Deutschland.
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*
] Köln, 28. Juli.
Wir können unseren Lesern folgenden Brief eines Freundes aus Kopenhagen nicht
vorenthalten:
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14
] Kopenhagen, 23. Juli.
Sie wissen, geehrter Freund, ich bin nie ein großer Patriot gewesen, habe nie in der
deutschen Geschichte viel Glorie und Herrlichkeit entdecken können, und
Schleswig-Holstein stammverwandt
Blieb mir immer unbekannt.
Aber soviel ist gewiß, wenn ich kein Deutscher wäre, so möchte ich wenigstens um Alles in
der Welt kein Däne sein. Ich wünschte nur, die christlich-germanischen Ritter von der
Contrerevolution, die Herren Bincke, Radowitz, Lychnowski und Consorten kämen einmal herüber
nach Dänemark; sie würden sofort den Krieg einstellen und Gott danken, wenn die Dänen
Schleswig nur behielten. Denn hier, im frommen Lande Dänemark, hier blüht noch die alte Zucht
und Sitte, die in Deutschland vom Gift französischer Verderbtheit angenagt, vom Sturmwind
gottloser Revolutionen erschüttert worden ist. Hier finden Sie eine tüchtige Büreaukratie,
einen mächtigen Adel, einen ehrsamen, zünftigen Bürgerstand, kernhafte Bauern, ein kräftiges
Ständewesen, unerschütterliche Treue gegen den Fürsten, hier finden Sie wenig Talent und viel
Charakter, Gastfreiheit, Biederkeit, Familiensinn, Gemüthlichkeit und Behäbigkeit im vollsten
Maße. In der That, muß man nicht wünschen, daß Schleswig bei Dänemark bleibt, damit es den
modernen, verwerflichen, leider auch in Deutschland mächtigen revolutionären Einflüssen
entzogen werde? Dänemark ist das Land, wo ein deutscher kontrerevolutionärer Patriot
unpatriotisch, wo ein unpatriotischer deutscher Revolutionär Patriot werden muß, das Land, wo
der alte Arndt singen würde, des Deutschen wahres Vaterland gehe soweit die dänische Zunge klingt. Und welche Nation kann deutscher sein als diejenige, der die
Deutschen noch nicht deutsch genug, der sie „deutsche Windbeutel“
sind?
Wenn der Fuchs die Flöhe los werden will, so geht er rückwärts in's Wasser mit einem Büschel
Moos im Maul, und die Flöhe, von der Ueberschwemmung getrieben, hüpfen immer weiter vorwärts,
bis sie endlich alle auf dem Büschel Moos sitzen, und dann wirft der Fuchs Moos und Flöhe in's
Wasser, und die armen Flöhe ersaufen elendiglich. So sagt die Fabel. Deutschland hat zwar von
der Fuchsnatur bisher wenig mehr als die rothen Haare. Wenn es aber einmal so stark von den
christlich-germanischen Flöhen gebissen wird, daß es mit Todesverachtung rückwärts in den
Revolutionsstrom geht bis an die Schnauze, dann wird Dänemark das Büschel Moos sein, auf dem
sich alle die kontrerevolutionären Flöhe versammeln, und wo sie mit Einem Schlage
untergetaucht werden.
Sie meinen, ich scherze? Keineswegs. Ich versich're Sie, ich bin hier deutscher Patriot vom
reinsten Wasser geworden. Gegen diese biederben Barbaren sind wir Deutsche wahrlich
leichtsinnige, civilisirte Franzosen. Was Paris und London für Deutschland, das ist Hamburg,
sage Hamburg für Dänemark. Diese winzigen dänischen Schreier, die einen so merkwürdigen Lärm
gegen Deutschland erhoben haben, poltern im Grunde nur deßwegen so laut, weil sie materiell
und intellektuell von uns abhängig sind. Lesen Sie die Berlingske Tidende (die „Kölnische
Zeitung“ von Kopenhagen), ob nicht der dritte Theil der Annoncen in deutscher Sprache, ob
nicht drei Viertel der angezeigten Bücher deutsche Bücher, ob nicht die Masse der
Kaufmannsnamen deutsche Namen sind. Deutsche besorgen hier den Detailhandel, Juden den Geld-
und Kornhandel, an ihrer Spitze der reiche Jude Hambro, der mit ein paar lumpigen Millionen
Reichsbankthaler ganz Kopenhagen in die Tasche steckt, und hier mehr ist, als Rothschild in
Paris. Lesen Sie die Politik und die Handelsberichte unsrer Tagesblätter, ob nicht alles von
der Hamburger Post abhängt, der einzigen Vermittlerin zwischen Kopenhagen und der civilisirten
Welt, ob nicht selbst die Berlingsche Hofzeitung viel genauere Bülletins über Ankunft,
Ausbleiben und Störungen „Hamborgerpostens“ gibt als über „Kong Fredriks den syvendes“
erwünschtes allerhöchstes Wohlsein?
In der That, die Dänen mögen sich sperren wie sie wollen gegen Deutschland, sie mögen ihrem
Könige noch so laut zurufen: „Führe uns nicht in den deutschen Bund!“ (das bekannte dänische
Vaterunser) ‒ sie sind im deutschen Bunde Kraft der Hamburger Post und
die Hamburger Post ist stärker als Fredrik VII. und Orla Lehmann, der Deutschenfresser. Darum
bildet sich jetzt ein großes Komplott in Kopenhagen, um Dänemark von der Hamburger Post
unabhängig zu machen. Die Spießbürger mehrerer Städte empören sich gegen die Hamburger Post,
und Fädrelandet läßt sich einen ingrimmigen Brief „eines im Auslande ansässigen Jüten“,
schreiben in dem der ganze Feldzugsplan enthalten ist.
Die Jüten sind sonst die dänischen Pommern, und da die Dänen selbst gewissermaßen Pommern
auf der zweiten Potenz sind, so kann man sich denken, welche gedankenschweren Köpfe diese
Jüten besitzen. „Ein Jüte“ in einer dänischen Zeitung hätte noch vor Kurzem in ganz Kopenhagen
dasselbe Gelächter erregt, wie „ein Pommer“ in deutschen Blättern. Aber wie die Pommern durch
die Berliner Revolution, so sind die Jüten durch den deutschen Krieg zu Ehren gekommen und
Fädrelandet muß jetzt jede Woche wenigstens drei Briefe von Jüten enthalten. Doch geben Sie
Acht, was der Jüte sagt.
Der Jüte ereifert sich zuerst darüber, daß dies Hamburg, das jährlich an 3 Millionen Mark
Banko reinen Gewinn aus Dänemark ziehe, undankbar genug sei, die deutschen Truppen mit offnen
Armen aufzunehmen, Freischaaren zu bilden, Geldbeiträge für die „Aufrührer“ zu sammeln, durch
Verläumdungen und Unwahrheiten den König, die Regierung, die Handlungsweise und den Charakter
der Dänen vor aller Welt schändlich anzuschwärzen und schließlich mit ächt hamburgischer
Biederkeit sich für neutral zu erklären!
Es versteht sich nun von selbst für den entrüsteten Jüten, daß Dänemark blutige Rache an dem
verrätherischen Hamburg nehmen und alle Geschäftsverbindung mit ihm abbrechen muß. Es kann
dies sehr gut, „weil es keine Seestadt im nördlichen Europa gibt, die zum Handel so günstig
gelegen ist, wie Kopenhagen“.
Der Jute hat sich schon darüber gefreut, daß die Dänen massenweise erklärt haben, kein Loth
Waare mehr von Hamburg zu beziehen, sondern sich in Zukunft direkt nach Frankreich, England
etc. zu wenden. Aber er weiß, was er von diesen, „in der Warme des Enthusiasmus
ausgesprochenen Gelübden“ zu halten hat:
„Sowie der Friede wieder über unser theures Land hinlächelt, so kommen die Hamburger und
andere deutschen Reisenden wieder in Menge. Da sucht jeder zuerst anzukommen. Jeder ist
freundschaftlich, „mild“, zuvorkommend mit Credit und Facilitäten aller Art und versichert
seinem Kunden; er sei stets neutral gewesen, ja, er nimmt keinen Anstand, obgleich er uns zu
Hause verdammt und verlästert hat, den Muth und die Tapferkeit der Dänen herauszustreichen und
ihre Sache die einzig gerechte zu nennen. Ein Reisender bietet noch wohlfeilere Waare an als
der andere und rechnet dem dänischen Kaufmann vor, wie viel annehmlicher es ist, seine Waaren
in kleinen Parthien von Hamburg nach den vorgelegten Mustern zu verschreiben, als sie direkt
kommen zu lassen etc. etc. ‒ Das ist zu viel für die dänische Gutmüthigkeit, und leider ! auch
für die dänische Gemächlichkeit. Der Däne vergisst alle Feindschaft und Ungerechtigkeit und
bestellt seine Waaren wieder bei den Deutschen, die weiter reisen, und wenn sie nach Hause
kommen, „lachen sie dummen Dänen wieder aus“ (diese letzten Worten im Original deutsch).
