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] Frankfurt, 1. August.
‒ Sitzung der Nationalversammlung. ‒ Präsident v.
Gagern. ‒ Beginn 91/4 Uhr.
Compes aus Köln erstattet den Bericht des
Petitionsausschusses. Unter Anderm über eine Petition von 600 und mehr
Bürgern von Würtemberg, die aus Nürnberg erfolgte Ausweisung des
Schriftstellers Gustav Diezel (Redakteur des freien Volksfreunds) wegen
aufregender Reden, und Mangel an Existenzmittel zurücknehmen zu lassen,
beantragt der Ausschuß Tagesordnung. Die in Folge dieser Petition erhobene
Ausweisungsfrage selbst überantwortet der Petitionsausschuß dem
Verfassungsausschuß.
Tagesordnung. Berathung über Artikel II. § 6 der
Grundrechte. Dieser lautet:
Alle Deutschen sind gleich vor dem Gesetze. ‒ Standesprivilegien finden nicht
statt. ‒ Die öffentlichen Aemter sind für alle dazu Befähigten gleich
zugänglich. ‒ Die Wehrpflicht ist für Alle gleich.
Minoritäts-Erachten. Alle Standesprivilegien so wie der Adel selbst sind
aufgehoben. (Wigard, Blum, Simon, Schüler). Alle Ordenstitel sind aufgehoben
und dürfen nicht wieder eingeführt werden. (Ahrens, Blum, Schüler, Wigard,
Simon). Die Wehrpflicht ist für Alle gleich. Eine Stellvertretung ist nicht
gestattet. (Scheller, Wigard, Blum, R. Mohl, Hergenhahn, v. Beckerrath,
Droysen, Beseler, Simon, Schüler, Bassermann). Jeder Deutsche [unbescholtene
Deutsche (Ahrens, Welcker)] hat das Recht bewaffnet zu sein. (Waffenrecht).
(Schüler, Wippermann, Soiron, Simon, Römer, Blum, Wigard). Das Waffenrecht
und die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei letzterer
findet nicht statt. (Wigard, Blum, Simon Schüler).
Hierzu kommen 12 Amendements, die bei der Abstimmung erwähnt werden
sollen.
Debattirt werden heute nur die beiden ersten Sätze: 1) Alle Deutschen sind
gleich vor dem Gesetze. 2) Standesprivilegien finden nicht statt.
Ueber diese „Worte“ debattirt man von 9 Uhr früh bis 3 Uhr Mittag.
Ahrens (Hannover) macht den Vorschlag, den Satz ohne
Debatte anzunehmen. Man hat es in Frankreich, Belgien etc. so gethan. Es sei
eine zu allgemeine Wahrheit; nichtsdestoweniger
spricht er über diese zu allgemeine Wahrheit eine halbe Stunde. Nur Fürsten,
Priester und Kirche eximirt der Redner von der Gleichheit vor dem Gesetz.
Nach halbstündiger, ohne alle Theilnahme angehörter Rede, trinkt der Redner,
um sich aufs Neue zu stärken, ein Glas frisches Wasser, worüber ungeheure
Heiterkeit sich erhebt. Gagern selbst bemerkt, er solle sich kurz fassen.
(Bravo.) Der Redner fährt ruhig fort. (Getümmel nach Schluß!) Der Redner
kommt schließlich auf die Orden zu sprechen, und sieht das Faule dieses
Instituts darin, daß man Allgemein keine Orden mehr trägt. (Bravo).
Moritz Mohl: Wenn der Ausschuß alle Privilegien
aufheben wollte, mußte er mit dem Adel anfangen. (Bravo.) Dieser theilt von
Geburt aus das Volk in zwei Kasten. Dies ist eine Beleidigung der Nation.
