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Paris, 8. Aug.
Der sardinische Gesandte, Marquis Brignoli-Sali und der Marquis A. Ricci
pflegen häufige Unterredung mit Cavaignac, um sich über die bewaffnete
Mediation zu verständigen, deren Grundzüge zwischen England und Frankreich
bereits festgestellt worden. Welcher Art diese Grundzüge sind, verschweigen
noch die Debats.
‒ In einem anderen Kabinetsrathe wurde gestern folgender Personenwechsel
besprochen. Marie, Justizminister, früher Staatsbautenminister u. s. w.
würde an Seguier's Stelle treten; Senard, Minister des Innern, würde
Justizminister werden und Marrast, Präsident der Nationalversammlung, statt
Senard das Portefeuille des Innern erhalten.
‒ Es wird stark von einer abermaligen Anleihe von 500,000,000 Franken
gesprochen. Doch zeigt sich der National entrüstet, wie man nur solchem
Börsengerede den geringsten Glauben schenken könne. Wir können indeß
versichern, daß bei Rothschild wirklich deßwegen angefragt wurde.
‒ Der Moniteur zeigt an, daß 1) der dänische Gesandte, Graf Moltke, 2) der
toskanische Gesandte, Ritter Peruzzi, 3) der holländische Gesandte, Baron
Fagel die Ehre hatten, durch den Minister Bastide dem General Cavaignac
vorgestellt zu werden.
‒ Die „Gazette des Tribunaux“ veröffentlicht heute die Namensliste der 480
gestern in Havre eingeschifften Insurgenten. Es sollten ihrer 560
eingeschifft werden, aber es war in den Forts einige Verwirrung eingerissen
und so ergab sich, daß bei der Zählung an der ersten Station nur 480
vorhanden waren. Man band sie zu Dreien und verpackte sie wie Häringe auf
der Fregatte Ulloa. Die Reise geht wahrscheinlich nach Madagascar. Außer
Thomassin, dem Haupte des Bankets à 25 Centimes, und einigen Andern finden
sich wenige bekannte Namen auf der Liste.
‒ Unter den Papieren des Generals Duvivier findet sich eine Proklamation, die
der Verstorbene als Mitglied des Arbeitsausschusses der Nationalversammlung
entwarf, um die Grundsätze dieses Ausschusses vor aller Welt darzulegen. Der
Entwurf sah nicht das Leben, weil er wahrscheinlich dem Ausschusse noch zu
radikal war. Der „National“ veröffentlicht ihn heute nachträglich nach dem
„Atelier.“
‒ Die Maurer-, Zimmer-, Anstreicher- und sonstige Bau-Gesellen, die sich
jeden Morgen auf den Grêve- und Cairo-Plätzen zu versammeln pflegen, um
Arbeit zu suchen, tragen darauf an, daß man auch ihrer „Börse“ ein
anständiges Lokal mit Säulengängen u. s. w. erbaue; fragt sich nur, wie der
hochlöbliche Gemeinderath den diesfälligen Antrag aufnehmen wird?
‒ National-Versammlung. Sitzung vom 8. August.
Präsident Marrast. Die Bänke früh und zahlreich besetzt. Auf den Gesichtern
eine gewisse Aufregung. An der Tagesordnung ist bekanntlich die
Preßdebatte.
Aug. Callet vertheidigt die Kaution. Er sieht keine Präventivmaßregel in
Hinterlegung eines Geldpfandes bei Gründung von Zeitungen, sondern eher eine
Conservirung der Preßfreiheit in ihr. Er kann nicht begreifen, wie man die
Kaution den Tod der Preßfreiheit nennen könne; sie sei es ja gerade, welche
der Zeitungspresse den gehörigen Ernst und Einfluß verschaffe. Blätter, die
nicht einmal eine Kaution aufbringen könnten, hätten keine Partei für sich
und auf keine Zukunft zu hoffen. Sie seien mit jenen fliegenden Drachen zu
vergleichen, welche so viel Unglück während ihrer schimpflichen Existenz
über das Vaterland verbreitet hätten.
