@xml:id | #ar069b_012 |
@type | jArticle |
@facs | 0350 |
Kriminal-Prozedur gegen Ferdinand Lassalle wegen Verleitung zum
Diebstahl.
(Fortsetzung.)
Präsident. Angeklagter, wann haben Sie in Berlin gelebt, und wie waren Ihre
Vermögensverhältnisse?
Angeklagter. Ich habe 1844-1845 in Berlin studirt und in guten
Vermögensverhältnissen gelebt.
Pr. Ihre Verhältnisse sollen den zu den Akten gebrachten Notizen zufolge
nicht zum besten gewesen sein, namentlich sollen Sie öfters verklagt worden
sein?
A. Dies bezieht sich wahrscheinlich auf einen einzigen Prozeß, nämlich wegen
28 Thaler Wirthshausschulden, den ich gewonnen habe.
Pr. Wie lernten Sie die Gräfin Hatzfeldt kennen?
A. Durch den Grafen Kaiserling.
Pr. Sie standen in einem sehr freundschaftlichen Verhältnisse, waren ihr
Generalbevollmächtigter?
A. Ich war Freund der Gräfin, und nach Oppenheim's Verhaftung ihr
Generalbevollmächtigter.
Pr. Sie sollen einen Schlüssel zur Wohnung der Gräfin gehabt haben?
A. Das ist Verläumdung, ich habe keinen solchen Schlüssel gehabt.
Pr. Sie sollen, um das Interesse der Gräfin zu fördern, zu unredlichen
Mitteln gegriffen haben, namentlich sollen Sie in Berlin versucht haben, den
Bedienten des Grafen Nostiz, des Schwagers der Gräfin, zu bestechen, um zu
Briefen zu gelangen, welche der Domänenrath Wachter geschrieben?
A. Ich muß etwas ausholen, um die Sache in's rechtt Licht zu setzen. Es war
unter Anderm das stete Bemühen des Grafen, die Kinder der Gräfin zu
entführen, obgleich dieselben bei der Mutter bleiben wollten und
vertragsmäßig sollten; namentlich wurde 1838 der junge Graf Paul aus Baden
entführt, 1839 dasselbe mit der Gräfin Melanie ausgeführt, welche dann nach
Wien in ein Kloster gebracht wurde. Im Februar 1846 hatte der erwähnte
Wachter dem Grafen Paul einen Brief des Vaters zugesteckt, in welchem Paul
aufgefordert wurde, bei Strafe der Enterbung, der Mutter zu entfliehen. Die
Gräfin befürchtete, daß Graf Nostiz durch seinen Einfluß, namentlich bei dem
Könige, ihr bei dem neuen Attentate ihres Gemahls gefährlich werden könne,
und wünschte deßhalb den Briefwechsel des Nostiz mit ihrem Gemahl kennen zu
lernen. Ich habe allerdings versucht, ihr hierbei behülflich zu sein.
Pr. Wachtmeister Oelze und Krueger haben gesagt, Sie hätten versucht, die
Briefe durch Bestechung zu erlangen?
A. Ja.
Pr. Haben Sie Dietriche machen lassen?
A. Nein.
Pr. Der Schlosser Reichard soll für 2 Friedrichsd'or Dietriche für Sie
gemacht haben?
A. Es ist nicht wahr.
Pr. Es soll ein Komplott zwischen Ihnen, Oppenheim und Mendelssohn bestanden
haben, um dem Grafen auf jede Weise zu schaden? Zeuge Hoppe bezeugt
dies.
A. Von einem Komplotte kann nicht die Rede sein. Wir waren von dem Rechte der
Gräfin überzeugt.
Pr. Es liegen Briefe vor, aus denen dies Streben hervorgeht, die namentlich
bezeugen, daß Sie durch die Presse für die Gräfin haben wirken wollen. In
einem hier vorliegenden Briefe von H. Heine in Paris sagen Sie: in der
Aachener Zeitung vom 6. Sept., der Augsburger vom 21. Sept., dem Rhein.
Beobachter vom 28. und 29. Sept., sei das Verhältniß der Gräfin zur Sprache
gebracht worden; jetzt müsse gesorgt werden, im „Journal des Debats“ und den
„Times“ fulminante Artikel zu veröffentlichen.
A. Dieser Brief ist von mir, ich muß aber bitten, keine Stellen aus dem
Zusammenhange zu reißen, sondern die Briefe ganz vorzulesen.
Pr. Ich glaube, das Wichtigste vorgelesen zu haben. Ich will aber den Brief
vorlesen:
Lieber Heine!
