Ein Abgeorneter: Nach einem Vertrage beziehen Preußen
und Rußland jährlich ein halb Million Centner Salz zu dem Preise von 3 Fl.
40 Kr., während der Oestreicher 6 Fl. 48 Kr. dafür bezahlen müsse. Er frage
darum an, wie lange dieser Vertrag noch dauere, ob das Ministerium dies
auffallende Mißverhältniß nicht sofort ändern wolle und ob es die
gesättigten der Weichsel in gedeckten Kanälen zufließenden Salinen nicht
freizugeben gesonnen sei.
Finanzminister Kraus: Er müsse wegen des Vertrags
erst die Akten nachsehen; es würde eine Verminderung des Salzpreises bald
eingeführt werden, damit werde die Frage über Freigebung des Salzwassers
erledigt werden.
Bei der nun folgenden Berichterstattung des Petitionsausschusses nimmt eine
Eingabe die Aufmerksamkeit der Versammlung hoch in Anspruch, in welcher
mehrere Einwohner von Prag und Umgebung den Minister Doblhoff und das
Gesammtministerium in Anklagestand versetzen, indem sie es des Hochverraths
für schuldig erklären. (Allgemeine Aufregung. Ruf: Noch einmal lesen.) Es
geschieht. Die Gründe der Anklage sind: Doblhoff habe das Ministerium ohne
Rücksicht auf die Provinzen gebildet, weil er Schwarzer darin aufgenommen,
weil er ohne Genehmigung einen Unterstaatssekretär ernannt, weil er sich um
die Gunst der Journale bewerbe, weil er den Grafen Leo Thun abgesetzt und
die Stelle eines niederöstreichischen Regierungspräsidenten noch nicht
besetzt habe, weil es den Grafen Rothkirch zum Gouverneur in Böhmen ernannt
und die Güter Metternichs zu Gunsten des Staats noch nicht sequestrirt habe.
Diese Petition wird ad acta gelegt. In einer andern Eingabe bitten die
Maschinenarbeiter, ein abgesondertes Korps der Nationalgarde bilden zu
dürfen. Der Petitionsausschuß trägt auf Verweisung an den Minister des
Innern an. Auf den Antrag Brauners weist die
Versammlung dieselbe dem Konstitutionsausschusse zu.
Pillersdorff sucht als Berichterstatter der
Finanzkommission den in einer frühern Sitzung gegebenen Bericht des
Finanzausschusses zu begründen. Er will, da die Nothwendigkeit es erheische,
daß dem Minister Kraus bewilligt werde, einstweilen 6 Millionen bei der Bank
zu leihen; er will ferner die Errichtung eines permanenten
Finanzausschusses, um die Vorarbeiten für das künftig zu befolgende System
zu liefern.
Schuselka: Er spreche für den Antrag, weil Roth kein
Gebot kenne.(!) Doch sei weder der Bericht des Finanzministers, noch der der
Kommission den Zeitbedürfnissen entsprechend, weil beide sich im alten
Systeme bewegten und keiner einen energischen, sozialen Gedanken enthielten.
Aber wenn die Nothwendigkeit gebiete, müßten alle Rücksichten schweigen,
obwohl der Reichstag sich mit Bewilligung eines Kredits nicht überrumpeln
lassen solle u. s. w. Die Rede ist wie die aller Stellenjäger, die den Mund
voller Völkerbeglückung haben, die entgegengesetzten Thaten aber genehmigen
und damit die große Masse der dummen Schafe für sich zu ködern meinen.
Gobbi (Triest) will den Anspruch, daß der Reichstag
die Staatsschuld für unantastbar erkläre und die Bank ehestens in die Lage
versetzt werde, ihre Noten wieder einzulösen. Der 7. Punkt im Berichte des
Ausschusses sei unbillig und ungerecht, da nur Karl Albert die Millionen zu
zahlen habe, die der Krieg gekostet, nicht die Lombardei. Die Schuld des
Landes reiche nur bis zum Eintritte Karl Alberts und müsse von da an auf ihn
gewälzt werden, weil Karl Albert nur mit despotischen Gelüsten in die
Lombardei getreten und dadurch, und weil er verrätherische Vorspiegelungen
gemacht, es verhindert habe, daß Italien sich der Wiener Revolution
angeschlossen u. s. w.
Bilieski findet es sonderbar, daß die Kommission sich
für Benutzung der Bank ausspreche, nachdem sie vor wenigen Tagen sich erst
dagegen erklärt habe; er spreche sich für eine Spezial-Hypothek auf die
Staats- und geistlichen Güter aus, weil Karl Alberts Belastung mit den
Kriegskosten nicht viel und namentlich nicht alsogleich etwas einbringen
würde, die italienischen Provinzen aber mit dieser Last nicht besteuert
werden dürften.
Faschonk: Man müsse schon von Frankreich, nicht vom
wucherischen Albion gelernt haben den Menschenwerth zu achten; er will kein
Geld, er will Boden, Produkte und Personen als Münze. Er theile die Meinung,
daß die Gefahr eines Staatsbankerotts bevorstehe, es sei aber auch bisher
nur eine Finanzwirthschaft, und keine Finanzwissenschaft betrieben worden
und bei der letzten handle es sich vor Allem, wie man die Menschen von ihren
Abgaben befreie. Daß der Ausschuß Ersatz von Italien verlange, müsse er als
eine Barbarei ansehen und es stimme schlecht mit der Angabe überein,
Oesterreich werde Befreier Italiens sein. Den Staatskredit benützen,
erscheine ihm lächerlich, wenn man damit wieder die Bank oder die
Stockjoberei Einzelner meine Es freue ihn zwar, daß man den Kredit nur in
dem Vertrauen auf die Nation Oesterreichs suche, aber Vertrauen fordere
Thaten. Er ist gegen die Pläne des Ausschusses und will andere entwickeln.
Der Präsident entzieht ihm unter dem Vorgeben das Wort, es handle sich heute
nur um den Antrag der Kommission.
Bressel: Wenn die Versammlung heute schon die
Staatsschuld anerkenne, so seien Italien und Ungarn, weil sie hier nicht
vertreten, davon entbunden Dies gehe also nicht. Aber die Versammlung müsse
auf Mittel denken, augenblicklich Geld zu schaffen; es handle sich vorläufig
noch gar nicht um ein neues Finanzsystem, nicht um Regelung des
Staatshaushalts; es handle sich davon, den Staatshaushalt nicht in's Stocken
gerathen zu lassen.
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61
] Wien, 22. August.