Mathieu (Drome) bekämpft den ministeriellen Entwurf als illiberal und dem
Geiste des französischen Volkes feindselig. Die Zusammenquetschung des
Gedankens, ruft er aus, ist eben so gefährlich, als die Zusammenpressung des
Dampfes, ohne ihm Oeffnung zu lassen. Lasset ihr ihm kein Ventil, so wundert
Euch nicht, wenn der Kessel eines Tages wieder springt. (Lärm und
Heiterkeit.) Zeitungen einer Geldkaution zu unterwerfen, gehöre nach
Rußland; die französische National-Versammlung dürfe die Mittel des
russischen Kaisers nicht nachahmen. Die freie Presse sei eine nothwendige
Folge des allgemeinen Stimmrechts. Habe man dieses angenommen, so müsse man
sich auch seine Konsequenzen, Recht auf Arbeit (Lärm), Recht auf
Existenzgarantie (noch heftigerer Lärm), Recht der freien Meinung, gefallen
lassen. Ihr fürchtet die Volksblätter, ruft der Redner der Rechten zu, Ihr
fürchtet die kommunistischen Angriffe auf das Eigenthum! Wohlan, das beste
Mittel gegen diese Angriffe besteht in der freien Presse, ja wohl, in der
entschieden freien Presse, welche jeden Angriff zu Boden wirft, der die
öffentliche Kritik nicht auszuhalten im Stande. Die ganz freie Presse ist
das beste Präventivmittel gegen die Auswüchse der Tagespresse. Sie bewaffnet
Jedermann zum Schutze gegen die frühere Willkühr.
Aug. Avond bekämpft ebenfalls die Geldfesseln, die man der Presse anlegen
möchte und widerlegt vorzüglich die Behauptung Leon Fauchers, wonach es eine
Kleinigkeit wäre für ein Unternehmen, das ohnedies Hunderttausende koste,
noch 48,000 Fr. Rente aufzutreiben. Der Theil der Rede, worin er die
ökonomische Großthuerei des genannten Faucher schlug, wurde besonders
beifällig von der Linken aufgenommen. Ihm zufolge sei die Kautionsforderung
lediglich ein Mundschloß gegen die Kommunisten. Dieselbe werde aber ebenso
ihre Wirkung verfehlen, als die verfolgungssüchtigen Staatsanwälte unter
Louis Philipp.
Marie, Justizminister, von allen Seiten seinen Entwurf angegriffen sehend,
eilt auf die Bühne, um ihn zu vertheidigen. Er sei ja nur temporair, sagt
er, ein Grund, den wir seit drei Tagen schon hundert Mal hören mußten. Auch
er liebe die Freiheit, ruft er mit seiner Stimme, aber die Freiheit in der
Ordnung. Auch er habe mit Inbrunst die Institutionen gegen die Preßfreiheit
niederreißen helfen, womit die Monarchie sich gerüstet, aber er habe die
Ueberzeugung gewonnen, daß man nicht mit absolut neuen Grundsätzen regiren
könne. (Dieses Geständniß errregt großes Aufsehen.) Sein Entwurf gefährde
die Preßfreiheit nicht. Er erhalte nur die Ordnung in der Republik.
Laurent (Ardeche) bekämpft die ministeriellen Bedenklichkeiten und schleudert
beißende Epigramme gegen die Väter des Entwurfs.
Bac interpellirt den Minister: was man mit den Insurgentinnen und den Frauen
der Insurgenten anfangen werde?
Minister: Sobald die Niederlassung auf Belle-Isle vollendet sei, würden sie
ihren Männern nachgeschickt.
Nach dieser Interpellation trat die Versammlung in die Tagesordnung zurück.
Boursat wollte in Form eines Amendement ein Contre-Projekt einschmuggeln.
Dies gelang ihm aber nicht, sein Amendement wurde verworfen.
Die Versammlung hörte nun das bekannte Dupratsche Gegenprojekt an, das
Marrast vortrug.
Dieses Projekt setzt bekanntlich die Unterschrift des Verfassers als Kaution
ein. Duprat enwickelt dasselbe.
Berville, ein langer dürrer Advokat vom Pariser Appellhofe, fand die
Unterschrift des Verfassers bei Weitem weniger werth, als baares Geld, d. h.
ein Pfand von 48,000 Fr. Die Journale würden überdies in der Nacht gedruckt
und da könne leicht ein böses Artikelchen unter die Entrefilets im Finstern
schlüpfen. Für eine Zeit, in welcher das Interrsse und die Moral gähre, sei
eine Kaution nöthig.