Vielgeliebter Freund! Ich wollte dieser Tage zu Ihnen herüber kommen, um mit
Ihnen eine höchst dringende Angelegenheit, in der Ihre Hülfe mir von der
höchsten Wichtigkeit ist, zu besprechen. Allein Geschäftsverwickelungen
nageln mich für den Augenblick an, ich kann nicht absehen, wann mir eine
Reise nach Paris möglich ist. So muß ich denn brieflich Ihnen diese
Angelegenheit entwickeln, obwohl das viele Mißlichkeiten und
Unvollkommenheiten mit sich bringt und ich dabei die Sehnsucht meines
Herzens Sie mein lieber, lieber Freund, wieder einmal mit leiblichen Augen
zu schauen, das gedankenvolle Haupt mit dem fein geschnittenen spöttisch
zuckenden Mund vor mir zu sehen, nicht befriedigen kann. Es wird Ihnen gewiß
durch Zeitungen und lügenhaftes Privatgeträtsch, manches über den
Kassettendiebstahl dessen Motive etc. zu Ohren gekommen sein. Alles was Sie
darüber gehört haben mögen, so wahr es auch sei, ist falsch. Denn so wahr es
auch ist, ist es doch jedenfalls halb und unvollständig. Und jede Halbheit
und Unvollständigkeit ist Falschheit. Leider kann ich Ihnen brieflich schon
der Länge wegen nicht alle Details des herzempörenden Romans mittheilen, in
welchem ich jetzt eine Rolle zu übernehmen für gut gefunden habe. Also nur
Umrisse. Die größte Bewunderung der seltendsten geistigen Eigenschaften und
des Idealismus hat mich mit dem dauerndsten tiefsten Interesse und der
unverbrüchlichsten Treue für die Gräfin v. Hatzfeld erfüllt. Wenn dies
Interesse noch durch irgend etwas gesteigert werden konnte, so war es durch
die maßloseste Empörung über die unbeschreibliche Reihe der grausamsten
Mißhandlungen, der ehrlosesten Infamie, mit welcher seit dem Jahre 1822
dieses unschuldige und bewundernswürdige Weib aus dem einzigen Grunde, weil
sie reiner, besser und durchgeisteter war als die seelenlosen Fleischklumpen
mit denen eine ungerechte ironische Geburt sie in Verwandtschaft gebracht,
unausgesetzt überhäuft wurde. Sie haben mir oft die alte, seit
Menschengedenken stets wiederkehrende Elegie geklagt, wie Sie um des
Lebensblüthe gekommen sind, scheiternd an der einen großen
gemeinschaftlichen Klippe die uns allen droht, an der faulen
Gesinnungslosigkeit, der Gemeinheit und Perfidie jener Filzläuse, die annoch
als die furchtbare Majorität in der Welt herumwimmeln. Andere haben auch
gelitten, wie Sie und Viele mehr als Sie. Wenn aber anders dem größern
Unglück und der größern Reinheit die größere Ehrfurcht gebührt, so müssen
wir alle mit abgezogenem Hut dastehen, vor dem Unglück dieses Weibes. Nicht
der Zufall ist so empörend, daß sie gerade einen Mann gefunden, der nach
göttlichem und menschlichem Rechte, den Strang verdienend sie 22 Jahre auf
eine gar nicht zu beschreibende Weise mißhandelt hat, sondern daß unter
ihren zwei Brüdern, stark durch ihre gesellschaftliche Stellung, unter ihren
Schwägern und Vettern, unter allen diesen Fürsten, Herrn und Grafen ‒ die ‒
die Beweise liegen mir vor, ‒ alle ganz so wie ich überzeugt sind von der
Schlechtigkeit des Grafen und dem ungerechten Schicksal seiner Frau ‒ sich
nicht Einer fand, der ihre Rechte gewahrt und sich
ihrer angenommen hätte auf kräftige Weise, nicht einer der sie nicht seines
eigenen Vortheils wegen, seiner eigenen Bequemlichkeit zu lieb verrathen und
verkauft hätte. Nun, Sie haben ja auch erfahren was eine Familie ist, und
werden das begreifen. Ja noch mehr, diese Brüder haben sie bis jetzt
geflissentlich in Unkenntniß über ihr gesetzliches Recht erhalten, um sie
durch dieses, wie durch jedes andere Mittel (Gewalt, Entziehung des
Lebensunterhaltes) zu verhindern, den Rechtsweg gegen ihren Gatten zu
ergreifen. Warum? weil jeder von ihnen ein gut Theil Gemeinheiten in dieser
Affaire begangen hatte, deren Bekanntwerden er unterdrücken wollte. Nicht,
