Französische Republik.
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] Paris, 11. Aug.
Jetzt erst wird eingestanden, daß in dem ersten Zuge Transportirter die
Mehrzahl aus alten Soldaten, Municipal- und sehr vielen Mobilgardisten
bestanden, denen man ihre Uniformen gelassen hat. Das ehrenwerthe
„Kommerce“, das das Leibjournälchen sämmtlicher Wechsel und Börsenagenten,
seufzt tief und spricht: „also selbst unter diejenigen, die für ihr
Waffenhandwerk und zu unserm Schutz redlich (?) besolden, ist die Schlange
der Verführung eingedrungen! Gott, Gott, in welcher Zeit leben wir!“ und es
wirft einen Liebesblick auf die biedern Bauern die an der alten Ordnung
festhalten werden, wenn auch nochmals die fieberhaft erregten Städtearbeiter
aufstehen sollten.“ Diese biedern Bauern, erzählte George Sand in der „Vrai
Republique“, waren noch vor kurzem in der Touraine des Glaubens, zu Paris
hause „ der grausame und düstre Herzog Rollin“ (duc Rollin, statt
Ledrürollin) der eine Armee aus allen Galeersträflingen formire und eine
andere aus öffentlichen Dirnen um so die Provinzen zu plündern und die Güter
zu theilen; sein Verwalter sei der Hexenmeister (Sorcier) „Pater Komüniß“
(père Communisse). George Sand berichtet, man habe ihr auf ihrem dortigen
Landgute seit Februar mehrmals nach dem Leben getrachtet, obschon die Bauern
sie früher verehrten. Sie erklärt eine Menge aristo- und büreaukratischer
Umtriebe, und schließt: „jetzt schwimmt ihr oben, Reaktionsmänner, und laßt
euch bequem tragen von dem starken Arme des von euch verdummten Landvolks;
aber sein Geist ist so unverdorben, sein Herz ist so urkräftig, daß es
vielleicht bald eure Tücken durchschauen lernt und dann ‒ werden wir euch
noch schützen müssen vor dem unversöhnlichsten Grimm des Landmanns, wenn er
einsieht wie arglistig ihr ihn betrogen; bis dahin, gehabt euch wohl und
erfreut euch eures schmutzigen Sieges.“ Vorläufig freilich blüht der
Bourgeois-Absolutismus, wovon die gestrige Kammersitzung wieder ein Pröbchen
gab. „Der Justitzminister Marie ist ungefähr auf dem Standpunkt Duchatels
angelangt, die Todten reisten verdammt schnell, und wir gratuliren dem
Extribun der Preßfreiheit für seine hurtige Krebsreise seit dem 24. Juni;
auch möge das Publikum nicht vergessen, daß er im Fünferausschuß wie im
Provisorium stets der Knüttel im Wagenrad gewesen, und durch seine barsche
Paschaantwort die er den Delegirten der Nationalateliers in's Gesicht
krähte, einen fürchterlichen Theil der Veranlassung des Aufstandes trägt.
Möge unser Chef der Exekutive sich nur bald von diesem Renegaten losreißen!“
(Vraie Republique) ‒ Ausrufer des Proudhon'schen Journals hat der Herr Dr.
