Deutschland.
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15
] Berlin, 7. August.
Ein eigenthümliches Schicksal scheint unsere Deputirten, besonders die linke
Seite derselben mit der Bürgerwehr und den Konstablern (Krummschnabler oder
auch Rumstapler nennt sie das Volk) in beständige Reibungen zu bringen.
Nachdem in der vorigen Woche Rodbertus, Berg und mehrere andere Abgeordnete
ohne Rücksicht auf ihre Unverletzlichkeit verhaftet worden, ist ein gleiches
Loos gestern Abend dem Dr. Stein widerfahren. Dieser
stand ganz gemüthlich unter den Linden und rauchte seine Cigarre; plötzlich
wird er von einem Trupp Konstablern umringt, die ihn ohne Weiteres
arretiren, und als er, sich ohne Einwendungen fügend, seine Cigarre weiter
rauchte, ihm dieselbe aus dem Munde schlugen, mit der Bemerkung: Sie sind
verhaftet und dürfen nicht rauchen. Stein folgte ihnen ganz ruhig nach der
Wache. Dort angekommen, wird er erkannt; unter tausend Entschuldigungen will
man ihn entlassen. Er aber bleibt, und meint, er würde nicht früher weichen,
als bis man ihm eine Gesetzesstelle nachweise, wonach das ruhige Stehen
eines Einzelnen unter den Linden verboten sei. ‒ So ziehen sich denn
gefährliche Wolken über dem Konstablerthum zusammen, gegen welches sich die
Linke und das Centrum verschworen haben; zugleich aber auch über Kühlwetter,
der mit diesem Institut stehen und fallen will, so wie über Hansemann, der
den öffentlichen Kredit und das allgemeine Vertrauen in so nahe Beziehung zu
den Konstablern gebracht hat. Auch der Unwille des Volkes gegen die
Schutzmänner hat sich noch nicht gelegt; die Handwerker sind entrüstet
darüber, daß man ihnen unverheirathete, ja auch fremde Gesellen vorgezogen
hat, und diesen eine Besoldung giebt, welche manche Prolelatierfamilie
ernähren könnte.
Die Bürgerwehr fängt an, gegen die Lindenklubs energisch einzuschreiten.
Jeden Abend sind dort mehrere Kompagnien aufgestellt, welche gegen jeden
Volkshaufen mit gefälltem Bajonet eindringen, um ihn auseinander zu treiben.
Besonders tapfer benimmt sich hierbei das vierte Bataillon, dasselbe, dem
Rodbertus seine Verhaftung verdankt, und dem Hr. Rimpler, unser neuer
Bürgergeneral, unter dem Versprechen, es zukünftig immer zur Aufrechthaltung
der Ruhe zu verwenden, eine besondere Belobigung hat zu Theil werden
lassen.
Die Studenten erklären öffentlich, daß sie an der morgenden Bürgerwehrparade
keinen Antheil nehmen werden. Ergötzlich ist es, das vor der Universität
aufgestellte schwarze Brett der Studirenden und die Anschläge darauf zu
betrachten. Auch ist dasselbe fortwährend von solchen Massen Neu- und
Lesebegieriger umdrängt, daß es oft schwer hält heranzutreten um ein
günstiges Plätzchen zum Lesen zu erobern. Seit mehreren Tagen wird zwischen
dem reaktionären und demokratischen Theil der Studentenschaft ein hitziger
Krieg geführt. Die Hengstenbergianer und die Söhne der Beamten und Adeligen
haben einen Bund, den „Wingolf“ gestiftet, der aus ungefähr 40 Mitgliedern
besteht. Dieser Wingolf hat vor einigen Tagen ein anonymes Plakat
veröffentlicht, worin gegen die Beschlüsse der „sogenannten, allgemeinen
Studentenschaft“ Protest eingelegt und dieselbe nur als ein kleiner, kaum
der zehnte Theil der wirklichen Studentenschaft dargestellt wird. Es sei nur
eine Partei, welche, das Treiben der Wiener Studenten nachahmend, den
Königen und ihren Rathgebern nicht nur grobe „Wahrheiten, sondern auch wahre
Grobheiten“ sage. Mehre Studenten forderten nun den oder die Verfasser des
erwähnten Plakates öffentlich auf, ihren Namen zu nennen, wenn sie noch
einen Funken von Ehre besäßen. Ja, da hapert's! Zwar traten die Herrn v. Arnim, v. Diest, v. Winterfeld, de Bourdot (wie
man sieht, lauter Aristokraten) auf, welche sich offen mit jenem Plakat
einverstanden erklärten; ja ein Hr. v. Puttkammer verkündet, daß er jenes
Plakat „nicht direkt verfaßt“ habe, aber trotz wiederholter Aufforderungen
hat noch Niemand klar und entschieden sich als Verfasser nennen wollen.
Mit der Reorganisation im Großherzogthum Posen geht es lustig weiter. In
Trzemeszno hat der Landrath den Bürgermeister Perzynski ohne Weiteres von
seinem Amt entfernt, und dafür einen guten Deutschen, Namens Priebe, der das
Verdienst hat, Unterschriften zu einer Einverleibungsadresse nach Frankfurt
gesammelt zu haben, an seine Stelle gesetzt, und außerdem mehre ihm
mißliebige Polen, die früher Mitglieder des Nationalcomités gewesen waren,
aus dem Magistrat verjagt. ‒ Zur Wieder-Eröffnung des Marien-Gymnasiums in
Posen hat der Schulrath Brettner eine sehr schöne Rede gehalten, welche
gewiß nur Wenigen der anwesenden Schüler mißfallen hat, aus dem Grunde, weil
diese deutsch war, und von den Meisten deshalb nicht verstanden wurde. Der
Herr Schulrath ermahnte die Jugend väterlich, den preußischen Behörden
hübsch folgsam zu sein, wo nicht, so könnten sie darauf rechnen, daß die
väterliche preußische Regierung das Gymnasium sofort schließen würde. (Wo
bleiben die Shrapnells?) Ein kaiserlicher Ukas verordnet, daß in Petersburg
alljährlich auf 2 Monate ein aus 4 Mitgliedern und einem Präses bestehendes
Rabbiner-Comité zusammentreten solle. Zu dem Zwecke sollen die Rabbiner,
Kaufleute und angesehenern Juden der 6 Gouvernements, in denen Juden wohnen
dürfen, die betreffenden Wahlen halten, die General-Gouverneurs 18
Kandidaten vorschlagen und das Ministerium des Innern 5 Mitglieder daraus
ernennen. Aufgabe des Comités ist Berichterstattung über jüdische
Ritual-Gesetze und Ceremonien.
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103
] Berlin, 7. August.
Auf der Tagesordnung zu der morgen stattfindenden Sitzung der
Vereinbarer-Versammlung stehet zunächst nach geendigter Berathung und
Abstimmung des Gesetzes über die Abschaffung der Todesstrafe, der Antrag des
Abgeordneten Waldeck, die sofortige Erlassung der
Habeas-Corpus-Akte. Dieser Antrag ist bereits in Folge des in der Sitzung
vom 1. August gefaßten Beschlusses in den Abtheilungen und der von derselben
gewählten Central-Abtheilung vorberathen worden. Auf den Wunsch des
Minister-Präsidenten zur Herstellung eines Einverständnisses, wurden die
Minister zu der am vergangenen Sonnabend stattgefundenen Sitzung der
Central-Abtheilung eingeladen. Die Minister haben sich auch mit der
Abtheilung über alle Punkte des ursprünglichen Antrages geeinigt. Nur über
die, von der Abtheilung neu hinzugefügte Bestimmung, die Regreßpflichtigkeit
der Beamten betreffend, konnte das Einverständniß mit dem Ministerium nicht
erlangt werden. Die Abtheilung verharrt aber bei ihrer Ansicht und wird in
ihrer heutigen Sitzung die Radaktion dieses höchstwichtigen Gesetzes mit den
Motiven beendigen.
Auf den Antrag des Abgeordneten Pokrzywinicki ist in
der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung vom 28. Juli eine Kommission
niedergesetzt worden um zu untersuchen: „ob Veranlassung vorhanden ist, die
an der Ostbahn in der streitigen Richtung von Driesen nach Bromberg
begonnenen Arbeiten so lange einzustellen bis die Versammlung über die
dieser Bahn zu gebende Richtung Beschluß gefaßt hat.“ Die Kommission hat
sich trotzdem, daß die direkte Linie von Küstrin über Woldenberg und Conitz
nach Dirschau 8 Meilen kürzer ist als die in Angriff genommene Linie über
Driesen und Bromberg, für die letzten entschieden. Man sagt daß die an der
bevorzugten längern Linie über Bromberg ansässigen Gutsbesitzer großen
Einfluß auf diesen Beschluß ausgeübt hätten. Dadurch hat sich Herr Semrau
Abgeordneter des Schlochauer Kreises, welcher Kreis von der direckten Linie
über Conitz würde durchschnitten werden, veranlaßt gesehen sämmtlichen
Vereinbarern eine Denkschrift über die Richtung der Ostbahn vertheilen zu
lassen. Er empfiehlt die direkte Linie über Conitz,
da diese Richtung: an Kosten circa 7 Millionen Thaler erspart, die
Vollendung der Bahn früher in Aussicht stellt, den Bau der Strecke von
Frankfurt bis Woldenberg einstweilen weniger nöthig macht, in
staatswirthschaftlicher und strategischer Beziehung jede andere Linie weit
hinter sich zurückläßt, und endlich West-Preußen und Hinter-Pommern
befriedigt.
Der Handlungsdiener Müller stand vor der ersten
Abtheilung des Criminalgerichts, angeklagt der versuchten Verleitung zur
Befreiung des gefangenen Schlöffel. Ein
hochgestelltes Mitglied des Denuncianten-Vereins hatte ihn beim Staatsanwalt
denuncirt, die Arbeiter am Plötzensee zur Befreiung Schlöffels überredet zu
haben.
Alle Arbeiter, welche heute vorgeladen waren, stellten diese Thatsache, wie
sie dies schon in der Voruntersuchung gethan, bestimmt in Abrede, und der
Angeklagte wurde freigesprochen.
Wie ist es aber zu verantworten, daß dieser unschuldig Denuncirte und
Angeklagte, gegen den sich schon in der Voruntersuchung nicht das Geringste
herausstellte, dennoch über drei Monat in Untersuchungshaft gehalten wurde.
Und im Angesicht solcher Thatsachen opponirt man gegen den Erlaß einer
Habeas-Corpus-Akte!
Im gleichen Falle befand sich der jetzige Inhaber Nante's, der Schriftsteller
A. Hopf von Charlottenburg, welcher in Folge eines
Flugblattes dem Staasanwalt wegen Majestätsbeleidigung denuncirt war. Er
befand sich drei Wochen in Untersuchungshaft und wurde heute entlassen. ‒
Also der Herr Staatsanwalt braucht volle drei Wochen um zu entdecken, daß
keine Majestätsbeleidigung in dem Flugblatte enthalten ist!
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14
] Berlin, 7. Aug.
