[0349]
Beilage zu Nr. 69 der Neuen Rh. Zeitg.
Dienstag 8. August 1848.
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Uebersicht.
Deutschland. Frankfurt (Die Repräsentationsgelder des „edlen“ Gagern. ‒ Ein Antrag Schlöffels). Berlin. (Antrag auf Errichtung von Privatbanken. ‒ Entführungsversuch der Konstabler gegen Rodbertus und v. Berg. ‒ Vorbereitungen zur Feier des 6. August. ‒ Die Buch- und Kattundrucker. ‒ Maueranschläge. ‒ Der 6. August. ‒ Ein Schreiben Schreckensteins). Magdeburg. (Aus der Citadelle. ‒ Die deutschen „satisfaits“). Aus der Provinz Sachsen. (Contrerevolutionäre Wirthschaft). Hannover. (Wie man in Hannover und Braunschweig dem Reichsverweser huldigt). Kassel. (Hessische Zustände). Marburg. (Die Volkssouverainetät in Kurhessen. ‒ Petition an das Ministerium des Innern). Prag (Dr. Brauner. ‒ Graf Buquoi). Wien. (Schwarzgelbe Todtenfeier. ‒ Die Camarilla in Oberöstreich. ‒ Paragraph 34 der Geschäftsordnung. ‒ Eine Erklärung Schwarzers. ‒ Sitzung des konst. Reichstags vom 1. Aug. ‒ Sitzung des konst. Reichstags vom 2. Aug. ‒ Jellachich und Batthiany abgereist). Von der Eider. (Eine russische geheime Note).
Holland. (Truppensendung nach Limburg).
Schweiz. Chur. (Nachrichten aus der Lombardei. ‒ Die Linie des Oglio durchbrochen; die Linie der Adda durchbrochen).
Rußland. Petersburg. (Ein kais. Ukas).
Ungarn. Szaska. (Das Banat bald in den Händen der Insurgenten). N. Becskerek. (Die Csaikisten im Sumpf. ‒ Der Bischof von Temesvar). Weißkirchen. (Lager der Gränzer bei Neudorf. ‒ Rajachich: seine Plünderung der Petrovatzer Kirche). Temesvar. (Uzdin in Brand gesteckt).
Italien. Mailand. (Befestigung ‒ Peschiera gut vertheidigt. ‒ Dekret der prov. Regierung. ‒ Fanti und Griffini. ‒ Dekret des Vertheidigungsausschusses. ‒ „L'Italia del Popolo“. ‒ Karl Alberts Hauptquartier in Lodi). Cremona. (Die Privatkorrespondenz der Times über die Kriegsvorfälle). Genua. (Zu den Waffen! Predigen des Freiheitskreuzzuges. ‒ Petition nach Turin). Turin. (Der Gesetzentwurf wegen unumschränkter Vollmacht des Königs. ‒ „La Concordia“ über die den Völkern drohenden Gefahren.
Donaufürstenthümer. Bucharest. (Die Pforte in ihrem Verhalten zur Wallachei und Rußland. ‒ Angeblich neueste Nachrichten.
Franz. Republik Paris. (Der Turiner Gesandten Erfolg. ‒ Ferdinand von Neapel entsagt den Invasionsplänen gegen Sizilien. ‒ „La Reforme“ über den Gesetzentwurf über die Jury. ‒ Russisches Gold. ‒ Brief von L. Roux. ‒ Vermischtes).
Spanien. Madrid. (Pidal Minister des Auswärtigen, Gonzalez Bravo arretirt. ‒ Ein Finanzplan der Regierung). Von der catalonischen Gränze. (Montemolinisten und Republikaner.
Großbrittannien. London. (Generalprokurator Hervis der Wahlbestechung überführt. ‒ Parlamentsdebatten). Dublin. (Verhaftungen. ‒ Lord Hardinge. ‒ M'Donald nach Thurles. ‒ Gerüchte über die Insurgentenchefs. ‒ Erfolg eines Verhörs).
Westindien. (Mißvergnügen im Westen Jamaika's. ‒ Negeraufstand unterdrückt auf der dänischen Insel St. Croix. ‒ Wirkungen des Emanzipationsdekrets der provisorischen Regierung auf Cuba und Porto-Rico).
Venezuela. (Fortdauer des Kampfes zwischen Monagaz und Paez).
Capstadt. (Aufblüh'n der Kolonie. ‒ Einführung des Pennyporto's. ‒ Abschaffung des Zeitungsstempels).
Aegypten. Alexandrien. (Cholera in Cairo).
[Französische Republik]
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[Fortsetzung]
‒ Auf der Insel Louviers (einer kleinen Insel in der Seine beim Arsenal, hinter der Insel St. Louis) wird ein Militärlager von 4000 Mann errichtet.
‒ Das große Lager von St. Maur wird abgebrochen und die Regimenter, die dasselbe bilteden, marschiren in Eilmärschen an die Alpen zurück.
‒ Hr. Goudchaux arbeitet, durch seine gestrige Niederlage gezwungen, an einem neuen Progressivsteuer-Projekte.
‒ 900 Kilogramm russisches Geld ist in den Junitagen nach Paris geschickt worden. In der Anklageakte findet sich keine Erwähnung von diesem Gelde. Herr Sarrut hat sich deßhalb schriftlich an Herrn Odilon-Barrot gewendet, um Auskunft zu erhalten.
‒ Das Journal des Debats enthält einen Brief vom Vicarius Le Roux aus dem Faubourg St. Antoine über das Elend der Arbeiterinnen in Paris:
Mehr als 4000 Frauen kommen tagtäglich zu mir, und bitten um Arbeit, und ich muß sie täglich mit der Hoffnung entlassen, daß die Arbeit bald wieder aufkommen werde. Ein großer Theil dieser Arbeiterinnen ertragen die härtesten Entbehrungen durch diese alleinige Hoffnung, die ich täglich neu anregen muß. Aber was vermag ein armer Priester, wie ich, wenn eine Regierung wie die Frankreichs, durch das Organ ihrer Minister offen ihre Ohnmacht bekennt? Mit jedem Tage wird das Elend drückender und hat bereits in unserm Faubourg eine schreckliche Höhe erreicht. Das Geschrei des Aufruhrs ist verstummt. Arbeit, Arbeit, ist der einzige Ruf, der von allen Seiten ertönt. Ich beschwöre alle Republikaner, ob von heute, ob von gestern, einem Elende zu Hülfe zu kommen, das nicht länger mehr warten kann. O, die Gelder, welche einkommen, sollen gewiß nicht zerspittert und verschleudert werden, wie die 3 Millionen, die zur Vertheilung unter die Hausarmen bestimmt waren.
