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[Fortsetzung]
„vêtues de gaz“ sind das gemeinsame Band, welches Republikaner und
Monarchisten mit einander aussöhnt. Thiers ungeachtet seiner Tappfüßigkeit,
und Marrast ungeachtet seiner 47 Jahre und seiner Gemahlin, der feinen
Engländerin, lieben noch immer die Frauen, vêtues de gaz, die Frauen mit dem
transparenten Gewande, welches die wonnigen Formen der Französinnen so üppig
umwebt. Die deutschen Journale stellen sich die Republikaner immer als
Spartaner à la Heinzen-Venedey vor.
„Ein gutes Bier,
„ein beizender Taback
„und eine
Magd im Putz,
„da ist so mein Geschmack.
Nein, Marrast und Thiers lieben den feinen Tabak; er hat einen herrlichen
Rauchsaal mit Divans errichtet, wo blos die Manilla Zutritt hat. Marrast und
Bier, Marrast und eine Magd! Die feinsten Weine aus den Tuilerien, die
feinsten Blumen aus St. Cloud, und die feinsten Frauen aus der feinsten
Welt: das ist Marrast's Geschmack. An die Stelle der rothen Republik hat
Marrast die parfümirte Republik zu setzen gewußt und dadurch seine
ehemaligen Feinde versöhnt. Wenn Abends die Damenrepublik in feinem
durchsichtigem Gewande in Marrast's Salons ihre Reize enthüllt, wer möchte
da nicht gerne Republikaner sein, trotz des Belagerungszustandes. Und
nachdem man so viel gethan hat, um die parfümirte Republik zu erhalten,
nachdem man die, welche sie geschaffen, niedergemetzelt oder über die See
geschafft, wird man sich aufs Neue stören lassen von lästigen Gesandten aus
Italien, um sich wieder in neue Schwierigkeiten zu verwickeln und die
parfümirte Republik mit den bottes vernies und mains gautées aufs Spiel zu
setzen. Geht zum Henker und nehmt unsere Sympathien mit.
Thiers ist zufrieden mit Marrast's Salon und das ist die Hauptsache.
Cavaignac kommt auch in Marrast's Salon, und sogleich sind die Blicke aller
Frauen auf ihn gerichtet. Cavaignac ist der interessanteste Mann von Paris.
Die Franzosen geben ihm neben dem Ausdruck des Muths und der
Unerschrockenheit alle schmachtenden Epitheten der Deutschen: Wehmuth,
Melancholie, ein lyrisches Gemüth! Die Frauen sind toll um ihn: ich glaube,
es waren an 4000. Wenn er sie nur nicht alle unglücklich macht. Doch nein!
es kommen ja auch Mobilgardisten zu Marrast, die „unter dem Glanze der
Lampen ebenso muthig in die Pretzeln drein hieben, wie in die Barrikaden
unter dem Kanonengeschütz,“ wie der Constitutionnel in vollem Ernste sagt.
Es lebe die parfümirte Republik!
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[
17
] Paris, 9. Aug.
Laut offiziellem Bericht ist jetzt die Besatzung der Stadt Paris und ihres
Weichbildes auf achtzigtausend Liniensoldaten
gebracht; Le Commerce wünscht hunderttausend, „eine runde starke Ziffer.“
Dies beweist aufs Beste „die fröhliche Rückkehr des Vertrauens“ der beiden
Klassen. General Eugen Cavaignac (den der Corsaire allen Ernstes mit „Prinz
Eugenius“ vergleicht, in derselben Nummer wo Proudhon „der biblische
Satanas“ und „der Göthesche Mephistopheles“ genannt wird) hat die
unterdrückten Journale losgegeben, auch Proudhons „Representant du Peuple.“
Die „Assemblée nationale“ benutzt ihre Freilassung dahin, daß sie sogleich
im ersten Artikel eine berserkerwüthige Anklage gegen Lamartine,
Ledrü-Rollin, Arago u. s. w. schleudert, „deren Namen im Kammerrapport
vergessen wären.“ Girardins La Presse, pfiffiger als die honette Base,
präsentirt ihren Lesern den bereits sattsam bekannten Rapport und „sticht
mit vergifteten Nadeln“, wie Le Spectateur republicain meint, „da sie das
Gewerbe schon besser versteht.“ So rückt denn das Schisma im
Repräsentantenhause unaufhaltsam näher, und die karlistische „Union“
registrirt dies Faktum jubelnd ein. Lamartines „Bien public“ wird von diesen
Heroen und von Victor Hugo's „L'Evenement“ auf Tod und Leben angegriffen.