„Der dänische Kaufmann raisonnirt dabei wie folgt: Da brauche ich keine Briefe zu schreiben,
nicht eine Zeile, um neue Verbindungen einzuleiten und meine Waaren vom Ausland zu
verschreiben, ich brauche keine Rimessen zu besorgen oder Tratten zu decken, da ich weiß um
welche Zeit der Hamburger Reisende kommt das Geld einzukassiren und wieder Aufträge
aufzunehmen. Alle diese Briefschreiberei macht Mühe und Porto, denkt der Kaufmann.
„Aber er bedenkt nicht, daß die Reisen der Hamburger auch Geld kosten, und daß diese
Reisekosten bezahlt werden, nicht von den Hamburgern, sondern von den Dänen, welchen sie auf
den Waarenpreis geschlagen werden. Wenn man bedenkt, wie viel der große Schwarm deutscher
Reisender jedes Frühjahr und Spätjahr in Dänemark verreist, so muß man sich erst recht
wundern, warum die Dänen nicht längst ihre Waaren direkt aus Frankreich, England u. s. w.
beziehen, da die meisten Reisenden nicht mit deutschen Produkten handeln.“
Der Jüte ist, wie man sieht, ein sehr braver Patriot, aber ein schlechter Oekonom. Sollen
die Kleinkrämer und Philister von Aarhuus, Viborg und Odense, Städtchen von 2 - 10,000
Einwohnern, ihre Waaren direkt von London und Havre beziehen? Lars Janssen Peders Son hat
keinen Kredit außer bei seinem Hamburger Reisenden, der ihn, seine Frau, seine Kinder, Knechte
und Mägde persönlich aufs Genaueste kennt. Oder soll er sie von Kopenhagenern beziehen, die
sie direkt kommen lassen? An welcher Börse kennt man Kopenhagen, und wo ist ein Kopenhagener
Haus, dessen Kredit weiter geht als von Stockholm nach Hamburg ‒ den „Juden Hambro“ natürlich
ausgenommen!
Kurz, das geht nicht. Die Fracht- und Assekuranzkosten, die Kommission, der mangelnde
Kredit, Alles steht ihm im Wege. Der Jüte sieht es ein, es geht nicht. Daher muß sich die
Regierung ins Mittel legen. Die Regierung muß Kopenhagen zu einem
Wechselplatz erklären, so daß der Cours für englische und französische Wechsel notirt
wird, damit diese in London und Paris zu einem notirten dänischen Cours negociirt werden und
umgekehrt englisches und französisches Papier in Kopenhagen umgesetzt werden kann. Dann muß
die Nationalbank das Vorhaben der Regierung unterstützen und dänische Wechsel auf das Ausland
und fremdes Papier auf Kopenhagen willig entgegennehmen.
Das wird fruchten. Kopenhagen wird durch Dekret Fredriks VII., contrasignirt Orla Lehmann,
zum ersten Handelsplatz von Nord-Europa ernannt. An jedem Wechselplatz, wo dänisches Papier
zur Annahme verweigert, wo kein Cours auf Kopenhagen notirt wird, fordert der dänische
Gesandte sofort seine Pässe. Endlich eine Maßregel, die dem Hamburger Handel den Todesstoß
versetzen wird:
„Endlich muß die dänische Nationalbank nicht länger, wie bisher, ihre
Wechsel auf Deutsch ausstellen oder endossiren, sondern auf Dänisch.“
Wenn das nicht hilft, so ist alle Biederkeit, Vaterlandsliebe, Treu und Glauben aus der Welt
verschwunden.
Aber es wird nicht helfen. Das Einzige, das helfen könnte, wäre eine Deputation an den
„Juden Hambro“ : er möge die Sache in seine Hände nehmen und seine Kapitalien zur direkten
Einfuhr ausländischer Waaren nach Dänemark, mit Umgehung Hamburgs, verwenden. Und da würde der
Jude Hambro antworten: ich werde mich hüten, denn erstens würde ich die Waaren über Hamburg
billiger beziehen, und zweitens stehe ich mich besser dabei, wenn ich fortfahre, Euch „dummen
Dänen“ auf den Cours zu schneiden, wie ich es gethan habe und meine Väter vor mir, Sela!
Und was der Jude Hambro sagt, das gilt mehr als alle Kabinetsordres Fredriks VII. und Orla
Lehmanns, und darum wird es dabei sein Bewenden haben, daß „Hamborgerposten“ der souveräne
Herrscher von Dänemark bleibt.
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[
19
] Frankfurt, 26. Juli.
Seit der Mitte dieses Monats vernimmt man in seltsamer Uebereinstimmung von allen Orten
Beschwerden, daß die demokratischen Zeitungen höchst unregelmäßig und mangelhaft an die
Abonnenten gelangen. Die „Reichstagszeitung“ von Robert Blum, die „Neue Zeitung“, die
badischen und norddeutschen Blätter haben fast gleichzeitig diese Klage erhoben. (Die „Neue
Rhein. Ztg.“ wird ihrerseits binnen Kurzem Protokolle über die Postverschleifungen und
Umtriebe veröffentlichen.) Bei dieser Gelegenheit glaube ich sie namentlich auch auf die
hiesige Thurn- und Taxis'sche Postverwaltung aufmerksam machen zu müssen, welche u. A. die in
1/4 jährigem Abonnement erscheinenden Zeitungen wenigstens halbjährig anbestellt und
vorausbezahlt haben will. Die Familie Taxis-Dörnberg behauptet zwar, ihrer „Selbstständigkeit
wegen“, dem Publikum größere Garantien als eine Staatspost zu bieten, indeß kennt man die
Nachsicht, welche Hr. Dörnberg, der Stellvertreter und Schwager des Fürsten Taxis, dem Verkehr
der Diplomaten in seinem Hause eingeräumt hat; man weiß auch, welches Interesse die Taxis'sche
Post an dem Fortbestehen der monarchischen Staatsform hat, da in jedem andern Fall die
Besteuerung des Volkes durch einen Privatmann, wie sie durch den Fürsten Taxis geübt wird, ein
Ende nehmen würde. An den Schaltern läßt daher die Taxis'sche Postverwaltung, welche alle
Ursuche hat, dem bestehenden Reaktionssystem liebreich entgegenzukommen, den Anbestellern
demokratischer Zeitungen die größtmöglichsten Schwierigkeiten bereiten, und ihnen sogar
andere, nicht demokratische Blätter mit wahrhaft jüdischer Marktschreierei anpreisen. Den
Bestellern der „Neuen Rheinischen Zeitung“ ist mehrfach statt dessen die „Kölner Zeitung“ auf
den Hals geladen worden und dem Heckerschen Volksfreund hat die hiesige Zeitungsexpedition
direkt die Annahme von Bestellungen verweigert. Alle diese Umtriebe können nur zum Zweck
haben, zu verhindern, daß nicht schon von den jetzt bestehenden Regierungen das
mittelalterliche Postmonopol der Familie Taxis-Dörnberg aufgehoben werde. Das Verlangen einer
halbjährigen Pränumeration auf die in 1/4 jährigem Abonnement erscheinenden Zeitungen ist
dagegen bloße Epicierspekulation, die Mehreinnahme, zum Privatvortheil der Familie
Taxis-Dörnberg in „Cirkulation“ zu setzen. Wir begreifen übrigens nicht, daß in keiner der
deutschen National-und Vereinbarungsversammlungen bis jetzt der Antrag zur Sprache gebracht
ist, eine Privatpost wie die des Hrn. Taxis aufzuheben, welche das Publikum durch ihre
profitwüthige Uebervortheilung mehr als jede andere Anstalt exploitirt hat. Vielleicht wird
der Reichsverweser noch eine Vereinbarung mit diesem kleinen Ueberbleibsel mittelalterlicher
Piraterie nöthig haben, welches gleich dem Sundzoll und den marokkanischen Seeräubern unserm
civilisirten Jahrhundert gleich große Ehre macht.
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[
!!!
] Frankfurt, 26. Juli.
