[Deutschland]
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!!!
] Frankfurt, 18. Aug.
62. Sitzung der Nationalversammlung. Präsident: v. Gagern.
Nach Genehmigung des Protokolls zeigt der Präsident den Austritt von 6
Mitgliedern der Versammlung an, Beinhauer, Oestreich, Jaupp Ranzoni u. s.
w.
Tagesordnung: §. 9 ter Grundrechte.
1. Das Briefgeheimniß ist gewährleistet. 2. Die bei strafgerichtlichen
Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch
die Gesetzgebung festzustellen. 3. Die Beschlagnahme von Briefen und
Papieren darf nur auf Grund eines richterlichen Befehls vorgenommen
werden.
Hierzu die Verbesserungs-Vorschläge des volkswirthschaftlichen Ausschusses.
1. Das Briefgeheimniß ist unverletzlich. 2. Ausnahmen können nur durch ein
Reichsgesetz festgestellt werden.
Minoritätsantrag: Das Briefgeheimniß ist unverletzlich.
Außerdem einzelne Amendements.
Cnyrim. (Kurhessen.) Er erinnert an das Kabinet noir,
worin vorzüglich Minister und Beamte ihre höhere Stellungen mißbrauchten, um
sich in den Besitz von Briefgeheimnissen zu setzen. England, schließt der
Redner, wollen wir in der Staatsweisheit nacheifern, in der Staatsmoral
übertreffen.
Trütschler, Stedtmann, Rieser etc. reichen ein
Amendent ein, statt Briefgeheimniß Postgeheimniß zu setzen.
Grüel aus Burg ist mit diesen drei Herren nicht
einverstanden. Nicht bloß Postbriefe, sondern alle Briefe sind
unverletzlich. Stellt den Verbesserungs-Antrag:
Die hohe Nationalversammlung wolle beschließen, den §. 9 in folgender Fassung
anzunehmen:
Das Briefgeheimniß ist gewährleistet. Die Beschlagnahme eines Briefes ist nur
zulässig zum Zwecke der Verhütung oder Verfolgung eines bestimmten
Verbrechens. Jeder in Beschlag genommene Brief muß sofort und spätestens
binnen 24 Stunden einem Richter übergeben werden. Nur der Richter darf die
Oeffnung eines solchen Briefes nach Maaßgabe der Gesetze verfügen.
Osterrath vertheidigt das Minoritätserachten des
volkswirthschaftlichen Ausschusses. Durch den Majoritätsbeschluß des
volkswirthschaftlichen Ausschusses: „Ausnahmen können nur durch ein
Reichsgesetz festgestellt werden“, wird allen möglichen Ausnahmefällen Thor
und Thür geöffnet. Der Redner ist gegen alle Ausnahmen.
Riesser (Lauenburg) empfiehlt den Ausdruck
Postgeheimniß nach seinem und Trütschler's etc. Amendement. Es solle der §.
nur vor Postmißbräuchen verwahren; nur deswegen gehört er in die
Grundrechte. (Dürftiges Bravo.)
Eisenstuck will nur bemerken, daß es sich um das
geistige Eigenthum eins der heiligsten Volksrechte handelt. Grundsätzlich
ist er gegen alle Ausnahmefälle. Die Nachtheile, die die Verletzung des
Prinzips bringen kann, werden durch einzelne Vortheile bei Ausnahmsfällen
nicht aufgewogen. Empfiehlt das Minoritätserachten, wonach der §.
schlichtweg heißt: Das Briefgeheimniß ist unverletzlich. ‒ Die Veränderung
von Brief in Post ist unpassend. Nur das Staatsinstitut ist dabei
berücksichtigt. (Bravo. Schluß!)
Wesendock reicht einen Zusatz-Antrag ein: „Die
Verletzung des Briefgeheimnisses ist an allen daran betheiligten Beamten
nach Maaßgabe eines zu erlassenden Strafgesetzes zu strafen.“
Wiesner (Oestreich.) Postgeheimniß ist ein
unpassender Ausdruck. Die Post besitzt das Geheimniß nicht, der Brief trägt
es in sich. (Anerkennung. Herr Stedtmann hat das Malheur, immer unpassende
Amendements einzubringen.) Er ist gegen alle Ausnahmen. Wer die Gedanken
eines anderen, für deren Beförderung er bezahlt wird, stiehlt, ist schlimmer
als ein gewöhnlicher Dieb. (Heftiger Schlußruf.)
Frank (Oestreich). Ich bin sehr kurz, und halte sie
nie sehr lange auf. Ausnahmen müssen stattfinden. Spricht für den Vorschlag
des volkswirthschaftlichen Ausschusses.
Schluß der Debatte. Beseler als Berichterstatter,
(für diesen nehme ich das Privileg in Anspruch, nur wenig zu notiren, sonst
verlieren Sie ihre Leser) spricht vom technischen Sinne der
Briefgeheimnisse, und für die Fassung des Verfassungsausschusses. Es ist
doch besser, wenn ein Gesetz einigermaßen eine Garantie giebt (d.h. durch
die Ausnahmefälle), als wenn man mit einer Phrase (so nennt Herr Beseler das
Minoritätsgutachten) sich begnügt.
Abstimmung: Zuerst, ob es heißen soll: Briefgeheimniß oder Postgeheimniß.
Antwort: Briefgeheimniß. Das „Postgeheimniß“ des Herren Stedtmann und
Konsorten ist verworfen.
Der erste Satz des Verfassungsausschusses: „Das Briefgeheimniß ist
gewährleistet,“ wird angenommen.
Der zweite Punkt des Verfassungsausschusses, (s. oben) so wie der zweite
Punkt des volkswirthschaftlichen Ausschusses (s. oben) ebenso Berger's und
Wesendock's Amendements werden verworfen, dagegen Punkt 3 des
Verfassungsausschusses fast einstimmig angenommen.
Somit lautet der Paragraph 9 also:
„Das Briefgeheimniß ist gewährleistet. Die Beschlagnahme von Briefen und
Papieren darf nur auf Grund eines richterlichen Befehls vorgenommen
werden.“
Wesendonk. Ich habe gestern in der gesetzlichen Form
eine schriftliche Interpellation an den Minister des Aeußern eingereicht.
Herr Vogt hat ebenfalls zwei dergleichen an den Kriegsminister eingereicht.
Meine Interpellation ist sehr wichtig. Sie bezieht sich auf die Deutschen,
die an der Pariser letzten Insurrektion betheiligt, und über die bereits von
der französischen Regierung verfügt wird. Auf keine dieser Interpellationen
ist von den betreffenden Ministern geantwortet.
Gagern. Der Minister ist unschuldig. Ich habe Ihre
Interpellation zu spät abgegeben. (In Folge des Kölner Zweckessens.)
Vogt frägt vom Platze, wie es sich mit den seinigen
verhält, und bemerkt, die Minister müssen sich nach dem Gesetze richten.
Gagern verspricht mit dem Minister zu sprechen.
(Damit ist die Sache wie gewöhnlich abgemacht.)
Tagesordnung: §. 10 der Grundrechte. Nach dem Verfassungsausschuß lautet
er:
§. 10. 1. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort und Schrift seine Meinung
frei zu äußern.
2. Ueber Preßvergehen wird durch Schwurgerichte geurtheilt.
Minoritäts-Erachten. 1. Es sei der Schutz der Presse gegen den Nachdruck in
den Grundrechten aufzunehmen. (Mühlfeld, R. Mohl, Hergenhahn, v. Beckerrath,
Lasaulx.)
2 Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise,
(namentlich weder durch die Censur, noch durch Konzessionen oder durch
Sicherheitsstellungen) beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.
Mittermayer. Ueber Preßfreiheit noch zu sprechen, ist
zeitraubend. Ich freue mich über die politischen Errungenschaften, die wir
der Märzrevolution verdanken. Die verschiedenen Preßgesetze der
Einzelstaaten aber gehen mir zu weit auseinander. Gegen Verleger und Drucker
kann ich die Härte vieler derselben nicht billigen. Die Unverantwortlichkeit
der Redakteure ist nicht genug festgestellt. Auch mit den verschiedenen
Bestrafungsarten bin ich nicht einverstanden. Alle Augenblicke muß ein
Redakteur fürchten, ein Preßvergehen zu verüben. Der Beweis der Wahrheit
eines Artikels muß frei sein. (Kein Zweiffel!) Schwurgerichte in dieser
Beziehung billige ich, aber diese selbst müssen besser geordnet werden. Ich
kann mir denken, daß es eine Art von Preßfreiheit giebt, die schlimmer ist
als Censur. (Links: Bravo.) Er stellt einen Antrag, das Verfahren bei
Preßvergehen durch ein Reichsgesetz zu ordnen.
Spatz aus Frankenthal. In Frankreich war zur Zeit
Napoleons auch Preßfreiheit, aber Napoleon fand ein sehr bequemes Mittel,
dieselbe durch ein willkührliches Dekret zu beschränken. Ebenso könnte man
durch ähnliche Dekrete bei uns die Censur wieder einzuschmuggeln
versuchen.
Römer aus Stuttgart schließt sich allen Anträgen an,
die die Freiheit der Presse am meisten garantiren. (Bravo.) Auch in
außerordentlichen Zeiten ist die Preßfreiheit nicht zu beschränken.
(Bravo.)
Rheinwald empfiehlt seinen Antrag: „Jeder Deutsche
hat das Recht, seine Meinung durch Rede und Schrift zu äußern.“
Dahm aus Preußen beantragt auch Stempel und Auflagen
auf Zeitungen aufzuheben. Es ist dies eine Geistessteuer.
Behr aus Bamberg, ganz unverständlich. Man ruft nach
Schluß. Die Debatte wird geschlossen.
Wesendonk beantragt namentliche Abstimmung für das
zweite Minoritätserachten.
