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Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum
Diebstahl.
(Fortsetzung.)
Pr. Dies wird bei der Vernehmung des Hungrigh vorzubringen sein, nicht an
diesem Ort, sonst kommt es doppelt.
Angekl. Mir recht. ‒ Ich muß jetzt, M. H., Ihre Aufmerksamkeit auf einen der
hauptsächlichsten Punkte lenken, und bitte, mir dieselbe in vollem Maaße zu
Theil werden zu lassen. Ich hatte gegen die wider mich erhobene
Anschuldigung unter Anderm geltend gemacht, ich könne schon deshalb nicht
den Dr. Mendelsohn zu dem Kassettendiebstahl verleitetet haben, weil ich ja
bei seiner Abreise gar nicht gewußt, daß Frau v. M. sich in Köln aufhalten
und im Mainzer Hofe absteigen würde. Dagegen behauptet nun Paul Kurz, ich
hätte ihm schon mehrere Tage zuvor mitgetheilt, die Fr. v. M. würde nach
Köln reisen und im Mainzer Hofe logiren. Der Hr. Präsident hat dies schon
gestern für einen Unsinn erklärt, weil ich, wenn ich dies wußte, nicht
nöthig hatte, den Kurz nachzuschicken. Kurz behauptete es indeß, und fügte
hinzu, am Tage jener Abreise, am 20. August, sei er gar nicht in meinem
Hotel gewesen. Dies hängt mit einem andern wesentlichen ‒
Pr. unterbrechend. Der Angekagte muß sich kurz fassen, hier ist nicht der Ort
für Deduktionen. Ich bin gern bereit jede Frage zu stellen. Aber wenn Sie
immer solch lange Deduktionen machen wollen, kommen wir nicht von der
Stelle.
Angekl. Ich glaube, daß es in meinem Interesse liegt, die in Betracht
kommenden Umstände, die sich auf die zu stellende Frage beziehen, und die
Richtigkeit derselben hervorzuheben. Ich bitte daher mir gestatten zu
wollen, mein Interesse nach Kräften wahrzunehmen. Ich sage also, die
Behauptung des P. Kurz, am 20. August die Nachricht von der Abreise der
Meyendorf gar nicht in mein Hotel gebracht zu haben, hängt mit einem andern
noch wichtigern Punkte zusammen. Ich hatte nämlich in meiner Aktenauslassung
angegeben: „Als uns am 20. August durch den P. K. die erste und unerwartete
Nachricht von der Abreise der Meyendorf gebracht wurde, befand ich mich
gerade im Salon der Gräfin und in ihrer und ihres Sohnes Gesellschaft, bin
in dieser bis nach erfolgter Abreise Mendelsohns geblieben und habe keinen
Auftrag in Gegenwart derselben ertheilt.“ Diese meine Angabe wurde durch die
Aussage des Grafen Paul v. Hatzfeldt bestätigt. Verhält es sich aber wie P.
Kurz sagt, hat er an jenem Tage gar nicht die Nachricht von der eben
erfolgenden Abreise der Meyendorf gebracht, so ist meine Angabe, so wie des
Grafen Paul Aussage falsch. Der Zeuge ist nun hartnäckig heute dabei
geblieben, daß er jene Nachricht am 20. nicht überbracht habe.
Pr. Zeuge bleiben Sie dabei.
Z. Ja, ich habe keine Nachricht davon ins Gasthaus der Vier Jahreszeiten am
20. August gebracht. Lassalle hatte es mir schon mehrere Tage vorher
mitgetheilt. Ich reiste ab ohne ihn davon benachrichtigt zu haben.
Angekl. Im Widerspruche damit hat Hoppe gestern erklärt, daß P. Kurz
allerdings am 20. August die Nachricht in mein Hotel gebracht habe, und ich
habe mir gestern Akt darüber ertheilen lassen. Kurz ist also in diesem Punkt
durch Hoppe überführt.
Pr. Der Zeuge Hoppe soll vortreten.
Angekl. Ich mache auf den mir gestern ertheilten Akt aufmerksam.
Pr. zu Hoppe. Sie haben gestern gesagt, P. Kurz hätte die Nachricht, die
Meyend. stehe eben im Begriff abzureisen, dem L. und der Gräfin am 20.
August in das Hotel derselben überbracht. Ist das wahr?
Hoppe. Hr. Präsident, ich bleibe bei meiner Wahrheit.
Pr. Also Sie wissen das genau.
Hoppe. Ja.
Pr. Nun, Kurz, was sagen Sie dazu?
Kurz. Es ist nicht wahr, ich war nicht dort.
Pr. (mit erhabener Stimme) Einer von Ihnen Beiden sagt hier die Unwahrheit
wissentlich oder unwissentlich.
