Französische Republik.
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12
]Paris, 21. Juli.
Wir müssen wieder auf Herrn Marrast zu sprechen kommen, denn Herr Marrast ist
der Mann des Tages für einige Tage noch. Er ist Präsident der Kammer, und
das Ministerium hatte aus der Präsidentschaft für Herrn Marrast eine
Kabinetsfrage gemacht. Von Herrn Marrast soll das Heil der Republik
abgehangen haben? Das können die Debats nicht begreifen. Vom Standpunkte des
Herrn Bertin finden wir das sehr begreiflich. Le credit! das ist für ihn die
Hauptsache, und der hängt nur von der Art und Weise ab, wie Herr Cavaignac
die Ordnung handhabt. Aber was hat die Ordnung mit Herrn Marrast zu
schaffen? Wie kann Herr Marrast das Heil der Republik sein? Der Gang der
Dinge, la force des choses, hat, wie man gesehen, alle republikanischen
Illusionen beseitigt. Die republikanischen Phrasen und Dekorationen waren
zerstäubt vom Sturme der eigentlichen Juni-Revolution. Von der ganzen
Republik blieb Marrast allein noch übrig. Was konnte man zu ihrem Heile
Besseres thun, als ihn selbst als Dekoration zu gebrauchen, um ihn wie einen
Beschönigungsmantel über die National-Versammlung auszudehnen? Von der
Präsidentschaft zur Gesandschaft nach London war nur ein Sprung. Herr
Marrast hat eine englische Dame zur Gemahlin, und sein größter Triumph hätte
vielleicht darin bestanden, neben seinem alten Feinde Guizòt im ganzen
Glanze seiner Größe in den Londoner Salons zu paradiren. Aber welch'
Unglück! Im Augenblick, wo er seinem Ziele so nahe war, überfällt ihn die ‒
Cholera! Die Krankheit des Herrn Marrast hat
nämlich alle Symptome der Cholera-Morbus. Möge die Marrast'sche Republik
nicht untergehen an dieser Seuche!
Heute ist auch der „Père Duchêne“ wieder erschienen, der das famöse Banquet
zu 25 Centimes angeordnet, und dessen Haupt-Redakteur in den
Juni-Ereignissen geblieben. Wir bemerken keine andere Veränderung als in der
Orthographie des Titels; denn statt „Père Duchêne“ lesen wir „Perdu
Chène.“
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12
] Paris, 22. Juli.
Wenn ein „Verbrecher,“ politischer oder sozialer Natur, vor die bürgerliche
Gerichtsbarkeit gestellt ist, so suchen die bürgerlichen Richter ihren
größten Triumph darin, in diesem Verbrecher das Gefühl der Reue zu erregen.
Es scheint, als wenn ihre eigene, Ruhe abhinge von der Unruhe, die sie im
Angeklagten über sein Verbrechen hervorrufen, in diesem Gefühl der Reue, das
ihnen als ein Zurückgehen in sich und folglich als ein Anerkennen der
bestehenden Zustände gilt.
Umgekehrt erscheint ihnen nichts gefahrbringender, nichts beunruhigender, als
die Ruhe in Männern, die mit nichts Geringerem umgingen, als sie aus ihrer
eigenen Ruhe zu verscheuchen.
Wie man weiß, war Cormenin beauftragt einen Bericht abzustatten über die
Zustände, der in Folge der Juni-Ereignisse verhafteten „Insurgenten.“ Bei
dieser Gelegenheit sah er natürlich auch die Verhafteten vom 15. Mai, unter
Andern Raspail. Ueber diesen Besuch meldet die „Patrie:“ „Was den Herrn
Raspail anbetrifft. so ist derselbe in dem Zustande der heftigsten
Exaltation. Die Nacht hindurch spricht er laut und fortwährend; er
wiederholt seine Vertheidigungsrede, gerade als wäre er vor seinen Richtern
u.s.w.“
Hierauf antwortete Herr Raspail dem Redakteur der „Patrie“: „Man hat mir eben
eine Stelle über mich aus Ihrem Journal vorgelesen. Ich fordere Sie hiermit
auf, die gegen mich spezifizirten Thatsachen, sei es durch Herrn Cormenin,
den Direktor von Vincennes, die Wächter, oder durch irgend eine Person, die
in der Festung wohnt, bescheinigen zu lassen. Sie können diese Details nur
in ihrem Gehirne geschöpft haben zur Belustigung Ihrer Leser. Ich überlasse
es letzteren ein solches Verfahren verdienter Maßen zu qualifiziren. Was
mich anbetrifft, so begnüge ich mich mit der Aufforderung gegenwärtige
Erklärung in Ihre nächste Nummer aufzunehmen.