(Bravo.) Sei etwa der Adel aus besserem Stoff gebildet, als die andern
Menschen? Gäbe es Menschen, die schon im Mutterleibe zu einer niedern Race
gestempelt sind? Alle großen Lichter Deutschlands gehören dieser
untergeordneten Race an. Alle freien und guten Institutionen verdankt man
den Bürgern. Aufhebung des Drucks der Bauern, Aufhebung der Feudallasten
dankt man den Bürgern. Es gibt freilich auch edle Adlige. Der Redner
verweist ziemlich deutlich auf v. Gagern. Aber die untergeordnete Race hat
ihr Recht der Ebenbürtigkeit vollständig nachgewiesen. Man hat gesagt, der
Adel sei ausnahmsweise tapfer. Als Beispiel führe man die vielen in den
Kriegen gefallenen Offiziere an, die ja größtentheils adlich. Seien nicht
auch die Gemeinen gefallen? Haben die Kartätschen einen Standesunterschied
gemacht? (Während dieser Rede stellt der edle Fürst v. Lichnowsky die
Vorzüge des Adels klar heraus, indem er neben der Tribüne stehend, ohne die
geringste Aufmerksamkeit auf den Redner die ganze Versammlung und Tribünen
durch ein langes Opernglas lorgnettirt). Dem ersten Anspruch der Menschheit:
dem Prinzipe des Verdienstes schlägt das Adelsinstitut in's Gesicht. (Bravo)
Durch allerlei Mittel, reiche Heirathen u.(Lichnowsky fährt auf) vergrößere
der Adel seine Macht. Den Adel nicht aufheben, heißt den Camarillen und der
Reaktion Vorschub leisten. (Händeklatschen und Bravo.) Einige Mediatisirte
haben an die Nationalversammlung petirt gegen die Adelsaufhebung, und wollen
zum Ersatz für ihre Mediatisirung Vertretung der großen Grundeigenthümer in
einer ersten Kammer. Dadurch würden sie mehr verlangen als sie verloren. Was
hat der Bundestag so verhaßt gemacht? Die Begünstigung der Privilegirten.
Jetzt, nachdem man den Bundestag abgeschafft, wolle man seine Prinzipien
respektiren? (Rechts, Schluß! Links sehr laut, Ruhe!) Schaffen Sie den Moder
der Privilegien, Adel und Titel ab. (Lautes Bravo.)
Schwetschke aus Halle spricht gegen die Aufhebung des
Adelstitels. Wenn er Ulrich von Hutten oder Götz von Berlichingen hieße,
würde er es sich verbitten, ihm seinen Namen zu nehmen. Stellt den Antrag:
Alle Deutschen sollen gleichen Standes sein, aber ob sie adlige
Familiennamen führen, bleibt unberücksichtigt. Alle Standesprivilegien sind
aufgehoben. (Bravo rechts.)
Kierulf aus Rostock verbreitet sich über
Standesprivilegien. Es sei räthlich, die Stellung des Adels fest
hinzustellen. Nicht jesuitisch-zweideutig; wie nach dem Ausschußsatze:
„Standesprivilegien finden nicht statt“. ‒ Formel ist das Adelsrecht kein
Privileg, aber der Inhalt, d. h. der Anspruch zu höheren Ehren, das ist das
Vorrecht. (Vinke wird sehr unruhig.) Nach dem Ausschuß bliebe der Standbestehen, trotzdem seine Privilegien aufgehoben
würden. Der Redner verweist auf die Zerwürfnisse zwischen Adel und Volk in
seinem Vaterland. (Meklenburg-Schwerin.) ‒ Die heutige Demokratie kämpft
gegen das Junkerthum. (Bravo.) Die meisten Vorrechte
dieses Junkerthums sind theilweis verschwunden, aber vorzüglich das alte
Vorrecht muß schwinden, daß dem Adel der Zutritt zum Fürsten erleichtert
ist. Den Namen verbieten zu wollen, wäre unpraktisch. Auch durch eine
Freistellung des Adels an Alle, den Adel aufheben wollen, sei thöricht. Die
künftige Adelsertheilung muß aufhören. Ein Recht auf den Adel muß aufhören.
‒ Auch der Verlust des Adels keine Strafe mehr sein. (Bravo.)