Das Gegenstück zu diesem Briefe bildet die Beschreibung des prächtigen Salons des Herrn Präsidenten Marrast. Alles was Kunst und Luxus zu geben vermag findet sich hier vereinigt. Unmittelbar nach seiner Ernennung hat Herr Marrast, der selbst Kunstkenner ist und vortrefflich die Guitarre spielt, die ersten Künstler zusammenberufen, um seine Präsidentenwohnung auf die eleganteste Weise auszuschmücken.
‒ Die „Réforme“ sagt über den Gesetzentwurf über die Organisation der Jury:
Was uns vor allem in diesem Dekret in die Augen fällt, ist, daß man das allgemeine Wahlrecht im Prinzip anerkennt und hinterher jämmerlich erdrosselt unter einer Reihe von Ausnahmen, die mit der Geschicklichkeit eines Persil kombinirt sind. Z. B. Alle Franzosen v. 30 J., welche die politischen und bürgerlichen Rechte genießen, müssen auf die allgemeinen Geschwornenlisten eingetragen werden. Aber ausgeschlossen sind alle Franzosen, die weder schreiben noch lesen können, d. h. wenigstens 8 Millionen Wähler auf 12. Gleichmäßig sind es die Dienstboten und Lohndiener, ferner alle, selbst zu korrektionellen Strafen Verurtheilten, eingeschlossen die politischen Verbrecher und Journalisten. Letztere werden das Brandmarkungszeichen tragen, das San benito, wie die Spitzbuben, und wenn sie jemals 6 Monate Gefängniß gewonnen haben in irgend einem guten Prozeß gegen die Männer oder die Werke der Regierung, werden sie für unwürdig erklärt sein, im Prätorium anderswo zu sitzen als auf der Barre. Heilige Republik, du wirst von einer charmanten Courtoisie für die Intelligenzen, die dich zum Tageslicht beförderten. Die politischen Verurtheilten und die mit 6 Monat Gefängniß geschlagenen Schriftsteller den Wucherern, den Escrocs u. s. w. assimiliren, das heißt: die Rächer der öffentlichen Meinung, die Soldaten des öffentlichen Geistes degradiren, und öffnete man unsere Gerichtstabellen seit 50 Jahren, so dürfte die Elite der Intelligenz, die Chateaubriand, Lammenais, Beranger, Carrel nicht mehr Platz nehmen neben Notären, Börsenspekulanten und Anwälten auf der Geschwornenbank, nicht einmal der Präsident der jetzigen Nationalversammlung ‒ Herr Marrast.
‒ [#] Dem „J. des Debats“ zufolge ist der mit einer besondern Mission aus Turin angelangte Ricci keineswegs beauftragt, eine direkte und unmittelbare Intervention der Republik nachzusuchen. Seine Unterredungen mit Cavaignac und dem Minister des Auswärtigen sollen, wie Gerüchte besagen, zum Resultat haben, daß die Alpenarmee sofort verstärkt und hart an der Gränze konzentrirt wird. Zugleich soll der Oberbefehl für den Fall des Einschreitens dem General Lamoricière bestimmt sein.
‒ [#] Nach den neuesten Berichten aus Neapel soll Ferdinand, wie das „Bien public“ wissen will, seinen Invasionsplänen gegen Sizilien, seitdem letzteres in seiner Unabhängigkeit von England und Frankreich förmlich anerkannt worden, nothgedrungen entsagt haben.
Nationul-Versammlung. Sitzung vom 5. Aug. Der Ausschuß für Algerien beschäftigte sich diesen Morgen mit Prüfung eines Gesetz-Entwurfs, den ihm die „Société d'Economie Charitable“ vorgelegt hat und der darin besteht 20,000 Arbeiter freiwillig für Algerien anzuwerben und 1000 Familien daselbst niederzulassen, um die Kolonisirung jenes Landes endlich mit Nachdruck zu betreiben. Der Ausschuß beschloß, mehrere seiner Glieder und sonstige Sachverständige nach Algerien überzuschiffen, um an Ort und Stelle die ihm vorliegenden zahlreichen Kolonisationspläne zu prüfen und ihm darüber zu berichten. Um 11/4 Uhr eröffnete demnächst Vizepräsident Lacrosse die öffentliche Sitzung. Die Deputirten Fallacieux und Proudhon verlangen Urlaub, der ihnen unter humoristischem Gelächter bewilligt wird An der Tagesordnung liegt ein Stoß von Petitionen. Wir erwähnen darunter folgende:
1) Mehrere Bürger von Paris verlangen die Abschaffung des Gesetzes, das die Familie Napoleons verbannt. Wird an die diesfällige Kommission gewiesen.
2) Viele Träger spanischer Schuldscheine verlangen die Intervention der Nationalversammlung, um die spanische Regierung endlich zur Zahlung ihrer Verbindlichkeiten zu zwingen. Duclerc unterstützt diesen Antrag, der an die Minister des Aeußern und der Finanzen gewiesen wird
3) Pariser Fabrikanten reklamiren gegen die Konkurrenz der Arbeit der Soldaten. Wird dem Kriegsminister zur Berücksichtigung überwiesen.
4) Eishändler verlangen eine Herabsetzung des Eingangszolles auf Gefrornes. Geht an den Finanzminister.
5) Seidenzüchter aus dem Garddepartement verlangen Abschaffung des Ausfuhrzolls auf rohe einheimische Seide, in Erwägung des auffallend niedrig gefallenen Seidepreises. Wird dem Finanzminister empfohlen.
6) Dalgue, Fabrikant in Beyruth trägt auf freie Ausfuhr von Rohstoffen an, die einer ersten Bearbeitung unterworfen werden. An die Industriekommission befördert.