Der Huldigungstag ist vorüber. Die Soldaten haben nicht gehuldigt; die
Bürgerwehr hat die Huldigung verschoben; das Volk hat gehuldigt ‒ aber nicht
dem Unverantwortlichen, sondern speziell der deutschen
Einheit Was aber die Bürgerwehr angeht, so verhält sich die Sache
so 92 Kompagnien hatten sich vor zwei Tagen zu einer Huldigungs
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@facs | 0357 |
Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski.
(Fortsetzung.)
Nach dem Abentheuer in Troppau treffen wir Hrn. v. Schnapphahnski zunächst in
Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesichte und es versteht
sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so
vortheilhafter an's Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein
verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommirender Duellant ‒ in
Berlin ist er Flaneur.
„Salamanca's Damen glühen
Wenn er durch die Straßen schreitet:
Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd
Und von Hunden stets
begleitet.“
Giebt es etwas schöneres, als flaniren? Der Hauptreiz des süßen Nichtsthuns
besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklingend und
schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade
dann flanirt, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten
müssen.
Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur
deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen
diese oder jene Summe profitirt, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint
ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine
Havanna-Cigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in
der Gluth der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen.
Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier
werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren todt schlagen. Ja,
thut es! es ist mir ganz recht ‒ aber nur einen verschont mir: den Ritter
Schnapphahnski!
Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher
sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Thee und das Weißbier den Rang streitig
machen, wo die schönsten Garde-Offiziere und die schönsten Frauen in
schlanken Taillen wetteifern, und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas
Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen ‒ Berlin war der
Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte
Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen.
Schnapphahnski war allmählig in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte
Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Caviar ‒ ‒ ein
Blaustrumpf, eine Emanzipirte, eine Giftmischerin! ‒ es war unserm Ritter
einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore!
Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der
letzten Affaire in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasirt war,
wie eine kranke Ente.
Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnski's auf die göttliche
Carlotta fielen . . . . Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte
erwünschter sein, als ein Roman mit einer geistreicher Schauspielerin, und
nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals
in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz
nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so
unrecht.
Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein pikantes, daß man in ihr eben
das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich
gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen
Landes, eines ganzen Welttheils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr
Thiers eine Rachel liebt ‒ ‒
Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhangs noch vor allen
Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken;
derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtniß von tausend Rivalen
schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich
einem seligen Räthsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der
Gluth eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine
Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna, oder eine Donna Maria unter vier
Augen, ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa.
Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß
faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es was wolle? Er machte sich
auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der
gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Weh's
und Ach's dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand
der Blokade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und
Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen- und Rosensträuße. Das
Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und
Fiddeln, dem man indeß noch eine Aufforderung zur Uebergabe in möglichst
gelungenen Stanzen und Sonnetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte
nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der
glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das
schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat
man den Angriff eine Zeit lang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal
eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um
die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgend einer alten Thür- oder
Thorwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht
bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man
das Feuer wüthender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man
sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von
seinem Verlangen abstehen, und man geberdet sich auch sofort wie ein
betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in
Bewegung gesetzt und sich ruinirt hat an Witz, Leib und Beutel.
„Es ist eine alte Geschichte
Doch bleibt sie ewig neu ‒“
Schnapphahnski belagerte seine Corlotta mit einer wahrhaft horntollen
Beständigkeit.
[0358]
Aber Ach, es war alles umsonst. Der edle Ritter seufzte seine besten Seufzer,
er warf seine glühendsten Blicke, er erschöpfte „seine ganze Kriegeskasse“
und doch sah Carlotta noch immer von der Bühne hinab in das Parquet, wo
stets an derselben Stelle, rein aus Zufall, ein wahrer Adonis von einem
Gardeoffizier stand und mit der lebendigen Künstlerin das Kreuzfeuer der
verliebtesten Blicke führte.
Da sammelte der edle Ritter seine Gedanken um sich, wie einen Kriegsrath und
beschloß, die Belagerung aufzuheben. Man glaube indeß ja nicht, daß Herr von
Schnapphahnski ein solcher Narr gewesen wäre, um rein als Geprellter von
dannen zu ziehen. Gott bewahre! Der Mann, der die Gräfin S. auf der
Landstraße aussetzte und die Hiebe seines Gegners mit nassen Sacktüchern
parirte, er wußte auch jetzt seine Ehre zu retten.
Tiefsinnig schritt er unter den Linden auf und ab und nachdem er einen Morgen
und einen Nachmittag mit sich zu Rathe gegangen war, ließ er plötzlich am
Abend anspannen und seinen leeren Wagen vor das
Hotel Carlotten's fahren.
Der Wagen stand dort den Abend, er stand die Nacht hindurch und er stand bis
zum Morgen. Ruhige Bürger, die eben nicht ganz auf den Kopf gefallen waren,
stießen einander an, wenn sie die Karosse sahen und blickten dann
schmunzelnd hinauf zu dem Fenster der Künstlerin.
Naseweise Literaten und spitzfindige Justizräthe schauten sogar auf das
Wappen und die Livrée des Kutschers, indem sie bedenklich die Köpfe
schüttelten und dann mit allerlei kuriosen Gesprächen nach Hause schritten.
Einige Offiziere stuzten aber erst vollends. ‒ Zufällig war unter ihnen auch
jener Adonis aus dem Parquet des Schauspielhauses! Es weiß nicht, was er
sieht, er reibt sich die Augen, er fühlt an seinen Kopf, um sich davon zu
überzeugen, ob ihn das Schicksal wirklich mit einem jugendlichen Hornschmuck
geziert hat und den Säbel in der Faust, dringt er dann in Carlotten's
Wohnung. ‒ ‒
Er findet die Künstlerin mutterselen allein in ihrem Zimmer ‒ sie empfängt
ihren Adonis, wie es einer Venus zukommt.
Erst mit dem Morgenroth ist die Karosse Schnapphahnski's verschwunden. Berlin
erwacht zu geschäftigem Treiben. Trödler und Eckensteher murren über das
Pflaster, Karren und Droschken rasseln vorüber, Handwerker und Kaufleute
eilen an ihre Arbeit und fast der einzige Mensch, der erst sehr spät und
äußerst langsam in die Stadt hinunterflanirt, das ist wieder niemand anders,
als unser berühmter Ritter Schnapphahnski. ‒ ‒
Er sieht etwas leidend und angegriffen aus; seine Augen glänzen
feucht-melancholisch und der schöne Kopf mit dem feinen Hute hängt sinnend
hinab auf die seufzerschwere Brust. Da schleicht der Ritter nachlässig
scharwenzelnd in den nächsten Salon und wirft sich gähnend auf den Divan.
„Theurer Ritter, auf Ehre, was fehlt Ihnen?“ fragen einige Bekannte, als sie
ihren Freund in so weicher, schmerzlicher Stimmung sehen. Keine Antwort. Die
Lippen Schnapphahnski's umspielt ein mildes Lächeln. „Auf Seele, Ritter,“
fährt man fort, „es scheint Ihnen etwas Ungewöhnliches passirt zu sein!“
Schnapphahnski reckt einmal alle Glieder. Eine halbe Stunde verstreicht so,
da hat der Ritter die Aufmerksamkeit seiner liebenswürdigen Umgebung bis
auf's Höchste gesteigert; auf's Neue bestürmt man ihn mit Fragen, er kann
nicht mehr widerstehen und gleichgültig wirft er die Worte: „die vorige
Nacht“ ‒ „bei Carlotta“ hin ‒ und rings entsteht das freudigste,
interessanteste Erstaunen!
Man sieht, die Aventüren unseres Ritters werden immer delikater. Zuerst eine
wirkliche Liebschaft, die zwar mit der erbärmlichsten Pointe schließt, deren
eine Liebschaft fähig ist, die aber wenigstens bis zum Augenblick der Pointe
alle süßen, schauerlichen Phasen durchmacht und den Eindruck bei uns
zurückläßt, daß es dem edlen Ritter wenigstens ein Mal in seinem Leben
gelang, eine Frau zu erobern, und ein Herz zu besitzen. Schade, daß die
Stöcke der Lakaien des Grafen S. sich an dieses erste Abentheuer reihen!
Dann die zweite Aventüre. Sie drehte sich ebenfalls um das schöne Geschlecht.
Der Ritter besitzt aber schon nicht mehr, nein, er intriguirt nur. Die Sache
läßt sich aber trotz dem noch hören, weil ein Duell daraus entsteht, ein
Duell mit einem Grafen G., einem wahren Eisenfresser, ein Duell mit krummen
Säbeln, und wir sind schon auf dem Punkte uns mit der Geschichte zu
versöhnen, als plötzlich jene erbauliche Wendung mit einem halben Dutzend
nasser Sacktücher eintritt und wir nur zu sehr fühlen, daß der Ritter eine
bedeutende Stufe gesunken ist.
Doch ach, jetzt die dritte Affaire mit Carlotta! Zu dem Ekel, den uns das
galante Malheur Sr. Hochgeboren verursacht, gesellt sich der bedauerliche
Eindruck der gewöhnlichsten Lügen, der blaßesten Renommage. Wir sehen den
Ritter auf dem Divan liegen, umringt von jungen Offizieren, den physischen
Katzenjammer der Liebe heucheln ‒ und es wird uns traurig zu Muthe!
Aber so war es. Wer weiß, in wie weit es Herrn von Schnapphahnski gelungen
wäre, seine Umgebung zu täuschen, und jenes selige Ermatten einer
glücklichen Nacht täuschend nachzuahmen, wenn sich nicht plötzlich der süße
Adonis Carlottens an der andern Seite des Salons emporgerichtet und den
renommirenden Ritter, seiner erbärmlichen Lüge wegen, ohne weiteres auf
Pistolen gefordert hätte. Was sollte Ritter thun? Er fühlte, daß er wieder
einmal eine Stufe sinken müsse; er wußte aus eigener Erfahrung, daß er im
Duell eben kein Heros war, und die Lust des Lebens und die Hoffnung einer
besseren Zukunft in Erwägung ziehend, entschloß er sich daher, eine gute
Miene zu dem bösen Spiel zu machen und in Gegenwart sämmtlicher Offiziere
die schriftliche Erklärung abzugeben, daß er der gröbste Lügner sei und
aufrichtig bedauere, die Reize der schönen Carlotta durch das Maneuvre mit
dem leeren Wagen auf so unnöthige Weise verdächtigt zu haben.
Diese Erklärung des berühmten Ritters Schnapphahnski befindet sich noch
heutigen Tages in dem Archiv eines des Berliner Gardeoffizier-Corps.
(Fortsetzung folgt.)
