Französische Republik.
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Paris, 10. Aug.
Die Doktrinärs des „National“ reiben sich endlich die Augen und rufen beim
Anblicke der Oestreicher in Mailand in ächt gasconischer Weise aus: „… Wir
verneinen es nicht, daß wir noch an die Möglichkeit des Friedens glauben;
wir schieben den Beginn der Feindseligkeiten noch hinaus; aber gleichzeitig
sind wir, wenn es sein muß, zum Kriege bereit. Diese Eventualität mag nahe
bevorstehen und die Regierung ihre Anstalten treffen. Wird das Wort nicht gehört; weigert sich
Oestreich, durch den Erfolg seiner Waffen vielleicht berauscht, die ihm
zu stellenden Bedingungen anzunehmen; wohlan! dann ziehe man das
Schwert und die Republik rette Italien!…“
‒ Die „Presse,“ durch die sardinische Gesandtschaft gut unterrichtet, sagt in
einer längeren Mittheilung über den italischen Krieg: „… Nach Empfang der
Depeschen aus London versammelten sich die Minister unter Cavaignac's
Vorsitz, und nachdem dieselben vorgelesen worden, wurden die Vorschläge des
Lord Palmerston rücksichtlich der Vermittelung sofort berathen und
einstimmig angenommen. Diese Vorschläge bestehen darin: den Oestreichern die
Adige-Linie zu garantiren, wenn sie die Lombardei verlassen. (La ligne de
l'Adige sera garantie á l'Austriche, si elle consent à abandonner la
Lombardie.)“
‒ Die monarchische „Union,“ in diplomatischen Dingen ebenfalls wohlerfahren,
sagt: „… Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Oestreich, auf allen Punkten des
lombardischen Gebiets Sieger, sich den in London und Paris aufgestellten
Bedingungen unterwerfen wird. Diese Bedingungen bestehen bekanntlich darin,
daß man den größeren Theil der Lombardei dem Großherzoge von Toskana und den
Rest dem Könige von Sardinien zuweisen würde. Oestreich träte in den Besitz
von Venedig und der Fürstenthümer zurück u. s. w.“
‒ Der „Spectateur Republicain,“ Bastide's und nicht selten Cavaignac's
Privatorgan, rechtfertigt die bisherige Unthätigkeit Frankreichs in einer
langen Epistel mit dem Titel: “Question italienne,” in sehr erbaulicher
Weise. Nachdem er das egoistische Streben des Hauses Savoyen seit
Jahrhunderten mit wahrhaft fränkischer Naivetät enthüllt und dargestellt hat
„wie Karl Albert an der venetianischen Gränzscheide ein wenig zu lange auf
das Resultat der Stimmzettel gewartet habe,“ fährt er fort: „Es scheint, man
(die italienischen Fürsten?) dachte den Franzosen keine andere Rolle zu, als
eine Reserve-Armee des Königs von Piemont zu bilden. Die Unabhängigkeit
Italiens ist eine heilige Sache, und Frankreich wird nicht dulden, daß sie
untergehe. Aber man verständige sich über die eigentliche Bedeutung der
Frage. Handelte es sich bisher um die unterdrückte italienische
Unabhängigkeit oder handelte es sich nicht vielmehr um den Schutz und die
Vergrößerungssucht des Hauses Savoyen? Durfte Frankreich sich mit
Deutschland eines dynastischen Interesses halber überwerfen und es zu einer
neuen heiligen Allianz stoßen? Ein Krieg mit Deutschland würde eine Allianz
Deutschlands mit Rußland und dann mit England wieder gegen uns zur Folge
haben. Die Haltung der Frankfurter Nationalversammlung in der Schleswiger
und Triester Blokadefrage hat nun den entschiedenen Charakter der deutschen
Politik hinlänglich bewiesen. Welche Verbündeten blieben uns wohl noch, wenn
Deutschland, Rußland und England uns feindlich gegenüber ständen?“
Schließlich drückt das Blatt die Hoffnung aus, daß die Meditation ihre
Früchte tragen, und den Weltfrieden und mit ihm die Zukunft der europäischen
Demokratie sichern werde. Frankreich und England Hand in Hand, hält Herr
Cavaignac jede Weigerung von Seiten Oestreichs unmöglich. Man könnte, wenn
man diesen Schluß liest, glauben, Herr Guizot habe ihn in jenen goldenen
Zeiten des herzlichen Einverständnisses im Voraus geschrieben. Man wird
übrigens begreifen, daß England vorzüglich darauf rechnet, Frankreich werde
bei der Spekulation auf Sizilien auch ein Auge zudrücken.