daß z. B. der Graf bereits in den ersten Jahren seiner Ehe die Gräfin mit
Stockprügel zwang, eine seiner Geliebtinnen, die Gräfin Hompesch, die ihr
Gemahl auf Hatzfeld's Einladung nicht mehr wollte hinlassen, einzuladen, und
sie dann weiter mit Stockprügel zwang, fortzugehen und ihn mit seiner
Maitresse allein zu lassen, nicht, daß z. B. der Graf ihr ihre 9jährige
Tochter Melanie entführte und in's Kloster der Salesianerinnen zu Wien
sperrte, und dort solche Befehle gab, daß seit 6 Jahren kein Brief ihrer
Mutter sie erreichen konnte, kein Brief von ihr an ihre Mutter abging, sie
sogar, als das Kind Monate lang in lebensgefährlicher Krankheit lag, keine
Mittheilung über sie erhalten konnte, nicht, daß z. B. der Graf 3
gewaltsame, aber jedesmal mit starker Hand abgeschlagene Entführungsversuche
auf den Sohn Paul gemacht und ihm, einem 14 jährigen Knaben, mit Enterbung
gedroht hat, wenn er nicht seiner Mutter fortliefe, nicht, daß er schon
unzähligemal von der Nothwendigkeit gezwungen, die besten Versprechungen
zugeschworen und eben so oft, wenn die Pistole von der Brust fortgenommen
wurde, alles wieder gebrochen hat; nicht, daß er ein Vermögen von 130,000
Thlrn. Revenüen vergeudet, wovon er ihr kaum einen Brosamen zukommen läßt, ‒
nicht Alles dies, sage ich, ist das Aergste, sondern das, daß ihre Brüder,
ein Fürst in Schlesien, ein Gesandtschafts-Sekretär in Paris, die das Alles
immer auf's genaueste kannten, dies gelitten haben. ‒ Doch ich will meine
Galle lieber für mich behalten! Das letzte war nun das, daß er, da er mit
ihr in Gütergemeinschaft lebt, die sie nach seinem Tode in sehr glänzende
Lage setzen würde, sein und ihr Vermögen auf eine systematische Weise
verschenkt und ruinirt. Die letzte dieser Schenkungen war an eine
französisch-russisch-deutsch-holländische Hure, die Frau von Meyendorff, die
lange in Paris als russischer Spion gedient hat, im Interesse ihes Mannes,
der nicht zu verwechseln ist mit dem russischen Gesandten zu Berlin. Solchem
Beginnen zu begegnen, wollte ich nun eine Prodigalitäts-Klage gegen den Hrn.
Grafen anstellen (die jetzt in der That auch anhängig gemacht worden ist).
Zu diesem Zwecke war der Besitz des noch dazu unter einer Simulation
vorgenommenen Schenkungsaktes an die Meyendorf
wichtig und zu diesem Zwecke wollte sich der Assessor
O. und Dr. M. seiner bemächtigen.
A. Als ich von Berlin abreiste, wollte ich eine Versöhnung anbahnen.
Oppenheim sollte in Ehrenbreitstein Prozesse gegen den Grafen anfangen, um
diesem zu zeigen, daß die Gräfin noch Mittel in Händen habe, um zu ihrem
Rechte zu kommen. Unterdessen sollte Mendelssohn über des Grafen
Verschwendung und dessen sonstiges Leben Erkundigungen einziehen. Ich wollte
hierdurch Mittel gewinnen, um den Grafen zum Vergleiche zu bewegen. Ich
selbst ging nach Rheinstein zum Prinz von Preußen, an den ich Empfehlungen
von der Gräfin und einigen hohen Militärpersonen in Berlin hatte. Erst
später nach den Aachener Vorfällen, als von keiner Versöhnung mehr die Rede
sein konnte, habe ich, wie ich es für Pflicht hielt, an die Oeffentlichkeit
appellirt.
Pr. Es liegen noch andere Beweise an D. Karl Grün, Heine u. a. vor, aus denen
hervorgeht, daß Gladbach nach Berlin gehen solle, wo auf dem Landtage das
Bescholtenheitsgesetz besprochen wurde, um zu erwirken, daß der Graf auf
Grund desselben vom Landtage ausgeschlossen wurde.
A. Dies wäre ein Akt der Gerechtigkeit gewesen.
Pr. Sie haben behauptet, der Graf habe die Gräfin aushungern wollen.
A. Hat in der That stattgefunden; bis vor 4 Monaten hat die Gräfin keinen
Unterhalt vom Grafen bezogen.
(Der Präsident verliest noch mehrere Briefe des Angeklagten,
in denen das Hatzfeldtsche Verhältniß bald von socialistischem, bald von
Hegelschem, bald vom politischen Standpunkte aus besprochen wurde.)