[Deutschland]
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[Fortsetzung] Parade erklärt, allein der
Oberbefehlshaber Rimpler fand es für gut, persönlich in Potsdam
Instruktionen zu holen, in Folge deren die Parade auf morgen (Dienstag)
verschoben werden soll. Der angebliche Grund war,
weil es an einer vollkommenen Uebereinstimmung aller Kompagnien bis jetzt
gefehlt habt. Indignirt über das Benehmen des höfischen Herrn Rimpler zog
indeß gestern Morgen ein großer Theil der Bürgerwehr auf eigen Faust mit
klingendem Spiel vor s Halle'sche Thor und brachte dort der deutschen
Einheit ein dreimaliges Hurrah. Ein anderer Theil schloß sich dem Festzuge
nach dem Kreuzberge an. Diese Alle wollen der Farce post festum am Dienstag
nicht beiwohnen, so daß vielleicht der höfische Hr. Rimpler mit seinen
konservatioservilen Hrn. Majors morgen allein sein durfte Bei dieser
Gelegenheit muß ich bemerken, daß schon seit längerer Zeit eine bedeutende
Spaltung in der Bürgerwehr herrscht; die demokratisch Gesinnten ziehen sich
allmählig zurück, weil sie den schnöden Dienst zum Schutz der Gewalthaber
satt sind. Schloßgitter, festlicher Empfang der Soldaten etc. haben schon
früher bei vielen Widerwillen erregt; jetzt kommt noch die
Konstablergeschichte hinzu und vollendet die Scheidung
Der gestrige Zug war sehr lang; es währte eine volle Stunde ihn vorbei
passiren zu lassen. Man versammelte sich gegen 2 Uhr auf dem Opernplatze wo
der Student Voswinkel eine Rede h elt. Gegen halb 3 Uhr setzte sich der Zug
in Bewegung und langte um 5 Uhr auf dem Kreuzberge an. (Die Teltower Bauern
waren bald abgezogen, nachdem sie dreimal das Monument unter Absingung von
„Heil unserm Könige“ und „Ich bin ein Preuße“ umwandelt hatten.) Hier sprach
Held wenige Worte und seiner Aufforderung, der deutschen Einheit, nichts weiter, ein dreimaliges Lebehoch zu bringen,
wurde einstimmig entsprochen. Ein kühner Kletterer befestigte dann an der
Spitze des Monuments die dreifarbige Fahne, worauf der Zug sich gruppenweise
in die Stadt zurückbegab, was um so schneller geschah, als es heftig
regnete. Dem Zuge hatten sich angeschlossen von den Deputirten der Linken
Graf Reichenbach, d'Ester u. A.
Gegen 9 Uhr waren alle Theilnehmer des Zuges wieder in Berlin. Die heiterste
Stimmung herrschte überall und das Volk war nichts weniger als bereit Unruhe
zu machen. Dafür sorgten nun aber die Rimpler'schen Bürgerwehrmänner und
unsere lieben Freunde, die Konstabler. Es wäre auch Schade gewesen, so viel
Mühe umsonst gehabt zu haben: Militär consignirt, Landwehr mit Patronen
versehen etc., Skandal mußte den 6. August beschließen. Wie natürlich war
das Volk unter den Linden sehr zahlreich und lebhaft, aber ganz harmlos, so
daß es sich nicht einmal den Witz erlaubte, wie am Samstag Abend, einen
Gänsemarsch zu arrangiren. Plötzlich wird gegen halb 10 Uhr von der tapfern
Bürgerwehr Generalmarsch geschlagen, und die Säuberung der Linden beginnt.
Bei dieser Gelegenheit sollen nun die Schutzmänner kostbare Fänge gemacht
und sich selbst übertroffen haben, unter Andern den Abgeordneten Stein von
Breslau. Die Erbitterung gegen die Konstabler ist jetzt auf eine solche Höhe
gestiegen, daß heute Abend wahrscheinlich Unruhen ausbrechen würden, wenn
man nicht wüßte, daß die Sache in der morgenden Vereinbarungs-Versammlung
zur Sprache kommen wird. Die Herren Rodbertus, v. Berg, Stein u. A. haben
viel Material gesammelt; gelingt es aber trotzdem nicht auf friedlichem Wege
die Konstabler (event. den Hrn. Kühlwetter, da sich derselbe mit ihnen
identifizirt) zu Fall zu bringen, so wird eine gewaltsame Aufhebung dieser
Schutzengel sehr wahrscheinlich.
‒ Der „W.-Z.“ wird aus Berlin vom 2. August Folgendes geschrieben: Die
Unthätigkeit in Schleswig-Holstein bekundet genugsam die Absichten Preußens,
die Waffenruhe so bald als möglich wiederherzustellen, da der Ostseehandel
bei einer längeren Störung des Friedens seinem völligen Ruin nicht mehr
entgehen kann. Preußen hat bis jetzt über vier Millionen Kriegskosten
gezahlt, und darf den Verlust seines Handels, wiewohl sich derselbe immer
nur annähernd wird schätzen lassen, auf wenigstens 6 Mill. Thaler
anschlagen. So großen Opfern gegenüber muß die Rücksichtnahme auf die
formellen Bedenken und Schwierigkeiten, wie sie von Frankfurt aus erhoben
worden sind, weichen, und, wir können diese Nachricht als aus guter Quelle
kommend bezeichnen, die preußische Regierung hat daher den bestimmten
Entschluß gefaßt, mit Dänemark sich wegen Abschluß eines
Separatfriedens in Unterhandlungen einzulassen, falls es ihm noch
länger verwehrt werden sollte, selbstständig diese Unterhandlungen Namens
Deutschlands zum Abschluß zu bringen. Der General v. Below hat auch
dieserhalb die entsprechenden Schritte in Wien beim Reichsverweser g than,
und die nothwendigen Anweisungen nach Frankfurt hin mitgenommen; nur mit einer Stimme ist ferner eine Erklärung des
preußischen Staatsministeriums bei der Berathung im Schooße desselben in der
Minderheit geblieben, die vom Kriegsminister v. Schreckenstein entworfen
war, und offen mit Zurückziehen der preußischen Bundestruppen aus
Schleswig-Holstein bei einer längeren Weigerung der Frankfurter Versammlung
zu drohen beabsichtigte. England hat hier durch seinen Gesandten von Neuem
die energischsten Vorstellungen wegen Herstellung des Friedens machen
lassen, Dänemark hat seine Bereitwilligkeit erklärt, falls es mit Preußen
allein unterhandeln kann, und Schweden hat es geradezu in einer Note
ausgesprochen, daß der Reichsverweser gar keine diplomatisch anerkannte
Macht sei, mit demselben also auch gar nicht in Unterhandlung getreten
werden könne, und es daher so lange die Sache Dänemarks als die seinige
betrachtet werde, bis nicht ungerechtfertigte formelle Schwierigkeiten mehr
dem einmüthigen Verlangen nach Herstellung des Friedens entgegengestellt
würden.
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@type | jArticle |
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[
!!!
] Frankfurt, [#]. August.
56. Sitzung der Nationalversammlung.
In Folge der Tagesordnung, auf der [#] 1 die Debatte über die Amnestiefrage
Heckers und seiner Genossen steht, ist die Kirche außergewöhnlich voll. Man
scheint den großen Scandal, der sich später wirklich zutrug, erwartet zu
haben. Die linken Gallerien sind stark vertreten, die [#] im unten Kreise
vorhanden. Der Präsident hat eine neue Glocke, die aber wie sich später
erweist, eben so wenig ausreicht, wie die am Sonnabend zerschlagene v.
Soiron präsidirt. Der edle Gazern hat nach seinem alten Kniff, weil ein
Eclat zu erwarten, sich zurückgezogen. Ich gehe zur Sache. Verlesung der
Beiträge zur deutschen Flotte, deren Gesammtsumme bis zum 5. August über
36,000 Gulden. Fernere Mittheilung, daß von den Deutschen aus Siebenburgen
eine Gesandtschaft, und zwar Friedrich Müller und der Professor Friedrich
Gentsch, an die Nationalversammlung gekommen sei, um derselben im Namen
ihrer deutschen Brüder in Siebenbürgen Schriften zu überreichen: 1) eine
Adresse an das Muttervolk, 2) eine Denkschrift der sächsischen Bewohner in
Siebenbürgen, worin eine Beleuchtung der siebenbürgischen staatsrechtlichen
Verhältnisse und ihrer Verhältnisse zu Ungarn; dieselbe wird gedruckt
werden. Man geht zur Tagesordnung über.
Nachdem ein Amendement von Simon aus Trier, worin Amnestie für alle
politischen Verbrecher beantragt wird, verlesen ist, spricht:
Wiedemann, Berichterstatter des Petitionsausschusses;
er bringt erst eine Legion von Petitionen, unter andern von vielen badischen
Gemeinden, von den Frauen und Jungfrauen aus Konstanz, von den Frauen und
Jungfrauen aus Hanau, von Willich (Köln) und vielen Flüchtlingen aus
Besançon, in welcher letztere u. A. gesagt wird: daß sie von den Almosen
Frankreichs leben. Sie hätten diese Petition an die Versammlung geschickt,
weil der Ausschuß, als Grund auf die Amnestirung nicht einzugehen, gesagt
habe: von den Betheiligten selbst hätte keiner petitionirt.
Der Ausschuß beantragt über alle diese Petitionen Tagesordnung, da nur Baden
das Recht habe zu untersuchen und zu bestrafen in dieser Sache, so habe auch
nur Baden das Recht der Abolition. Es ist bei diesem Fall keine
Veranlassung, in das Recht der einzelnen Staaten einzugreifen. Nur wenn die
Einheit und Freiheit Deutschlands gefährdet, ist dies statthaft. Hier ist
das Gegentheil. ‒ Baden war die Haupttriebfeder der Freiheit, der erste
Grundstein zur Nationalversammlung. Die Aufständischen nennt Herr von
Wiedemann einige Unzufriedene!? Wer auf jeden Fall die Republik in ein Land,
welches dieselbe nicht wollte, (von der Gallerie: „das ist nicht wahr“ ‒
Gelächter) bringen wollte, ist ein Vaterlandsverräther; auf den Zeitpunkt
komme nichts an. Amnestie pflegt nach allen großen Bewegungen ertheilt zu
werden, auch in der letzten Bewegung ist sie ertheilt worden. Jetzt sollen
wir auf's Neue amnestiren? Die Ordnung ist noch nicht wieder hergestellt.
Vor allen Dingen muß das Gesetz wieder zur Anwendung gebracht werden. Später
können wir vielleicht amnestiren. Die Amnestie würde zu neuen
Erschütterungen reizen. (Bravo rechts. Gallerie und Linke zischen.) Hr.
Wiedemann hat, um die Versammlung recht zu erboßen, den Hecker'schen
Volksfreund zur Hand, und liest Paragraphen vor, aus einem Plane Struve's,
zur Revolutionirung und Republikanisirung per Gewalt. Hierdurch will er
beweisen, daß die Gefangenen alle noch verbrecherische Absichten haben. Bei
dem einen Paragraphen, in dem es heißt, alle Mittel zu einer gerechten Sache
sind gerecht, giebt die Versammlung Zeichen des Schreckens zu erkennen. v.
Soiron beruhigt sie. Weiter heißt es: die Konfiskation des Vermögens der
Fürsten u. s. w. ist eine Nothwendigkeit. (Halloh in der Versammlung;
Gallerien Bravo. Geschrei links: „das gehört nicht hieher“.) Wiedemann liest
ruhig weiter: „das gehöre hieher, man könne ja in der Debatte darauf
antworten“. (Bravo und Zischen.) Der edle Redner schließt mit dem bekannten
Bellinischen Rührungsschluß: „Meine Herren, wir theilen gewiß alle das
Mitleid für die unglücklichen Verirrten, selbst für die Anführer, aber des
Vaterlandes Wohl über Alles. (Langes Bravo, längeres Zischen.) (Auch Herr
Jucho, der selbst noch vor kurzem politischer Gefangener war, klatscht
lebhaften Beifall.)