med. Ducour, dermalen Polizeipräfekt, arretiren lassen, angeblich weil sie
keine Permission geholt; auch verdient die Mobile wieder Sporen bei dieser
Blätterjagd; ja, die Polizei droht jedem Ausrufer die Permission zu nehmen,
der jenes Journal verkauft. Das Journal des Debats, jetzt offenbar
offizielles Blatt, sagt, Cavaignac habe erklärt, der Degen allein könne die
Gesellschaft nicht mehr schirmen, und er appellire an die Männer der Wien
schaft; Thiers, Cousin (der Plagiator); Troplong (der Verfasser des
miserablen Buches „Einfluß des Christenthums auf das Recht“) und Gustav
Beaumont (der hohle Schädel und „Menschenfreund“) werden eine Reihe von
Volksbüchern schreiben, um den Blousenkerlen Liebe zur Familie, zum
Eigenthum, zur Kirche und zur Justiz einzuimpfen; das Ding wird vor der
Akademie verhandelt. Hiezn la Republique: „Sehr brav, allein wenn nun der
arme Mann Hungers stirbt, und er weiß nun, infolge der akademischen
Traktätlein über Staatswirthschaft, daß er verhungert
kraft eines akademisirten Nationalökonomiegesetzes, also recht
secundum artem: ist damit etwas gewonnen? Von den ersten 2718 Gefangenen
sind 1396 entlassen, 1206 zur Deportation verurtheilt, 116 vor's
Kriegsgericht geschickt. Letztere sind geradezu Chefs der Barrikaden, oder
eifrige Demokraten, die man durch Denunzirung und Lüge mit jenen assimilirt;
z. B. Nationalgardeoffiziere, die ihre Kompagnie nicht auf die Insurgenten
schießen ließen, und mit dem Ruf: vive la république bei der Barrikade
vorbeizogen, sind als Barrikadenchefs einregistrirt worden. Hier einige
Namen: Ansart, Lieutenat der Nationalgarde; Aury, Kapitän in der
Nationalgarde des Weichbilds; Belot, Nationalgardenlieutenant; Bisson, Ronda
Kapitäne in der 11. Legion; Constantin, Stabsoffizier; Brün, Moreau,
Lieutenant und Kapitän in der 12. Legion; Chaudesaignes (Vater und zwei
Söhne) Korporal und zwei Sergenten in der 12. Legion; Dr. med. Grandchamp,
Maire des 12. Arrondissements; Ottin, Kapitän in der 11. Legion; Jarquinet,
Kapitän; angeklagt als Kommandanten der Insurgenten, oder als Aufwiegler mit
Geld und Wort. Nur wenige sind Militärdeserteurs, noch weniger sind schon in
Kerkern gewesen; manche sind in Kontumaz verurtheilt, so der Major in der
12. Legion, Professor Dupont am Lyceum Corneille. Der Galeerensträflinge
sind so ungemein wenige, daß der Constitutionel jetzt wieder sehr lächerlich
dasteht mit seinen 19,700 Bagnobewohnern, womit er Paris beschenkte; die
(sehr undemokratische) „Gazette des Tribunaux“ und „le Droit“ rapportiren
unter den ersten siebentausend nur 160. „Gut, ihr werdet transportiren,
vielleicht füsiliren, und einkerkern und des Aktivbürgerrechts berauben, und
unter das Auge der Polizei stellen, nach eurer Herzenslust. Ihr seid die
Herren, wenn auch eben nicht von Gottes Gnaden, so doch von Macht und Geldes
und Kanonen Gnaden, und ihr hofft immerdar oben zu bleiben. Bedenkt aber, am
24. Februar hätte das Volk die Herren Barrot, Thiers, Hauranne, Duchatel,
Hebert, Montalembert kurz, alle Wortführer der Aristokratie, füsilirt oder
nach den Markesasinseln transportirt: wie stände es jetzt? ‒ und glaubt ihr
denn an keinen Vergeltungstrieb im menschlichen Herzen?“
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Paris, 11. Aug.
An der Börse geht das Gerücht: Oestreich nehme die englisch französischen
Vermittelungsvorschläge unter der Bedingung an, daß man ihm eine bedeutende
Kriegssteuer zahle.
‒ Zwei neue Linienregimenter traten gestern von hier ihren Marsch an die
Alpen an, wo sie die Observationsarmee verstärken sollen.
‒ Der neueste Bankbericht, der bis zum 10. reicht,
gibt die Höhe der leidenden Papiere immer noch auf
nahe an 32 Mill. Francen an, wovon 20,691,549 Fr. 53 Cent. auf Paris allein,
und 10,973,123 Fr. auf diejenigen Hülfsanstalten kommen, welche sich bis
heute mit der hiesigen Bank vereinigt haben. Wehe dem Handelsstande, wenn
die Bank auf unserem Platze zu exekutiren anfängt! ‒ Der Staatskasse
verblieben von den zuletzt geliehenen 50,000,000 Fr. bis gestern nur noch
18,725,583 Fr. 21 Cent. Sonst bietet der Bericht nichts Merkwürdiges.
‒ Dem National wird aus Constantinopel, offenbar von einem Gliede der
dortigen Gesandtschaft, ein langer Brief geschrieben, der das Datum vom 25.