Beseler, Berichterstatter: Man hätte diese Debatte zu
schnell geschlossen. Deshalb muß er noch ausführlich sprechen. Es ist meine
formelle Pflicht als Berichterstatter (nur formell?) scheinbar (?) immer für
die Beschränkungen der Freiheit das Wort zu nehmen, so auch hier. Außer
Mittermayer's Antrag erklärt er sich gegen alle Amendements inclusive der
Minoritätsgutachten. Die Majorität sei bescheidener in ihren Ausdrücken
gewesen. Er glaubt nicht, daß es gelingen wird, einer Regierung, wenn sie
reaktionär, hindernd in den Weg zutreten. (Gelächter. Links: Ruf nach
Schluß.)
Gagern: Lassen Sie den Redner ausreden.
Links: Stimme vom Platz: Wir erbitten uns desselbe
Zeitmaß zum Sprechen.
Beseler: Ich schließe, weil ich fertig bin, (sehr
gut!) nicht etwa weil diese Herren (links) es wünschen.
Abstimmung: Rheinwald's Antrag (s. oben) angenommen,
wodurch der erste Punkt des Verfassungsausschusses erledigt ist.
Der zweite Punkt des Ausschusses (s. oben) wird vorbehaltlich aller
zusätzlichen Anträge und der Minoritätserachten zur Abstimmung gebracht und
angenommen.
Das zweite Minoritätserachten (s. oben) wird, unter lautem Bravo, mit großer
Majorität angenommen, und hiernach nimmt die Linke ihre durch Wesendonk
beantragte namentliche Abstimmung zurück.
Folgender Antrag von Trützschler, Schlöffel u. A.:
Bei dem § 10 in dem Minoritätserachten Nro. 14 die Worte „oder durch“
zwischen „Concessionen“ und „Sicherheitsstellungen“ zu streichen, und statt
dessen hinter dem letzteren Worte „oder durch Staatsauflagen“ einzuschalten,
wird angenommen.
Ein Antrag von Spatz:
Absatz 2 möge in folgender Weise gefaßt werden:
„Die Preßfreiheit darf weder durch Censur, noch durch Concessionen oder
Sicherheitsstellungen, noch durch Beschränkungen der
Druckereien oder des Buchhandels, noch durch Hemmungen des freien
Verkehrs beschränkt werden“, nebst einem zusätzlichen Antrag von Moritz
Mohl:
„Die Preßfreiheit etc. etc. darf weder durch Postverbote noch andere
Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt werden“, wird angenommen.
Ein Antrag von Raumer und Schubert: an die Stelle des Punkt 3 des
Verfassungsausschusses „über Preßvergehen wird durch Schwurgerichte
geurtheilt“ die Worte zu setzen „über Preßvergehen wird durch Schwurgerichte
nach einem zu erlassenden Reichsgesetze geurtheilt,“ wird angenommen. (Alle
diese Abstimmungen werden von Bravoruf begleitet.)
Das erste Minoritätserachten, betreffend den Schutz der Presse gegen
Nachdruck (s. oben) beschließt die Versammlung erst bei § 25 der Grundrechte
zu berücksichtigen. ‒ Demnach lautet § 10 in der heute sanctionirten
Verfassung folgendermaßen:
„Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort und Schrift, Druck und bildliche
Darstellungen etc. seine Meinung frei zu äußern.
Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich
weder durch die Censur, noch durch Concessionen oder Sicherheitstellungen,
noch durch Staatsauflagen, noch durch Beschränkungen der Druckereien oder
des Buchhandels, noch durch Postverbote und andere Hemmungen des freien
Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden. ‒ Ueber Preßvergehen
wird durch Schwurgerichte nach einem zu erlassenden Reichsgesetze
geurtheilt.“
Einen Antrag Vogt's und Wesendonk's: „dies Preßgesetz gleich einer Kommission
zur Sanctionirung zu übergeben“, erkennt die Versammlung nicht als
dringlich, weil Gagern und der Reichsjustizminister, Robert Mohl, sich
dagegen aussprechen.
Ein zweiter Antrag: „den sofortigen Druck der einmal angenommenen Paragraphen
der Grundrechte zu veranstaltten, um so dem Volke wenigstens vorläufig etwas
zu bieten“, wird auf Gagern's Rath ebenfalls verworfen. Derselbe meint, es
könnte dies beim Volke zu Mißverständnissen Anlaß geben. Er verweist auf die
zweite Berathung. (Vor welcher nämlich noch „Vereinbarung mit den
Regierungen“ möglich wäre. „Kühner Griff!“)
Der Justizminister Mohl entschuldigt die Minister
wegen der unbeantworteten Interpellationen. Dieselben wären noch nicht an
die Minister gelangt! Auch hätten die Minister bei der vorläufigen
unvollkommenen Einrichtung der Ministerien ganz furchtbar viel zu thun.
Müßten alle Briefe selber schreiben, ja beinahe selbst auf die Post tragen! (Hr. Stedtmann weint, und wird bald
von den Gehältern sprechen.) Uebrigens hätten sie in einem Briefe (von dem
Niemand etwas weiß) der Versammlung für nächste Woche einen Tag
festgestellt, wo sie alle Interpellationen auf Einmal (summarisch)
beantworten würden.
Der Vicepräsident erstattet Bericht über die neuesten
Urlaubsgesuche. Er sind ihrer neunzehn. Einige davon sind seltsam motivirt,
z.B. Einer (von den Deutsch-Polen) will seine Familie nach Frankfurt
abholen. Ein Anderer ist von den Geschäften angegriffen. Ein Dritter hat zu
Hause Geschäfte mit seinem Bruder. (Man wird an ein bekanntes Evangelium
erinnert.)
Fuchs (der schlaue Jurist) will bestimmte
Urlaubsgrundsätze; wird unterbrochen und ruft empört aus: Dixi et salvavi
animam meam!
R. R. frägt den Präsidenten, was an dem Gerücht wäre,
daß im September die Versammlung wegen Heizung der Paulskirche, sich
vertagen würde.
Gagern weiß nichts davon, und ist der Meinung, eine
konstituirende Versammlung dürfe sich nicht vertagen.
Schluß der Sitzung. Sonnabend und Sonntag Erholungstage. Tagesordnung für
Montag: Diskussion über einige durch Vischer aus Tübingen eingereichte
Anträge, betreffend: beschleunigte und veränderte Verfahrungsweise bei der
Berathung der Grundrechte.
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[
pp
] Frankfurt, 19. Aug.
Die ihre Führer und Getreuen mit Stellen beglückende Majorität der
Nationalversammlung hatte Herrn Lichnowsky zu des deutschen Reichs würdigen
Gesandten in Petersburg bestimmt, und die glückliche Wahl war bereits von
dem Reichsverweser huldvoll gebilligt worden. Ministerpräsident Leiningen
jedoch erklärte sich dagegen, und verlangte eventuell für den Fall von
Lichnowsky's Ernennung seine Entlassung. Der Reichsverweser hat darauf die
Sache von der Hand gewiesen, da er Herrn Leiningen aus verschiedenen Gründen
nicht verlieren will. ‒ Herr Leiningen geht, wie wir aus guter Quelle
erfahren, mit großen Plänen um. Als Mediatisirter ist derselbe kein sehr
begeisterter Freund der regierenden Fürsten, die ihn aus ihren Reihen
drängten. Herr Leiningen beabsichtigt nun, als Gegendienst ebenfalls mehrere
kleine Fürsten zu mediatisiren, und gedenkt, trotz des bisherigen
Widerspruchs der übrigen Minister, binnen wenigen Wochen die 38
Deutschländer auf 20 zu reduziren. Uebrigens ist die Ernennung des Herrn
Leiningen zum Ministerpräsidenten für die deutschen Interessen im Ausland
ebenso erfreulich, wie es die von der Times so freudig begrüßte Ernennung
des Ritter Bunsen zum Reichsgesandten in England sein würde; Herr Leiningen,
der nahe Verwandte der Königin von England, wird den deutschen Handel den
Engländern gegenüber nicht minder emporheben, wie Herr Bunsen bereits früher
die Interessen der Industrie und der Katholiken vertreten hat.
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[
28
] Düsseldorf, 19. August.
Die Leichenfeier des gefallenen Füseliers vom 13. Infanterie-Regiment fand
gestern Morgen statt; Bürger und Militärs wechselten
in dem unabsehbaren Zuge ab; auf dem Friedhofe hielt der Divisionsprediger
eine versöhnende Rede. Man will Subscriptionslisten zum Besten der
verwittweten Mutter des Bestatteten circuliren lassen.
Jetzt, wo sich allmälig die moralischen Folgen des 14. Aug. zeigen, muß ich
noch zwei wichtige Momente meinen Berichten nachtragen und zwar zuerst, daß
der Gemeinderath am 10. d. mit 8 gegen 7 Stimmen die Nichtbegrüßung des
Königs beschloß, dieser Beschluß aber in einer andern Sitzung, als von einer
incompetenten Zahl gefaßt, umgestoßen und das Gegentheil mit 21 gegen 8
Stimmen durchgesetzt wurde; ferner, daß in den königlichen Wagen am Hotel
des Prinzen Dreck geworfen worden sein soll.
Letzteres wird zwar widerstritten von Vielen, ist aber von dem größten
Theile der Bewohner als unumstößliches Faktum angenommen und ist die Waffe,
womit eine gewisse Partei ihre Pläne vertheidigt. Geben Sie wohl Acht, wie
genial dasselbe benutzt wird; erstens heißt es, diese Rohheit (die doch vernünftigerweise nur dem Muthwillen eines
Gassenbuben zuzuschreiben ist) rührt von jener
frechen ehrlosen Partei her und dient zu ihrer schönen Charakteristik;
zweitens ist nur das Benehmen der Bürgerwehr daran Schuld, denn wenn
dieselbe Parade gehalten hätte, hätte Keiner gemurrt und gepfiffen, und
gewiß hätte es kein Straßenjunge gewagt, Dreck in den Wagen zu werfen (was
sagen Sie zu dieser Logik?) und am schlimmsten haben sich die 8
Gemeinderathsmitglieder versündigt, weil sie durch ihr schamloses Abstimmen
Aergerniß gegeben. So lautet das Raisonnement des gutgesinnten Bürgers, der
gestern mit zur Leiche ging; ich enthalte mich einstweilen weiterer
Reflexionen, da man ohne Zweifel bald mit Machinationen gegen Bürgerwehr und
die 8 Gemeinderathsmitglieder hervortreten und mir so eine bessere
Gelegenheit geben wird, daran anzuknüpfen.
