[0281]
Neue Rheinische Zeitung.
Organ der Demokratie.
No 57. Köln, Donnerstag 27. Juli 1848.
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Deutschland.
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[ * ] Köln, 26. Juli.
Unter den mehr oder minder royalistischen oder imperialistischen Zeitungen unsrer Provinz hat ein Kampf begonnen, auf den wir unsre Leser aufmerksam machen müssen.
Die „Rhein- und Moselzeitung“ vom 21. Juli brachte folgenden Artikel:
Koblenz, 19. Juli. Betrachtet man den Reichsverweser als Vorgänger des künftigen deutschen Kaisers, so wird auch dieser Kaiser nicht aus der Reihe der regierenden Fürsten gewählt werden, oder, wenn dieses geschieht, auf die Regierung seines Landes verzichten müssen. Der Grundsatz: daß die Kaiserwürde sich nicht mit der Territorialhoheit vertrage, ist öfters ausgesprochen worden und bei der Wahl des Reichsverwesers in die Praxis übergegangen. So richtig dieser Grundsatz auch ist, weil dadurch die Zwietracht der Fürsten gehindert wird, die deutsche Einheit zu gefährden, so wenig entspricht er der nothwendigen Macht eines Kaisers. Ein Kaiser ohne Land ist ein Schattenkaiser. Der Grundsatz ließe sich jedoch dadurch vermitteln, daß man dem jeweiligen Kaiser eine Dotation in reichsunmittelbarem Lande schaffte; denn nur die Gefahr, daß der Kaiser seine Würde zur Hebung seiner Hausmacht benutze und den Neid der übrigen Länder errege, hat den fraglichen Grundsatz hervorgerufen, welcher aber bei reichsunmittelbarem Lande, eben deshalb, weil dieses Land nicht zur Hausmacht des Kaisers gehört, nicht eintritt. Das frühere Großherzogthum Niederrhein, die jetzige preußische Rheinprovinz, stellt sich als passendstes Kaiserland dar. Die anerkannten und nicht anerkannten Revolutionen in Deutschland berührten nur die Verfassungen der einzelnen Länder und die Einheit Deutschlands, nicht aber das Verhältniß der europäischen Staaten zu einander. In dieser Beziehung gilt noch die Politik von 1815, welche für nöthig fand, Frankreich kräftige Grenznachbarn zu geben. Aus diesem Grunde wurde Belgien an Holland gekettet; derselbe Grund ließ Metternich die preußische Monarchie durch die Rheinprovinz an die französische Gränze rücken. Um wie viel mehr würde aber dieser Zweck erreicht werden, wenn die Rheinprovinz reichsunmittelbar wäre und jeder Angriff gegen dieselbe dem ganzen Reiche und nicht einzelnen Fürsten gälte! Würden dadurch nicht die 40 Millionen Deutsche, und nicht nur Preußen oder Baiern etc, direkte Gränznachbarn der Franzosen? Eine Entschädigung für Preußen würde sich finden z. B. in Hannover, welches von jeher Sympathie für Preußen hatte. Die Rheinländer selbst würden allerdings nur mit Wehmuth von dem liebgewonnenen specifischen Preußenthume scheiden, sich aber mit der Zeit doch trösten, wenn sie erwägen, daß sie der Kräftigung Deutschlands ein Opfer bringen müssen; daß trotz eines Menschenalters die recht innige Verschmelzung und Uebereinstimmung mit dem lieben Mutterlande noch nicht stattgefunden; daß endlich Böswillige sie nicht mehr zur Unzufriedenheit durch die Vorspiegelungen aufreizen können:-ihre Religion würde unterdrückt; sie würden bei Besetzung von Beamtenstellen immer zurückgesetzt, müßten mehr Steuer als andere Provinzen bezahlen, namentlich die volle Grundsteuer, während anderswo kaum zwei Drittel des Eigenthums durch die Exemtionen dieser Steuer entrichte; erfreuten sich nicht des vollen Vertrauens ihrer „Mitunterthanen“, weil man sie für „Bastarde“, halbe Franzosen hielt und weil sie nicht werth seien, echte Preußen zu sein, da ihre Liebe zum „angestammten Fürstenhaus“ noch nicht die nötige Vollkommenheit erreicht habe etc.
Hierzu die Redaktions anmerkung:
Indem der Altpreuße uns den Vorwurf der Hinneigung zur Fremdherrschaft, des Treubruchs an dem Nationalverband macht, vergißt er, daß er mit uns weit weniger stammverwandt als der Bewohner des östlichen Frankreichs, der von den Franken herstammend, mit uns desselben Ursprungs ist, während der Altpreuße jenseits der Elbe schon mehr dem slavischen Elemente angehört. Der Preuße ist ein von uns wesentlich verschiedenes Wesen: die einzige Beziehung, in welcher wir zu ihm stehen, ist, daß bei dem großen Markt, welchen im Jahre 1814 die Landesväter über die Waisen, d. h. die damals augenblicklich eines Landesvaters entbehrenden deutschen Landestheile, hielten, die Rheinprovinz gleichsam als eine feile Waare an Preußen fiel. Nur murrend wurde sie von Preußen angenommen; Sachsen wäre ihm zur Abrundung seines Gebiets lieber gewesen, und einzig die unerwartete Rückkehr Napoleons von Elba [Spaltenumbruch] bewog es, mit der in seinen Augen schlechtern Waare auf gütlichem Wege Verlieb zu nehmen.
Die „Kölnische Zeitung“ vom 22. Juli, zieht diesen Artikel aus der „Rhein- und Moselzeitung“ aus mit folgender Zuthat ihrer Redaktion:
Koblenz, 19. Juli. Unter vorstehendem Datum bringt die „Rhein- u. Moselzeitung“ einen Artikel und dazu eine Redaktions-Anmerkung, welche es wagen, von den gewöhnlich mehr verhüllt gehaltenen Gedanken ihrer Partei jetzt einmal den Schleier recht stark zu heben. Sind die Umstände so günstig, daß sie glaubt, ihren Freunden schon ein vorläufiges öffentliches Signal geben zu müssen?
In ihrer Nummer vom 23. Juli entwickelt die „Rhein- und Moselzeitung“ ihr Thema weiter:
Koblenz, 21. Juli. Der Reichsverweser hat die Oberleitung der gesammten deutschen Heeresmacht übernommen. Ein wichtiges Ereigniß, wenn er mit Ernst die Mittel zur Vollziehung seines Amtes in seine Hände zu nehmen gedenkt. Und Ernst scheint es ihm zu sein: denn er mußte voraussehen, daß dieser Schritt bei Preußen, bereits durch das Ergebniß der Wahl des Reichsverwesers mißstimmt, die Erbitterung noch möglichst steigern werde. Wäre doch dem Prinzen von Preußen der Oberbefehl übertragen worden, dieser Staat hätte dann schon eher, vielleicht mit einigem Vergnügen, sich bequemt; ihm wäre doch die materielle Macht verblieben, wenn auch der Sprößling eines andern und verhaßten Hauses den Titel davon getragen hätte. Aber so ganz leer auszugehn und, was das Schlimmste, das militärische Talent des Prinzen von Preußen in Ermangelung eines angemessenen Wirkungskreises ohne Nutzen und Frommen dahin kümmern zu sehen! Alexander dem Großen rief einst sein Vater zu: „Mein Sohn, suche dir ein anderes Königreich, Mazedonien ist für dich zu klein.“ Was wird dem Prinzen von Preußen der königliche Bruder zurufen? Wird der Prinz ein anderes Königreich finden? Preußen liebte es , sich mit Sparta zu vergleichen. Dieses Völkchen duldete nicht den Oberbefehl Alexanders des Großen. Wird Preußen den Oberbefehl eines Mannes dulden, der bei aller Anerkennung seiner Verdienste die Verdienste, die Größe Alexanders nicht erreicht? Wir glauben, im Nothfall wird Preußen eine Rücklehne an Rußland haben. Ist dieses Land nicht der Hort der Bedrängten? ‒ Schwer ist zu begreifen die Möglichkeit der Fortdauer einer Souveränität, welche ihre Macht unter die Befehle eines Andern stellen muß, und die Uebernahme des Oberbefehls durch den Reichsverweser ist für die Frage über Deutschlands mögliche Einheit ein weit sicherer Prüfstein als der Jacoby'sche Antrag. Hier handelte es sich um Worte, dort um die That.
Die tapfere „Kölnische Zeitung“ vom 24. Juli zieht diesen Artikel abermals aus und und schmückt ihn mit folgenden gedankenschweren Glossen aus:
Koblenz, 23. Juli. Die „Rhein-und Moselztg.“ fährt in ihren loyalen Bemühungen fort. Wir fügen der neulich mitgetheilten Probe einige aus dem heutigen Blatte hinzu. Es ist nothwendig, daß man im Vaterlande und namentlich in Frankfurt aufmerksam werde, wie neben der republikanischen noch eine andere Partei mit aller Anstrengung auf die Hervorrufung von Konflikten hinarbeitet.
Folgt der besagte Artikel und als Schlußnote der „Kölnischen Zeitung“:
„Die Mitglieder der deutschen National-Versammlung werden wohl thun, die „Rhein-und Moselzeitung“ zuweilen zu lesen und die Partei, deren Organ sie ist, nicht aus den Augen zu lassen!“
Die „Rhein-und Moselzeitung“ antwortet in ihrer Nummer vom 25. Juli:
Koblenz, 24. Juli. Die „Kölnische Zeitung,“ die bisher bemüht gewesen, die Grimace eines vornehmen Uebersehens der nicht ihre lukrativen Tendenzen verfolgenden Blätter sich anzueignen, findet urplötzlich Veranlassung, unser Blatt zu befehden, nicht zwar durch des Wortes, des Gedankens Macht, sondern, wie das dem Nachfolger des „Rheinischen Beobachters“ wohl anständig, durch Verdächtigungen, durch eine förmliche Denunciation an die Nationalversammlung. „Die Mitglieder der deutschen Nationalversammlung werden wohl thun, die „Rhein-und Moselzeitung“ zu lesen und die Partei, deren Organ sie ist, nicht aus den Augen zu lassen,“ mit diesem Rathschlage beschließt die Kölnerin ihre gar magere Philippica. Wir aber, wenn es überhaupt in unsern Tendenzen liegen könnte, einen Rath, der von Niemanden begehrt, auszusprechen, wir würden rathen, eine Zeitung, die nicht nur gesinnungslos, sondern auch bei allen Vortheilen ihrer Lage gehaltlos, wie die Kölnerin, ganz und gar ungelesen zu lassen.
In derselben Nummer theilt die „Rhein- u. Moselzeitung“ einen Korrespondenzartikel aus Köln mit, worin es unterm heißt:
„Hier macht man allgemein der „Kölnischen Zeitung“ den Vorwurf, daß dieselbe, eigennützige Plane verfolgend, im Interesse des Preußenthums an ganz Deutschland Verrath begehe. Niemand, auch dem unaufmerksamsten Leser, ist es entgangen, wie dieselbe, um Preußen, als den würdigsten Kandidaten der Kaiserkrone hinzustellen, über die Bedrängnisse eines mächtigen deutschen Staates, Oestreichs, frohlockte, die Vortheile der Italiener vergrößerte oder gar erdichtete, über die Niederlage der weit mehr als die Italiener mißhandelten preußischen Polen ein Siegesgeschrei erhob, über den Uebermuth der Ungarn und Böhmen jubelte; wie dieselbe für die Einheit Deutschlands schwärmte, so lange sich daraus für Preußen Vortheil erwarten ließ, und jetzt die Nothwendigkeit der Erhaltung der Sonder-Interessen empfiehlt. Die „Kölnische Zeitung“ hätte vermöge ihrer Gelegenheit eine der ersten Deutschlands werden können; aber durch ihr kriechendes, feiles Benehmen hat sie das Vertrauen des Publikums verscherzt, und um es wieder zu erlangen, muß sie ganz andere Pfade einschlagen, als diejenigen, auf welchen sie jetzt wandelt.“
Die „Kölnische Zeitung“ desselben Datums erwiedert mit einem Zitat aus der „Rhein- und Moselzeitung:
Koblenz, 23. Juli. Der dänische Krieg scheint eine größere Wichtigkeit zu erlangen, als man bei seinem Beginn ahnen durfte. Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß man in Frankfurt Waffenstillstands- oder Friedensbedingungen genehmigen wird, welche jeden Vortheil dem Besiegten zutheilen. Man wird also sich für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten erklären, und alsdann hat Preußen die Alternative, den Krieg über die jütische Gränze zu tragen oder sich von Deutschland loszusagen. Beide Schritte werden höchst folgenreich sein: in Betreff des erstern hat Rußland bereits entschieden sich ausgesprochen; der zweite Schritt wird Preußen zwingen, sich Rußland in die Arme zu werfen.