Arndt: Ich alter Plebejer, der mit Schreiben gegen
den Adel begonnen, soll nun quasi für den Adel sprechen (so?). Ich glaube,
daß wir alle gleich geboren sind. Ich bin auch der Meinung des Ausschusses,
die Privilegien müssen aufhören, das Privilegium der Sporen; aber anders ist
es mit der Abschaffung der idealen Bilder eines Standes (!!), der
Abschaffung eines Namens. Er will die Gefühlspietät nicht verletzen. Er ist
vom Bauernstande, aber … (sehr laut und gefühlvoll) die Adelsnamen sind mit
dem Glanz
unserer Geschichte verknüpft. Wir wollen nicht tabula rasa
machen. Ich bin gewiß ein Republikaner (nein! Gelächter!); aber vor einer
großen Republik mit einem verantwortlichen Präsidenten, habe ich ein Grauen
(ungeheures Gelächter). Alle Länder passen eher zu einer Republik, als das
unsere. (Rechts sehr brav. v. Binke sehr gut. Links Gelächter.) Der Redner
schließt tiefgerührt: Laßt dem Adel seine Fahnen, seine Bilder etc. (seinen
Unsinn, seine Arroganz, seine kontrerevolutionären Mucken. Bravo Ernst
Moritz, Bauernsohn!) Zischen links. Viele Glieder
der Rechten umstürmen Arndt mit Händedrücken. Der Alte ist kindisch vor
Freude.
Marek aus Steyermark: Man muß den Geburtsadel an und
für sich abschaffen, weil seine Vorrechte
zweifelsohne stehen. Der Geburtsadel ist nichts anderes, als eine zu einem
höheren gesellschaftlichen Rang bevorrechtete Kaste, basirend auf keinem natürlichen Rechtsgesetz. Schon Joseph II.
und Friedrich der Große waren gegen die Vorrechte des Adels. Der Adel ist
die Scheidewand zwischen Fürst und Volk. Diese schon oft mit Pflastersteinen
angegriffene Scheidewand muß fallen. Sie haben des Bauers und Bürgers
Vorrechte abgeschafft, die des Adels müssen folgen. Nur dann wird man uns
tüchtige Vertreter nennen, und das deutsche Volk uns segnen, wenn wir
schaffen Freiheit ‒ Gleichheit! (Langes schallendes Bravo links und
Gallerie.)
Gombart, München: Die Vorrechte des Adels sollen
aufgehoben werden, der adlige Namen nicht. Wenn wir mehr thun, machen wir
was Despotie und Polizeistaat thun. Ich habe keinen Orden und werde auch nie
einen bekommen (Gelächter); aber auch Orden sind, von wahren Ehrenmännern
getragen, zu belassen. Orden sind das wohlfeilste Mittel Verdienste zu
belohnen. (Zischen und Bravo.)
Moritz Hartmann (von Leitmeritz, Poet): Es ist unedel
einem Sterbenden den letzten Stoß zu geben, aber wenn etwas nur noch ein
Gespenst, durch ein Wort zu verscheuchen sei, muß man dies Wort sprechen!
Also fort mit dem Adel. Derselbe hat jetzt keine Pflichten mehr, ist nur
noch eine Kaste. Sollen wir mit den Egyptiern gleich stehen, die
Kasteneintheilung hatten. Alles was ich von der Demoralisirung der Adligen
sagen könnte, ist bekannt. Jetzt wo es gilt, dem Adel sein lumpiges von zu nehmen, petirt er bei uns, um Beibehaltung
desselben. Schließt mit der Parabel: Ein rostiges Schild sagte zur Sonne,
bescheine mich. Die Sonne sprach, reinige dich. So der Adel, solle sich
durch Aufgehen im Volk reinigen, wenn er werth sein soll, daß ihn die Sonne
bescheint. (Lautes Bravo.)
Briegleb (Koburg) stellt den Antrag die beiden
Ausschußpunkte so zu fassen: Vor dem Gesetz findet kein Unterschied der
Stände statt, Standesprivilegien sind aufgehoben.
Rösler aus Oels (weil derselbe in gelbem Nankin
gekleidet, lacht man rechts sehr laut): Ich verlange die Abschaffung des
Adels im Namen der Gerechtigkeit. Man beruft sich rechts immer auf das historische Recht; schauen sie zurück, so
finden sie überall des Adels historisches Unrecht.