48. Sitzung der Nationalversammlung. ‒ Beginn 9 1/4 Uhr. ‒
Präsident v. Gagern. Tagesordnung: Fortsetzung der Polen-Debatte:
In der Reihe der Redner kommt:
Ruge: Er wird noch einmal Frieden predigen in dieser europäischen
Zerwürfnis-Angelegenheit. Er macht darauf aufmerksam, daß das polnische Volk stehend auf dem
Punkt (?) humaner Entwicklung, von drei Despoten zerrissen worden
ist. (Nein). Diese drei Despoten haben die Polen (mit etwaiger Ausnahme Preußens)
vernachlässigt. (Preußen hat sich sogar um ihre Frisur bemüht). Die Intervention der Tyrannei
ist überall unrecht. (Glänzend). Dagegen die geistige Propaganda überall Recht. (Wenn sie
Geist hat).
Lobrede auf Janiczewsky's Rede. (Hier ist Ruge in seinem alten Fach, panegyrische Aneignung
fremder Leistungen). Die Polen sind nicht todt wie auch nicht die
Juden; diese leben fort in einzelnen großen Männern: Spinoza, Heine, Börne (und Rothschild).
Sie sind deshalb nicht auszustreichen, sondern zu reorganisiren. (Sollen die „Juden“
reorganisirt werden?) Der 50ger Ausschuß hat seine Ehre für diese Sache verpfändet; ‒ dieser
50ger Ausschuß und das Vorparlament sind unsere legale revolutionäre
Vorbehörde. (Verwunderung und Bravo).
Das historische Recht für heute ist das neue Völkerrecht, dies ist
das einzige historische Recht. Ruge stellt nun die Anträge von ihm und seinen Freunden. Die National-Versammlung wolle in Erwägung
verschiedener Dinge keinen Theil des Großherzogthums in den deutschen Bund aufnehmen, keinen
Deputirten von daher in die Versammlung aufnehmen, dagegen dahin wirken, daß ein Kongreß
berufen werde, bestehend aus England, Frankreich, Deutschland, worin alle betheiligten Mächte
durch Gesandte vertreten, um die Polenfrage zu entscheiden. Denn es ist dies eine europäische
Frage. ‒ Jetzt ist es Zeit, die Wiener Verträge zu realisiren, (oder vielmehr zu zerreissen?)
Wir müssen den Muth und Verstand dazu haben, und wir können es, trotz des bösen Willens der Fürsten die zu uns gehören, und einiger kleiner Fürsten die nicht
zu uns gehören. (Tumult).
Ruge kommt auf den
Schimpf zu sprechen, den,
die
deutsche Nation jetzt in
Italien unter den
Radetzky's erlebe. Bei Entwickelung dieser Ansicht erhebt sich ein
furchtbares Getümmel und Stürmen in dieser patriotischen Versammlung. Ich unterscheide
links billigendes Geschrei und Geschrei zur Ruhe.
Rechts furchtbares Wuthgeschrei und Getrommel wie etwa Scholaren einen Conrektor
austrommeln. Der
Gott des Sturmes (Präsid.): mit gerührter hohler
Stimme: Meine Herren ich werde den Redner nicht zur Ordnung rufen, denn man muß ihn seine
Weltanschauung aussprechen lassen, aber mit tiefer bitterer Wehmuth höre ich dieselbe. (Laut
schallendes Bravo begrüßt die Worte des Gottes). Hierauf aber bricht wieder die patriotische
Wuth und das Getrommel los. Ruge will weiterreden,
Stedtmann quackt
vom Platze: lächerlich!
Ruge: Polen
muß frei
werden. Erneuertes Getrommel. Gagern macht wieder Ruhe. Ruge bringt wieder zur
Verständlichkeit indem sich das patriotische Toben nach und nach vereinzelt. Er erinnert an
die Einverleibung Krakaus in Oesterreich, und an die daraus entstandenen politischen Folgen ‒
die Revolution. (Widerspruch. Zur Sache! Schluß!)
Ruge: ich
schließe nicht eher bis ich sie möglichst überzeugt haben
[0294]
[Spaltenumbruch]
werde von meinem historischen Völkerrecht. Ein großes Unglück will ich
verhüten. (Bravo und Zischen. Abtritt des Redners).
Löwe aus Posen,tritt für seine deutschenKommitenten auf. Man kenne des vorigen Redners Ansichten als Schriftsteller.
(Präsident: Lassen Sie dies hier außer Betracht, hier ist nicht der Ort einen Mann über seine
Wirksamkeit als Schriftsteller zur Verantwortung zu ziehen, sondern über seine Wirksamkeit als
Abgeordneter. Bravo!)
Hr. Löwe ist furchtbar erbost über den harmlosen Ruge, der nur „seinen“ Begriff vom
historischen Völkerrecht zu Ehren bringen will, und meint dieser habe einstmals das deutsche
Volk ein niederträchtiges genannt. (Erhält einen Rüffel vom Präsidenten). Zur Sache kommend
legt sich des Redners Wuth, und er spricht undeutlich. ‒ Weist hin auf ein Schreiben von
Niegolewsky's, worin dieser sagt, man werde sich nicht mit Posens Wiedererwerb begnügen,
sondern Westpreußen wiederhaben wollen. ‒ (Der weitere Verfolg seiner Rede bietet nur Altes,
und Ihre Zeitung müßte 10fach so dick sein, wenn ich Ihnen all den wiederkäuenden Schwall zum
Druck schicken wollte) Kommt gegen das Ende auf die Juden. An diese müsse man eher denken als
an die Polen. Es sei gewiß für die Polen besser wenn sie preußisch würden. Sie wollen es auch
größten Theils. Der kleine den Polen zu lassende Antheil könne ja eine Wiege der etwaigen
polnischen Zukunft werden. „Wir sollen der Freiheit einen Tempel bauen, schützen wir die
östliche Mauer dieses Tempels. “ (Bravo rechts.)
Wiesner(Oesterreich). Mit tiefster Wehmuth spreche ich es aus: noch
vor einigen Monden ist das begangne Unrecht im Vorparlament begeistert zurückgewiesen worden,
und schon wollen wir jene Ansicht stürzen. Wir
wollen schon eine neue Theilung Posens. (Rechts werden alle Bänke leer). Nach einer dreitägigen Debatte, hat man noch nicht den
Sieg errungen den das Vorparlament in wenig Minuten errang. (Bravo). Es frägt sich
erstens sind denn unsre deutschen Brüder in Posen in Gefahr?
Diese Herren (rechts) sagen ja! ich sage nein. So eine Gefahr kann
von der ganzen preußischen Militärmacht nicht verhindert werden!
Gegenwärtig werben fast alle Völker um das Bündniß mit Deutschland, Rußland möchte gern
wieder sich mit Deutschland (aber zu was?) verbinden, Frankreich auch,‒ und da sprechen sie
ewig von neuer Gefahr, von Vermehrung der Heerkraft; und fordern außer dem Geld des deutschen
Volks auch sein Gewissen. Um den letzten Fetzen des polnischen Königsmantels (Krakau) hat man
sich letzt noch gerissen; Preußen hielt sich von diesem Raub fern,
jetzt scheint es sich wegen dieser Schonung entschädigen zu wollen. An dem Gewaltgrund: wir
müssen Posen haben, wird Deutschland verbluten wie an Irland England. ‒ Man hätte sogar einst
(wenn nicht Kaiser Franz dagegen gewesen wäre), das lombardisch-venetianische Königreich
Deutschland einverleibt;‒ dann hätten wir jetzt einen deutschen Krieg
in Italien. ‒ Mit Posen wird es ebenso gehen. (Die Kirche ist so leer, daß kaum 100
Abgeordnete da sitzen).
Auch hätte Frankreich ein Recht mitzureden in dieser europäischen Frage. Glauben sie, es
werde sich dieses Rechts begeben, weil hier ein Abgeordneter dagegen spricht? ‒ (Lychnowsky.)
Was derselbe Abgeordnete dem polnischen Adel vorgeworfen, daß er bei
jeder Empörung vorgekämpft, wäre es dem Redner doch lieber, der polnische
Adel kämpfe auf Barrikaden, als der deutsche überall da, wo man sich gegen die Freiheit
schlägt.
v. Sänger(pommer'scher Gutsbesitzer) spricht natürlich gegen die
Freiheit der Polen und stellt sich dabei nach seiner Ansicht auf den allgemeinen
(pommer'schen) Standpunkt. Man will ein Gebiet fortgeben, in dessen vollständigem Besitz man
ist. ‒ Die Versammlung werde einen Ausspruch in dieser Sache thun; wehe wer ihn antastet.