Die Hauptstadt ist noch einmal vor einem blutigen Geschick bewahrt worden,
sie hat noch einmal einen großen demokratischen Sieg errungen und diesen
Sieg verdankt sie der Besonnenheit, dem tüchtigen Freisinn ihrer
revolutionären Bürger, vor allem dem Ausschuß der Bürger, Nationalgarden und
Studenten zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Volksfreiheit. Ich habe
einen großen Theil der Nacht und des heutigen Morgens im Ausschusse
zugebracht und die Ueberzeugung gewonnen, daß Wiens Freiheit geschirmt ist.
Während die Frankfurter Gesinnungsritter sich bei Ihnen mit dem Königthum in
einem Dombau-Essen festlich verbrüdert und die Fabrik- und
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Quadratfüßlerseelen des Rheines sich dabei die behaglichen Wänste füllen,
nachdem sie den Säckel des Volks in den ihrigen hineinspekulirt, bringt Wien
die schönsten Opfer zur Festhaltung der Freiheit. Wir lächeln darum auch
mitleidig, wenn uns ein Herwegh zuruft, (Gedicht v. 9. Aug.) wir seien:
„Eine Schöpfung ohne Leben und ein Chaos ohne Geist“ — Wien kann sich nur
freuen, wenn angeliche Genies, welche die von deutschen Plattköpfen
angeglotzte Dummheit ausgerufen: „O Volk von 40 Millionen, das 40 Menschen
unterthan!“ es verhöhnen. Ich wenigstens habe das deutsche Volk immer gerade
darum allein nur noch entschuldbar gefunden, weil es 40
einige Tyrannen im Nacken sitzen hatte und nicht etwa einen.
Ich glaube Sie versichern zu können, daß mit dem einfachen Herzen und mit dem
einfachen, sehr begabten Naturverstande des Wieners sich keiner benommen
haben würde, wie Herwegh, wenn es hier einmal auf einen republikanischen
Kampf angekommen wäre. Schon längst zuckt daher der Wiener die Achsel über
die sogenannten politisch-großen Geister und Charaktere Deutschlands, denn
er sieht, daß es im Grunde ziemlich arme Schlucker sind, die man bemitleiden
muß.
Die Thätigkeit der Kamerilla hat mit der Rückkehr nach Schönbrunn keineswegs
aufgehört, sie ist durch ihre Niederlagen zur äußersten Wuth getrieben. Das
Rückfordern, die kalte Aufnahme des Kaisers; das Durchfallen des
Selinger'schen Antrags; die Parade mit dem ça ira, welche man als eine
Verhöhnung des Kaisers auslegte; das demokratische Benehmen des
Reichstag[e]s, der seinen schwarz-gelb-zuckersüßen Präsidenten Schmitt,
nachdem er Salbader in Schönbrunn gesprochen, sogleich abgesetzt hat; das
Fortbestehen des Sicherheitsausschusses und der akademischen Legion,
überhaupt die fortwährend demokratische Haltung Wien's, geboten äußerste
Mittel der List. Man bemühte sich, die demokratisch genannten Mitglieder des
Ministeriums zu fangen und zu kompromittiren. Dazu taugte Niemand besser,
als Schwarzer, den ich Ihnen schon früher als politischen Charlatan
bezeichnet habe. Schwarzer wurde veranlaßt, den Arbeitslohn um 5 Kr.
herabzusetzen; man wußte wohl, daß dadurch ein Arbeitersturm
heraufbeschworen würde. Der Minister ging in die Falle, denn man zeigte ihm
darin einen vortrefflichen Speck. Er erließ also schon am Samstag eine
Verordnung, wodurch der Arbeitslohn herabgesetzt wurde. — Diesen Beschluß
theilte er, wie die erste Pflicht gebot, nicht etwa dem
Sicherheitsausschusse mit, sondern ließ ihn durch das Komité für die
Arbeiter der Stadthauptmannschaft (früher Polizei-Oberdirektion) dem
verhaßten Gemeindeausschusse mit dem Bedeuten zugehen, den Oberkommandant
der Nationalgarde, Streffleur, aufzufordern, die sämmtlichen Kompagnieen der
Garde in Bereitschaft zu halten, weil am Montag, wo er, der Minister, seinen
Beschluß veröffentlichen würde, ein Arbeiteraufstand zu befürchten stehe.
Zugleich war der Gemeindeausschuß autorisirt, das Militär zu requiriren. Dem
Sicherheitsausschuß wurde davon keine Silbe mitgetheilt. Am Montag erscheint
nun Schwarzer's Verordnung und macht auf die Arbeiter den gehörigen Effekt.
Sie strömen mit Frau und Kindern zu Haufen in die Stadt und vor das
Rathhaus, vor den Sicherheitsausschuß und zur Aula, indem sie die Aufhebung
des Beschlusses verlangen. Augenblicklich wird der Generalmarsch geschlagen,
Gerüchte verbreiten sich, die Arbeiter sollten von der Nationalgarde zu
Paaren getrieben werden und man wolle dann in den Sicherheitsausschuß
dringen, um denselben zu sprengen, worauf die Auflösung der akademischen
Legion erfolgen müsse. — Durch tausend Verleumdungen, die seit der Rückkehr
des Kaisers ausgesprengt worden, war es gelungen, die Nationalgarde
theilweise sowohl gegen die Legion, als auch gegen den Sicherheitsausschuß
einzunehmen und dieselbe ging sogar schon so weit, daß einzelne Kompagnieen
ihre Abgeordneten zurückberiefen, ohne neue zu ernennen. Dies widerfuhr
namentlich den freisinnigsten Mitgliedern des Ausschusses, welche für die an
die Frankfurter Linke zu sendende Adresse gestimmt hatten. Der
Sicherheitsausschuß glaubte, mit der öffentlichen Meinung nicht mehr in
Einklang zu stehen; es erhoben sich viele Stimmen für freiwillige Auflösung.
Da erschienen die Arbeitermassen, die Verordnung wurde bekannt, man fühlte
sogleich die hinterlistige Gewalt, welche im Verborgenen wirkte und sich
durch Uebergehen des Sicherheitsausschusses bei allen genommenen Maßregeln,
nur zu deutlich zu erkennen gegeben hatte. Die beredtsten Mitglieder
überzeugten Alle alsbald von der vorhandenen Gefahr und man beschloß, eine
Deputation an den Minister Dobblhof zu senden, deren Resutat ich Ihnen
gestern mitgetheilt habe und welches in einem Nu den Sicherheitsausschuß
wieder über jede andere in Wien vorhandene Exekutivbehörde erhob.