Erinnert an die mittelalterlichen Schnapphähne auf den Straßen. (Bravo!) Der
Adel besteht aus Speichelleckern der Fürsten, Hochmüthigen, Usurpatoren der
Aemter. Vielleicht wird deshalb Deutschland so schlecht regiert. (Bravo und
Freude.) Seit 1815 begann die Reaktion der Adelskette. Sie reicht bis zur
jetzigen Auflehnung des Junkerthums in der hannöverschen Kammer gegen unsere
Beschlüsse. Erinnert an die Metternich, Münch-Bellinghausen und, da er
gerade ein Preuße, an den Demagogenfänger Tzschoppe, der für seine
Schurkereien von Friedrich Wilhelm III. geadelt ward. Wenn die Adligen in's
Zuchthaus kommen, verlieren sie den Adel, conform damit verlange ich, daß
wenn die Bürgerlichen in's Zuchthaus kommen, sie adlich werden. (Starkes
Bravo, Wuth und Grimm ganz rechts.) Der Begriff der Ebenbürtigkeit muß
fallen! Durch das Adelsprivileg geht ein tiefer Riß durch alle
Volksschichten, durch alles gesellige Leben, und das gesellige Leben
beeinflußt ja das politische. Schließlich erinnert er an die Offizierkorps,
die Artillerie habe lauter bürgerliche Offiziere. Man müsse den Adel
abschaffen; man hüte sich, daß nicht die Kammer eines Einzelstaates der
Nationalversammlung Deutschlands hierin zuvorkomme.
Fürst von Lichnowsky (Allgemeine Ruhe und
Aufmerksamkeit. Bravo! beim Auftreten.) Die Sache, die ich zu vertheidigen
habe wird wenig Anklang finden. Ich vertheidige das Minoritäts-Gutachten
weil ich ein Edelmann bin. (Gezisch und Bravo.) Ich spreche recht eigentlich
pro domo! Den rechtlichen Punkt der Privilegien des Adels haben sie ja Stück
vor Stück abgehauen, was übrig bleibt, dies flebile beneficium, werde ich
nicht erbetteln von Ihnen. Aber er komme auf Abschaffung des Adelstitels.
Eine Abschaffung des Namens verstehe er nicht. Man hat allen Schmutz der
Jahrhunderte auf den Adel geworfen, rikoschettiren werde er nicht. Was die
Abschaffung des Namens anlange, wolle man etwas den Adligen wie den
Verbannten in Sibirien Nummern geben? Die Titel anlangend, wenn sie uns
diese nehmen, wir werden nicht darum bitten. In Frankreich hat man auch
diese Titel und die Köpfe dazu genommen. Napoleon hat später diese alten
Namen wieder gesucht. Trotz aller Abschaffung werden die Titel bleiben.
(Widerspruch, Zischen und Bravo.) Den Mediatisirten seien ihre Rechte
garantirt worden, wenn man ihnen diese nehmen wolle, werde man das
Mediatisiren für die Zukunft nicht erleichtern.
Ottov aus Labiau. Gegen sämmtliche Amendements, die
im Prinzip von dem Antrage des Ausschusses abweichen.
Neumann aus Wien macht die adeligen Vorrechte zum
großen Gaudium der Tribünen sehr lächerlich. Seelig, hochseelig,
höchstseelig. Wohlgeboren, hochwohlgeboren, hochgeboren u: Jedes Vorrecht
des Einen ist ein Unrecht gegen den Andern. Er stimmt im ersten Absatz mit
dem Ausschuß, im zweiten mit dem Minoritäts-Gutachten. (Bravo.)
Jakob Grimm, (sehr undeutlich, tiefe, aufmerksame
Stille): Der Adel ist eine Blume, die ihren Geruch verloren hat. Wir wollen
die Freiheit, neben ihr gibt es nichts Höheres mehr. Doch ich kann den Adel
nicht so schwarz malen, ich will von seinen Lichtseiten ausgehen. Heot
heraus wo der Adel überall geglänzt; vorzüglich in der Literatur. Aber die
bürgerlichen Freiheiten sind von je durch Bürgerliche gehoben worden,
Luther, und Andere. Das Wörtchen von ist eine
Präposition, die den Ortsbegriff in sich faßt, aber unsinnig ist es, zu sagen Herr von
Müller u. Es handele sich hier nicht bloß um Vorrechte der goldenen Sporen
und der langen Nägel, sondern um solche, die tief in's Leben greifen. Er
erzählt eine Stipendienanekdote aus seinem Schulleben, wo ein Adeliger ihm
vorgezogen worden. So plaudert der alte Herr vom Hundertsten in's
Tausendste, und die Versammlung hängt an seinem Munde. (Deutsche Pietät.