Juli trägt und neues Licht auf die Ereignisse in der Moldau und Wallachei
wirft. Er bestätigt ferner, daß General Aupick die gemessensten Befehle
erhalten hat, auf Anerkennung der Republik zu dringen, Die Pforte, heißt es
weiter, hegt entschiedene Zuneigung für Frankreich; aber die In-
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triguen Rußlands lenken alle ihre Schritte. Ihre einzige
Hoffnung, den Russen an der Donau die Spitze zu bieten, besteht in der
entschlossenen Haltung der Wallachen . . . . . Auch wäre es wünschenswerth,
wenn die Vertreter Preußens, Oestreichs und Englands sich den Protestationen
Aupicks sofort und zwar energischer beigesellten, was um so dringlicher, als
Aupick noch nicht nicht anerkannt ist.
‒ Der Effektivstand des französischen Heeres beträgt laut amtlichen Berichten
im gegenwärtigen Augenblick 522,127 Mann.
‒ Gestern zog unter starkem Militärgeleit ein neuer Transport Insurgenten,
die in der Richtung der Forts von Romainville liegenden Straßen. Viele von
ihnen schritten, trotz der geknebelten Arme, muthig und aufrecht. Die
Mehrzahl sah aber verzweiflungsvoll und leidend aus. Nicht selten hörte man
den Rauf aus ihrer Mitte: „Schießt uns nieder, nur verbannt uns nicht in die
Kolonien!“ Es lag etwas Herzzerreißendes in dieses Tönen. Die gaffende
Volksmenge bemitleidete die „Räuber“ und Vieler Augen wurden naß.
‒ Die Verpflegung der Insurgenten kostet der Staatskasse täglich 17,500
Francen.
‒ Die „Reforme“ theilt von Robert Owen folgenden Brief mit:Ursache der allgemeinen Anarchie, alleiniges Mittel, ihr
abzuhelfen.
Als die Gesellschaft, noch ohne alle Erfahrung, in Ermangelung von Thatsachen
nur durch bloße Muthmaßungen und auf's Gradewohl sich Rechenschaft geben
konnte über sich selbst, über die Erde und Alles was sie anbelangte, was
Wunder, wenn diese ersten Muthmaßungen ganz und gar irrthümlich waren? ‒
Viele Jahrhunderte verflossen, ehe sie sich hinlängliche Kenntnisse von
Thatsachen erworben hatte, um aus denselben Konsequenzen ziehen zu können
und noch jetzt ist sie noch in dieser Beziehung in ihrem ersten Kindesalter.
Die Welt wird von einer Menge falscher und vaguer Fiktionen regiert, die mit
den Thatsachen in direktem Gegensatze stehen. Tausend und tausend Uebel
haben ihren Grund einzig und allein in abgeschmackten und dummen
Erfindungen. Durch Beobachtung sind viele Menschen dahin gekommen, daß sie
die ganze Ausdehnung dieser Abgeschmacktheit aufgedeckt haben: es entstand
daraus ein Kampf auf Leben und Tod zwischen der Unwissenheit und den von
unsern Vorfahren uns vererbten Lügen; die Wahrheit ist nichts anderes als
die Wissenschaft, welche uns die seit 100 Jahren sich aufeinanderfolgenden
Entdeckungen gelehrt haben.
Dieser Konflikt zwischen der alten Lüge und der jungen Wahrheit ist die wahre
Ursache der Anarchie, welche in der sogenannten civilisirten Welt herrscht,
und der Verfolgungen, welche man zu erleiden hat, wenn man von diesen
falschen und beklagenswerthen Konsequenzen zu den wahren Ideen, und zu den
ihnen entsprechenden Einrichtungen übergeht.