‒ Das „Journal des Debats,“ dem seit einiger Zeit offenbar wieder offizielle
Mittheilungen gemacht worden, schweigt heute gänzlich. Der Einzug der
Oestreicher in Mailand hat dasselbe versteinert. Auch macht es das Gerücht
von Abdankung des Kaisers von Oestreich verworren.
‒ Die reaktionäre Presse (Constitutionnel, Assemblée Nat. etc.) schreibt die
Niederlage Karl Alberts der vollständigen Zuchtlosigkeit und Unmoralität des
sardinischen Heeres zu. Dieselben Blätter bergen ihre Furcht vor andern
größern Ungewittern nicht. „Der Kaiser von Oestreich,“ sagt die Assemblée,
„ist mit Unruhe über den demokratischen Fortschritt seiner Erblande erfüllt.
Wien erhält seine Gesetze von 80,000 Arbeitern und seinen Studenten. Das
Bewußtsein der eigentlichen Lage, die Ehrlichkeit der Diplomatie, die
Mäßigkeit und Logik jeder Kabinets können allein die Ungewitter zerstreuen,
welche über den Völkern schweben.“
Die Assemblée hat bekanntlich Freunde in Augsburg und Innsbruck.
‒ Das Lamartinische „Bien public“ zeigt an: „Ein Kourier ist nach
Konstantinopel abgesandt worden, der dem General Aupick, unserm dortigen
Gesandten, den Befehl überbringt, seine Pässe zu verlangen und binnen 24
Stunden abzureisen, wenn die französische Republik nicht feierlich von der
Pforte anerkannt werde.“
‒ Die Presse des Armen ist todt! Die Nationalversammlung hat von 749 Stimmen
mit einer relativen Mehrheit von 65 Stimmen (407 gegen 342) das
Kautionsgesetz angenommen. In dieser Zeit der Arbeitslosigkeit und des
Elends ist eine Kaution von 24,000 Fr. für jedes Blatt der Todesstoß, sagt
Proudhons „Repräsentant.“ Indessen werden wir so leichten Kaufs das
Zeitliche nicht segnen. Wir haben vielmehr bereits die Gründung einer
Aktiengesellschaft à 10 Fr. die Aktie begonnen, welche guten Fortgang nimmt
und die Existenz unseres Blattes sichert.
‒ Um in Zukunft alle Arbeiteraufstände im Keime zu ersticken, hat Lamoricière
einen großen strategischen Plan gefaßt, der darin besteht, in alle Städte
zwischen Paris und Lyon mehrere Regimenter zu legen, welche eine Art
galvanischer Kette bilden, die sich bei der ersten Bewegung in einer der
beiden Städte in Marsch setzt.
‒ Nächsten Sonntag soll eine große Revue des Lagers von Canonville vor
Cavaignac und der Nationalversammlung Statt finden. Dieses Lager (St. Maur)
ist nicht abgebrochen, sondern nur durch neue Regimenter ergänzt worden.
‒ Paris erhält durch Ducoux's Fürsorgr eine Nachtwache zu Pferde.
‒ Das Elend ist hier so fürchterlich, daß die Nationalversammlung heute
abermals 2 Mill. Fr. für das Seinedepartement votiren wird.
‒ National-Versammlung. Sitzung vom 10. August.