„Wir wollen eine Republik“, deklamirt das Letztere, „welche zur Trikolore
sich das Morgenroth der Tugend, das Schneeweiß der Unschuld, das Himmelblau
der ewigen Sehnsucht erkoren hat,“ und ergeht sich sofort in einer
haarkleinen Betrachtung über die Börsenkurse, „die wieder heiter
emporathmen, nachdem die schaurige Perspektive auf das Schwungbrett der
Guillotine und auf das ebenso infernale Druckbrett
der Assignatenpresse glücklich und zwar auf immer vernichtet sei.“
Die Neger in Algier, durch Victor Schölchers Dekret von der provisorischen
Regierung frei erklärt, tanzen fortwährend um den Freiheitsbaum und haben an
den Maire und Generalprokurator einen Dankbrief geschrieben im Namen ihrer
sieben Stämme. Weniger gemüthlich betragen sie sich in Westindien, wo in
Guadelupe schon jetzt kein Heller Münze mehr,
sondern nur Kolonialpapier existirt, und nächstens kein französischer
Pflanzer mehr zu finden sein dürfte; diese Schwarzen baden sich im Blute
ihrer Bourgeois. „Schmerzlich dabei sei auch das, wimmert der Siecle, daß
die Engländer sich darüber zu amüsiren schienen.“ ‒ Einige noch nicht
gesprengte Arbeiterklubbs in dem streng honetten Bordeaux haben eine Adresse
an die Junimärtyrer „berathen“, worin es heißt: „Brüder!“ Leider zu entfernt
um an eurem Heldenkampfe, der seines Gleichen nicht in der Weltgeschichte
hat, selbst die Sklavenkriege der spartanischen Heloten, der römischen
Bundgenossenvölker und der Gladiatoren des Spartakus, selbst die
Bauernkriege unsres Jaques Bonhomme und der deutschen Landleute vor 300
Jahren mitgerechnet, mit der Waffe Theil zu nehmen, grüßen wir euch und
weinen mit euren Waisen und Wittwen; wir geloben euer Vorbild nie zu
vergessen bis endlich die Stunde schlägt des modernen Hussitenkampfes, den
unsre Herrscherklasse schlechterdings heraufbeschwören will; nur flehen wir
euch an, seid in diesem Augenblicke ruhig, wo die Knute der siegreichen
Klasse über eurem schon zerfleischten Rücken hängt“ u. s. w. Und die Lyoner
Arbeiter haben eine Adresse an die Nationalversammlung diskutirt, worin sie
sagen: „Wir bitten euch um Mitleid und Erbarmen für unsre verirrten Pariser
Gefährten, deren einziges Verbrechen ja nur in Uebereilung, in übermäßiger
Liebe zur Menschheitsbeglückung besteht.“ Die Thiersblätter bringen in
extenso diese in Lyon und Bordeaux cirkulirenden Adressen und stoßen ein
dumpfes Schakalgeheul aus, um mit La Republique zu reden. L'Union verlangt
sofortige Absetzung des „kommunistischen“ Maire der erstern dieser Städte. ‒
Proudhons Rede, im Moniteur vollständig, wird reißend von den Ouvriers
gekauft und in die Departements geschickt; man autographirt sie sogar. Man
kann sich dies erklären, wenn man bedenkt, daß außer der Vraie Republique,
(woran Thoré und George Sand schreiben) kein einziges der nach der
Junischlacht erdrückten echten Proletariatsjournale wieder aufgelebt ist, da
das Kautionement von 24,000 Fr. für dieselben unerschwinglich wird. Nur
Aristokraten und Bourgeois können jetzt noch von der Tagespresse Gebrauch
machen. ‒ Wegen der nach Havre bei nächtlicher Weile spedirten 800
„Brigands“ ist in der Kammer der Kriegsminister Lamoriciere heftig
interpellirt worden; die Nationalassemblée hat nämlich die feierliche
Zusage, Weiber und Kinder mit den Insurgenten zusammen zu deportiren,
gebrochen und jener erste Zug ist abgegangen, ohne daß ihre Namen vorher
publizirt, ohne daß ihre Verwandten davon benachrichtigt, geschweige denn
gefragt wurden: ob sie mitreisen wollten? Der Herr General beliebte aber nur
eine ausweichende Antwort zu geben, und versicherte, die Sorgfalt der
Rupublik werde die Deportirten ebensowenig auf dem Meere wie im Kerker
verlassen (nämlich sie aus den Stick- und Glutlöchern der Kasematten in die
Giftluft der Fieberküsten befördern, wo freilich die Kolonisationskosten dem
Beutel der Bourgeoisie erspart werden dürften.) Die Proletarier behaupten
steif und fest, man werde die Unglücklichen in die See werfen; wieder ein
Merkmal des zurückkehrenden Vertrauens.