Jetzt schritt der Sicherheitsausschuß während des Nachmittags und in der
Nacht zu den energischsten Maßregeln. Er erklärte, daß keine Behörde in Wien
mehr eine von ihm unabhängige Exekutivgewalt habe. Daß auch der
Gemeindeausschuß und die Stadthauptmannschaft (Polizei) sich seinen Befehlen
zu fügen habe. Er forderte den Oberkommandanten der Nationalgarde vor seine
Schranken und ließ sich von ihm erklären, woher er die Weisung zum Schlagen
des Generalmarsches erhalten, und als derselbe darauf den Gemeindeausschuß
und die Stadthauptmannschaft als solche bezeichnete, die ihn benachrichtigt,
die Arbeiter in den Vorstädten seien gegen die Stadt im Anzuge, wurde die
Stadthauptmannschaft ebenfalls vorgefordert. Glieder des Gemeindeausschusses
wurden vernommen. So kam man auf die Quelle des Verraths — das
Ministerium.
Weil der Ausschuß kein Recht hatte, Minister zur Verantwortung zu ziehen, so
wurde einstweilen nur das Kabinet des Arbeits-Ministers vorgeladen. Urkunden
mußten vorgelegt werden, die Räthe wurden aus den Betten geholt und mußten
in der Nacht Verhöre bestehen, die vollends ergaben, daß es auf einen
Konflikt abgesehen war, den die Kamarilla für sich ausbeuten wollte. — Die
Arbeiter wollten gestern Abend den Minister Schwarzer, der indessen
entflohen war, aufhängen, ja, sie drohten, nach Schönbrunn zu ziehen, um,
wie sie sagten, das ganze Nest dort im Park an die Bäume zu knüpfen.
Schönbrunn war darum gestern Abend mit Militär und Nationalgarden ganz
umstellt und ist es noch. Der Zorn des Volks wendet sich, je klarer es
sieht, immer mehr gegen Schönbrunn, dessen Streich abermals mißlungen ist.
Die Untersuchung im Sicherheitsausschusse dauert fort, man ist unermüdlich
und entdeckt nach und nach Intriguen, die gesponnen wurden und noch
gesponnen werden, die Bevölkerung aneinanderzuhetzen, um dann mit dem
Militär dazwischen zu fahren. — Der Hof ist verloren, ich glaube nicht, daß
er bleiben wird; entflieht er aber, so wird's ihm schlimm ergehen; es wird
allen schlimm ergehen, die es mit ihm halten. Das Wort schwarz-gelb ist heute Nacht zu einer Bezeichnung geworden, die
jeden verdirbt, dem das Volk sie beilegt.
Während der Nacht waren alle Basteien mit Nationalgarde und ihrer Artillerie
besetzt. Die akademische Legion und der Ausschuß wußten die Arbeiter
einstweilen zu besänftigen; so eben heißt es aber, es seien 40,000 Arbeiter
in den Vorstädten versammelt, um in der Aula mit den Studenten Brüderschaft
zu machen. Es ist nicht möglich in die Aula zu kommen und ich war daher
einige Zeit im Sicherheitsausschuß, dessen Permanenz noch fortdauert. Die
Behörden sind angewiesen worden, jede Stunde über den Zustand der Stadt
Bericht zu erstatten; der Befehl über die Nationalgarbe ist dem Ministerium
des Innern entzogen worden, indem der Oberkommandant einstweilen unter den
Ausschuß gestellt ist. Die Nationalgarde sieht die
aristokratisch-spießbürgerliche Wühlerei immer mehr ein; die meisten
Kompagnien senden Ergebenheitsadressen an den Ausschuß. Das Ministerium wird
vom Reichstag in Anklagezustand versetzt werden. — Um ihre Intriguen
durchzusetzen, hat die Camarilla gewöhnliche Jungen in akademische Uniform
kleiden und dieselben im Verlaufe des Tages überall Unordnungen stiften
lassen. Auf diese Weise sind von der Nationalgarde viele falsche Akademiker
verhaftet worden und es gelang, den Bürgerstand, der ohnehin die Legion
nicht recht leiden mag, noch mehr dagegen einzunehmen. Die Studenten
entdeckten aber auch diese List und verfügten sich in der Nacht zum
Ausschuß, um eine Untersuchung zu beantragen. — Die akademische Legion hat
sich gestern vorzüglich dadurch die Zuneigung der Arbeiter gewonnen, daß sie
die Bajonnette von den Gewehren genommen und sich bei der Vertreibung der
Arbeiter aus der innern Stadt mit weit mehr Milde benommen hat, als die
aufgehetzte Nationalgarde. An dem Sicherheitsausschusse, an der Legion,
hängt das Herz Wiens und aller deutschen Provinzen. Die Freiheit Oestreichs
hängt daran, weil sie der Spießbürger hier eben so wenig zu vertheidigen
vermag, als anderwärts.
Ein gewisser Viennet hatte sich dazu hergegeben, eine
Adresse an das Ministerium zu verfassen, worin die Universität
republikanischer Tendenzen beschuldigt und deshalb ihre Auflösung vom
Ministerium verlangt wird, wenn sich dasselbe nicht der Uebereinstimmung mit
diesen Tendenzen schuldig machen wolle. „Sollte sich das Ministerium zu
schwach fühlen, so heißt es perfiderweise in dieser Adresse, so würden die
unterzeichneten Bürger und Nationalgarden im Vereine mit
dem Militäre für seine kräftigste Unterstützung Sorge tragen!“ Sie
sehen, wo man hinaus wollte; man wollte eine Pariser Juni-Schlächterei.
Leider finden die absolutistischen Wühlereien schon zu viel Halt in dem
Kommißbrod der Freiheit, dem Bürgerthum, obgleich das wiener Bürgerthum von
der klassischen Gemeinheit des westeuropäischen noch himmelweit entfernt
ist. — Das Benehmen der Nationalgarde gegen die Arbeiter war hie und da
schon sehr schroff und man hört von mancherlei Ex[z]essen, die vorgefallen
sein sollen. Vor allem aber empörte das Benehmen des Gemeindeausschusses,
der in einem Plakate die gutgesinnten Einwohner
Wiens aufforderte, nach Hause zu gehen, da er, der Gemeindeausschuß, schon die nöthigen Anstalten zur Aufrechthaltung der
gefährdeten Ruhe der Hauptstadt getroffen habe. Man
ersah daraus, daß Alles zum Sturze der freisinnigen Körper verabredet war
und ein 26. Mai mit Gewalt heraufbeschworen werden sollte. Hecker kann ohne Umstände hieher kommen, Plakate
verkünden heute seine baldige Ankunft.
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15
] Wien, 22. August.
Unsere Stellung zu Ungarn hat sich nicht geändert, die beiden Ministerien
werden immer gereizter, ihre Schritte immer feindseliger. Ungarn beharrt auf
seiner mit den kaiserlichen Worten verbrieften und versiegelten
Unabhängigkeit als auf sein gutes, altes, in Zeitenstürmen verlorenes, nun
wieder errungenes Recht, und die Ueberzeugung gewimmt immer mehr Raum, daß
nur das Schwerdt entscheiden werde.