Ledru-Rollin unterstützt den Dupratschen Entwurf. Die Kaution sei eine
Präventivmaßregel von der gefährlichsten Sorte, die er jederzeit bekämpft
habe. Man sagt: Keine Kaution wollen, heiße die Monarchie wünschen, keine
Kaution wollen, heiße der Privatrache Thür und Riegel öffnen. Wohlan, der
Constitutionnel und andere Blätter hätten ihn einen Libertie geschimpft (die
Jagd in Trianon). Wohlan, ein Staatsmann müsse gegen dergleichen
Wespenstiche unempfindlich sein. Ohne die Juni-Revolution hätte die
Exekutivgewalt die Kaution längst abgeschafft. Am 22. Juni habe sie durch
Bethmont den betreffenden Entwurf bereits vorzulegen beabsichtigt. Seine
Rede machte großen Eindruck.
Senard suchte denselben zu schwächen. Er dankte dem Vorredner, daß er
wenigstens an seiner guten Absicht nicht zweifle. Das Dekret sei ja nur
provisorisch und die Versammlung könne ja dasselbe bei der
Verfassungsberathung wieder abschaffen. (Häufige Unterbrechung.)
Die Versammlung vertagt die Debatte auf morgen. (61/4 Uhr)
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] Paris, 7. August.
Der politisch-juridische Traktatus über Revolutionen und Insurrektionen von
Odilon-Barrot ist das Grundthema, welches der Kammer, dem Lande, dem
Journalismus zur Diskussion vorliegt.
Für uns bietet dieser Traktatus weder eine politische, noch eine juristische
Seite dar; sondern er ist weiter nichts, als der Ausbruch des Aergers eines
Mannes, der sich eine große politische Wichtigkeit beimißt, gegen Männer,
die auf ihn nicht im Mindesten reflektirten. Odilon-Barrot sieht in der
ganzen Kammer nur Odilon-Barrot's; und um die Kammer gegen die ihm
feindseligen Männer aufzureizen, stellt er alle folgenden Manifestationen
als von dieser Partei hervorgerufen dar, um 1) in den damaligen Elektionen
die Odilon-Barrot's von der Kammer fern zu halten und 2) um die schon
gewählten Odilon-Barrot's aus der Kammer herauszuwerfen. Die Geschichte der
Februar-Revolution zerfällt nach ihm in Abschnitte: 1) 16. März, eine
Volksmanifestation; hervorgerufen von Ledru-Rollin & Comp., und
gerichtet gegen die Odilon-Barrot's in der Gestalt der Bärenmützen; 2) 16.
April: Komplot, vorbereitet von Ledru-Rollin und Genossen, und gerichtet
gegen die Odilon-Barrot's, in der Gestalt von Kandidaten für die
Nationalversammlung; 3) 15 Mai-Attentat, mit Vorwissen von Ledru-Rollin und
Genossen, und gerichtet gegen die aus Odilon Barrot's bestehende
Nationalversammlung; 4) Bürgerkrieg der honnetten Odilon-Barrot's gegen die
malhonnetten Rollin's und Genossen.
In der Pathologie unterscheidet man die nächsten Ursachen von den
prädisponirenden Ursachen der Krankheit. Geht man näher auf die Ursache der
nächsten Ursachen ein, so kommt man auf die prädisponirenden, und fragt man,
was ist die Ursache der prädisponirenden, so antwortet man in der
katholischen Pathologie, die Erbsünde. Was ist nun aber die Ursache der
Erbsünde? Das Leben. Und so wäre am Ende das Leben die Ursache der
Krankheiten. In dem Berichte Odilon-Barrot's ist die Revolution die
Erbsünde; aber diese Erbsünde erscheint uns beständig personifizirt durch
Ledru-Rollin, Louis Blanc und Caussidiêre. Was in dem Berichte causes
générales, crises u. s. w. heißt, das läßt sich in der gewöhnlichen Sprache
durch reine Namen übersetzen. Geh'n wir jetzt näher auf die einzelnen Phasen
ein. Am 24. Februar hatte das Volk in Gemeinschaft mit der Nationalgarde
gesiegt. Oder vielmehr! die Nationalgarde war in so fern an dem Siege des
Volkes betheiligt, als sie sich an dem Kampfe nicht betheiligt, sondern
ruhig zugesehen hatte. Es handelte sich darum, eine provisorische Regierung
zu bilden. Keine Partei wagte sich in der ersten Ueberraschung voran zu
stellen. Der Populär wandte sich an die Reforme, die Reforme an den
National, der National kam mit einer Liste heran, der neben der Partei der
Reforme den dynastischen Odilon Barrot enthielt. Die Reforme hatte Muth
genug, diesen letzten Namen zu streichen, und so kam die provisorische
Regierung zu Stande. Der National vertrat die Bourgeois-Partei: Lamartine
trat als Versöhner in die Mitte. Die Spaltung ließ nicht lange auf sich
warten. Bei der neuen Organisation der Nationalgarde, deren Reihen nun allen
Franzosen eröffnet wurden, wollten die sogenannten bonnets de poils, die
Bärenmützen, Grenadiers und Voltigeurs ihr altes Cadre beibehalten. Im Grund
war diese Bourgeois-Manifestation nichts weiter als ein Reaktionsversuch, um
die Partei der Reform zu stürzen. Das Volk, wie instinktmäßig getrieben,
versammelt sich ohne Waffen auf dem Platz des Rathhauses um durch seine
Masse der Bourgeoisie, den Bärenmützen, die Tags vorher an demselben Platze
eine Manifestation gemacht hatten, zu imponiren. Die Partei Ledru Rollin's
blieb und die Bärenmützen mit Odilon Barrot an der Spitze mußten abziehen.