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@facs | 0414 |
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103
] Berlin, 18. Aug.
Durch die vom „Preußenverein für constitutionelles Königthum“ an seine
preußischen Brüder in den Provinzen zugesandte Statuten dieses Vereins und
einer angehängten Einladung zum Beitritt sind die anarchischen und
reaktionären Bestrebungen dieses Vereins, welcher unter der Vorgabe, die vom
Könige verheißene constitutionelle Verfassung durch Wort und That zu
fördern, in Wahrheit aber volks- und staatsfeindliche Tendenzen verfolgt,
recht ans Tageslicht gekommen. Der Preußenverein stellt den „alten“
preußischen patriotischen Sinn als das höchste erstrebenswerthe Endziel
eines jeden Preußen hin; erfüllt von ihm „weint er,“ wie er sagt, „der
Monarchie des großen Friedrich nach!“ [Fortsetzung]
[Deutschland]
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@facs | 0415 |
[Fortsetzung] ‒ Er sagt in seiner Einladung, daß
er an Stelle der richterlichen und polizeilichen
Gewalt, welche sich als „ohnmächtig erwiesen und der Privatgewalt die
Ausübung ihrer Aemter stillschweigend abgetreten hätte,“ den gesetzmäßigen
Zustand zurückführen wolle! ‒ Warum wird von Seiten der Staatsanwaltschaft
nicht eben so gegen sie eingeschritten, als gegen diejenigen, die für eine
republikanische Verfassung sprechen?
Dem Abgeordneten Waldeck, welcher bekanntlich im
zweiten hiesigen Wahlbezirke gewählt ist, wurde in der vergangenen Woche von
den Urwählern seines Bezirks, als Zeichen ihrer Anerkennung, ein solennes
Ständchen gebracht. Diese dem Haupte der Opposition von Berliner Bürgern
gewährte Auszeichnung scheint den Finanzminister der That Herrn Hansemann sehr zu wurmen und er konnte es nicht
unterlassen einer an ihn abgesandten Deputation der Stadtverordneten,
welche, als Grund der noch theilweise herrschenden Nahrungslosigkeit, die
Abwesenheit vieler wohlhabenden Familien von hier aufstellte, zu erwiedern:
„Wie wollen Sie verlangen, daß das Vertrauen sich wieder belebe, und daß die
reichen Leute zurückkehren, wenn man auswärts in den Zeitungen liest, daß
Berliner Bürger einem Manne wie Waldeck Ovationen darbringen?“ ‒ Nun muß man
bedenken, daß der Abgeordnete Waldeck schon bejahrt ist und eine der
höchsten Richterstellen des Staats, mit dem Titel eines Geheimen
Ober-Tribunal-Raths, bekleidet.
Von dem reaktionären Treiben der nächsten Umgebung des Königs erhält man
täglich neue Beweise. So erzäht man sich heute, daß der Geheime Cabinetsrath
Illaire, der Vorstand des „Cabinets des Königs“, viele an denselben
gerichteten Briefe und Bittschriften, da er den Auftrag vom König hat Alle
ankommenden Schreiben zu erbrechen, demselben nicht vorlegen läßt, wenn ihm
dies angemessen scheint. So soll ein höherer, dem Könige persönlich nahe
stehender Offizier, in einem an denselben gerichteten Privatschreiben, die
Aufnahme einiger Bürgerwehroffiziere in das den Hof nach Cöln geleitende
militärische Gefolge als zweckmäßig anempfohlen haben. Es soll sich, da
dieser Vorschlag unbeachtet geblieben ist, auf Nachforschung des Verfassers
jenes Schreibens herausgestellt haben, daß der Brief sich noch nach der
Abreise des Königs unter den, von dem Geh. Cabinetsrath Illaire noch nicht vorgelegten Schriften befindet, demnach zur
Kenntniß des Königs gar nicht gelangte, weil der Inhalt wahrscheinlich den
Herrn Geh. Cabinetsrath nicht ansprechen mochte, indem sich seine Bestallung
aus einer Zeit herschreibt, wo man noch keine Bürgerwehroffiziere kannte. ‒
Müßten aber solche Personen, von einem wirklich constitutionellen
Ministerium und nun gar von einem Ministerium der That nicht aus der Nähe
des Königs entfernt werden?
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@facs | 0415 |
[
15
] Berlin, 18. Aug.
Was kümmert es das berliner Universitätsgericht, ob durch „allerhöchsten
Erlaß“ die Karlsbader Beschlüsse aufgehoben sind oder nicht? Ein
Universitätsgericht nimmt nur von Gesetzen, welche zur Beschränkung der
Freiheit dienen Notiz. Am Abend des 1. August begegnete der stud. med. Carl Meyer einem Haufen Constabler, welche einen
Studenten gefangen mit sich schleppten. Er trat auf den Führer der
Schutzengel zu und fragte sie ganz bescheiden, was der Gefangene denn
verbrochen habe. Diese Frage war zu keck. Auf einen Wink ihres Führers
fallen die Constabler über Meyer her und schleppen ihn nach der Wache fort.
Nach ungefähr einer Stunde wird er, nachdem er seine Erkennungskarte zwar
hatte abgeben müssen, wieder losgelassen. Auf Grund dieses gewaltigen
Attentats einer Interpellation an die Herren Constabler wurde Meyer in
dieser Woche vor das Universitätsgericht citirt, und ihm eine Rüge wegen
Theilnahme an öffentlichen Tumulten zugesteckt. Er lehnte jedoch diese Rüge
entschieden von sich ab, indem er erklärte, sich keiner Betheiligung an
Tumulten bewußt zu sein. Da zog der wackere Herr Universitätsrichter ‒
Lehnert ist sein Name ‒ folgenden Paragraphen der Karlsbader Beschlüsse
hervor: „Studenten, welche sich zur Zeit eines Tumultes oder in größerer
Anzahl nach Mitternacht auf der Straße finden lassen, haben die Vermuthung
böser Absicht oder eines liederlichen Lebenswandels wider sich; auch darf
Niemand sich nach 10 Uhr Abends in einem Wirthshaus antreffen lassen.“ ‒ Der
Umstand, daß dies Gesetz als §. 85, Anhang 37, Nro. 9, Th. II., Tit. 12, dem
allgemeinen Landrecht einverleibt ist, kann hier gewiß nicht zur
Vertheidigung des Universitätsrichters angeführt werden; es ist klar, daß,
wenn jene Bestimmung als solche aufgehoben wurde, diese Aufhebung sich nicht
blos auf den Codex der Universitätsgesetze, sondern auch auf das Landrecht
bezog. Ein aufgehobenes Gesetz hat keine Gültigkeit mehr, außer ‒ in dem
Gehirn eines Universitätsrichters. Genug, Herr Meyer, den
Universitätsbehörden schon längst anrüchig, erhielt einen glänzenden Verweis
und wurde außerdem bedeutet, daß, da er schon vor mehreren Jahren wegen
Theilnahme an verbotenen Verbindungen mit Carcer bestraft worden, und
demgemäß das consilium ablundi bereits unterschrieben, er sich in Acht
nehmen möge, daß dasselbe nicht bei der ersten Gelegenheit über ihn verhängt
werde.
Dem neugegründeten Adelsinstitut zu Warschau hat der Kaiser folgende
Privilegien ertheilt: 1) Sämmtliche Schüler der Anstalt sind von der
Militärpflicht befreit; 2) diejenigen, welche sich während der ganzen
Unterrichtszeit die Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten erworben haben,
erhalten, wenn sie hernach in den Civildienst treten wollen, die vierzehnte
Rangklasse; wenn sie in das Militär treten, erhalten sie nach 6 monatlichem
Unteroffizierdienst den Offizierrang; 3) Diejenigen, deren Leistungen und
Betragen während ihres Aufenthaltes in der Anstalt keinem Tadel unterlag,
haben das erste Anrecht zu Universitätsstipendien.
In Kalisch sind sämmtliche polnische Schulen noch immer geschlossen; als am
3. August in Posen das polnische Gymnasium eröffnet wurde, faßten die
Bewohner von Kalisch wieder Hoffnung und schickten eine Deputation nach
Warschau zum Fürsten Paskiewicz, der ihnen denn mittheilen ließ, daß
möglicherweise die Schulen bald wieder eröffnet werden könnten!
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@facs | 0415 |
Berlin, 19. August.
In den nächsten Wochen steht uns auf dem Criminalgericht eine lange Reihe
interessanter Gerichtsverhandlungen bevorgegenden Kaufmann Herold wegen
Stiftung von Aufruhr bei Einholung des neunten Regiments, gegen den
Schneider Bormann, den Literaten Hopf, den Schneider Igel, den Weinhändler
Fähndrich, den Student Fernbach, wegen Majestätsbeleidigung, gegen die
Literaten Bettziech und Leid-Brandt wegen desselben Verbrechens und
Errergung von Mißvergnügen, gegen Hrn. Löwenberg wegen Beleidigung des
Ober-Bürgemeisters Krausnick, gegen mehrere Buchdrucker wegen Theilnahme an
diesem Verbrechen, gegen etwa 30 Personen, welche bei dem Zeughaus-Attentat
noch betheiligt sind, gegen etwa 10 Personen, welche mit Bezug auf das
Zeughaus-Attentat die Wohnung des Majors Benda geplündert haben, gegen
mehrere Personen, welche theils im Kastanienwalde, theils bei anderen
Gelegenheiten Tumult erregt haben sollen, gegen diejenigen Gefangenen des
Arbeitshauses, welche dort vor einiger Zeit einen allgemeinen Ausbruch
versucht haben, endlich gegen diejenigen Personen, welche vor einigen
Monaten die Streitsche Stiftung im Gymnasium zum grauen Kloster um mehrere
tausend Thaler bestohlen haben. Auch gegen Dr.
Eichler ist gegenwärtig wegen Widersetzlichkeit gegen die
Constabler bei den bekannten Vorfällen unter den Linden die
Criminal-Untersuchung eingeleitet worden.