Der Kaiser hat alle Preßvergehen, welche nach dem provisorischen Preßgesetze
gegen seine Person begangen worden, amnestirt, und es frägt sich nun, in wie
weit der Staatsanwalt und die Jury die kaiserliche Amnestie erweitern oder
einschränken werden, da sich so ziemlich alle bisher obschwebenden
Preßprozesse auf den berührten Paragraphen reduciren ließen. Uebermorgen,
den 24., sitzt das erste Geschwornengericht über die Preßklage gegen den
„Studenten-Kourier.“ Justizminister Bach ist von den Betreffenden angegangen
worden, eine der geräumigsten Lokalitäten der Residenz zum Sitzungssaale
einrichten zu lassen, und er willfahrte diesem Wunsche. Ganz Wien sieht mit
der gespanntesten Erwartung diesen ersten Anfängen der Oeffentlichkeit und
Mündlichkeit im Gerichtsverfahren entgegen, die sich nur der zu erklären
vermag, der den frühern Gang der österreichischen Justizpflege zu kennen
Gelegenheit hatte.
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103
] Berlin, 24. August.
Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. Frage über den Modus der Berathung des
vom Ministerium vorgelegten Gesetzes über unerlaubte Volksversammlungen und
Zusammenrottungen.
Auf den Wunsch des Ministeriums hatte der Präsident Grabow die Berathung dieses Gesetzes im Sturmschritt beschlossen.
Dienstag Abend um 6 Uhr erhielt derselbe die Königliche Botschaft mit dem
Gesetze, beförderte sie sogleich zum Druck, und ließ sie gestern Morgen an
alle Abtheilungen vertheilen, und ertheilte deren Vorsitzenden den Auftrag
die Berathung und die Wahl eines Mitgliedes zum Berichterstatter sogleich
vorzunehmen. Die Central-Abtheilung sollte noch gestern Nachmittag
zusammenkommen und ihren Bericht zur heutigen Sitzung erstatten. — Eine
solche übereilte Berathung fand jedoch in verschiedenen Abtheilungen
entschiedene Mißbilligung und besonders die zweite Abtheilung fand sich
veranlaßt eine Deputation zum Präsidenten Grabow zu
senden um gegen die sofortige Berathung zu protestiren. Die erste und dritte
Abtheilung theilen dieselbe Ansicht, nahmen aber eventuell die Wahl eines
Berichterstatters vor, um in der Central-Abtheilung, wenn sie wirklich
zusammentreten sollte, nicht unvertreten zu sein. Die fünfte und sechste
Abtheilung konnten mit der Berathung im Laufe des gestrigen Tages nicht zu
Ende kommen und obgleich die andern vier Abtheilungen ihre Berichterstatter
gewählt, zog es der Vice-Präsident Phiipps doch vor,
dieselbe noch nicht zusammentreten zu lassen. —
Nachdem sich dieser Thatbestand aus den verschiedenen Mittheilungen des
Präsidiums herausgestellt, wird die Debatte darüber eröffnet, wie man ferner
mit dem eingereichten Gesetz-Entwurf zu verfahren habe.
Vice-Präsid. Kosch Vorsitzender der zweiten
Abtheilung will einige vorgekommene Mißverständnisse widerlegen. Er erzählt
den Hergang der ganzen Berathung, wie sie in seiner Abtheilung startgefunden
und schließt mit folgenden Worten: Das vorgelegte Gesetz ist jedenfalls ein
sehr bedeutendes, denn es soll eins, der durch die Märzrevolution errungenen
Rechte, die Fre[i]heit des Versammlungsrechts, aufs Engste beschränkt
werden. Das Gesetz ist unter dem Einfluß des Schreckens der
Montag-Ereignisse eingebracht, und unter solchen Umständen trägt es einen
terroristischen Karakter. Lassen wir diesen Einfluß erst verschwinden und
gehen dann mit ruhiger Ueberlegung an die Berathung des Gesetzentwurfs.
—
Abg. von Berg schlägt vor, daß man ganz nach
Vorschrift der Geschäftsordnung über den Antrag des Ministerpräsidenten, ob
die sofortige Berathung vor allen anderen Vorlagen stattfinden solle,
abstimmen möge und wird dieser Antrag verworfen, so tritt der gewöhnliche
Geschäftsgang ein, daß diese Gesetzvorlage in der Reihe ihrer Nummer in den
Abtheilungen berathen werde. (vielseitige Beistimmung.)
Abg. Behnsch. Der Herr Präsident glaubte, daß die
Versammlung stillschweigend den Antrag des Ministerpräsidenten auf sofortige
Berathung angenommen habe, wobei er jedenfalls im Irrthum ist. Es gibt keine
stillschweigende Beschlüsse, keine stillschweigende Zustimmung noch
Verwerfung. Der Herr Präsident erinnere sich seines eigenen Ausspruchs bei
Gelegenheit der Fragestellungen über die Befugnisse der zur Untersuchung der
Posenschen Angelegenheiten niedergesetzten Kommission. Es muß demnach noch
ein Beschluß der Versammlung nachgesucht werden.
Der Präsident Grabow erkennt an, daß er die
Geschäftsordnung verletzt und einen Formfehler begangen habe. —
Abg. Zachariä, bekannt durch seine ministeriellen
Vermittlungsvorschläge, stellt das Amendement, daß die Gesetzesvorlage
nächsten Montag in der Plenarversammlung zur Berathung kommen solle. Bis
dahin mögen die Abtheilungen und Central-Abtheilungen das Gesetz berathen
und sollte der Bericht bis Montag nicht abgestattet werden können, so soll
die Berathung nach dem Eingang des Berichts angesetzt werden. —
Minister-Präsident Auerswald. Er habe in der letzten
Sitzung nur den Wunsch ausgesprochen, daß die Berathung über das vorgelegte
Gesetz so schnell wie möglich geschehe; die Regierung sei weit entfernt eine
Uebereilung bei der Berathung herbeizuführen. Die Regierung ist durchdrungen
von der Wichtigkeit der Gesetzes-Vorlage, deren baldige Erlassung zum
Schutze der Ordnung und Ruhe und zur Herstellung der Sicherheit und des
Vertrauens nothwendig sei, hat jedoch keine Interesse daran, ob die
Berathung einige Tage früher oder später stattfinde und überläßt der
Versammlung die desfallsige Bestimmung. — (Bravo zur Rechten. Zischen zur
Linken.)
Abg. Wachsmuth bedauert die letzten Vorfälle, zu
welchen das Volk durch schamlose Plakate, wie diejenigen von deren der Herr
Minister des Innern in letzter Sitzung eins verlas, verleitet worden
sei.