Soiron unterbricht die Debatte durch Verlesung eines Antrags von Wiesner: alle politisch Angeschuldigten zu
amnestiren. (Donnerndes Bravo der Gallerien, welches durch Soiron's Befehl
zu schweigen nicht abgekürzt wird.) Ferner Antrag von Eisenmann und Zimmermann, man solle
Amnestie erzeigen, wenn Reue gezeigt würde. In der Reihe der Redner v. Itzstein, den man mit Bravo empfängt. Man möchte,
was Struve in seiner Uebertreibung geschrieben, nicht den Gefangenen zum
Nachtheil gereichen lassen, wie es Herr Wiedemann zu wollen scheine; man
solle beherzigen, was diese Leute leiden mußten, man solle berücksichtigen
die Masse von Petitionen, worunter u. A. die rührenden Bitten von 772
Mannheimer Frauen und Jungfrauen, denen Ihre Gatten und Beschützer geraubt
sind.
Uebrigens theile er im Namen Heckers mit, daß derselbe für sich kein Amnestie
wünsche. (Lautes Bravo auf den Gallerien.) Man möge die Gefangenen
begnadigen und die armen Flüchtlinge. Das der Wunsch Heckers. Ein Wort der
Begnadigung, meint Itzstein, wird Ruhe und Vertrauen zu den Regierungen ins
Volk bringen, übrigens hat das ganze Volk, nicht bloß die Badener, sich
empört. (Bravo der Gallerien; rechts wünscht Einer Räumung der
Gallerien.)
v. Soiron gebährdet sich wüthend, was auf den
Gallerien einen komischen Eindruck macht.
Hagen von Heidelberg. Indem er für die Amnestie der
Badener spricht, weiß er sehr wohl, daß er dieser Versammlung gegenüber
keine leichte Sache versicht; auch er beklagt, wie Alle, den Aufstand denn
dieser konnte weder zur Freiheit noch zur Einheit führen. Man muß hier nicht
auf dem Standpunkt des positiven Rechts, sonder auf dem [#] stehen, sonst
wären wir Alle Hochverräther (Rechts Zeichen des Entsetzens.) Dies schützt
die Macht der Revolutionen vor dem System der alten Regierungen und wir
sollten die, die nur eine Linie [#] gingen wie wir, nicht amnestiren wollen?
Man hat gesagt, es wäre damals schon Alles zur Freiheit angebahnt gewesen,
als Hecker den Aufstand erregt; aber man möge bedenken daß die Bewegung in
den Geistern derer, die den Aufstand erregt, eine ganz außerordentliche war.
Man glaubte, Deutschland die beste Verfassung bringen zu müssen, dies
entschuldige ich! Aber ist denn die Republik die beste Verfassung wird man
fragen. Viele sind hier, die sie für das Idel einer Verfassung halten.
(Rechts, Gott bewahre.) Unser Volk muß damit enden, daß es die Republik
erlangt. Unsere Zeit strebt zur Einfachheit und zur Natur zurück. Mag an
Deutschlands Spitze stehen, was da wolle, das deutsche Volk wird nicht eher
ruhen bis die Dynastien verschwunden, bis die Demokratie siegt. Auch wir
würden eine leichtere Aufgabe haben, hätten wir nicht die dynastischen
Interessen zu berücksichtigen. (Bravo.) Aber etwas Anderes ist der Gedanke ‒
etwas Anderes die Ausführung. Wenn der Versuch gerechtfertigt erscheint,
Deutschland zu einer Republik zu machen, so muß man sich nicht wundern, daß
in Baden, dem vorgebildetsten Lande, dieser Versuch zum éclat gekommen.
Dieser Versuch ist mißglückt. Wäre er geglückt, dann wäre er gerechtfertigt.
Hecker hat verlangt, man solle abstimmen lassen, ob Baden eine Republik
wolle; dies hat der Staatsrath abgelehnt. Warum? Damals war Badens Stimmung
für die Republik; man glaubte, der Rhein und Würtenberg würde sich
anschließen; das war eine Täuschung, aber man bedenke, daß jene Männer von
diesem Glauben überzeugt waren.
Die 33 jährige Niederträchtigkeit in der Politik, womit hat man die bestraft?
Und wir sollten die bestrafen, die im ersten Freiheitsrausche einmal geirrt.
(Lautes Bravo links und der Gallerien.) Man bedenke die armen Gefangenen und
die Masse der Petitionen. Ich selbst habe 6 Stück hier; der Redner will eine
vorlesen. (Widerspruch rechts.) Er verliest eine Petition von 6000
Heidelbergern, worin es u. A. heißt: „Man glaube nicht, daß die Majorität
der Nationalversammlung eine unversöhnliche politische Partei sein
werde.
Schoder aus Stuttgart durchaus gegen die Amnestirung,
beklagt, daß der Redner vor ihm sich zu Gunsten der republikanischen
Schilderhebung ausgesprochen; wirft einigen Koth auf Hecker. Wenn wir sie
amnestiren, werden sie wieder rebelliren, das hieße, den Hochverrath
sanktioniren. (Zischen.) Der große Theil des deutschen Volks würde damit
unzufrieden sein. Nach der Untersuchung will Herr Schoder die
Minderschuldigen begnadigen, und später vielleicht auch die Andern, wenn sie
sich reuig gezeigt haben, daß sie den Willen des souveränen Volkes achten.
(Bravo und Zischen.)
v. Soiron macht beschwichtigende Handbewegungen.
Simon aus Trier. Soll die politische Einigung
Deutschlands immer nur zur Unterdrückung der Freiheit, zur Beförderung der
Reaktion dienen? (Schallendes Bravo.) Wir sind der vollziehende Ausschuß des
deutschen Volks, und trotz des Reichsverwesers muß die Competenz der
Versammlung stehen bleiben in dieser Sache, da sich der Badensche Aufstand
mittelbar auf ganz Deutschland bezieht. Der Bericht verwechselt vollständig
Amnestie und Begnadigung. Wo hat man je eine juristische Instruktion
angestellt, ehe man amnestirte.
Wir in Trier haben auch unsere Barrikaden gehabt. (Rechts Gelächter.) Sie
waren ein Akt politischer Verkennung, aber trotz des Hohngelächters des Hrn.
v. Vincke war es doch einmal eine militärische Volksübung im Gegensatz zu
den alten Parademärschen.
Der Bericht sagt, die Herren Verbrecher wollen die Amnestie selbst nicht.
Sollen sie etwa durch ihre Demüthigung dies ausdrücken? Die Metterniche und
andere fürstliche politische Verbrecher sitzen in wollüstiger Ruhe auf ihren
Landgütern. Die politischen Volksverbrecher modern im Kerker. (Furchtbares
Bravo der Gallerien; da v. Soiron mit Räumung derselben droht, ruft die
Linke, „dann wollen wir wenigstens noch einmal Bravo rufen.“ v. Soiron: „Sie
geben ein schönes Beispirl.“)
In aller Welt amnestirt man und das Gesammt-Deutschland hätte kein Erbarmen?
Ist denn das Verbrechen so groß? Hecker ist ein Republikaner und deren sind
mehrere hier. (Tiefe Stille.) Hecker hat nur einen Rechnungsfehler
gemacht.
Simon demonstrirt den Begriff von Hochverräthern,
nennt sie Märtyrer der Zukunft. Daß Hecker die Versammlung habe untergraben
wollen, wie Hr. Schoder fürchtet, sei nicht wahr. Hecker sei übrigens viel
zu stolz, einen Sitz in der Nationalversammlung haben zu wollen, die er
desavouire. Daß Baden die Republik nicht gewollt, sei nicht wahr; Fickler
und Struve haben bei dem Hrn. Bundestagsgesandten Welcker auf Abstimmung
hierüber angetragen. Der Hr. Bundestagsgesandte Welcker habe dies
versprochen aber diesem unbefangenen Verlangen folgte die Fickler'sche
Verhaftung und so blieb es allerdings etwas dunkel, was Baden gewollt. Von
den 20 badischen Deputirten, die hier sitzen, sind kaum sieben vom reinsten
konstitutionellen Wasser. Einer von den sieben (Hr. v. Soiron fühlt sich
bestürzt) hat sogar schon einmal auf das Wohl der Repuvlik getrunken. Mathy
und Bassermann sind nicht in Baden gewählt. (rechts: Persönlichkeiten,
links: Bravo.) Daß diese Herren in ihrem Vaterlande nicht gewählt, ist für
Hellsehende ein schlimmes Zeichen. Baden ist allerdings jetzt ruhig, aber
wie? Wenn der Großherzog von Baden trotz dem Wunsche seines Volks am Ruder
bliebe, so geschähe dies vielleicht von Gottes Gnaden oder aus historicher
Ureigenthümlichkeit. Wenn Sie die Amnestie nicht bewilligen, werden
[0359]
Sie Deutschland glauben machen, daß jene 200 Demokraten Ihrem
Heere von 900,000den gefährlich sein könnten. Amnestiren Sie, dann wird man
glauben, daß Sie Vertrauen zur Ruhe Deutschlands haben.
Biedermann (Große Unruhe und Theilnahmslosigkeit,
alle Bänke links und des linken Centrums sind fast leer: Es ist schwer,
gegen die Amnestie zu sprechen. In Verlauf seiner Rede entwickelt Hr.
Biedermann das Gegentheil von dem, was Simon auseinandergesetzt hat. Er
meint mit sanfter Stimme, das Loos der Gefangenen wäre sehr traurig, aber
man könne jetzt nicht amnestiren.
Wiesner: Es freut mich daß endlich der Augenblick
gekommen ist, wo ich in dieser Sache sprechen kann, um die Ehre des Hauses
zu retten, welches nicht sichten will, was jene Tausende von Petenten da
draußen langst gefühlt haben. Wie war es zu den Zeiten der Freiheitskriege
wo die hochgestellten Verräther die die Festungen des deutschen Volkes dem
Feinde übergeben hatten, pensionirt und mit Aemtern versehen wurden war das
nicht mehr als Amnestie für Vaterlandsverräther. In Dahlmann's Geschichte
von England können Sie sogar sehen, wie zur Zeit politischer Schwankungen
das Ober- und Unterhaus nicht blos für politische Verbrecher der
Vergangenheit, sondern auch für zukünftige politische Verbrecher Amnestie
dekretirte. Ich statte Hr. Dahlmann meinen Dank für dieses kostbare Datum
ab. (Man sieht unter großem Hohngelächter auf Hrn. Dahlmann.) Nach
geschichtlichen Beweisen für die Amnestie kommt er auf den Standpunkt der
Gerechtigkeit, welche Amnestie erheischt.
