Französische Republik.
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] Paris, 28. Juli.
Die Zahl der verhafteten Insurgentinnen steigt bereits auf 488. Im
St. Antoineviertel arretirte man gestern noch 43, weil sie Barrikaden bauen geholfen und den
Blousenmännern Patronen zugetragen hatten. Rue de Seine ward ein Mädchen denunzirt, welches
auf einem Balle sich etwas laut ihres rothen Seidenshawls gerühmt, der als Barrikadenfahne
gedient hatte und von vielen Kugeln durchbohrt war; die Polizei fand in ihrem Zimmer einen
Ebenisten der Nationalwerkstätten und arretirte ihn und einen Schuhmacher daneben, der Waffen
besaß; das Mädchen lag im Hospital, doch streckte sich der Arm der
Rache bis zu ihrem Bette aus und legte Beschlag auf sie. Zwei junge Markedenterinnen dagegen
haben das Ehrenkreuz erhalten. Ueberhaupt wird jetzt viel dekorirt, obschon die Mehrzahl der
Obersten der Nationalgarde dem General Cavaignac ausdrücklich das Skandalöse einer solchen
Auszeichnung nach einem Bürgerkrieg vorgestellt hatten; er befiehlt jetzt in jeder Legion die
Würdigsten der Junikämpfer ihm zu nennen, auf daß er sie bekreuze. ‒ Man petitionirt einige
Tausende in neue Strafregimenter zu stecken und gegen die Kabylen und Araber zu verwenden; das
sei ja minder kostspielig als Kolonien daselbst anlegen! ‒ Die
Sterblichkeit der Verwundeten ist jetzt sehr stark wegen der Hitze, und weil es in die vierte
Woche geht, welche immer gefährlich ist; die blessirten Insurgenten transportirt man von allen
Seiten nach dem St. Lazargefängniß und Spital, um sie mit Bequemlichkeit zu inquiriren. Das
Repräsentantenhaus hat jetzt wieder mit Ruhm sich bedeckt und mit ungeheurer Majorität dem weiblichen Geschlechte sogar die Anwesenheit in den Klubs
verboten, ebenso den Minderjährigen. „Zu bemerken war der giftig sprudelnde Eifer des
Advokaten Dubin und des protestantischen Pfarrers Cocquerrel, welche beide eine spezielle
Thätigkeit bei Fabrizirung des neuen Klub- (richtiger Anti-Klub.) Gesetzes entwickelt haben;
Herr Dupin hält wenig von Eva's Töchtern, denen er es nicht verzeiht das Ehescheidungsgesetz
seit Februar gewünscht und in mehreren Klubs diskutirt zu haben (sagt der „Conciliateur“); er
ist rachsüchtig wie ein fanatischer Hohepriester der Themis, der blinden Göttin, die immerdar
wägt und nie sieht was man ihr zu wägen gibt; er zittert das moderne Weib der Republik möge
die elenden Paragraphen des Code abschütteln, die wie endlose Kettenglieder es umstrickt
halten und zum Spielzeug oder zur Waare machen. Herr Dupin ist ein würdiger Statthalter des
Meisters.“ Uebrigens wurde das Gesetz gegen die Klubs so despotisch, daß sogar Herr Dufaure
sich auflehnte. ‒ In der hohen Finanzregion herrscht Freude über die neue Anleihe zu fast 8
Prozent und 75 Frs., wobei Rothschild die schon unter Louis Philipp vorgeschossenen Summen der
letzten Anleihe sich ingeniöser Weise anschreiben läßt, obschon er sie durch Nichterfüllung
verwirkt hätte. „La Concorde,“ ein lebensheiteres frisch gezeugtes Banquierjournal, ermuntert
in wohlhäbigem Tone die Regierung, auf diesem „einzig vernünftigen vor Staatsbankrutt und dem
damit gleichbedeutenden Emittiren von Papiergeld schützenden Wege“ fortzuwandeln. „Kredit,
ruft es, Kredit! ja, das ist die Pulsader aller hochcivilisirten Staaten und wie vor der
grausen Gewitterwolke des sozialistischen Barbarenthums sich das Circulationsmittel in
gerechtem Abscheu zurückzog, gerade so wird es jetzt zutrauensvoll und brüderlich (!) sich
durch die Glieder des Ganzen vertheilen u. s. w. “ Letzteres ist noch zu bezweifeln; die
Münzmaschine arbeitet Tag und Nacht in Gold und Silber,aber„der Pöbel“ kriegt davon nichts zu
sehen. ‒ Cabet hat, wie es scheint, Cavaignac geschrieben ihn und seine Anhänger endlich auf
Staatsschiffen nach Tyras zu schaffen, ist aber bis jetzt noch ohne Antwort.