Das war jene Irruption, die Herr Barrot in seinem Berichte so sehr rügt.
Indessen fingen die Wahlen an. Die Bourgeoisie wurde kühner in ihren
Reaktionsgelüsten und Ledru-Rollin arbeitete ihnen thätig entgegen. Die
Scheidung zwischen Bourgeoisie und Volk trat immer schroffer hervor. Die
Wahlen hatten allen Anschein, ungünstig auszufallen. Die verschiedenen Klubs
und Ateliers-Nationaux vereinigten sich auf dem Champ de Mars in
Wahlangelegenheiten. Die Anwesenheit Blanqui's in dieser Versammlung flößte
einige Furcht der provisorischen Regierung ein, und sie ließ den Rappell
schlagen. Die Nationalgarde kam zusammen, aber die Klubs, die auf dem
Marsfelde vereinigt waren, trennten sich friedlich ‒ diese zweite
Volksmanifestation, die nicht einmal in der Stadt Statt hatte, wird für
Odilon Barrot ein Komplott, das gegen die Gesellschaft gerichtet war,
natürlich gegen die Gesellschaft, die sich in Odilon Barrot personifizirt.
Die Wahlen haben stattgefunden.
Die Bourgeois-Partei hat gesiegt; unter ihr befindet sich der unglückliche
Odilon Barrot, dessen Hohlheit von den eigentlichen Bourgeois wie Thiers
selbst verlacht wird. Das Volk macht abermals eine Manifestation zu Gunsten
Polens, ohne allen feindlichen Plan, ohne alle sonstige Verschwörung. An der
Kammer angelangt, drangen die Blanqui'schen Klubs in die Versammlung. Die
Kammer war in Gefahr, erdrückt zu werden. Man sammelt sich um Ledru-Rollin;
die Deputirten bestürmen ihn die Präsidentschaft anzunehmen. Odilon-Barrot
verwandelt das frühere Komplott in ein Attentat, das lange vorher mit
Ledru-Rollin's Vorwissen angezettelt war, um die OdilonBarrot's aus der
Kammer zu treiben. Nach diesen drei Tentativen muß dann endlich der
Bürgerkrieg kommen; die Volksmanifestation, (Manifestation) die sich erst in
Komplott und dann in Attentat verwandelt hatte, endet mit der Insurrektion.
Sie hatte angefangen mit der Revolution, d. h. mit Rollin, Blanc und
Caussidiere, und sie hört auf mit der Insurrektion, d. h. mit Rollin und
Blanc, deren Nämen ebenfalls hinter den Barrikaden gehört wurden.
Mignet und Thiers sind Geschichtsschreiber und Hausfreunde: Mignet est la
doublure de Thiers ist sprichwörtlich geworden, d. h. stellen wir uns Thiers
als einen Rock vor, so liefert Mignet das Futter dazu. Thiers hat die
französische Revolution „vom historischen“ Standpunkte, Mignet vom
„philosophischen“ geschrieben. Beide tragen weiße Hüte. Mit dem Attentate
verhält es sich nun folgendermaßen. Thiers war in der Kammer, Mignet im
Garten des Hrn. Thiers, und an seinem Hause saß ein junges Mädchen von 9
Jahren. Schon lange Zeit vorher hatte die Polizei dem Hrn. Thiers den Rath
gegeben, sich seinen weißen Hut abzuschaffen, der ihn allzukenntlich mache.
Aber dieser weiße Hut war sein Heil. Man nahm Hrn. Mignet für Hrn. Thiers,
und schoß auf ihn mit einer Windbüchse. Das Kleid des Mädchens ist allein
getroffen worden.