In der badischen Kammer hat Hr. Andlaw beantragt, gewisse Herren in der Nähe
des Großherzogs zu verhaften, weil sie mit Hecker unter einer Decke stächen;
dies hat man nicht gethan. Mit dem badischen Volk ist man anders verfahren.
Das badische Freiheitsparadies, worein ich geflohen, als ich es in meinem
Vaterland nicht mehr aushalten konnte, ist zu einem großen Kerker geworden.
Und was den Einwurf der Unzeitigkeit jener Revolution anbelangt, so haben
wir in Wien auch nachdem sie bereits tagten, Revolutionen gemacht. Werden
Sie deshalb die Wiener verhaften wollen? (Langes Bravo.)
Warum wollen Sie die Badener bestrafen, weil dieselben revolutionirt, als sie
schon hier tagten. In Berlin hat man dem Prinzen, den man erst steinigen
wollte, nach einigen Tagen die Hand geküßt. So vergießt das Volk seine
Beleidiger. Und Sie wollen sich auf die alten Hofrathsgesetze berufen?
(Langes lautes Bravo). Nächstens kommt auch von uns aus Wien eine
Riesenpetition, um Einberufung Heckers und Amnestirung der badischen
Republikaner. Versöhnen Sie sich durch diese Amnestie mit der deutschen
Nation. Wenn Sie der Untersuchung freien Lauf lassen, werden zum Nachtheil
der Regierungen Dinge ans Licht kommen, die besser mit sieben Siegeln
bedeckt werden. (Bravo).
Edel aus Würzburg bemüht sich vom höhern politischen
Gesichtspunkt aus (d. h. vom Edelschen) zu beweisen, daß jetzt noch keine
Amnestie möglich. Er schreit: was treiben wir Spiel mit dem Bürgerblut.
Baden würde schon amnestiren, wenn es Zeit. Er ist für den Antrag des
Ausschusses.
Brentano Ich bin stolz darauf hier auszusprechen, daß
ich ein Freund Heckers bin. (Hohngelächter und Bravo).
In dem Schreiben der badischen Regierung wagt es ein Minister den Hecker, der
in dem Herzen des größten Theils des deutschen Volkes lebt, einen
Landesverräther zu ernennen! (Da Hr. Brentano im Eifer der Rede die Stimme
überschnappt, äfft man ihm rechts den Ton seiner Stimme nach und begleitet
diese Kinderstreiche mit höhnischen Bravos, dagegen links und Gallerien ein
wahres Beifallsgedonner. Soiron sucht die Bewegung mit seinen Händen
niederzuhalten, wobei er sich gebärdet, wie eine Hebamme bei einem schweren
Accouchement). Man hat auch Baiern, Hessen, Würtemberger in das Gefängniß zu
Bruchsal abgeliefert, also falsch sagt der Berichterstatter, daß nur die
badische Regierung Amnestie ertheilen könne. Von Gründen des Rechts könne
man bei Amnestie nicht sprechen. Dieselbe bezieht sich ja auf
Rechtsverletzungen. Hecker war unter den ersten, die die badensche Regierung
auf den Weg der Freiheit führten. (Rechts ruft man unverschämt nach Schluß,
Links: Ruhe). Baden hat noch gar keine freien Institutionen; es kommen dort
noch schreckliche Dinge vor. So hat erst am 8. April ein Privatmann (Mathy,
Minister in spe) gewagt, einen badischen Staatsbürger zu verhaften. (Von
vielen Seiten Pfui, Pfui!! von der Gallerie: Pfui Teufel!! Man sieht nach
Mathys Platz, der diese Pille hinunterschluckt). Deshalb und wegen vielen
andern Dinge hat sich das badensche Volk empört. Man hat die deutschen
Republikaner, die aus Frankreich kamen, sogar auch in unserm Ausschuß fremde
Zuzügler genannt. (Rechts Hohngelächter, man schaart sich um den Hrn. v.
Vincke. Gallerien Bravo). Ich würde den Hecker und den andern Männern meine
Verachtung ins Gesicht werfen, wenn sie ihrer Gesinnung untreu, die Zahl der
politischen Renegaten vergrößern wollten.
Früher amnestirte man das arme Volk bei Accouschements von Prinzessinnen,
Sterbefällen von Königen, und andern großen Ereignissen, so amnestiren Sie
denn heute meine Herren, wegen des für das deutsche Volk wichtigen
Ereignisses einer Centralgewalt und wegen der Ankunft des Reichsverwesers.
Im Badenschen Oberland ist kein Haus, wo man nicht jammert, kein Haus,
dessen Wohlstand nicht ruinirt ist, durch die Verhaftung der männlichen
Stützen desselben. In Galizien und in Posen zum zweiten Male wird man
nächstens Amnestie aussprechen, stehen Sie nicht zurück. Hat man den Prinzen
von Preußen amnestirt, warum soll man das arme badische Volk nicht
amnestiren?
Bei diesen Worten erhebt sich rechts leises Getrommel, welches sich,
unterstützt durch schnaubendes Wuthgeschrei der preußischen Aristokraten und
Militärs, bald zu donnerähnlichem Getöse erhebt. Man stampft und tobt wie in
einem Pferdestall. Als Ergänzung erhebt sich links und auf den Gallerien ein
erschütterndes Klatschen und Bravogeschrei. Rechts will man Herrn Brentano
hinausschmeißen, links schreit man „weiter sprechen,“ von Soiron sucht
vergeblich nach Würde, um den Sturm zu beschwören. Der Gott der Stürme ist
nicht anwesend. von Soiron schreit man solle den Redner den Passus noch
einmal wiederholen lassen, er hätte ihn nicht genau verstanden und wüßte
nicht was er thun solle. Dies erneut den Sturm, der zu einem vollständigen
Orkan heranwächst. Alle Patrioten rechts springen von ihren Plätzen und
stürzen nach der Tribüne, um den Redner zu prügeln, (?) links stürzt man zu
seinem Schutz herbei, unter der Tribüne (auf der Brentano ruhig stehen
bleibt) stoßen unter furchtbarem Accompagnement der Gallerien als Orchester
die beiden Parteien zusammen, von Vinke mit seinen Patrioten einerseits,
Simon aus Trier, Schaffrath, Rösler und die Linke andrerseits demonstriren
mit geballten Fäusten einander in's Gesicht. Man glaubt jeden Augenblick die
Keilerei der deutschen Volksvertreter beginnt. von Soiron setzt seinen
berühmten Strohhut (Winzerhut) auf, und stürzt in völliger Kopflosigkeit
unter unverständlichem Gebrüll, woraus ich entnehme, daß er nicht weiß was
er thun soll, von dem Präsidentenstuhl herunter, und sammt dem Büreau zum
Tempel des deutschen Volks hinaus. Die Rechte und Linke, unter starrem
Entsetzen der Centren und fortwährend erneutem Gebrüll der Gallerien, fahren
fort sich einander anzubrüllen und um die Tribüne eine köstliche Komödie
aufzuführen. ‒ Nach und nach leert sich die Kirche. Die Sitzung ist zwar
nicht aufgehoben, aber sie hat ein Ende. Kein Präsident läßt sich sehen. Vor
der Kirche erneuern sich einzelne erbauliche Szenen derselben Art. Durch
alle Straßen, die ich bis zu meinem Hause passirte große Aufregung.
@xml:id | #ar071_007 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
Frankfurt, 8. Aug.
In der heutigen 57. Sitzung der verfassunggebenden Reichsversammlung wurden
mehrere auf den gestrigen Vorfall bezügliche Anträge verlesen. Einer
derselben bezweckte, daß der Abgeordnete Brentano wegen seiner gestrigen
Aeußerung zur Ordnung gerufen werde. Vicepräsident v. Soiron als
Vorsitzender sprach den Ordnungsruf aus. Die Linke protestirte dagegen, weil
die Anträge vorher diskutirt und Brentano's Vertheidigung gehört werden
müsse. In Folge des hierüber entstandenen Tumults wurde die Sitzung auf eine
Stunde suspendirt. Nach Wiedereröffnung derselben wiederholte v. Soiron den
Ordnungsruf unter erneuertem Protest der Linken und gab dann Brentano das
Wort zur Fortsetzung seines gestrigen Vortrags. Als Brentano die Rednerbühne
betrat, erhob sich stürmischer Beifallsruf. Der Präsident ließ nunmehr die
Gallerie und sämmtliche Zuhörerräume leeren. Auch die Journalisten mußten
abtreten. Mehrere Mitglieder der Linken protestirten gegen die Fortsetzung
der Sitzung in Abwesenheit des Publikums, da eine geheime Sitzung nur auf
Antrag von 50 Mitgliedern stattfinden könne. Andererseits wurde behauptet,
daß durch die Entfernung des Publikums, die dem Präsidenten nach der
Geschäftsordnung zustehe, die Sitzung keineswegs eine geheime sei. Auf
Antrag Zimmermann's von Spandau wurden die Journalisten wieder zugelassen,
die Zulassung des Publikums aber mit 380 gegen 91 Stimmen verworfen. ‒ Nachschrift. 3. Uhr. Die Nationalversammlung hat
über die Petitionen um Amnestie mit 317 gegen 90 Stimmen die motivirte
Tagesordnung beschlossen.
[(Fr. J.)]
@xml:id | #ar071_008 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
[
*
] Mainz, 8. August.
In dem Urtheil, welches in Betreff Schöpplers und der andern Angeklagten
gefällt worden, befindet sich auch folgende Stelle:
„Dem Polizeistrafrichter aber steht es nicht zu, aus seiner blos
„richterlichen Sphäre heraus und das Gebiet des Gesetzgebers zu „betreten,
und etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und „Ruhe oder, indem er sich auf einen politischen Stand„punkt stellt,
willkührlich das Strafgesetz zu er„gänzen, wenn sich eine Lücke darin
darbietet.“
Das könnten sich gar viele Leute, nämlich Beamten, auch außerhalb Mainz zu
Herzen nehmen.
Uebrigens soll gegen oben erwähntes Urtheil Appell eingelegt worden sein. Es
frägt sich also, ob der hier ausgesprochene Grundsatz auch in zweiter
Instanz anerkannt werden wird.
@xml:id | #ar071_009 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
Augsburg, 6. August.
Heute Morgen um 81/2 Uhr etwa stellten sich die Truppen auf dem Frohnhof auf,
um dem Reichsverweser ihre Huldigung darzubringen: Chevauxlegers, ein
Regiment Infanterie, zwei Kompagnien Artillerie; sie bildeten ein Viereck
von dem die eine Seite nicht geschlossen war. Im Viereck standen die
Offiziere, die von dem Militär eingeladenen Civilbeamten, Deputationen der
Landwehr und des Freikorps. Nachdem zu den Soldaten einige Worte gesprochen
waren, wurden drei Hoch ausgebracht: dem König, dem Reichsverweser, dem
deutschen Vaterlande, alle drei so schwach, daß etwas entfernter Stehende
sie kaum vernommen haben.
[(A. Z.)]
@xml:id | #ar071_010 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
Dessau, 4. Aug.