Mittelst der Vorurtheile der Welt, richten die alten Notabilitäten noch alle
unwissenden und brutalen Kräfte gegen die Wahrheit; aber diese Notabilitäten
werden bald zur Erkenntniß kommen, daß Unwissenheit und Betrug nicht lange
ringen können mit der Wissenschaft und der Biederkeit, ohne sich der Gefahr
auszusetzen, jeden Tag ein wenig von ihrer Kraft und ihrem Einflusse auf die
Massen zu verlieren. Da sie doch früher oder später genöthigt sein werden,
eine Veränderung im Sinne der Wahrheit zu Gunsten des menschlichen
Geschlechts geschehen zu lassen, so thäten sie besser, diese Wahrheiten zu
lernen, um sie dann dem Volke zu lehren und die ihr entsprechenden
Einrichtungen zu gründen. In Einrichtungen und Anstalten der Art würde
Beschäftigung Allen denjenigen gegeben werden, welche unter unserm
unwissenden und künstlichen Regimente keine haben. Die Arbeitslosen fänden
Arbeit, die Müßiggänger würden fleißig werden; die Hungrigen gespeist, die
Nackten gekleidet, die Obdachlosen beherbergt, die Unwissenden belehrt, zu
guten Sitten herangebildet und von einer allgemeinen Liebe und
Barmherzigkeit beseelt werden, wie sie die vollständige Kenntniß der
menschlichen Natur einzuflößen weiß. Die Kinder Aller, die auf solche Weise
vereint und zur Beschäftigung angehalten würden, erwürben durch eine
sorgfältige Erziehung einen edlen Charakter, wahre Kenntnisse, starke und
höhere Lebensweise und Lebensgewöhnung und würden ihrerseits wieder
nützliche Mitglieder einer Gesellschaft. Die Anstalten, wodurch alle
Menschen Beschäftigung erhielten, würden sie zugleich leichter zu regieren
machen, ohne daß man nothwendig hätte, zu einem von den schlechten Mitteln
von List und Gewalt Zuflucht zu nehmen.
Die drei Revolutionstage und die ihnen folgenden Ereignisse haben nicht
allein Frankreich, sondern ganz Europa in zwei feindliche Lager getheilt,
von denen das Eine an den alten Vorurtheilen festhält und den Fortschritt
fürchtet, während die andere Hälfte den Fortschritt will, aber, um ihn zu
erlangen, sich nicht anders zu helfen weiß, als daß sie das jetzige System
auf gewaltsame, ungerechte und voreilige Weise zerstört; ein System, welches
keine der Parteien geschaffen, und deren Opfer sie beide sind.
Wie schlecht auch immer das alte System ist, wie geschwängert von
Vorurtheilen, Ungerechtigkeit und Bosheit, so kann man doch nicht anders als
diejenigen beklagen, welche daran festhalten; man muß sie beklagen, daß sie
erzogen worden in einer Weise, die ihnen grobe Irrthümer für reine Wahrheit,
crasse Unwissenheit für hohe Wissenschaft erscheinen läßt. Absurde Gesetze,
welche nur Elend und Verbrechen erzeugen, gelten ihnen für weise, gerechte
und vernünftige Gesetze.
Eine heftige Opposition, Injurien, Inkriminationen, unsinnige Kollisionen und
Kriege vermögen keineswegs die alten Irrthümer zu verbannen, noch die neuen
Wahrheiten zu ersticken. Beide Theile sind im Irrthum über den Weg, den sie
einzuschlagen haben. Wenn sie auf dem betretenen Wege fortfahren, so war die
letzte Schlacht von Paris nur das Vorspiel zu endlosen Schlachten, die ganz
Europa mit einem Blutbad übergießen werden. Denn es ist unmöglich, daß mit
einem Ueberflusse von Produkten, welche die neuere Wissenschaft geschaffen,
das Volk dieselben Entbehrungen erträgt, als unter der Herrschaft der
Unwissenheit die unvermögend ist, für Alle genug zu produziren.
Die Februar-Revolution hat die Partei des Fortschritts zur Herrschaft
gebracht; aber sie war bei der Antretung ihrer Herrschaft von aller
Erfahrung entblößt. Diese Partei fühlte recht wohl, daß gerechter Weise
jeder Mann durch seine Arbeit leben und seines Lebens genießen, daß die
Gesellschaft denen Beschäftigung geben müsse, die keine haben, und daß sie
von dieser richtig geleiteten Arbeit großen Nutzen ziehen könne. Aber diese
Partei wußte keineswegs, wie sie ohne Störung, ohne Anordnung diese soziale
Veränderung im Staate vornehmen, wie sie Allen Beschäftigung verschaffen
sollte. Durch Zufall an die Spitze gestellt, ohne alle vorherige
Vorbereitung kannte sie weder die Natur des Menschen, den Einfluß, den die
ihn umgebenden Umstände auf ihn auszuüben vermögen, noch hatte sie einen
Begriff von der Gesellschaft im Allgemeinen. Ohne diese drei Wissenschaften
ist es unmöglich, eine nützliche und permanente Beschäftigung für die
arbeitenden Klassen aufzufinden. Sind diese 3 Wissenschaften aber da, so ist
nichts leichter. Leider sind sie noch nicht verbreitet im Publikum; sie
müssen es werden damit die Anarchie und die Unvernunft aufhören.
