Deutschland.
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Edition: [Friedrich Engels: Die Polendebatte in Frankfurt. In: MEGA2 I/7. S. 517.]
[
**
]
Köln, 25. August.
Die Polendebatte in Frankfurt. (Fortsetzung.)
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15
] Berlin, 23. August.
Die in Posen erscheinende Gazeta Polska theilt das Schicksal aller oder doch
der meisten demokratischen Zeitungen; trotz aller Anstrengungen des
Herausgebers (Buchhändler Stefanski) und der Polen steht sie auf sehr
schwachen Füßen, so daß die an dem Unternehmen Betheiligten, worunter auch
mehrere hiesige polnische Deputirte nur durch große persönliche Opfer sie
noch aufrecht erhalten können. Im Uebrigen wird die Redaktion von Cegielski
sehr geschickt geführt; die leitenden Artikel sind voll Geist und
Sachkenntniß; nicht minder zeigen die Deutschland behandelnden Artikel, daß
die Redaktion unsere Verhältnisse sehr richtig beurtheilt. Von Zeit zu Zeit
bringt die Gazeta Polska Nachrichten aus Russisch-Polen, die aus guter
Quelle herzurühren scheinen. Nachfolgende Mittheilungen, die ich daraus
übersetze, werden für Ihre Leser nicht ohne Interesse sein. „Warschau nimmt
immer mehr eine kriegerische Gestalt an, die Truppen sammeln sich hier an;
jetzt steht die Ankunft einer aus 6 Regimentern Infanterie bestehenden
Division Gensd'armerie bevor, ebenso sollen eine Abtheilung von 8000 Mann
donischer Kosaken hier einrücken, worunter sich das Kosaken-Leibregiment
befinden soll — gewöhnlich ein Zeichen der nahen Ankunft des Kaisers,
welcher zur Einweihung der zum Gedächtniß der Schlachten von Grochow und
Wola im Jahre 1831 daselbst neu aufgerichteten Denkmäler in Polen ankommen
und längere Zeit hier verweilen wird. — Zum Winter sollen im Königreich 4
Korps in der Art stationirt sein, daß das eine Korps an der westpreußischen
Gränze von Luthanen bis Thorn, das zweite an der Gränze des Großherzogthums
Posen von Thorn bis Czenstochau, das dritte an der Schlesischen Gränze gegen
Krakau und Gallizien, das vierte bei Warschau und im Innern Polens
aufgestellt sein wird; jedes von diesen Korps soll 70,000 Mann zählen. — In
Warschau befinden sich gegenwärtig einschließlich der Citadelle 500
Geschütze, im ganzen Königreich mit allen Festungen 1200 Geschütze. Die
Warschauer Citadelle, ebenso wie die übrigen Festungen des Landes sind auf
lange Zeit mit Lebensmitteln versehen: sammtlicher Vorrath des Heeres wird
von Bialystok und von Brzesc Litowski herbeigeführt, und die Fuhren sind so
eingerichtet, daß jeder Transport in 48 Stunden von Brzesc in Warschau
anlangt. Den Offizieren ist es streng befohlen, milde mit den Soldaten
umzugehen, geprügelt darf Niemand werden, es sei denn auf Urteil und
Erkenntniß. Jedes Regiment, welches in Polen ankommt, erhält halbjährlichen
Sold als Gratifikation. (Bekanntlich beläuft sich der Sold eines russischen
Soldaten im Ganzen Jahr auf wenige, höchstens 4 Thaler.) — Die Warschauer
Citadelle ist von allen politischen Gefangenen geräumt; diejenigen, welche
im Jahre 1846 verurtheilt wurden, sind theils als gemeine Soldaten in die
Regimenter gesteckt, theils nach Sibirien geschickt, einige aber frei
gelassen worden. Die in Gallizien Ergriffenen und Ausgelieferten sind
sämmtlich zum kaukasischen Heere geschickt. — Den Theilnehmern an den
früheren polnischen Aufständen, welche, kraft des Ukases vom 13. April
begnadigt, von Sibirien zurückkehren sollten, wird es gewiß schwer werden,
das sogenannte Polen wieder zu erblicken; denn es sind ihnen die
Gouvernements- und Kreisstädte in den Gouvernements Wolhynien und Podolien
mit bestimmter Pension zum Aufenthalt angewiesen worden, welche vom
Ministerium der Landesgüter gezahlt werden soll. — Die so lang erwartete
Cholera hat sich auch in Warschau endlich gezeigt; in jedem Stadttheil sind
Lazarethe eingerichtet, die Aerzte zeigen eine große Thätigkeit, so daß bis
jetzt nur einige Personen gestorben sind; im Gouvernement Lublin jedoch,
besonders in den Städten Krasnymstana und Lubartow soll sie mit großer
Stärke aufgetreten sein.“
Gestern Abend war sämmtliche Bürgerwehr aufgeboten; zahlreiche Pikels
durchzogen die Stadt und zerstreuten jede, auch die kleinste Gruppe, welche
in den Straßen versammelt war. Auch die fliegenden Korps, das der Studenten
unter gewissen Bedingungen, haben ihre Beihülfe „zur Herstellung der
öffentlichen Ruhe und Ordnung“ zugesagt. Auch das Militär ist in den
Kasernen konsignirt; jeder Soldat ist mit 60 scharfen Patronen versehen;
gestern Abend hatte das Militär bereits die Waffen umgehängt, als noch zur
rechten Zeit ein Regen fiel, welcher die Kampflust allseitig fühlte.
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103
] Berlin, 23. Aug.
Heute Morgen wurde folgender Entwurf eines Gesetzes über unerlaubte Volksversammlungen und Zusammenläufe an die Herren
Vereinbarer vertheilt:
§. 1. Volksversammlungen unter freiem Himmel dürfen nur nach einer bei der
Ortspolizei 24 Stunden vorher zu machenden Anzeige, welche Namen und Wohnort
der Anordner, so wie Zeit und Ort der Verhandlung enthalten muß,
stattfinden.
§. 2. Zu Volksversammlungen und öffentlichen Aufzügen auf öffentlichen
Plätzen und Straßen bedarf es der vorgängigen Genehmigung der
Ortspolizeibehörde.
§ 3. Die Ortspolizeibehörde ist befugt, eine Volksversammlung oder einen
Aufzug wegen dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu
verbieten, zu verhindern und aufzulösen.
§ 4. Wer in einer nicht rechtzeitig angezeigten, oder nicht erlaubten
Volksversammlung als Redner oder Ordner thätig ist, oder wer in Fällen, in
welchem es der Genehmigung zu der Volksversammlung, oder dem Aufzuge bedarf,
vor Ertheilung derselben hierzu auffordert, oder
Aufforderungen verbreitet, wird mit Gefängniß von einem bis zu sechs Monaten
bestraft.
Wer der Aufforderung des zuständigen Beamten, „eine nicht erlaubte
Versammlung oder einen nicht erlaubten Aufzug zu verlassen,“ nicht sofort
Folge leistet, hat Gefängnißstrafe von einem bis zu acht Tagen verwirkt.
§ 5. Wer zu einer bewaffneten Volksversammlung
auffordert, oder die Aufforderung hierzu verbreitet, ist mit Gefängniß von
sechs Monaten bis zu einem Jahre zu bestrafen.
[0440]
§ 6. Wer an einer Volksversammlung bewaffnet Theil
nimmt, wird mit Gefängniß von drei bis sechs Monaten bestraft.
§ 7. Wer an Zusammenrottungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen Theil
nimmt, wird, wenn er auf die an die Menge gerichtete Aufforderung der
zuständigen Beamten sich nicht sofort entfernt, mit Gefängniß von einem bis
acht Tagen und war er bewaffnet, mit Gefängniß von
drei bis sechs Monaten bestraft.
§. 8. Wird von der versammelten oder zusammengerotteten Menge der
Aufforderung zum Auseinandergehen nicht sofort Folge geleistet, so ist
mittelst Trommelschalls, Horn- oder Trompetenrufs ein Zeichen zu geben, und
dieses in kurzen Zwischenräumen zweimal zu wiederholen.
§. 9. Leistet die Menge auf das dritte Zeichen keine
Folge, so ist die öffentliche Macht befugt, von den Waffen Gebrauch zu
machen.
§. 10. Rücksichtlich der bei Volksversammlungen, Aufzügen und
Zusammenrottungen verübten, durch vorstehende Bestimmungen nicht
vorgesehenen strafbaren Handlungen, verbleibt es bei den bestehenden
Gesetzen.
Dieses Gesetz ist gestern Morgen in einer Sitzung des Staatsministeriums
berathen und dem Könige sogleich nach Sanssouci zur Unterschrift gesandt
worden. Nachmittags befand es sich schon in den Händen des Präsidenten
Grabow. Die Berathung über dies Gesetz soll sehr stürmisch gewesen sein.