Schluß mit vielem Bravo. Man will Schluß.)
Schneider aus Wien: Muß für die Aufhebung des Adels
sein, vom Standpunkte der Sittlichkeit, der Gerechtigkeit und der Politik. Bittet die Adeligen in der Versammlung wegen seiner Rede
um Entschuldigung, da ja diese, durch ihre Wahl (?) bewiesen hätten, daß sie
des Volks Vertrauen besäßen! (Oho!)
Stimmen sie für Aufrechthaltung des Adels, so überschreiten sie ihr
moralisches Mandat. (Schluß! Schluß! rechts.) Ich als Wiener Deputirter muß
vorzüglich auf die Abschaffung des Adels bringen, ich werde es thun, trotz
dem sie ermüdet sind! (Bravo!) (Er macht sich lustig über die Herren Arndt
und von Lychnowsky zu großer Heiterkeit der Linken und Galerien. ‒
Lychnowsky stellt sich mit ganz außerordentlicher Arroganz der Tribüne
gegenüber und steckt die Hände in die Hosentaschen.) ‒ Wir wollen eine
Aristokratie haben, aber eine geistige. Der Adel ist die Stütze des Thrones
hat man gesagt, aber wehe den Thronen, die eine solche Stütze brauchen. Wir
Oestreicher wir wollen keinen Adel. Wir haben in Wien drei Revolutionen
gemacht. (Bei diesem Satze erhebet sich rechts große Bewegung, die durch
lebhaftes zur „Ruhegeschrei“ links erdrückt wird.) ‒ Der Redner will ein
Dokument vorlesen. (Rechts nein. Links ja.) Er bekommt die Erlaubniß zu
lesen zum Aerger des Hrn. von Radowitz. Der Redner schließt: Ich will den
Adelsstand heben, indem ich ihn dem Bürgerstand gleichstelle. (Bravo! Bravo!
links und Galerien, rechts Schluß!)
von Gagern: Ich werde (so!)
noch dem Hrn. Michelsen das Wort geben.
Michelsen (Jena). Für die Anträge des Ausschusses,
gegen die Minoritäts-Anträge. (Theilnahmlosigkeit.) Den Adelstitel
aufzuheben sei praktisch unausführbar! (Ist wohl noch nicht ausgeführt
worden?) Zischen! Schluß!
Er will sehen, ob man im Stande ist den Namen zu kastriren. Das Prinzip des Adels ist ein schönes, das der
Familienehre, es kann gar nicht entbehrt werden! (Also deshalb mußte der
edle von Gagern den Michelsen noch sprechen lassen.)
Niebuhr, dieser demokratische Geschichtsschreiber,
(oho! oho!) sage: die Aufhebung des Adels sei ein krasses rohes Gesetz.
(Bravo rechts.)
Endlich ist man erschöpft, und die Debatte über die oben genannten 11 Worte
wird geschlossen. ‒ Morgen um 9 Uhr nächste Sitzung. Fortsetzung von heut.
Schluß der heutigen Sitzung um 3 Uhr.
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61
] Wien, 30. Juli.