Nachdem am 2. August die Nationalversammlung in Frankfurt a. M. die Abschaffung des Adels abgelehnt hat, welche
Nachricht heute hier bekannt wurde und in so manchem bang schlagenden Herzen
freudigen Trost hervorgerufen haben mag, kam in der heutigen Sitzung unseres
konstituirenden Landtags der Antrag des Abgeordneten v. Prüschenck auf
Abschaffung des Adels zur Berathung. Nachdem die Abgeordneten v.
Braunbehrens und Imme dagegen, die Abgeordneten v. Behr, Fiedler, Habicht,
Hölemann, Janasch, Patzig, Sander, Schilling, dafür gesprochen hatten, wurde
der Antrag in drei Theile getheilt und namentlich abgestimmt, nämlich: 1.
Der Adel wird hiermit abgeschafft. Einstimmig angenommen. 2. Alle zur
Bezeichnung des Adels dienenden Ausdrücke verlieren ihre Bedeutung.
Einstimmig angenommen. 3. Und dürfen nicht mehr gebraucht werden. Mit 18
gegen 13 Stimmen, also mit einer Mehrheit von 5 Stimmen angenommen.
[(D. A. Z.)]
@xml:id | #ar071_011 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
[
*
] Braunschweig, 4. August.
Der Herzog ist vom Volke gezwungen worden, den Befehl, dem Reichsverweser
nicht, zu duldigen, zurückzunehmen, sich selbst zu widerrufen und zu
desavouiren. Hätte er das nicht gethan, so wäre er aller Wahrscheinlichkeit
nach aus dem Lande gejagt worden und hätte sich ein Quartier in London
miethen können.
@xml:id | #ar071_012 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
[
16
] Prag, 4. Aug.
So eben wird eine „Kundmachung“ des Fürsten Windischgrätz an allen Ecken
angeschlagen. Sie enthält die Erklärung, daß laut Ministerialbefehl die
Militär-Kommission aufgelöst und Akten und Gefangene dem zuständigen
Kriminalgericht übergeben sind. Dann enthält sie einige Notizen über die
angebliche große Slavenverschwörung. Zuerst haben Gefangene ausgesagt, daß
man Windischgrätz nach dem Leben getrachtet; daß man sich bewaffnet, Pläne
der Stadt, des Schlosses etc. entworfen, daß man sogar Kanonen verlangt; daß
man die Arbeiter aufgefordert, sich an einem etwaigen Kampf zu betheiligen:
daß man am 13 Juni in Krakau (!) Zettel vertheilt
mit den Worten: 15. Juni, Achtsamkeit, Vorsicht, zu Hause sitzen! ‒ daß man
das Landvolk aufgefordert, die Roboten zu verweigern und sich zu bewaffnen;
und andre längst bekannte Geschichten.
Dann folgt die Aussage eines „geständigen Verschworenen, die wir vollständig
geben, damit unsere Leser zugleich eine Probe von dem Deutsch des tapfern
Czechenfressers erhalten.
Inquisit sagt aus: „Zu Ostern 1847 wurde er zu Eperies in Ungarn mit mehreren
polnischen Emigranten bekannt, welche ihn in ihre Gesellschaft aufnahmen,
deren Hauptplan gewesen, ein großes slavisches Reich, aus Kroatien,
Slavonien, Serbien, den Slowacken in Ungarn, Böhmen, Mähren, Schlesien und
östereichisch Polen zu bilden, das eigentliche Ungarn verschwinden zu
machen, sich von Oestreich loszureißen, und im ungünstigsten Falle aber den
Russen zu unterwerfen. Ueber die Form des neuen Reiches, ob nämlich
Königreich oder Republik, war man noch mit einem fremden Staate in
Korrespondenz. Der Plan sollte im Jahre 1850 verwirklicht werden und die
Revolution zugleich in Agram, Prag, Krakau und der Umgebung von Preßburg,
bei den Slowacken ausbrechen.
Nachdem jedoch im Februar l. J. in Paris die Republik proklamirt war, wurde
beschlossen, die Revolution an den genannten vier Orten noch im Jahre 1848
ausbrechen zu machen. Zu diesem Behufe wurden in den verschiedenen Ländern
Centralisationen errichtet, denen eigne Chef's vorstanden, und die ihre
Korrespondenz, theils mit Chiffern, theils mit chemischer Tinte führten. Die
Namen der meisten dieser Chefs sind bekannt. Flugschriften sollten das
Landvolk aufreizen, was auch in Ausführung gebracht worden ist. ‒ Inquisit
gibt an, mehrere Male als Emissär an verschiedenen Orten Galiziens verwendet
worden zu sein. In Lemberg beauftragte man ihn, im Frühjahr nach Prag zu
gehen und Waffen mitzunehmen, nachdem bereits Alles vorbereitet, und es bald
losgehen werde.
In Prag angekommen erhielt er eine Eintrittskarte in die slavische Beseda, wo
gegen die Regierung und gegen das Militär aufreizende Reden gehalten
wurden.“
Dann heißt es weiter:
Außer den Sitzungen im Kongresse waren noch an verschiedenen anderen Orten
geheime Sitzungen gehalten. Alle Verhandlungen deuteten jedoch dahin, daß
der Ausbruch gleich nach Pfingsten erfolgen werde, und man hörte Reden, in
denen es hieß: Daß die Prager den Wienern nicht nachstehen dürften, daß die
Studenten um dem Militär mehr zu imponiren, Waffen, selbst Kanonen bekommen
müßten, und daß man zu deren Bedienung schon die erforderliche Anzahl Leute
bereit und im Solde habe; daß die Errichtung der Barikaden bereits
eingeleitet, daß man mit Munition hinlänglich versehen ist, aber noch nicht
losschlagen könne, weil es noch nicht an der Zeit sei, die Swornoster noch
auf dem Lande sind, um den Bauer gehörig zu bearbeiten, ihn aufzuwiegeln,
und zum Landsturme gegen Prag zu bewegen etc.
Was sagen Sie zu diesem Produkte einer zweimonatlichen Untersuchung, was zu
der schönen Logik, mit welcher man aus diesen Aussagen eine Verschwörung
heraus zu klauben sucht? Wenn die Untersuchungskommission ihre Aufgabe damit
gelöst glaubt, daß sie heraus zu bekommen suchte, ob die Sache vorbereitet
oder nicht war, so hatte sie wahrlich nicht so viel Zeit dazu gebraucht,
beim daß es binnen kurzem zu einem Zusammenstoß mit der bewaffneten Macht
kommen mußte, war leicht voraus zu sehen, indem der Fürst Windischgrätz der
Bürgerschaft reine Garantieen für die errungenen Freiheiten durch eine
vollständige Bewaffnung geben wollte während seine militärischen Anstalten
eben so gut an einen Angriff von seiner Seite als auf
Vertheidigungsmaßregeln hätten schließen lassen, und die Hartnäckigkeit, mit
welcher dem Kaiser und der Regierung in Wien jede Freiheit abgetrotzt werden
mußte, die anerkannte aristokratischen Denkungsakt des Hrn. Windischgrätz,
gaben vollends keine Bürgschaft für seine Absichten. Ein jeder sagte es
sich, daß über kurz oder lang ein Zusammenstoß statt finden müsse und daß es
bei keiner Gelegenheit an Schmeicheleien für Windischgrätz fehlte, ist eben
kein Wunder. Ueber die Art und Weise, wie der Kampf entstand, habe ich Ihnen
schon früher berichtet und überlasse es den Ansichten der Leser, ob sie aus
dieser Kundmachung eine Verschwörung heraus finden können.
Graf Buquoi, das Haupt der „Verschwörer und Bartholomäusnächtler“ ist vor
einigen Tagen als völlig unschuldig in Freiheit gesetzt worden und befindet
sich auf seinem Gute Rothenhaus, um seine im Kerker angegriffene Gesundheit
wieder herzustellen, und so eben vernehmen wir, daß ein Ministeralerlaß die
Freilassung des Dr. Brauner decretirt.
@xml:id | #ar071_013 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
Wien, 2. August.
Sie haben gewiß in dem Abendblatt der „Wiener Zeitung“ vom 1. August gelesen,
daß Se. Majestät dem Grafen Brandis, Exgouverneur
von Tyrol, das Großkreuz des Leopoldordens „als Beweis Allerhöchstihrer
Gnade“ persönlich überreicht hat. Man ist hier über diesen offenbaren Trotz
der öffentlichen Meinung gegenüber, welche denselben Grafen Brandis in
höchster Ungnade von seinem Posten gestürzt und unschädlich gemacht hat,
nicht wenig erstaunt. Man beklagt aufs tiefste den Wahnsinn der Camarilla,
welche die Anhänglichkeit an die Person des Monarchen im Volke mit aller
Gewalt durch ihre rasenden Rathschläge zu vernichten sich bemüht. Das ist
eine offenbare Beleidigung unseres Ministeriums und dieses hat den unklugen
Schritt in Innsbruck damit desavouirt, daß es die Nachricht nicht in den
amtlichen Theil, sondern hinten als Auszug aus dem „Tyroler Boten“ brachte.
O beklagenswerthe und unheilvolle Spaltung!
[(C. B. a. B)]
@xml:id | #ar071_014 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
Wien.
Sitzung des konstituirenden Reichstags am 4. August.
Vorsitz: Vicepräsident Strobach.
Violand: Ich erlaube mir, an den Minister des Innern eine Frage zu stellen
von höchster Bedeutung. Ich muß zuvor auf einen Vorgang, der viel frühere
Zeit stattfand, aufmerksam machen und erinnere an den 26. Mai, nach welchem
Montecuccoli sich in Pläne eingelassen, die mit denen der Reaktion in
genauer Verbindung zu stehen schienen, und nach der allgemeinen Ansicht des
Volkes zum Anlaß haben sollten, die Errungenschaften des 15. Mai aufzuheben.
Montecuccoli entfloh von Wien, und würde sich als Bannerträger der Reaktion
bei einer Rückkehr der größten Gefahr aussetzen. Zum Erstaunen meiner ganzen
Partei erfahren wir in einer Proklamation, daß Montecuccoli Staatsminister,
und beauftragt sei, die Administration der Lombardei zu leiten. Ich frage,
ist Montecuccoli Minister, und ist er Minister, ist er verantwortlich oder
unverantwortlich? Wenn er Minister ist, hat die Ernennung durch
Contrasignirung des Ministeriums stattgefunden? Ist er durch dasselbe nicht
anerkannt, so ist er absoluter Minister; durch einen absoluten Minister und
eine absolute Verfahrungsweise muß nothwendig eine Trennung der Lombardei
von uns stattfinden. Wurde er unter dem alten Ministerium ernannt, wie
konnte er nach dem 26. Mai belassen werden? Wenn die Trennung bestünde, und
nach der Wiedereroberung zum Schein oder gar nicht konstitutionelle Formen
eintreten würden, wüßte man, wie es kommt, daß wir Eingriffe in die Freiheit
eines Volkes machen wollten!