(Lautes unwilliges Gemurre im Publikum.)
Pr. Die Zeugen können sich setzen.
Geschworner Dürr. Ich bitte den Zeugen Kurz zu
fragen, ob er von jenem Auftrage etwas weiß, den Lassalle dem Mendelsohn am
20. August gegeben haben soll.
Kurz. Nein.
Geschw. Ich bitte den Hoppe zu fragen, um welche Zeit L. den Auftrag gegeben
haben soll.
Hoppe. Ja, die Zeit, das weiß ich so nicht mehr; es war vielleicht 9 Uhr oder
10 ‒ es ist so lange her.
Geschw. Nun so bitte ich den Zeugen abgesehen von der Zeitbestimmung den
angeblichen Auftrag mit den Nebenumständen so genau als möglich zu
schildern.
Hoppe. Es war im Zimmer des Lassalle, die Thüre des Nebenzimmers stand offen,
als er den Auftrag ertheilte. Auf dem Hof stand schon die Droschke um
Mendelsohn auf den Bahnhof zu führen.
Zeuge Laurenz Nuellens, Gastwirth zu Aachen. Im
August 1846 stieg Mendelsohn bei mir ab und logirte acht Tage in meinem
Gasthofe. Er war sehr gesprächig, trank nur feine Weine und bot auch Andern
davon an. Von einem Fremden hörte ich, daß er auf der Spielbank gewonnen
habe und nach Düsseldorf gereist sei. Am folgenden Tage kehrte M. zurück.
Zwei Tage später wollte er abreisen, er hatte den Portier bestellt, ihn um 5
Uhr zu wecken. Er fuhr aber nicht mit dem ersten Zuge und erklärte, er wolle
mit dem zweiten abreisen. Wie ich vermuthet hatte, reiste er ab ohne seine
Rechnung zu zahlen; ich eilte ihm nach, traf ihn auf dem Bahnhofe und
bemerkte ihm, in Aachen reise man nicht eher ab, bis man den Wirth bezahlt
habe. Hierauf übergab er mir vier Louisd'or und fuhr in einer Vigilante
wieder nach der Stadt zurück. Ich fuhr ihm nach und bemerkte, daß er bei
Kosteletzky ausstieg. Kurze Zeit nachher kam er zu mir zurück, zahlte den
Rest seiner Rechnung und blieb dann noch zwei oder drei Tage bei mir.
Angekl. Um wie viel Uhr ist Mendelsohn am 20. August abgereist.
Z. Das weiß ich nicht. Wilhelm Fowinkel, Speisewirth zu Düsseldorf, 36 Jahre
alt. Er begleitete im Sommer 1846 den Grafen Hatzfeldt als Bedienter nach
Aachen, und wohnte mit ihm auf dem Landgute Champier auf dem Louisberge.
Lassalle war zweimal da, um den Grafen zu besuchen; dieser ließ sich jedoch
verläugnen und als Lassalle ein Empfehlungsschreiben vom Prinzen Friedrich
abgegeben, ritt er selber an dessen Hotel, traf ihn aber nicht zu Hause. Zur
selben Zeit hielt sich auch die Baronin Meyendorf in Aachen auf und speiste
zweimal beim Grafen in Gesellschaft zweier Herren. Gegen den 14. August zog
der Graf nach Aachen zu dem ihm befreundeten Kapitain Carter; er hielt sich
besorgt wegen den Nachstellungen Lassalle's auf Champier nicht mehr sicher
und hatte sich schon früher von Carter zwei Pistolen geliehen, die er
geladen im Schlafzimmer und im Salon neben sich liegen hatte. In den letzten
Tagen seines Aufenthalts zu Champier besuchte ihn seine Gemahlin, begleitet
vom Grafen Kaiserling und dem Pfarrer Bochum von Calkum. Es soll ein
Vergleich versucht worden sein. Später erschien die Gräfin nochmals zu
Champier, da war der Graf aber bereits in die Stadt gezogen.
Am 15. August erhielt ich Befehl die Effekten des Grafen nach Calkum zu
bringen. Auf der Reise dahin traf ich mit P. Kurz zusammen, der sich erbot,
einen Brief, den mir der Domänendirektor Wachter an seine Frau mitgegeben
hatte, zu besorgen. Einige Tage nachher hörte ich, daß der Brief in die
Hände der Gräfin gerathen sei und daß der Graf mich aus seinem Dienste
entfernen wolle. Auf den Rath Wachters zeigte ich den P. Kurz beim
Oberprokurator zu Düsseldorf an, Kurz ist jedoch nicht bestraft worden. Im
September beauftragte mich Wachter, um das Vertrauen des Grafen wieder zu
gewinnen, nach Deutz zu reisen, dort Lassalle zu beobachten und ein etwaiges
Attentat gegen den Grafen zu verhindern. Er gab mir drei Louisd'or und ich
begab mich sofort nach Deutz und erfuhr dort, daß Lassalle mit dem
Nachtsschließer Craes dreimal nach dem Arresthause zu Oppenheim gefahren
sei. Wachter, dem ich dies mittheilte, veranlaßte mich, dem Staatsprokurator
Miller Anzeige davon zu machen. Lassalle reiste nach Aachen, ich folgte ihm
und gerieth hier, da Wachter nicht anwesend war, in große Geldverlegenheit.