Eine Minorität des Ministerrathes verlangte, daß auch die demokratischen
Klubs unter die obigen Bestimmungen fallen sollten. Die Polizei sollte alle
Klubsitzungen beaufsichtigen und ihre Abhaltung, wenn sie es für nothwendig
hielte, verbieten können.
Das Ministerium hat auch in der nämlichen Sitzung die einstweilige Suspension
der versprochenen Amnestirung der Preßvergehen, die schon fertig
ausgearbeitet war, beschlossen, damit es nicht den Anschein gewinnen könne,
als ob man sich die Amnestie habe abdringen lassen.
Gestern Abend fanden wieder zahlreiche Attroupements unter den Linden statt,
bis ein starker Regen die Massen auseinander trieb. Der größte Theil begab
sich in die Bierhäuser, um die allgemeinen Tagesfragen zu besprechen.
Die demokratische Partei der Vereinbarer rühmt sich in ihrem so eben
ausgegebenen vierten Bericht an ihre Committenten, daß alle ihre bisherigen
Anträge grundsätzlicher Natur, selbst wenn sie verworfen wurden, doch bald
darauf thatsächliche Anerkennung fanden.
Die Berathung über den Verfassungsentwurf ist in den
Abtheilungen so weit vorangeschritten, daß der Schluß derselben über die
Grundrechte (Titel II.) binnen Kurzem zu erwarten steht. Die zwei den
Abtheilungen vorliegenden Entwürfe eines Gesetzes über Gemeindeverfassung,
von der Regierung und von 54 Abgeordneten der Linken, bilden den
Hauptvorwurf der Debatte. Der Letztere stützt sich auf die Selbstverwaltung,
die Theilnahme aller Gemeindemitglieder an der Verwaltung, die Bevormundung
der Gemeindebehörden durch die ganze Gemeinde. Der
Regierungsentwurf knüpft die Bevormundung an die höhern
Behörden, setzt die Genehmigung der Bürgermeister durch dieselben
fest, bindet das Recht, in der Gemeinde mitzusprechen, an ein bestimmtes
Einkommen oder Eigenthum und beruht überhaupt auf den Grundlagen der
bisherigen Gemeindeverfassung.
Die Vorstände der hiesigen acht demokratischen Vereine, an deren Spitze der
Centralausschuß der deutschen Demokraten, haben zu einer heute Abend 7 Uhr
vor den Zelten beginnenden Volksversammlung eingeladen, um über die vom
Ministerium beabsichtigte Unterdrückung der Freiheit des Versammlungsrechts
dem Volke die nöthige Aufklärung zu geben. Eine polizeiliche Anzeige oder
Erlaubniß wird auch zu dieser Versammlung nicht gemacht oder eingeholt
werden.
Der Volksklub hielt heute Mittag, nachdem die Gesetzvorlage des Ministeriums
bekannt geworden war, eine öffentliche Sitzung, die trotz der ungewöhnlichen
Versammlungszeit sehr besucht war, wo man beschloß, in der heutigen
Volksversammlung eine Adresse an die Vereinbarerversammlung in Betreff des
projektirten Gesetzes vorzuschlagen.
Die sechszehn Charlottenburger Meuterer, welche einer gestrigen
Bekanntmachung des Polizeipräsidiums zufolge, verhaftet worden sind, sind
schon gestern in Folge der Drohungen, welche von ihren Mitverschuldeten
ausgestoßen wurden, nach einer kurzen Haft von wenigen Stunden wiederum
entlassen worden.
Dies ist die bürgerliche Gerechtigkeit des Ministeriums der That, welches die
Zeughausstürmer als „Räuber“ verurtheilen ließ. Wird die „bürgerliche
Vergangenheit“ des Hrn. Hansemann einen ähnlichen Richter finden?!
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40
] Berlin, 23. August.
Die Central-Abtheilung hat folgendes Gesetz vorgeschlagen, und zwar in Folge
der in allen Abtheilungen günstig aufgenommenen betreffenden k. Botschaft:
„die nach dem Klassensteuer-Gesetz vom 30. Mai 1820 und den späteren
Verordnungen für Standesherren, Geistliche, Schullehrer, Hebeammen und
Gensd'armen, für Offiziere, Feldwebel und Wachtmeister des stehenden Heeres
und der Landwehr, die nicht mobil gemacht sind, und für Militär-Beamte
bisher bestandenen Befreiungen von der Klassensteuer, werden hiermit vom 1.
Oktober d. J. ab aufgehoben.“
Die Abtheilung, welche die Wahl des vormaligen Justiz-Ministers Bornemann zu
prüfen hatte, hat diese Wahl für ungültig
anerkannt.
So eben, Nachmittags 4 Uhr, laden Mauer-Anschläge, ausgehend von fast allen
demokratischen Vereinen, zu einer großen Volks-Versammlung unter den Zelten
auf heute Abend 7 Uhr ein. Tagesordnung: Der heute an die Abgeordneten
plötzlich vertheilte und auch schon in den Abtheilungen berathene
Gesetzes-Vorschlag über die Beschränkung der Volks-Versammlungen. Dieses
Gesetz dürfte morgen in der Kammer zu einer Kabinets-Frage werden. Wir glauben indeß, daß das Ministerium in
der Majorität bleibt. Uebrigens nimmt das Ministerium Hansemann es nicht so
genau mit der öffentlichen Meinung, mit dem Willen des Volkes. Herr
Hansemann ist nicht so leicht zum Abtritt zu bewegen.
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[
40
] Erfurt, 23. August.
Wie wenig die Regierung auf die Stimmung in den Provinzen Rücksicht nimmt,
beweist unter Anderm, daß der Kriegs-Minister v. Schreckenstein den
Flügel-Adjutanten v. Brauchitsch, Bruder des hiesigen Land- und
Stadtgerichts-Direktors, ehemaligen Demagogen-Richters zu Mainz, als
Kommandeur des 31. Regiments hierher versetzt hat, und daß dieses Regiment,
dessen Offizier-Korps mit einer stockpreußischen Beamtenklasse, den Bürgern
feindselig gegenübersteht, noch immer hier garnisonirt. Es ist wirklich oft,
als ob zu Zusammenstößen herausgefordert würde.
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München, 21. August.
Schon im März oder April war einmal die Rede davon, es möchte wohl in der
Kronschatzkammer nicht alles sein, wie es sein sollte. In neuester Zeit
wurden die betreffenden Gerüchte bestimmter, und die meisten hiesigen
Blätter drangen auf amtliche Berichtigung. Diese blieb leider aus. Diesen
Morgen nun forderte ein Maueranschlag, dessen Inhalt von Tausenden gelesen
und allgemein verbreitet wurde, zu einer Versammlung aller hiesigen
Staatsbürger auf, um sich die Ueberzeugung zu verschaffen, ob wirklich aus
der Schatzkammer Kleinode verpackt und verschickt worden seien. So ist denn
gekommen, daß in demselben Augenblicke, wo der König in Nymphenburg aus
Reichenhall zurückerwartet wird, seine Residenz dahier bei hellem Tage, um
halb fünf Uhr, von vielen Tausenden umgeben ist, während alle Thore
derselben gesperrt sind und starke Posten aufziehen, dieselbe zu
schützen.
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@facs | 0440 |
München, 22. August.
Bald nach Mittag erschien zwar ein magistratischer Anschlag, welcher der
Bürgerschaft versicherte, es sei der königl. Hausschatz noch ganz
vollständig vorhanden; aber das war nichts als ein trop tard, oder mit
andern Worteen in geistiges Armuthszeugniß für diejenigen, welche schon am
Sonnabend und Sonntag sich auf den neu drohenden Volkssturm durch Aufbietung
militärischer Mittel gefaßt machen, aber nicht dazu entschließen konnten,
der Wahrheit öffentlich ihr Recht wiederfahren zu lassen. Als nun vollends
Baron v. Thon-Dittmer, der Minister des Innern, einer Bürgerdeputation, die
trotz des magistratischen Anschlags noch Einführung in die Schatzkammer
begehrte, die abweisende Antwort gab, der königl. Hausschatz gehe das Volk
gar nichts an — war's da eben ein großes Wunder, daß die Verstimmung
augenblicklich bis zur unaufhaltsamen Bewegung gesteigert wurde? Wir sind in
unserm gestrigen Abendberichte unseres Erinnerns bis zu dem Augenblicke
gekommen, wo sich die tumultuirenden Haufen vorzugsweise in der Nähe der
Residenz gesammelt hatten, so daß deren Thore gesperrt wurden, deßgleichen
auch die Kaufmannsläden in den nahen Straßen etc. Alle Plätze, dann die Höfe
der Residenz, der Polizei, des Ministeriums des Innern etc., füllten sich
nach und nach mit Militär, aber eben so mehrten sich — an einem blauen
Montag doppelt begreiflich — auch noch bei hellem Tage die Massen des
Volkes. Man nahm da eine Verminderung selbst dann noch nicht wahr, als die
Landwehr und die Freicorps auf ihren Sammelplätzen sich aufstellten,
folglich nicht mehr bei dem Straßenkrawall betheiligt sein konnten.