Anfang 11/2 Uhr. Vicepräsident Corbon. Die Bänke sind spärlich besetzt. Eine
große Zahl Repräsentanten wohnt den Berathungen des Ausschusses für
auswärtige Angelegenheiten bei, der sich heute wegen der Depeschen aus
Italien versammelt. Man diskutirte die Frage: ob Frankreich sofort
interveniren solle und hat sie nach hartem Kampf vorläufig mit Nein
beantwortet. Doch solle ein definitiver Entschluß erst morgen gefaßt werden,
nachdem man die Ansichten des Generals Cavaignac, der für morgen eingeladen
ist, gehört habe. ‒ Nach Verlesung des Protokolls wird eine Menge Petitionen
aus allen Gegenden der Republik überreicht. Die Bänke füllen sich allmälig
und die Tagesordnung beginnt mit Prüfung eines Gesetzes, das den pariser
Armen abermals ein Almosen von 2,000,000 Franken bewilligt. Früher erhielt
jeder Arme fast täglich 1 Franken; die enorme Zahl derselben zwang jedoch
bald die Behörden, auf 75, 50 und 35 Centimen per Kopf oder Familie
herabzugehen. Das Elend macht aber so reißende Fortschritte, daß die
Verwaltung auf 25 Centimen die tägliche Unterstützung bestimmen muß, um nur
den Anforderungen zu genügen. Unter diesen Angaben, die wir dem amtlichen
Bericht entnehmen, eröffnete sich die Debatte.
Buffet sieht eine zu große Bevorzugung des Seinedepartements in der Maßregel
und will Etwas für die Departements davon ausgegeben wissen, in denen eine
Menge von Städten ihre Hausarmen nicht mehr ernähren können. Die Regierung
würde zuletzt eine Steuerverweigerung zu befürchten haben.
Frederic Bastiat, Berichterstatter des Finanzausschusses, bekämpft diesen
Antrag, indem er für eine solche Theilung die Summe zu gering hält.
Leclerc will diesem Einwande dadurch abhelfen, daß man Drei statt Zwei
Millionen Franken bewillige. Er meint, es fließe immer noch zu viel in die
Taschen der ehemaligen Arbeiter in den Nationalwerkstätten.
Bastiat erwiedert, daß alle bisherigen Unterstützungen ausdrücklich nur
solchen Hausarmen verabreicht worden seien, die keine Glieder jener
Werkstätten waren.
Leclerc's Antrag wird verworfen und der Kredit von 2 Mill. Nach kurzer
unerheblicher Berathung bewilligt.
Ehe die Versammlung ihre Tagesordnung fortsetzt, besteigt Chappet die Bühne,
um ihr das Resultat über die Untersuchung der Wahl des Bürgers Gent in
Avignon (Vaucluse) mitzutheilen, gegen welche die konservative Partei durch
das Organ Viviens so großes Geschrei erhoben. Mehrere Kommissarien sollten
an
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Ort und Stelle geschickt werden, um die erhobenen Klagen
zu untersuchen, die da behaupteten, Gent (Kommissarius der provis.
Regierung) habe sein Amt mißbraucht, die
Arbeiter
bestochen oder wie es im Bericht heißt la population la plus turbulente
d'Avignon gewonnen, Plätze versprochen etc. etc. Der Ausschuß hat aber
aus Furcht vor moralischem Eindruck keine
Kommissarien nach Avignon geschickt, sondern trägt durch Chappet kurzweg auf
Vernichtung der Wahl an.
Präs. Corbon: Bürger Gent richtet so eben folgenden Brief an mich (Tumult.
Corbon liest vor, man versteht aber keine Silbe.)
Gent springt selbst auf die Bühne und liest Abschrift desselben Briefes vor.
Der Lärm ist aber auf der Rechten so wüthend, daß wir nur die Worte hören:
„Ich danke ab, (je donne ma demission) und appellire an das Volk!“ (Neuer
Tumult.)
Präsident Corbon's Schelle sucht den Lärmen zu überwältigen.
Die Wahl wird annullirt.
Base schlägt vor, ein Gesetz zu entwerfen, das die Wiederwahlen binnen 20
Tagen befehle.
Cavaignac sieht darin einen Eingriff in die Rechte der Exekutivgewalt und
trägt an, zur Tagesordnung überzugehen.
Base will protestiren, doch hört ihn die Versammlung nur wenig und läßt den
Antrag fallen.
In diesem Augenblick besteigt Payer die Bühne, um das Ministerium wegen
Italien zu interpelliren. Die Ereignisse in Mailand, sagt er, seien so
ernster Natur, daß er um Feststellung eines Tages bitte, an dem der
Gegenstand diskutirt werde.
Bastide, Minister des Auswärtigen, giebt wiederholt ausweichende Antwort. Er
hofft noch zu pacifiziren! Noch sei der Regierung
der Einzug der Oesterreicher nicht amtlich bekannt geworden.
Baune folgt dem Minister auf der Tribüne.