[(Rh.-u. M.-Z.)]
Die „Kölnische Zeitung“ begnügt sich mit diesem protokollarischen Auszug.
Bewunderungswürdiger Lokonismus der „breitgeschnittenen Federn“ der „Kölnischen Zeitung“. Selbst die wenigen Worte hätte sich das Organ des Herrn Dumont ersparen können. Es genügte die Artikel der Rhein- und Mosel-Zeitung abzudrucken und sie in zwei Riesenhände einzuklammern mit der Ueberschrift: Nicht zu übersehen.
Zur rechten Zeit aber kömmt der „Kölnischen Zeitung“ ein tapferer Kämpe zur Hülfe, das Blatt des kleinen, doktrinären, mit klugthuender Kannegießerei die Zeitereignisse überschüttenden Liberalismus ‒ die Aachener Zeitung. Vergnügt reibt sich die Kölnerin am 26. Juli die Hände und bringt die fröhliche Botschaft:
Aachen, 24. Juli. Auch unsere hiesige Zeitung ist auf das Gebahren der „Rhein-und Mosel-Zeitung“ aufmerksam geworden. Sie sagt:“ ‒ doch wir ersparen unsern Lesern, was die „Aachener Zeitung“ sagt. Sie protestirt gegen die Verwandlung der Rheinprovinz in ein Reichslehn und stellt Preußen die Kaiserkrone in Aussicht.
Wir unserer Seits haben diesem Kampf nur zuzuschauen. Die Verwirklichung der deutschen Einheit wird andere Kollisionen herbeiführen, als dynastische Rivalitäten zwischen dem Hause Oestreich und dem Hause Preußen.
Diese kleinlichen Rivalitäten haben nur das Verdienst und das Interesse die komische Einleitung zu großen tragischen Konflikten zu sein.
Schließlich noch die Bemerkung, daß die aus Pommern, Markanern und Belgiern zusammengesetzte Redaktion der „Kölnischen Zeitung“ sie zum „offiziellen Moniteur“ rheinischer Sympathien und Antipathien ganz besonders qualifizirt.
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[ !!! ]Frankfurt, 24. Juli.
Die Bänke rechts und links sehr leer. 46. Sitzung. Beginn 9 1/4 Uhr. Präsident: v. Gagern. Verlesung des Protokolls. Anzeige, daß zwei Abgeordnete ausgetreten,
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Reaktionäre Gedanken einer Dame,
so ist ein längerer Artikel in Nro. 196 der Karlsruher Zeitung überschrieben.
Ich muß gestehen, ich habe die Bibel öfter gelesen als die Karlsruher Zeitung. Was geht mich die Karlsruher Zeitung an? Ich lese den westphälischen Merkur, ich lese die Didaskalia, Blätter für Geist, Gemüth und Publizität, ich lese die deutsche Zeitung von Gervinus, ich lese die Trierische Zeitung, diesen Moniteur der grünen Republik, ich lese die Annoncen und die Leitartikel der Kölnischen Zeitung und ich lese das poetische Handelsorgan von Lewin Schücking ‒ die besten deutschen Blätter, welche existiren ‒ was will ich mehr?
Aber: „Reaktionäre Gedanken einer Dame?“ ‒ nein, ich konnte nicht anders, ich nahm die Karlsruher Zeitung gestern Abend mit in's Bett ‒ eine wollüstig-religiöse Stimmung überkam mich; ich mußte sehen, was jenes liebliche Wesen schrieb, eine reaktionäre Dame. Kann Jemand glücklicher sein, als der Redakteur der Karlsruher Zeitung? Eine Dame mit reaktionären Gedanken zur Mitarbeiterin zu haben? Ach, wär ich dieser Redakteur, da säße ich Morgens auf einem Dreifuß und meine reaktionäre Dame käme, in Hut und Schleier und in seidenem Gewande und legte ihre Lilienfinger auf meine Schulter und lispelte mir mit einem wunderbaren süddeutschen Dialekt in die Ohren, daß sie mich ewig lieben würde, wenn ich sofort ihren schlechten Artikel auf die Setzerei schickte. ‒ ‒ Glücklicher Redakteur!
Die reaktionäre Dame ist gewiß schön ‒ verzeihen Sie, bildschön! Weshalb sollte ein Frauenzimmer nicht schön sein? Die Karlsruher Zeitung muß indeß auch beweisen, daß unsere Dame Gedanken hat ‒ und welche? reaktionäre! Schön und Gedanken ‒ ‒ hören Sie 'mal, verehrte Frau oder liebwerthes Fräulein, ich fühle die größeste Zuneigung zu Ihnen, Zuneigung auf dreißig bis vierzig Meilen, Zuneigung in einer Entfernung von Köln bis Karlsruhe ‒ geistreiche, gedankenschwere Dame, ich schwärme für Dich!
Wie schön nimmt sich doch ein politisches Blatt aus, das auf seiner dritten Spalte, so recht zwischen Reichsdebatten über Heimathsgesetze, Paßzwang, Emigration und bürgerlichen Tod, mitten zwischen Korrespondenzen aus Langensteinbach, Paris, Radolzburg, Madrid, Hadersleben und Wien, ja, zwischen Härings-Annoncen, großherzoglich badischen Steckbriefen und Erklärungen des Ministeriums des Innern, die „Reaktionären Gedanken einer Dame “bringt! Eine Perle unter tauben Nüssen; eine Nachtigall unter den Spatzen; eine Rose unter Disteln, ja: „lilium undern dornen! Sancta Maria.“
Die reaktionäre Dame erzählt uns zuerst, daß sie vor einigen Tagen aus Zufall eine Bäuerin des badischen Oberlandes gesprochen hat. Unsere Dame ist unter die Bauern gerathen ‒ ‒ die Bäuerin hat ihr mitgetheilt, daß sie gern ihre Steuern bezahlen will, daß sie nicht für die Republik und deswegen auch nicht für Herrn Hecker begeistert ist; daß nur die Lumpen republikanisch gestimmt sind, d. h. „die Lumpen in moralischer Beziehung “setzt die reaktionäre Dame hinzu ‒ „indem ein zerrissener Rock oft das redlichste Herz deckt.“
Merkwürdige Entdeckung einer reaktionären Dame!
„Diese Aeußerungen sind buchstäblich wahr“ ‒ nämlich die Aeußerungen der Bäuerin ‒ „ich könnte sie mit einem Eide bekräftigen, wenn dieser seit Hecker's Hochverrath nicht in Mißkredit gekommen wäre.“
Die Karlsruher Zeitung ist wirklich sehr glücklich, daß sie noch ein Bäuerin aus dem badischen Oberlande und eine reaktionäre Dame hat, welche sie über die Stimmung des Landes unterrichtet halten.
Trotz der loyalen Gesinnungen der badisch-oberländischen Bäuerinnen, fährt unsere Dame fort, zeigt es sich indeß da und dort, „daß die offnen Reden, die heimlichen Intriguen und die nach allen Richtungen ausgesandten Emissäre der verderbenslustigen Partei nicht ohne Wirkung geblieben sind. ‒ „ Die oberländischen Bäuerinnen haben also doch irgend einem schnurbärtig-jugendlichen Republikaner nicht widerstehen können? Arme Bäuerinnen! sehr wahrscheinlich dachtet ihr bisher, daß eure krummen Schulzen, eure Pastöre und eure fuchsigen Steuereinnehmer die einzigen Menschen sein möchten, welche einen Schuß Pulver werth wären? ‒ Man kann einer Bäuerin so etwas nicht übel nehmen.
„Warum geschieht aber Nichts “ ‒ ruft unsere Dame aus ‒ „um diese Wühler möglichst unschädlich zu machen? Gegen Pest und Cholera wird ein Kordon gezogen, damit die Ansteckung sich nicht weiter verbreite. Gegen die Hetzer kann diese Maßregel freilich nicht angewendet werden; aber man kann jeden Bürger, jeden Soldaten berechtigen, Alle, die zum Aufruhr verleiten wollen, sofort zu verhaften. Viele werden dann schon den Versuch unterlassen, und die es nicht thun, können nur so unschädlich gemacht werden. Wenn Einer für Alle und Alle für Einen stehen sollen und das Volk sich selbst regieren, so muß auch jedem freien deutschen Bürger das Recht zukommen, im Namen des Gesetzes für Ruhe und Ordnung zu sorgen.“
Mit andern Worten: Die reaktionäre Dame will, daß sich das ganze Volk in Polizeidiener und Gensdarmen verwandle. Theure, reaktionäre Dame, wärst Du mein Gensdarm! Du würdest mir folgen auf Schritten und Tritten, wenn ich Morgens auf dem Rechtsboden meiner Väter spazieren ginge, wenn ich Mittags in die Gasthöfe der Gegenwart eilte, um republikanischen Champagner zu trinken oder wenn ich mich Abends auf den Divan streckte, um, theure Freundin, deine Artikel in der Karlsruher Zeitung zu lesen. Neben mir würdest Du stehen, bis zu dem Augenblick, wo ich den Frack zur Erde würfe, wo ich die Stiefel unter die Decke schleuderte, wo ich… doch ‒ verhaften Du würdest mich dann plötzlich mit deinen seligen Armen, wenn ich mein revolutionäres Nachtgebet spräche und mich gefangen halten in den Fesseln deiner rauschenden Locken ‒ hören Sie 'mal, verehrte Freundin, ich hoffe, daß Sie sehr schön sind, sonst würde ich mich ärgern, in so erbauliche Phantasien hineingepurzelt zu sein.
„Es wurde Rede- und Preßfreiheit gegeben,“ fährt dann die Karlsruherin fort, „ allein diese ist vielfach in Rede-und Preßfreiheit ausgeartet. Die Franzosen haben ihren König abgesetzt, [Fortsetzung]
[0282]
[Deutschland]
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[Fortsetzung] zwei, Rölle und Jaup, beurlaubt. Beiträge zur deutschen Flotte: von Stuttgart eine Kiste mit Silbergeräth und Kleinodien. Totalsumme der Beiträge bis 22. Juli 27,751 Fl. Marineverein in Kiel 25,000 Thlr. Schleswig-Holsteins Gutsbesitzer eine Masse eichene Bohlen.