F. V. Raspail.
Donjon von Vincennes.
Um diese kategorische Erklärung so viel als möglich zu mildern, macht die
„Patrie“ Glossen und meint, sie sei immer entfernt gewesen die Person des
Herrn Raspail anzugreifen, und die Aussagen hätten ohne Zweifel ihren Grund
in Renseignements, die „ohne Zweifel“ Herr Cormenin selbst geliefert haben
muß.
Also Herr Cormenin „muß diese Renseignements geliefert haben.“ Und an
demselben Tage schreibt Herr Cormenin an Herrn Raspail, Sohn folgenden
Brief:
„Ich bin ganz und gar der Erzählung fremd, die mehrere Journale über meinen
Besuch in der Festung von Vincennes gegeben haben.
„Ich muß hauptsächlich sagen, daß ich Herrn Raspail ebenso ruhig gefunden
habe wie die andern Gefangenen.
„Die Mission, die mir gegeben, beschränkte sich übrigens lediglich darauf,
den Gesundheitszustand der Gefangenen zu überwachen und zu konstatiren.“
Brave „Patrie!“ Braver „Siecle!“ Braver „Constitutionnel!“
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12
] Paris, 22. Juli.
Die gute Nationalgarde, nachdem sie ihre Wuth an den „Bösen“ ausgelassen,
wüthet jetzt gegen sich selbst.
Der Epizier hat einmal die fixe Idee, daß der Kampf in den Junitagen ein
Kampf, für die Vertheidigung seines Ladens ‒ der fixesten aller seiner Ideen
war. ‒ Jetzt aber wird er erst inne, daß indem er seinen Kopf für seinen
Laden aussetze, er zugleich das Haus seines Eigenthümers vertheidigte, der
sich vielleicht versteckt in seinem Keller hielt. Daher die Wuth, alle
diejenigen aus den „ guten Legionen“ auszumitteln, die sich nicht am Kampfe
betheiligten, um sie auf die eine oder die andere Weise zu bestrafen oder
zum Dienste zu zwingen. Seinen Banquier, seinen Hauseigenthümer kann der
Epizier direkt nicht dienstpflichtig machen, zumal wenn er in Abhängigkeit
lebt.
Aber die Massen von Angestellten in den verschiedenen Ministerien, die alle
von ihm, dem Epizier, besoldet werden, die müssen gezwungen werden, in jedem
Augenblick der Gefahr bereit zu
[0276]
[Spaltenumbruch] sein, sich in Reihe und Glied zu stellen. Von diesem
Gesichtspunkt aus ist es möglich, sich die Maßregel zu erklären, welche
jetzt in allen Ministerien getroffen wird, und in Folge deren alle
Angestellten, groß wie klein, ihre Uniform, Degen und Gewehr im
Ministerialgebäude deponiren müssen, um bei irgend einem Vorfalle gleich bei
der Hand zu sein. Diese Maßregel ist übrigens um so wichtiger, als grade an
drei Ministerien Generäle an der Spitze stehn.
Das Elend wird immer größer, die Hast, mit welcher man in Lyon die
Nationalateliers schloß, hat die größere Zahl der Arbeiter und Familien
außer Brod gesetzt, so daß der Maire von Lyon genöthigt war, eine dringende
Proklamation an alle Bürger ergehn zu lassen. Aber neben dem Elend
entwickelt sich ein anderes Elend, das nicht die Arbeiter, sondern grade die
wohlhabendere Klasse befällt‒der Wahnsinn: die Leute werden irre an der
menschlichen Gesellschaft, an ihrer bürgerlichen Vorstellungsweise. Und
sonderbar, nach den verschiedenen Perioden, in denen die gesellschaftlichen
Erschütterungen statt fanden, nimmt dieser Irrsinn einen verschiedenen
Charakter an, und zeigt sich bald als Blödsinnigkeit, bald als Wahnsinn,
bald als Melancholie. Bei andern finden wir, daß in diesem Anfalle von
Irrsinn ihr langgenährtes Ideal zum Ausbruch kommt, und am offnen Tage, ohne
Scheu durch die Straßen von Paris herumläuft. Nach den Februarereignissen,
bemerkt die„Union Médicale, hatten die Irrsinnigen etwas schwermüthiges,
niedergeschlagenes; sie glaubten, man wolle sie erdrosseln, ermeucheln,
erschießen. Sie hatten beständig akustische Täuschungen und glaubten
Kanonenschüsse, Flintenschüsse u. s. w. hören. Andere blieben regungslos und
erwarteten jeden Augenblick, daß man sie in einen égout werfe. Wenn
die„Union Médicale“sagt, daß der Charakter des Wahnsinns den jedesmaligen
Charakter der Revolution charakterisirt, so hat sie hier vollkommen recht.