Dobblhof antwortet, daß Montecuccoli im Februar ernannt wurde, und die
Mission hatte nach Italien zu reisen, da der Vicekönig in seinem damaligen
erweiterten Wirkungskreise Jemanden benöthigte, der mit den Verhältnissen
des Landes vertraut sei, um Klagen und Beschwerden beizulegen. Montecuccoli
sei in einer Kategorie welche er nicht anerkenne, und sein Titel sei eben
nur ein Titel, welchen er aber zu seinem Erstaunen gelesen. Der Erlaß sei
ihm auch nur auf dem Privatwege zugekommen und er könne ihn nicht billigen,
da es jedenfalls zu unangenehmen Auslegungen Anlaß gebe. Es kann von einer
solchen Stellung, wie bemerkt, für sich ein Ministerium in Italien zu
gründen, was jedenfalls eine Trennung der Lombardei zufolge hätte, keine
Rede sein. Er vermuthe, daß Montecuccoli sich diesen Titel nur beigelegt
habe, um sich mehr Gewicht zu verleihen, denn er sei blos als Kommissär nach
Italien geschickt worden. Er schließt damit, daß es sich hier jedenfalls um
eine provisorische Verfügung handelt für die Zeit des Krieges. Eine weitere
Dauer kann dies nicht haben, er erinnert an den Inhalt der Thronrede, in
welchem Sinne auch eine Zusicherung an die Höfe gegangen sei, und er sei
überzeugt, man werde die Zusicherung gewissenhaft erfüllen.
Pillersdorff erhebt sich und meldet, daß die Ernennung auch nicht in die Zeit
seines gewesenen Ministeriums falle, sondern ihr vorangegangen sei. Hierauf
wiederholt er ganz die Aussagen des Ministers Dobblhof sehr
weitschweifig.
Der Minister des Innern erklärt ferner, daß er noch Aufklärung über
Montecuccoli sich verschaffen werde und nur mit dem Vorbehalte, daß alle
Bedenken gegen Montecuccoli in Betreff des 26. Mai vor das Haus kommen, ist
er zu dessen vorläufiger Belassung entschlossen.
Hierauf Berathung der Geschäftsordnung.
@xml:id | #ar071_015 |
@type | jArticle |
@facs | 0359 |
[
*
] Wien, 4. August.
Dr. Adolf Fischhof ist zum Ministerialrath im Ministerium des Innern ernannt
worden. Damit ist die Emancipation der Juden in Oestreich, die noch hier und
da in Zweifel gestellt ward, faktisch entschieden. An Stadiòn's Stelle ist
Wenzeslaw v. Zaleski zum Gouverneur von Gallizien mit Einschluß des krakauer
Kreises und Bder ukowima ernannt. Das Ministerium hat den Grundsatz
öffentlich ausgesprochen, daß die Aufhebung der Convikte eine für die Reform
des Unterrichts unerläßliche Maßregel ist. Es hat diesen Grundsatz nicht nur
bereits anerkannt und ausgesprochen, sondern befolgt und Schritte gethan,
ihn ins Leben einzuführen.
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@facs | 0359 |
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] Schweidnitz, 6. August.
Der Magistrat hat eine amtliche Wiederlegung der von
der reaktionären Partei und vom Militär verbreiteten Lügen über den
Schweidnitzer Massacre veröffentlicht. Wir entnehmen ihr die
hauptsächlichsten Stellen. Als die Katzenmusik in Fenstereinwerfen am Hause
des Kommandanten überging, beschloß der auf dem Schauplatz des Excesses
anwesende Bürgermeister die Signalisirung des Zusammentritts der Bürgerwehr,
„was durch Loslösung des Schlagwerks der Thurm-Uhr am Rathhause verabredet,
und wovon die Kommandantur schon unterm 8. Mai c. in
Kenntniß gesetzt worden ist.
Während dieses Signals zog sich das Volk vom Kommandanturhause zurück, da
eine Kompagnie Militär dasselbe besetzte, so
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daß gegen 3/4
auf 10 Uhr der Exceß als
behoben zu betrachten
war.
Die Bürgerwehr war auf ihren Allarmplätzen angetreten. Jetzt ließ, warum,
leuchtet nicht ein, der Kommandant noch Generalmarsch schlagen und nach
kurzer Zeit, als der Straßen-Exceß vollständig beruhigt war und das Volk nur
noch in Gruppen auf dem Markte zusammenstand, erschien unter
Sturmschrittschlag die 11. Kompagnie des 22. Infanterie-Regiments. Nachdem
dieselbe auf der Peterstraße scharf geladen, darauf die nordöstliche Seite
des Rathhauses passirt, und durch einen Aufmarsch eine schräge Front nach
dem Paradeplatz zu genommen hatte, gab dieselbe, ohne
irgend eine Aufforderung zum Auseinandergehen, Feuer. Mannschaften
von der auf dieser Marktseite aufgestellten Bürger-Kompagnie und neugierige
Zuschauern wurden von den Kugeln niedergeworfen und die Häuser der
nordwestlichgelegenen Marktseite betroffen, so daß die Kugeln in Fenster und
Thüren eindrangen.
32 Personen, unter welchen eine schwangere Frau, die tödtlich in den Leib
getroffen, sind verwundet, 8 davon bereits gestorben.
Hierdurch widerlegt sich die Anführung in dem Eingangs bezeichneten
Correspondenz-Artikel: daß die Aufforderung der Kommandantur an die
Polizeibehörde und an den Bürgermeister ohne Erfolg geblieben, und dieser
den Kommandanten aufgefordert Truppen zur Wiederherstellung der Ruhe
ausrücken zu lassen. Eben so geht daraus hervor, daß das Signal zum
Zusammentritt der Bürgerwehr nicht durch das Läuten der Glocken, sondern
durch das fortwährende Schlagen der Uhr am Rathsthurm gegeben, und daß
dieses Zeichen dem Kommandanten bereits am 8. Mai c. bekannt gemacht worden
ist. Wenn also die Truppen von diesem Signal wirklich keine Kenntniß gehabt
haben, so liegt die Schuld nur allein an dem Kommandanten.
Ob Insulten oder Steinwürfe auf das anrückende Militär, ob die Verwundung
eines Offiziers durch einen Bajonettstich, so wie ob das Fallen von Schüssen
aus einem Hause stattgefunden, muß die eingeleitete Untersuchung näher
ergeben. Viele Augenzeugen versichern, daß sie von Alledem nichts gesehen
und gehört haben.
Schweidnitz, den 4. August 1848.
Der Magistrat und die Stadtverordneten.
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@facs | 0360 |
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] Apenrade, 6. Aug.
Eine dänische Fregatte kam gestern auf unsere Rhede mit Parlamentairflagge.
Ein Parlamentair wurde abgeschickt; man fuhr ihm jedoch entgegen und nahm
die Depesche ab, ohne ihn landen zu lassen. Die Depesche, nach Einigen an
einen hiesigen Kaufmann, nach Andern an die Stadtobrigkeit adressirt, wurde
von Wrangel unerbrochen zurückgeschickt. Der Zweck der Anwesenheit der
Fregatte war offenbar, unsere Batterien zu rekognosciren. ‒ Einige
Bataillone Preußen sind wieder nach Norden abmarschirt. ‒ Feierlichkeiten zu
Ehren des Reichsverwesers haben bis jetzt, 4 Uhr Nachmittags im hiesigen
Hauptquartier nicht stattgefunden.
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@facs | 0360 |
Luxemburg, 3. August.
Vom 1. d. ab erscheinen die Luxemburger Zeitungen ohne Stempel; ein
Duodezstaat gibt also ein Beispiel, welches hoffentlich in dem großen
Deutschland baldige und allgemeine Nachahmung finden wird.
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@facs | 0360 |
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@facs | 0360 |
Zuruf des demokratisch-sozialen Vereins zu Kassel an die Demokraten Badens
und Würtembergs.
Die konstitutionelle Monarchie beginnt ihre Lorbeeren zu sammeln. Minister,
welche das Volk geboren, auf seinen Schultern emporgetragen hat, heben die
Hand auf gegen die Volkssouverainität und stempeln sich zu Vatermördern. Die
Zeiten der Ausnahmegesetze, der Demagogenriecherei, der Hochverrathsprozesse
nehmen bereits wieder ihren Anfang. Unter nichtigen Vorwänden, unter
Vorwänden, welche an die Brutalität des deutschen Bundes erinnern, hat man
Eure Vereine aufgelöset.
Eure Minister sind vorschneller selbst als der alte Bund, vorschneller als
die alte Polizei. Drei Monate sind erst verflossen, seit die Revolution über
Deutschland zieht, und nach drei Monaten wird schon wieder die Grundlage
aller Freiheit, die freie Vereinigung, mit Füßen getreten. Die Reaktion geht
mit Riesenschritten.
Mitbürger! Freunde! Keinen Schritt zurück! Der Gewalt gegenüber Fuß an Fuß!
Das Band ist zerschnitten, die Form gebrochen, aber der Geist wird mächtig
bleiben. Der Geist der Wahrheit und des offenen Männerwortes wird den Sieg
davon tragen. Das deutsche Volk wird nicht elend genug sein, seine
Revolution und seine Ehre zu verrathen.
Brüder, unsern Handschlag! unsern Brudergruß!
Der demokratisch-soziale Verein.
In dessen Namen: Das Comite.
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@facs | 0360 |
Zur Warnung für Alle welche Lust haben sollten mit der
Eisenbahn von Mülheim nach Köln zu fahren.
Vorgestern (Sonntag) Abend begab sich eine Gesellschaft von vier Herren, zwei
Damen und zwei Kindern nach der Mülheimer Station, um mit dem letzten
Bahnzuge der um 7 Uhr 57 Minuten dort vorbeikommen soll, nach Köln zu
fahren. Das Bureau war noch nicht einmal geöffnet als sie eintrafen. Die
blieben im Wartesaal und nahmen rechtzeitig ihre Billets zur zweiten Klasse.
Der Zug kommt, etwa 10 Minuten zu spät an. Die ganze im Wartesaal
befindliche Menschenmenge ‒ stürzt durch die jetzt
erst geöffnete Thür in den Bahnhof. Unsre Gesellschaft fragt nach
der zweiten Klasse und wird ans Ende des ziemlich langen Zuges gewiesen. Sie
eilt an einer Reihe Güter- und Gepäckwagen vorbei, findet aber nur einen
Wagen dritter Klasse und wird vom Schaffner nach der Spitze des Zuges
zurückverwiesen, ohne daß dieser irgend eine Bemerkung dabei macht. Die
Gesellschaft eilt also zurück; aber kaum an den Güterwagen vorbei, sieht sie
zu ihrem Erstaunen den Zug sich in Bewegung setzen. Ein Schaffner spedirt
drei Herren und ein Kind eiligst in einen schon dahinrollenden Wagen, die
übrigen bleiben zurück. Sie beschweren sich, man antwortet das sei schlimm,
aber der Zug halte in Mülheim nur Eine Minute! Man
erbietet sich das Fahrgeld zurückzuzahlen; da aber die Billets der beiden
Damen in Händen des einen, auf dem Zuge befindlichen Herrn ist, so wird nur
das Billet des einen Herrn ausgezahlt. Dieser verlangt das Beschwerdebuch;
das Beschwerdebuch ist nirgends zu finden. Sie gehen nach Mülheim zurück und
müssen einen Wagen nehmen um nur noch denselben Abend nach Köln
zurückzukommen.