Nach Erledigung dieser Petition theilt der Präsident das Resultat der in den Nebensälen kurz vor der Sitzung vorgenommenen Erneuerungswahlen der sechs Vizepräsidenten mit. Bixio erhielt 577, Lafayette 567, Corbon 512, Beaumont (Somme) 496, Cormenin 368 und Lacrosse 351 Stimmen. Alle sechs werden zu Vizepräsidenten proklamirt und resp. bestätigt. Guinard und Leon v. Maleville erhielten die nächste Mehrzahl der Stimmen.
Lamennais: Ich verlange das Wort. Er erhält dasselbe und stellt den Justizminister Marie zur Rede, rücksichtlich des bekannten Artikels in der letzten Nummer des Peuple Constituant. Er sei, nicht sein Gerant, gerichtlich zu verfolgen ‒ habe er an den Minister geschrieben und nicht einmal Antwort von ihm erhalten.
Marie, Justizminister, behauptet, das Gesetz verfolge den Geranten eines Blattes, nicht die Verfasser einzelner Artikel. Der Prozeß sei also in der Ordnung.
Germain Sarrut hält dem Minister die Worte des Hrn. Decazes vor die Augen, welche der Pairskammer erklärten, daß der Gerant eines Journals, in Redaktions-Angelegenheiten ohnedieß schon eine Null, aber dann völlig zur Fiktion herabsinken, wenn sich der Verfasser eines Artikels nenne. In diesem Fall könne der Gerant höchstens als moralischer Mitschuldige belangt werden.
Flocon sprach in ähnlichem Sinne. Nützte aber Alles nichts. Die Rechte schrie nach Tagesordnung und Hr. v. Lamennais fiel abermals durch.
Senard, Minister des Innern, legt Gesetzentwürfe rücksichtlich eines Anleihens der Stadt Paris bei der Bank und wegen der Mobilgarde zu Pferde vor.
Verninac, Marineminister, verlangt ebenfalls Kredite.
Ledru Rollin verlangt das Wort über die Tagesordnung (Aufsehen). Er trägt darauf an, die Diskussion des berüchtigten Bauchartschen Berichts schon auf Dienstag festzustellen.
Odilon Barrot widersetzt sich, weil der Druck der Aktenstücke, von denen der Bericht nur matte Auszüge gegeben habe, bis dahin schwerlich fertig sein könne.
Caussidiere dringt ebenfalls auf Eile. Ich schritt, sagte er, diesen Morgen durch die Honoréstraße und mußte hören, wie mehrere Bürger einander zuriefen: „Schaut! Das ist Caussidiere ‒ der Räuber!“ Sie begreifen, daß solch' eine Lage unerträglich wird.
Odilon Barrot und Bauchart versprechen auf ihre Ehre, den Druck möglichst zu beschleunigen.
Die Versammlung nimmt nach fürchterlichem Tumult ihre Tagesordnung wieder auf. (4 Uhr).
‒ Sitzung vom 5. Aug. (Nach 4 Uhr). An der Tagesordnung befand sich die Fortsetzung der Jury-Debatte. Sie wurde auf Montag verschoben und die Versammlung fuhr in der Erledigung neuer Petitionsstöße fort. Ein Antrag von Pariser Fabrikanten auf Erlassung dee Thorsteuer auf Steinkohle zur Ermuthigung der Privatindustrie sowie eine Petition der Minenarbeiter der Seine- und Oise-Departements riefen einige Diskussion hervor. Beide wurden an die betreffenden Ministerien zur Berücksichtigung überwiesen.
Eine besondere Erwähnung verdient noch der Bericht Babaud Laribieres, eines Stockkonservativen, rücksichtlich der Gründung einer Regierungszeitung oder „Journal Quotidien Politique Litteraire et Agricole“. Abonnementspreis für Paris 20 Frs. und in den Departements 28 Frkn. Der Berichterstatter trägt darauf an, dieses Journal allen Gemeinden zuzuschicken und es öffentlich vorlesen zu lassen. (Allgemeines Gelächter).
Für nächsten Montag ist das neue Zeitungsgesetz angesagt.
Um 1/4 vor 6 Uhr wurde die Sitzung geschlossen.
Spanien.
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[ * ] Madrid, 31. Juli.
Die Gaceta bringt heute das Dekret, das Pidal zum Minister des Auswärtigen an die Stelle Sotomayors ernennt, welchen es zum Gesandten in Paris kreirt.
‒ Gonzalez Bravo ist arretirt. Man will einer doppelten Verschwörung, einer montemolinistischen und einer republikanischen auf der Spur sein. Die spanischen Fonds fahren fort zu fallen. Die Regierung soll bezwecken, alle Schuldtitel ohne Ausnahme in einem einzigen Fonds zusammenzuwerfen, der nur 2 pCt. trägt.
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Von der Catalonischen Grenze, 29. Juli.
Man gibt für gewiß die Nachricht, daß Cabrera an der Spitze von 8 bis 900 auserlesener Catalonier den 22. Juli über den Ebro gegangen ist; es geschah dieser Uebergang bei Mequinenza, einer kleinen Stadt von 1500 Seelen, zwischen Fraga, Caspe und Tortosa. So hätte jetzt wieder die Sache einen ernsten Charakter angenommen. Cabrera befindet sich wieder auf dem Schauplatz seiner alten Kriegsthaten. Seine Anhänger setzen große Hoffnung auf diesen Plan; aber es steht sehr in Frage ob er gelingen wird. Man versichert, daß Aragonien, selbst da wo die Montemolinisten die meisten Anhänger haben, das Bedürfniß nach Ruhe fühlt, wie es überhaupt in ganz Spanien allgemein gefühlt wird; ein Bedürfniß, das selbst die politischen Leidenschaften beherrscht. Dieser Chef wird daher höchstens nur in Maeztrazga eine bedeutende Truppenmacht zusammenziehen können, und er wird wahrscheinlich suchen bis dahin sobald als möglich vorzudringen.
Man erfährt andererseits, daß höhere Offiziere zu der exaltirten Progressiisten gehörend, und die bis jetzt noch nicht wagen, die republikanische Fahne aufzupflanzen, thätig damit beschäftigt sind, Guerillas zu bilden, diese Guerillas bestehen meistens aus Männern, die 1843 in Aragonien unter dem Namen Centralisten bezeichnet wurden; sie sollen den Regierungstruppen den Krieg machen, während die Montemolinisten ihren Angriff auf einen andern Punkt richten sollen. Im Falle eines Zusammenstoßens einer Guerillabande mit einer Bande von Montemolinisten solle von beiden Seiten ein Austausch freundlicher Begrüßung stattfinden: nur auf den gemeinsamen Feind wolle man feuern.