Nachdem noch eine kurze Debatte stattgefunden, wird das Amendement Zachariä angenommen und die Berathung findet demnach
Montag statt. —
Der Abg. Jung erhält hierauf das Wort. Er habe in
einer der ersten Sitzungen dieser Versammlung den Antrag gestellt auf
Pensionirung der in der März-Revolution verwundeten Kämpfer und der
Hinterbliebenen der Gefallenen. Obgleich nun schon die Central-Abtheilung
über Berathung dieses Antrages vor länger als zehn Wochen zusammengetreten,
so sei doch bis jetzt noch kein Bericht darüber erstattet worden. Man hat
ihn von vielen Seiten deshalb um Erklärung dieser Hinschleppung ersucht, da
man von mancher Seite der Versammlung selbst Schuld gab, daß dieselbe diesen
Antrag vorsätzlich unterdrücken wolle; bei einer deshalb von ihm
angestellten Untersuchung hat sich aber ergeben, daß die Verzögerung von
einer Seite herrühre, von welcher man es am Wenigsten erwarten sollte,
nämlich vom Berliner Magistrat. Er bittet den Vorsitzenden der
Central-Abtheilung um die nähern Mittheilung. —
Dieser, der Vicepräsident Kosch, berichtet, daß die
Central-Abtheilung geglaubt hätte, vom Berliner Magistrat einen Ausweis über
die Anzahl der zu Pensionirenden und über die zur Unterstützung derselben
eingegangenen Fonds zu erhalten. Der Magistrat hat aber dieses Gesuch
unberücksichtigt gelassen und deshalb hat die Abtheilung vor ungefähr vier
Wochen den Minister des Innern ersucht, den Magistrat zur Ertheilung des
verlangten Nachweises aufzufordern.
Hierauf Tagesordnung über §. 3. des Gesetzes zum Schutze der persönlichen
Freiheit.
Abgeordneter von Daniels stellt folgendes
Amendement:
„Personen, welche ohne gerichtlichen Befehl zu ihrem eigenen Schutze, oder
während sie die Ruhe, die Sittlichkeit oder die Sicherheit auf den Straßen
und an öffentlichen Orten gefährden, oder auf den Grund einer besonderen
gesetzlichen Befugniß festgenommen worden sind, müssen in vier und zwanzig
Stunden in Freiheit gesetzt, oder dem geeigneten Verfahren überwiesen
werden.
Die Vorschriften der rheinischen Strafprozeß-Ordnung At. 615-617. werden auf
den ganzen Umfang des Staats ausgedehnt, mit er Maaßgabe, daß an die Stelle
der in Art 615. benannten Beamten die Ortsrichter, die Directoren der
Inquisitoriate, die Präsidenten der vorgesetzten Obergerichte und die
Beamten der Staatsanwaltschaft des Gerichtsbezirks treten.“
Abg. Harrassowitz will den §. kurz fassen und schlägt
folgendes Amendement vor:
„Eine Verhaftung, die lediglich zu polizeilichen Zwecken erfolgt ist, darf in
keinem Falle die Dauer von vier und zwanzig Stunden überschreiten.“
Abgeordneter Borchardt. Wer die Ruhe, Sittlichkeit
oder Sicherheit auf den Straßen und an öffentlichen Orten wirklich verletzt, begeht ein Verbrechen oder Vergehen, und
kann, wenn er auf frischer That betroffen wird, sofort verhaftet werden. —
Eine bloße Besorgniß, daß Jemand die Ruhe und Sittlichkeit verletzen werde,
kann aber weder eine Verhaftung noch eine sogenannte polizeiliche
Verwahrung, die dasselbe ist, rechtfertigen. Die persönliche Freiheit würde
sonst der polizeilichen Willkür, die überall Gefahr wittert, völlig
preisgegeben sein. — Er schlägt demnach das Amendement vor, daß im § 3. des
Kommissionsentwurfs die Worte: „oder während sie die Ruhe, die Sittlichkeit
oder die Sicherheit auf den Straßen und an öffentlichen Orten gefährden,
polizeilich verwahrt werden“ — gestrichen werden. —
Nachdem noch viele Redner für und gegen den Kommissions-Entwurf gesprochen,
erklärt sich der Minister des Innern, Kühlwetter, in
einer längern weitschweifigen Rede für den Kommissionsentwurf ohne alle
Aenderung und Zusätze. —
Berichterstatter Waldeck. Die §§. 1. und 2. beziehen
sich nur auf die Fälle eigentlicher Verhaftungen, diejenigen nämlich, welche
sich auf die Anschuldigung einer strafbaren Handlung gründen. Die Polizei
der Straßen und öffentlichen Plätze macht es jedoch unerläßlich, daß
mitunter, namentlich zur Nachtzeit, zeitweise polizeiliche Verwahrungen
vorgenommen werden müssen, theils zum Schutze der in Verwahr genommenen
Personen selbst, z. B. der Trunkenen, Wahnsinnigen, Kinder, theils bei
Störungen der Ruhe, der Sittlichkeit oder der Sicherheit der Plätze. Es
konnte nicht die Absicht sein, der Polizeigewalt diese Befugniß, deren
Grenzen sich aus Vorstehendem von selbst ergeben, zu entziehen. Entsprechend
dem bloß vorsorglichen Charakter derartiger Maaßregeln ist es jedoch
nothwendig, eine möglichst kurze Dauer derselben allgemein vorzuschreiben. —
Er, für seine Person, erklärt sich jedoch aus den von andern Rednern schon
mitgetheilten Gründen gegen den §. 3. des Kommissions-Entwurfs.
Abstimmung: Alle oben angegebenen Amendements werden
verworfen. —
Das Amendement des Abg. v. Lisiecki: Statt des Wortes
„wenigstens“ das Wort „spätestens“ zu setzen, wird angenommen. Demnach wird der ganze §.
3. mit kleiner Majorität angenommen, welcher nun folgendermaßen lautet:
„Diese Bestimmungen (§§. 1. 2.) bleiben außer Anwendung auf Personen, welche
zu ihrem eigenen Schutze oder während sie die Ruhe, die Sittlichkeit oder
die Sicherheit auf den Straßen und an öffentlichen Orten gefährden,
polizeilich in Verwahrung genommen werden. Diese Personen müssen jedoch
spätestens binnen vierundzwanzig Stunden entweder in Freiheit gesetzt, oder
dem gewöhnlichen Verfahren überwiesen werden.“
Abg. Walter hat noch folgenden Zusatz gestellt,
welcher angenommen wird.
§. 3. a. „Jeder Verhaftete muß binnen 24 Stunden nach seiner Vorführung vor
den zuständigen Richter von demselben so vernommen werden, daß ihm die
Anschuldigungsgründe mitgetheilt, und ihm die Möglichkeit zur Aufklärung
eines Mißverständnisses gegeben wird.“
Ein von Demselben gestellter zweiter Zusatz wird jedoch mit kleiner Majorität
verworfen; er lautete:
„Der Beamte, welchem die Aufsicht über das Gefängniß zusteht, ist
verpflichtet, den Verwandten und Freunden des Verhafteten zu gestatten, sich
denselben vorstellen zu lassen, und der Gefangenwärter ist verpflichtet,
dieser Weisung Folge zu leisten, wenn er nicht einen richterlichen Befehl
vorzeigt, der ihm vorschreibt, den Verhafteten in geheimer Haft zu halten.