Die Bordeleser philippistische Kaufmannschaft, im Bunde mit der karlistischen
Ritterschaft des Südwestens, verlangte so eben den Prinz Joinville zum
Präsidenten der Republik; jetzt läßt sie abdingen und begehrt nur Molé, weil der Marschall Bügeaud, den
„Friedensstifter der Straßenemeute Transnonain (d. h. Massakreur) zu weit
avancirt sei und sich in allerlei „moderne Ideen, die nichts weniger als
solide“ einzulassen anfange.
Im Departement der Ober-Garonne sind die Bauern plötzlich sehr religiös
geworden und stehen Wache vor den Wohnungen der Republikaner, weil diese
Dolche schleifen und bezauberte Kugeln gießen, wie ihnen auf den Kanzeln
versichert wurde. Im südlichen Rhonegebiet macht man dem Bauer weis, die
Feldmesser von Paris kämen diesmal lediglich um die Ackervertheilung des
alten „Monsieu Communisse“ vorzunehmen; schon früher stellten sich nämlich
die Landleute die Kommunistenpartei unter dem Schreckbilde eines wilden
Greises (vieillard sauvage), einer Art von Notar da oben im fernen Paris
vor, der „Herr“ oder „Vater“ Kommuniß
(Bauernaussprache) hieße. Dies ist faktisch und es liegen jetzt juridische
Zeugnisse darüber vor. ‒ Des Dominikaners Lacordaire „Ere nouvelle“ begehrt
Intervention zu Gunsten des Jesuiten- und Murmelthierkönigs Karl Albert,
aber zugleich zur Unterdrückung aller „anarchischen quasirepublikanischen
Theaterstreiche in Italien, und zur Einschüchterung des ebenso unreligiösen
als politisch frechen Mamiani.“ Der National ist schlaff und matt, Italien
ist ihm gleichgültiger seit sein ehemaliger Redakteur asiatische Dines gibt.
Advokat Marie, auch von den Bourgeoisradikalen, dieser schwärmerische Freund
der Preßfreiheit unter Louis Philipp, vertheidigte gestern tollwüthig die
Geldkautionen; „er bereue seinen Irrthum, jetzt erst sehe er das Volk in
Masse sei noch unreif zur reinen Rede- und
Vereinsfreiheit.“ Senard, einst Oberster des Advokatenstandes von Rouen,
hatte auf einem Reformzweckessen 1847 gesagt: „Wozu für die böse Seite der
freien Presse das Heilmittel in wahrhaft luxuriösen Strafverordnungen
suchen? Das einzig löbliche Heilmittel ist der öffentliche gesunde
Menschenverstand;“ heute sagt er das Gegentheil.
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Paris, 8. Aug.
Drei Züge von Insurgenten sind heute in Havre eingetroffen. Der erste Zug
enthielt 180; in jedem Wagen waren 18 Insurgenten und 12 Wächter. Eine
Gensd'armerie-Abtheilung saß im ersten und im letzten Wagen. Kurz darauf
kamen die folgenden Insurgentenzüge, auf ähnliche Weise verpackt, hier an,
und die Summe derer, die mit der Dampffregatte Ulloa einstweilen nach Brest
transportirt werden, beträgt in diesem Augenblicke 441 Mann. Alle möglichen
Vorsichtsmaßregeln waren von der Stadtbehörde getroffen, um die Ruhe
aufrecht zu halten. Die Linientruppen, National- und Marine-Garde, so wie
die Pompiers standen aufgepflanzt, um die Insurgenten vom Bahnhofe bis zum
Hafen La Floride zu eskortiren, wo die Ulloa vor Anker liegt.
Um jedem Menschenzudrange zuvorzukommen, wurden die verschiedenen Zugbrücken
nach dem jedesmaligen Uebergange der Detachements aufgezogen, so daß die
Besiegten vom Juni bis zur Ulloa ohne alles Geräusch und Zudrängen von
Neugierigen anlangen konnten.