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Paris.
Ein Dekret der Exekutivgewalt löst die von Schoelcher präsidirte Kommission der
Sklavendienstabschaffung auf, weil sie ihre Arbeiten beendet. Diese Arbeiten bestanden in
letzter Zeit in der Begutachtung beider Fragen: a) Wie können in den Kolonien Sparkassen
angelegt? b) Auf welche Weise am besten Europäer mit den befreiten Sklaven vermischt
werden?
‒ Ein Dekret setzt eine General-Thierschau von ganz Frankreich, an dem Mittwoch der
Osterwoche alljährlich in Poissy, fest.
‒ Bixio, der jüngst gewählte Vicepräsident der Nationalversammlung hat seine Entlassung
eingereicht, weil sich bei einer anderen Gelegenheit herausstellte, daß alle Beschlüsse der
Nationalversammlung, in öffentlicher Sitzung oder in den Bureaus, null und nichtig seien, wenn
keine 500 Glieder gegenwärtig, d. h. an der Abstimmung Theil nehmen.
‒ Der Defizit der Stadt Paris beträgt für das Jahr 1848 nicht weniger als 10,000,000
Franken. Herr Stadtrath Galis ist beauftragt, sie bei der hiesigen Bank in Form eines
Darlehns, abgesehen von der großen Anleihe der 25,000,000 Franken sofort zu negoziren. Die
Bankdirektion hat sich gegen gute Sicherheit mit Vergnügen dazu bereit erklärt.
‒ Eine Petition gegen die Jesuiten hat im Unterrichtsausschusse einen furchtbaren Redekampf
hervorgerufen und verrieth wieder einmal, wo die eigentlichen Jesuiten sitzen. Sarrut,
Berichterstatter, trug auf Ueberweisung der Bittschrift an den Minister des Innern an, damit
er über das Vorhandensein der Jesuiten in Frankreich überhaupt sich erkläre. v. Kerdrel,
namentlich aber der fanatische Graf Montalembert, einer der seichtesten, obwohl gewandtesten
Schwätzer der alten Pairskammer, die sich beide in den Unterrichtsausschuß geschlichen,
erhoben sich mit Heftigkeit und Letzterer rief aus: „Wohlan, ich bin Jesuit und mache mir eine
Ehre daraus, diesen Orden zu vertheidigen.“ Der Ausschuß stutzte; Froussard und Sarrut, ein
paar eingefleischte Freimaurer,
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sahen sich verdutzt einander an und die
Petition wird wohl beim Minister des Innern ins Wasser fallen.
National-Versammlung. Sitzung vom 27. Juli. Präsident Marrast
eröffnet sie um 2 1/4 Uhr. Adelsward überreicht seinen Bericht über die Vorschläge Montreuil's
rücksichtlich eines neuen Kolonisationsplans Algeriens. Die Versammlung schreitet zur
Tagesordnung. Pfarrer Coquerel besteigt die Bühne, um der Versammlung über die Masse der zum
Artikel 13 des Klubgesetzes gestellten Amendements die Ansicht des Prüfungsausschusses
mitzutheilen. Diese Ansicht besteht darin, sie alle zu verwerfen und an der ursprünglichen
Fassung festzuhalten, mit der einzigen Aenderung, die von Vivien vorgeschlagenen Strafen
aufzunehmen. Hienach lautet der Artikel wie folgt: „1) Die geheimen Gesellschaften sind
untersagt. Diejenigen, welchen nachgewiesen ist, daß sie an einer solchen Gesellschaft Theil
nehmen, verfallen in eine Geldbuße von 100 bis 500 Frs., einer halb- bis zweijährigen
Gefangenschaft und Einstellung ihrer bürgerlichen Rechte während 5 bis 10 Jahre. 2)
Vorstehende Strafen können gegen die Chefs besagter Gesellschaften verdoppelt werden. 3) Diese
Strafen treten ganz unabhängig von denjenigen ein, welche durch die gewöhnlichen Gerichte
gegen Verbrechen oder Vergehen ausgesprochen werden.“ Die Diskussion ist über diese Fassung
eröffnet.
Vergnes findet sie noch nicht bezeichnend genug und stellt den Zusatz, den 24., welcher also
lautet: „Geheime Gesellschaften sind solche, welche sich verbergen und ihr Dasein verläugnen.“
(Gelächter) Dieser Zusatz fällt durch.