Großbritannien.
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[ * ] London, 5. August.
Hr. d'Israeli erkundigte sich in der gestrigen Unterhaussitzung bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, in Betreff eines neuen Aktes der Aggression von Seiten jener Macht, die man, wie er glaube, aus Höflichkeit das deutsche Reich nenne. Die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt habe nämlich vor Kurzem erklärt, daß sie die wegen Limburg und Luxemburg im Jahre 1839 geschlossenen Verträge nicht sanktioniren könne. Großbritannien habe jene Verträge seiner Zeit mitunterschrieben. Die Nationalversammlung mache aber nichtsdestoweniger Miene, mit dem Herzogthum Limburg gerade so zu verfahren, wie mit Schleswig und Holstein. Der Friede Europa's sei daher aufs Neue durch dieses verderbliche Eroberungssystem des deutschen Reiches gestört und er erkundige sich daher, ob von englischer Seite nicht Schritte gethan werden würden, um geschlossene Verträge aufrecht zu erhalten.
Lord Palmerston erwiederte darauf, daß das Gouvernement bereits einige Mittheilungen in Betreff dieser Angelegenheit erhalten habe, daß man über die Sache indeß noch nicht aburtheilen könne, ehe nicht einige an das holländische Gouvernement gerichteten Anfragen beantwortet worden seien. Dies sei noch nicht geschehen und es bleibe daher unbestimmt, in wie weit sich England in diese Differenz einzumischen habe.
Eine ähnliche Interpellation richtete Hr. Christy wegen Schleswig-Holstein an Lord Palmerston, welcher sich aufs Neue dahin aussprach, daß er die Feindseligkeiten bald beendigt hoffe und den Verzug im Abschluß eines Friedensvertrages mehr einigen Formfehlern als wirklichen Differenzen zuschreibe.
Die übrigen äußerst mannichfachen Verhandlungen des Unterhauses waren ohne Interesse.
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@facs0349
[ * ] London, 5. August.
Bei den letzten Parlamentswahlen hatte sich der Attorney-General, Sir John Hervis, nicht gescheut, in Horsham die unverschämteste Bestechung auszuüben. Sein Zweck war, die Wahl seines Sohnes durchzusetzen. Der Sohn wurde auch in der That gewählt. Doch bald wurde der Antrag gestellt, die Wahl für ungültig zu erklären. Die vom Unterhaus niedergesetzte Kommission hatte eine lange und schwierige Untersuchung anzustellen. Es zeigte sich schließlich, aus den unwiderleglichsten Zeugenaussagen und Beweisstücken, daß der Hr. General-Prokurator nahe an 20,000 Thlr. preuß. Courant auf Bechungen der Wähler verausgabt. Der Fall sollte heute vor die Assisen kommen. Aber schon den Abend zuvor wurde der Jury mitgetheilt, daß ihre Dienste nicht nöthig sein würden; „der Gegenstand sei fallen gelassen.“ Mit andern Worten der Herr General-Prokurator hat den Ankläger ebenfalls bestochen und so ist er wieder der honnette, gewichtvolle, brave Mann, der beim nächsten Falle, namentlich wenn es sich um die Verurtheilung von Chartisten handeln sollte, gar nicht genug von Loyalität und unerschütterlicher Treue der Regierungsbeamten wie von der Verdorbenheit und Gottlosigkeit der Arbeiter zu erzahlen wissen würde.
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[ * ] Dublin, 4. August.
Abends. Gestern arretirte die Polizei 20 in die Affaire von Ballingarry verwickelte Personen. Sie kamen heute früh hier an und sind einstweilen in einer Kaserne untergebracht. Morgen geht Lord Hardinge (der engliche Cavaignac, der aber zu seinem Unglück in den Irländern keine Pariser Juni-Kämpfer vor sich hat und daher nur sehr schlechte Lorbeeren pflücken wird) nach Ballingarry ab. Hier, in Dublin, wurden gestern wiederum 4 Personen in Verhaft genommen; ebenso 2 Mitarbeiter des „Felon“ in Loughrea. General M'Donald ist mit seinen Truppen von Ballingarry in der Richtung von Thurles aufgebrochen.
Nach einem andern Bericht sind S. O'Brien, Doheny und Meagher in den Kepper-Bergen, wohin eine starke Polizeimacht abgegangen ‒ man sagt, insgesammt 1,100 Mann. Sie haben den Auftrag, gleichsam einen Cordon zu ziehen, und diesen immer mehr zu verengern, um die Insurgentenchefs ohne weiteres zu fangen. Der Hauptzugang zu den Bergen ist übrigens eine tiefe, düstere Schlucht, mit steilen Anhöhen und überragenden Felsstücken zur Seite. ‒ Die „Kepper- oder Keeper-Berge sind 4 Meilen von Nenagh entfernt. Die Anglesey-Eisenbahn geht am Fuße derselben durch. Wie schwer es den Herrn von der Civil- und Militärpolizei wird, über die gefürchteten Insurgentenchefs Nachricht zu erhalten, geht aus folgendem Falle hervor:
M'Donald hatte erfahren, daß S. O'Brien des Sonnabends zu Nacht im Hause eines gewissen Costigan, Unterförster eines reichen Gutsbesitzers, geschlafen. Costigan wird gleich den nächsten Tag vor den General gefordert und durch einen Kapitän verhört. Er weiß durchaus nichts von O'Brien aus eigener Kenntniß, erzählt dagegen die tausenderlei über ihn umlaufenden Gerüchte und setzt hinzu, daß er keins für wahr halte. Wegen der Personen, welche ihm das Gerücht mitgetheilt, gedrängt erwiedert er, sich ihrer Namen nicht zu erinnern. Mit Absicht verwickelt er sich in eine solche Masse unauflösbarer Widersprüche, daß, wenn er auch endlich den Namen eines Freundes nennen muß, dieser nicht kompromittirt ist. Mehrere andere von den beim General anwesenden Gentlemen suchen durch Kreuz- und Queerfragen, der General durch Einschüchterung, etwas herauszubringen; Costigan läßt sich in keiner Art verblüffen und zieht innerlich vergnügt über seine Verstandesschärfe und richtige Taktik nach Hause. In Clonmel wurde gestern ein Mann wegen angeblicher Beherbergung Doheny's verhaftet; die Strafe ist der Tod.