Es ist im Interesse des Publikums zu erfahren, daß der Zug nur Eine Minute in
Mülheim hält ‒ und gestern hielt er nicht einmal eine Minute! daß er weiter
fährt ohne Rücksicht darauf ob Alles aus- und eingestiegen ist; daß bei
dieser unerhörten Eile auf einer sonst so schläfrigen Bahn die Passagiere
und namentlich ältere Personen und Kinder ihr Leben oder ihre Glieder
riskiren wenn sie mit dem Zuge noch fortkommen wollen; daß die Schaffner
genöthigt werden, die Reisenden mit Verletzung alles Anstandes und ohne
Rücksicht darauf wohin sie fallen, in die Wagen zu stoßen.
Schreiber dieses ist in den verschiedensten Ländern Europas auf Eisenbahnen
gefahren, die theilweise doppelt so rasch gehen wie die löbliche
Köln-Mindener; aber ein ähnliches Verfahren ist ihm nirgends vorgekommen.
Wenn die löbliche Direktion den Zug nicht so lange in Mülheim halten lassen
kann als die Reisenden zum Ein- und Aussteigen nöthig haben, so lasse sie
ihn lieber ganz vorbeifahren. Da weiß das Publikum wenigstens woran es
ist.
Die Redaktion nimmt diese Reklamation um so lieber auf, als sie alle ihre
Kräfte aufbieten wird, daß nicht an die Stelle der gestürzten
Büreaukratie des Staats, eine Büreaukratie des
Geldsacks trete, die das Publikum noch viel ärger plackt und
chikanirt, weil sie nirgends zu vermeiden ist, und sich aller
Kommunikationsmittel, Eisenbahnen, Dampfschiffe, Omnibus, Droschken etc.
bemächtigt.
Die Redaktion hat noch andere Nachrichten über die löbliche Köln-Mindener
Eisenbahn erhalten. Sie ist bereit dies rühmliche Institut einmal in
seiner ganzen Glorie aufzudecken, und ersucht daher Jedermann der ihr
darüber Mittheilungen und Reklamationen machen oder Dokumente übergeben
kann, dies baldigst zu thun.
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@facs | 0360 |
Der Central-Ausschuß der Demokraten Deutschlands an das
polnische Volk.
Polnische Brüder!
Die befreiende Bewegung, nach der Ihr Euch mehr als irgend ein anderes Volk
gesehnt, die Ihr mit aller Kraft vorbereitet habt, ist über das alte Europa
hereingebrochen und hat in ihren Anfängen für Euch keine Gabe, als die
Wiederholung der alten Täuschung. Weder die Throne, noch den Druck der
verhaßten Fremdherrschaft hat der erste Sturm von Euch gerissen.
Als das Wiener Volk der Regierung seine Souverainetät mit der Waffe bewies,
als man zu Berlin in Euren aus dem Kerker befreiten Landsleuten das
wiedererstandene Polen begrüßte, ‒ damals glaubtet Ihr wohl, die
Knechtschaft sei für immer gebrochen. Sie würde es auch sein, wenn das Volk
mächtig wie in den ersten Tagen geblieben wäre. Aber es hat sich mitten im
Siege vor der eigenen Kraft gefürchtet und ein großes Stück des alten Joches
wieder auf sich genommen; es hat die Beamten, die Werkzeuge des alten
Bedrückungssystems, in voller Wirksamkeit gelassen und sich zum gläubigen
Schüler ihrer Lehren gemacht.
Wir haben den Gang der Regierung verfolgt, von den weitesten Zusagen bis zu
den Brandmarkungen in Posen; wir kennen das ganze falsche Spiel, das man mit
Euch getrieben, in Preußen so gut wie in Oesterreich. Vom schwankenden
Throne aus hat man Euch zugerufen: „Wir sind nicht mehr Eure Herren; Euer
Recht, das Recht der freien Organisation, soll fortan gelten.“ Und weiter?
Mit jedem neuen Tage, mit jedem Zuwachs an Macht, hat man das verheißene
Recht stückweis geschmälert. Statt Euch zu schützen gegen das drohende
Rußland, verbot man Euch die Waffen, und als man Euch, nachdem Ihr den
langgehegten Glauben an ein freies Polen fast verwirklicht gesehen, durch
die Verweigerung jeder Freiheit zur Verzweiflung getrieben, da schickte man
Euch, zu den Beamten, die ihrer Stellung bereitwillig jede Menschlichkeit
opfern, auch noch ein Heer brutalisirter Soldaten. So löste sich auch für
Euch das Räthsel der Fürstenworte: aus der Reorganisation ward eine neue
Theilung, aus dem Recht der Selbstregierung der Besitz eines verwüsteten
Bodens. Nicht aus Angst vor dem Verlust eines Stücken Landes, nicht aus
Liebe zu den Unterthanen hat man die Geschütze gegen Euch gebraucht, sondern
aus Furcht vor der Demokratie. Ein Volk von geknechteten Russen war den
Fürsten ein erwünschterer Nachbar, als freie Männer.
Die östreichische Regierung, anfänglich mehr als die preußische unter dem
Einflusse des Volkes, und in ihrer Macht mehr gebunden, vermochte nicht
aggressiv gegen Euch zu verfahren. Aber die Worte, welche Euch durch
östreichische Vermittelung auf ein vereinigtes polnisches Reich Hoffnung
machten, verhallten bald; in Krakau und Lemberg lehrte man Euch die wahre
Meinung des Kabinets kennen. Rußland allein vermochte weder Euch zu
täuschen, noch Eure Lage zu verschlimmern; die Thätigkeit der früheren Jahre
hatte die Bedrückung bis auf das äußerste Maß vollendet. Ihm blieb nur
übrig, den Druck im Innern zu erhalten, und die Erhebung des
Großherzogthums, die es wohl voraussah, für seinen Theil unschädlich zu
machen.
In diesem Kampfe standet Ihr verlassen, verlassen trotz der angelobten
Sympathie der Völker. Fürchtet nicht, daß wir diese Phrase nachsprechen
diese leere Sympathie, von der zu hören Ihr müde seid. Frankreich hat Euch
damit betrogen und Deutschland nicht minder. Unsere Beamten haben es
verstanden, die Theilnahme zu tödten, sie in Haß umzuwandeln; und die
deutsch-nationale Partei ruft das Volk gegen Euch zum Schutz seiner
Gränzen.
Was diese Partei vor wenigen Tagen nur hoffte, wofür sie im Bunde mit der
servilen Presse Propaganda machte, heut sieht sie es verwirklicht,
legalisirt durch den Beschluß der Frankfurter National-Versammlung. Also
Polen ist zum vierten Male getheilt; Polen für immer vernichtet: so
dekretirt die Macht und Weisheit jener Volksvertreter. Die Fürsten mögen
sich freuen, ihre Politik, um deren Untergang sie trauerten, ist gerettet;
Hunderte von Volksvertretern haben sie adoptirt. Was kümmert jene Männer das
Versprechen des Vorparlaments, was die Gerechtigkeit? Haben sie es doch zur
Genüge bewiesen, wie fern sie der Demokratie stehen; statt eine Versammlung
der aufgehenden Freiheit zu sein, wie sie es sollten, sind sie nur eine
Versammlung des Verfalls. Sie mögen ihre neue Herrschaft mit dem Glauben
antreten, daß die vierzig Millionen sie stützen, aber wir versprechen Euch,
gegen Polen wird Deutschland kein einiges sein. Wir hoffen, das deutsche
Volk wird noch beweisen, daß die Abstimmung der Herren in Frankfurt nicht
sein Ausdruck ist; aber träte es dennoch jenen Beschlüssen bei, nun so
erklären wir feierlich, daß wir nicht zu jener Majorität gehören. Hört
unsern erneuten Protest, und wenn Polen trotz der „Unmöglichkeit zu
bestehen“ als Volk aufersteht, dann mag es nicht vergessen, daß nur das alte
Deutschland sein Tyrann sein wollte.
Wir protestiren gegen das Frankfurter Parlament, für uns, für Euch; wir
wollen Euer Recht geltend machen, das uns so viel gilt, wie das unsrige. Wir
erkennen keinen Völkerhandel an, der die Einzelnen nach älterem oder
jüngerem historischen Recht vertheilt, wir fordern für Feststellung der
Gränzen den Entscheid der Bevölkerung. So kann die Territorialfrage zwischen
uns keine Frage des Streites werden, wenn Ihr den gleichen Grundsatz
aufrecht erhaltet.
Ihr habt bis jetzt in diesem Sinne gehandelt und habt dem Gedanken der
Eroberung selbst da widerstanden, als man Euch fast zwang, die Hülfe Eures
gewaltigsten Feindes anzurufen. Ihr unterließt diesen verzweifelten Schritt,
der einen Krieg der Racen unmittelbar im Gefolge gehabt hätte, nur weil Ihr
nicht unter dem Schild eines Despoten Euer Recht verfolgen wollt.
Wie Ihr der Damm waret gegen ein solches Ueberfluthen des slavischen Stammes,
so vertrauen wir Euch, werdet Ihr auch ferner einem russischen Panslavismus
gegenübertreten, in dem wir kein Streben sehen, als den rohen Drang zu
erobern und zu herrschen. Glauben aber die Slaven, daß die Zukunft der
Geschichte nur in ihnen liege, daß sie das wahre, weil frischere und
unverbrauchte, Element für die That sind, so mögen sie immerhin die Rolle
übernehmen, wenn das müde Europa an Uebercivilisation abstirbt. Für jetzt
fühlen wir noch die Kraft, neben jedem freien Volke frei zu leben; jetzt
könnte ein siegreiches Slaventhum unser Land nur verwüsten, nicht
verjüngen.
An Euch, die Ihr die Slaven unter das Banner der Freiheit ruft, gehen unsere
Worte; Ihr mögt sie mit der Idee der Freiheit zu allen verwandten Stämmen
tragen.
Deutschland steht, wie Ihr, im Beginn eines großen Kampfes. Der Feind ist für
uns Beide der gleiche: die Diplomatie. Ein Feind und Ein Interesse, das ist
die Grundlage des Bundes, den wir Euch bieten. Nicht die Deutschen, nicht
die Franzosen sind Eure Genossen, wohl aber die Demokraten, als welche wir
Euch auch begrüßen.
Wir nehmen den Gedanken eines Völkerkongresses freudig auf, denn auch wir
wollen eine Solidarität der freien Völker und erwarten mit Sehnsucht den
Tag, an welchem ihre Abgesandten die große Förderation beschließen werden.
In dem Sinne möget auch Ihr Euch mit den übrigen Slaven zu einem allgemeinen
Bunde vereinigen.
Erhebt Euch, wie Ihr nicht anders könnt, als Nation, aber erhebt Euch im
Namen der Humanität, im Namen der Demokratie, und wir werden mit Euch sein.
‒
Berlin, 1. August 1848.
Fröbel. Rau. Kriege. Meyen. Hexamer.
(Hierzu eine Beilage.)