Auf der Tagesordnung steht der Bericht Stengels (Namens des völkerrechtlichen Ausschusses) über Einverleibung eines Theils des Großherzogthums Posen in den deutschen Bund, Anerkennung der Deputirten desselben, so wie Erhaltung der Nationalität der Polen in Westpreußen. Am Schlusse dieses Berichtes stellt der völkerrechtliche Ausschuß (mit Ausnahme von Schuselka) einstimmig folgende vier Anträge:
Die Nationalversammlung wolle:
I. Die Aufnahme derjenigen Theile des Großherzogthums Posen, welche auf den Antrag der kön. preuß. Regierung, durch einstimmige Beschlüsse des Bundestages vom 22. April und 2. Mai, in den deutschen Bund aufgenommen worden sind, wiederholt anerkennen, und demgemäß die aus dem Deutschland zugeordneten Theile gewählten 12 Abgeordneten zur deutschen Nationalversammlung, welche auf ihre Legitimation vorläufig zugelassen worden sind, nun endgültig zulassen.
II. Die vom kön. preußischen Kommissarius, General Pfuel, vom 4. Juni angeordnete vorläufige Demarkationslinie zwischen dem polnischen und dem deutschen Theile vorläufig anerkennen, sich jedoch die letzte Entscheidung über die zu treffende Abgränzung zwischen beiden Theilen auf weitere Vorlage der preußischen Regierung vorbehalten.
III. Von der preußischen Regierung eine bestimmte Erklärung verlangen, daß dieselbe nicht nur ihrerseits, so lange sie den polnischen Theil des Großherzogthums Posen regieren werde, den in demselben wohnenden Deutschen ihre Nationalität erhalten, sondern daß sie auch dafür sorgen werde, ihnen dieselbe für den Fall zu sichern, daß dieser polnische Theil Posens aufhören sollte, unter preußischer Herrschaft zu stehen.
IV. In Beziehung auf die Petitionen, welche Westpreußen betreffen, den nicht deutschen Bewohnern dieser Provinz erklären, daß die Nationalversammlung, laut Beschlusses vom 31. Mai, allen nicht deutschen Volksstämmen auf deutschem Bundesboden (also auch überall auf demselben den Polen) ungehinderte volksthümliche Entwickelung, und in Hinsicht auf das Kirchenwesen, den Unterricht, die Literatur, die innere Verwaltung und Rechtspflege, die Gleichberechtigung ihrer Sprache, soweit deren Gebiet reiche, gewährleistet habe.
Ruge stellte denVorantrag: die 12 Abgeordneten Posens, welche vorläufig zugelassen worden, sollen heute weder mit verhandeln noch mit abstimmen. (Widerspruch.) Einige der 12 haben dies selbst beantragt.
Lychnowsky:Man solle Ruge's Antrag nicht berücksichtigen. Die Frage sei ja heute vorzüglich wegen des Landes; die persönliche Zulassungsfrage sei subaltern. Die 12 müssen anwesend bleiben. (Bravo rechts.)
Kerst aus Birnbaum beleidigt Ruge persönlich, worauf er nach Ruge's Antrag von Gagern zur Ordnung gerufen von der Tribüne steigt.
Simon aus Breslau für Ruge.
Schaffrath: Posen gehöre staatsrechtlich noch nicht zu Deutschland (rechts ja, links nein); auch beim deutschen Bundestag sei es Brauch gewesen, daß der Gesandte abtrat, der bei der Berathungsdebatte betheiligt war, wir werden doch dem Bundestag nicht nachstehen wollen? (Bravo links, Zischen rechts.)
Nachdem Plathner einen modifizirenden Antrag eingebracht und sich über die Fragestellung betreffs des Ruge'schen Antrags zwischen Lychnowsky, Vogt, Sagern, Ruge etc. eine heftige Debatte entsponnen hat, werden endlich folgende zwei Fragen vom Präsidenten zu Stande gebracht:
1) Will die Nationalversammlung, daß die 12 Abgeordneten an der staatsrechtlichen Verhandlung über die Posener Frage und ihrer eigenen Legitimation Antheil nehmen? Antwort: „Ja.“
2) Sollen die 12 Abgeordneten auch an der Abstimmung über diese zwei ad 1 erwähnten Dinge Antheil nehmen?
Trotzdem jetzt diese Frage durch die Erklärung der Posener Abgeordneten selbst, welche auf Abstimmung verzichten, unnütz gemacht wird, stimmt man dennoch ab. Das Resultat ist zweifelhaft. Es wird gezählt, und von 416 Anwesenden mit 234 für nein, und 182 für ja, die Anwesenheit der posenschen 12 Abgeordneten bei der Abstimmung verworfen.
Endlich beginnt die Riesendebatte.
1) Stenzel (Berichterstatter) spricht zur Einleitung der Debatte, er sei weder ein alter Diplomat noch auch ein Advokat; er empfiehlt Mäßigung, Wer hätte nicht Sympathien für die Polen? Was man so Polen nannte, ist nur der Adel. ‒ Der Redner giebt die bekannte Geschichte der Theilung so weit und breit, daß selbst v. Gagern meint, er gehe von der Sache ab.
Eckert aus Bromberg (Posen) vertheidigt die Erhebung der Deutschen in Polen. Sie hätten Schlachten geliefert. Einen Krieg führe man aber mit Shrapnells, nicht mit Bonbons. Das Recht der Trennung sei erwiesen. Das Recht der Deutschen in Posen sei so klar, daß auch ein desfallssiger Beschluß der Versammlung es nicht umstoßen würde. ‒ Beim Abtritt des Redners drücken ihm viele der Rechten tief gerührt die Rechte.
3) Senff aus Inowrazlow (Posen) hat sich gegen den Ausschußantrag eingeschrieben. ‒ Nachdem er lange unter immerwährend „laut“ unverständlich gesprochen, erweist sich, daß er dafür gesprochen, und noch Zusatzanträge zu den Ausschußanträgen gestellt. Dies erregt großes Gelächter.
4) Rob. Blum gegen
den Ausschuß: Polen sei der alte Wall zwischen nordischen Barbaren und westlicher Kultur. Polen hat die Gewissensfreiheit und Humanität von jeher schon gezeigt; es habe am ersten die Juden tolerirt (Bravo links). Der Redner ruft der Rechten zu, sie solle nicht vergessen, daß wir Deutsche die Schuld an den Lastern der Polen trügen. Wir haben dieses Volk 18 Jahre korrumpirt, wir haben es 18 Jahre in den Schmutz getreten. Soll es jetzt rein sein? (Zischen rechts.)
Der alte Gagern, der kein Wühler gewesen, der nie auf der Linken einer Versammlung gesessen, habe gesagt: „Die Unterdrückung Polens sei der Alp unserer Geschichte“.‒ Was ist bis jetzt zu deren Sühne geschehen? Je nach den Zeitumständen hat man die Revolutionen der Polen bewundert oder geschmäht. Die Polen haben Theil nehmen wollen an dem neuen Völkerfrühling, das habe man verhindert. ‒ Uebrigens sei man in unserer Zeit ganz inkonsequent in den Prinzipien der Völkerbeurtheilung. Warum handle man in Schleswig, Italien, mit Slaven und Kurländern nicht wie mit den Polen, warum lasse man den Elsaß, der ja deutsch, unter einer unseligen Republik schmachten. (Schallendes Bravo. Rechts Bestürzung.) Der Bericht berufe sich auf Zeitungsgeschwätz. (Zischen und Bravo.) Mit Gründen, nicht mit Shrapnells solle man seine Berechtigung zeigen. (Bravo.)
5) Jordan aus Berlin stimmt für den Ausschußantrag. Theilnahme sei nicht zu verwechseln mit Unterstützung; unsere poetischen Sentimentalitäten in der Polensache möchten nicht zur Praxis ausarten. (Links starkes Gezisch.) Jetzt widerlegt der Redner die bekannten Gründen für die Wiederherstellung Polens mit den bekannten Phrasen des Patriotismus. Er erntet von rechts häufige Bravos für das Verlangnen seiner Fahne. Der Russenhaß sei ein Unrecht, weil ein Nationalhaß. (Zischen.) Der Haß müsse nur gegen das System gehen. Befürchtungen wegen des Auslandes dürfen überhaupt bei Berathung der heutigen Frage auf uns nicht influiren. (Bravo rechts). Die Deutschen sollen erwachen zum Volksegoismus dem Beginn der Nationalität. (Nachdem der Berliner Literat so eben den Volksegoismus ausgeschlossen wissen wollte. Ernst Moritz Arndt hat sich zunächst der Tribüne gesetzt und ruft fortwährend: sehr recht!) Der Redner nimmt sogar (unter furchtbarem Gezisch der Linken und Galerien, und rechts: Ruhegeschrei) die Theilungen Polens in Schutz. Dies bringt ihn auf eine Lobrede Preußens. Preußen sei am meisten zur Demokratie vorgebildet. Beweis: Die Polen seien von Preußen und seiner Polizei nicht mehr unterdrückt worden, als die Preußen selbst. Man habe sogar die Polen begünstigt. (Da man hierüber links Bemerkungen macht, schreit ein Preuße rechts furchtbar: Redefreiheit, worüber die ganze Versammlung lacht.) ‒ Preußen (die pommer'sche Landwehr) habe Polen kultivirt. (exploitirt.) (Man schreit Schluß!) Der Redner: er ist noch lange nicht fertig! (Rechts langes Bravo.) Die polnischen Bauern wollen preußisch sein; nur Adel und Geistliche haben die Wohlthaten Preußens verleugnet. (Nach Pfuel.) Er hoffe, die katholische Partei im Saal werde zu edel sein, gegen den Antrag zu stimmen. Verbreitet sich über die Verleumdungen des Katholizismus in Posen, und verliest zur Beweisführung, unter Widerspruch links, eine lange Proklamation. Die Begeisterung der Polen im letzten Kampf sei eine religiöse, keine nationale. (oho!) Die jungen Führer, Mieroslawski etc., haben französische Phrasen in's polnische übersetzt. (Schallendes Bravo rechts.) Der Redner schließt im Deklamatorton: Freiheit für alle, aber des Vaterland's Wohl über alles! (Furchtbares Bravo aller Patrioten. Das Publikum weiß, wie sich dieser Berliner Literat in die Nationalversammlung eingeschmuggelt hat.)
6) Vogt. Gegen den Ausschuß. (Großes Geschrei, Schluß!) Er habe so früh um's Wort gebeten, um zu sagen, daß keine ungetrübten Thatsachen festständen. Er sei deshalb für Blum's Antrag einer Untersuchungskommission. Man müsse die reinen Thatsachen feststellen. Er geht zur Schilderung des polnischen Charakters über. Der polnische Adel habe dieselben Untugenden wie der Adel anderer Länder. In Frankreich ist der Adel ganz, in Deutschland halb zerschmettert, in Polen habe er gesiegt. Es bestehe in der poln. Bewegung noch ein aristokratisches und ultramontanes Element.
Er, der Redner, kennt, sowie kein historisches Unrecht, so auch kein historisches Recht. (Rechts bedauerliches Gelächter!) Der Ausschußbericht selbst sage, wenngleich sehr schonend, daß die preußische Büreaukratie auf die Polen einen bittern Druck geübt habe. Jordan meint: es sei ein Vorwurf, daß die Polen sich sogar gegen die Verbesserungstheorien und Wohlthaten der preußischen Regierung gestemmt hätten. Diesen Vorwurf möchten die Polen nur hinnehmen! (Lautes Bravo!)
Ein Volk, welches seiner Nationalität beraubt wird, zeichnet auch an die Wohlthaten, die man ihm bietet,die Merkmale der Unterdrückung.
(Schallendes Bravo.)