(Leise Hinweisung auf die bekannten pommer'schen Kolbenschläge)
Thinnes. (Domkapitular aus Baiern.) Er sei gegen die Ausschußanträge und gegen die Einverleibung nicht bloß aus konfessionellen
Rücksichten. Diese konfessionellen Einflüsse seien übrigens in Posen nicht wegzuläugnen. ‒ Er
ist gegen jede neue Theilung, weil er sogar den Schein des Unrechts meiden wolle. Schließt
sich an die Anträge: die Demarkationslinie nicht anzuerkennen, die Wahlen der Posener
Abgeordneten desgleichen nicht, die Einverleibung rückgängig zu machen u. s. w. ‒ Wenn dieser
Antrag aber fiele, dann beantrage er: Ganz Posen einzuverleiben.
Giskra. (Mähren.) Der polnische Adel, nicht das Volk wolle jetzt die
Wiederherstellung. Wäre Polen auch reif (links: längst reif!), so müsse man doch seine
Sympathien beschränken. Die Schuld der Ahnen zu sühnen, das gelte allenfalls in Familien, aber
das sei keine Völkersache. Die Philosophen werden mich auslachen, die Schwärmer klagen, aber
die Patrioten werden mir zujauchzen! (Alle Patrioten brüllen Bravo.) Der Redner echaufirt sich
fürchterlich in patriotischen Tiraden, worauf ein Bravo nach dem andern erfolgt. Man hat
gesagt, die Polen hätten nicht frei wählen können, wegen des Martialgesetzes, hätten etwa
nicht auch die Böhmen unter Kanonendonner ihre Wahlen bewerkstelligt? (Bravo rechts.) Wir
haben schon darum gegen die Polen recht, weil wir ein höheres Element, das National-Element
gegen ihr Territorial-Element vertheidigen. Das Vorparlament habe nicht sein Wort in dieser
Sache verpfändet, es habe nur die Frage offen gelassen, hätte der Fünfziger-Ausschuß weiter
gehen können? Hätte er das, so hätte er sein Mandat verletzt. Und das Argument, daß die Polen
und Slawen in Folge dieser Einverleibung, die Deutschen bitter hassen würden, sei nichts,
dieser Haß bestände bereits auf das bitterste. Für den Antrag, eine neue
Untersuchungs-Kommission zu verordnen, könne er nicht sein. Wozu diese? Sie wird wieder
Deutsche und Polen verhören, und nichts Neues bringen. Und wenn wirklich die neue Untersuchung
der Anzahl der Polen und Deutschen in Posen 100,000 mehr für Polen herausbringt, ihm(dem
Redner) käme es auf ein paarmal 100,000 nicht an. Ihm scheint, man will durch die Kommission
nur die Sache verzögern. Sein Gewissen, und das der deutschen Männer in dieser Versammlung
(Bravo rechts) sei in dieser Sache im Klaren. Er stellt einen Zusatz-Antrag zum Ausschuß und
schließt mit der Bemerkung, über die Ansicht des Auslandes in dieser Sache können wir ruhig
sein. (Bravo!)
Venedey(mit sehr bescheidener Stimme): Er müsse sprechen trotz so
lange ermüdender Reden. Verbreitet sich über die gesunkenen Sympathien und das Unrecht, was
darin liegt. Er selbst (nämlich Venedey) wird jeden Augenblick auf die Barrikaden treten, wenn
Deutschland in der Lage wäre wie Polen. Venedey's Rede bietet in der Einzelheit ihrer Daten
nichts Neues, trotzdem sie sehr, sehr lange dauert. Sie geht auch sehr still vorüber, wie ein
sanft hinrauschender Kiesbach, nur ist es bemerkenswerth, daß dem Redner, der in dieser Sache
mit der Linken spricht, nicht die Linke, sondern nur die Rechte bisweilen Beifall klatscht.
Schließlich schließt er sich Blum's Antrag um eine Untersuchungs-Kommission an,
Zuletzt sagt Herr Venedey: Durch meine (im Verlauf der Rede
gemachte) Bemerkung, meine hart scheinende Bemerkung, die Polen seien untergegangen, weil sie
nicht zu gehorchen verstanden, weise ich den Vorwurf der Sentimentalität in dieser Sache, den
man mir machen könnte, zurück.
Nach Venedey wird das Toben nach Schluß immer stärker. Gagern läßt
das Heißblut der Patrioten etwas austoben, dann sagt er: So viel Geduld sie haben zu toben, so
viel habe ich, es abzuwarten, bis Ruhe wird. Man solle wenigstens noch einen Redner hören.
Darauf geht man zur Noth ein.
Es spricht Hr. Viebig (ein preußischer Regierungsrath aus Posen).
Posens Magistrat und Stadtverordneten (warum vergißt der Redner die preußischen
Regierungsräthe) wollen entschieden deutsch sein. Schließt mit einem gemeinen Ausfall auf
Janiczewski, beschuldigt diesen der Lüge und meint, dem Janiczewsky müsse es allerdings
seltsam vorkommen, von einem Slawenkongreß in diese Versammlung zu kommen. Nach diesen
Denunziationen schließt er geistreich: Janiczewsky habe gesagt, man könne die Polen verschlucken,aber nicht verdauen; ersage, die
Polen werden jene 1 1/2 Mill. Deutsche in Posen auch nichtverdauen,
weil sie sie nicht verschlucken würden.
Janiczewsky widerlegt den preußischen Regierungsrath und beweist,
daß er ihn fälschlich der Lüge gezeiht. Ferner sei es falsch, zu
behaupten, er käme vom Slawenkongreß in die deutsche National-Versammlung. Er war zwar in Prag
(Hohnlachen rechts), aber nicht beim Slawenkongreß. Das Unwahre und Unmögliche dieser
Behauptung würde er dem Präsidenten eröffnen, der Versammlung gegenüber sey es unnöthig.
Uebrigens wenn er wüßte seinen armen Brüdern die Freiheit wiederzuholen, würde er nicht blos
nach Prag gehen, sondern den Pilgerstab selbst bis China tragen. (Langes, schallendes Bravo
und Händeklatschen der Gallerien und Linken).
Präsident: Schmidt aus Löwenberg wolle der Versammlung eine
Erklärung geben, ob man ihn hören wolle?
Die Versammlung, besonders rechts, nein!
Präsident: Hr. Flotwell ditto; ob man ihn hören wolle?
Die Versammlung, besonders links, nein!
Präsident: Es haben 20 Mitglieder den Antrag um Schluß der Debatte
gestellt, ich muß also darüber abstimmen lassen, wünschte aber meinerseits, man möge in dieser
wichtigen Sache morgen noch zwei Redner von jeder Seite hören. Will die Versammlung dies?
(Nein! Nein! besonders rechts).
Hierauf folgt die Abstimmung über den Schluß der Debatte. Schluß angenommen nur die Linke war dagegen.
Platheer (Halberstadt) beantragt noch namentliche Abstimmung über
alle Punkte dieser Frage, und Blum namentliche Abstimmung über seinen
Untersuchungs-Kommissions-Antrag.
Beide Anträge sind reichlich unterstützt.
Hierauf Schluß der Sitzung um 3 1/4 Uhr. Die Abstimmung auf morgen 9 Uhr vertagt.
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103
] Berlin, 26.Juli.
Die Spaltung in der hiesigen Bevölkerung tritt täglich entschiedener hervor. Die Frage über
die deutsche Centralgewalt hat Berlin in zwei Lager getheilt. Nur die entschieden
demokratische Partei will daß „ Preußen in Deutschland aufgehe.“ Dagegen erklären alle anderen
mehr oder weniger konstitutionellen oder contrerevolutionären Parteien die „unausführbaren
Zumuthungen,“ wie sie es nennen, die man von Frankfurt aus stellt, für unvereinbar mit der
Würde des preußischen Staates. Preußen, diese Großmacht, könne sich keine Bedingungen von
Frankfurt aus vorschreiben lassen. Besonders ergrimmt ist unsere Bourgevisie über den Entwurf
über die definitive Centralgewalt, wonach die einzelnen deutschen Regierungen fortan nicht
mehr das Recht haben, ständige Gesandschaften im In- und Auslande zu halten u. s. w. Diese
Stockpreußen reißen bereits die deutschen Kokarden von ihren Hüten, sie wollen Preußen sein,
nichts als Preußen und keine Deutschen.
Auch unter den Soldaten hat man bereits eine gewisse Aufregung, hinsichtlich der dem
Reichsverweser zugedachten Huldigung zu verbreiten gewußt. Nicht wenige Offiziere und Soldaten
weigern sich bestimmt, dem „östreichischen Prinzen“ zu huldigen. Die Soldaten des 24.