Die Unglücklichen waren, je zu drei Mann, an den Händen gebunden; die Pariser
Wächter und Gensd'armerie gingen ihnen zur Seite. Das Zwischendeck der Ulloa
ist in Räumen abgetheilt, deren jeder 15 Insurgenten faßt. Unter ihnen
befinden sich Bürger, Militär, Mobilgardisten, Nationalgardisten; die Einen
sind niedergeschlagen, und lassen ihren Schmerz laut werden, über die ewige
Trennung von ihrem Vaterlande; bei den Andern völlige Resignation.
Thomassin, der Organisateur des Festessens von 25 Centimes, so wie Gaëtan
befinden sich im Transporte. Die weitere Bestimmung der Ulloa, die schon
seit drei Wochen auf diese Schiffsladung menschlichen Ballastes harrete, ist
unbekannt. Ein anderer Bericht meldet, daß Männer, welche dem Tod im Juni
trotzten, weinten wie Kinder. Alle Zuschauer, welche gegenwärtig, waren
tiefgerührt über das Schicksal dieser Männer, die fast alle im Februar mit
gefochten.
‒ Die Geschichte des Attentats der Windbüchse auf Thiers lös't sich in Wind
auf.
Die „Republique“ bemerkt: „Die Abendjournale stützen sich auf einen Bericht
des „Constitutionnel“, der ungefähr gleichlautend ist mit dem des „Journal
des Debats.“ Sie wollen in diesem schlechten Witz durchaus einen ernsten
Mordversuch erblicken. Es gibt ein Mittel, alle weitere Debatten
abzuschneiden. Dazu genügt die Veröffentlichung der Protokolle des
Polizeikommissairs und des Arztes, der den Zustand des jungen Mädchens zu
konstatiren hatte. Aber der Bürger Thiers hält darauf, für ein der Kugel
oder dem Eisen eines Meuchlers geweihtes Opfer zu gelten. Als er sein Schloß
Récous bewohnte, dem er den poetischen Namen Villa Orsini beilegte, war er
nicht auch von dem Gedanken besessen, man stelle seinem Leben nach? Hatte er
nicht eine Schildwache für seine Person verlangt? Sagte ihm bei dieser
Gelegenheit nicht der berühmte Carrel: „Du, sterben an einem Pistolen- oder
Flintenschuß! Nein, Du kannst nur sterben an einem Fußtritt ‒ an irgend einen Orte.“ Es ist dies historisch.
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Paris, 9. August.
Gestern Nachmittag brachte endlich ein Kourier des Londoner Kabinets den
langersehnten Beitritt desselben zu unserer Mediationsvorschlägen im
italienischen Kriege. Wenige Stunden später gingen Kouriere an Lord
Abercromby, englischen Gesandten und v. Reizet, Geschäftsträger der
Republik, in Turin, weiter, um diesen Herren den Befehl zu bringen, sich
sofort in die Generalhauptquartiere der beiden kriegführenden Parteien,
König Karl Albert und Radetzki, zu begeben und ihnen die amtliche
Mittheilung von der Mediation Englands und Frankreichs zu machen, sowie mit
ihnen über einen provisorischen Waffenstillstand zu unterhandeln, während
welchem über die Bedingungen der Mediation zwischen den Kabinetten selbst
verhandelt werden könne.
Ein dritter Kourier schlug die Richtung nach Wien ein, um den dortigen
französich-englischen Gesandten die Grundzüge zu bringen, nach welchen die
Mediation eingeleitet werden solle.
Diese Grundzüge selbst sind natürlich noch Staatsgeheimniß
‒ Gustave de Beanment ist zum Gesandten der Republik nach London ernannt, wo
sie bisher von Herrn de Tallenay vertreten wurde.
‒ In den Faubourgs und einigen Straßen herrschte gestern eine bedenkliche
Gährung. Das Gerücht hatte sich verbreitet, die Regierung wolle mit den
Insurgenten kurzen Prozeß machen. Sie ließe sie im Havre einschiffen und
dann in das Meer werfen.
Diese Nachricht rief unter den Frauen, Kindern und Verwandten der 10,000
Gefangenen eine große Angst und Erbitterung hervor; man stieß die
fürchterlichsten Verwünschungen gegen die Regierung aus und drohte die Stadt
in Brand zu stecken.