Auf die Demarkationsfrage gehe er gar nicht ein, weil die statistischen Berichte, auch die des Ausschusses, ganz fehlen. Dies bewiese auch das Schwanken der Demarkationslinie. Er weist den Vorwurf irgend einer Beeinträchtigung der Deutschen in Posen zurück. Er verstehe nicht die von Jordan erwähnte poetische Sentimentalität. Es sei ihm sehr zweifelhaft, daß die preußische Regierung ihre Prinzipien auf einer Grundlage poetischer Sentimentalität erbaue! ‒ (Gelächter und lautes Bravo!) Was Jordan über die Ungerechtigkeit des Russenhasses gesagt, theilt er nicht. Solle man etwa die Polen hassen um (nach Jordan) nicht in den Verdacht des Russenhasses zu kommen? (Bravo!) Was übrigens den guten Willen Preußens anbelange, wenn es denn doch die Polen retten wolle vor der Knute ihres Adels, (Aufmerksamkeit und Beistimmen der Rechten) so habe es erst recht Unrecht Posen zu theilen; (die Rechte erschrickt) denn dann entzöge es ja seine Wohlthaten dem einen Theile.‒(Ueber diese Logik erschrickt sogar Lychnowsky.) Das Wirken der Vernunftgründe hört auf, wenn die Kanonengründe gewirkt. Wenn wir aber die Schritte, die wir hier in der Polensache thun, nicht gehörig motiviren, so fürchte man die Polen! (Rechts Hohngeschrei!) Darum möchte die Versammlung verlangen, das gegenwärtige deutsche Ministerium solle sich vor der weiteren Berathung über die polnische Sache erklären! Hrn. Schmerling könne ja das nicht schwer werden, da er ja aus dem Haupt der alten Diplomatie das Haupt des neuen Kabinets geworden!
(Ueber die letzten Worte hält sich Herr von Radowitz den Bauch vor Lachen.) So schließt Vogt um 3 Uhr. Die Hitze im Saale ist entsetzlich, die Geduld erschöpft. Man stimmt ab: für Vertagung der Debatte auf Morgen.
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[ C. ] Frankfurt, 24. Juli.
Sollte auch jetzt noch Hr. Dr. Eisenmann, durch Entschädigungsgelder für erlittene Freiheitsstrafe geblendet keine Reaktion sehen? In Würtemberg sind durch Königl. Ukas alle demokratischen Vereine aufgehoben. In Baden hat das Ministerium Beck den demokratischen Studentenverein zu Heidelberg aufgelöst und sich höchst naiver Weise entschuldigt, daß es gegen die übrigen demokratischen Vereine des Großherzogthums bis jetzt nicht in gleicher Weise vorgeschritten. Der unverantwortliche Reichsverweser soll anstatt der erwarteten Amnestie ein Verbot der demok. Vereine für ganz Deutschland bereits erlassen haben. In Frankfurt, wo zu Anfang dieses Monats die höchste Behörde noch nicht den Muth hatte gegen diejenigen Demokraten vorzuschreiten, welche gegen polizeiliches Verbot dem radikalen Theile der Nationalversammlung ihre Anerkennung durch einen Fackelzug bezeigten, ließ der Senat am 6. d. Mts. gegen Sachsenhäuser, welche gegen einen ihrer Mitbürger ihre Mißbilligung seiner politischen Ansichten durch eine Katzenmusik aussprachen militärisch einschreiten.
Am 7. ließ man die Urheber jener Demonstration verhaften und auf das die Zulässigkeit dieser Maßregel bestreitende Volk schiessen. Essellen welcher nach Sachsenhausen übergehen wollte, wurde verhaftet und nach Mainz abgeführt. Dr. Withelmi, der durch seinen Einfluß auf die Barrikadenkämpfer eine möglichst friedliche wenigstens unblutige Lösung herbeigeführt, mußte seine Freiheit durch eine Flucht nach Frankreich retten. In Wiesbaden wurden Soldaten verhaftet, weil sie politischen Versammlungen beigewohnt. Gegen diejenigen, welche deren Wiederfreigabe verlangten, wurde Militärgewalt angewendet, die Stadt von Preussen und Oestreichern besetzt, die Bürgerwehr entwaffnet, ein Landtagsabgeordneter, welcher dem Volke seine aus dem freien Vereinigungsrechte herfliessenden Befugnisse erklärte, ins Gefängniß geworfen. Gegen Prokurator Winter zu Limburg wegen abgehaltener Bauernversammlungen, und gegen die Mitglieder des demokratischen Vereins zu Diez wegen ihrer republikanischen Bestrebungen eine Criminaluntersuchung eingeleitet. Der Herzog von Nassau läßt dem Militär, einschließlich der Aerzte, die Bärte, welche seit den Märztagen die vorgeschriebene Form verloren, auf die früheren Demarkationslinien zurückrassiren. Der endlich verstorbene Bundestag wird möglichst wieder hergestellt. Der Bundespräsidialgesandte v. Schmerling ist erster Reichsminister, der Chef der Bundesmilitärkommission Reichskriegsminister, der Großherzog von Hessen hat den Exminister Eigenbrodt zum Gesandten bei der Centralgewalt ernannt. Anstatt der zugesagten Verringerung wird das Militär fast auf das doppelte erhöht.
Und was thut zu allem dem das gute vertrauende deutsche Volk? Es legt die Hände in den Schooß, stellt der Nationalversammlung ein Vertrauensvotum nach dem andern, sieht ruhig zu, wie Zeitungen, welche gegen solches Treiben auftreten mit Beschlag belegt werden und will die bestehende Reaktion am Ende noch den Demokraten zuschreiben.
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@facs0282
Berlin.
Was einem Menschen nicht alles in der Zerstreuung begegnen kann! Einige gleichzeitige Rescripte, die in die Provinz gegangen sind, hat der Hr. Handelsminister Milde folgendermaßen unterzeichnet: J.A. Milde u. Comp.
[(B. Z. H.)]
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@facs0282
Vereinbarungssitzung vom 24. Juli:
Ein Schreiben des Justiz-Ministers Märcker, wonach derselbe in geeigneten Fällen bei den Verhandlungen der Versammlung vom Unter-Staatssekretär Müller vertreten werden darf, wird verlesen. Fünf von den Abgeordneten Jung, Huchzermeyer, Hermann, Gellern, Parisius eingegangene Urlaubsgesuche auf kurze Frist fanden keine Beanstandung. Es wird angezeigt, daß bei der Kommission zur Untersuchung der Posener Ereignisse Arntz zum Vorsitzenden, v. Berg zum Schriftführer ernannt worden ist. Das Gesetz über Regulirung der Jagdverhältnisse (siehe die vorige Sitzung) wird fast einstimmig angenommen. Ein Antrag des Abgeordneten Grebel auf Vorladung des ehemaligen Ministers v. Thile wegen Rechenschafts-Ablegung über die Verwaltung des Strafschatzes wird zurückgenommen, da dieser Gegenstand der Finanz-Kommission anheimfällt. Es erfolgt jetzt die Wahl des Präsidenten und der vier Vicepräsidenten. Zahl der Anwesenden 335, absolute Mehrheit 168. Bei der Präsidentenwahl erhielt Grabow 290, Temme 13, Baumstark 10, Waldeck 5, Jacobi 3, v. Auerswald 3, v. Loe, Kiolbassa (!), Sperling, Ritz, v. Berg, Bauerband, Kosch, v. Pokrzywnicki, Esser III., Geheimrath Bauer 1 Stimme. Grabow wurde vom Vicepräsidenten Kosch als Präsident proklamirt. Es erfolgt hierauf die Wahl des Vicepräsidenten, über deren Erfolg wir morgen berichten werden.
[(B.Z.H.)]
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@facs0282
‒ Aus dem bereits fertigen Bericht der Central-Abtheilung über den Lisieckischen Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe heben wir hervor, daß dieselbe sich mit 5 gegen 3 Stimmen für Abschaffung der Todesstrafe erklärt hat. Der Gesetz-Entwurf lautet folgendermaßen: §. 1. Die Todesstrafe ist abgeschafft. Für Verbrechen, rücksichtlich deren in den Gesetzen für den Fall eines Kriegs-oder Belagerungszustandes Todesstrafe vorgeschrieben ist, verbleibt es bei derselben. Unter welchen Umständen, mit welchen Formen und Wirkungen ein Belagerungszustand ausgesprochen werden darf, bleibt einem besonderen Gesetze vorbehalten. §. 2. An die Stelle der Todesstrafe tritt im Bezirke des rheinischen Appellations-Gerichtshofes die lebenswierige Zwangsarbeitsstrafe, in den übrigen Landestheilen lebenswierige Zuchthaus-oder Festungsstrafe. §.3. Die Umwandlung schon erkannter Todesstrafen erfolgt durch die zuständigen Gerichte.
[(B.Z.H.)]
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@facs0282
[ * ]Mainz, 24. Juli.
Gestern hat der Demokratenkongreß bei Darmstadt stattgefunden. Ungefähr achttausend Rheinhessen, Oberhessen und Starkenburger hatten sich eingestellt. Auf dem Platze jedoch, wo die Tribüne errichtet war, traf man unerwartet auch den Darmstädter konstitutionellen Verein, welcher hier das Feld behaupten wollte. Nach vergeblichen Versuchen von Seiten des Präsidenten Zitz, eine Verständigung herbeizuführen, zogen die Demokraten nach einem andern Platz, wo Zitz von einer improvisirten Tribüne herab, die Verhandlung leitete. Eine Adresse an den Großherzog bezüglich einer konstituirenden Versammlung statt der auf Klassenunterschied beruhenden 2 Kammern wurde einstimmig angenommen. Bamberger entwickelte seinen Antrag auf Einsendung einer Petition an die Nationalversammlung, betreffend Schutz des Associationsrechtes und der Preßfreiheit gegen polizeiliche und administrative Willkühr. Der Antrag wurde ebenfalls angenommen. Unter den Rednern befanden sich mehrere Mitglieder der Nationalversammlung. Mitten in der Verhandlung wurde auf einen Redner, den Redakteur Schutz von der Mainzer Zeitung geschossen; der Thäter, ein Feldschütze Debus aus Darmstadt, bei dem sich noch eine zweite scharfgeladene Pistole vorfand, wurde verhaftet und nur mit Mühe der Volkswuth entrissen. Die Versammlung ging spät auseinander, nachdem eine Deputation zur Ueberreichung der Adresse an den Großherzog erwählt worden war.
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@facs0282
Innsbruck.