[(V. Z.)]
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@facs | 0415 |
[
119
] Berlin, 18. Aug.
Seit langer Zeit hat die demokratische Partei bei uns kein so erfreuliches
Zeichen der Anerkennung aus den Provinzen erhalten, als in diesen Tagen
durch die in Striegau erfolgte Wahl des Assessor Schramm zum Deputirten für
die Preußische Constituante. Ohne Zweifel war die einzige Empfehlung des
Kandidaten, daß er Präsident des demokratischen Klubs, also Demokrat par
excellence ist. Wir können nur hoffen, daß er das Vertrauen seiner Wähler zu
rechtfertigen suchen wird. Die „Neue Preußische Zeitung“ sagt über den
Schweidnitzer Vorfall: „Der Kommandant, du Rosey, ist nicht vom Dienst suspendirt, sondern auf sein
Ansuchen mit Urlaub versehen worden. Nach
derselben Zeitung spricht dies „deutlich“ dafür, daß
in den Augen Sachkundiger der Kommandant von dem Scheine eines erheblichen
Versehens nicht betroffen wird.“
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@facs | 0415 |
[
103
] Berlin, 19. August.
Herr Korn der bekanntlich in Folge der
Zeughaus-Excesse, wegen Erregung von Aufruhr zu sieben Jahr Festungsstrafe
verurtheilt ist, stand heute wieder vor der zweiten Abtheilung des
Kriminal-Gerichts, der Majestätsbeleidigung angeklagt. Herr Korn war nämlich
mit Herr Löwinson Anfangs Mai d. J. von der Volksversammlung vor den Zelten
nach Posen geschickt worden, um über die dortigen Verhältnisse einen
wahrheitsgetreuen Bericht zu erstatten. Nach der Zurückkunft von seiner
Mission erstattete Herr Korn in einem Plakat seinen Bericht ab, worin der
Passus „absolutistischer Dünkel der Hohen-Zollern“ enthalten war. Dieser
Passus wurde damals dem Staatsanwalt Temme von einem Mitgliede des
Preußenvereins denuncirt, der aber keine Majestätsbeleidigung darin
erblicken konnte. Der Denunciant appellirte an das Justizministerium,
welches die Sache einfach nochmals an den Staatsanwalt zurückwies, der es
aber zum zweiten Male abschlug eine Untersuchung einzuleiten. Da aber später
Herr Neumann die Staatsanwaltschaft übernahm, machte derselbe auf
wiederholtes Dringen des Denuncianten die Klage anhängig. ‒ Die Richter
erklärten sich inkompetent, da der Angeklagte schon wegen eines schwereren
Vergehens verurtheilt, nach dem Gesetze aber kleinere Vergehen mit dem
größeren zusammen abgeurtheilt werden müssen und das kleinere nur als
Schärfungsgrund bei der Strafbestimmung des größeren angesehen werden kann.
‒
Die Central-Abtheilung, welche sich schon gegen die Erhöhung der
Rübenzucker-Steuer ausgesprochen hat, beschloß in ihrer gestr. Sitzung
hinsichtlich der Maisch-Steuer (Spiritus), daß die Erhöhung nach Vorlagen
des Finanzministers nur bei den größeren Brauereien den stattfinden solle,
die kleineren hingegen nur den bisherigen Steuersatz zahlen sollten. Die
Central-Abtheilung giebt als Grund ihres Beschlusses an, daß durch die
vorzüglichere Construktion der Brenn-Apparate in den größeren Brennereien,
dieselben einen viel höheren Ertrag erzielen als die kleineren. Es frägt
aber noch sehr ob dieser Beschluß der Central-Abtheilung die Zustimmung der
Plenar-Versammlung erhalten wird, da die adlichen Gutsbesitzer Alles
aufbieten um gegen die Vorlagen des Finanzministers zu agitiren. ‒
Der Kongreß der adlichen Gutsbesitzer, welcher von Herrn von Bülow-Commerow unter der Firma: „General-Versammlung
zur Wahrung der materiellen Interessen aller Klassen des preußischen Volks“
zusammenberufen ist, wurde gestern eröffnet. Es hatten sich dazu etwa 200
Theilnehmer, fast lauter adliche Gutsbesitzer, und darunter viele Marschälle
und Mitglieder des früheren vereinigten Landtags, eingefunden. Obgleich
einem Jedem gegen ein Eintrittsgeld von einem Thaler, der Zutritt für die
Dauer des Kongresses gestattet war, hatten sich doch nur Wenige eingefunden,
was auch von den Leitern des Kongresses erwartet wurde, denn diese wollten
nur den aristokratischen Grundbesitz repräsentirt sehen, um eine imposante
Opposition gegen die Vereinbarer zu bilden. Es liegt in ihrer Absicht sich
gewissermaßen als eine erste Kammer zu konstituiren;
sie verlangten von dem Ministerium die nöthige Auskunft, und setzten voraus,
daß dasselbe seine Räthe in die ferneren Versammlungen senden werde, um da
die nöthige Auskunft auch mündlich zu ertheilen!! ‒ Die früheren Minister
von Bodelschwingh und Graf Arnim-Boytzenburg nebst vielen Königlichen
Landräthen, Hofmarschällen und andren Inhabern hoher Stellen nahmen Theil an
dieser ersten Sitzung Bülow-Cummerow beantragte die Errichtung eines großen
permanenten Ausschusses zur Abwehr der, den Eingriff in das Eigenthum
bezweckenden Maßregeln. Dieser Ausschuß solle mit den gleichartigen
Kreisvereinen ununterbrochen in Wechselverkehr bleiben, wobei dem Ausschuße
ein „energisches“ Einschreiten zur Pflicht gemacht werden muß. Er soll auch
einen Unterausschuß zur Prüfung der Lage der Staatsfinanzen, des
Ausgabe-Etats und zur kritischen Beleuchtung der Finanzpläne abordnen. Das
Material dazu werde wohl das Staatsministerium, welchem man keine weitere
Verlegenheiten bereiten wolle, nicht versagen. ‒ Schließlich gedachte er
unserer Zeit, „wo Alles reizen will“ und mahnte daran, „den Rechtsboden zu
vertheidigen,“ wie der „politischen Debatte fern zu bleiben.“
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@type | jArticle |
@facs | 0415 |
[
15
] Posen, 17. August.
In der Provinz Posen feiert das Preußen- und Soldatenthum jetzt in aller Muse
sein Sieges-Tedeum. Auf der Citadelle zu Posen dürfen jetzt nur preußische,
keine deutsche Fahnen wehen. Die Besatzung der Stadt beträgt jetzt 6000 Mann
außer den Husaren und der Artillerie. Die Städte Kurnik und Schrimm, welche
befestigt worden sind, haben jede eine Batterie erhalten. Das deutsche
Komite ist ganz wüthend, daß die Reorganisation und Demarkation noch immer
nicht erfolgt sind. Erst neulich fand wieder eine Volksversammlung im
Posener Odeum statt, worin eine Petition an das Preußische Ministerium
berathen, und dasselbe zur endlichen Ausführung der Reorganisation und
Demarkation gedrängt werden sollte. ‒ Das anstatt des 18. in die Stadt
eingerückte 5. Infanterie-Regiment hat bereits herrliche Beweise geliefert,
daß es eine allzugroße Pedanterie in der Disciplin für überflüssig hält.
Schon sind von vielen Seiten Klagen über grobe Mißhandlungen und
Verwundungen, welche die Soldaten ausüben, laut geworden; in den Schenken
und Wirthshäusern fallen fortwährend Prügeleien vor. Neulich mußte sich
sogar der General Steinäcker selbst in einen Tumult hineinbegeben und konnte
nur mit Mühe Frieden stiften.
Trotz der Erklärung, welche der General von Brünneck erlassen hat, daß die
Provinz sich im schönsten Friedenszustande befinde und deshalb der
Belagerungszustand aufgehoben werde, hat der Hauptmann, Freiherr von Grotthusz, wie folgendes Schreiben an den Magistrat
von Miloslaw beweist, dennoch die Absicht, den Kriegszustand aufrecht zu
erhalten. Wir theilen das Schreiben hier mit: „Einen wohllöbl. Magistrat
ersuche ich hiermit ergebenst, der gesammten Einwohnerschaft bekannt zu
machen: 1) daß alle Ueberschreitungen der bestehenden polizeilichen
Vorschriften und Landesgesetze sofort von mir durch
Arretirung der Betreffenden und Ablieferung an die Behörde geahndet werden;
2) daß jeder Einwohner den Schildwachen Folge zu leisten, und des Nachts,
wenn er von den Schildwachen angerufen wird, sofort
stehen muß und ihnen seinen Namen nennen. Geschieht es nicht, so sind die
Schildwachen angewiesen auf den Unfolgsamen zu
schießen, um sich seiner zu bemächtigen; 3) daß alle
Zusammenrottungen stets unterbleiben müssen, indem die Wachen angewiesen
sind, Haufen von 10 und mehr Menschen zu zerstreuen und die Widerspenstigen
zu arretiren; 4) daß von Abends 10 Uhr ab jede Schenkwirthschaft geschlossen
ist. ‒ Um diese Zeit werden Wirthshäuser und Schenken durch Patrouillen
revidirt werden, um das Verbot aufrecht zu erhalten. Einen wohllöbl.
Magistrat ersuche ich schließlich noch, dem hiesigen Distriktskommissarius
den Punkt 2 mitzutheilen, damit derselbe ihn den unterhabenden Gemeinden
bekannt machen kann. Wenn die Bekanntmachung der vier Punkte an die
Einwohnerschaft geschehen ist, bitte ich, mich davon zu benachrichtigen.
Hauptquartier Miloslaw, den 11. Aug. 1848. Frhr. v. Grotthusz, Hauptmann und
Kompagnie-Ehe im 7. Infanterie-Regiment.
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@facs | 0415 |
Magdeburg, 15. August.