Pr. Es soll in Berlin ein Plan gegen den Grafen geschmiedet worden sein, und
zu dessen Ausführung die Theilnehmer zu verschiedenen Zeiten an den Rhein
gegangen sein. Mendelssohn am 27. Juni, Lassalle am 9. Juli, die Gräfin mit
Oppenheim am 20. Juli. Sind Sie auch nach Düsseldorf gegangen?
A. Ja.
Pr. Waren Sie dort mit Mendelssohn und Oppenheim zusammen?
A. Mit Mendelssohn wohl. Wir logirten aber in verschiedenen Häusern und haben
uns nur zweimal gesehen. Mit Oppenheim war ich dort nicht zusammen.
Pr. Oberkellner Schmitz sagt, sie 3 wären zusammen dort gewesen, hätten sich
gegenseitig Visitenkarten zugestellt. Sie hätten auch versucht, sich auf
Reisen nach Köln durch Schminke und Perrücken unkenntlich zu machen.
A. Das ist Alles unwahr.
Pr. Mendelssohns Tagebuch soll über das Komplott Auskunft geben.
A. Nein, es enthält bloß Notizen über das Leben und die Verschwendung des
Grafen.
Pr. Dies ist allerdings der Fall, aber auch Notizen über das eheliche
Verhältniß der Hatzfeldtschen Eheleute und über Mendelssohns Reisen.
A. Ich kenne das Tagebuch erst seit der Prozedur.
(St.-Pr. erwähnt noch besonderer Notizen aus dem Tagebuch in Betreff der Frau
Kurtz, welche der Präsident verliest. Der Präsident macht darauf aufmerksam,
daß diese vom „Briefstehlen“ handeln, namentlich da, wo es heißt, die Kurtz
wolle 3 Briefe nicht für 300 Rthlr. hergeben.)
St.-Pr. Dieses Buch ist dem Angeklagten nicht besonders zugestellt worden,
weil er es auf dem Sekretariat einsehen konnte.
Pr. Aus diesem Buche geht hervor, daß Pläne zum Briefstehlen gemacht
worden.
(Auf Verlangen des St.-Pr. wird ein Brief verlesen, in welchem die Rede von
dem Hasse der Bauern gegen den Grafen die Rede ist.)
Pr. Es ist hier ein Brief an die Frau Kurtz von Ihrer Hand, aus Köln
datirt.
A. Dieser Brief ist nicht von mir. Von welchem Tage ist der Poststempel?
Pr. Vom 2. Juli.
A. Am 9. Juli bin ich erst von Berlin gereist.
Pr. Diese Handschrift ist die Ihrige; ebenso stimmt das Siegel mit dem Ihrer
andern Briefe.
A. Ich halte den ganzen Brief für unwichtig.
St.-Pr. Ich halte ihn für wichtig. Es ist noch ein Brief da. (Er verliest den
Brief an die Kurz, der im Bibelton geschrieben ist. Es wird Gewicht gelegt
auf die Stelle: „Du sollst leben von der sündigen Speise der Menschen“.)
Pr. Von Geld ist sonst in dem Briefe nicht die Rede. Es sollen 25 Rthlr.
darin gewesen sein, wofür sich die Kurz ein Kleid machen lassen sollte.
A. Ich weiß Nichts davon.
Pr. Die Kurz und Hoppe sollen auch über die Verkleidung Manches bekunden.
A. Das ist möglich, die haben Vieles gesagt. (Auf Verlangen des St.-Pr.
werden Briefe verlesen, in denen von der Bestechung eines Postillons (der
Briefe an den Grafen auffangen sollte, die Rede ist.)
A. Ich habe mich erst nach Oppenheims Verhaftung um das Detail der
Hatzfeld'schen Sache bekümmert. (Es werden Briefe über Mädchen verlesen, zu
denen der Graf in einem Verhältnisse gestanden haben soll.)
St.-Pr. Diese Briefe müssen mit Notizen im Tagebuch in Verbindung gebracht
werden.
A. Gegen eine solche Combination sprechen die verschiedenen Zeitpunkte, an
denen Briefe und Tagebuch geschrieben sind.
Pr. Sie haben eine Reise nach Rheinstein gemacht.
A. Auf meine Empfehlungen an den Prinzen wurde ich vorgelass n und erhielt
von diesem einen Brief an den Grafen.
Pr. Sind sie nach Deutz gereist?
A. Nein, nach Düsseldorf und dann nach Aachen.
Pr. In Deutz soll der erste Versuch gemacht sein, eine Cassette zu entwenden,
wie Hoppe dies bezeugt.
A. Ich werde die Unwahrheit der Hoppe'schen Aussage erweisen.
Pr. Wo wohnten Sie in Aachen?
A. Zuerst bei Dremel und dann in den Vier-Jahreszeiten.
Pr. Wo wohnte Mendelssohn?
A. Das weiß ich nicht.
(Fortsetzung folgt.)