[Verhandlungen des Reichstags über die Rückkehr des
Kaisers nach Wien]. Nachdem Minister Dobblhof den hauptsächlich auf
die bevorstehende Abreise Johanns nach Frankfurt und
dadurch eintretenden Abgang aller Exekutivgewalt gestützten, von dem
Ministerium an den Kaiser gesendeten Aufruf verlesen, worin demselben die
Nothwendigkeit dargestellt worden, schleunigst nach Wien zurückzukehren,
theilt er der Versammlung unter Vorlage der Akten mit, es habe ein Eilbote
am 28. dem Ministerium ein Allerhöchstes Sendschreiben überbracht, welches
nicht die Form eines Regierungsaktenstückes, sondern die der persönlichen Meinung des Kaisers zeige und
die Vorlage an den Reichstag ausdrücklich erlaube. In diesem
Aktenstücke zeige der Kaiser an, „er habe seinen Oheim, den Erzherzog
Johann, beauftragt, seine Person bei der Eröffnung des Reichstags zu
vertreten, der Reichstag sei somit organisirt; daß Ministerium besitze die
nöthige Vollmacht (auch ohne Kaiser und
Stellvertreter?) und so lange nicht Gesetze fertig seien, sei seine, des
Kaisers, Anwesenheit nicht nöthig. Sobald er aber den Beweis haben werde,
daß der Reichstag frei handeln könne, wolle er den
Erzherzog Franz Karl als seinen Stellvertreter
absenden.“
Doblhof, nachdem er erklärt, das Ministerium würde nur im Einklang mit dem
Reichstag und nur unter dieser Voraussetzung seine Funktionen ferner
übernehmen, stellte nun folgenden Antrag: „Die hohe Reichsversammlung möge
beschließen, eine Adresse an den Kaiser zu senden, worin dessen baldige
Rückkehr in die Residenz als Nothwendigkeit dargestellt, das freie Handeln
der Reichsversammlung versichert und die Adresse unverzüglich durch eine
Deputation aus dem Reichstage an den Kaiser gesendet werde.“ Auf die
Aufforderung des Vice-Präsidenten Strohbach, diesen
Antrag ohne Debatte anzunehmen, erhebt sich unter anhaltendem Beifall die
ganze Versammlung und schreitet dann zur Berathung über, die Abfassung der
Adresse. Claudi: Die Zeiten des Bittens seien
vorüber, es sei entschiedenes Auftreten nöthig, da der Thron von einer
Kamarilla umgeben sei, man müsse daher die Rückkehr fordern im Namen des Gesetzes, im Namen
des freien Volks, im Namen der Vertreter des freien Volkes, (stürmischer lang anhaltender
Beifall). Binland beantragt die Berathung der
Adresse in voller Versammlung, dem Borresch
beistimmt. Stadion macht auf die Wichtigkeit der
Berathung, von welcher die Zukunft der Monarchie vielleicht abhange,
aufmerksam. Die Redner, welche die Rückkehr des Kaisers verlangt, hätten
nicht bedacht, ob seine Pflichten als Oberhaupt es ihm gestatteten. Er
erlaube sich auf eine Proklamation vom 15. Mai zurückzukehren, worin das
Ministerium gesagt, daß es in Beziehung auf die Sicherheit des Thrones Sr.
Majestät den Antrag mache, den Forderungen nachzugeben. Er sei der Meinung,
das Ministerium habe diesen Ausdruck nicht gebrauchen können und denselben
nicht angewendet, wenn der Thron nicht gefährdet gewesen wäre (?). Se. Majestät habe sich
nicht entfernt, um seine Person zu schützen, sondern um seine Pflichten als
Staatsoberhaupt erfüllen zu können. Man habe kein Recht zu fordern, ob Se.
Majestät zurückkehren wolle, sondern die Gründe zu erforschen, weßhalb er
nicht zurückkehren wolle. Er glaube den Aufschluß darüber im Schreiben Sr.