Der konstitutionelle Club, die Volksversammlung, der Verein der jungen
Kaufleute, der Handwerkerein, der Gesellenverein, die
Maschinenfabrikarbeiter und die Gesangvereine hatten sich vereinigt, an der
Spitze eines Fackelzuges eine Deputation an Se. Maj. den König zu senden, um
demselben in einer Ansprache ihre Huldigung darzubringen und ihre Gesinnung
auszusprechen. Der von diesen Vereinen erwählten Deputation wurde nach
Vorlage der Anrede wegen einiger Stellen derselben vom Ministerpräsidenten
v. Auerswald und dem Oberpräsidenten v. Bonin der Zutritt zu Sr. Majestät
versagt. Indem wir uns noch einen genaueren Bericht zur Widerlegung
unsinnigster Gerüchte vorbehalten, veröffentlichen wir die vom
Ministerpräsidenten gestrichenen Stellen.
Majestät, wir erkennen die große Macht, welche Gott in dieser großen Zeit in
Ihre Hand gelegt hat; in Ihrer Hand liegt zum Theil das Geschick des nach
Freiheit ringenden Europa. Von der Gestaltung Preußens wird die Gestaltung
Deutschlands abhängen. Ohne Preußens innige Hingebung, ohne Preußens festen
und dauernden Anschluß kann Deutschland nicht innig, nicht groß und mächtig
sein, mit Preußen wird es die großartigste Macht der Welt.
Ew. Majestät Regierung wird Preußen festeren Schrittes, als bis heute
geschehen, (statt dieses Satzes sollte gesagt werden: festen Schrittes)
fortführen auf der Bahn volksthümlicher Entwicklung. Ew. Majestät kräftiges
Wort wird sicher dahin wirken, daß der Gegensatz zwischen Volk und Heer
völlig beseitigt werde.
[(M. Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0415 |
Königsberg, 14. August.
Die durch die letzten Vorgänge im Preußenvereine hervorgerufene Aufregung hat
ihre Früchte getragen. Die ganze bisher so ruhige Stadt ist wie umgewandelt
und ‒ die Sache der deutschen Einheit hat moralisch gesiegt. Das Stockpreußenthum hält sich sterbend durch einige
gedungene Arbeiter, die nebenbei in der letzten Sitzung Taschentücher und
Börsen stahlen, und durch die Säbel einiger kommandirten Unteroffiziere.
Der kommandirende General hat, mit Denunciationen überschüttet und durch die
Haltung der Nationalversammlung in der Schweidnitzer Tragödie imponirt, den
gemeinen Soldaten jetzt unbedingt das Tragen des
Seitengewehrs in Versammlungen verboten, den Offizieren es
anheimgestellt, aber befohlen, sogleich die Waffen niederzulegen, sobald die
Versammlung es verlange.
Vorgestern Nacht betrat nun die Epidemie der Katzenmusiken zunächst unseren
Boden; sämmtlichen Stiftern und Koryphäen des Preußenvereins wurden solche
gebracht. Mitten unter der musikalischen Menge standen Gensdarmen und
Polizeikommissäre ruhig und ohne einzuschreiten. Es haben jedoch schon
polizeiliche Untersuchungen begonnen. Am nächsten Abend brachte das Militär
allen Märtyrern der Katzenmusiken feierliche Ständchen, wobei „Ich bin ein
Preuße“ angestimmt wurde. Da das Volk an einigen Orten: „Was ist des
Deutschen Vaterland“ zu singen begann, so wurde von einem Unteroffiziere mit
scharfer Waffe eingehauen. Glücklicherweise entstand keine ernste Collision;
die Bürgerwehr trat zu starken Patrouillen zusammen. Der kommandirende
General ließ sofort der Militärmusik durch einen Adjudanten den Befehl
zukommen, sich zurückzuziehen, und so wollte es denn die Ironie des
Schicksals, daß sich bei dem Professor Meier, am
botanischen Garten, das nunmehr bloß in Gesang bestehende Ständchen in eine
Katzenmusik, demnach die zweite ihm zu Theil werdende, verwandelte.
Gestern war die Stadt nunmehr in tiefer Gährung. Da traten 15 Männer
zusammen, unter ihnen Dr. Falkson,
Ingenieurlieutenant Rüstov und Professor Heinrich, und beriefen zur Verständigung über die
deutsche Einheit eine große Volksversammlung.
Gestern Nachmittag waren 4-5000 Menschen zu derselben versammelt. Dr. Falkson ward zum Präsidenten erwählt und eine
Reihe von Rednern setzte dem Volke in so populärer Weise die hohen Vortheile
der deutschen Einheit auseinander, daß dies, in Verbindung mit einer
musterhaften Ordnung und Ruhe, der Partei der deutschen Einheit den
vollständigsten moralischen Sieg sicherte. Die Begeisterung erhöhte sich,
als ein Handwerker aus Kurland, der so eben vom Tann'schen Freikorps
entlassen war, der Gesellschaft vorgestellt und mit einem Hoch! begrüßt
ward. Bis spät in die Nacht durchzogen singende Volkshaufen und Patrouillen
die Straßen; das Militär hatte strengen Befehl nach 9 Uhr in seinem Quatiere
zu sein und die Straße zu meiden, und die Korporale hatten die Quatiere zu
revidiren.
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@type | jArticle |
@facs | 0415 |
[
!
] Kassel, 17. August.
Die Agitation für ein neues Wahlgesetz wächst. Die Provinzialstädte Marburg
und Hanau hatten den Impuls gegeben. Petitionen mit Tausenden von
Unterschriften laufen bei dem Ministerium des Innern ein, um sofortige
Vorlage eines neuen Wahlgesetzes an die Ständekammer. Das ganze Land scheint
gemeine Sache zu machen.
Da erwachte auch die Hauptstadt aus ihrer Lethargie. Der
demokratisch-sozialistische Verein regte in öffentlicher Sitzung die
Wahlgesetzangelegenheit an und beschloß, sich mit Männern aller Parteien zur
Erlangung eines neuen freisinnigen Wahlgesetzes zu verbinden. Er vereinigte
sich sofort mit Mitgliedern des Bürgervereins und des Arbeitervereins. Diese
und der demokratische sind die drei politischen Vereine Kassels.
Der Bürgerverein hielt es inzwischen nicht für möglich noch bei dem jetzigen
Landtag ein neues Wahlgesetz durchzubringen. Zu diesem Glauben hatte er
allerdings seine guten Gründe. Er beabsichtigte nur eine Agitation für den
zukünftigen Landtag.
Aber der Sturm im Lande wuchs. Und so gelang es denn gestern in einer großen
Volksversammlung, wie sie hier alle 14 Tage unter einem von 4000 Stimmenden
gewählten Volkscomité gehalten werden, den Wortführern der Agitation für
sofortige Einführung eines neuen Wahlgesetzes, Dr. Keller, H. Heise und
Wallach, die Volksversammlung zur einstimmigen Annahme ihrer Vorschläge zu
bewegen.
Diese Vorschläge bestanden darin: 1. vom Ministerium Vorlage eines neuen
Wahlgesetzes zu verlangen, ohne Zensus, ohne alle Standesunterschiede, mit
direkten Wahlen und Herabsetzung der aktiven Wahlfähigkeit auf 25 Jahre. Die
andern Städte verlangen blos Volljährigkeit für aktive und passive
Wahlfähigkeit Die lieben Kasselaner mögen davon noch Nichts wissen. Außerdem
scheint es ihnen sehr bedenklich, daß Städter und Landbewohner (Gewerb und
Ackerbau!!) zusammen wählen sollen. Außerdem ist dem Minist. erklärt worden,
daß es die Durchsetzung dieses Gesetzes als Frage seiner eignen Existenz
betrachten müsse. 2) Eine Petition an die Ständekammer um sofortige einstimmige Annahme eines solchen neuen
Wahlgesetzes. 3) Ein Aufruf an's flache Land sich zu betheiligen bei diesen
Petitionen und sich der Wahlen zum neuen Landtag
einstweilen zu enthalten.
Das demokratische Prinzip hat einen großen Sieg erfochten. ‒ Das aus dem
Bürgerverein hervorgegangene Wahlkomite wird sich nun wahrscheinlich mit dem
aus dem demokratischen und Arbeiter-Verein gewählten Wahlkomite und mit dem
Volksrath vereinigen, um gemeinsam alle Schritte zu berathen, ein neues
Wahlgesetz in's Leben zu rufen.
Alle Parteien haben gemeinsam den ersten Akt der Revolution nur mit Erlangung
eines demokratischen Wahlgesetzes für beendigt erklärt. Auf diesem Boden
wird dann der zweite Akt beginnen, der parlamentarische Kampf der Parteien
für den Sieg ihres politischen Prinzips.
Und die Ständeversammlung? Ihr wird unangenehm zu Muthe. Der Dr. Henkel, der
Hauptopponent, hat den Moment zu benutzen gewußt; er verlangte in der
Sitzung vom 15. ebenfalls ein
[0416]
neues Wahlgesetz auf den oben
angeführten Grundlagen. Die kurhessische Ritterschaft zitterte. Der
Präsident v. Brumbach ging mit hochherzigem Beispiel voran, indem er sich
bereit erklärte seinen Vorrechten zu entsagen. Aber die andern Herrn „zagen
und zaudern“; der eine Kammerherr hält die Kammer für inkompetent, der
andere Ritter will noch warten. Der Universitätsvertreter Professor
Bengk (der Philolog) und der Dep.
König (der Dichter) sind ähnlicher ritterlicher Meinung. Endlich
wird der Antrag Henkels zur „Erwägung gezogen“ und an die Regierung
verwiesen. ‒ Meinen Wunder, was sie gethan haben! Einstimmigkeit wäre nöthig
nach der Verfassungs-Urkunde wenn das neue Gesetz durchgehen soll. Es fehlt
noch Viel daran. Aber ich prophezeihe den Landständen kein sanftes
Ruhekissen, die ihr Veto einlegen. Auch das Ministerium Eberhardt wird sich
nicht auf lange halten können, wenn es sich gegen ein solches Gesetz
erklärt.
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@type | jArticle |
@facs | 0416 |
München, 14. Aug.