Die Partei des Fortschrittes hat einen Vortheil erlangt, der ihm erlaubt,
hat, seine Blicke weit auszudehnen: ich meine das allgemeine Stimmrecht. Die
National-Versammlung mußte allein ihren Schauplatz ausmachen; denn sie ist
der exakte Ausdruck vom Geiste des Landes. Nun hat zwar die National-Versamm
sich sehr unwissend und unerfahren gezeigt, wie ein Kind, daß seine Lektion
stammelt. Aber sie zeigte doch ein heftiges Verlangen nach Fortschritt in
politischer Wissenschaft; und diejenigen, welche ein wenig mehr davon
wußten, als sie, hatten das größte Unrecht, daß sie durch beständige,
unaufhörliche Auseinandersetzung ihrer Pläne die Aufmerksamkeit der Kammer
nicht auf einen so wichtigen Gegenstand gerichtet haben. Dadurch, daß sie es
nicht thaten, und wenn sie es thaten, es schlecht und mit Drohung thaten,
haben sie die Partei des Widerstands dahin getrieben, gegen sie aufzutreten,
und zu erklären, daß die Arbeit keineswegs der Masse garantirt werden könne.
Sie wissen gar nicht, daß diese Ohnmacht allein von der schlechten Direktion
kommt, und von der geschickten Anwendung der Gewalt und der Lust seitens der
höheren Klassen.
Es ist nicht allein möglich, es ist nothwendig und allen gleich nützlich, daß
ein Mensch, der arbeiten will, nicht ohne Beschäftigung bleibt. Man wird
sich noch mehr davon überzeugen, wenn man die 3 ebengenannten Wissenschaften
studirt hat: die vom Menschen, von den Umständen und der Gesellschaft. Man
wird die Einsicht gewinnen, daß, wenn einmal die Gesellschaft auf die
Wahrheit basirt, statt wie bisher auf Irrthum, alle Menschen gleich gut
beschäftigt, leicht zu regieren sein werden.
Statt daß die eine Partei im Schweigen oder in der Drohung die andere in
einer sterilen oder terroristischen Politik beharrt, vereinigen sich die
beiden Parteien, um mit Ruhe die Wahrheit zu diskutiren: sie wird ihnen bald
ganz anders erscheinen.
Rob. Owen.
‒ Das gestrige Ausbleiben der sardinischen Zeitungen und Depeschenstücke
hatte hier große Bestürzung hervorgerufen. Die größte Spannung herrschte
unter den Repräsentanten rücksichtlich der Ereignisse in Italien und die
Antwort Bastide's auf die Payerschen Interpellationen war eben nicht
geeignet, sie zu beschwichtigen. Radetzki, hieß es unter Anderem, habe seine
Drohung gegen Karl Albert und die englisch-französischen Botschafter: „Nur
in Turin zu unterhandeln“, erfüllt und sei in Turin eingerückt u. s. w.
So eben (9 Uhr Morgens) trifft jedoch ein Bülletin aus dieser Hauptstadt ein,
das uns angezeigt, daß Karl Albert mit seinem Hauptkorps über tessinischen Boden (Schweiz) den Oesterreichern entschlüpft
und am 7. in Turin angekommen sei Radetzki werde sich also auf die Besetzung
des lombardischen Gebiets beschränken.
‒ Ein Rundschreiben des Hauptzoll-Direktoriums zeigt der Handelswelt an, daß
die laut des französisch-russischen Schifffahrts-Handelsvertrages vom 16.
Sept. 1846 vorgeschriebenen, zum Theil sehr lästigen
Verladungs-Förmlichkeiten mit Einstimmung Rußlands abgeschafft seien, und
daß die Zulassung russischer Waaren in franz. Häfen, sowie franz. Waaren in
russischen Häfen nur noch einer Hafen-Deklaration unterliege. Dieses
Rundschreiben befindet sich im Moniteur vom 11. August 1848.