Majestät zu finden. Provisorische Gesetze, welche das Ministerium
(Pillersdorf) gegeben, würden nicht befolgt; (er meint damit das Preßgesetz)
Behörden, die sich nach dem 26. Mai konstituirt und neben dem Ministerium
als unverantwortlich hingestellt, (der Ausschuß der Bürger, Garde und
Legion), beständen noch immer. Darin liege der Grund, daß Se. Majestät
glaube, die Sicherheit sei noch immer nicht hergestellt. Es sei irrig zu
denken: Se. Majestät wolle nicht zurückkehren,
sondern könne und dürfe im
Interesse ihrer Pflichten nicht zurückkehren. Sobald die Reichsversammlung
erklärt, daß alle Garantieen gegeben seien, daß Se. Majestät mit aller
Sicherheit zurückkehren könne, werde dieses gewiß geschehen. Ob es der Würde
des Staates und des Volkes angemessen sei, den Mann, dem man als
Staatsoberhaupt einen Theil der Würde des Volks übertragen, in der Art, wie
sie der Redner vor ihm angegeben, anzugehen? Man habe nicht das Recht, die
Absichten Sr. Majestät zu verdächtigen. Hauschild:
Die Zeiten seien jetzt anders, als unter Pillersdorff, ‒ das gegenwärtige
Ministerium habe ausgesprochen, daß die Rückkunft Sr. Majestät ohne Gefahr
erfolgen könne, der Reichstag, der Ausdruck des Volkswillens, sei dem
beigetreten, eine höhere Bestätigung gebe es nicht. (Beifall). Löhner: Der Monarch müsse
dort sein, wo der Schwerpunkt der Monarchie dränge, in Wien. Er sei mit
einer Deputation, welche die Rückkehr Sr. Majestät erbeten, in Innsbruck
gewesen; damals habe Se. Majestät in Gegenwart eines hier anwesenden
Ministers (Pillersdorff?) erklärt, er habe sich nie dauernd von Wien
entfernen wollen. Dies sei lange nach dem 15. Mai gewesen, man habe keine
Garantieen gefordert. Seitdem sie nichts vorgefallen: wo der Reichstag sich
frei und sicher fühle, dort dürfe Niemand zweifeln, daß der Monarch sicher
sei. Fischhof: Wenn Jemand Garantieen zu fordern das
Recht hätte, so sei es der Reichstag. Eine dreifache Mauer umgebe den Kaiser
und trenne und entferne ihn von seinem Volke. Pillersdorf vertheidigt sein Verfahren im Mai und ist der Meinung,
das gegenwärtige Ministerium habe, indem es den Kaiser zur Rückkehr
eingeladen, blos als Fortsetzung des vorigen Ministeriums gehandelt; fordern
aber, ja befehlen, wie Klaudi es wolle, könne man dem Staatsoberhaupte
gegenüber nicht. (Beifall). Goldmark unterstützt
Klaudi's Antrag und erhält dafür lebhaften Beifall.Breßt: Der Reichstag könne nicht blos fordern, sondern es sei
seine Pflicht zu fordern, weil es seine Pflicht sei,
Alles anzustreben, was das Wohl der Völker begründe. Oesterreich wolle die
demokratische Monarchie; die Rückkehr sei darum
eine Pflicht des Kaisers, denn, wer ein Amt übernehme, der habe die Pflicht, dieses Amt zu
verwalten. (Beifall). Der Kaiser könne sein Amt nicht verwalten, wenn er
nicht am Sitze des Reichstags gegenwärtig sei. Er selbst müsse kommen und
nur in dem Falle der absoluten Unmöglichkeit müsse der Reichstag erst
einwilligen, ob und welchen Vertreter er wolle. (Lebhafter Beifall von allen
Seiten). Borrasch: Die Monarchie sei hier vertreten, jeder andere Theil der Monarchie sei
blos Partei. Die Einwohnerschaft Wiens habe sich bis
jetzt würdig benommen. Man stehe an einem furchtbaren Abgrunde, wo es sich
vielleicht um den Bestand der Monarchie, ja um einen Bürgerkrieg handle. Der
Reichstag scheine zu einer Art Sicherheitsprobe ausersehen zu sein. (Lebh.
Beifall.) Miklositsch will die Debatte fallen
lassen; Umlauft erklärt sich dagegen und unterstützt
Klaudi's Antrag, weil der Monarch nichts Andres wollen könne, als das Volk.
Nachdem noch Kudlich, Doblhof und Stadlon gesprochen, erklärt sich die
Versammlung für Schluß der Debatte und Abstimmung. Breßl wünscht, daß schon morgen die Berathung der Adresse
vorgenommen werde. (Von allen Seiten: heute noch! heute noch!)