In einem maison de sauté waren eine Masse Irren, die jeden Augenblick die
Fortschritte der „Korruption“ an ihrem Körper wahrzunehmen glaubten. Darauf
nahm der Irrsinn den Charakter der Reue an; die Leute wollten sich bekehren,
ein bußfertiges Leben führen. Wir haben selbst solche Leute gesehn.
Die„Union Médicale“ spricht dann von dem exaltirten Charakter, den der
Wahnsinn nach den Juniereignissen angenommen. Es kamen Leute vor, die
Proklamationen machten, sich für die Retter des Vaterlandes hielten. Andere
redigirten Bankprojekte, Steuersysteme, Anleihungspläne u. s. w. An
Generälen und Propheten fehlt es ebenfalls nicht in den Narrenhäusern.
Uebrigens ist diese Krankheit noch lange nicht auf ihrem Höhepunkt
angelangt, und es stehen noch interessante Fälle in Aussicht.
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[
121
] Paris, 22. Juli.
Marrastist zum Gesandten nach
Londonernannt. Der Kandidat der Thierspartei, Lacrosse,wird Präsident der National-Versammlung werden. Die
Partei des National hat also gemeinschaftlich mit Thiers den Berg dupirt,
dessen Stimmen den Ausschlag gaben bei der Ernennung von Marrast zum
Präsidenten. Dieser Intriguant, dieser Raton wird aber schwerlich etwas
anders erreicht haben, als den letzten Zweifel über seinen Verrath zu
zerstreuen. Sein Gesundheitszustand hat sich nämlich in letzter Nacht so
verschlimmert, daß es unmöglich war, ihn vom Hotel de Bille, wo er immer
noch residirt, nach seiner Wohnung zu transportiren.‒ Als Neuigkeit theile
ich Ihnen mit, daß die erste Kammer des Pariser Tribunals unter der
Präsidentschaft von Debelleyme heute auf die Interdiktionsklage der Madame
Mortier gegen ihren Mann Hrn. Mortier von der Verwaltung seiner Person und
seiner Güter interdicirt erklärt hat.
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Paris, 22. Juli.
An der Börse sowohl als im Saale der Pas perdus sprach man viel von der neuen
Anleihe der 250,000,000 Franken, ohne welche der Staatskasse schwerlich ihre
Verbindlichkeiten zu erfüllen im Stande sein dürfte.
‒ Das gesammte Offiziers-Korps der Pariser Bürgerwehr hat sich zu dem General
Cavaignac begeben, um auf Aufhebung des Belagerungszustandes anzutragen.
Hoffentlich werden wir doch endlich bald freier athmen.
‒National-Versammlung.Sitzung vom 22. Juli.
Vizepräsident Corbon eröffnet dieselbe um 2 1/4 Uhr. An den Samstagen werden
in der Regel ganze Stösse von Petitionen erledigt. Babaud Haribière, Sarrut,
Avond statten Bericht über eine Menge von Petitionen rein örtlicher Natur
ab. Einige Parasitenstreiche (Bevorzugungen beim Avancement) in der
Militärschule von St. Cyr und der Anfechtung gegen ein Dekret der
provisorischen Regierung vom 28. April rücksichtlich des Sitzes des 15.
Militärdivisions-Stabs in Bourges riefen Lamoricièe, Charras, Oudinot und
einige andere Generäle auf die Bühne. Ihre Vorträge boten kein
Interesse.
Oudinot legt seinen Bericht über Anlage von Civilinvalidenhäusern vor.