Eine nicht unbedeutende Ruhestörung verursachten
gestern Nacht 30-40 Soldaten verschiedener Waffengattungen bei einem Wirth
in der Löwenstraße. Nachdem dieselben ein gehöriges Quantum Bier zu sich
genommen hatten, demolirten sie das Wirthslokal und alles in demselben
Befindliche auf jämmerliche Weise, ohne daß die Polizei oder Militairbehörde
dagegen einschreiten ließ, obwohl das strafwürdige Verfahren volle drei
Viertelstunden dauerte. Ein anwesender Feldwebel von der Garnisonscompagnie,
der abwehren wollte, wurde von der tobenden Schaar verwundet, zwei in der
Nachbarschaft wohnende Bürger, die das Gleiche beabsichtigten, bis in ihre
Wohnungen verfolgt. Die Veranlassung zu diesem, wie es scheint, verabredeten
Krawall soll der Umstand gegeben haben, daß der Wirth vor einigen Tagen
einem sein Bier nicht zahlenden Unteroffizier den Säbel abnahm, nach andern
Angaben verschiedene Aeußerungen des Wirthes über das Militair
[(N. C.)]
@xml:id | #ar082_019 |
@type | jArticle |
@facs | 0416 |
Stuttgart, 17. August.
In Cannstadt kam es gestern in Folge einer Weigerung des Oberamtmanns, einen
als Polizeispion verhaßten Schriftsetzer, Namens Benz, der um elenden Sündenlohn mehrere Bürger und Arbeiter fälschlich denunzirt hatte, zur Bestrafung an das
Oberamtsgericht herauszugeben, der seine Anwesenheit auf dem Oberamt sogar
dem Stadtschultheißen von Cannstadt verläugnete, zu unruhigen Auftritten, wobei sich indeß sowohl die Bürger als die
Bürgerwehr sehr besonnen benahm, indem sie zwar auf die Auslieferung des
verätherischen Schurken bestand und ihn an das Oberamtsgericht ablieferte,
aber ihn auch auf dem Wege dahin, sowie bei seiner gleich darauf erfolgten
Ablieferung an das Criminalamt Stuttgart vor der Volkswuth schützte, indem
er sonst massacrirt worden wäre.
[(F. J.)]
@xml:id | #ar082_020 |
@type | jArticle |
@facs | 0416 |
Stuttgart, 18. Aug.
Sicherem Vernehmen nach ist die Untersuchung gegen die bis jetzt von der
großherzogl. badischen Regierung ausgelieferten, bei dem bewaffneten Einfall
in Baden betheiligten Würtemberger ‒ 31 an der Zahl ‒ durch höchste
Entschließung niedergeschlagen worden.
Gestern fielen in Kannstatt unruhige Auftritte wegen
eines verdächtigen Subjektes, Schriftsetzer Benz von Ulm vor. Derselbe trieb
sich schon längere Zeit arbeitslos herum, spielte den überspannten
Freiheitsmann und Anhänger Hecker's, soll aber dabei die Leute ausgeholt und
verathen haben, weßwegen schon seit einiger Zeit Mißstimmungen gegen die
Behörde herrschte, die sein Treiben gewähren ließ. Derselbe wurde nun
verhaftet und gestern hierher abgeführt, wobei ein kleiner Auflauf vorfiel.
Nachts gingen Patrouillen des hier liegenden 4. Reiterregiments in der
Richtung nach Kannstatt; weiter fand keine
militärische Einschreitung statt. Ein Bürger soll verhaftet, jedoch bald
wieder frei gegeben worden sein. Die Ordnung ist nicht weiter
[unleserlicher Text] worden.
[(Schw. M.)]
@xml:id | #ar082_021 |
@type | jArticle |
@facs | 0416 |
[
**
] Hamburg, 18. August.
Endlich ist auch in Hamburg die Volkssouveränetät anerkannt. Die
democratischen Vereine haben dem Senate den Beschluß abgenöthigt daß er eine
konstituirende Versammlung beruft, die ohne
Rath- und Bürgerschaft allein über die künftige Verfassung Hamburgs
entscheide. Senator Haller theilt heute der Deputation der demokr.
Vereinsversammlung den Bescheid des Senates mit, derselbe lautet:
„Nach sorgfältiger Erwägung der eingegangenen verschiedenen Petitionen ist
der Senat Seinerseits der Ansicht, daß die Feststellung der künftigen
Verfassung abseiten der zu diesem Zwecke zu berufenden konstituirenden
Versammlung unabhängig von Rath und Bürgerschaft zu beschaffen sein werde,
und wird Er daher Seinen Antrag an Erbges. Bürgerschaft hierauf
richten.“
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@type | jArticle |
@facs | 0416 |
[
61
] Wien, 16. August.
Das von früheren Spionen Metternichs redigirte Hofblatt „die Presse“ zeigt
sich heute sehr ungehalten darüber, daß der Reichstag in seiner Sitzung vom
14. den Antrag des Abg. Selinger auf Anerkennung der Armee-Verdienste um's
Vaterland so gänzlich hat abfahren lassen. Sie sagt: „Einen wahrhaft
betrübenden Eindruck mußte die Stimmung der Kammer bei Gelegenheit des
Antrags des Abg. Selinger auf diejenigen hervorbringen, welche die Ehre und
die Größe des Landes höher stellen, als Ansichten und Theorien der Parteien.
Herr Selinger hatte von der Kammer die Anerkennung des Ruhmes verlangt,
welchen die österreichische Armee durch Aufopferung und glänzende
Waffenthaten in Italien verdient hat. Ein solcher Antrag hätte der
Begründung nicht bedurft. Die Stimme des Parlamentes mußte ihn unterstützen,
sowie die Stimme des Volkes. Wir wissen es, es gibt in unserer Versammlung
eine Partei, welche Neues aufzubauen strebt mit gänzlichem Absehen von dem
Alten und Bestehenden. Sie ist eine Minorität, (?) aber sie ist gestern
insoweit durchgedrungen, als sie einen Beschluß unmöglich machte, dem
Einstimmigkeit allein Werth und Würde geben konnte. Glauben wohl die Herrn
der Linken, sie hätten den Ansprüchen des Auslandes gegenüber Oesterreich
(?) gekräftigt? Wird man nicht die öffentliche Meinung in Oesterreich selbst
anrufen, um gebetenden Ansprüchen mehr Geltung zu verschaffen? Wir wären
durchaus nicht erstaunt, wenn die französischen Journale und die
französischen Minister den Vorgang in der Versammlung vom 14. als
gefährliche Waffe gegen uns wenden sollten. Das Centrum, dem diese Ideen
nicht ganz ferne gelegen zu sein scheinen, hätte durch kräftiges Auftreten
das offene Wiederstreben der Linken und die berechnende Gleichgültigkeit der
Rechten überwinden müssen.“
Soviel ist gewiß, der Hof hat sich im Reichstag geirrt, die öffentliche
Meinung hat ihn für unmöglich gehalten; er scheint beiden zu trotzen. Graf
Stadion glaubte die 80 und mehr galizischen Bauern, welche im Reichstag
sitzen und kein deutsch verstehen, wie ein Leithammel führen, und nach
seinen Zwecken benutzen zu können; Pillersdorf hoffte auf eine ähnliche
Umscharung durch deutsche Bauern. Doch, in den Sprachen verschieden, haben
all diese Leute ein gemeinsames Gefühl, ein gemeinsames Wollen aus der
Heimath mitgebracht, und dies ist ihre gemeinschaftliche Sprache. Sie alle
reden die Sprache der Demokratie und lernen sie täglich, je mehr sie ihre
Leithämmel erkennen, besser reden. Anfangs stimmte der Bauer nach dem Wink
der Pillersdorfs und Stadions, jetzt besucht er die Klubs und unterrichtet
sich in den Abendzusammenkünften der, obwohl national gemischten, doch nur
die eine Sprache der Demokratie redenden Linken, so wunderbar rasch, daß er
selbstständige Anträge zu stellen und, wenn auch mit ungeübter Zunge, à la
Popiel, zu reden beginnt.
Mit Ungarn scheints zum ernstlichen Zwiste zu kommen. Finanzminister Kossuth
hat den öffentlichen Kassen Ungarns verboten, die österreichischen 1 und 2
Guldenzettel anzunehmen. Zugleich hat er die Ausfuhr des Silbergeldes nach
nichtöstereichischen Ländern gänzlich verboten, nach Oesterreich aber darf
Niemand über 500 fl. Silbergeld führen. Für das mit Beschlagnahme
aufgegriffene Geld erhält der Eigenthümer ebensoviel in österreichischen
Banknoten und das Silber wird an die öffentlichen Kassen abgegeben. Diese
Verordnungen sind Repressalien gegen ähnliche Verordnungen des Wiener
Finanzministeriums. Die Krämerwelt Wiens ist vor Wuth über Kossuth außer
sich. Man nennt in öffentlichen Blättern Kossuth einen Dieb, den Erzherzog
Stephan einen Verräther, weil große aus der Türkei durch Ungarn geführte
Silbersendungen nach dieser Verordnung in die ungarischen Kassen spaziert
sind und die Adressaten in Wien nur östreichische Banknoten dafür erhalten
haben. Der Kamarilla ist nichts erwünschter, als diese Stimmung Wiens; sie
kann die Ungarn dann von allen Seiten packen. Ihre Blätter bieten Alles auf,
das Verfahren Kossuths im März, wo er den Schrecken des östreichischen
Absolutismus benutzt habe, das separatistische Bestreben Ungarns
durchzusetzen, als eine niederträchtige Perfidie darzustellen; auch zu der
List hat sie gegriffen, die Ungarn als politische Reaktionäre darzustellen
und Jellachich ist, um dies zu beweisen, sogar so weit gegangen, unter dem
Vorbehalt der kaiserl. Genehmigung, den Gränzern ganz besondere Rechte
einzuräumen. Ich sende Ihnen die deshalb von ihm erlassene Verordnung
beifolgend mit. Sie lautet:
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@type | jArticle |
@facs | 0416 |
Agram, 12. August.