Gleichwohl blieb es mehrere Stunden lang beim bloßen Verhöhnen des Militärs
und bei dem widerstandslosen Räumen solcher Plätze, wo Militär sich
aufgestellt hatte. Abends gegen 9 Uhr mehrte sich das Steinwerfen, wodurch
Soldaten zum Theil arge Verletzungen davongetragen haben sollen. Darauf
wurde in der Burggasse und auf dem Schrannenplatze von den Waffen ein nur
allzu bedauerlicher Gebrauch gemacht, denn die Zahl selbst der
Schwerverwundeten scheint keine geringe zu sein. Die meisten Verwundungen
fielen bei einem Bajonettangriff vor, der zum Zweck hatte, die Bogengänge an
den Häusern zu räumen, welche den Schrannenplatz umgeben. Dort befindet sich
nämlich die Hauptwache, und deren Mannschaften sowohl als die daselbst
aufgestellten Kürassire waren den ärgsten Verhöhnungen von Seite der
Volksmassen ausgesetzt gewesen. Die Landwehr und die Freicorps schienen es
vermieden zu haben, mit den Massen hangemein zu werden.
Aus Augsburg meldet die dortige Abendzeitung vom 22. Aug. Mittags: Es ist
auch heute in München wieder zu neuen Auftritten gekommen. So eben werden
Chevauxlegers von hier requirirt.
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@facs | 0440 |
[
!
] Kassel, 22. August.
Die Bewegung für das neue Wahlgesetz geht ihren guten Gang; die Landstände
gehen ihren alten bürgerthümlichen. So eben hat man wieder Prügelstrafen
votirt; für Kinder bis zu 14 Jahren soll im 3. Abstrafungsfall das Gericht
prügeln, Knaben und Mädchen in gleicher Weise. In den beiden ersten Fällen
soll Eltern, Vormündern und Lehrern die Prügelexekution übertragen werden.
Anmuthige Polizeiresignation! Und die „radikale“ Opposition Henkel und Konsorten? Die
„liberale“ Sentimentalität des deutschkatholischen Romanschreibers Heinrich
König? Sie findet die ganze Lappalie nicht der Rede werth. Nächstens werde
ich Ihnen in kurzen Strichen die komisch-tragische Geschichte dieses
Kur-Landtags skizziren. — Hier haben wir wieder am 20. ein „wahrhaft
erhebendes“ Fest gehabt, das Geburtstagsfest Sr. Königl. Hoheit. Die
Anstrengungen zum Feste waren großartig, das Resultat die Marseillaise und
Lebehoch für Hecker. Das Hauptresultat aber ist ein die loyalen
Konstitutionsmänner äußerst betrübendes. Bürger und Militär hatten Arm in
Arm unter Musik und ebenfalls unter höchst seltsamen Vipats eine Tour durch
die Straßen gemacht — „Bürger trugen Pickelhauben und Soldaten
Bürgermützen“. Was geschieht? „Der Hauptmann der ist ein gar grimmiger
Mann“; zwei Unteroffiziere erhielten Tags darauf am 21. scharfe Lattenstrafe
auf unbestimmte Zeit wegen undienstmäßiger Kopfbedeckung! Diese Rach richt
erregte die ganze Kaserne. Die Unteroffiziere sammeln sich in Haufen,
doppelt wüthend, da neulich einige von ihnen wegen einer Versammlung
bestraft wurden, worin sie Verbesserung ihrer Lage beriethen, und da neulich
wieder ungefähr 30 bartlose Knaben höherer Stände zu Offizieren gestempelt
wurden. Die Stadt erfährt den Hergang; die Soldaten verlangen Unterstützung
von den Bürgern zur Befreiung ihrer Kameraden, da ihnen die Kriegsartikel
jedes Handeln schlechthin verbieten. Der Volksrath beruft auf Antrag des
demokratischen Vereins eine Volksversammlung; eine Deputation begiebt sich
zu den betreffenden Offizieren und gegen Abend wurden die Gefangenen frei.
Aber Niemand entgeht seinem Schicksal. Es erhob sich vor den Fenstern der
Offiziere v. Loßberg und v.
Hombert ein gräuliches Konzert mit „obligatem“ Fenstereinschmeißen,
welches „bis zur Stunde der Gespenster“ währte. Der Adel mag sich bedanken
bei seinen beiden Standesgenossen.
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@facs | 0440 |
[
!
] Kassel, 20. August.
Der demokratische Verein hat ein Schreiben an den Reichskriegsminister
Peucker gerichtet, worin er denselben ersucht, alle altritterlichen
Schaustücke, wie die Huldigung für den Reichsverweser, zu unterlassen.
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@type | jArticle |
@facs | 0440 |
Wien, 19. Aug.
Nach heute empfangenen Nachrichten aus dem Banat hat Jellachich bereits die
Drau mit einem bedeutenden Truppencorps und vieler Artillerie überschritten,
vom Feldmarschall Radetzky auch mehrere Genie-Offiziere zu seinem Feldzug
erbeten.
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@type | jArticle |
@facs | 0440 |
[
*
]
Unsere Wiener und Prager Briefe nebst Zeitungen sind heut ausgeblieben.
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Triest, 18. August.
Der seltsame Umstand, daß die verhängnißvollen Nachrichten vom
Kriegsschauplatz, die Kapitulation Karl Alberts u. s. w., von oben herab den
Venezianern bis zum 12. August vorenthalten werden konnten, findet seine
Erklärung in folgendem: Ein piemontesischer Stabsoffizier wurde gleich nach
Abschluß des Waffenstillstandes mit der Konventionsakte von Karl Albert nach
Venedig entsendet, um die sofortige Ausführung der Vertragsparagraphen zu
vermitteln und auch dem Admiral Albini die nöthigen Weisungen zukommen zu
lassen. In Malahera jedoch wurde der Offizier, welcher aus seiner Mission
kein Geheimniß machte, angehalten und von dort mit verbundenen Augen in die
Lagunenstadt geführt, wo er sich bei der Regierung seines Auftrags
entledigte und die betreffenden Papiere übergab. Die Regierung hielt es
jedoch für ihren Zwecken entsprechend, dem Volk sowohl wie dem sardinischen
Geschwader das Vorgefallene zu verheimlichen. Ohne Mittel gefunden zu haben,
mit Albin irgendwie zu verkehren, wurde der Offizier, wiederum mit
verbundenen Augen, desselbigen Weges zurückgeführt, den er gekommen war. Er
begab sich zum Feldmarschall-Lieutenant Welden und setzte diesen von seiner
erfolglosen Sendung in Kenntniß. Welden bestand darauf, daß der Parlamentär,
koste es was es wolle, seines Auftrags auch bei der Flotte sich entledige.
So geschah es, daß der piemontesische Offizier sich gezwungen sah auf
Weldens Anordnung seinen Weg über Triest zu nehmen, wo er vorgestern
eintraf. Das gestern in der Frühe entsendete Dampfschiff Vulcan war
bestimmt, den Parlamentär zum sardinischen Geschwader zu führen.
[(A. Z.)]
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Prag, 19. August.
An die Reorganisirung der Nationalgarde, mit welchem Geschäft die Herren
Andreas Haase, Uhljr, Haklik und Credner betraut wurden, wird bereits rüstig
Hand angelegt. Vorläufig werden sämmtliche altstädter Nationalgarden in
Compagnien eingetheilt und jeder wird im Laufe der nächsten Woche die
Zustellung erhalten, zu welcher Compagnie er gehört. Am 28. beginnen die
Offizierswahlen auf der Altstadt, jeden Tag wählen zwei Compagnien. Die
Nationalgardenlisten werden schon mehrere Tage zuvor in der Staatskanzlei
aufliegen, damit jeder Garde dieselben einsehen und die Männer erlesen kann,
welch er für die würdigsten zu Offiziersstellen hält.
[(C. Bl. a. B.)]
Französische Republik.
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[
12
] Paris, 22. August.
Wenn auf den Parisern Hallen, dem allgemeinen Markte, sich ein Streit erhebt,
dann kommen die schmählichsten Schmähworte von beiden Seiten zum Vorschein.