Senard, Minister des Innern, überreichte der Versammlung mehrere
Gesetzentwürfe, welche einzelne Städte zu Anleihen, andere Kreise zu
Ausführung von Bauten etc. authorisiren.
Goudchaux, Finanzminister, besteigt die Tribüne und beginnt:„Meine Herren,
die Voraussichten meines Vorgängers (Duclerc). welche darin bestanden, daß
sich in den Finanzen der Republik bald ein Gleichgewicht herausstellen
werde, hat sich nicht bestätigt. Die Staats-Einnahmen (Büdget) werden einen
großen Ausfall erleiden. Um diesen Ausfall zu füllen (pour balancer la
situation d'un Budget en deficit)sehe er sich genöthigt, einen Aufruf an den
öffentlichen Kredit zu richten.
Demzufolge lege er der Versammlung einen Gesetzentwurf vor, der ihn zur
Kontrahirung einer Anleihe von 200 Millionen Frkn. ermächtigte.
Mittelst dieser Anleihe und in Verbindung der jüngst mit der Bank
kontrahirten 150 Millionen glaube er dem Defizit die Spitze zu bieten.
Einige Aufregung folgte der Vorlage dieses Gesetzentwurfs.
(4Uhr.)
‒Nationalversammlung.Sitzung vom 22. Juli. (Nach 4
Uhr.)
Cocquerel, protestantischer Pfarrer, stattete seinen Bericht über den
Gesetzentwurf gegen die Klubs ab.
Seine Konklusionen beantragen zwar mehrere Aenderungen, jedoch sind sie
unwesentlich und laufen im Grunde auf den ministerillen Wunsch hinaus. Die
Klubs bleiben gehalten, die Polizei als Gast zu empfangen, ihr ihre Statuten
einzureichen, und sich allen anderen Förmlichkeiten zu unterwerfen. Fragt
sich, was die Versammlung darüber entscheiden wird.
Die Versammlung nahm die Tagesordnung auf. An derselben befindet sich Leon
Faucher's Antrag, auf Errichtung von Nationalwechselbänken in allen
namhaften Departementsstädten durch die ganze Republik.
Nach schwacher Diskussion zieht Faucher seinen Antrag zurück. Dann berieth
die Versammlung den Gesetzentwurf rücksichtlich der Mobilisation von 300
Bataillonen Bürgerwehr.
Die diesfälligen Kredite gaben zwar zu einigem Widerspruch Veranlassung, doch
ging der ministerielle Entwurf zuletzt durch. Turk's Antrag, rücksichtlich
der Arbeiter, fiel nach Auflösung der Nationalwerkstätten von selbst
weg.
Cavaignac ließ dann auf Ernennung zweier Glieder antragen, welche die
Verwaltung des Invalidenhotels kontrolliren sollen.
Ein Glied schlug vor, Cavaignac solle sie selbst ernennen (zur Linken: Nein,
Nein). Sie sollen gewählt werden.
David(Anger) und Rabonerschienen mit neuen Stößen von Petitionen auf der Tribüne, z. B.
die Stadt Toulouse beantragt ein Denkmal für den alten großen Carnot, der
mit vierzehn Armeen, die er aus dem Boden stampfte, alle Feinde Frankreichs
schlug. Auch von Bou Maza lag eine Bittschrift vor, in der er auf
Freilassung anträgt. An den Kriegsminister gewiesen.
Präsident Carbon ladet die Ausschüsse ein, sich
Montags pünktlich einzufinden, namentlich ersucht er die Delegirten der
Bureaur, mit dem Verfassungsausschuß fleißig zu arbeiten.
Montags um 1 Uhr öffentliche Sitzung. Um 6 1/4 Uhr wird die Sitzung
geschlossen.
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@facs | 0276 |
Paris, 22. Juli.
In der Marine kündigt der Moniteur folgende
Personenwechsel an: 1) Contre-Admiral Bruat zum Seepräfekten in Toulon an
die Stelle des Vice-Admiral Parseval-Deschénes. 2) Contre-Admiral Laplace
zum Seepräfekten in Rochefort an die Stelle des Kapitän Baillant. 3)
Parseval Deschènes zum General-Inspektor der Linienschiffe in den Häfen von
Cherbourg, Brest und Lorient. 4) Vice-Admiral Hamelin zum General-Inspektor
der Linienschiffe von Toulon und Rochefort. 5) Vice-Admiral Casy zum
Mitgliede des Admiralitätsraths an die Stelle Hamelin's. 6) Kapitän Baillant
zum Admiralitätsrathe an die Stelle des zum Marineminister ernannten
Kapitäns Berninac.