Regiments sollen übereingekommen sein, zu dem am 6. August festgesetzten Huldigungstage, drei
Hurrah's zu bringen. Das erste Hurrah dem Könige, das zweite dem Prinzen von Preußen und das
dritte dem preußischen Volke. Auch unsere gesammte Presse, mit Ausnahme der demokratischen
Blätter, sprechen sich im Sinne des spezifischen Preußenthums aus.
Das Ministerium soll keine erheblichen Einwendungen gegen den Verfassungsentwurf, wie er
jetzt von der Kommission entworfen ist, machen wollen. Vielmehr soll es entschlossen sein den
Verfassungsentwurf, das Kommunal- und Bürgerwehrgesetz so schnell wie möglich vereinbaren zu
lassen und alsdann die Vereinbarer nach Hause zu schicken. Es sollen dann sogleich die zwei
verfassungsmäßigen Kammern einberufen und ihnen alle anderen Gesetze vorgelegt werden.
Das Ministerium hat eine Deputation, bestehend aus zwei Kammergerichtsräthen und zwei Räthen
aus dem Ministerium des Innern, nach dem Großherzogthum Posen mit den ausgedehntesten
Vollmachten abgesandt. Sie soll die ganze Provinz durchreisen, und sich überall von den
Anklagen gegen die politischen Gefangenen genaue Kenntniß verschaffen; wo nicht ganz
gravirende Thatsachen vorliegen soll sie die sofortige Entlassung der Gefangenen bewirken.‒
Das Ministerium scheint der von der Vereinbarer-Versammlung eingesetzten Kommission zur
Untersuchung der polnischen Angelegenheiten zuvorkommen zu wollen.
Der frühere Handelsminister, Herr v. Patow, soll die Stelle des
Regierungspräsidenten in Potsdam, oder wie Einige sagen, des Oberpräsidenten der Provinz
Brandenburg angenommen haben.
Die verfassungswidrige Hereinziehung des Militärs in die Hauptstat hat zu einer furchtbaren
Erbitterung zwischen Bürgern und Soldaten geführt. Schon mehrmals ist es seit einigen Wochen
zu Konflikten gekommen und kleine Neckereien geben zu förmlichen Kämpfen Veranlassung. Die
Soldaten werden von den Offizieren gegen Bürger und Volk aufgehetzt. Die Reaktion hofft schon
im Stillen durch einen großen Schlag bald wieder an's Ruder zu kommen.
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[
7
] Berlin, 26. Juli.
In Paris soll es an 70,000 Spießbürger gegeben haben, an denen die große Revolution gänzlich
spurlos vorüberging, ohne sie zu berühren. Daß es in unserer lieben Stadt auch eine gute
Anzahl solcher Leute giebt (sie bilden den Kern „meiner lieben Berliner“), das beweist dieVoss. Ztg. täglich. Wie der Berliner Weißbierphilister kannegießert,
beweist unter Anderem folgendes Citat der „Vossischen“:
‒ Die Aufhebung des eximirten Gerichtsstandes für Kriminalsachen ist von dem Justizminister
Hrn. Märker augenscheinlich deßhalbbeantragt worden, um die Einführung
der Geschwornengerichte vorzubereiten, da es zu viele Schwierigkeiten
machen würde, wenn man besondere Geschwornengerichte für Eximirte und für Nicht-Eximirte
einrichten wollte!!!
Wie sehr übrigens das „Ministerium der That“ sich mit der Ausführung der Märzversprechungen
zu beschäftigen gedenkt, geht ebenfalls aus folgender Nachricht der Voss. Ztg. hervor:
‒ Dem Vernehmen nach wird das Institut der Geschwornengerichte zunächst, eben so wie es mit
dem durch das Gesetz vom 17. Juli 1846 eingeführten öffentlichen und mündlichen
Gerichtsverfahren der Fall gewesen ist, nur für die Residenz Berlin
versuchsweise eingeführt werden. Die Ausdehnung dieses Gerichtsverfahrens auf die
Provinzen ist noch mit zu großen Lokal-und Personalschwierigkeiten verknüpft (!) Ueberdies
hängt die Bildung der Geschwornengerichte selbst noch wesentlich von der Vollendung der
Kommunalverfassungen (!!) und der Bürgerwehrordnung (!!) ab.
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@facs | 0294 |
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34
] Aus dem Osnabrück'schen, 23. Juli.
Hr. Dettmold hat von seinen Wählern folgendes Sendschreiben
erhalten:
Hochzuverehrender Herr Abgeordneter!
Als im Mai d. J. die erste Nachricht von der für unseren Bezirk auf Sie gefallenen Wahl zur
Abgeordnetenstelle nach Frankfurt in unsere Gegend gelangte: da ergriff sofort die Mehrheit
Ihrer im hiesigen Kirchspiel wohnenden und nicht einst unzahlreichen Mandanten sein mit Unmuth
gepaartes Mißtrauen darob, daß man unter Uebergehung uns näher stehender und besser bekannter
Persönlichkeiten in Ihnen einen uns so fern stehenden und bis dahin von uns so wenig gekannten
Mann zu jener Stelle empfohlen und ausersehen hatte. Dieses Mißtrauen wurde auch nicht
gemindert durch die von einer Seite vorzugsweise ausgehende und fast
ungestüme Hinweisung auf Ihre politischen Antecendentien, Ihre einstige oppositionelle
Stellung zu unserer früheren verhaßten Regierung, so wie durch die besondere Hervorhebung
Ihres laugenhaften Witzes, womit sie die Bestrebungen jener Regierung gelegentlich gegeisselt
haben mochten, da wir uns keinen Augenblick verhehlten, welche untergeordnete Rolle gerade
diese letzte Geisteskraft unter den Kardinaltugenden eines guten Abgeordneten stets spielen
müsse. Der letzte Rest der wenigen auf Ihre künftige Wirksamkeit gesetzten Hoffnungen wurde
aber vollends vernichtet, als kurz nach Ihrer Wahl das durch den baldigen Verzicht Ihres
Vormannes anscheinend bestätigte Gerücht sich verbreitete, Ihre Wahl sei das künstliche und
unerfreuliche Ergebniß von gewissen, im hohen Grade hier unbeliebten reaktionären
Bestrebungen.
Unsere Befürchtungen, welche wir von Anfang an in Beziehung auf Ihr künftiges Verhalten
gehegt haben, sind durch Ihr bisheriges Auftreten in der Frankfurter National-Versammlung in
bedauerlicher Weise gerechtfertigt worden!
Hingesandt, um die bis dahin mit Füßen getretenen Rechte des Volks zu wahren und zu
festigen, haben Sie sicherm Vernehmen nach sich alldort einer Partei zugestellt, (wir meinen
die äußerste rechte Seite) deren Interessen und Wünsche unserer festen Ueberzeugung nach, wenn
sie eine Wahrheit würden, erneuerte Bedrängnisse auf das Volk herniederwälzen müßten, einer
Partei welche weit entfernt, die Rechte des letzteren zu vertreten, es sich zur Hauptaufgabe
gemacht zu haben scheint, reaktionären Regierungen und fürstlichen Sonderinteressen mit
maßloser Hingebung zu dienen und das Volk einer neuen Knechtschaft entgegenzuführen.
Doch das Höchste von allem denjenigen, was Sie bis lang in diesem Genre geleistet haben,
schien uns dieser Tage in der Art vorbehalten zu sein, wie Sie sich zu der bekannten Erklärung
des Gesammtministerii vom 7. Juli verhalten zu müssen geglaubt haben, indem Sie die Verwahrung
der übrigen Hannoverschen Abgeordneten gegen jene Erklärung ohne Angabe von Gründen zu
unterzeichnen sich weigerten.
Diese Handlung, in ihren Motiven vorläufig noch unaufgeklärt und jener Klarheit und
Offenheit durchaus entbehrend, womit ein Volksabgeordneter dem Volke über sein Thun Rechnung
zu tragen immer verpflichtet sein möchte, berechtigt uns nach Ihrem bisherigen Verhalten
mindestens zu der Vermuthung, daß Sie immer da eine beklagenswerthe Passivität zu verrathen
geneigt sind, wo ein kräftiges und rücksichtsloses Auftreten gegen die Uebergriffe der Fürsten
und ihrer Räthe allein am Orte wäre.
In dieser Veranlassung können wir Ihnen nicht vorenthalten, daß Sie für Ihre Bemühungen, in
Verbindung mit der obengenannten Partei etwa die Sonderinteressen von Fürsten und reaktionären
Regierungen auf Kosten des Volks und seiner wohl erworbenen Rechte zu fördern, sich
diesseitigen Verlangens und Wünschens nach einem andern Prätexte umsehen mögen, als den
jedenfalls fehlsamen unserer Abgeordneten- und Mandatschaft und daß ‒ wir bezweifeln nicht im
noch zu verlautbarenden Einverständniß mit sämmtlichen übrigen Mitmandanten ‒ wir demnach
keinen Tag froher begrüßen werden, als den, welcher uns die Kunde bringt, daß Sie Ihr auch von
uns Ihnen übertragenes Mandat niedergelegt haben.