Der Redaktion der Innsbrucker Zeitung ist folgendes mit vollem Namen und Charakter unterzeichnetes und von achtbarer Hand zur Aufnahme bevorwortetes Schreiben zugegangen: Ein in einer unterinnthalischen Gemeinde als Seelsorger untergebrachtes Mitglied der aus Wien ausgewiesenen Redemptoristenkongregation machte seinem Ingrimme gegen die Wiener Studenten dadurch Luft, daß er nämlich an einem öffentlichen
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@facs0282
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@facs0282
aber er konnte doch wenigstens ohne Beleidigung das Land verlassen; die deutschen Fürsten blieben auf dem Thron, aber wie wurden sie behandelt? ‒“Die Karlsruherin hat recht; es ist eine wahre Schande ‒ sie thuen mir leid, die armen Könige. „Soll ein König König bleiben, so wird es sich doch wohl mit der Freiheit und dem Fortschritt vereinigen lassen, das man ihm die gebührende Rücksicht trägt, ihn nicht in Karrikaturen und Spottgedichten verhöhnt. Die Verfertiger solcher Machwerke sind zugleich feig, weil sie auf Straflosigkeit rechnen, und sind moralisch genommen Menschen gleich, die einen gebundenen Feind noch mit Fußtritten und Faustschlägen mißhandeln.“
An Ihrer wohllöblichen Entrüstung sehe ich, verehrte reaktionäre Dame, daß Sie wie die meisten politischen Blaustrümpfe ein edles fühlendes Herz haben. Ja, abscheulich ist es, gebundene Feinde noch mit Fußtritten und Faustschlägen zu mißhandeln. Sie denken an die Könige, ich zufällig an die geschlagenen Republikaner, die man von der französischen Gränze her, mit Kölbenstößen in die badischen Gefängnisse jagte. Die armen, jugendlichen Republikaner in den Zellen von Bruchsal, nebeneinandergepfercht wie die Afrikaner des Sklavenschiffes, auf feuchtem Boden liegend, verhöhnt und mißhandelt von dummen Soldaten, von gimpelhaften Offizieren ‒ als sie im Rausche des Enthusiasmus, ihrer einige Hundert oder Tausend, dem Untergange entgegen marschirten, nun, wenn sie da noch nicht etwas mehr als so viele Schuster und Schneider waren, die ihre Arbeit verließen, um für eine Idee zu siegen oder zu sterben, so gleichen sie doch wenigstens in diesem Augenblick gefangenen Adlern, da sie ungebeugt von Hohn und Kerker, noch jeden erwachenden Tag mit dem Ruf: „Es lebe die Republik!“ begrüßen und jedes verglühende Abendroth, mit demselben Schrei: „Es lebe die Republik!“
„Das Heer, sagt unsre Dame dann, ist freilich ein fatales Hinderniß für die Ausführung volksbeglückender Pläne, für die Verwirklichung vollständiger Brüderlichkeit, die kein „Mein“ und „Dein“ mehr kennt. Da man zur Zeit dessen Abschaffung nicht dekretiren kann, sucht man es mindestens zu verführen. Namentlich im Großherzogthum Baden müssen die Truppen aller Waffengattungen, wenn sie zu republikanisch Gesinnten einquartirt werden, mit Trank und Speise auch noch Versuche zum Eidbruch schlucken und verdauen. ‒ Während die Reichsversammlung neue Gesetze giebt und Deutschlands Verfassung verbessert, bemüht sich ein Hr. Ludolph, durch seine Reden die Menschen zu verschlechtern, indem er jedes religiöse und sittliche Gefühl in ihrem Herzen zu vertilgen strebt!“
Unsre reaktionäre Freundin, die erst unter die Bauern, dann unter die Republikaner, und schließlich unter die Soldaten gerieth, fällt hier aus ihrem Polizeiton plötzlich in den Kanzeljammer des protestantischen Pfarrers Schwab in Stukkert.„Verfassungsverbesserung und Menschenverschlechterung!“
Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus ‒ Ade!
„Wem jedes Mittel recht ist, um die Republik einzuführen, und ginge der Weg über Leichen und Brandstätten, und wäre das Ergebniß die Zerstückelung Deutschlands, der denkt nicht an Volksglück, sondern nur an das Durchführen seiner ehrgeizigen und eigennützigen Absichten.“
Venedey, großer, unvergleichlicher Volkstribun, in diesen Worten weht dein patriotischer Odem!
Doch machen wir dem Spaß ein Ende. Der badische Moniteur hat sich wirklich bei seiner Mitarbeiterin zu bedanken. Friede sei mit ihr und ihrem Style ‒ Schenke ihr Gott einen Mann, und möge sie fruchtbarer an Kindern als an Gedanken sein, und lange leben im Lande, das da heißt: das Großherzogthum Baden.
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@facs0282
Das Amsterdamer Handelsblatt erzählt folgende wohltönende Nachricht:
De Heer Guizot is te London bestolen. Niet alleen hebben de dieven zijn geld geroofd, maar zij hebben ook zijn bureau opengebroken en zijne papieren gesnuffeld, in de hoop van eenig handschrift te zullen vinden, waarmede zij hun voordeel konden doen.
[0283]
[Deutschland]
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@facs0283
[Fortsetzung] Orte demjenigen, der ihm einen Wiener Studenten erschießt, einen Ablaß auf Lebzeiten versprach.
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@facs0283
Wien 22. Juli.
Der Wiener Zeitung ist folgende Privatmittheilung zugegangen:
Nachrichten aus Fokschan vom 12. Juli melden, daß der russische Konsul, Herr v. Kotzebue, aus Bukarest die amtliche Mittheilung erhalten hat, daß die Mitglieder der provisorischen Regierung in Angst über die baldige Ankunft der Russen, Bukarest heimlich verlassen und sich in die kleine Wallachei geflüchtet hätten, worauf die alte Ordnung der Dinge wieder hergestellt und die abgesetzten Bojaren ihre früheren Posten wieder eingenommen hätten, und Herr v. Kotzebue wollte auf diese Nachricht sich sogleich wieder nach Bukarest zurückbegeben.
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@facs0283
[ * ] Wien, 22. Juli.
Endlich ist die so lang geforderte Absetzung des Reaktionärs, Grafen Leo Thun von dem Posten eines Gubernial-Präsidenten in Böhmen erfolgt und an seiner Statt Graf von Rothkirch, bisher Kreishauptmann in Pilsen, ernannt worden.
Ungarn
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@facs0283
Pesth, 19. Juli.
Gestern Abend, den 18. 7 3/4 Uhr, wurde die letzte Kette zwischen den beiden Pfeilern in die Höhe gezogen, als plötzlich der Cylinder des Flaschenzuges sprang, und die Kette mit einem donnerähnlichen Getöse hinabrollte, und die Pontons ‒ die Verbindungen der großen Pfeiler‒ worauf über 200 Menschen als Zuschauer standen, theils in Stücke schlug und zermalmte, theils unters Wasser drückte.
Wenig Menschen wurden erschlagen, um desto mehr aber ins Wasser geschleudert. Gerettet wurden viele, die Anzahl der Todten kann man jedoch noch nicht ermitteln.‒ Die große Schiffbrücke ward durch die hinabschwimmenden Pontons in der Mitte zerstört, die Kommunikation der beiden Städte also gestört, in der ganzen Nacht wurde sie jedoch durch die Dampfboote erhalten.‒ Viele Deputirte waren sammt Graf Czechenyi, Georg Mailath u. s. w. unter der Kette.‒Alle wurden gerettet.
[(A. Oestr. Z.)]
Donaufürstenthümer.
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@facs0283
Jassy, 14. Juli.
Der Einmarsch der Russen in Jassy soll nur auf direktes und persönliches Ansuchen des um seiner Familie Sicherheit besorgten Fürsten Stourdza, bei dem General Duhamel, erfolgt sein. Er geschah in solcher Eile, daß der Ottomanische Kommissär Talat Effendi sehr überrascht war. Bis jetzt ist noch keine Proklamation, weder über den Zweck des Einmarsches der russischen Truppen, noch über die Dauer ihres Aufenthaltes im Lande, von der Moldauischen Regierung erschienen. Auch hat Talat Effendi die Stadt nicht verlassen.‒ Nach Berichten vom 10. d. M. aus Tlusch und Fokschan haben die nach der Wallachei marschirenden russischen Truppen in Berlad (in der untern Moldau) halt gemacht, wo sie weitere Befehle abwarten sollen. Aus Gallacz läuft die Nachricht ein, daß dort 4000 Mann türkischer Truppen angekommen, welche über Fokschan in die Wallachei einzurücken bestimmt sind.
[(Wien. Z.)]
Rußland.
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@facs0283
St. Petersburg, 18. Juli.
Zum 14. Juli waren 3972 Cholerakranke in Behandlung verblieben; es kamen im Verlaufe dieses Tages hinzu 525, genasen 218 und starben 312 (darunter 172 in den Wohnungen). Zum 15. Juli waren 3967 Cholerakranke in Behandlung verblieben; im Verlaufe dieses Tages kamen hinzu 432, genasen 262 und starben 294 (darunter 166 in den Wohnungen.) Zum 16. Juli verblieben 3843 Kranke in Behandlung.)
Französische Republik.
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@facs0283
[ 12 ] Paris, 24. Juli.
Wenn nach dem 24. Februar Todesfälle eintraten von Leuten, die an gewöhnlichen Krankheiten dahin starben, so wurden diese Fälle fast gar nicht beachtet. Kein anderer Tod galt für glorreich, als der auf den Barrikaden; keine andere Krankheit schien beachtungswerth, als die in Folge empfangener Wunden. Wie kann man sich auch ruhig auf seinem Bette sterben lassen! Das war die allgemeine Stimmung in Paris. Ein gleiches Verwandniß hat es jetzt mit allen Verhaftungen, Beschuldigungen, Verurtheilungen, die sich nicht direkt an die Insurrektion anreihen. Alle Prozesse verschwinden neben diesem monstruösen Prozesse. Ein gewöhnlicher Dieb, ein gewöhnlicher Eskrock hat keinen Werth, keine Bedeutung mehr. Wenn man, wie der Notär Oudinot, Millionen gestohlen, ganze Familien ruinirt hat, so kann man höchstens ein Jahr Gefängnißstrafe bekommen; aber nach der Zeit ist man ein freier, reicher Mann. Fälle der Art waren zu Tausenden unter Louis Philippe vorgekommen; alle die Spekulanten, die mit Aktien-Promessen Wucher getrieben, und Millionen angehäuft haben, waren nur glücklicher als Oudinot, weil sie, geschickter als er, sich der Gerechtigkeit zu entziehen wußten. Wer dagegen sich an der Insurrektion auch nur im Mindesten betheiligte, ja wer auch nur Wünsche für ihr glückliches Gedeihen machte, das ist kein gemeiner, kein gewöhnlicher Dieb mehr, das ist ein „sozialer “ Dieb, und die sozialen Diebe allein haben jetzt nur noch Bedeutung. Die Aktenstücke über diese 14,000 „sozialen Diebe“ häufen sich auf eine ungemeine Weise, und die Kommission hat wenigstens noch vier Monate mit der Untersuchung zu thun. Daß diese „sozialen Diebe “ übrigens nicht an ihrem „coup 'essai,“ ihrem Probeversuche waren, stellt sich jetzt auf die eklatanteste Weise heraus. Es kommen nämlich aus den entferntesten Colonieen Frankreichs Gelder an, welche, nach den ausdrücklichen Bestimmungen dieser entfernten Patrioten, unter den Blessirten und sonstigen Nothdürftigen der Februar-Revolution vertheilt werden sollten. Im Augenblicke wo man diese Vertheilung vornehmen will stellt sich heraus, daß diese Blessirten und Nothleidenden verhaftet sind als „Insurgenten,“ als „soziale Diebe.“ Also diese „sozialen Diebe“ sind gerade diejenigen, die glücklicher als jetzt, im Februar einen „sozialen Handstreich“ ausgeführt hatten, und die jetzt, weil sie gescheitert, nicht einmal der für sie ausgesetzten Belohnungen für ihr erstes glückliches Unternehmen theilhaftig werden können.
Aber was liegt daran? Die ganze Zeit schmachtete Paris; die eleganten Damen ließen sich nicht sehen, so lange die „sozialen Diebe“ die Herren waren. Dagegen jetzt, wie Alles sich jetzt geändert! Paris athmet auf unter dem Belagerungszustande! Nie sah man prächtigere Equipagen, und elegantere Toiletten. Die Staatspapiere zeigten sich nie so ferm, als unter Cavaignac's Diktatur. Zwar fallen die National-Produkte auf eine auffallende Weise; die Burgunder- und Bordeaux-Weine liegen zu Millionen Bouteillen angehäuft in den Kellern! Aber das gibt Gelegenheit zur „Beförderung des Handels.“ Die Engländer kaufen die französischen Weine für ein Spottgeld, und werden schon wissen, den guten Bordeaux zu guten Preisen unterzubringen. Wie lange das noch gehen wird, weiß man nicht; so viel steht fest, daß das Proletariat in der Provinz sich auf eine „schreckenerregende “ Weise vermehrt, und seinen Antheil an den „besiegten Pariser Arbeitern“ auf jede mögliche Weise bekundet. Die Noth des Proletariats in der Provinz muß aber wirklich groß sein, um sogar die Aufmerksamkeit der „privilegirten grundreichen Hüttenbesitzer“ auf sich gezogen zu haben. Sie waren vereint nach Paris gekommen, um Arbeit von der Regierung nicht für sich, sondern für ihre „Arbeiter“ zu verlangen. Die Regierung hatte ihnen nichts zu geben.