So wandte ich mich um Unterstützung an den Grafen Paul, den ich von seiner
Kindheit an kannte; er verwies mich an seine Mutter. Diese forderte mich
dringend und unter vielen Versprechungen auf, ihr mitzutheilen, was ich über
das Verhältniß des Grafen zu Frau v. Meyendorf und andern Frauenzimmern
wisse. Nach längerm Sträuben erzählte ich das Wenige und Unverfängliche, was
ich in dieser Beziehung wußte, erhielt von der Gräfin einen Louisd'or und
versprach in Aachen zu bleiben, bis ich nach Koblenz, wohin die Gräfin am
selben Tage abreiste, berufen würde. Ich sollte einen Dienst beim Prinzen
Friedrich erhalten. Lassalle war bei der Unterredung zugegen und
unterstützte die Gräfin in ihrem Bemühen, mich zu gewinnen. Ich theilte die
Abreise der Gräfin brieflich Wachter mit, der mich nach Düsseldorf beschied.
Hier empfing ich den Auftrag, der Gräfin nach Koblenz zu folgen und zu
berichten, was sie treibe, wer bei ihr aus- und eingehe, namentlich was
Lassalle beginne. Ich erhielt zugleich Reisegeld und die Zusicherung, daß
ich im Dienste des Grafen bleiben solle. Ich verfügte mich nun nach Koblenz,
in der festen Absicht, jede Beziehung zur Gräfin abzubrechen; als ich dieser
aber die desfallsige Mittheilung machte, wurde ich von ihr und Lassalle der
Art bestürmt, daß ich der großen Ueberredungskunst dieser Personen nachgab
und mich bereit erklärte, alles zu sagen, was ich vom Grafen wisse. Hoppe
warnte mich und rieth mir, die gemachten Versprechungen mir schriftlich
geben zu lassen. Doch dazu hatte ich einen zu edeln Charakter.
Pr. Haben Sie nicht dem Lassalle ein Zeugniß unterschrieben?
Z. Ja, ich habe das Attest jedoch selbst nicht gelesen, so daß mir sein
Inhalt bis heute fremd geblieben ist.
Pr. Sie haben sehr schmutzige Dinge angegeben, die ich mich schämen würde
hier zu verlesen. Warum thaten Sie das?
Z. Ich bin ein schwacher, dummer Mensch; die Gräfin und Lassalle haben andre
Leute zu überreden gewußt, die weit klüger und gelehrter sind als ich.
Pr. Sie haben das Protokoll Lassalle's unterschrieben und ihren Herrn, dessen
Brod sie aßen, verrathen. Sie haben keine Ursache, von einem edlen Charakter
zu reden.
Z. An demselben Tage, wo ich das Attest unterschrieb, gab mir Lassalle einen
simulirten Brief an die Gräfin, der bestimmt war, Wachtern in die Hände
gespielt zu werden. Ich brachte diesen Brief zur Post, Lassalle holte ihn
mit dem Coblenzer Poststempel versehen wieder ab und ich überbrachte ihn
Wachter nach Düsseldorf.
Pr. So dient man zweien Herren!
Zeuge. Wachter schickte mich wieder nach Coblenz. Hier beauftragte mich
Lassalle nach St. Goar zu gehen, um daselbst die Briefe des Grafen an
Wachter, der sich gerade da aufhalten sollte, aufzufangen. Ich kehrte jedoch
unverrichteter Sache zurück, da Wachter bereits abgereist war. Hierauf
schickte mich Lassalle nach Trostdorf, wo der Graf beim Freiherr von Loë zu
Besuch war, um auch hier zu beobachten und Briefe aufzufangen. Lassalle
wollte mir auf den Namen des Grafen einen Schein mitzugeben, welcher mich
ermächtigen sollte, jene Briefe auf der Post in Trostdorf abzunehmen; da
sich aber die Gräfin nicht dazu verstand, ihr Siegel zur Beglaubigung auf
den Schein abzudrücken, so unterblieb dieses Vorhaben.
(Fortsetzung folgt.)