Bei Eröffnung der Sitzung hatte der Kriegsminister den Sieg, den die
östreichische Armee über Karl Albert bei Pistozza erfochten, verkündet und
die Armee hoch leben lassen, ohne daß die Versammlung seinen ganz besondern
Jubel mitzuempfinden Lust bezeigt hätte; jetzt beim Schluß der Sitzung
verlangteVioland von demselben eine Untersuchung
wider den Offizier, der beim Zug des Reichstags zur Trauerfeierlichkeit es
unterlassen hatte, die Honneurs zu machen, über welche Untersuchung der
Kriegsminister denn auch schon morgen Bericht zu geben versprach. Nachdem
beschlossen, die Deputation zur Ueberreichung der Adresse nach Provinzen zu
wählen und zum Beweise, daß besonders auch Tyrol mit den Maßregeln des
Reichstages einverstanden sei, statt eines drei Abgeordnete dieser Provinz
der Deputation beizugeben, trennt sich der Reichstag um 1 Uhr, um sich zur
Berathung der Adresse gegen 7 1/2 Uhr Abends wieder zu versammeln. Der von
der Redaktionskommission vorgelegte Adreßentwurf, worin die ungesäumte Rückkehr gefordert wird, befriedigte
jedoch so wenig, daß sich eine neue Debatte erhob, in welcher besonders Löhner unter lebhaftem Beifall im Saale und auf den
Galerien bemerkt, der Reichstag wolle aus den Blättern der französischen Revolution lernen, wie man zu sprechen habe,
wenn Höflinge sich drängten zwischen Fürst und Volk. Ebenso Füster, ein katholischer Geistlicher: „Das
östreichische Volk habe bei allen Intriquen eine Geduld bewiesen, die in der
Geschichte unerhört sei. Das Volk habe eine Liebe bewiesen, wie seltene
Beispiele es wiedergeben. Deputation über Deputation sei abgesendet worden,
das Volk habe schon auf revolutionärem Boden gestanden und doch noch gebettelt, wo es nicht mehr betteln sollte.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn das Volk von vornherein energischer
gesprochen hätte; es thäte dann heute nicht Noth. Das Volk sei tief gekränkt
über die Schmach, die man ihm angethan. Man möge die Geschichte anderer
Völker, man möge die Geschichte Karls I., Ludwig XVI. lesen.“ (Zischen,
Murren, Ruf zur Ordnung von einer Seite). Nachdem noch mehre Redner in
diesem Geiste gesprochen, läßt der Präsident abstimmen, ob der Adreßentwurf
beizubehalten sei. Die Majorität erklärt sich dafür, was bei dem größten
Theil der Versammlung Erstaunen und Befremden erregt. Auf einige Bemerkungen
Broßl's und Mayers, daß, um die letzte Feile anzulegen, die Adresse
ungeachtet der Annahme, noch nach Paragraphen debattirt werden müsse, läßt
der Präsident darüber abstimmen und die Majorität erklärt sich nun dafür.
Bioland will, daß namentlich abgestimmt werde,
damit die Weltgeschichte entscheide, wer von ihnen eine Inkonsequenz der
Gesinnung sich habe zu Schulden kommen lassen. (Beifall). Nachdem noch Füster in gleichem Sinne gesprochen, entfernt sich
die ganze Linke und viele andere Deputirte, so daß eine Majorität (191
Stimmen) nicht mehr vorhanden ist. Stieger schlägt vor, die Adresse durch
eine Kommission revidiren zu lassen; Demel beantragt unter Zischen die
Beibehaltung der Adresse. Es drängen sich Zuhörer unter die Deputirten, der
Präsident hebt die Sitzung auf und beraumt eine Ausnahmssitzung auf heute
Morgen 9 Uhr an, aus welcher ich eben komme.
Unter sechs Adreßentwürfen, welche verlesen wurden und unter welchen einige
sehr vehemente, fand derjenige des Abg. Umlauft den meisten Anklang und kam
zu einer jetzt noch dauernden Debatte, deren Resultat nur eine sehr
energische Adresse sein kann, weil die Linke fast alle ihre Amendements
durchzusetzen scheint.
Gestern Abend war die Straße, in welcher Jellachich wohnt, gesperrt. In einer
Zusammenkunft des ungarischen Ministers Bathiany, nicht Esterhazy, wie ich
gestern irrthümlich bemerkte, und Jellachichs bei Johann, soll dieser
Bathiany erklärt haben, Ungarn müsse, Kroatien gegenüber, nachgeben, d. h.
dem Kamarilla-Häuptling Jellachich nichts in den Weg legen. Mir scheint's,
daß das Drama der Revolution nirgendwo so durch und durch zur Ausführung
kommen wird als hier.