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@facs0283
[ 12 ] Paris, 24. Juli.
Wollt Ihr wissen, was die Wiederherstellung der Ordnung, das Steigen der Staatspapiere in Paris bedeutet? Die Kaufleute und Fabrikanten, die jetzt erst ihre Lage überschauen und mit Ordnung reguliren können, sind genöthigt zu Tausenden zu liquidiren, oder sich in Faillite zu erklären. „Und noch eine Myriade von Failliten“ steht uns täglich bevor! Aber das kommt daher, meint Thiers, weil die Ordnung noch nicht als Prinzip hergestellt ist, weil das sogenannte „principe d'ordre“ fehle, und so lange das fehle, fehle natürlich auch das Zutrauen in die Solvabilität der Republik. Nun fragt sich, was denn das eigentliche „principe d'ordre“ sei für Herrn Thiers. Dem ersten Anschein nach sollte man doch glauben, daß Cavaignac, als solcher, ein„principe d'ordre“ als solches sei: Cavaignac, dieser enorme Quaderstein, der an und für sich schon eine Barrikade ausfüllen könnte „gegen die Anarchie,“ wie die guten Rentner vom Quartier Des Marais meinen. Aber Thiers ist wiederum anderer Meinung. „Le principe d'ordre! Gebt uns das Principe d'ordre; und wir lassen Euch-Cavaignac!“ ruft mit ihm die ganze Rue Poitiers aus. Aengstlich-republikanische Geister sind geneigt zu glauben, daß das Principe d'ordre nichts anderes sei, als die “régence,“ und schreien: die Republik ist in Gefahr! Aber verständige Geschäftsleute aus der Rue Poitiers, die ernstere Interessen zu vertheidigen haben, erwiedern hierauf, daß etwas ganz anderes in Gefahr sei, als die Republik und das Vaterland; das sei die Solvabilität des Staates; und die könnten keine zehn Cavaignac wiederherstellen, wohl aber Thiers mit seinem Principe d'ordre. Ihr sollt ihn jetzt bald hören, wie er gegen Proudhon und Considerant auftreten; wie er diese furchtbaren „dialektischen Sozialisten“ in den Grund schleudern wird. Es steht zu erwarten, daß Proudhon's und Considerant's Erlösungsprojekte an ganz andern Dingen scheitern werden, als an Thiers logischer Widerlegung.
Als Proudhon, vor seiner Wahl zum Repräsentanten, mit seiner Tauschbank auftrat, und einen Produkten-Austausch zu Wege bringen wollte, ohne Vermittelung des Geldes, und alle Produzenten aufforderte bei ihm einzukehren in der Rue Jean Jacques Rousseau, um die Welt des friedlichen Verkehrs, eine Welt ohne Geld, zu errichten, da wurde auf einmal der friedliche Verkehr durch Barrikaden gehemmt, und die Kugeln der Insurgenten bewiesen hinlänglich, daß sie von Proudhon's Plänen nichts wissen wollten. Seitdem ist Proudhon's Bank verschollen, und er ist in Unterhandlung eingetreten mit Thiers über das „droit au travail.“ Laßt mir das Droit au travail, spricht er zu Thiers, und ich lasse Euch das Eigenthum.
Herr Thiers bewundert die „Tiefe“ des Herrn Proudhon; die Rue Poitiers bewundert die Tiefe des Herrn Thiers, der einen Mann, wie Proudhon öffentlich bekämpfen wird; und Cavaignac will beiden das Feld frei halten, daß sie sich in aller Ruhe„mit den Waffen des Wortes“ bekämpfen können. Die Arbeiter bleiben gleichgültig an allen diesen Wortkämpfen; die Nationalversammlung existirt für sie nicht mehr, ihre ganze Aufmerksamkeit ist auf die 14,000 Insurgenten gerichtet, und sie erwarten mit Aengstlichkeit was über sie verhängt wird.
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@facs0283
[ 16 ] Paris, 24. Juli.
Der Witz der Sieger ergeht sich weidlich. Stehende Redensart ist z. B. jetzt: „faire l'atelier national“ für: „träge sein“ In mehreren Kafés hörte ich diese geistreiche Phrase mit schallendem Gelächter vorbringen. ‒ Der „Corsaire“ meint die Caber'schen Ikarier nennten sich so weil sie voler (fliegen, stehlen) wollten. Louis Blanc wird in diesem honnetten Blättchen, worin Herr A. Weill Stylübungen gegen klingendes Honorar macht; le bambin (kleiner Schlingel) genannt, welcher „Rehbraten mit Ananas“ im Luxemburg gespeist habe, und Louis Blanc wußte sich in der That nicht anders zu helfen als durch nachträgliche Publizirung seiner Küchenausgaben während des Provisoriums. Dazwischen ertönt die Baßstimme des „Impartia! de Seine Oise“ in Versailles, welches in Nr. 13 ruft: „Auf, und fordern wir endlich Gerechtigkeit gegen die Sträflinge und deren Häuptlinge!“ wir wollen nicht die Großmüthigen spielen. wir verlangen geradezu ihren Kopf.Schon zulange ist philanthropisirt worden; vae victis sei unser Feldgeschrei fortan. Hätten die Anarchisten gesiegt, so war es aus mit Sittlichkeit, Tugend, Familie, Ehre, Religion, Eigenthum; wir dürfen solchen Feind nimmer schonend behandeln, das wäre unverzeihliche Schwäche. Wehe den Besiegten! ist das uralte Gesetz der Welt, und beide Theile müssen es kennen…“ Mit ungewohntem Aufwande von Gelehrsamkeit nennt der „Siecle“ Blanqui den „modernen Catilina,“ und der „Konstitutionnel“ vergleicht seinen kleinen Thiers mit „ Cicero dem Vater der Republik.“ Der Cäsar sei noch nicht da, aber werde nächstens erscheinen; Barbes, Sobrier, Albert und Rafpail werden ingeniöser Weise vom „Avenir“ mit Sulla und Konsorten, die Faubourgs mit den Kornelianern verglichen. Herr Paul Feval, der die „Mystères de Londres“ fabrizirt hat, macht im „Avenir“ philologische Studien; er beweist das Wort Reaktion sei ehrenvoll, und bedeute das „vernunft. und naturgemäße Umkehren auf einem falschen Wege, das revenir sur ses pas.“ man möge also nur dreist sich „Reaktionär“ nennen. ‒ Ein angeblich zu 80,000 Exempl. gedrucktes Blättchen nennt sich mit echtem Bourgeoisaberwitz Le perdu chêne de la révolution (die verlorne Eiche der Revolution); der schaurige Klang des Titels veranlaßte am ersten Tage die Arrestation eines Ausrufers. Es gelobt seinen Homonymen energisch zu bekämpfen; vorläufig proponirt es die „verirrten Geister“ aus dem Gefängniß ins Irrenhaus Charenton zu deportiren „wo sie nicht mehr die Statue der Freiheit mit Trauerflor zu behängen Anlaß geben; das brüderliche Zutrauen zwischen Arm und Reich, Kapitalist und Ouvrier kehrt zurück, nachdem die höllische Brut in Blut erstickt worden die es seit Februar von uns gescheucht. Die Gnade Gottes schenkt uns schönes Sommerwetter, Brod und Wein werden für den Arbeiter wohlfeil. Das beste Gouvernement, sagen die Bauern Frankreichs, ist das des Herrgotts; alle übrigen sind nur provisorische, d. h. mehr oder weniger sündhafte. Laßt uns kaufen und verkaufen, arbeiten und spazieren gehen, die Nationalateliers sind Gottlob verschwunden, und die Exekutivgewalt sprach zur Emeute: bis hierher und nicht weiter; die Emeute kroch heulend und zitternd in ihre Höhle zurück. Franzosen, der Himmel liebt uns, lieben wir einander auch, schon gehen viele Bestellungen auf Manufakturen an, und die bösen Dünste aller Utopien sind verflogen.“ Dasselbe Blatt bemerkt: „ Die wenig bedeutsamen Symbole der Republik kann man getrost fahren lassen; z. B. die sogenannten Freiheitsbäumchen, die bekanntlich vielerorten in Paris bereits ausgegangen sind und den Suppentopf mancher biedren Ouvriers kochen könnten. “ Die Geschütze der Ordnungskämpfer haben außerdem auf Place Maubert, am Pantheon, u. s. w. diese jungen Pappelstämme zerschmettert. ‒ Die Masse der Patienten in den sieben Forts um Paris steigt; die Hitze der Kasematten macht dort manche stumpf- und wahnsinnig, so daß die perfiden Journale allerdings recht haben welche sagen: „Idioten und Epileptische bildeten die größere Hälfte der Erkrankten, desgleichen Hautleiden; man versagt ihnen trotz der Backofentemperatur oft Waschwasser. Die medizinische Inspektion ist natürlich ganz machtlos. ‒ Der „Conciliateur“ kommt bereits in Händel; er muß dem Thiersblatte zurufen: „So lauft doch nicht so schrecklich, es geht ohnehin bergunter und der Weg ist schlüpfrig von Schweiß und Blut der Ouvriers und vom Blut der Nichtouvriers . . . . Ach, ihr Herren, was lärmt ihr so gegen die Wuthausfälle der arbeitenden Männer und Frauen? statt zu deklamiren und auf sie zu schimpfen mit pathetischen, oft sehr plumpen oder raffinirten Phrasen, geht lieber frisch daran sie zu bilden; zu bessern wie ihr es wohl nennen möget.
„Wohl, auf Place Maubert haben die Proletarierinnen beim Feuerschein der angesteckten Nationalgardenwache einige Köpfe von Mobilen abgehauen und auf Picken gepflanzt, auch von abgehauenen Händen spricht der Constitutionnel, was vielleicht seine durch Eugen Sue's Feuilleton erhitzte Phantasie ihm vorgaukelt: aber es sei; wir invitiren ihn, wenn er sich abgekühlt, sich zu fragen: ob die gebildeten Damen unserer Klasse denn etwa nicht leidenschaftlich heiß und grausam würden, wenn sie auf Barrikaden ständen und ihre Männer daneben stürzen sähen? wenn sie nichts im Magen und hungerige Kinder hinter sich hätten? wenn sie zu stolz zur Bettelei, zu lebenslustig zum Selbstmord, zu edel oder zu klug zum Stehlen, Arbeit und Lohn, aber nicht Hundearbeit und nicht Spottlohn, forderten. Oho, Messieurs von der Thiersarmee, seht zu daß eure Logik nicht ein Loch bekommt, wie eure Fensterscheiben; die Damen unserer wohlhabenden freien Klasse haben seit Jahrtausenden den Leiden der unfreien (d. h. bloß dem Namen nach freien) Klasse ruhig zugesehen, höchstens eine Rührungszähre vergossen und Allmosen zuspendet: unsere Damen sind, glaubt's oder glaubt's nicht, ebendeshalb viel kalt-grausamer als ein paar rohe, wilde Proletarierinnen, die im lang aufgestauten Grimm endlich einige Köpfe abhieben; ihr Verbrechen war kein gegegen eine ganze Klasse, kein tausend Jahre lang geschehenes.