Westindien
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@facs0349
[ * ]
In Kingston liefen unangenehme Gerüchte über den Zustand Jamaicas auf der Westseite um. Wie es hieß, hatte sich unter der arbeitenden Bevölkerung offene Unzufriedenheit an den Tag gelegt. Die Polizeimacht ist in den unruhigen Distrikten schnell vermehrt worden. Auf der Insel St. Croix ist eine Revolution ausgebrochen. Am 2. Juli forderte ein Haufe Sklaven vom Gouverneur sofortige Emanzipation; geschähe das nicht, so wollten sie Alles mit Feuer und Schwert verwüsten. Der Gouver- [0350] neur gab nach und erklärte alle Neger in den Dänischen Besitzungen für frei. Doch die Aufregung unter den Negern wuchs, statt nachzulassen. Sie drangen in Frederickstedt ein, wurden aber am 5. von da vertrieben. Der spanische General-Kapitain hat von Porto-Rico schleunige Hilfe gesandt. Im Gefecht blieben 30 Neger todt und von den Gefangenen sind später mehrere erschossen worden. Die Ruhe ist bis zum 13. Juli nicht mehr gestört worden. Die Wirkungen des Dekrets der provisorischen Regierung Frankreichs, betreffend die unbedingte Emanzipation der Neger in den französischen Kolonien, hat auf Cuba und Porto-Rico einen unglaublichen Einfluß geübt. Man kann sagen, daß dem Sklavenhandel überhaupt ein furchtbarer Stoß damit versetzt worden ‒ denn das Vertrauen zur Fortdauer der Sklaverei und der bisherige Zustand des Sklavenmarktes ist aufs tiefste erschüttert. Sollte nun gar ein Negeraufstand in den spanischen Besitzungen zum Ausbruch kommen, so wäre das eine zweite Niederlage für den Sklavenhandel. Das britische Westindien zöge daraus allein Vortheil. In Cuba wurde abermals viel von im Werke befindlichen Plänen zur Annexation der Insel in die Staaten der Union gesprochen. Es sind die vorauseilenden Schatten naher Ereignisse.
Venezuela.
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@facs0350
[ * ]
In diesen südamerikanischen Staaten ist nichts so veränderlich, als die Personen, welche die Regierungsgeschäfte leiten. Heute wird Präsident, wer gestern noch geächtet, vielleicht mit wenigen Getreuen in der Nähe von Sümpfen oder in Felsengrotten sich verbarg und morgen ist landesflüchtig, wer heute noch die höchste Stelle im Staate bekleidete. Dieser Veränderlichkeit gegenüber fällt um so mehr die Unveränderlichkeit auf, mit welcher trotz jener Unzahl von fast täglich vorkommenden politischen Temperaturwechseln doch die republikanische Staatsform unangetastet fortbesteht. In Venezuela ist der Kampf zwischen Monagas, dem jetzigen, und General Paez, dem Ex-Präsidenten, durchaus nicht zu Ende, wie früher von mehreren Journalen behauptet worden. Paez hat sich nach der Insel St. Thomas begeben, um seine Rüstungen zu vervollständigen und dann im südlichen Theil von Venezuela zu landen. Nach Berichten aus der Hauptstadt vom 8. Juli war Maracaibo wieder von den Truppen des General Paez besetzt worden, da 1200 Mann aus dem Lager des Präsidenten Monagas, von ihren Offizieren verlassen, den General Paez zu ihrem Chef ausgerufen hatten.
Afrika.
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@facs0350
[ * ] Capstadt, 1. Juli.
Die Cap-Kolonie erholt sich zusehends von den im Kaffernkriege erlittenen Verlusten. Das Einkommen für 1847 überstieg den Voranschlag um 56,462 Pf. Sterl. Der Gouverneur schlug der Legislatur Herabsetzung des Postporto's auf den Betrag des im Mutterlande üblichen vor (10 Pfennige pro Brief, gleichviel wie weit er innerhalb des Landes geht). Ferner ist der Antrag gestellt, den Zeitungsstempel zu beseitigen und diese Angelegenheit liegt dem exekutiven Rath zur Beschlußnahme vor. (Wir sehen hieraus, daß man in der Nähe der Kaffern und Hottentotten freiere und vernünftigere Einrichtungen hat als das „freie, einige und starke“ Deutschland.)
Egypten.
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@facs0350
[ * ] Alexandrien, 22. Juli.
Die Cholera ist in Cairo mit bedeutender Heftigkeit ausgebrochen. Ibrahim läßt die beschwerlichsten Nilarbeiten einstellen, weil sonst von den armen Fellahs wenige von der Krankheit verschont und am Leben bleiben dürften. Eine Menge Personen treibt die Furcht von hier fort nach Malta, Frankreich und England. Binnen 4 Tagen zählte Cairo 352 an der Cholera Gestorbene.
Banca-Zinn-Auktion.
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@facs0350
Rotterdam, 4. Aug.
Am 29. Aug. 1848 wird die Niederl. Handels-Maatschappy in Rotterdam in Auktion ausbieten: 40,000 Blöcke Banca-Zinn, allda lagernd,
45,000 Blöcke Banca-Zinn, in Amsterdam lagernd.
85,000 Blöcke Banca-Zinn,
in Loose von 1000 Blöcke.
Die Maatschappy giebt die Versicherung, daß sie bis Aug. 1849 kein anderes Zinn an Markt bringen wird, weder hier noch in Ostindien.
Diese Annonce ist um so viel wichtiger für den Handel, als die Maatschappy dadurch das en bloc-Verkaufen, und mithin das seither festgehaltene Monopolisations-System in Banca-Zinn aufgiebt.
Es steht jetzt die Konkurrenz für einen Jeden offen, während seit drei Jahren nur ein Einziger als Käufer des jedesmal zur Auktion gebrachten Quantums dastand, der seinerseits nur bei Partien an drei holländische Häuser abgab, welche Letztere mit Ausschließung aller Andern also Meister des Artikels blieben, und, da sie sich untereinander deshalb verständigten, den Preis nach Belieben feststellen konnten. Dies Alles war natürlich für den Verbraucher vom größten Nachtheil, indem er gewiß billiger für seinen Bedarf zurecht gekommen wäre, wenn er seine Ordres frei in Auktion hätte aufgeben können und nicht wie seither gezwungen war, nothgedrungen einer Zwischenhand einen bedeutenden Gewinn zu bezahlen.