Wenn die streitenden Theile mit den Schmähworten nicht mehr auskommen
können, wenn die Diskussion erschöpft ist, dann geht es an's Schlagen: es
ist dies der kürzeste Weg, um zu einem Endresultate zu gelangen, und
andrerseits ist dieses Endresultat das einzig-mögliche. Die gegenseitigen
Schmähworte, das war die philosophische Methode, und zum Dreinschlagen kommt
es vermöge einer reduction ad absurdum. Es ist vorauszusehn, daß diese
reduction ad absurdum recht bald in der Kammer, im ganzen Frankreich
durchgreift; es ist der einzige vernünftige Weg, der Alles beilegen könnte:
— der Krieg: der Bürgerkrieg, gleichviel, aber nur Krieg. Die Parteien haben
sich dermaßen einander geschmäht; sie sind in Folge der veröffentlichten
Dokumente dermaßen gegeneinander erbittert, und die Stimmung in Paris ist
dermaßen wuthverbissen, daß der Krieg als das einzige Vereinigungsmittel
erscheint, um wenigstens die Parteien schroff zu sondern, gegenüberzustellen
und die Spaltungen innerhalb der Parteien zu beseitigen. Die Erbitterung von
allen Seiten hat einen nie gekannten Höhepunkt erreicht. Auf der andern
Seite aber stehn die Proletarier von Rache erfüllt, dieser gehässigen Kammer
gegenüber, und warten nur auf den kleinsten Anlaß, um sich mächtiger und
zahlreicher als je zu erheben. Und wir halten erst am 2ten Bande dieser
berüchtigten Dokumente; noch 2 enorme Quarto-Bände stehn uns bevor.
Cavaignac läßt 4 Journale, von denen 3 demokratische verbieten, und sorgt
dafür, daß die gereizte Stimmung immer mehr Nahrung erhält. Man muß nur die
Briefe lesen, welche an Bauchard, Thiers u. s. w. gerichtet werden.
„Bauchard, du bist der Auswurf der menschlichen Gesellschaft. Wahrlich, um
einen Bericht anzufertigen, wie du es gethan hast, muß man im Schlamme
erzeugt sein und eine Prostituirte zur Mutter haben. Warte, den Dolch werde
ich dir in's Herz bohren, sobald ich von Bordeaux zurückkomme. Haß, Tod dir
und Thiers. Marrat, 1793.“ In einem andern Briefe heißt
[0441]
es:
„Die Mitglieder der Versammlung haben vom Volke nichts Anderes zu erwarten,
als den Meuchelmord: ja den Meuchelmord; denn gegen eine Versammlung, die
uns Proletarier auf alle mögliche Weise tödtet, früher mit Kanonenschüssen
und jetzt mit Nadelspitzen, giebt es kein andres Mittel als den Meuchelmord!
Ein Insurgirter, der sich abermals insurgiren wird.“ — „Bauchard, du hast
wohl dich um eine Reaktion verdient gemacht!“ — „Wenn Ihr nicht massenweise
zu Grunde geht, so müßt Ihr umkommen durch den stillen Dolchstoß Eurer
Todfeinde.“ Alle diese Briefe, welche dem Instruktionsrichter vorliegen,
werden durch eine geheime Hand dem Publikum zur Kenntniß gebracht, und die
Indépendance selbst giebt uns ein reiches Specimen solcher Briefe, als
Seitenstück zu den Aktenstücken. Ein Abschnitt in diesen Dokumenten ist
überschrieben: Classen, welche an der Insurrektion Theil genommen. Man
sollte glauben, Odilon Barrot, der Präsident der Commission, habe dieses
Capitel eigens zur Belehrung des Herrn Brüggemann geschrieben, der nur
Räuber und Galeerensclaven in den Insurgenten sieht. In diesem Abschnitte
werden die an den Junitagen Betheiligten in folgender Ordnung
aufgezählt:
1) Viele Arbeiter ohne Arbeit, die ihre Familien unterhalten, und welche ihre
Frauen und Kinder hungern sehen.
2) Viele exaltirte aber biedere und rechtschaffene Männer, die leicht zu
verführen sind.
3) Kommunisten.
4) Die Legitimisten, die immer gesagt haben, man müsse durch die Republik
hindurch gehn, um zu Heinrich V. gelangen zu können.
5) Einige Bonapartisten, die in Gemeinschaft mit den Legitimisten Geld
vorgestreckt haben.
6) Die Freunde der Regence, die sich dadurch kenntlich gemacht haben, daß sie
Schwierigkeiten bei Bezahlung ihrer Steuern erhoben.
7) Endlich der Schaum aller Parteien: Leute ohne Namen, freigelassene
Sträflinge.
In den beiden letzten Zügen, die nach Brest abgingen, waren, glaube ich, nur
zwei.
In einem andern Aktenstücke findet sich ein Verzeichniß der verschiedenen
Klubs mit Randglossen:
1) Die brüderliche Central-Gesellschaft, Präsident Cabet. Sie besteht aus
ikarischen Kommunisten; der Bürger Cabet präsidirt nicht, er docirt.
2) Der Klub des Fortschritts. Präsident Hubert; sehr gefährlich.
3) Der Klub der Gesellschaft der Menschenrechte; Klub „der That“ weit mehr
als der Diskussion. Die Mitglieder sind alle bewaffnet. Er bekennt sich zu
sehr gefährlichen socialistischen Tendenzen.
4) Klub der sozialistischen Arbeiter; gefahrbringende Doktrinen.
5) Klub der socialistischen Republikaner. Verbreitet falsche und gefährliche
Doktrinen.
6) Klub der socialistischen Republikaner. Staatsgefährliche Tendenzen.
7) Klub der Revolution, auch genannt Klub Barbes. Dieser Klub zeichnet sich
aus durch die Exaltation seiner Mitglieder zur Verbreitung staatsumwälzender
Tendenzen. Der Klub war in Permanenz erklärt.
8) Der Klub des „jungen Berges.“
9) Der Klub der Zukunft. Sehr exaltirte Doktrinen.
10) Der Klub der Einheit. Lebensgefährliche Tendenzen.
11) Der Klub Popincourt. Ein Heerd kommunistischer Progaganda.
12) Klub der Sorbonne.
13) Klub des Faubourgs St. Denis. Sehr übertriebene radikal-demokratische
Tendenzen.
Andere Klubs haben einen andern politischen Charakter. Der
demokratisch-republikanische Klub, die Bonapartistischen, Karlistischen
Klubs u. s. w.
Nun kommen die tausend andere Klubs, deren Charakter nicht bestimmt
hervortritt.
Alle diese Klubs treten gespensterartig vor die Seele der Klein-Bürger und
beängstigen sie mit ihren nun im Geheimen besprochenen Tendenzen. Glaubt
Cavaignac und der National durch ihr Soldatenregiment den nächtlichen
Besprechungen Einhalt zu thun? Warum haben sie die Quarto-Bände ans
Tageslicht treten lassen? Freilich hat Marrast Alles aufgeboten, um ihre
Veröffentlichung zu verhindern, aber die Fatalität war stärker als Marrast's
geheime Intriguen und nun, da das ganze Getriebe vorliegt, da man sonnenklar
sieht, daß die Insurrektion nicht besiegt ist, und sogar durch die
Quarto-Bände selbst neue Verstärkungen erhält, läßt Cavaignac seine Soldaten
sich üben im Anti-Barrikaden-Machen.
Tragbare, schiebbare Barrikaden dieses ist des neue homöopathische Mittel mit
welchem man die wahren Volksbarrikaden zu überwinden gedenkt. Also den
unbeweglichen Barrikaden werden bewegliche entgegengesetzt, die natürlichen
und naturwüchsigen Barrikaden gedenkt man durch künstliche und kunstgerechte
Barrikaden zu paralysiren. Die bewegliche, künstliche Barrikade besteht aus
einem eichenen Brette von 3 Centimeter Dicke, das mit Dünnblech oben und
unter besetzt ist, und in welchem Schießlöcher angebracht sind. Man sieht
wie die alte Strategik sich geändert hat. Im Mittelalter, vor der Erfindung
des Pulvers, wurde Mann gegen Mann handgemein, und da waren es die
Rüstungen, ein Panzerhemd, Schild u. s. w., mit denen man die Schläge
abwehrte. Jetzt tauchen plötzlich klasterlange Schilder wieder hervor,
hinter denen beide Partheien sich verschanzen. Ja, dies sogenannte Blockhaus
kömmt wieder zum Vorschein in einer Form, die den jetzigen Verhältnissen
ganz angemessen ist. Aber das Volsgenie ist mächtiger, als alle militärische
Aneignung der vom Volke ausgegangenen Erfindungen.
Die Barrikaden sind eine Errungenschaft des Volkes, eben so wohl wie die
Republik. Beides ging aus dem Februar hervor. Die Barrikaden hat man dem
Volke genommen, um ihm damit die schwachen Ueberreste der Republik zu
nehmen.