‒ Zwei bedeutende Glieder des Berges, Theodor Bac und Germain Sarrut stellten
gestern das Ministerium rücksichtlich der geheimnißvollen Einschiffung von
531 Insurgenten zur Rede und wollten wissen, welchen Entschluß man überhaupt
rücksichtlich dieser Unglücklichen nebst ihren
Angehörigen gefaßt habe? Kriegsminister Lamoriciere antwortete, daß die
Regierung die Einschiffung der einzelnen Züge deshalb geheimnißvoll, d. h.
unvermuthet bewerkstelligen lasse, weil sie jeden Befreiungsversuch, jede
Ruhestörung zu vermeiden trachte. Uebrigens dirigire sie die abgeurtelten
Insurgenten zunächst nach Belle Isle en Mer (vor der Loiremündung), lasse
dort für 3 bis 4000 Personen Wohnungen errichten und werde dorthin die
Frauen und Kinder der Verurtheilten folgen lassen. Ein anderer Theil werde
den andern Rheden zugeschickt werden und dort so lange bleiben, bis die
Nationalversammlung über den Verbannungsort definitiv entschieden haben
wird.
‒ In den letzten vier Tagen fielen mehrere Schüsse gegen einzelne
Schildwachen auf den Pariser Festungswerken. Der Haß gegen die Mobilgarde
wächst mit jedem Tage. Die 250 Ehrenkreuze, die ihr Cavaignac verlieh, haben
die Erbitterung bedeutend gesteigert.
‒ Repräsentant Rouher, ein Demokrat im Bourgeoissinn, hat gestern der
Nationalversammlung seinen Bericht über Morin's Antrag auf Abschaffung der
Artikel 414, 415 und 416 des Code Penal (die von den berüchtigten
Arbeiter-Coalitionen handeln) vorgelegt. Der Bericht ist der Abschaffung
günstig und unterstützt die mildere Redaktionsweise des Antragstellers.
Nationalversammlung. Sitzung vom 9. August. Anfang
11/4 Uhr. Präsident Marrast. Bouzzat, dessen neuer Preßgesetzentwurf gestern
durchfiel, reklamirt fruchtlos gegen die Abfassung des Protokolls.
Goudchaux, Finanzminister, legt zwei für das Ausland ganz interessenlose
Dekretentwürfe vor, von denen der Letzte sogleich votirt wird.
Senard, Minister des Innern, beantragt einen Jahresgehalt von 2000 Franken
für die Wittwe des Generals Damesme, der die Mobilgarde in der Junischlacht
nach Düvivier befehligte und an seiner Wunde starb.
Dieser Antrag soll morgen diskutirt werden.
Die Versammlung nahm dann die Preßgesetzgebung wieder auf. Die Diskussion im
Allgemeinen ist geschlossen und der Kampf um die beiden Entwürfe (den
Senardschen und den Pascal Dupratschen) wird fortgesetzt.
Inzwischen erhalten General Lafontaine, v. Montreuil, Dorlan und Graf
Montalembert die nachgesuchten Urlaube.
Leon Faucher besteigt die Bühne und vertheidigt den ministeriellen
Preßentwurf. Man theilt, sagt er, die Vertheidiger und Gegner desselben in
zwei Parteien. Man nennt Erstere (nämlich die Vertheidiger der Kaution)
Vertheidiger des Privilegiums; Letztere die Vertheidiger der Freiheit. Wir,
die die Kaution vertheidigen, sind der Ueberzeugung, daß sie die Presse
moralisire; der Entwurf führe nicht die Kaution ein, sondern er verringere
dieselbe. Der große Staatsökonom des Siecle eifert gewaltig gegen die von
Ledru Rollin gestern aufgestellte Behauptung, daß die Unterschrift des
Artikelverfassers die beste moralische Kaution sei. Er sicht nebenbei gegen
die verderblichen Grundsätze des Luxemburg und protestirt vor allen Dingen
gegen die Manie, uns Franzosen amerikanisiren zu wollen. Die Temperamente
seien verschieden, mithin müßten auch die Staatseinrichtungen verschieden
sein. Diese Kritik der „Doktrinäre des National“ war das Gelungenste in
seiner heutigen Rede. Er bekämpfe, schloß er, den Gegenentwurf endlich aus
dem Grunde, weil er den Sitten und Gebräuchen des französischen Volkes (soll
wohl heißen Journalismus) zuwider sei.
