Deutschland.
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] Köln, 21. Aug.
(Die Verhandlungen über die deutschen Grundrechte.)
„La libertad, Sancho, es uno de los mas preciosos donos, que a los hombres
dieron los Ciclos“, erklärte schon der edle Ritter Don Quixote seinem
Schildknappen. „Die Freiheit ist eines der kostbarsten Himmelsgüter der
Sterblichen.“ Es kömmt bloß auf die verschiedene Bedeutung an, welche man
mit dem Begriff der Freiheit verbinden will.
Die Begriffsfähigkeit der kostbaren Güter, welche die Frankfurter
Nationalversammlung dem deutschen Volke in den Grundrechten gewährleistet,
ist um so unbeschränkter, als die Grundrechte nach dem Geständniß des
Berichterstatters Beseler bekanntlich „ohne Prinzipien und ohne Feststellung
dessen, was dazu gehört“ entworfen wurden. In dem allgemeinen deutschen
Staatsbürgerrecht war es die Einheit und Freiheit, deren Deklaration die
Versammlung beschäftigte, ‒ die Freiheit, welche von Hrn. Jakob Grimm als
Wirkung der Luft, die Einheit, die von dem Redakteur der begriffenen Welt
„als politischer Begriff“ erklärt wurde. Wir folgen ihr diesmal in den
Debatten über §. 6 des Entwurfs zu einem neuen Begriff, dem precioso dono
der „Gleichheit“, welches den unsterblichen Deutschen gewährleistet werden
soll. „Einheit, Freiheit, Gleichheit,“ ‒ kein Don Quixote würde zweifeln,
daß mit diesen dreifaltigen Himmelsgütern der Himmel selbst sich auf
Deutschland niedergelassen.
Der Antrag des Ausschusses in §. 6. der Grundrechte verlangt Gleichheit vor
dem Gesetz, Aufhebung der Standesprivilegien, Zugänglichkeit der
öffentlichen Aemter für „Alle dazu Befähigten“, und allgemeine Wehrpflicht.
Fünf Minoritätsgutachten und zahllose Anträge, welche meist auf Abschaffung
des Adels, Aufhebung der Orden und Titel und allgemeines Waffenrecht
gerichtet sind, bekunden hinlänglich die Ernsthaftigkeit, mit welcher die
Versammlung diese Verhandlung aufzufassen gedenkt.
Herr Ahrens von Salzgitter hat die Ehre, diese wichtige Discussion zu
eröffnen, und wünscht vorzuschlagen, daß die Phrase der „Gleichheit vor dem
Gesetz“ am liebsten ohne alle Discussion angenommen werden möge. Er
begründet diesen patriotischen Antrag mit der Berufung, daß der belgische
Congreß im Jahre 1831 dies „politische Axiom“ ebenfalls ohne Discussion in
die Constitution aufgenommen habe, eine Thatsache, welche allerdings zur
Genüge die Harmlosigkeit der Phrase beweist. Gleichwohl findet es Hr. Ahrens
nöthig, sich noch weiter über die Ungefährlichkeit des Satzes, der bloß ein
„ Rechtssprüchwort“ enthalte, auszulassen.
„M. H.“, spricht er mit sehr starker Stimme, „ es handelt sich hier allein um
die bürgerliche Gleichheit, nicht um eine rohe
materialistisch-communistische Gleichheit, welche die Folgen natürlicher
Unterschiede in Bezug auf Arbeit und Vermögenserwerb vertilgen will!“
Wäre Hr. Ahrens nicht Professor der Krause'schen Philosophie in Brüssel, so
würde man glauben, er habe eine sehr mangelhafte Erziehung genossen. In der
That benimmt sich der ehrenwerthe Abgeordnete wie jener Domherr am
ästhetischen Theetisch, der bei den süßflötenden Gesprächen über platonische
Liebe den Mund weit zu der Warnung öffnet: „Die Liebe sei nicht zu roh,
sonst schadet sie der Gesundheit!“ Die Versammlung verhandelt über die
platonische Rechtsgleichheit, welche sich „auf die natürlichen
Klassenunterschiede“ gründet, ‒ und der Domherr der krauseanischen Moral
verwahrt dieselbe gegen die „rohe materialistische Gleichheitsliebe,“ welche
die Gesundheit der Klassenunterschiede, die Basis des
bürgerlich-juristischen Gleichheitplatonismus gefährdet! ‒
Der brüsseler Professor hat sich indeß einmal die Aufgabe gesetzt, die
Harmlosigkeit eines „politischen Axioms“, welches auch in der belgischen
Musterkonstitution Aufnahme gefunden hat, gegen Mißdeutungen zu verwahren.