Wer die Juni-Barrikaden gesehen hat, weiß daß dieses mächtige Bollwerk nur
von einer in einem gemeinsamen Gedanken verbundenen Masse errichtet werden
konnte; daß dieses massenhafte Kunstwerk, wenn es von sogenannten
Entrepreneurs, in Folge der Konkurrenzverhältnisse unternommen worden wäre,
Millionen gekostet und eben so viele Jahre erfordert hätte, als die
Juni-Revolution Tage zählt. Glaubt man nun durch die Erfindung der mobilen,
der künstlichen Barrikaden die naturwüchsigen unnütz gemacht zu haben? Zudem
kömmt noch, daß, wie es sich jetzt herausgestellt, eine Masse Mobilgardisten
in den Junitagen gekämpft und daß unter den Kämpfern, unter den Arbeitern
selbst sich die geschicktesten Ebenisten und Mechaniker befunden haben.
Werden bei einer künftigen Insurrektion die Proletarier nicht die Mittel
haben, ebenfalls mobile Barrikaden zu machen? Werden nicht mit den
Mobilgardisten ganze Mobil-Barrikaden übergehen? Wir werden also das seltene
Schauspiel erleben, bewegliche, lebendige Barrikaden gegeneinander im Kampfe
zu sehn.
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16
] Paris 23. Aug.
Die Linieninfanterie (fast lauter Bauernsöhne) in Paris ist neidisch gegen
die Mobilisten: sie hat fast gar keine Ordenskreuze und Belobungen für die
Junikampagne bekommen. Sie wird in diesem Augenblick von den rothen
Republikanern und von den weißen Royalisten mit Traktätlein und Verheißungen
behandelt; man behauptet die höhern Offiziere seien fast alle
antirepublikanisch gestimmt; Kriegsminister Lamoricière und der
Nationalgardenkommandeur Changarnier, beide aus Afrika, sind ausgemachte
Philippisten und stehen in sehr unmoralischem Rufe als pure Glücksritter.
Ersterer verlangte in den Junitagen immer mehr Haubitzen gegen die
Faubourgs, zu großem Erstaunen Cavaignacs. Unter den Mobilisten dienen viele
ehemalige Schneidergesellen, die seit Juni von ihren alten Arbeitskameraden
nicht mehr angesehen werden; es sind harte Scenen dabei vorgefallen, Mädchen
haben mit ihnen gebrochen, Verwandte ihnen das Haus versagt. Wie diese
Ordnungsknechte gefochten haben, z. B. in der Rue Laharpe und Mathurins,
bezeugte mir gestern wieder ein Greis und dessen Enkelin: zwölf Frauen und
Kinder, von den eingedrungnen Helden aus dem 3ten Stock mit Bajonettstichen
in den Hof und in die Straße hinabgeschleudert, starben auf dam Pflaster,
nur ein kleiner Knabe liegt noch im Hospital; und das passirte in einem
einzigen Hause, während in der Rue St. Jaques noch ärgeres und in fünf bis
sechs geschehen ist. „L'Evenement,“ dies erzaristokratische Blatt des
Monsieur Victor Hugo, findet dergleichen Erzählungen „zwar nicht ganz
unwahr, aber ganz unklug, ja verbrecherisch“ und verlangt geradehin
Arrestation Proudhon's, des Pere Duchene und andrer „herzvergiftender
Journalisten;“ Proudhon sei namentlich ein „Bösewicht“ (scélérat), denn er
erkühne sich „dem Märtyrtod des General Brea den Heiligenschein
abzustreifen;“ es findet sich nämlich daß eben dieser Brea den Insurgenten:
vive la république démocratique et sociale zugeschrieen und gleich darauf
sechs von ihnen an der Mauer niederstechen gelassen. Sein und des
Erzbischofs Tod ist in allen Ladenfenstern ausgehängt, und die Bettelmädchen
müssen singen: la chanson de Monseigneur l'archevêque de Paris. Ueberall
Bilder, wie die Bourgeoissäbel Proletariergurgeln abschneiden, wie die
Mobilhelden Barrikadefahnen erobern, wie junge und hübsche Marketenderinnen
Insurgenten niederschießen, wie Klosterfrauen von kommunistischen Bajonetten
in der Rue St. Jaques bedroht worden und durch einen Bibelvers diesen
Banditen Gliederzittern einjagen, wie Arbeiterinnen Offiziersköpfe auf
Stangen pflanzen, wie vor dem Erzbischof auf der Barrikade tigerartig
aussehende Räuber in die Knie sinken und verhungernde Insurgentenweiber die
Hände falten; dies und noch mehr mit Namen, Ort, Datum bestens ausstaffirt.
Und die Proletarier stehen düster vor dem Schaufenster und denken stumm: ein
andermal besser gemacht! — „Die 23,000 hiesigen Dienstboten beiden
Geschlechts sind ein sehr antirepublikanischer Sauertag, bemerkt La liberté,
und es wäre Pflicht eines ehrlichgesinnten Provisoriums gewesen, dies Gift
zu neutralisiren; es ist erwiesen, daß die volksfeindlichen Deputirten durch
die Vota der Domestiken hauptsächlich gehoben worden. Bei einer
royalistischen Emeute werden sie mit figuriren, sie sind arbeitslos und die
reichen Familien versprechen ihnen wieder Dienst, sobald die
Geldcirculation, d. h. ein Thron, wieder hergestellt sei.“
Der philippistische „Commerce“ höhnt über das Gesuch der Maurer, die während
des Arbeitssuchens unter freiem Himmel zu stehen müde sind und eine
Gewerkshalle beanspruchen; ein gleiches wird von den Schneidergesellen u. s.
w. gefordert werden. Dies „tugendhafte“ Wechslerblättchen fragt in grimmem
Spott, „ob die, welche den Wechsler einen „Krämer im Tempel Jerusalems,“ den
Banquier einen „Geldluchs und Aussauger des Volksmarkes,“ den
Börsenspekulanten einen „Seelenverspieler und Arbeitsschänder“ in ihren
Klubs und Zeitungen genannt, jetzt das Recht hätten, dem Feinde nachahmend,
gleichfalls eine Geschäftshalle zu haben? Ob diesen Spartanern die frische
Luft etwa schon lästig werde? Das sei ein Zeichen von Volksverweichlichung“
u. s. w. Zahllos ist die Menge der Karrikaturen auf Proudhon und Cabet,
besonders auf erstern; z. B. „der gerade Weg der beste,“ steht unter einem
einsamen Pilger, der direkt auf das Narrenhaus Charenton zuwandelt,
Regenschirm unter'm Arm, Hände in den Rocktaschen; dies ist die am wenigsten
schlechte, man kann also ahnden, wie die übrigen Sudeleien sind. Ein
Sonntagsblatt, „La Silhouette“, von Opernmädchen, Ellenrittern und Lions
gelesen, kann in der letzten Nummer als Maaßstab des Hasses dieser „goldenen
Jugend“ gegen Proudhon dienen; z. B.: „Der Herr Diebstahlslehrer ist nicht
nur toll, nicht nur ein Schuft, sondern beides zugleich; Herr Proudhon ist
ein elender Bube, der dem J. J. Rousseau nachäfft, ein schlechtes Vorbild
fürwahr! Herr Proudhon ist ein blonder, bebrillter, kahlstirniger,
wohlbeleibter, mit Eingeweiden begabter (wie Rabelais sagen würde), kurz ein
ganz gewöhnlicher Mensch dem Aeußern nach, doch innerlich erstickt er schier
von Hochmuth. Sein Gesetzvorschlag ist zu Grabe getragen worden, alle
Galeerensklaven, alle kriminellen Gefangenen schluchzten. Möge die Polizei
und die Kammer, das Ministerium und die Exekutive doch endlich uns von
diesem Schurken und seinen dicken und dünnen Schurkenkompendien befreit
haben; er ist auch durch sein persönliches Beispeil sehr gefährlich, er hat
an dreißig uneheliche Kinder“, fügt dies Blatt der moschusduftenden
Maquereaux hinzu. Letzteres ist notorischer Maßen nicht einmal wahr. —
Uebrigens ist es fester Beschluß der echten Demokraten, wenn sie zu einem
letzten Straßenkampf herausgefordert werden, das Redaktionspersonal des
Corsaire, des Constitutionuel, Siècle, Journal des Debats und der neuern
„Moschusjournale“ über die Klinge springen zu lassen, und keineswegs zu Exil
oder Guillotine aufzuspeichern. Der Corsaire scheint das zu ahnden, er
denunzirt täglich, und wie ich positiv weiß, auch mit geheimen Briefen an
den Polizeichef; gestern wurden zwei „rothe“ Literaten verhaftet, die
kürzlich den trefflichen Lepoitevin (vom Corsaire) „beleidigt“ hatten. — Die
Thierspartei will durchaus eine Emeute der Proletarier hervorrufen, um
danach „Maulkorb und Halfter fester ihnen anzulegen“; sie ist im Begriff,
die vom Provisorium verminderte Arbeitszeit zu erhöhen, wogegen die
Schreiner und Ebenisten der Vorstadt St. Antoine bereits bei der Kammer
protestiren. Sie weigert sich, die vom Minister des Handels zur Hebung der
Industrie begehrten 600,000 Franken an Arbeiterossociationen, „welches ja
sozialistische Schwärmerei erzeugen könnte“, zu vertheilen, wie Herr Dupin
und Levasseur meinen; man solle das Geld an Privatindustrielle geben.