Der Beamte oder Gefangenwärter, welcher jener Verfügung zuwider handelt, ist
des Vergehens willkürlicher Verhaftung schuldig.“
Hierauf kommt man zum §. 4, worüber nur eine kurze Debatte stattfindet.
§. 4. lautet: „Niemand darf vor einen andern als den im Gesetz bezeichneten
Richter gestellt werden.
Ausnahmsgerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft.
Keine Strafe kann angedroht oder verhängt werden, als in Gemäßheit des
Gesetzes“
Wird ohne Aenderung angenommen. Schluß der Sitzung.
Nächste Sitzung Sonnabend.
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[
103
] Berlin, 24. August.
Die von den 6 vereinigten Clubs gestern Abend vor den Zelten abgehaltene Volksversammlung war unstreitig die bedeutendste,
die je hier Statt gefunden, (was nicht viel sagen will. Nächst einem Protest
an die Vereinbarer-Versammlung gegen den Gesetzentwurf der Minister, welcher
mit vielen Tausend Unterschriften bedeckt wurde, ward auch eine Proklamation
des demokratischen Clubs an die Bürgerwehr verlesen.
Der letzte Redner schloß die Versammlung mit einer Aufforderung zur Bildung
eines großen Nationalbundes zum Schutz der Freiheit und verlas folgendes
Programm, welches jeder Beitretende unterschreiben sollte:
„Wir, deren Namen hier unterschrieben sind, verpflichten und verpfänden uns
feierlichst mit unserer Ehre und bei dem Andenken an unsere große (!) und
glorreiche (!!) März-Revolution, für die öffentliche Wohlfahrt und für die
Freiheit der Nation, für einander und für unser Vaterland zu stehen und
zusammenzuhalten wie Ein Mann, um die durch die Revolution errungene (!!!)
und seitdem zu Recht bestehende (!!) Freiheit vor jedem verbrecherischem und
heimtückischen Angriff und vor jeder schimpflichen Beschränkung zu schützen
und zu wahren. —
Wir hoffen, daß alle guten und ehrenhaften Staatsbürger, daß insbesondere die
erwählten Vertreter der Nation, welche nicht Verräther sein wollen, unsere
Bestrebungen kräftigst unterstützen werden; wir beschließen, daß unser
Ausschuß befugt und berechtigt ist, in unserm Namen alle Schritte zu thun,
welche er zur Erhaltung und zum Schutz unserer eroberten Freiheit für
nothwendig hält; wir schwören endlich mit Gut und Blut
für diese Freiheit der Nation einstehen zu wollen.“
Ehe der Redner den letzten Satz verlas, frug er die Versammlung ob sie diesen
„Schwur“ leisten wollten, in diesem Falle
sollten sie seine Worte wiederholen und die ganze Versammlung, über 10,000
Männer, leisteten diesen Eid. (Schönes Schauspiel! Märkischer Rütlibund!)
Der Moment war erhebend! Wie läppisch erscheint die Metropole der
norddeutschen Intelligenz neben dem „gemüthlichen“ Wien!
[0448]
Die vielen Tausenden begaben sich nach ihrem grausen Schwur voll
Gesinnungsernst in die Bierhäuser, um allgemeine Fragen des Tages zu
besprechen.
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@facs | 0448 |
Berlin, 24. Aug.
Der Finanzminister hat Nachstehendes an die Königlichen Regierungen
erlassen:
„Aus dem Berichte der Königlichen Regierung vom 2. d. M. habe ich ungern
ersehen, daß seit dem Erlaß der Allerhöchsten Ordre vom 26. Juni d. J.,
welche für alle bis zu diesem Tage verübten Forstfrevel Amnestie bewilligte,
eine maßlose Vermehrung der Holzdiebstähle eingetreten ist.
Da diese Besorgniß erregende Erscheinung nach den Ermittelungen der
Lokal-Behörden aus der im Publikum verbreiteten Meinung hervorgegangen sein soll,
daß bei dem Erscheinen des neuen Staatsgrundgesetzes
eine abermalige Amnestie für Forst- und Jagdfrevel eintreten werde,
so muß der Königlichen Regierung zur Pflicht gemacht werden, die öffentliche
Meinung über die Unrichtigkeit dieser durchaus unbegründeten Voraussetzung
zu belehren.
Die neue Verfassung wird dem Volke die errungene Freiheit verbriefen,
zugleich aber den Gesetzen die ihnen gebührende Achtung und Geltung
sichern.
Berlin, den 23. August 1848.
Der Finanz-Minister.
(gez.) Hansemann.
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@facs | 0448 |
Berlin.
Die Hausvoigtei wird, obwohl der eximirte Gerichtsstand in Kriminalsachen am
1. September aufhört, noch nicht völlig aufgelöst werden, sondern vorläufig
noch Schuldgefängniß für die eximirten Personen und Gefängniß zur
Vollstreckung von Disciplinarstrafen gegen die Beamten bleiben.
[(B. Z.)]
— Bis zum 22. Mittags waren an der Cholera als erkrankt gemeldet 104, bis zum
23. Mittags wurden als neu erkrankt gemeldet 16, zusammen 120 Erkrankte,
davon sind gestorben 81, genesen 11, in Behandlung blieben 28.
[(B. Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0448 |
Berlin.
Die „Berl. Nachr.“ melden Folgendes: Der General-Steuer-Direktor Kühne,
dessen Ansichten mit dem bei uns einzuführenden neuen Finanzsystem nicht
übereinstimmen sollen, hat um seinen Abschied nachgesucht und diesen auch
bereits erhalten. Er wird am 1. Oktober aus dem Staatsdienste scheiden.
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@facs | 0448 |
Kassel, 23. Aug.
In der Ständesitzung hat Deputirter Henkel einen Antrag wegen Verminderung
der kurfürstl. Einkünfte gestellt, dahin, derselbe möge entweder auf die
Civilliste oder auf die Einkünfte des Hausschatzes verzichten, aus diesen
beiden Quellen fließen dem Hof jährlich an 700,000 Rthlr. zu ein allerdings
großes Einkommen für den Fürst unsres etwas mehr als 700,000 Einwohner
zählenden Landes, wenn man dasselbe mit anderm Hof dotationen
vergl[e]icht.
[(Fr. J.)]
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@facs | 0448 |
[
*
] München, 22. Aug.