‒ Ein gewisser A. N. Nacquet zeigt in der „Estaffette“ an, daß er einen
Apparat erfunden habe, mittels welchem einzelne Soldaten wie ganze Corps
unbeschadet des Kugelregens von den Barrikaden sich in den Straßen bewegen
können. Wir würden diese Notiz für einen Puff halten, wenn die Redaktion
nicht allen Ernstes beifügte, daß Nacquet, im Kampfe gegen die
Juni-Insurgenten blessirt, hierdurch auf seine Erfindung geführt wurde, über
die das legitimistische Klatschblatt jedoch speziell noch nichts
mittheilt.
‒ In dem großen Speisesaale bei Douix im Palais Exroyal fand gestern Abend
ein Bankett von 100 Gliedern des moderirten Berges der Nationalversammlung zum Andenken an den
ersten Sturz des französischen Königthums am 10. August 1792 Statt.
Wahrscheinlich ist es dieses Bankett, das die Londoner Blätter als ein
Versöhnungsbankett der verschiedenen Oppositionsabtheilungen unserer
National-Versammlung irrthümlich bezeichneten. Die Versöhnung hat noch nicht
stattgefunden, sondern betrug die Zahl der Gäste über 400.
‒ Die heutigen Blätter veröffentlichen eine Schrift, worin die Delegirten des
so berüchtigten Arbeiter-Parlaments im Louxemburg diejenigen Stellen des
Bauchartschen Berichts kräftig widerlegen, die sie und ihren ehemaligen
Vorsitzer Louis Blanc betreffen und keinen geringen Theil der Anklage
bilden.
‒ Die Repräsentanten-Klubs im Palais Exroyal (Präsident Lamartine), Institut
(Präsident Pagnerre) und der absoluten Demokraten des moderirten Berges
(unter Sarrut und Bac) haben eine Trutz-Untersuchung der Mai- und
Juni-Ereignisse beschlossen.
‒ Caussidiére und Louis Blanc richten einen Brief an den National, worin sie
gegen die Absicht der Majorität: das Bauchart-Barrotsche Meisterwerk durch
eine simple Tagesordnung zu ersticken, energisch protestiren.
‒ Der neue englische Geschäftsträger, der Normanby ersetzen soll, wird gegen
Ende dieser Woche erwartet. Inzwischen hält Normanby fleißige Zusammenkünfte
mit Cavaignac und Bastide wegen Italien.
‒ E. v. Girardin soll Aussicht haben, bei den Ersatzwahlen des nächsten
Monats in die National-Versammlung gewählt zu werden.
‒ National-Versammlung. Sitzung vom 11. August. Präsident Marrast. An der
Tagesordnung ist die Fortsetzung der Debatte über den
Preßstrafgesetzentwurf. Artikel 5. lautet: „Oeffentliche Beleidigungen der
Mitglieder der Nationalversammlung, der Vertreter und Personen fremder
Souveraine, sowie der vom Staate angestellten Geistlichen wird mit 15
tägigem bis zweijährigem Gefängniß und einer Geldbuße von 100 bis 4000
Franken, bestraft.“ (Angenommen) Artikel 6. handelt von den Strafen gegen
Aneignung obrigkeitlicher Symbole und Kennzeichen. Artikel 7. spricht nicht
minder starke Strafen gegen Aufreizung der Bürger unter einander zur Störung
der öffentlichen Ordnung aus. Beide Artikel werden angenommen. Dagegen fält
der Artikel 8., der alle übrigen Bestimmungen der Preßgesetze von 1819 und
1822, die nicht hiermit aufgehoben werden, aufrecht erhalten wollte, als
unnütze Tautologie weg. Ebenso ein Zusatz des des Bürgers Bourzat.
Das ganze Gesetz geht demnächst durch.
Waldeck Rousseau hatte früher darauf angetragen, die Produktivkräfte der
Industrie durch Ausfuhrprämien anzufeuern. Dieser Vorschlag soll nun
diskutirt werden. Der Antragsteller wünscht jedoch Vertagung der Debatte,
was ihm gewährt wird.
Ceyras hatte die Anlage von Civil-Versorgungshäusern für invalide
Feldarbeiter beantragt. Sein Antrag kommt zur Berathung.
Vergnes widersetzt sich im Namen des Ausschusses dieser Neuerung. Man dürfe
die Staatshülfe nicht zu sehr generalisiren (on ne pent spécialiser ainsi
des secours.) Das ermuthige zur Faulheit. Man müsse jeder Gemeinde die
Versorgung ihre arbeitsunfähig gewordenen Proletarier überlassen.