In der letzten Zeit wurde von der Maatschappy bei 1000 Blöcken zugleich zu Fl. 451/2 verkauft und ist dieser Preis der heutige Marktwerth.
Wir machen die Verbraucher von hier auf obige, eben angelangte Mittheilung besonders aufmerksam.
[Gerichtsprotokoll]
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@facs0350
Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum Diebstahl.
(Fortsetzung.)
Präsident. Angeklagter, wann haben Sie in Berlin gelebt, und wie waren Ihre Vermögensverhältnisse?
Angeklagter. Ich habe 1844-1845 in Berlin studirt und in guten Vermögensverhältnissen gelebt.
Pr. Ihre Verhältnisse sollen den zu den Akten gebrachten Notizen zufolge nicht zum besten gewesen sein, namentlich sollen Sie öfters verklagt worden sein?
A. Dies bezieht sich wahrscheinlich auf einen einzigen Prozeß, nämlich wegen 28 Thaler Wirthshausschulden, den ich gewonnen habe.
Pr. Wie lernten Sie die Gräfin Hatzfeldt kennen?
A. Durch den Grafen Kaiserling.
Pr. Sie standen in einem sehr freundschaftlichen Verhältnisse, waren ihr Generalbevollmächtigter?
A. Ich war Freund der Gräfin, und nach Oppenheim's Verhaftung ihr Generalbevollmächtigter.
Pr. Sie sollen einen Schlüssel zur Wohnung der Gräfin gehabt haben?
A. Das ist Verläumdung, ich habe keinen solchen Schlüssel gehabt.
Pr. Sie sollen, um das Interesse der Gräfin zu fördern, zu unredlichen Mitteln gegriffen haben, namentlich sollen Sie in Berlin versucht haben, den Bedienten des Grafen Nostiz, des Schwagers der Gräfin, zu bestechen, um zu Briefen zu gelangen, welche der Domänenrath Wachter geschrieben?
A. Ich muß etwas ausholen, um die Sache in's rechtt Licht zu setzen. Es war unter Anderm das stete Bemühen des Grafen, die Kinder der Gräfin zu entführen, obgleich dieselben bei der Mutter bleiben wollten und vertragsmäßig sollten; namentlich wurde 1838 der junge Graf Paul aus Baden entführt, 1839 dasselbe mit der Gräfin Melanie ausgeführt, welche dann nach Wien in ein Kloster gebracht wurde. Im Februar 1846 hatte der erwähnte Wachter dem Grafen Paul einen Brief des Vaters zugesteckt, in welchem Paul aufgefordert wurde, bei Strafe der Enterbung, der Mutter zu entfliehen. Die Gräfin befürchtete, daß Graf Nostiz durch seinen Einfluß, namentlich bei dem Könige, ihr bei dem neuen Attentate ihres Gemahls gefährlich werden könne, und wünschte deßhalb den Briefwechsel des Nostiz mit ihrem Gemahl kennen zu lernen. Ich habe allerdings versucht, ihr hierbei behülflich zu sein.
Pr. Wachtmeister Oelze und Krueger haben gesagt, Sie hätten versucht, die Briefe durch Bestechung zu erlangen?
A. Ja.
Pr. Haben Sie Dietriche machen lassen?
A. Nein.
Pr. Der Schlosser Reichard soll für 2 Friedrichsd'or Dietriche für Sie gemacht haben?
A. Es ist nicht wahr.
Pr. Es soll ein Komplott zwischen Ihnen, Oppenheim und Mendelssohn bestanden haben, um dem Grafen auf jede Weise zu schaden? Zeuge Hoppe bezeugt dies.
A. Von einem Komplotte kann nicht die Rede sein. Wir waren von dem Rechte der Gräfin überzeugt.
Pr. Es liegen Briefe vor, aus denen dies Streben hervorgeht, die namentlich bezeugen, daß Sie durch die Presse für die Gräfin haben wirken wollen. In einem hier vorliegenden Briefe von H. Heine in Paris sagen Sie: in der Aachener Zeitung vom 6. Sept., der Augsburger vom 21. Sept., dem Rhein. Beobachter vom 28. und 29. Sept., sei das Verhältniß der Gräfin zur Sprache gebracht worden; jetzt müsse gesorgt werden, im „Journal des Debats“ und den „Times“ fulminante Artikel zu veröffentlichen.
A. Dieser Brief ist von mir, ich muß aber bitten, keine Stellen aus dem Zusammenhange zu reißen, sondern die Briefe ganz vorzulesen.
Pr. Ich glaube, das Wichtigste vorgelesen zu haben. Ich will aber den Brief vorlesen:
Lieber Heine!