Flocon: Der Redner, der so eben die Tribüne verläßt,
hat schon die Nützlichkeit, Moralität und Nothwendigkeit des Kautionswesens
wiederholt zu beweisen gesucht. Ich werde ihm zeigen, daß er sich radikal
irrt. Was erklärte Ihnen der Minister, als er Ihnen seinen Entwurf vorlegte?
Er sagte Ihnen, daß das Kautionsprinzip nichts tauge; daß er es selbst
zeitlebens bekämpft habe, daß aber der jetzige Zustand der französischen
Gesellschaft ein anormaler sei, weshalb er das Gesetz nur provisorisch so
lange gelten lassen wollte, bis die Verfassung die Preßverhältnisse
regulirt. Wohlan, der Minister findet das Prinzip also schlecht; Hr. Faucher
erhebt es dagegen in die Wolken. Wie soll man sich diesen Widerspruch
erklärt? Der Redner entwickelt hierauf den industriellen Charakter des
Kautionswesen, das die Presse zur Kuh herabwürdige und er votirt gegen den ministeriellen d. h. für den Paskal'schen Entwurf.
Pagnerre, der berühmte Verleger des Manuel
republicain, unterstützte ebenfalls den Pascal-Duprat'schen Entwurf, weil er
alle Geranten jeder Verantwortlichkeit entbindet.
Nach ziemlich stürmischer Debatte über den Vorrang der verschiedenen
Gegenentwürfe, worunter der Dupratsche der Erste ist, schritt die
Versammlung zur Abstimmung über diesen Gegenantrag. Von 749 Anwesenden
stimmten 342 für und 407 gegen den Paskal-Duprat'schen Entwurf. (Sensation
über die starke Zahl der Opposition.) Der ministerielle Entwurf hat somit
gesiegt.
[0374]
Nach einer Pause nahm Louis Blanc das Wort und trug, von der Tagesordnung
abweichend, auf Beschleunigung der Diskussion des berüchtigten Bauchartschen
Anklageberichtes an.
Bauchart erklärte, daß 22 Schnellschreiber mit Kopirung der Beläge
beschäftigt seien. Sobald der Druck derselben vollendet, könne die
öffentliche Diskussion derselben beginnen. Wenn die Kommission einige dieser
Beläge zurückhalte, so geschehe dieß im Interesse des Landfriedens.
v. Morney, empört über den Druck der Beläge, gibt
seine Demission als Glied der Untersuchungs-Kommission.
Die Diskussion wird auf Sonnabend festgesetzt und die Versammlung kehrt zur
Tagesordnung zurück.
‒ (Nach 4 Uhr). Das Prinzip der Kaution einmal durchgesetzt, bot die
artikelweise Berathung des ministeriellen Entwurfs nur sekundäres
Interesse.
Der einzige Punkt, ob der Staat denjenigen Journalen, welche bisher 100,000
Franken Kaution gestellt hatten, den Mehrbetrag (die jetzige Kaution beträgt
nur 24,000 Franken) in baar oder Renten zurückbezahlen sollen, gab zu einer
unerheblichen Debatte Veranlassung. Mehrere Glieder schlugen vor, ihnen
denselben sofort in Renten zurückzugeben, während
der ministerielle Entwurf sich sechs Monate ausbedingt, und dann es in
baarem Gelde zu thun verspricht.
Die Opposition wurde auch in diesem Punkte geschlagen. Der Mehrbetrag wird in
6 Monaten baar zurückgezahlt.
Präsident Marrast schritt nun zur Abstimmung über den Gesammtentwurf. Fast
zwei Drittheile der Versammlung erhoben sich für denselben.
Dies Gesetz ist also angenommen. Es herrscht einige Minuten lang Agitation im
Saale.
Die Presse ist somit mit 24,000 Franken per Journal moralisirt.
Wichtig bei dem neuen Gesetz ist, daß die Kaution vorzüglich zu den Strafen
verwandt werden soll, wodurch der Redakteur dem Geranten völlig unterworfen
wird.
Marrast las demnächst den Appendix zum Kautionsprinzip, nämlich das neue
Strafgesetz.
Tranchan oder Tronchon ergriff das Wort, um dasselbe zu amendemiren.
Mehrere andere Amendements werden dem Präsidenten zugestellt. Da dieselben
vorher gedruckt werden müssen, um dann vertheilt zu werden, so wurde die
Diskussion auf morgen verschoben, und die Sitzung kurz vor 6 Uhr
geschlossen.