(Nach 4 Uhr). ‒ Die Interpellationen wegen Italien wurden auf den Antrag
Larochejaquelin's vertagt. Die Versammlung kehrte dann zur Tagesordnung
zurück, indem sie die gestern begonnene Diskussion rücksichtlich der
Strafgesetze gegen Preßvergehen fortsetzte. Der ministerielle Entwurf zählt
8 Artikel. Der Ausschuß machte durch sein Organ Berville daran Aenderungen.
Dagegen wurden eine Menge von Zusätzen gestellt. Artikel I. lautet:
„Jeder Angriff, der durch eines der im Artikel I. des Gesetzes vom 17. Mai
1819 bezeichneten Mittel gegen die Rechte oder das Ansehen der
Nationalversammlung und die Glieder der Exekutivgewalt, sowie gegen die
republikanische Einrichtung und die Verfassung geschieht, wird mit 300 bis
6000 Frkn. Geld und 1/4 bis 5jährigem Gefängniß Strafe geahndet.“
Angenommen.
Art. II. „Beleidigungen gegen die Nationalversammlung werden mit 1
monatlichem bis 3jährigem Gefängniß und einer Geldbuße von 100 bis 500 Frkn.
bestraft.“ Angenommen.
Art. III. „Angriffe gegen die Religionskulte, Unverletzlichkeit des
Eigenthums und der Familie sind mit 1/4 bis 3jährigem Gefängniß und 200 bis
4000 Frkn. Geldbuße zu bestrafen.“
Die Berathung dieses Artikels gab zu einem fürchterlichen Murren
Veranlassung.
Proudhon bestieg die Tribüne, um gegen die Unverletzlichkeit des Eigenthums
zu protestiren. Das Eigenthum müsse ebenso frei diskutirt werden dürfen, als
jede andere gesellschaftliche Einrichtung. Seine Worte, mit trockener Ironie
vermischt, rufen großen Lärm hervor. Die Rechte erstickte seine Stimme. Der
Saal schien zu bersten.
Jules Favre erhob sich mit bekanntem theatralischem Pathos gegen diese
Verwerfung des Bürgers Proudhon. Sie sei ein Hohn nicht nur gegen die
Versammlung, sondern gegen das ganze Land, das von den unsinnigen,
mittelalterlichen Theorien des Kommunismus nichts hören wolle. (Ungeheurer
Beifall).
Proudhon versuchte sich wiederholt, jedoch vergebens, Gehör zu verschaffen.
Vielleicht wäre er dennoch durchgedrungen, wenn er das geringste
Rednertalent besäße. Er mußte die Bühne verlassen.
Pierre Leroux kam ihm zu Hülfe. Er bewies der Versammlung, daß es sich im
heutigen Ideenkampfe nicht um Bestreitung oder Abschaffung des vulgairen
Eigenthums handle, sondern vielmehr um Befreiung aus der Tyrannei des
Kapitals, die sich über alle Lebensgebiete erstrecken. Diese Negation des
Kapitals sei keine mittelalterliche Theorie wie Favre meine, sondern ein
ganz modernes Prinzip (wofür der Redner unter unzähligen Unterbrechungen der
Versammlung einige Stellen aus englischen Oekonomisten vorlas). Sie sei ein
Kind des Protestantismus. . . . .
Coquerel, protestantischer Pfarrer, eilt auf die Bühne und erklärt, daß alle
positive Religion und alle Sekten nichts mit den kommunistischen Ideen
gemein hätten. Man entstelle den Christianismus und Protestantismus. Soll
ich Ihnen diejenigen Stellen aus den Kirchenvätern etc. vorlesen, welche von
den Kommunisten am meisten citirt werden? (Nein! Nein!)
Der so stark bekämpfte dritte Artikel wird endlich angenommen.
Art. IV. straft die Angriffe und Aufwiegelungen zum Haß gegen die
republikanische Regierungsform u. s. w.
Lagrange wünscht die Worte: „Gegen das Prinzip der Volkssouverainetät und des
allgemeinen Stimmrechts,“ eingeschaltet zu sehen.
Senard bekämpft diesen Zusatz.
Cavaignac jedoch unterstützt denselben und der Artikel ging fast einstimmig
durch.
Die Fortsetzung der Debatte auf morgen. Die Sitzung um 6 Uhr geschlossen.