Vielgeliebter Freund! Ich wollte dieser Tage zu Ihnen herüber kommen, um mit Ihnen eine höchst dringende Angelegenheit, in der Ihre Hülfe mir von der höchsten Wichtigkeit ist, zu besprechen. Allein Geschäftsverwickelungen nageln mich für den Augenblick an, ich kann nicht absehen, wann mir eine Reise nach Paris möglich ist. So muß ich denn brieflich Ihnen diese Angelegenheit entwickeln, obwohl das viele Mißlichkeiten und Unvollkommenheiten mit sich bringt und ich dabei die Sehnsucht meines Herzens Sie mein lieber, lieber Freund, wieder einmal mit leiblichen Augen zu schauen, das gedankenvolle Haupt mit dem fein geschnittenen spöttisch zuckenden Mund vor mir zu sehen, nicht befriedigen kann. Es wird Ihnen gewiß durch Zeitungen und lügenhaftes Privatgeträtsch, manches über den Kassettendiebstahl dessen Motive etc. zu Ohren gekommen sein. Alles was Sie darüber gehört haben mögen, so wahr es auch sei, ist falsch. Denn so wahr es auch ist, ist es doch jedenfalls halb und unvollständig. Und jede Halbheit und Unvollständigkeit ist Falschheit. Leider kann ich Ihnen brieflich schon der Länge wegen nicht alle Details des herzempörenden Romans mittheilen, in welchem ich jetzt eine Rolle zu übernehmen für gut gefunden habe. Also nur Umrisse. Die größte Bewunderung der seltendsten geistigen Eigenschaften und des Idealismus hat mich mit dem dauerndsten tiefsten Interesse und der unverbrüchlichsten Treue für die Gräfin v. Hatzfeld erfüllt. Wenn dies Interesse noch durch irgend etwas gesteigert werden konnte, so war es durch die maßloseste Empörung über die unbeschreibliche Reihe der grausamsten Mißhandlungen, der ehrlosesten Infamie, mit welcher seit dem Jahre 1822 dieses unschuldige und bewundernswürdige Weib aus dem einzigen Grunde, weil sie reiner, besser und durchgeisteter war als die seelenlosen Fleischklumpen mit denen eine ungerechte ironische Geburt sie in Verwandtschaft gebracht, unausgesetzt überhäuft wurde. Sie haben mir oft die alte, seit Menschengedenken stets wiederkehrende Elegie geklagt, wie Sie um des Lebensblüthe gekommen sind, scheiternd an der einen großen gemeinschaftlichen Klippe die uns allen droht, an der faulen Gesinnungslosigkeit, der Gemeinheit und Perfidie jener Filzläuse, die annoch als die furchtbare Majorität in der Welt herumwimmeln. Andere haben auch gelitten, wie Sie und Viele mehr als Sie. Wenn aber anders dem größern Unglück und der größern Reinheit die größere Ehrfurcht gebührt, so müssen wir alle mit abgezogenem Hut dastehen, vor dem Unglück dieses Weibes. Nicht der Zufall ist so empörend, daß sie gerade einen Mann gefunden, der nach göttlichem und menschlichem Rechte, den Strang verdienend sie 22 Jahre auf eine gar nicht zu beschreibende Weise mißhandelt hat, sondern daß unter ihren zwei Brüdern, stark durch ihre gesellschaftliche Stellung, unter ihren Schwägern und Vettern, unter allen diesen Fürsten, Herrn und Grafen ‒ die ‒ die Beweise liegen mir vor, ‒ alle ganz so wie ich überzeugt sind von der Schlechtigkeit des Grafen und dem ungerechten Schicksal seiner Frau ‒ sich nicht Einer fand, der ihre Rechte gewahrt und sich ihrer angenommen hätte auf kräftige Weise, nicht einer der sie nicht seines eigenen Vortheils wegen, seiner eigenen Bequemlichkeit zu lieb verrathen und verkauft hätte. Nun, Sie haben ja auch erfahren was eine Familie ist, und werden das begreifen. Ja noch mehr, diese Brüder haben sie bis jetzt geflissentlich in Unkenntniß über ihr gesetzliches Recht erhalten, um sie durch dieses, wie durch jedes andere Mittel (Gewalt, Entziehung des Lebensunterhaltes) zu verhindern, den Rechtsweg gegen ihren Gatten zu ergreifen. Warum? weil jeder von ihnen ein gut Theil Gemeinheiten in dieser Affaire begangen hatte, deren Bekanntwerden er unterdrücken wollte. Nicht, daß z. B. der Graf bereits in den ersten Jahren seiner Ehe die Gräfin mit Stockprügel zwang, eine seiner Geliebtinnen, die Gräfin Hompesch, die ihr Gemahl auf Hatzfeld's Einladung nicht mehr wollte hinlassen, einzuladen, und sie dann weiter mit Stockprügel zwang, fortzugehen und ihn mit seiner Maitresse allein zu lassen, nicht, daß z. B. der Graf ihr ihre 9jährige Tochter Melanie entführte und in's Kloster der Salesianerinnen zu Wien sperrte, und dort solche Befehle gab, daß seit 6 Jahren kein Brief ihrer Mutter sie erreichen konnte, kein Brief von ihr an ihre Mutter abging, sie sogar, als das Kind Monate lang in lebensgefährlicher Krankheit lag, keine Mittheilung über sie erhalten konnte, nicht, daß z. B. der Graf 3 gewaltsame, aber jedesmal mit starker Hand abgeschlagene Entführungsversuche auf den Sohn Paul gemacht und ihm, einem 14 jährigen Knaben, mit Enterbung gedroht hat, wenn er nicht seiner Mutter fortliefe, nicht, daß er schon unzähligemal von der Nothwendigkeit gezwungen, die besten Versprechungen zugeschworen und eben so oft, wenn die Pistole von der Brust fortgenommen wurde, alles wieder gebrochen hat; nicht, daß er ein Vermögen von 130,000 Thlrn. Revenüen vergeudet, wovon er ihr kaum einen Brosamen zukommen läßt, ‒ nicht Alles dies, sage ich, ist das Aergste, sondern das, daß ihre Brüder, ein Fürst in Schlesien, ein Gesandtschafts-Sekretär in Paris, die das Alles immer auf's genaueste kannten, dies gelitten haben. ‒ Doch ich will meine Galle lieber für mich behalten! Das letzte war nun das, daß er, da er mit ihr in Gütergemeinschaft lebt, die sie nach seinem Tode in sehr glänzende Lage setzen würde, sein und ihr Vermögen auf eine systematische Weise verschenkt und ruinirt. Die letzte dieser Schenkungen war an eine französisch-russisch-deutsch-holländische Hure, die Frau von Meyendorff, die lange in Paris als russischer Spion gedient hat, im Interesse ihes Mannes, der nicht zu verwechseln ist mit dem russischen Gesandten zu Berlin. Solchem Beginnen zu begegnen, wollte ich nun eine Prodigalitäts-Klage gegen den Hrn. Grafen anstellen (die jetzt in der That auch anhängig gemacht worden ist). Zu diesem Zwecke war der Besitz des noch dazu unter einer Simulation vorgenommenen Schenkungsaktes an die Meyendorf wichtig und zu diesem Zwecke wollte sich der Assessor O. und Dr. M. seiner bemächtigen.