Der Bekanntmachung, die Erklärung des Ministers des Innern enthaltend, folgte
diesen Nachmittag eine zweite, von Seiten des Oberhofmeisterstabes, also
lautend: „Mit Bezugnahme auf die seit einiger Zeit verbreiteten Gerüchte,
zur Wahrung ihrer eigenen dienstlichen Ehre und zur Beruhigung aller
Wohlgesinnten, erklären die Unterzeichneten hiermit, daß sich der Hausschatz
ganz und unversehrt in allen seinen Theilen hier in der Residenz aufbewahrt
befindet und sie mit ihrer Dienstpflicht hierfür einstehen und haften. Graf
Sandizell, Oberhofmeister. Frhr. v. Gumppenberg, Schatzmeister.
Weichselbaumer, Stabsrath.“ Hätte man auch diese Erklärung, wie die
vorgenannte, gestern veröffentlicht, wir hätten die beklagenswerthen
Vorfälle nicht erlebt.
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@facs | 0448 |
Triest, 19. Aug.
Durch die Weigerung Albinis die abgeschlossene Konvention anzuerkennen,
hätten wir einen Fingerzeig, daß die Sache Italiens, wenigstens in den Augen
der Italiener, nicht mit Karl Albert fallen soll, und zugleich eine
Andeutung, daß die Krone des Sardenkönigs auf seinem Haupte wankt. Das
vereinigte sardinisch-venezianische Geschwader steht fortwährend in den
Gewässern von Venedig, wohin die uns zeitweise verlassenden englischen und
französischen Kriegsschiffe, sich gleichsam ablösend, Ausflüge machen.
[(Ob. Oestr. Z.)]
Französische Republik.
@xml:id | #ar087_028 |
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@facs | 0448 |
Paris, 24. August.
Der „Spektateur Republicain“ zeigt sich über die Langsamkeit des Wiener
Kabinets sehr ungeduldig. Nachdem er dem Patriotismus der Italiener,
namentlich Venedig's, eine Lobrede gehalten, fahrt er fort:
„Die Zeiten sind vorüber, wo die östreichischen Kaiser ihre habsüchtigen
Blicke nach der italischen Halbinsel wandten. Nach den Mündungen der Donau
hin mögen sie ihre Blicke richten. Dort stoßen sie auf keinen andern
Widerstand, als den Rußland's, gegen welches sie nicht nur Deutschland,
sondern fast alle westlichen Staaten für oder selbst mit sich haben würden.
In heutiger Zeit ist es mit den einseitigen politischen Bestrebungen aus.
Wir glauben daher Oestreich wiederholt zur Annahme der ihm im Namen der
Republik und England's gemachten Mediationsvorschläge ermuntern zu müssen.
Wenn es die Negotiation nicht offen und redlich annimmt, wenn sein Ehrgeiz
durch die jüngsten leichten Siege vielleicht zu hoch geschraubt sein dürfte,
wenn es zu den tausend und abermal tausend Hülfsmitteln seine Zuflucht
nehmen würde, welche die Diplomatik bietet, um eine Sache in die Länge zu
treiben, dann ladet Oestreich eine schwere Verantwortlichkeit auf sich. Man
werfe einen Blick auf Europa. Die Lage Frankreich's und England's ist eine
solche, daß sie gar keinen Zweifel an der Ehrlichkeit der Mediation zuläßt.
Beiden Staaten liegt die Erhaltung des Friedens am Herzen.“
— Der Moniteur ruft für den 17. Sept. die Wahlkollegien derjenigen fünfzehn
Repräsentanten zusammen, welche durch Tod oder Doppelwahl bisher ledig
blieben. Auf das Seinedepartement kommen deren drei.
— Der päbstliche Nuntius hatte gestern die Ehre, durch Hrn. Bastide dem
General Cavaignac vorgestellt zu werden, und die Akkreditive zu überreichen,
welche ihn als Gesandten des päbstlichen Stuhles bei der französischen
Republik bevollmächtigen.
— Auch Kisseleff, sagt man, habe gestern die Vollmachten aus Petersburg
erhalten, welche ihn bei der Republik als Geschäftsträger beglaubigen.
— Heute Mittag findet der Journalistenkongreß in der Richelieustraße bei
Lemardelay Statt.
Die auf Anregung Girardin's zu berathenden Fragen lauten:
1) Sollen die Journale zu erscheinen aufhören?
2) Sollen sie fortfahren, sich lediglich auf Erzählung der Thatsachen
beschränken?
3) Sollen sie eine gemeinschaftliche Protestation unterzeichnen?
4) Sollen sie eine Kollektivpetition an die Nationalversammlung richten, in
welcher sie ihr auseinandersetzen, daß es bei Abstimmung ihres Gesetzes vom
11. August unmöglich in ihrer Absicht gelegen haben könne, die Presse unter
einem Joche zu lassen, das noch schlimmer als die Censur ist?
— Herr Goudchaux hat uns gestern Nachmittag 4 1/2 Uhr mit der
Einstommensteuer beglückt. Für 1849 werden folgende Posten mit einem
Ueberschuß von 5 Centimen per Franken besteuert:
1) Der Reinertag (benefices) des Ackerbaues. 2) Der Reinertrag des Handels
und der Industrie, nach Abzug der Patentsteuer. 3) Der Verdienst von
Ministerialbeamten, Künstlern und Advokaten (professions libérales). 4)
Pensionen, Staats- und Privat-Gchalte aller Art. 5) Renten, Dividenden,
Jahres-Antheile bei industriellen und anderen Unternehmungen, Zinserträge
von Obligationen, kurz, die beweglichen Einkünfte aller Erwerbszweige u. s.
w. u. s. w.
Paris ist außer sich vor Unwillen. Die Steuer soll 60 Millionen bringen.
— Die beiden Repräsentantenklubs des Palais Exroyal und der Rue Tait-bout
hielten gestern Abend eine Sitzung, in Folge deren die Bürger David
(Angers), Aug. Mie und Germain Sarrut als Kommissarien zu den Ministern des
Innern und des Unterrichts geschickt wurden, um sie freundschaftlichst zu
ersuchen, die Gründe anzugeben, aus welchen in jüngster Zeit gewisse, in den
Tuilerien gefundene Papiere verschwunden seien?
— Für morgen sind eingeschrieben:
1) Admiral Casy, 2) Ceyras, 3) Edgar Quinet über Persönliches.
Für Unterstützung des Untersuchungsberichts: Denjoy, v. Charencey, Pascal
Duprat.
Den Anfang sollen bilden die Vorträge Ledru Rollin's, Caussidière's und Louis
Blanc's.
— Drei und sechszig Redaktoren haben sich heute Mittag bei Lemardelay
eingefunden und eine Protestation gegen die Preßwillkür für des Generals
Cavaignac unterzeichnet.