Nach dieser unumwundenen Erklärung wissen Sie, was Sie zu thun haben! Sie werden
insbesondere nicht des verwegenen Gedankens sein, daß die Stellung eines Abgeordneten als ein
reines Geschenk zu betrachten sei, welches, einmal erhascht, man um jeden Preis, mit Zähigkeit
und auch selbst dann behalten dürfe, wenn man das Vertrauen der Uebertragenden nicht mehr
besitzt und diese es zurückverlangen. Denn unseres Erachtens giebt es für einen Abgeordneten
seinen Mandanten gegenüber auch Pflichten, deren oberste die ist, die billigen Wünsche und
Interessen derselben nicht zu verhöhnen, sondern zu berücksichtigen. In der Voraussetzung, daß
Sie zum wenigsten in diesem Punkte mit Ihren Mandanten übereinstimmen werden, erwarten wir von
Ihrer Ehrenhaftigkeit, daß Sie unbekümmert um etwa entgegengesetzte Interessen und Wünsche
Solcher, welche hier mitzureden nicht berufen sind, sich beeilen werden einen Sitz aufzugeben,
auf welchem Sie nach der bestimmten Ansicht von einer großen, in ihrer Gesammtheit allhier
noch nicht einmal aufgetretenen Anzahl Solcher, in deren Namen Sie dazu berufen sind, nicht
ferner mit Segen wirken können.
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@facs | 0294 |
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*
] Breslau, 24. Juli.
Hier circulirt eine Illustration, worin Wiljalba Frickel, Hofkünstler, Ritter etc.
abgebildet ist. Er steht auf einer Bühne und macht dem Publikum Künste vor.
Hofkünstler. Wie Sie wissen, meine Herrschaften, wurden in diese
Sparbüchse 60 Millionen gelegt?
Publikum. Ja!
Hofkünstler. Nun so passen Sie gefälligst auf! Aber sehen Sie nur
nach ‒ Alles fest verschlossen ‒ nichts vorbereitet; ‒ Alles ohne Apparat. ‒ 1! 2! 3! ‒
Allons! futscht! ‒ Bitte, wollen Sie gefälligst nachsetzen? ‒ Es ist nichts mehr darin! ‒
Alles leer!
Publikum. Da Capo! Da Capo!
Hofkünstler. Da bitte ich ein so gütiges und nachsichtiges Publikum,
die Büchse durch milde Beiträge wieder zu füllen, und dann werde ich mir erlauben, das
Kunststück sofort zu wiederholen!
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@facs | 0294 |
Posen, 24. Juli.
Die Gazeta Polska berichtet: Wir erfahren, daß Ludwig Mieroslawski in dieser Nacht um 11 1/2
Uhr mit Postpferden von der Posener Festung weggefahren wurde. Wohin? Das ist ungewiß; man
meint, nach Frankreich.
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@facs | 0294 |
Altona, 25. Juli.
Morgen Abend werden Beseler und Prof. Christiansen (nicht Graf Rev.-Preetz) über Altona, wo
sich ihnen der Abg. Kaufmann Semper anschließen wird, nach Frankfurt reisen, um die
Centralgewalt zur energischen Wiederaufnahme des Krieges zu bewegen. Die Grafen Pourtales und
Münster sind heute hier durch nach Berlin gegangen.
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@facs | 0294 |
Altona, 26. Juli.
Bis jetzt bloßes Gerücht ist, daß die Dänen gestern bei Schleimünde, in der Nähe von
Cappeln, gelandet und deshalb in Schleswig Generalmarsch geschlagen worden.‒
[(H. B. H.)]
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@facs | 0294 |
[
*
] Rendsburg, 26. Juli.
Die heutige „Schleswig-Holst. Zeitung“ enthält die offizielle Proklamation der Regierung,
daß die Unterhandlungen abgebrochen sind und die Feindseligkeiten wieder
begonnen haben.‒ Ferner ein definitives Preßgesetz, wonach die Preßvergehen nach den
gewöhnlichen Gesetzen beurtheilt werden.
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@facs | 0294 |
Wiesbaden, 26. Juli.
Aus glaubwürdiger Quelle wird mir soeben versichert, daß die Nassauischen Truppen, welche
letzthin ihre Mitwirkung bei Entwaffnung der hiesigen Bürgerwehr verweigerten, durch Beschluß
des Reichsministeriums nach dem Bundesland Limburg gesendet und
preußische Regimenter (wahrscheinlich aus Posen?) nach Nassau gelegt werden sollten.
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@facs | 0294 |
München, 22. Juli.
In den letzten Tagen dieser Woche waren je ein Kommando von 100 Mann der hiesigen Garnison
nach den Dörfern Pasing und Ismanning abgegangen, um als Exekutionstruppen in genannte
Ortschaften und Umgegend verlegt zu werden, weil daselbst seit einiger Zeit beharrlich die
Steuerzahlung verweigert worden war. Dieselben kehrten aber, da die Widerspänstigen sich
bereit erklärten ihren Verpflichtungen nachzukommen, bereits gestern Abend wieder hieher
zurück.
[(A. A. Z.)]
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@facs | 0294 |
[
*
] Wien, 22. Juli.
Der Hofkurier aus Innsbruck versichert, daß der Kaiser und die Kaiserin zur Herreise bereit
sind und daß sie nächsten Donnerstag oder Freitag hier eintreffen werden. Mit
[0295]
[Spaltenumbruch] der Rückkehr des Kaisers beginnt eine raschere Entwickelung der noch übrigen Akte
des Wiener Drama's.
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@facs | 0295 |
[
*
] Wien, 23. Juli.
Der Sicherheitsausschuß hat in seiner heutigen Sitzung folgende Proklamation gegen die
Excesse erlassen, deren sich die Nationalgarde am vorigen Donnerstag gegen den Demokratischen
Verein schuldig gemacht hat.
„Vorfälle sehr betrübender Art und freier Männer völlig unwürdig, haben am gestrigen Tage
und Nachts darauf stattgefunden. Durch Böswillige und Unverständige wurde dabei die
persönliche Freiheit, ja das Leben von Staatsbürgern bedroht, das heilige Hausrecht auf's
Gröbste verletzt; zugleich fanden Angriffe gegen eine der größten Errungenschaften der
Märztage, nämlich gegen das Associationsrecht statt. Leider wurde bei diesen Ereignissen der
Ehrenrock unserer Nationalgarde nicht beachtet.
Eine Kommission von Mitgliedern dieses Ausschusses wird die Spuren solcher gewaltthätiger
Friedensstörungen zu verfolgen suchen, die nur zu gewiß durch jene Partei hervorgerufen
wurden, welche unablässig unsere gewonnene Freiheit bedroht.
An Euch aber theuere Mitbürger gehen die Bitten dieses Ausschusses ihn in seiner schweren
Kommission zu unterstützen; Ruhe und Sicherheit während einer Zeit zu wahren, wo die Vertreter
der Gesammtmonarchie versammelt sind, um unsere Zukunft zu berathen; bedenkt, daß jedes
Vorkommen gewaltthätiger Selbstabhülfe nur von Böswilligen gewünschte Unruhen und Verwirrungen
herbeiführen müssen, welche den Feinden der Freiheit zu statten kommen würden.
Französische Republik.
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@facs | 0295 |
[
12
] Paris, 26 Juli.
O Jammer, o Schrecken: die Rente ist um 2 Prozent gefallen: sage zwei Prozent, ein Tag nach
Abschluß der Anleihe! Wie hat das zugegangen? Ist plötzlich der Glaube an Rothschild oder an
den Staat gesunken? Ist Cavaignac nicht mehr Diktator? Alles nicht! Die christliche
Brüderlichkeit der Bourgevis ist von der brüderlichen Judenschaft des Rothschilds und
Goudchaux geprellt worden. Ja, Rothschild und Goudchaux, und Goudchaux und Rothschild haben
miteinander und durcheinander operirt. Als nach der Februarrevolution Herr Goudchaux zu Herrn
Rothschild kam, und die Einbezahlung der mit Guizot abgeschlossenen 200 Millionen verlangte,
weigerte Rothschild sich geradezu Geld zu schaffen. „Herr Rothschild, sagte Goudchaux, ich bin
der Banquier des National.“ „„Ich kenne die Firma nicht.““ „Herr Rothschild, der National ist
jetzt die Republik, und ich bin deren Banquier.“ „„Ich kenne das Haus nicht!““ „Herr
Rothschild, ich bin der Finanzminister der Republik; Sie haben mit dem frühern Staat ein
Anlehen geschlossen, und Staat ist Staat.“ ‒
„„Allerdings Staat ist Staat, aber Euer Staat steht noch nicht und der alte Staat hat
gestanden.““ ‒ „Herr Rothschild, wenn Sie nicht zahlen, so werde ich ohne Sie fertig werden.