Der Ban verordnet in Berücksichtigung der ganzen
Monarchie, für deren Integrität das Grenzvolk die meisten
Opfer leistet; in Erwägung der kritischen Verhältnisse
diesesLandes, auf dessen Demoralisation man von so vielen
Seiten einzuwirken nicht ansteht; in Erwägung der gedrückten Lage
der Militärgränze überhaupt, wo schon die Möglichkeit eines anarchischen
Zustandes um jeden Preis vermieden werden muß, auf Grundlage der gefaßten
und Sr. Majestät dem Kaiser zur allerhöchsten Bestätigung vorgelegten
Landtagsbeschlüsse und mit Rückblick auf die ertheilte Konstitution für die Gesammtmonarchie, ‒ zur Erleichterung des
Grenzvolkes in Anhoffnung der allerh. Bestätigung
der eingesendeten Gesetzvorlagen unter anderen folgende Begünstigungen und
Zugeständnisse in Wirksamkeit treten zu lassen, und zwar:
Das unbewegliche Vermögen des Grenzvolkes ist dessen wahres Eigenthum.
Die Gemeindehutweiden sind ein Eigenthum der Gemeinden.
Aus den Aerarial-Waldungen sind den Grenzhäusern alle Bedürfnisse auf die
möglichst leichte Art zu erfolgen.
Jeder Grundvertrag kann schriftlich vor der Compagnie-Session rechtsgiltig
unter Beobachtung der bevorstehenden Normen abgeschlossen und ohne weitere
Umstände durch die Compagnie mit Hinterlegung eines Pare in den Akten im
Grundbuch behandelt werden.
Die Grenzjugend hat ohne Ausnahme das Recht niedere und höhere Schulen zu
besuchen, und Handwerke zu erlernen.
Die Familientheilungen sind unter erleichterten Bedingungen anstandlos zu
gestatten:
Jeder Grenzer kann aus einem Hause in ein anderes Grenzhaus mit Einwilligung
der beiderseitigen Familien und der Kompagnie Session übertreten, wenn seine
Militärpflicht dadurch nicht umgegangen wird.
Die bisherige Aerarial-Arbeit wird ganz aufgehoben.
Die bisher gegen Aerarial-Arbeit beigestellte Vorspann ist künftig auf
kriegskommissariatisch angewiesene Marsch-Routen gegen Bezahlung in conto
aerarii beizustellen, wobei jedoch alle Mißbräuche streng hintanzuhalten
sind.
Vom Salzhandel wird keine Steuer gezahlt.
Die Preise des Meersalzes sind herabgesetzt.
Auf den Waldblößen ebenso als in den offenen Waldungen ist die Waldweide
unentgeldlich gestattet.
Die Grenzer können auf eigenen Grundstücken auch Waldanlagen machen.
Die Heirathslicenzen sind dem Grenzvolke bei der Compagnie-Session zu
erfolgen.
Zwangsweise Kommandirungen gegen Bezahlung, mit Ausnahme der Vorspann auf
Marsch-Routen, dürfen nicht stattfinden.
Das Recht der freien Holzung, Viehweide und Mastung zum häuslichen Bedarf
steht allen Grenzbewohnern zu.
Die im Dienste erkrankten Grenzer haben auch fernerhin ab aerario die
Medikamente zu erhalten
Mit Ausnahme der Grundstücke kann jeder Grenzer ein eigenes Vermögen
besitzen.
Der letzte Sprosse einer Haus-Kommunion kann auch über Grundstücke
testiren.
Da alle grundbesitzenden Grenzbewohner gleiche Rechte und gleiche Pflichten
haben, so ist der unbeschränkte Grunderwerb auch allen Offizieren, Beamten,
Geistlichen, Grenz-Handels- und Gewerbsleuten, welche in der Grenze
beständigen Wohnsitz haben, gestattet.
Die Worte: „in Anhoffnung allerhöchster Bestätigung“ werden dabei wol der
Rückhalt zum spätern Wiederabnehmen.
Das Schwarzgelbthum [unleserlicher Text] ist entzückt über die
französische Regierung; ihre Verweigerung Karl Albert zu Hülfe zu eilen, hat
es außer sich gebracht. Die Presse bringt in dieser
Beziehung seinem ganzen Inhalte nach einen Aufsatz der Estaffette, worin
unter Anderem gesagt ist: „Die sardinische Regierung hat es für nöthig
erachtet, die französische Intervention anzusuchen, was gestern durch
Marquis Rieci geschehen ist. ‒ Ohne eben in die Details der Konferenz
einzugehen, können wir versichern, daß die französische Regierung dem
sardinischen Könige ihr aufrichtiges Bedauern
ausgedrückt hat, daß sie ihm den materiellen
Beistand heute nicht mehr zusichern könne, den sie ihm vor zwei Monaten
angeboten habe. Bei den ungeheuren Veränderungen, welche seit der Zeit in
Europa stattgefunden haben, (der Schacher-Kalkul und seine Fußschemel, die
Throne, sind wieder Herr geworden) könnte Frankreich nicht interveniren,
ohne einen allgemeinen europäischen Krieg herbei zu führen. Frankreich werde
übrigens aus Sympathie (Schacherhohn) für die italienische Unabhängigkeit sich mit dem
englischen Kabinette in Einvernehmen setzen u. s. w.
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@type | jArticle |
@facs | 0416 |
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61
] Wien, 16. Aug.
Unter dem Vorwande der Beeinträchtigung der Kommunikation haben
Sicherheitsbeamte der Stadthauptmannschaft (gegenwärtiger Name der Polizei)
gestern den Versuch gemacht, die fliegenden Buchhändler mit ihren fahrenden
Magazinen, Trompeten und sonstigen Ausrufungsinstrumenten vom Michaeler- und
Stephansplatz zu vertreiben. Die neue Industrie leistete indessen kräftig
Widerstand und behauptet heute wieder ihre Posten. Wenn Sie uns keine
rheinländischen Schacher- und Konstabler-Genies hieher schicken, gehen wir
wahrhaftig in der Anarchie, diesem steten Freiheitsprügel des
Philisterthums, unter. In Hietzing soll es am Sonntag zwischen Studenten und
zurückgekehrtem schwarzgelbem Junkerthum zu Händeln gekommen sein. Die
Studenten hatten den Ort, eine Sommersprosse Schönbrunns, welches nebenan
liegt, auf gewisse, Ihnen mitgetheilte Gerüchte hin, rekognoszirt, sich dann
bei dem Aristokratenwirth Dommayr niedergelassen und auf diese Weise die
Kamarilla und ihre Trabanten in Angst und Besorgniß versetzt.
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@type | jArticle |
@facs | 0416 |
[
61
] Wien, 16. Aug.
(21. Sitzung des Reichstags vom 14. Aug. Vorsitz: Strobach; Tagesordnung,
Berathung über den Antrag Kudlichs auf Aufhebung der
Unterthänigkeitsverhältnisse).
Nachdem schon in der Sitzung vom 13. die Berathung in Folge der erschöpften
Amendements mit einer langen, unerquicklichen Rede des Abgeordneten Jonak ihren Anfang genommen ward dieselbe in einem
Vortrage Trogans fortgesetzt, dessen wesentlichen
Inhalt ich bereits gestern referirt habe. Hierauf interpellirte der Abg. Smolka den Minister Dobblhof, indem er einen
amtlichen Erlaß des Kreisamtes zu Zolkiem vorwies, wonach dieses auf eine
Verfügung des Landesguberniums vom 29. Juni erklärt, daß es den
Nationalgarden nicht erlaubt sei, außer ihrem Orte Waffen und Uniformen zu
tragen, und daß ferner die Ausweiskarten der Kommandanten nicht als
Legitimationsdokumente gelten sollen. Zuwiderhandelnde sollen angehalten und
vom Kreisamte unter Eskorte oder gebunden an das Lemberger
Nationalgardenkommando abgesendet werden. Daraus könne man entnehmen, wie
das Landespräsidium in Galizien durch die Kreisämter regiren lasse und wie
es komme, daß das Landvolk gegen das Institut der Nationalgarde mißtrauisch
sei. (Soll die metternich'sche Banditenpolitik nun vielleicht auch gegen den
polnischen Bürgerstand ausgeführt werden?) Er frage daher das Ministerium,
ob jene Verfügung in Folge eines Ministerialerlasses geschehen, ob dasselbe
davon Kunde habe, und was es zu thun gedenke, um den inkonstitutionellen Akt
rückgängig zu machen?
Dobblhof: (à l'ordinaire) der Vorgang sei dem
Ministerium nicht bekannt und stimme nicht mit den Grundsätzen überein, die
das Ministerium bezüglich des Instituts der Nationalgarde eingehalten wissen
will. Er könne den Vorgang nicht billigen, sei dem Interpellanten für dessen
Mittheilung verbunden und werde das Nöthige sogleich veranlassen.
Meimershoffer: Der Amtmann in Wisowitz habe in Lippa
die Ablieferung der Waffen verlangt und, weil er sie nicht erhalten, vom
Kreisamte Dragoner requirirt, Haussuchungen gehalten und die Waffen
weggenommen; ob jene Verletzung des Hausrechts nicht auf höhern Befehl
geschehen sei? (Man befürchtet hier eine Erhebung Galiziens).
Dobblhof: So lange die Sache nicht amtlich konstatirt
sei, könne er nichts vornehmen. (?!)
Demel interpellirt wegen Verletzung des
Briefgeheimnisses, indem er einen erbrochenen Brief, den er an seine
Kommittenten gesendet, vorzeigt. Dobblhoff weist
jede Zumuthung, als ob das Ministerium das Briefgeheimniß nicht achte,
zurück. Die Verletzung sei bei Briefen, die spät kommen und schnell
eingepackt werden müssen, oft eine Folge der Manipulation, (gar zu naiv,
weil sehr wahr).
Finanzminister Kraus: Die Sache gehe ihn an; er habe
Befehl gegeben, das Briefgeheimniß zu achten. Auch vor einigen Tagen sei ihm
ein solcher Fall mitgetheilt worden; er erbittet sich den Brief, nimmt ihn
mit und verspricht Untersuchung. Löhner interpellirt
1) wider das Abhalten von Provinziallandtagen, 2) wegen der bewaffneten
Sonderkorps (Swornost) die sich in Prag gebildet, und ob dieselben der
Nationalgarde gegenüber bestehen könnten? ‒ Dobblhof
ad 1) der Interpellant werde wohl einsehen, daß einige Zeit erforderlich
sei, so viele Fragen zu beantworten; er werde dies in der nächsten Sitzung
thun; ad 2) verspricht er ein Nationalgardegesetz bald vorlegen zu können.