„Ihr macht immer süße Phrasen von Schulen und Moralitätsanstalten für die Majoritätsklasse, aber dabei bleibts. Wißt ihr denn nicht, daß nur derjenige sich geistig bilden läßt, der materiell keine Sorgen hat?‥ Wir bitten unsere Klasse, diese Minorität der Gesammtnation, unsere Klasse welche Geld, Bildung und Wissen besitzt, aufs Ernstlichste, in sich zu gehen und der Majorität, durch deren Schweiß und Blut wir existiren, ja noch vor Ablauf dieses Jahrhunderts zu gleichem Lebensgut zu verhelfen, sonst sind alle Staaten Europas verloren u. s. w.“ Auf dieserartige Worte antwortet man mit Kontrebarrikaden, die gleich den altrömischen beweglichen Schanzen herangefahren werden sollen, mit Kanonen und Sturmdach; Cavaignac hat einige Modelle besichtigt; auch erzählt man vielfach die Errichtung einer Mobilgarde Nr. II., welche ganz speziell auf Schießen nach den Fenstern einzuererzieren. „Die preußische Landwehr“, sagt das Journal de Rouen, „hat trefflich gegen Pöbeltruppen und gegen räuberische Polenrebellion in Posen gefochten; sie ist eine Wehr gegen Absolutismus und Anarchie; laßt uns sie nachahmen in Organisation und Gesinnung; die wahrhaft guten Sachen Deutschlands überfahren wir bisher, und plagten uns mit seinem skandalösen Atheismus u. s. w.“ ‒ Eine kleine Schrift: „Amnestie! an General Cavaignac“ ist ganz eindrucklos, wie sich von selbst begreift, vorbeigegangen. Desto emsiger betreibt man die Decentralisirung; die Seinepräfektur (weiland Mairie von Paris) schlägt ungeheure neue Municipalsteuern auf jedes große hiesige Etablissement, z. B. sieht sich die kolossale Gießerei von Chevet dadurch veranlaßt 3/4 ihrer Quvriers zu verabschieden, die ohne Weiteres in die Provinzen geschafft werden. Der Sekretär Adam sagte geradezu „in den kolossalen Pariser Industrieanstalten keimt kolossale Gefahr, daher laßt uns die Departementalanstalten vermehren; die Gäste Frankreichs müssen von seinem Kopfe, von Paris, medizinisch abgeleitet werden.“ Der Arzt Ducour, plötzlich Polizeipräfekt geworden, ermahnt in Affischen „Arme und Reiche, Quvriers und Meister möchten brüderlich nach Bürgertugend trachten; jeder Konspiration werde er unversöhnlich entgegen treten.“ Auch der Arzt Trelat, jetzt zum Maire des Barbes'schen Viertels eingesetzt, will mit heroischer Kur wirken. Die Freunde der „zu neuem Leben erwachenden Privatindustrie“ wird was weniges vergällt durch die unheimliche Ahndung von neuen Zöllen des deutschen Zollvereins, wodurch die Primen, womit die Republik ihre Exporte zu beleben sucht, mehr oder weniger unwirksam gemacht werden könnten; die honnette Sympathie für „das Land Luther's und Kant's“
[(Siecle)] dürfte so einen kleinen Riß kriegen. Wie ernst die Machthaber ihre goldenen Versprechungen halten, beweist der Umstand, daß sämmtliche zwölf Maires affischirten: die Wahlen der Beisitzer zur Arbeitskommission, von Patronen und Gesellen, seien auf unbestimmte Zeit verschoben, und doch hatten sie schon den Tag angekündigt! Diese Kommission beschäftigt sich angeblich auch mit dem Plan einer Arbeitsinvalidenkasse, zu der „jeder rechtschaffene Arbeiter sein Scherflein beizutragen hat etc.“ „Nur so moralisirt man diese im Ganzen ehrenwerthe Klasse (ruft Le Commerce), wenn man das Sparbüchsensystem damit organisch verschmilzt und sie gegen jede utopistische Vergiftung hermetisch abschließt; zaudern wir nicht, die Stunden sind kostbar u. s. w. “
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@facs0283
Paris.
Wie wir aus dem Journale „La Republique “ ersehen, ist die Reaktion besonders thätig in der Provinz. Alles, was man den Journalen nicht anvertrauen will, wird auf geheimem Wege durch Briefe u. s. w. befördert. Niemand, der nicht von der Partei der Rue Poitiers ist, bleibt in diesen Missiven verschont. Der alte Maire von Paris sogar wird mit eben nicht sehr schmeichelhaften Epitheten gratificirt. Die Republik wird dargestellt als die Heimath von Dieben und Räubern. Es wäre Zeit, meint „die Republik,“ daß die Belehrung durchdringe bis zu den Dörfern der Bourgogne und Berry, wo der Seigneur noch an der Tagesordnung sei, und es allgemein heißt, daß die Republik die Beraubung durch ungeheure Steuern ist, und daß, wenn man sie nicht bald abschafft, sie der organisirte Raub werden wird.
Die „Republik“ fordert die Regierung auf, eine Untersuchung durch ihre Präfekten zu veranstalten; sie versichert, daß die Präfekten selbst der Zielpunkt aller möglichen Verläumdungen seien.
Zu Bourges will man den Präfekten wegschicken, weil er Kommunist ist. „Kommunist,“ „Sozialist,“ das sind die Schlagwörter, mit denen die Rue Portiers operirt.
‒ Das Kabinet von Berlin hat der Exekutivgewalt erklärt, daß es die Republik anerkennen, d. h. einen Gesandten nach Paris schicken wolle, wenn sie den Emanuel Arago abberufe, dessen Einverständniß mit den preußischen Radikalen ihm gar zu undiplomatisch und gefährlich erscheine.
‒ Der neue Seine-Präfekt, Trouve-Chauvel, vorher Polizei-Präfekt, und jetzt Stellvertreter des Herrn Marrast, unter einem andern Namen, hat eine Proklamation ergehen lassen, worin der „frühere Bekämpfer der Anarchie“ sich darstellt als „den nunmehrigen Wiederhersteller des Vertrauens und des Kredits.“
‒ Ein neuer Brief Louis Napoleon's, der, aufs Neue von der Insel Corsica als Repräsentant gewählt, seine Demission eingibt:
Herr Präsident!
Ich bringe so eben in Erfahrung, daß die corsischen Wähler mich zu ihrem Repräsentanten in der National-Kammer ernannt haben, ungeachtet meiner frühern Demission, die ich in den Händen Ihres Vorgängers niedergelegt habe.
Ich bin tief gerührt von diesem Beweise der Achtung und des Vertrauens, aber die Gründe, die mich bestimmten, die Mandate der „Seine,“ der „Yonne“ und der „Charente Inferieure“ auszuschlagen, sind noch nicht verschwunden; sie legen mir ein neues Opfer auf.
Ohne auf die Ehre zu verzichten, eines Tages Repräsentant des Volkes zu sein, glaube ich jedoch, ehe ich in mein Vaterland zurückkehre, warten zu müssen, bis meine Anwesenheit in Frankreich den Feinden der Republik in keiner Weise zum Vorwande (Siehe den Verfolg in der Beilage.) [Fortsetzung]
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Berlin.
Der Verfassungs-Entwurf, wie er aus den Berathungen der Verfassungs-Kommission hervorgegangen:
Verfassungs-Urkunde für den preußischen Staat.
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, thun kund und fügen hiermit zu wissen, daß Wir mit den nach dem Wahlgesetze vom 8. April 1848 gewählten und demnächst von uns zusammenberufenen Vertretern unseres Volkes die nachstehende Verfassung vereinbart haben, welche Wir demnach verkünden.
Titel I.
§. 1.
Alle Landestheile der preußischen Monarchie in ihrem gegenwärtigen Umfange bilden das preußische Staatsgebiet.
§. 2.
Die Gränzen dieses Staatsgebiets können nur durch ein Gesetz vereinbart werden.
Titel II.
Von den Rechten der preußischen Staatsbürger.
§. 1.
Die Bedingungen für die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft eines Preußen, so wie jene der Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte werden durch die Verfassung und besondere Gesetze bestimmt.
§. 2.
Es giebt im Staate weder Standes-Unterschiede noch Standes-Vorrechte. Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich.
Der Adel ist abgeschafft.
§. 3.
Die persönliche Freiheit ist gewährleistet.
Außer dem Falle der Ergreifung auf frischer That kann eine Verhaftung nur Kraft eines schriftlichen, die Anschuldigung bezeichnenden, richterlichen Befehls bewirkt werden. Dieser Befehl muß entweder bei der Verhaftung oder spätestens innerhalb 24 Stunden zugestellt werden. In gleicher Frist ist das Erforderliche zu veranlassen, um den Verhafteten dem zuständigen Richter vorzuführen.
§. 4.
Niemand kann wider seinen Willen vor einem Anderen, als den im Gesetze bezeichneten Richter gestellt werden.
Ausnahmsgerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft.
Keine Strafe kann angedroht oder verhängt werden, als in Gemäßheit eines Gesetzes.
§. 5.
Die Wohnung ist unverletzlich; Haussuchungen dürfen nur unter Mitwirkung des Richters oder gerichtlicher Polizei in den Fällen und nach den Formen des Gesetzes vorgenommen werden.
§. 6.
Die Strafe des bürgerlichen Todes und diejenige der Vermögens-Konfiskation findet nicht Statt.
§. 7.
Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschränkt. Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
§. 8.
Die Freiheit der Presse und Rede darf durch kein Gesetz beschränkt werden. Die Censur bleibt für immer aufgehoben.
§. 9.
Der Mißbrauch der Presse und Rede wird nach den allgemeinen Landesgesetzen bestraft. Bis zur erfolgten Erlassung eines revidirten Strafrechts bestimmt darüber ein besonderes transitorisches Gesetz.
§. 10.
Ist der Verfasser einer Schrift bekannt und in Preußen bei Einleitung des gerichtlichen Verfahrens wohnhaft und anwesend, so dürfen Drucker, Verleger und Vertheiler, wenn deren Mitschuld nicht durch andere Thatsachen begründet wird, nicht verfolgt werden.
Eine Sicherheitsleistung von Seiten der Schriftsteller, Verleger oder Drucker darf nicht verlangt werden.
§. 11.
Alle Preußen sind berechtigt, sich friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln. Wer eine Versammlung unter freiem Himmel zusammenberuft, muß davon sofort der Ortspolizei-Behörde Anzeige machen, welche dieselbe wegen dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verbieten kann.
§. 12.
Alle Preußen sind berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen.
§. 13.
Das Petitionsrecht steht allen Preußen zu. Petitionen unter einem Gesammtnamen sind nur Behörden und Korporationen gestattet.
§. 14.
Die Bedingungen, unter welchem Korporationsrechte ertheilt oder verweigert werden, können bestimmt das Gesetz.
§. 15.
Das Briefgeheimniß ist unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.
Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf nur auf Grund eines richterlichen Befehls vorgenommen werden.
§. 16.
Durch das religiöse Bekenntniß und die Theilnahme an irgend einer Religionsgesellschaft wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf dadurch kein Abbruch geschehen. Allen Preußen wird die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und gemeinsamer öffentlicher Religionsübung zugesichert.
§. 17.
Jede Religionsgesellschaft ist in Betreff ihrer inneren Angelegenheiten und der Verwaltung ihres Vermögens der Staatsgewalt gegenüber frei und selbstständig.
Der Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Oberen ist unbehindert. Der Erlaß und die Bekanntmachung ihrer Anordnungen ist nur denjenigen Beschränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffentlichungen unterliegen.
§. 18.
Das Kirchenpatronat sowohl des Staats als der Privaten soll aufgehoben werden. Die Aufhebung regelt ein besonderes Gesetz.
§. 19.
Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe wird durch deren Abschließung vor dem dazu von der Staats-Gesetzgebung bestimmten Civil-Beamten bedingt.
§. 20.
Unterricht zu ertheilen und Unterrichts-Anstalten zu gründen, steht Jedem frei. Vorbeugende, beengende Maßregeln sind untersagt. Die Eltern oder Vormünder sind verpflichtet, ihre Kinder oder Pflegebefohlenen in den Elementargegenständen unterrichten zu lassen. Die Befugniß der Eltern oder Vormünder, darüber zu bestimmen, wo ihre Kinder oder Pflegebefohlenen unterrichtet oder erzogen werden sollen, darf auf keine Weise beschränkt werden.