Gillon, ziemlich entrüstet: Zwei Tage diskutiren wir nun über den Art. 13. rücksichtlich der
geheimen Gesellschaften, und wissen immer noch nicht, was eine geheime Gesellschaft ist, die
wir mit so harten Strafen verfolgen. Ihm zufolge entspreche der Artikel 14 der
Staatssicherheit vollkommen, weshalb er auf Streichung des ominösen Artikels antrage.
Der Antrag Gillon's stieß auf harten Widerspruch. Mehrere Redner rennen zugleich auf die
Bühne; das Geschrei: zum Schluß, zum Schluß! Zur Abstimmung, zur Abstimmung! jagt sie indeß
wieder herunter, und die Versammlung schreitet zur Abstimmung.
Der Artikel 13 wird mit großer Mehrheit genehmigt. Man will zur Abstimmung des Ganzen
schreiten; doch Favre tritt mit einem Zusatze dazwischen, der also lautet:
„Obstehende Bestimmungen finden auf diejenigen geheimen Gesellschaften keine Anwendung, die
keinen politischen Zweck haben.“
Er bezeichnet in seiner Entwickelung desselben die zahlreichen Aktiengesellschaften und
andere Associationsverträge unter Fabrikanten, Kaufleuten, Industriellen u. s. w., die gar
keinen politischen Charakter haben, die sich bedroht sehen könnten, also füglich ausgenommen
werden dürfen.
Senard, Minister des Innern und Vater des Klubsgesetzes, eilt auf die Bühne, um den Zusatz
als überflüssig zu bekämpfen. Artikel 14 genüge den industriellen Vereinen vollkommen.
Favre besteht auf seinem Zusatze, und zieht gelegentlich gegen die Härte des ganzen Gesetzes
zu Felde, die ihm ärger erscheinen, als das berüchtigte Gesetz von 1834. (Lärm.)
Dupin Senior bekämpft diesen Zusatz, der ihm von einer Natur erscheine, welche den ganzen,
eben abgestimmten Artikel 13, umstoßen könne.
Der Zusatz wird zur Abstimmung gebracht und verworfen.
Tranchant läßt sich hierdurch nicht abschrecken und trägt ein ähnliches Anhängsel vor, das
aber ebenfalls ohne ernste Diskussion durchfällt.
Der Artikel 14 kommt an die Reihe.
„Die Klubvergehen werden an die Zuchtgerichte verwiesen.“
Eine Menge Zusätze regnets von allen Seiten, die jedoch bald beseitigt werden.
Der Ausschußentwurf hat dem ursprünglichen Gesetz noch eine 15 und 16 Artikel angehangen.
Letzterer gestattet den Wahlversammlungen eine Ausnahme.
Die Diskussion dauert fort. (4 Uhr.)
Nach 4 Uhr. ‒ Art. 14 (ursprünglicher Nachsatz zu Art. 13) lautet also: „Unabhängig von den
Vereinen, welche durch gegenwärtiges Gesetz geregelt sind, können die Bürger zu einem
nichtpolitischen Zweck Cirkel oder nichtpolitische Gesellschaften bilden, müssen jedoch vorher
der Ortsobrigkeit den Zweck der Gesellschaft anzeigen und die Namen der sie bildenden
Mitglieder angeben.
In Ermangelung dieser Anzeige oder im Falle falscher Angaben werden die Vereinslokale
unverzüglich geschlossen und die Mitglieder gleich den Theilnehmern geheimer Gesellschaften
bestraft.
Nach langer Diskussion angenommen.
Dufaure schlägt einen 15. Paragraphen vor, der den Gemeindebehörden anheimstellt, die
Erlaubniß zu nichtpolitischen Vereinen zu ertheilen oder zu verweigern. Aber den Rekurs an die
Oberbehörde gestattet.
Wird lange diskutirt und nach zweimaliger zweifelhafter Stimmprobe zum allgemeinen Erstaunen
des Saales angenommen.
Ein ungeheures Ah! folgte der Veröffentlichung des Resultats.
Nun kehrte die Versammlung zum ursprünglichen Art. 14, jetzt 16, zurück, der die
Zuwiderhandelnden vor ein Zuchtgericht stellt.
Die Versammlung schien jedoch zu ermattet und verschob die Berathung des Schlußartikels auf
morgen.
Manguin zeigt der Versammlung an, daß er die äußere Lage der Republik so ernst halte, um
Interpellationen an den Minister zu richten.
Diese Interpellationen über die äußere Politik wurden mit Cavaignac's und Bastide's
Genehmigung auf Montag festgesetzt und die Sitzung um 6 Uhr geschlossen.