National-Versammlung. Sitzung vom 24. August. Anfang
1 1/2 Uhr. Präsident Marrast.
An der Tagesordnung befand sich zunächst die Ermunterung des Stockfischfangs.
Ein Gesetz vom 25. Juni 1841 bewilligt der Ausfuhr dieses starken
Handelszweiges 14 Franken Ausfuhr-Prämie per Zentner. Diese 14 Fr. werden
nach einiger Diskussion auf 18 Fr. erhöht.
Lignier legt seinen Bericht über die beantragte
Aenderung der Bedingungen vor, unter welchen die Stadt Paris ein Anlehen von
25. Millionen Franken kontrahiren dürfe. Der Gegenstand dränge und die
Versammlung solle sofort diskutiren.
Dies geschieht ohne Weiteres und die beantragten Modifikationen, des schon
unter Louis Philipp diskutirten Anlehens gehen durch. Sie bestehen in
freiwilliger Unterzeichnung von Obligationen statt öffentlichem Ausgebot.
Neuer Beweis von Kreditabnahme.
Germain Sarrut macht die Versammlung auf die fatale
Lage aufmerksam, in welche eine Menge Familien durch die Juni-Ereignisse
versetzt worden seien. Viele Chefs d'Atelier seien transportirt, eine Menge
Verkehrsverhältnisse zwischen Schuldnern und Gläubigern abgebrochen. Dies zu
reguliren überreiche er hiermit einen Gesetzentwurf.
An die Büreaux gewiesen.
Grandez legt einen Gesetzentwurf rücksichtlich einer
neuen Grundsteuer im Namen des Handels- und Ackerbauausschusses vor.
Präsident Marrast zeigt an, daß ein Antrag auf
gerichtliche Verfolgung eines Repräsentanten eingelaufen sei, und daß er ihn
zur Prüfung an die Abtheilungen überwiesen habe.
Die Versammlung schreitet zur Berathung des Portogesetzes.
Deslongrais bekämpft den ganzen Entwurf.
Finanzminister Goudchaux sucht die Befürchtungen
seines Gegners rücksichtlich eines Ausfalls von 10 Millionen zu
beschwichtigen.
Die Versammlung schritt zur Diskussion der Artikel.
Artikel I. Vom 1. Januar 1849 wird jeder Brief von 7 1/2 Grammen im Umfang
der Republik mit 20 Centimen taxirt. Inbegriffen die Briefe von und nach
Corsika und Algerien. Angenommen.
Artikel II. Briefe von 7 1/2 bis 15 Grammen sind zu 40 Centimen zu taxiren.
Angenommen.
Artikel III. Briefe und Pakete von 15 bis 100 Grammen kosten einen Franken.
Briefe und Pakete über 100 Grammen werden von der Post nicht angenommen.
Angenommen.
Artikel IV. Rekommandirte Briefe zahlen die doppelte Taxe und müssen frankirt
werden. Angenommen.
Artikel V. Die Postverwaltung ist zum Vorausverkauf von Frankostempeln zu 20
und 40 Centimen und einem Frank ermächtigt. Angenommen.
Artikel VI. Verbietet jedem Postbeamten Briefe und Pakete zu versenden, die
der Postkontrolle fremd sind. In solchen Fällen werden die Strafen des
Gesetzes vom 27. Prairial, Jahr IX, für dergleichen Unterschleife
beibehalten. Angenommen.
Artikel VII. Briefe, welche sich der Adresse von Personen bedienen, die
Portofreiheit genießen, aber an Dritte gerichtet sind, zahlen das
gesetzliche Porto. Angenommen.
Artikel VIII. Der von den Geldversendungen handelt, gab zu einigem Lärmen
Veranlassung. Wolowski und noch ein anderer berühmter Oekonom aus der
Freihandelsschule drangen auf Herabsetzung der Speditionsprozente auf einen
Franken oder gar einen halben Franken; diese Herabsetzung sei der erste
Schritt zu einer Nationalbank. (Furchtbares Gelächter.) Beide Redner wurden
heruntergetrommelt.
Artikel IX. angenommen.
Das Gesammtgesetz angenommen.
Marrast zeigt an, daß die morgige Sitzung pünktlich
um 12 Uhr beginne und die Diskussion dem Rapport Bauchart gewidmet sei.
Die Versammlung geht um 6 Uhr auseinander.
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] Paris, 24. Aug.
Die mit dem zweiten Convoi zur Deportation abgesandten Insurgenten zerfallen
nach Stand und Beschäftigung in folgende Kategorien:
57 Schreiner und Ebenisten; 41 Tagelöhner und Erdarbeiter; 21 deren Gewerbe
unbekannt; 19 Schuhmacher; 17 Maurer; 17 Weinschenkwirthe; 14 Steinmetzen;
13 Dienstboten; 13 Klempner; 12 Mechaniker; 11 Staatsbeamte; 11 Zimmerleute;
10 Uhrmacher; 10 Maler; 10 Schlosser; 10 Bäcker; 9 Stubenmaler; 9 Eisen-
oder Kupferdreher; 8 Schneider; 8 Trödler; 7 Fuhrleute; 7 Schmelzer; 7
Obsthändler; 6 Ciselire; 6 Kommissionäre; 5 Feilenhauer; 5 Gerber; 5
Hutmacher; 5 Pförtner; 4 Wollspinner; 4 Säger; 4 Posamentiere; 4 Vergolder;
4 Architekten; 4 Korbmacher; 3 Lithographen; 4 Mobilgarden, darunter 1
Lieutenant des 2. Bataillons; 3 Matrosen; 2 Hauseigenthümer; 2 Stadtwächter;
2 Instrumentenbauer; 2 Pensionatsvorsteher; 2 Nego[z]ianten; 2 Gelehrte
(Terson und Leroy); 2 Fleischermeister; 1 Omnibuskutscher; 1 Accisebeamter.
Unter diesen sind 16 Ausländer: Baiern, Hessen, Belgier etc.
Was das Alter der Deportirten anlangt, so findet folgendes Verhältniß
statt:
1 | war 14 Jahr alt. |
34 | waren 15-20 Jahr alt. |
70 | waren 20-25 Jahr alt. |
86 | waren 25-30 Jahr alt. |
76 | waren 30-35 Jahr alt. |
66 | waren 35-40 Jahr alt. |
63 | waren 40-45 Jahr alt. |
42 | waren 45-50 Jahr alt. |
24 | waren 50-55 Jahr alt. |
8 | waren 55-60 Jahr alt. |
4 | waren 60-65 Jahr alt. |
2 | waren -66 Jahr alt. |
1 | waren -65 Jahr alt. |
1 | waren -68 Jahr alt. |
19 | deren Alter unbekannt. |
(Siehe den Verfolg in der
Beilage.)