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Paris, 23. Aug.
Keine Ruhestörung. Zahlreiche Patrouillen durchstreichen wohl noch die Stadt,
doch kam es nirgends zu einer Reibung. An der Ecke der Rue Vivienne und dem
Boulevard raffte ein Betrunkener mehre Stühle zusammen und wollte ganz
allein eine Barrikade bauen. Die neuen Gardiens ergriffen ihn jedoch beim
Kragen und schleppten ihn in's nächste Wachthaus. Weiterhin, am Boulevard
Bonne Nouvelle, sammelte sich eine große Menschenmasse. Aber es war weiter
nichts als daß der Sturm die Fahne vor dem Wachtposten zerrissen hatte und
daß man eben damit beschäftigt war, sie durch eine neue zu ersetzen.
— Das Gerücht geht, die Arbeiter der Faubourgs St. Antoine und St. Marcel
wollten ihre Arbeiten in Masse einstellen.
— Vergangene Woche sollte dem Hrn. Thiers eine Katzenmusik gebracht werden.
Die Bürgerwehr besetzte jedoch frühzeitig den Place St. Georges, wo er
wohnt, und vereitelte so das Vorhaben.
— Der „Moniteur“ zeigt an: „Daß Herr und Madame Armand Marrast morgen,
Donnerstag, eine glänzende Soirée geben.“
— Der Tod des General Brea und seines Adjutanten nimmt eine ganz andere
Gestalt an, wenn man den Bericht von Augenzeugen liest, den der
„Repräsentant du Peuple“ hierüber veröffentlicht. Der General erschien mit
seinem Adjutanten hinter der Barrikade an der Barriere Fontainebleau, rief:
Es lebe die demokratische und soziale Republik! und zeigte den Insurgenten
an, daß er und seine Truppen sich mit ihnen verbrüdern wollten. Hiernach
vermutheten die Insurgenten mit Recht, daß die Truppen nicht nur nicht gegen
sie, sondern mit ihnen kämpfen würden. Während der General, um sich hierüber
zu versichern, hinter dem Gitter als Geißel zurückblieb, stürzten plötzlich
die Frauen der Insurgenten herbei mit dem Geschrei: Die Truppen schießen auf
uns! Sie drängen heran! Da witterte man Verrath, und der General und sein
Adjutant wurden als Verräther erschossen. Leider stellte sich zwei Minuten
später heraus, daß die fliehenden Weiber eine falsche Furcht gehegt hatten.
Uebrigens lag jene Barrikade ganz isolirt und von der übrigen Insurrektion
abgeschloßen, daher ein solches Mißverständniß leicht erklärlich. So
zerrinnen selbst die gehässigsten Anklagen gegen die Junibesiegten.
— Morgen Mittags 11 Uhr werden sich sämmtliche Redakteure der Pariser
Journale bei Lemardelay in der Richelieustraße Nr. 100 versammeln, um zu
berathen, was in der jetzigen Lage zu thun ist. Die Willkür der
Exekutivgewalt ruft eine wahre Empörung in der Presse hervor.
— Heute Abend hält ein neuer bedeutender Klub der Republicains Socialistes,
im Montesquieu Saale seine erste Sitzung.
— Der radikale Repräsentant David (Angers) hat sein Amt als Maire des 11.
Bezirks niedergelegt.
— Protestation der unterdrückten Journale:
1. Die unterzeichneten Redaktoren, Eigenthümer und Geranten des Representant
du Peuple protestiren gegen die ungesetzliche Suspension ihres Journals,
indem sie mit aller Energie ihres Herzens die Motive zurückstoßen, auf
welche die Suspension gegründet. Ganz der Republik ergeben, haben sie nichts
Anderes gethan, als täglich ihre Mitbürger zur Einigkeit und zum Frieden zu
ermuthigen, ohne welche die Entwickelung unserer neuen Staatseinrichtungen
nicht denkbar.
Paris, 22. August 1848.
Alfred Darimon. Fauvety. Proudhon. Vasbenter. Fau[?].
2. Der unterzeichnete Direktor und Redakteur des Journals du Pere Duchesne
schließt sich in allen Ausdrücken obiger Protestation an.
Paris, 22. August.
Aus Auftrag des Bürgers Thuillier:
(gez) Gautier.
3. Man muß sich dem Akte der Gewalt unterwerfen, welche ihre Stärke auf den
Belagerungszustand gründet. Aber ich protestire hiermit in meinem Namen und
im Namen des abwesenden Hauptredakteurs Thoré gegen diesen Akt. Die
öffentliche Meinung wird richten, ob unsere loyale Redaktion solchen
Anklagen jemals zum Vorwande dienen konnte, wie sie der Befehl der
Exekutivgewalt gegen uns aufstellt.
Paris, 22. August.
Im Namen des Journals La vraie Republique:
(gez.) J. P. Berjean.
— Nationalversammlung. Sitzung vom 23. August. Alle
Welt ist sehr gespannt. Man vermuthet gleich nach der Protokollverlesung
starken Journalscandal und sieht sich getäuscht, als der große Seeheld und
Vizepräsident Lacrosse, einer der Günstlinge der Rue Poitiers, den Platz
Marrast's um 2 Uhr einnimmt und die Sitzung als eröffnet erklärt.
Ferdinand v. Lasteyrie, mit grüner Brille und einem Lichtschirm, besteigt die
Tribune, um der Versammlung das Ergebniß der Prüfung der Wahl Laissac's zu
Montpellier mitzutheilen, die arg bestritten worden, weil sie die Demokraten
durchsetzten. Lasteyrie erzählt ziemlich lang und breit die Manoeuver der
Legitimisten (Abbe Genoude, Redakteur der Gazette, war sein Nebenbuhler),
welchen die Demokraten andere Manoeuvres entgegen setzen zu müssen geglaubt
hätten. Buchez und mehrere andere ehrenwerthe Männer sind dabei
kompromittirt. (Lärm.) Unter diesen Umständen trage der Ausschuß auf
Vernichtung der Wahl an.
Buchez, ehemaliger Präsident der Nationalversammlung, eilt auf die Tribüne,
um sich zu rechtfertigen gegen jeden Verdacht, den der Prüfungsausschuß auf
ihn schleudern möchte. Er erzählt die Umstände, unter denen er jenen Brief
nach Montpellier geschrieben habe.
Bac vertheidigt die wiederholt angegriffenen Wahlzirkuläre der provisorischen
Regierung und trägt auf Bestätigung der Wahl Laissac's an, der ein tüchtiger
Republikaner sei und deshalb nur von konservativen Krähen angefochten
würde.
Der Präsident läßt abstimmen. Die Minister erheben sich für die
Bestätigung.
Die Probe ist zweifelhaft; man schreitet deßhalb zur Abstimmung durch
Stimmzettel.
Zahl der Stimmenden 725.
Für die Annahme der Konklusionen des Rapports, d. h.
gegen die Wahl‥
369,
gegen den Rapport 356.
Die Wahl ist vernichtet.
Eine große Agitation folgt diesem Resultat. Sämmtliche anwesenden Minister
hatten für Laissac gestimmt.
Nachdem sich die Agitation etwas gelegt hatte, welche die Vernichtung der
demokratischen Wahl Laissac's zu Gunsten der royalistischen Partei
hervorrief, schritt die Versammlung zur Berathung eines Kredits für die
berittene Mobilgarde. Wird mit einiger Verringerung angenommen.
Senard, Minister des Innern, legt einen Gesetzentwurf vor, der die
Fleischsteuer an den Pariser Barrieren wieder einführt.
Goudchaux legt seinen berüchtigten Plan einer Einkommen- und Mobiliensteuer
vor.
Verninac, Marineminister, beantragt eine Entschädigung von 90 Millionen
Franken für die Plantagenbesitzer, die durch Befreiung der Sclaven dem Ruin
nahe sind.
Louis Blanc erhält das Wort, um seinen Protest gegen das vorzeitige Einrücken
wichtiger Beilagen von noch schwebenden Untersuchungen zu begründen. Er
sagt, daß sein Antrag sich nicht bloß auf die Bouchard'schen Aktenstücke
beziehe, sondern eine allgemeine Anwendung verdiene. Für die in Rede
stehenden Aktenstücke käme ohnedieß der Antrag viel zu spät; nichts desto
weniger beharre er auf Eile.
Die Versammlung wies den Antrag an den Gesetzgebungsausschuß mit der
Anordnung, schleunigst darüber zu berichten.
Das Preßungewitter also auf morgen!