Nachdem er den Verdacht des Communismus siegreich von dem Ausschußantrag
abgewendet hat, richtet er sich mit gleichem Erfolg gegen den Vorwurf eines
politischen Radicalismus in diesem Gesetz. Eine „gewichtige Stimme“, der
ehrenwerthe Professor Dahlmann, hat nämlich bei einer früheren Gelegenheit
wissenschaftliche Bedenken gegen den Ausdruck: #x201E;Gleichheit vor dem
Gesetz“ geäußert. Herr Dahlmann sagte: „Ich weiß, wenn dieser Grundsatz
gelten soll, nichts zu machen mit unsern Fürsten, mit unsern
verantwortlichen Ministern, am Ende auch nichts zu machen, fürchte ich, mit einer Ständeversammlung, vielleicht
nicht einmal mit der Nationalversammlung. Denn wenn wir Fürsten haben,
wollen wir Männer haben, die nicht gleich sind vor dem
Gesetz, … und wir dürfen keine Minister haben, denn sie sind ungleich vor dem Gesetz, weil sie nur auf
bestimmte Weise in Anklagezustand versetzt werden können.“
Herr Ahrens lächelt mit Recht über diese Sprünge deutschen Professorenthums.
Die Ausstellungen des Herrn Dahlmann würden nur dann gerechtfertigt sein,
wenn die „Gleichheit vor dem Gesetz“ mehr als ein bloßes „Rechtssprüchwort“
werden und alle Ausnahmegesetze ausschließen solle. Herr Ahrens giebt
dagegen die wahre Begriffserklärung:
„Der Satz, daß Alle gleich seien vor dem Gesetz, will nicht bedeuten, daß
eine allgemein gleiche, Alles nivellirende
Gesetzgebung stattfinden soll, sondern nur, daß für alle Personen und
Sachen, welche sich in gleicher Lage befinden, gleiche Gesetze bestehen … Wir wollen an dem Satz
festhalten, weil darin ein Rechtssprüchwort gegeben ist, welches sich Jedem
leicht einprägt (als Gedächtnißübung); wir wollen ihn festhalten, weil die
allgemeine Achtung, welche das Gesetz hiermit
Allen angedeihen läßt, sich zu einer allgemeinen persönlichen Achtung erweitert.“
Womit übrigens Herr Ahrens nicht sagen will, daß die Ausnahmgesetze für
Fürsten und Minister den Anspruch auf „persönliche Achtung“
ausschließen.
Indem „für Alle, die sich in gleicher Lage befinden,
gleiche Gesetze bestehen,“ für Fürsten und Beamte besondere, für das
Bürgerthum besondere, und für die „natürlichen Folgen natürlicher
Unterschiede,“ für das Proletariat besondere Gesetze, ‒ läßt das Gesetz
Allen eine „allgemeine Achtung“ angedeihen. Diese „allgemeine Achtung“ hat
die Wirkung, sich zu einer persönlichen zu erweitern, indem sie, wie Hr.
Ahrens sagt, „alle Bürger einander näher bringt,“ ‒ innerhalb der
„natürlichen Klassenunterschiede“, Fürsten mit Ministern, Bürger mit
Bürgern, Proletarier mit Proletariern. Das Prinzip selbst „bleibt bestehen.“
Die Gleichheit besteht, nicht „roh, materialistisch“, sondern platonisch,
ideell, ‒ innerhalb der natürlichen Unterschiede, als gemeinschaftliches
„Rechtssprüchwort.“ Angenehme Wirkung des Gleichheit-Begriffs!
Nachdem Hr. Ahrens sodann noch im Sinn der politischen
Moral für Abstellung der Civilorden gesprochen, dem Militärstand
aber in dieser Beziehung Ausnahmgesetze vindicirt hat, ohne sich um den Ruf
der Versammlung nach Schluß und um die Ermahnung des Präsidenten zur Kürze
zu kümmern, erscheint Hr. Moriz Mohl auf der Tribüne.
Hr. Mohl spricht für den Minoritätsantrag, welcher den Theil des Paragraphen,
der von Aufhebung der Standesprivilegien handelt, auf Abschaffung des Adels,
seiner Titel und Benennungen ausgedehnt wissen will.
„Meine Herren, man mag die Sache betrachten wie man will, sie ist erstaunlich
einfach. Das Bestehen eines Standes, dessen Mitglieder vermöge ihrer bloßen
Geburt einer äußern Auszeichnung genießen, das Bestehen eines solchen
Standes ist eine vollkommene Verneinung der staatsbürgerlichen Gleichheit.
Eine solche Einrichtung, wenn sie auch gar nicht mißbraucht wird, ist ein
Unrecht, eine Beleidigung gegen die Nation.“
Hr. Mohl macht der Versammlung glauben, er stehe auf „prinzipiellem, rein
theoretischem“ Standpunkt. In der That aber ist die Stellung, die er
einnimmt, ein ganz gewöhnlicher rein bürgerlicher Standpunkt; seine ganze
Polemik ist nichts, als der schwache Ausdruck des alten Klassenkampfs der
Bourgeoisie gegen die „höhere“ Adelsrace.
„Ich frage Sie, m. H., welche größere Ungleichheit vor dem Gesetze gibt es,
als die Eintheilung des Volkes in zwei Kasten, in eine vornehme Kaste und
eine geringe Kaste?“
Diese zwei Kasten sind nach Hrn. Mohl Adel und „Bürgerstand,“ und Hr. Mohl
hat daher durchaus kein Recht, hierfür den Namen des Volks zu vindiciren.