Was aber die Swornost anbetreffe, so könne das Ministerium über einen
Gegenstand, der in Verhandlung begriffen ist, nie sagen, was es thun
werde.
Der Kriegsminister theilt den von Radetzky mit Karl Albert abgeschlossenen
6wöchentlichen Waffenstillstand mit.
Schon nach den ersten Siegesberichten im Juli hatte der Abg. Selinger den Antrag gestellt, der Reichstag möge
erklären, die Armee Italiens habe sich um das Vaterland verdient gemacht,
allein dieser Antrag wurde Kudlich's Antrag, weil dieser dringlicher sei,
von Anfang an hintangesetzt.
Präsident: erhält der Antrag des Abg. Selinger Unterstützung?
Wird unterstützt. (Ruf von mehren Seiten! Tagesordnung! Tagesordnung!)
Präsident stellt die Frage, ob die Versammlung zur Tagesordnung übergehen
wolle; sie bleibt in der Minorität. Bielinski: Man
hätte diese Frage gar nicht stellen sollen.
Präsident: Ueber jeden Antrag muß angefragt werden. Er stelle jetzt die
Frage, ob man dem Abg. Selinger 10 Minuten zur
Begründung seines Antrags gewähren wolle. (Angenommen).
Selinger will die Tribüne besteigen, findet aber den
für den Kudlichischen Antrag eingeschriebenen Redner Schneider schon dort,
weßhalb ihn der Präsident ersucht, von seinem Sitze aus zu sprechen. (Ruf
von mehren Seiten: Auf die Tribüne. ‒ Schneider verläßt dieselbe).
Selinger: (Auf der Tribüne). Die Armee habe neue
Blumen in den alten Siegeskranz Oesterreichs gewunden; ein Reich, welches
auf solche Siege hinweisen könne, sei kein Reich des Verfalls, sondern ein
Reich des Emporblühens, dem eine glänzende Zukunft winke. Es liege den
Nationen die Pflicht der Dankbarkeit ob, wenn ihre Krieger ihnen materielle
Vortheile erkämpfen. Ob es etwa ein Kampf gewesen sei, der Millionen hätte
knechten und ihrer Freiheit berauben sollen? Man habe die Zusicherung des
freisinnigen (?) Ministeriums, man habe das Wort, das vom Throne herab
geklungen, daß nicht Unterdrückung Zweck des Kriegs gewesen u. s. w. Er
trage daher darauf an, daß man sich jeder Debatte entschlagen (nein! nein!)
und erklären solle, die Armee habe sich durch ihre Tugenden um das Vaterland
verdient gemacht, die Völker zollen daher ihrer Tapferkeit die verdiente
Anerkennung. Er fordere den Präsidenten auf, ob man sich jeder Debatte
enthalten und diesen Entschluß annehmen wolle? (Nein! nein! ja, ja!)
Borokowski: Er habe sich früher für diese Frage
bereits einschreiben lassen.
Präsident: Der Beschluß der Versammlung, daß der Abgeordnete seinen Antrag
begründen solle, sei bereits erfüllt; es müßte ein neuer Beschluß gefaßt
werden, ob jener Beschluß zur Abstimmung kommen solle, was unthunlich
sei.
Selinger: Sein Antrag sei mit Akklamation angenommen
worden. (Von allen Seiten: Nein, nein!)
Präsident: Nach dem Stand der Debatte hat der Abg. Schneider das Wort:
Schneider aus Schlesien: Ich will Sie nicht durch
Deklamationen ermüden, meine Absicht ist blos, einen Strahl des Lichts in
die Nacht eines Gebietes hineinzubringen, das nahe liegt. Wenn ich für den
Abgeordneten Kudlich das Wort ergreife, so drängt
mich dazu die Menschlichkeit und offenliegende Gerechtigkeit, die
Nothwendigkeit und Dringlichkeit des Gegenstandes. Soll die Verfassung
volksthümlich sein, so darf kein Stand einen wichtigern Platz darin
einnehmen, als der wackere Bauernstand. Ich will nicht wie die Katze um den
Brei gehen, ich will entschieden sprechen, ich will, daß der Landmann von
der Unterthänigkeit frei sei; daß er nicht abhängig sei von Gesetzen, durch
welche Willkühr, Laune und Gewalt ihn ausbeuten. Warum so viele Klagen, die
hier zusammenströmen, daß der Tisch des Hauses darunter zusammenzubrechen
droht? Wenn wir beim Durchlesen des Registers der Giebigkeiten und Arbeiten
schon bei den bloßen Namen kaum zu Athem kommen können, wie viel mehr ist es
unmöglich, das zu bezeichnen, was den Menschen niederdrückt. Ein
Abgeordneter aus Tirols Alpenland, vielleicht aus Sympathie für ein anderes
Alpenbrüdervolk, hat das Auge der Versammlung hingerichtet auf das Volk in
den Sudeten, auf ein Land des Elends. Dies Land heißt: Schlesien. Darauf
schildert der Redner das Elend Schlesiens und dankt mit einem Gott lohn' es
euch! für den Beistand Wiens. (Anhaltender Beifall). Was der Himmel schickt,
das wendet er, aber was der Mensch dem Menschen zufügt, weicht schwer, ist
schwer zu ertragen. (Beifall). Schwer trägt der Schlesier, er scheut die
Arbeit nicht, will sie aber nicht leisten, wie der Sklave, der nur der
Geißel des Drängers folgt. Er will nicht blos mit sauerm Schweiße den Boden
allein düngen, er will ihn Eigenthum nennen, will frei sein. Die neue Zeit
der Freiheit hat das Rechtsgefühl in seiner Brust geweckt, und er fragt,
warum geht der Ruf, der andern ertönt, mich nicht an? Warum bin ich allein
auserkoren, die Wege zu machen und die Straßen zu bauen? warum ergeht an
mich allein der Ruf: „Bauer spann' an!“ während die Pferde der Herrschaften
sich an der Krippe mästen? Sehen Sie in das schlesische Gebirge, da finden
Sie einzelne Hütten zerstreut, der Rauch durchzieht sie, armselige Menschen
bewohnen sie, deren einzige Nahrung Haferbrod ist. Dort gibt es
Dominikalklagen, welche zeigen, wie die Obrigkeit ihre Verträge hält. Dort
muß noch Miethzins und Steuer bezahlt werden. Dort lastet noch die Robot auf
dem Häusler, obwohl sie in der reichern Provinz Mähren bereits abgeschafft.
Dort gab es Fälle, wo das Laudemium dreimal nacheinander gefordert wurde.
Mir blutet das Herz, wenn ich an Schlesien denke, aber ich spreche gleiches
Recht an für alle Landleute. Das Volk verdiene es, es legt den Kern, der den
Boden abgeben soll für die neuen Institutionen. Das Herz wird mir weit, wenn
ich bedenke, wie die Leute heranreifen werden unter der Sonne der Freiheit.
Es gibt große Schwierigkeiten, den Knäul zu lösen, aber mit Muth, mit Eifer,
mit Fleiß, wird man ihn lösen können. Ich will, daß wir alle beitragen, um
auf die Linie zu kommen, wohin wir streben, auf das Feld der Demokratie!
(Rauschender Beifall) wo alle sich die Hände reichen, daß das Wort in
Erfüllung gehe: „Liebe und Friede werden einander küssen.“ In ihrer
Erfahrung und in ihrem geprüften Leben haben die Landleute ein corpus juris
und natürliche Pandekten in ihrer Brust, die nicht leicht irre leiten. Wenn
die Arbeiterklasse im Momente großer Aufregung die wildtobenden
Leidenschaften zurückdrängen konnte, wie können wir zweifeln, daß dem
Landvolke ein solcher gesunder sittlicher Sinn fehle? Armes Volk, wir wollen
uns deiner annehmen. Die Kammer darf keinem Terrorismus weichen, weder dem
der Bajonnette, noch dem der Keulen. Aber die Verzweiflung tritt ein, wenn
der Hoffnungsstern erbleicht.
Popiel, Grundbesitzer und Abgeordneter aus Starasol
in Galizien, in gebrochener Mundart. Es gebe nur ein Recht, und dieses Recht
kenne keine Bedingung, keine Ausnahme. Sobald man aber die Frage, ob das
Unttrthänigkeitsverhältniß ungerecht sei, in's Klare gekommen, dann sei es
auch an dem Reichstage, ohne alle Bedingung die Lasten desselben aufzuheben.
Das historische Recht spricht für die Dinge wie sie sind, das natürliche wie
sie sein sollen. Nach ersterem wäre es zu gewagt, behaupten zu wollen, das
Unterthänigkeitsverhältniß sei darum gerecht, weil Deutschland ursprünglich
nur von Baronen, Freiherren und Grafen besetzt worden sei, so wie das Land
der Slaven von Starosten und Wojwoden, das anzunehmen, wäre wohl zu gewagt!
(Allgemeine Heiterkeit.) Es ist ferner wohl richtig bemerkt worden, daß den
Grund und Boden des Landmannes der Grundherr besessen, und ihm unter
Bedingung verkauft habe, ich frage aber, kann irgend wer mehr Recht
verkaufen, als er je besessen? Glaubt das ein Grundherr, so appellire er an
die Geister seiner hohen Ahnen. (Stürmischer Beifall.) Das historische Recht
ist nicht von gestern, das kann uns nicht binden ‒ das wahre historische
Recht dringt auf unbedingte Auflösung des Unterthänigkeitsverhältnisses.
Nach dem Rechte der Natur? hätte dann der höher Geborene etwa mehr Recht als
der Geringe? (Beifall.) Man hat sich sogar diese Tage auf die Bestätigung
der Robot durch Kaiser und Fürsten berufen, wollten wir hier alle die (Siehe den Verfolg in der Beilage.)