Die neunzehn Millionen, die Sie bereits vom frühern Anlehn vorgeschossen haben, behalte ich in
meiner Tasche, in der Tasche der Republik.“ „„Herr Goudchaux, die 19 Millionen, wenn sie in
Ihrer Tasche sind, sind in guter Tasche, aber Sie werden nicht ohne mich fertig werden; Sie
werden zu mir zurückkommen. Hören Sie, was ich Ihnen sage: Wir sind doch beide Bankiers, wir
wollen doch beide was verdienen; hören Sie, brechen Sie mit dem National und wir wollen uns
schon arrangiren!““ ‒ „Was, ich soll mit dem National brechen? ich soll mit der Republik
brechen, ich, der Finanzminister? die Republik ist reich, die Republik braucht Ihr Geld nicht
‒ der Patriotismus und der Republikanismus sind bessere Bankiers als Sie. Adieu Herr
Rothschild, Sie wissen, der Adel ist abgeschafft, man sagt nicht mehr Herr Baron!“
Nun öffnete Herr Goudchaux die Bank und zahlte à porte ouverte, mit offner Thüre, in der
Hoffnung, daß das Geld, was durch die eine Thüre herausging, durch die Thüre des
Republikanismus wieder herein kommen würde! Eitle Hoffnung. Die Bank wurde leer; Goudchaux,
der Finanzminister stürzte, aber Goudchaux, der Banquier des National, blieb ‒ der
Republikanismus brachte kein Geld ein; da kamen Garnier Pagés und Duclerc, die wollten
förmlichen Handel treiben zu Gunsten der Republik, um ihr auf diesem Wege Geld zu verschaffen.
‒ Auch sie fielen! Inzwischen traten die neuen Wahlen in dem Departement der Seine ein. Die
Reaktion hatte Fortschritte gemacht, und Herr Achillé Fould durfte sich als Kandidat auf die
Liste setzen. Es fehlte an Finanzleuten in der Kammer, und Herr Fould dachte: laßt mich erst
Volksrepräsentant sein, so werde ich gewiß Finanzminister werden. Es war damals Mode, daß
jeder Kandidat im Programm ein Glaubensbekenntniß an allen Straßen veröffentlichte. Hr. Fould
schickte sein bogenlanges Glaubensbekenntniß, seinen detaillirten Finanzplan dem Siécle ein.
„Herr Goudchaux“, heißt es in diesem System, „Sie sind mein Freund; aber trotzdem sind Sie ein
Ekel gewesen; Sie haben die Bank thorenweit geöffnet, und die Rothschild's haben Ihnen das
Geld vor der Nase weggeholt. Sie wissen, in solchen Dingen bin ich aufrichtig; und in meiner
Lage habe ich die Republik und meine Aktionäre lieber, als Herrn Rothschild mit den Seinigen.
Ich bin vom linken Seineufer und er ist vom rechten! Warum haben Sie die Bank nicht fest zu
gehalten!“
Herr Fould wird nicht gewählt; er wurde weder Volksrepräsentant noch Minister; aber der
National fiel auch, und die Republik war auch im Fallen! ‒ Und Thiers erstand wie ein Phönix
aus den rauchenden Trümmern der Juniereignisse.‒ Geld! Geld! Ein Königreich für ein Pferd, die
Republik für Geld! Die Worte des weisen Nathan gingen in Erfüllung! Goudchaux gab den National
auf, ging zu Rothschild zurück und wurde Finanzminister! Das Geschäft war schon privatim mit
Rothschild abgeschlossen, noch ehe Goudchaux in die Kammer trat, und Rothschild hatte schon
alle seine Papiere zu 77 losgeschlagen, noch ehe Goudchaux in der Kammer den Cours von 75 Fr.
25 Ct. angezeigt hatte! Rothschild hat mit einem Male seine 19 Millionen wieder bekommen, und
Goudchaux der Finanzminister, ist der Banquier Rothschilds geworden. Nach diesem Coup mußte
die Rente natürlich fallen. Die Debats von heute aber sagen: „Nein, daß die Renten gefallen
sind, kommt daher, weil jeder Mann seine alten Papiere quitt sein wollte, um sich an dem neuen
Darlehn zu betheiligen.“ Schöner Grund! Sind denn Renten nicht Renten und werde ich hingehn
und Renten verkaufen, um an demselben Tage sie wieder einzukaufen, wenn ich gewiß weiß, daß
sie immer mehr und mehr gesucht werden! Wenigstens haben die kleinern französischen Bourgeois
etwas für ihren Verlust; nämlich 1) die Gründe des Debats; 2) das Bewußtsein, Rothschild und
der Republik geholfen zu haben; 3) die Hoffnung, durch neue Spekulation ihren Verlust ersetzen
zu können, seitdem der Agiotage ein so schönes Feld geöffnet ist.
Neben der Rente der Prozeß; das sind die beiden wichtigsten Dinge in Paris, und das sind
auch die Hauptpunkte, die vom Journale Rothschild's besprochen werden. 150 Insurgenten sind
mit einem Male wieder in der Ban Lieu verhaftet worden, und man wüthet gegen die
Gastfreundlichkeit der Wirthe, die ihnen in Batignoles, Clichy u. s. w. Asyl gegeben haben.
Aus dem Hospitale werden Frauen geholt, um in die Festung gesteckt zu werden. Solches geschah
mit einer Grisette, Namens Mirbey, die beschuldigt ist ihre rothe Shawle hergegeben zu haben,
um als Fahne in einer Barrikade aufgesteckt zu werden. Ueber 120 Grisetten gehören zur ersten
Kategorie der Angeklagten: das heißt, werden vor ein Kriegsgericht gestellt werden! Dies muß
wohl auch der Grund sein, warum in einem besondern Artikel über die Klubs es ausdrücklich
untersagt ist, Weiber zuzulassen. Flocon trat zu Gunsten der Frauen auf; aber der
Generalprokurator Dupin, der das Amendement gestellt: die Weiber können nicht Mitglieder eines
Klubs sein, verschaffte der „Moral“ die Ober-
[0296]
Hand auf Kosten der Galanterie!
Der frühere Bürgermeister Grand-Champ vom zwölften Arrondissement ist ebenfalls verhaftet
worden. Aber am Schlimmsten ist man mit den Leuten daran, von denen man nicht weiß, wie man
sie verhaften oder ob man sie verhaften soll. Caussidiere! Das ist ein fürchterlicher Name
noch immer. Caussidiere war weder vor noch hinter den Barrikaden gewesen, aber sein Name war
dahinter gewesen; und jetzt ist man in der größten Verlegenheit. Die Kommission hat ihn schon
einmal vorladen lassen. Caussidiere ist nicht erschienen. Ein zweites Mal hat er ihr
schriftlich mit der größten Verächtlichkeit geantwortet, und soll jetzt, wie es heißt, die
Kammer davon in Kenntniß setzen. Inmitten dieser Verhaftungen und Einkerkerungen, dieser
Transportationen und Deportationen sproßt die Natur in der größten Freigebigkeit auf. Nie sah
man einem so üppigen, einem so ergiebigen Herbste entgegen. Aber an dieser gesegneten Aerndte
haftet der Fluch! Allenthalben, wo man das dichte Korn schneidet, findet man darunter todte
Insurgenten, die sich verblutet haben in diesen Saatfeldern, weil sie, wie Hunde gehetzt,
nirgends ein Obdach fanden für ihre Wunden!
‒ So eben verlautet die Nachricht, daß die exekutive Gewalt beschlossen hat, den Italiänern
zu Hülfe zu eilen. Oudinot ist bereits nach den Alpen abgereist.
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@facs | 0296 |
Paris, 26. Juli.
Der Moniteur bringt uns diesen Morgen 82 neue Sous-Präfekte, darunter mehrere
Zeitungsschreiber Drucker etc.
‒ Die Zahl der auf Staatskosten in der Nähe von Paris und einigen Departements beschäftigten
Arbeiter betrug am 24. Juli 12,140. Die Zahl der durch Almosen unterstützten ehemaligen
Glieder der Nationalwerkstätten erreichte an demselbem Tage mehr als das Doppelte.