A. Als ich von Berlin abreiste, wollte ich eine Versöhnung anbahnen. Oppenheim sollte in Ehrenbreitstein Prozesse gegen den Grafen anfangen, um diesem zu zeigen, daß die Gräfin noch Mittel in Händen habe, um zu ihrem Rechte zu kommen. Unterdessen sollte Mendelssohn über des Grafen Verschwendung und dessen sonstiges Leben Erkundigungen einziehen. Ich wollte hierdurch Mittel gewinnen, um den Grafen zum Vergleiche zu bewegen. Ich selbst ging nach Rheinstein zum Prinz von Preußen, an den ich Empfehlungen von der Gräfin und einigen hohen Militärpersonen in Berlin hatte. Erst später nach den Aachener Vorfällen, als von keiner Versöhnung mehr die Rede sein konnte, habe ich, wie ich es für Pflicht hielt, an die Oeffentlichkeit appellirt.
Pr. Es liegen noch andere Beweise an D. Karl Grün, Heine u. a. vor, aus denen hervorgeht, daß Gladbach nach Berlin gehen solle, wo auf dem Landtage das Bescholtenheitsgesetz besprochen wurde, um zu erwirken, daß der Graf auf Grund desselben vom Landtage ausgeschlossen wurde.
A. Dies wäre ein Akt der Gerechtigkeit gewesen.
Pr. Sie haben behauptet, der Graf habe die Gräfin aushungern wollen.
A. Hat in der That stattgefunden; bis vor 4 Monaten hat die Gräfin keinen Unterhalt vom Grafen bezogen.
(Der Präsident verliest noch mehrere Briefe des Angeklagten, in denen das Hatzfeldtsche Verhältniß bald von socialistischem, bald von Hegelschem, bald vom politischen Standpunkte aus besprochen wurde.)
Pr. Es soll in Berlin ein Plan gegen den Grafen geschmiedet worden sein, und zu dessen Ausführung die Theilnehmer zu verschiedenen Zeiten an den Rhein gegangen sein. Mendelssohn am 27. Juni, Lassalle am 9. Juli, die Gräfin mit Oppenheim am 20. Juli. Sind Sie auch nach Düsseldorf gegangen?
A. Ja.
Pr. Waren Sie dort mit Mendelssohn und Oppenheim zusammen?
A. Mit Mendelssohn wohl. Wir logirten aber in verschiedenen Häusern und haben uns nur zweimal gesehen. Mit Oppenheim war ich dort nicht zusammen.
Pr. Oberkellner Schmitz sagt, sie 3 wären zusammen dort gewesen, hätten sich gegenseitig Visitenkarten zugestellt. Sie hätten auch versucht, sich auf Reisen nach Köln durch Schminke und Perrücken unkenntlich zu machen.
A. Das ist Alles unwahr.
Pr. Mendelssohns Tagebuch soll über das Komplott Auskunft geben.
A. Nein, es enthält bloß Notizen über das Leben und die Verschwendung des Grafen.
Pr. Dies ist allerdings der Fall, aber auch Notizen über das eheliche Verhältniß der Hatzfeldtschen Eheleute und über Mendelssohns Reisen.
A. Ich kenne das Tagebuch erst seit der Prozedur.
(St.-Pr. erwähnt noch besonderer Notizen aus dem Tagebuch in Betreff der Frau Kurtz, welche der Präsident verliest. Der Präsident macht darauf aufmerksam, daß diese vom „Briefstehlen“ handeln, namentlich da, wo es heißt, die Kurtz wolle 3 Briefe nicht für 300 Rthlr. hergeben.)
St.-Pr. Dieses Buch ist dem Angeklagten nicht besonders zugestellt worden, weil er es auf dem Sekretariat einsehen konnte.
Pr. Aus diesem Buche geht hervor, daß Pläne zum Briefstehlen gemacht worden.
(Auf Verlangen des St.-Pr. wird ein Brief verlesen, in welchem die Rede von dem Hasse der Bauern gegen den Grafen die Rede ist.)
Pr. Es ist hier ein Brief an die Frau Kurtz von Ihrer Hand, aus Köln datirt.
A. Dieser Brief ist nicht von mir. Von welchem Tage ist der Poststempel?
Pr. Vom 2. Juli.
A. Am 9. Juli bin ich erst von Berlin gereist.
Pr. Diese Handschrift ist die Ihrige; ebenso stimmt das Siegel mit dem Ihrer andern Briefe.
A. Ich halte den ganzen Brief für unwichtig.
St.-Pr. Ich halte ihn für wichtig. Es ist noch ein Brief da. (Er verliest den Brief an die Kurz, der im Bibelton geschrieben ist. Es wird Gewicht gelegt auf die Stelle: „Du sollst leben von der sündigen Speise der Menschen“.)
Pr. Von Geld ist sonst in dem Briefe nicht die Rede. Es sollen 25 Rthlr. darin gewesen sein, wofür sich die Kurz ein Kleid machen lassen sollte.
A. Ich weiß Nichts davon.
Pr. Die Kurz und Hoppe sollen auch über die Verkleidung Manches bekunden.
A. Das ist möglich, die haben Vieles gesagt. (Auf Verlangen des St.-Pr. werden Briefe verlesen, in denen von der Bestechung eines Postillons (der Briefe an den Grafen auffangen sollte, die Rede ist.)
A. Ich habe mich erst nach Oppenheims Verhaftung um das Detail der Hatzfeld'schen Sache bekümmert. (Es werden Briefe über Mädchen verlesen, zu denen der Graf in einem Verhältnisse gestanden haben soll.)
St.-Pr. Diese Briefe müssen mit Notizen im Tagebuch in Verbindung gebracht werden.
A. Gegen eine solche Combination sprechen die verschiedenen Zeitpunkte, an denen Briefe und Tagebuch geschrieben sind.
Pr. Sie haben eine Reise nach Rheinstein gemacht.
A. Auf meine Empfehlungen an den Prinzen wurde ich vorgelass n und erhielt von diesem einen Brief an den Grafen.
Pr. Sind sie nach Deutz gereist?
A. Nein, nach Düsseldorf und dann nach Aachen.
Pr. In Deutz soll der erste Versuch gemacht sein, eine Cassette zu entwenden, wie Hoppe dies bezeugt.
A. Ich werde die Unwahrheit der Hoppe'schen Aussage erweisen.
Pr. Wo wohnten Sie in Aachen?
A. Zuerst bei Dremel und dann in den Vier-Jahreszeiten.
Pr. Wo wohnte Mendelssohn?
A. Das weiß ich nicht.
(Fortsetzung folgt.)