Tassel kann diese Ansicht nicht theilen, sondern schlägt vor, den zur Anlage
solcher Civilversorgungshäuser bestimmten Kredit auf 2 Millionen zu
steigern.
Tillancourt erkennt zwar das Wohlwollende des Antrages an, hält ihn aber für
unzeitig und dem Bedürfniß nicht entsprechend, will ihn daher vertagt
wissen.
Babaud Laribière unterstützt den Antrag. Man solle, ruft er aus, doch auch
endlich etwas für den Landbürger thun; bisher habe sich die Republik ihm nur
durch ihre 45 Centimensteuer fühlbar gemacht! (Lärm zur Rechten.) Es sei
hohe Zeit daß sie sich als bessere Mutter zeige.
Glais-Bizoin spricht in ähnlichem Sinne.
Vergnes möchte den Vorwurf der Hartherzigkeit nicht auf sich ruhen lassen und
erklärt, daß sich der Arbeitsausschuß so eben mit Ausarbeitung eines
Versorgungsplanes für Civilinvaliden beschäftige. Eine Zersplitterung der
Geldmittel würde diesem Vorhaben nachtheilig sein.
Goudchaux, Finanzminister, räth der Versammlung, den verlangten Kredit nicht
zu votiren. Der Arbeitsausschuß befasse sich mit einem Entwurfe ähnlicher
Art im Großen. Ueberhaupt müsse die Versammlung sich vor neuen Ausgaben so
viel wie möglich hüten.
Ceyras mit Wärme: Sein Antrag sei eine augenblickliche Linderung für
unzählige Leiden. Möge der Ausschuß immerhin an seinen Plänen fortarbeiten,
aber den armen hungrigen Feldarbeitern solle man doch die beantragte
Wohlthat nicht versagen. Die Februar-Revolution habe ja noch gar nichts für
sie gethan.
Goudchaux erwiedert mit verstellter Ruhe, daß die Februar-Revolution ihnen
(den Arbeitsunfähigen?) Arbeit verschafft habe, indem sie alle Proletarier
zu großen Staatsbauten verwende. Dieß sei die beste Versorgungsart. „Wir
wollen in keine Gesetzgebung des Pauperismus eintreten“ ‒ schließt der
Minister mit jüdischer Gebehrde.
Laussat findet die Weigerung des Ministers empörend, und sprach mit edlem
Feuer für die Proletarier in unseren Dörfern. Half aber alles nichts. Die
Versammlung schritt zur Abstimmung durch Stimmzettel. Von 709 wurde der
Antrag mit 405 gegen 304 Stimmen verworfen. Die arbeitsunfähigen
Landproletarier mögen sehen wie sie durchkommen.
An der Tagesordnung ist ein Kolonisationsplan Algeriens. Lamorciére
widersetzt sich der Berathung bis die Regierung besser unterrichtet sei.
Dann sollte die Regierungszeitung „Le Journal de la Republique“ von Babaud
Laribiére berathen werden. Die Diskussion wurde jedoch auf Montag
verschoben.
An der Tagesordnung befand sich noch der Gesetzentwurf über den Modus der
Diskussion und Abstimmung über die neue Verfassung. Laut des Antrages der
Reglementskommission soll der Entwurf bekanntlich drei Mal vorgelesen
werden, ungefähr wie dieß mit den Bills im englischen Parlament üblich.
Flocon, Charamaule und Dupin machten einige Ausstellungen an dem Antrage der
Reglementskommission, der schließlich in folgender Fassung angenommen
wurde:
„Nach der ersten Vorlesung und Abstimmung sämmtlicher Artikel des
Verfassungs-Entwurfs, ist derselbe mit allen dazu gestellten Amendements
wieder der Verfassungskommission zuzustellen, welche nach Berathung aller
Zusätze denselben mit den nöthigen Anträgen der Versammlung zur zweiten
Verlesung und Berathung wieder vorzulegen hat.“
Lichtenberger aus Straßburg hat den Antrag gestellt, den Belagerungszustand
von Paris wenigstens drei Tage vor dem Beginn der Verfassungsdiskussion
aufzuheben.
Die Sitzung wird um 5 Uhr geschlossen.