Hr. Mohl weiß nichts von den Erfahrungen der Pariser Junischlacht, seine
Polemik ist der beste Beweis davon. Seine ganze Rede ist eine Apologie der
Bourgeoisie gegenüber dem „Adelsstand.“ Er erzählt von den Verdiensten des
Bürgerthums um Handel, Schifffahrt, städtische Institutionen; er erinnert
daran, daß Schiller, Göthe und alle „großen Sterne am geistigen Horizont“
aus dem Bürgerthum hervorgegangen seien; er greift die kriegerischen Vorzüge
des Adels an, und fragt, ob die Bürger, Juden und Krämer nicht ebenso tapfer
in dem französischen Kriege gekämpft hätten; er gesteht dem Adel zu, hin und
wieder auf dem landwirthschaftlichen Feld mit den „ bürgerlichen Gutsbesitzern gewetteifert zu haben, und sein ganzes
Resume ist, daß der „bürgerliche“ Theil der Nation dem Adel seine „ Ebenbürtigkeit “ durch die That bewiesen habe.
Wenn Hr. Mohl konsequent wäre, hätte er nicht auf Abschaffung des Adels,
sondern auf Erhebung der Bourgeoisie in den Adelsstand antragen müssen.
Hierbei ändert es nichts, wenn Hr. Mohl zuletzt erklärt, daß nicht dieses
oder jenes Vorrecht das „Wesentliche“ des Adels, sondern daß das Erbliche des Adels das eigentliche Privilegium, die
wahre Ungleichheit vor dem Gesetz sei. Hat Hr. Mohl nie gehört, daß auch die
„Verdienste“ seiner „ bürgerlichen Gutsbesitzer “
erblich sind? Hr. Mohl glaubt den Unsinn des Adels entdeckt zu haben, indem
er triumphirend ausruft: „Welches größere Standes-Privilegium gibt es, als
daß die Geburt zu einem höhern Stande berechtigt?“
Ah, Hr. Mohl, bei Ihren „bürgerlichen Gutsbesitzern“ ist es nicht die
Geburt, welche zu besserer Erziehung, zur „Befähigung zu Staatsämtern,“ und
den bürgerlichen Privilegien der Spekulation und des Wuchers berechtigen?
Wunderbare Gedankenfülle des schwäbischen Bürgerfreundes! Friedrich Gentz
erklärte einst den Adel für eine Eigenthumsfrage; er erklärte den Adel als
Ausfluß des Eigenthums, „weil zwischen dem erblichen Besitz einer Würde und dem erblichen Besitz eines Grundstückes
keine Spur rechtlichen Unterschiedes sei.“ Was will Hr. Mohl darauf
antworten? Erbrecht um Erbrecht!
Um den bürgerlichen Standpunkt in dieser Polemik vollständig zu wahren,
erinnert Herr Mohl zum Schluß noch daran, daß der Adel überall in Ländern,
wo er „keine Privilegien,“ aber seine Adelstitel noch besitze, das
Grundeigenthum an sich gebracht habe, und durch den Vorrang seines Namens
reiche Heirathen zu schließen befugt sei. „Sie wissen ja, m. H., daß die
Töchter der Geldsäcke besonderes Vergnügen daran finden, sich Gräfinnen
nennen zu lassen.“ In der That, ist nicht diese heillose Lust der
Bourgeois-Töchter bereits zum Gegenstand offener Spekulation geworden? Hat
nicht u. A. ein „Herr von altem Adel“ in den Berliner Zeitungen ein
Heirathsgesuch annoncirt, worin er sich bereit erklärt, seinen alten Namen
mit einer jungen Bürgerlichen zu theilen, falls ihm diese eine gewisse
Geldsumme „baar“ zuführte? Retten wir also das Geld des Bürgerthums, indem
wir das „von“ des Adels streichen!
„Erst dann, m. H., wenn der Adel wie in Frankreich, Nord-Amerika, der
Schweiz, Norwegen, wirklich aufgehoben ist, erst dann, wenn die Schranken
fallen, die ihn vom Bürgerstand trennen, erst dann, wenn es nur noch Ein Volk, keine zwei verschiedene Racen mehr gibt,
erst dann werden Sie die Freiheit wahrhaft und fest gegründet haben!“
Einfache Lösung der socialen Probleme, welche nach dem Berichterstatter des
volkswirthschaftlichen Ausschusses durch die Grundrechte in „vernünftiger
Weise“ in Angriff genommen werden soll! Nach Aufhebung der Adelstitel wird
es überall nur Ein Volk, keine zwei entgegengesetzten Kasten mehr geben, ‒
denn die Pariser Junirevolution kann nur die Erhebung einiger von ausländischem Adel gewonnenen Strolche gewesen sein.
Nach Aufhebung des Adels ist die „Gleichheit“ wahrhaft und fest
gewährleistet, ‒ nicht die „rohe, materialistische,“ sondern die
platonische, bürgerliche, welche auf natürlichen, d. h. geschichtlichen und
gesellschaftlichen Unterschieden fußt.
(Schluß folgt.)