Osmont trägt darauf an, die Prämien auf Einfuhr des Stockfisches von 14 auf
18 Fr. zu Rouen im Interesse der Armen zu erhöhen, weil der Stockfisch in
unseren Häfen rar werde und er somit die Nahrung der Armen schmälert.
Tourret, Handelsminister, dringt auf Vertagung. Bewilligt.
Schließlich beräth die Versammlung den Cessionsmodus rücksichtlich der
Empfangscheine auf deponirte Waaren in den Staatsmagazinen, den Herr
Goudchaux am 31. Juli beantragt.
Um 6 1/2 Uhr wird die Sitzung geschlossen.
Belgien.
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@type | jArticle |
@facs | 0441 |
[
S
] Antwerpen, 22. August.
Ich muß wieder auf Herrn Bavay zurückkommen: Der Schluß seines Requisitoriums
wird als eine Infamie in den Annalen der Parquetsberedsamkeit verzeichnet
bleiben. Nachdem er den Geschworenen Antwerpens vorgehalten, doch ja dem
Zutrauen zu entsprechen, das man in sie gesetzt (vor das Brüsseler
Geschwornengericht wagte man die Sache nicht zu bringen), endigt er damit
die Angeklagten deshalb für schuldig zu erklären, weil man in diesem
Augenblicke noch gegen Belgien in der Straße Aubry-le-Boucher Nro. 26 zu
Paris komplottire. Also am öffentlichen Gerichte wirft sich der Prokurator
als Denunciant eines in Bildung begriffenen Komplotts gegen Belgien auf! Und
wegen dieses von Frankreich ausgehenden Komplotts soll man das vergangene
angebliche Komplott für wirklich vorhanden erklären. Und was ist das
vergangene Komplott? Eine Gesellschaft von Demokraten, die man deshalb in
Risquons-Tout hineinverwickelt, um der sogenannten „Expedition“ einen innern
Haltpunkt zu geben. In jedem andern Lande würde der Herr Prokurator schon
allein dieser Ungeschicklichkeit wegen abgesetzt worden sein. Unsere
Journale, von französischen Banqueroutiers redigirt, von Leuten wie Perrot
und Brig[?]oine, die in Frankreich wegen betrügerischem Banquerout zu den
Galeeren verurtheilt worden, bewundern Herrn Bavay's Beredsamkeit.
Herr Sancke, der die Vertheidigung Herrn Spilthoorn's übernommen, antwortet
dem Herrn Bavay: „Ich brauche wohl nicht noch alle die berühmten Männer zu
vertheidigen, die nebenbei von Herrn Bavay angegriffen worden. Ich bin nicht
der Advokat Caussidière's; aber ich möchte sein Freund sein; ich bin nicht
der Vertheidiger Ledru-Rollin's; ich bin nur sein Bewunderer.“ Bavay hatte
die ganze Welt in Risquons-Tout verwickelt. Es war ihm besonders um große
Namen zu thun.
[0442]
Die Anwesenheit dieser Namen in den Debatten, sagt Herr Sancke, sei nur eine
rhetorische Figur, eine jener verbrauchten Blumen, die in Belgien, in dem
Lande des Nachdrucks, nur noch einen Nachgeruch lassen können.
Wir gehen nicht weiter in die Vertheidigungsrede des Herrn Sancke ein. Bei
der Vertheidigung De Rudders, welchen der Prokurator einen kleinen Metzger
nennt, der seine Zahlungen eingestellt hat, hebt der Vertheidiger die
Kleinlichkeit dieser Anklage hervor. Der kleine Metzger De Rudder hat bloß
kleine Zahlungen einstellen können; in der Repräsentanten-Kammer sind große
„Metzger“, die große Zahlungen eingestellt haben. In
Bezug auf das vom Herrn Prokurator erwähnte Komplot, das von Paris aus gegen
Brüssel im Gang sein soll, hebt der Vertheiger das Ungesetzliche einer
solchen Erwähnung hervor. Der Hr. Prokurator ist wirklich sehr wohl
unterrichtet. Jetzt, wo man in Paris an ganz andere Dinge zu denken hat, als
an eine belgische Verschwörung, gibt Herr Bavay sein Prokurators-Talent
kund, indem er ein Komplott gegen Belgien denunzirt.
Herr Sancke endet mit der Bemerkung, daß man in diesem Prozesse wieder die
alte „complicité morale“ Guizot's und Louis Philipp's in Anwendung bringen
wolle. Man solle ja nicht vergessen, daß heutiges Tages die Männer der
Regierung jeden Augenblick wechseln, und daß die Politik von heute nicht
mehr für die von morgen einstehen könne.
Herr Faider ist mit der Vertheidigung Delestrée's und De Rudder's
beauftragt.
Herr Faider weis't nach, daß Delestrée's ganzes Verbrechen darin bestand, von
Herrn Imbert als ein Mann empfohlen worden zu sein, der gute Propaganda
mache! Wer ist Herr Imbert? Herr Imbert war 39 in Belgien geflüchtet, und
hatte in Brüssel eine Topffabrik angelegt. Im Februar 48 kehrte er nach
Paris zurück und wurde zum Direktor der Tuillerien ernannt. Dieser Imbert,
den natürlich die in Paris anwesenden Belgier kannten, wird nun beschuldigt
vom Herrn Prokurator, dem Hrn. Delestrée dieses gefährliche Schreiben
eingehändigt zu haben, und bei dieser Gelegenheit spricht der Prokurator
jeden Augenblick von Verletzung der Gastfreundschaft. Ueberhaupt sind die
belgischen Bavay's immer da, um den Fremden eine Gastfreundschaft
vorzuwerfen, die ihnen, den Belgiern, nicht allein nichts kostet, sondern
ihnen sogar Geld einträgt.
Hr. Faider hebt sehr wohl hervor, daß die Anklage gegen die „Nichtsoldaten
von Risquons-tout,“ überhaupt nur auf Briefen beruhe, die aus dem schwarzen
Kabinet des Prokurators hervorgegangen. Der Hr. Generalprokurator Bavay
excellire in diesem Verfahren. Man solle sich nur eines ähnlichen Falles in
Brüssel erinnern, wo der Prokurator ebenfalls von diesem Mittel Gebrauch
gemacht habe, wo aber die öffentliche Meinung sich derb gegen dieses
undelikate, rohe Verfahren des Bavay ausgesprochen.
Nach Hr., Faider sprach Hr. Kennis für Perrin u. s. w. Alle Vertheidiger
kommen darin überein, daß sie dem Prokurator fühlbar machen, es sei ihm
weniger um Risquons-tout, als um die Verhaftung einiger Männer zu thun, die
man für gefährlich hält. Hr. General Mellinet, ein 80jähriger Greis,
vertheidigt sich selbst. Der Eindruck, den dieser Mann aufs Publikum
hervorbringt, ist außergewöhnlich. Ich werde Ihnen morgen davon
sprechen.
[Gerichtsprotokoll]
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@type | jArticle |
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Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum
Diebstahl.
(Fortsetzung.)
(Sitzung vom 7. August.)
Polizeirath Dolleschall und Pol. Kommissar Dobler werden unvereidet
vernommen. Dolleschall erklärt nichts zu wissen außer was in seinen Akten
steht, die er überreicht und die der Präsident curforisch mittheilt. Dobbler
sagt, die Gräfin sei bei ihm gewesen, und habe ihm schriftlich angezeigt,
daß die Majunke ihren Dienst verlassen und sich zu Hrn. v. Stockum im
Kaiserl. Hof begeben habe, sie habe ihre Zurückführung gefordert. Er habe
darüber dem Polizeidirektor berichtet und zugleich ihm angegeben, daß die
Majunke sich beim Grafen befinden soll; auf Grund dieses Berichtes der aus
den Akten verlesen wird, sei jener abschlägige Bescheid ertheilt worden.
Pr. Sie sehen also, Angeklagter, daß dieser Auskunft nur die Angabe der
Gräfin zum Grunde zu liegen scheint. Gleichwohl haben Sie gestern mit einer
enormen Bestimmtheit jenes Dokument als ein Beweis avancirt.
Angekl. Und es ist dieser Beweis, wie ich gleich nachweisen kann, durchaus
nicht erschüttert worden. Ich bitte den Hrn. Präsidenten nachzusehen, ob in
der eben verlesenen Eingabe der Gräfin an Dobler nicht blos gesagt ist,
einem Gerüchte zufolge solle die Majucke sich bei Hrn. v. Stockum im
Kaiserl. Hofe befinden?
Pr. Ja.
Angekl. Wenn ich recht verstanden habe, so will P. K. Dobler unmittelbar auf
diese Anzeige hin den Bericht an den Pol.-Direktor gemacht haben. Wenigstens
hat er von der Gräfin keine weitere Anzeige erhalten.
Pr. Nun?