‒ Achthundert der angesehensten Bürger des gefürchteten 12ten Pariser Stadtbezirks haben in
einer Bittschrift, die Boissel gestern der Nationalversammlung überreichte, wieder auf
Bewaffnung angetragen.
‒ Ein Rescript des Ministers des Innern und des Krieges untersagt von heute an allen
Zutritt zu den Junigefangenen in den Forts und sonstigen Gefängnissen. Man will einem neuen
Komplott auf die Spur gekommen sein. Dieses Verbot erstreckt sich selbst auf die
Repräsentanten, deren Mandat souverain ist.
‒ Gabriel Delessert, Expolizeipräfekt, den die Februarhitze nach London trieb, traf
vorgestern in Paris ein, stieg zu Passy im Landhause seines Bruders Francois ab und setzt
heute, mit einem Passe der Republik versehen, seine Reise in das Waadtland, seiner
ursprünglichen Heimath, fort.
‒ Es heißt, König Ferdinand von Neapel habe allen Höfen eine Protestation gegen die
Ernennung des Herzogs von Genua, Sohns des Königs von Sardinien, zum Könige von Sizilien,
zugesandt. Um diesem Protest Nachdruck zu verschaffen, sei eine Armee von 19 bis 20,000 Mann
auf dem Wege nach Palermo.
‒ Die Bank von Paris wird sich bei dem neuen Anleihen mit 25 Millionen Franken
betheiligen.
‒ Die beiden Zwillingsblätter Commerce und Patrie werden heute im Amtszimmer des Notars
Potier abermals zum Kauf ausgeboten. Der ehemalige Redakteur, Maurin, ein junger Israelit vom
reinsten publizistischen Wasser, der in Marseille bei der Deputirtenwahl glänzend durchfiel,
erklärt zwar in der Gazette des Tribunaux, daß dieses Ausgebot nur ein Scheingeschäft sei,
dessen Zweck wäre, ihn um eine bedeutende Aktienzahl zu prellen. Wir setzen in seine
Behauptung keinen Zweifel. Das Pariser Zeitungswesen ist reines Monopol der Kapitalisten.
‒ Ueber den Verein des Palais-National giebt dessen Präsident Glais-Bizoin folgende
Details:
1) Der Verein des Palais-National besteht aus 256 Unterschriften, die alle ihren Beitrag
bezahlt haben; unter ihnen zwei Minister. Kein anderer Verein, selbst der der Rue Poitiers
könnte sich einer so großen Anzahl Subseribenten rühmen.
2) Der Verein, weit entfernt, unter Caussidieres, Louis Blanc's Ledru-Rollin's oder
Lamartine's Schutze zu stehn, hat Niemals Einen einzigen dieser Repräsentanten als Mitglied
gezählt.
3) Der Verein erkennt keine andere Prinzipien an, als diejenigen, die im
Konstitutions-Entwurfe niedergelegt sind.
4) Der Verein unterstützt aus vollen Kräften die exekutive Gewalt, den General
Cavaignac.
‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 26. Juli. Präsident Marrast
eröffnet dieselbe um 2 Uhr. Achtzehn neue Amendements zu dem berüchtigten Klubgesetze werden
vertheilt, darunter auch eins vom Deputirten Brives, das den Klubgliedern eine Uniform
vorschreibt! Die übrigen sind nicht minder lächerlich, denn sie lassen vom Vereinsrecht nicht
viel mehr als den leeren Namen.
Der Bericht über das Umprägungsgesetz der Kupfer- oder Scheidemünze wird vorgelegt.
Unter allgemeiner Aufmerksamkeit besteigt dann Thiers die Bühne und will seinen Bericht über
den Proudhon'schen Vorschlag, allen Eigenthümern zu Gunsten ihrer Pächter und Miether sowie
des Staatsschatzes 1/3 ihrer Einkünfte abzuziehen, dem Präsidenten überreichen.
Zahlreiche Stimmen: Lesen Sie ihn vor!
Thiers liest ihn vor. Derselbe ist von ziemlicher Länge und wiederholt im Anfange die obigen
Hauptbestimmungen des Vorschlages fast wörtlich. Auf diese Weise, fährt der Berichterstatter
fort, will Hr. Proudhon die Regierung in den Stand setzen die 45 Centimensteuer, die
Erbschafts- und Donations-Abgaben, die Salzgefälle, Getränkezölle u. s. w. abzuschaffen, aller
Abgaben, die am meisten auf dem Volk lasten. Man kenne diese Proposition bereits aus dem
unterdrückten Proudhon'schen Journale „le Représentent du Peuple“, in welchem sie zuerst in
sehr aufrührerischer Form erschienen. Hr. Thiers erzählt dann die bekannten Erklärungen
Proudhon's im Schooße des Finanzausschusses, wonach Proudhon durch seinen Vorschlag keineswegs
die Grundpfeiler des Staates, Eigenthum und Familie, habe stürzen wollen. Seine Absicht sei
lediglich gewesen, dem Staate in seiner Unterstützung des Handels und der Industrie zu Hülfe
zu kommen. Er behalte sich derartige Vorschläge auf später vor. Der Ausschuß habe sich
vorläufig jedoch mit nichts weiter als mit Prüfung des vorliegenden Vorschlags zu beschäftigen
gehabt und sein Beschluß gehe auf unbedingte Verwerfung des Antrages. Derselbe trage keinen
finanziellen Charakter, sondern sei ein Raub (spoliation), der Handel und Industrie vollends
ruiniren müsse, wenn man ihn annähme. In Frankreich gebe es eine unendliche Masse kleiner
Eigenthümer, deren Renten kaum zur Deckung ihrer Bedürfnisse hinreiche und die alle ruinirt
würden. Von völlig schreiendem Unrecht zeuge die Stelle seines Antrages, welche eine
willkürliche Prorogation der Miethverträge verlange. Ebenso irrthümlich sei die Berechnung des
Antragstellers, der den Ertrag seiner Maßregel auf 320 Millionen anschlage. Der ganze Antrag
sei lediglich darauf berechnet, die Böswilligkeit der ohnedies saumseligen Schuldner zu
stählen, ein Vorhaben, das ebenso ungerecht als wenig ehrenvoll. (Lärm zur Linken.)
Proudhon: Bürgerpräsident! Ihr habt mehr als einen Bericht gehört; ihr habt eine Anklage
gehört. In diesem Bericht kenne ich meinen Vorschlag kaum wieder. Ohne
denselben gedruckt vor mir zu haben, kann ich nicht darauf antworten. Man hat meinen Antrag
entstellt, oder ihn nicht verstanden (Lärm), oder ihn nicht verstehen wollen. (Noch stärkerer
Lärm.) Dieses Mißverständniß muß aufgehellt werden. Ich verlange die Diskussion des Berichts
auf Sonnabend.
Dieß wird genehmigt.
Boudet erhebt sich, um die Anzüglichkeiten des Berichterstatters Thiers rücksichtlich der
Einführung von Progressivsteuern zu bekämpfen. Er widerrufe seine früheren Vorträge über
denselben Gegenstand.
Thiers erklärt, daß die Progressivsteuer die Familien mit Furcht erfülle.
Cavaignac besteigt die Tribüne und erklärt, daß er mit Erstaunen diese Behauptung höre,
welche einen Vorwurf des von der Regierung selbst vorgelegten Progressivsteuer-Gesetzentwurfs
in sich berge.
Thiers widerspricht, daß er einen solchen Vorwurf habe aussprechen wollen.
Unter starkem Geräusch geht die Versammlung zur Tagesordnung, Klubdiskussion, über.
(4 Uhr.)
Nach 4 Uhr. ‒ Ein wahrer Platzregen von Amendements war auf den Art. 13 gefallen, der
bekanntlich von den politischen und den andern Vereinen handelt.
Die Kommission, deren Prüfung sie alle unterworfen worden waren, hat sie in folgende
Redaktion zusammengeschmolzen:
§ 1. Jede geheime Gesellschaft ist untersagt.
§ 2. Ihre Glieder sind mit 1/2-bis 2jähriger Gefängniß- und 500 bis 1000 Fr. Geldstrafe zu
verurtheilen.
§ 3. Für die Chefs dieser Gesellschaften sind obige Strafen zu verdoppeln.
Während der heftigen Diskussion, die sich hierüber entspann, wurden abermals fünf
Amendements gestellt.
Da gar kein Ende vorauszusehen, so trug Boudet auf aberma lige Vertagung der Diskussion auf
morgen an und die Versammlung ging unverrichteter Sache um 6 Uhr auseinander.
Die Amendements drehen sich hauptsächlich um die Frage:
Was ist eine geheime Gesellschaft?
Morgen wird Europa die Antwort auf diese Frage erfahren.