§. 21.
Die Mittel zur Errichtung, Unterhaltung und Erweiterung der Volksschule werden von den Gemeinden und aushülfsweise von den Gemeindeverbänden und vom Staate aufgebracht. In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht unentgeldlich ertheilt.
§. 22.
Die öffentlichen Volksschulen, so wie alle übrigen öffentlichen Unterrichts-Anstalten stehen unter Aufsicht eigener Behörden und sind von jeder kirchlichen Aufsicht befreit.
§. 23.
Ein Unterrichtsgesetz regelt das ganze öffentliche Unterrichtswesen auf Grund vorstehender Bestimmungen.
§. 24.
Jeder Preuße ist nach vollendetem zwanzigsten Jahre berechtigt, Waffen zu tragen. Die Ausnahmefälle bestimmt das Gesetz. Jeder waffenberechtigte Preuße ist dem Staate wehrpflichtig. Ausnahmen dürfen nur eintreten wegen körperlicher Unfähigkeit oder aus Rücksichten des Gemeinwohls nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes.
§. 25.
Die bewaffnete Macht besteht:
1) aus dem stehenden Heere; 2) der Landwehr; 3) der Volkswehr;
Besondere Gesetze regeln die Art und Weise der Einstellung und die Dienstzeit.
§. 26.
Die bewaffnete Macht wird auf die Verfassung verpflichtet. Sie kann zur Unterdrückung innerer Unruhen nur auf Requisition der Civilbehörden und in den vom Gesetze bestimmten Fällen und Formen verwendet werden.
§. 27.
Die Volkswehr besteht aus denjenigen wehrhaften Männern vom vollendeten 21sten bis zurückgelegtem 50sten Lebensjahre, welche nicht im aktiven Dienste stehen. Sie hat vorzugsweise die Pflicht, die konstituirten Gewalten zu schätzen und für die Aufrechthaltung der Ordnung und der verfassungsmäßigen Rechte des Volks zu wachen. Im Kriege kann sie zur Unterstützung des stehenden Heeres und der Landwehr, jedoch nur im Innern des Landes, nach Maßgabe des Gesetzes, verwendet werden.
§. 28.
Die Volkswehr hat das Recht, ihre Führer, bis zu den Chefs der Bataillone einschließlich, selbst zu wählen; sind höhere Führer erforderlich, so hat die Regierung das Recht der Wahl unter drei von der Volkswehr vorgeschlagenen Kandidaten. Der Landwehr steht das Recht der Wahl nur bis zum Grade des Hauptmanns einschließlich zu. Die Art der Wahl bestimmt das Gesetz.
§. 29.
Die bewaffnete Macht steht außer dem Kriege und Dienste unter dem bürgerlichen Gesetz. Die militärische Disziplin im Kriege und Frieden bestimmt das Gesetz.
§. 30.
Kein bewaffnetes Korps kann delibriren.
§. 31.
Das Eigenthum kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohls gegen vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden.
§. 32.
Die Einrichtung von Lehen und Stiftung von Familienfideikommissen für die Zukunft untersagt. Die bestehenden Lehen und Familienfideikommisse werden freies Eigenthum in der Person desjenigen, welchem am Tage der Verkündigung des gegenwärtigen Verfassungsgesetzes das Lehen oder Fideikommiß angefallen war.
§. 33.
Die Aufhebung der Lehnsherrlichkeit erfolgt ohne Entschädigung.
§. 34.
Die Rechtsverhältnisse der Thronlehen des Königlichen Haus- und Prinzlichen Fideikommisses, der außerhalb des Staates belegenen Sachen, endlich der durch das deutsche Bundesrecht gewährleisteten Sachen- und Fideikommisse der Standesherren werden durch besondere Gesetze regulirt.
§. 35.
1) Das Recht auf freie Verfügung über das Eigenthum, die uneingeschränkte Theilbarkeit des Grund-Eigenthums und Ablösbarkeit der auf letzterem haftenden Verpflichtungen werden gewährleistet.
2) Aufgehoben ohne Entschädigung sind:
a) die Gerichtsherrlichkeit, die gutsherrliche Polizei und obrigkeitliche Gewalt, so wie die gewissen Grundstücken zustehenden Hoheitsrechte und Privilegien, wogegen die Lasten und Leistungen wegfallen, die den bisher Berechtigten oblagen;
b) die aus diesen Befugnissen, aus der Schutzherrlichkeit, der früheren Erbunterthänigkeit, der früheren Steuer- und Gewerbeverfassung herstammenden Verpflichtungen.
3) Welche einzelnen auf dem Grundeigenthum haftenden Lasten nach diesen Grundsätzen oder aus anderen Gründen ohne Entschädigung aufzuheben oder ablösbar sind, wird der besonderen Gesetzgebung vorbehalten.
4) Die Gesetzgebung läßt in Zukunft bei erblicher Ueberlassung eines Grundstücks nur die Form der Uebertragung des vollen Eigenthums, jedoch auch hier unter Vorbehalt eines festen jeder Zeit unablösbaren Zinses zu.
Tit. III.
Vom Könige.
§. 38.
Die königliche Gewalt ist erblich in dem Mannesstamme des königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolge.
§. 39.
Der König ist mit Vollendung des 18. Lebensjahres volljährig. Er leistet vor Ergreifung der königlichen Gewalt im Schooß der vereinigten Kammern folgenden Eid:
„Ich schwöre, die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren.“
§. 40.
Ohne Einwilligung beider Kammern kann der König nicht zugleich Herrscher eines anderen Staates werden.
§. 41.
Im Falle der Minderjährigkeit des Königs versammeln sich beide Kammern zu einer Versammlung, um die Regentschaft und die Vormundschaft anzuordnen, insofern nicht schon durch ein besonderes Gesetz für Beides Vorsorge getroffen ist.
§. 42.
Ist der König in der Unmöglichkeit zu regieren, so beruft das Ministerium sofort beide Kammern, um in Gemäßheit des §. 41 zu handeln.
§. 43.
Die Regentschaft kann nur Einer Person übertragen werden. Der Regent schwört vor Antretung der Regentschaft den im §. 39 vorgeschriebenen Eid.
Während der Regentschaft ist eine Aenderung der Verfassung nicht gestattet.
§. 44.
Die Person des Königs ist unverletzlich. Seine Minister sind verantwortlich.
Alle Regierungsakte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.
§. 45.
Dem Könige steht die vollziehende Gewalt zu. Er ernennt und entläßt die Minister. Er befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erläßt die zu deren Ausführung nöthigen Verordnungen, ohne jemals die Vollziehung der Ersten aufschieben oder erlassen zu können.
§. 46.
Der König führt den Oberbefehl über das Heer und besetzt alle Stellen in demselben, so wie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes, insofern nicht die Verfassungs-Urkunde oder das Gesetz ein Anderes verordnet.
§. 47.
Der König hat das Recht, Krieg zu erklären, Frieden zu schließen und Verträge mit fremden Regierungen zu errichten, insofern dies Recht nicht durch das deutsche Bundesrecht beschränkt ist oder werden wird.
Unter dieser letzteren Beschränkung bedürfen alle Verträge und Friedensschlüsse mit fremden Staaten zu ihrer Gültigkeit der Zustimmung oder der nachträglichen Genehmigung der Kammern.
§. 48.
Der König hat das Recht der Begnadigung und der Strafmilderung.
Zu Gunsten eines wegen seiner Amtsführung verurtheilten Ministers kann dies Recht nur auf Antrag derjenigen Kammer, von welcher die Anklage ausgegangen ist, ausgeübt werden.
Er kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf Grund eines besonderen Gesetzes niederschlagen.
§. 49.
Dem Könige steht die Verleihung von Orden und anderen mit keinen Privilegien versehenen Auszeichnungen zu.
Er übt das Münzrecht nach Maßgabe des Gesetzes.
§. 50.
Das Gesetz bestimmt die Civilliste für die Dauer jeder Regierung.
§. 51.
Der König beruft die Kammern und schließt ihre Sitzungen. Er kann sie entweder beide zugleich oder nur eine auflösen. In der Auflösungsurkunde muß der Tag der neuen Wahlen und der Berufung der Kammern bestimmt und die desfallsige Frist für die ersteren nicht über 40, für die letzteren nicht über 60 Tage ausgedehnt werden.
§. 52.
Der König kann die Kammern vertagen. Ohne deren Zustimmung kann diese Vertagung die Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden.
Tit. IV.
Von den Ministern.
§. 53.
Die Minister, so wie die zu ihrer Vertretung abgeordneten Staatsbeamten haben Zutritt zu jeder Kammer und müssen auf ihr Verlangen gehört werden.
Jede Kammer kann die Gegenwart der Minister verlangen.
Die Minister haben in einer oder der anderen Kammer nur dann Stimmrecht, wenn sie Mitglied derselben sind.
§. 54.
Die Minister können durch Beschluß einer Kammer wegen des Verbrechens der Verfassungsverletzung, der Bestechung und des Verraths angeklagt werden. Ueber solche Anklagen entscheidet der oberste Gerichtshof der Monarchie in vereinigten Kammern; so lange noch 2 oberste Gerichtshöfe bestehen, treten dieselben zu obigen Zwecken zusammen.
Die näheren Bestimmungen über die Fälle der Verantwortlichkeit, über das Verfahren und das Strafmaaß werden einem besondern Gesetze vorbehalten.
Tit. V.
Von den Kammern.
§. 55.
Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König, durch die Volkskammer und durch den Senat ausgeübt.
Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich.
Wird jedoch ein Gesetzesvorschlag unverändert von beiden Kammern zum dritten Male angenommen, so erhält er durch die dritte Annahme Gesetzeskraft.
§. 56.
Die zweite Kammer (Volkskammer) besteht aus 350 Mitgliedern. Die Wahlbezirke werden nach Maßgabe der Bevölkerung festgestellt.
§. 57.
Jeder Preuße, welcher das 24. Lebensjahr vollendet, und nicht den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte in Folge rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses verloren hat, ist in der Gemeinde, worin er seit sechs Monaten seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, stimmberechtigter Urwähler, insofern er nicht aus öffentlichen Mitteln Armen-Unterstützung bezieht.
§. 58.
Die Urwähler einer jeden Gemeinde wählen auf jede Volkszahl von 250 Seelen ihrer Bevölkerung einen Wahlmann. Es ist nicht erforderlich, daß der Wahlmann schreibenskundig sei.
§. 59.
Die Abgeordneten werden durch die Wahlmänner erwählt. Die Wahlbezirke sollen so organisirt werden, daß mindestens zwei Abgeordnete von einem Wahlkörper gewählt werden.
§. 60.
Das Nähere über die Ausführung der Wahlen bestimmt ein besonderes Wahl-Ausführungs-Gesetz.
§. 61.
Nach Ablauf von zwei Legislatur-Perioden der zweiten Kammer können direkte Wahlen zur zweiten Kammer durch das Gesetz eingeführt werden.
§. 62.
Die Legislatur-Periode der zweiten Kammer wird auf 3 Jahre festgesetzt. Nach Ablauf dieser Periode wird die Kammer neu gewählt. Ein Gleiches geschieht im Fall der Auflösung der Kammer. In beiden Fällen sind die bisherigen Mitglieder wieder wählbar.
§. 63.
Zum Abgeordneten der zweiten Kammer ist jeder Preuße wählbar, der das dreißigste Lebensjahr vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte nicht verloren hat und bereits ein Jahr lang in Preußen seinen Wohnsitz hat.
(Hierzu eine Beilage.)