Angekl. In dem Berichte aber, den laut Akten Hr. Dobler an Polizei-Direktor
Müller macht, heißt es ausdrücklich, die Majunke solle im Hotel Belle Vue zu
Deutz beim Grafen Hatzfeld sich aufhalten. Davon stand kein Wort in der
Anzeige der Gräfin. Diese hatte gesagt, sie sei bei v. Stockum im Kaiserl.
Hofe. Dieser, von der Anzeige der Gräfin ganz verschiedenen Angabe, welche
Dobler dem Pol.-Direktor macht, muß also auch eine andere Quelle zum Grunde
liegen; höchst wahrscheinlich eine polizeiliche Ermittelung. Ich bitte, den
Herrn Pol.-Kommissar Dobler zu fragen, ob eine solche angestellt worden, und
ob es nicht diese ist, welche seinem Bericht an Müller unterliegt?
Pr. Haben Sie damals eine polizeiliche Ermittelung anstellen lassen und was
liegt Ihrem Berichte, die Majunke halte sich beim Grafen in Deutz auf, da ja
hiervon in der Eingabe der Gräfin nichts steht, zu Grunde?
Dobler. Es ist möglich daß eine polizeiliche Ermittelung angestellt,
vielleicht in den Kaiserl. Hof geschickt und dort jene Auskunft über die
Majunke ertheilt wurde. Ich weiß es aber nicht. Mein Bericht beruht entweder
auf der Anzeige der Gräfin oder auf einer polizeilichen Ermittelung.
Pr. Dieser Gegenstand wird sich also nicht aufklären lassen.
Vertheidiger. Ich finde ihn vielmehr bereits sehr aufgeklärt. Ich bemerke
noch, daß während Dobler in seinem Berichte sagt, die Majunke solle beim
Grafen sein, der Pol.-Direktor Müller ihren Aufenthalt beim Grafen als ein
Faktum hinstellt. Dieser Mann ist viel zu gewissenhaft, als daß er auf ein
bloßes Gerücht hin hier Entscheidung hätte erlassen und die Majunke in
diesen Verdacht bringen sollen. Hiermit endlich stimmt, daß im weitern
Verlauf der Akten es in einem Schreiben des Poliz.-Dir. Müller ausdrücklich
heißt, die Majunke sei nach Düsseldorf zurückgekehrt.
St.-Prok. trägt darauf an, den Zeugen Gastwirth Rener aus Deutz gleich zu
vernehmen, da dieser vielleicht Auskunft ertheilen könne. Die Makunke
bemerkt, daß sie nach Düsseldorf gereist sei, um eine Klage gegen die Gräfin
am Orte ihres gesetzlichen Domizils anzustellen.
Angekl. Ob die Majunke nicht im Kaiserl. Hof mit v. Stockum
zusammengetroffen?
Z. Ja einmal, es war kalt; ich habe da im Kaiserl. Hofe eine Tasse Kaffe
getrunken und den Hrn. v Stockum getroffen, der mir aber blos guten Tag
gesagt hat. Ein blonder Kellner Namens Julius, der früher in Belle Vue
gewohnt hat, hat das gesehen und es dem Hrn. Lassalle mitgetheilt.
Pr. Woher wissen Sie das?
Z. Weil er schon früher für L. rapportirte.
Zeuge Louis Rener, 33 J. alt, Gastwirth zur Belle Vue in Deutz. Die Majunke
habe Zuflucht bei ihm gesucht, nachdem sie der Gräfin, welche damals in Köln
in der Mohrenstraße wohnte und sie eingesperrt hielt, entflohen war; er habe
dem Bürgermeister von Deutz gleich Anzeige davon gemacht. v. Stockum so
wenig wie der Graf seien damals bei ihm eingekehrt; seit der Zeit, wo die
Gräfin bei ihm gewohnt, sei der Graf nur einmal da gewesen und habe, während
er die Eisenbahn abwartete, auf einem besondern Zimmer gespeist; damals habe
die Majunke auf jenem Zimmer mit dem Grafen eine Unterredung gehabt.
Majunke. Sie habe mit dem Grafen wegen einer Kommode von ihr gesprochen, die
sich unter den Effekten der Gräfin befunden habe, welche bei einem Spediteur
in Köln mit Beschlag belegt worden seien. Sie habe diese Kommode
zurückgefordert.
Rener. Die Majunke habe auch mit ihm darüber gesprochen, da er zuerst Arrest
auf die Sachen habe legen lassen. Der Graf habe sie an seinen Advokaten
Widenmann in Düsseldorf verwiesen und die M. sei deshalb dorthin gereist;
der Graf habe sie zuerst gar nicht vorlassen wollen.
Vertheidiger Ob Herr Rener die Majunke aus Barmherzigkeit aufgenommen?
Zeuge. Keineswegs. Die M. habe ihn auf die Entscheidung ihres Prozesses mit
der Gräfin angewiesen, sie habe damals ein sparsames Leben geführt, ihr
Betragen sei stets sehr gut gewesen und die Gräfin habe ihr deswegen
besonderes Vertrauen geschenkt. Eben so sei auch Lassalle mit seinem Diener
Hoppe bis in die letzte Zeit durchaus zufrieden gewesen und auch über dessen
Aufführung sei ihm nichts Nachtheiliges bekannt. — Alles, was von Lassalle
oder den ihn besuchenden Freunden verzehrt wurde, sei auf Rechnung der
Gräfin gestellt worden; diese Rechnung habe von August 1846 bis Oktober 1847
circa 6500 Thlr. betragen; für diese Summe sei er größtentheils auf die
Alimente verwiesen, welche der Graf der Gräfin zu entrichten habe; der Graf
habe ihm 4000 Thlr. bezahlt gegen einen Revers, zufolge dessen er sich für
des Grafen Schuldner erklärt im Falle, daß seine Forderung in dem
schwebenden Kassationsprozesse nicht anerkannt würde. Von Lassalle habe er
für Rechnung der Gräfin 1500 Thlr. empfangen, jedoch mit dem Bemerken, daß
diese Summe für seine Rechnung vom April 1847 ab sei.
Angekl. legt ein Schreiben vor, in welchem er Rener ersucht, ihm eine
besondere, von der Gräfin getrennte Rechnung auszustellen.
Zeuge. Jenes Schreiben sei allerdings an ihn ergangen, aber da der Verzehr
meistens auf dem Zimmer der Gräfin stattgefunden, so habe er unmöglich
wissen können, wie viel von der Gräfin, wie viel von Lassalle und
Mendelssohn verzehrt worden. Was Mendelssohn betreffe, so habe Lassalle ihm
einmal gesagt, er möge dessen Verzehr auf gemeinschaftliche Rechnung
schreiben.
Angekl. Ich habe blos gesagt: auf unsere Rechnung.
Zeuge. Die Gräfin habe die Rechnung ganz anerkennen wollen, aber Lassale habe
sie davon abgehalten.
Präsid. Der Ausdruck unsre Rechnung scheint doch auf eine gemeinschaftliche
zu deuten; der Wirth durfte das wohl stillschweigend von einem
Bevollmächtigten voraussetzen.
Zeuge über den Kellner Julius Diefenbach befragt, der früher bei ihm, später
im Rheinischen Hof bei Staudt wohnte, äußert sich günstig über seine
Moralität. Von einer Bestechung desselben durch die Parthei des Grafen wisse
er nichts; Lassalle habe ihm einmal gesagt, Diefenbach habe von Stockum Geld
erhalten, der Kellner habe das aber entschieden in Abrede gestellt.
— Ueber den Joh. Kurz habe er früher nichts Nachtheiliges gehört; bei seinem
Austritt aus dem Dienst der Gräfin sei er jedoch in Verdacht gekommen, ein
Kissen und Tischtücher entwendet zu haben; die desfalls gegen ihn erhobene
Untersuchung habe zu keinem Resultat geführt. — Die Gräfin habe häufig
Besuch erhalten von der Frau Gianella und deren Söhne, von Schaafhausen und
Fowinkel; diese Personen hätten ihm Geld gezeigt, welches sie von der Gräfin
empfangen und sich auch wohl beklagt, daß sie nicht genug bekämen. Lölgen
aus Köln sei sehr oft bei der Gräfin gewesen; der Lehrer Gladbach habe als
Privatsekretär fungirt. Wie er gehört habe, sei es Lassalle und der Gräfin
darum zu thun gewesen, eine jährliche Rente von 20,000 Thalern für die
Gräfin zu erwirken.
St.-Prok. In dem Briefe an eine treue Seele, von welchem früher die Rede
gewesen, findet sich die Stelle: „Mord. will den 3. August Nachts im
Kaiserlichen Hof zu Köln schlafen und d. 4. erst in Aachen ankommen.
Deßwegen soll Man in Deutz Hotel de Belle Vue wohnen. Du Felix sollst durchaus mit nach Köln und im selbigen Hotel wohnen.
Montag mit dem
(Siehe den Verfolg der in Beilage.)