‒ E. Adam, das letzte Ueberbleibsel der Provisorischen Regierung, ist zum
Generalsekretär des Seine Departments und Herr von Cormenin auf Marie's
Vorschlag zum Titularpräsidenten des Staatsraths ernannt worden.
‒Ducour, der neue Polizeipräfekt, hat gestern der Pariser Bevölkerung seine
Ernennung und resp. Installation in einer Proklamation angezeigt. Ducour ist
Arzt.
‒Das Bankkomptoir in Algier ist reformirt. Bille, Generalsekretär der Pariser
Bank, fordert die Träger der Aktien auf ihre Beiträge gegen einen Verlust
von 3% zurück zu empfangen.‒Der bekannte Kapitalisten und Fabrikanten Verein
“L'Association pour la défense du travail national,”hat einen Brief an den
Handelsminister gerichtet, worin er gegen einzelne Bestimmungen des
Beschlusses der National-Versammlung vom 6. Juni, rücksichtlich der
Ausfuhrprämien protestirt.Er sagt darin: „Jener Beschluß nimmt den Drawback
bei Bestimmung der Prämien als Maaßstab. Dies ist ein Unrecht. Bei
baumwollenen Schnittwaaren (tissus de coton), z. B. werden die Drawbacks nur
nach dem Gewichte ausgestellt. Auf diese Weise würden 100 Kilo
Baumwollenstoff, der kaum 300 Francs werth ist, ebenso viel Prämie erhalten
als 100 Kilos Tülle, die bis auf 80,000 Frs. kosten kann,“Gegen diese
Gleichheit protestirt der Verein mit vollem Rechte.
‒Zwei Pfaffenblätter, L'amer duchêne und le perdu Chêne, erbärmliche
Nachäffungen des ehemaligen Volksblattes gleichen Namens, sind erschienen.
Ebenso le Bohemien des Paris. Rücksichtlich der versigelten Tagespresse hat
Cavaignac erklärt, sie nur noch bis zur Votirung des Preßdekrets eingesperrt
halten zu wollen.
‒Ueber die großen Juniprozesse schwinden die kleineren, die vor der
Februarrevolution anhängig waren. Der Notar Dudinot, der mehre Millionen
proguirt hat, ist auf ein Jahr verurtheilt worden. Nach dem Jahr ist er
frei, französicher Bürger und Millionär. Die Insurgenten und ihre Richter
mögen sich ein Beispiel daran nehmen.
‒Man verhaftet immer noch drauf los. Gestern wurde Colfavru, Redakteur des
ächten Pere Duchene, in seiner Wohnung arretirt. Colfavru ist, irren wir
nicht, Advokat am pariser Gerichtshofe.
‒Neues Opfer der Zeitungskaution! Die von Buchez, Fougueray, A. Otto Bastide
u. s. w. herausgegebene katholisch-demokratische Revue Nationale erklärt, in
Folge der jüngsten gesetzlichen Maßregeln provisorisch eingehen zu
müssen.
‒ Die vereinigten vier Kriegsgerichte setzen ihre Sitzungen im Justizpalais
fort. Die gestrige dauerte von 10 bis 5 Uhr. Constantin, der brave
Republikaner, wurde lange verhört. Er glaubte freigelassen zu werden, aber
wir sahen ihn tiefgebeugt wieder in seiner Zelle zurückführen. Das Schicksal
Constantin's macht im Generalstabe und Kriegsministerium, deren Mitglied er
war, großes Aufsehen. Sobald die Verhöre vor den 4 Kriegsgerichten im
Justizpalais zu Ende sein werden, vertagt sich der Centralhof in sein
gewöhnliches Lokal, Rue du Cherche midi, wo dann die Verurtheilung der Chefs
stattfindet. Die große Masse geht unter Segel, und das Juni-Drama hätte
zunächst sein Ende erreicht.
‒ (Politische Todesstrafe.) Point, ein sog.
moderirter Deputirter aus dem Loirethale, hat im 8ten Bureau der
Nationalversammlung auf Vernichtung des Dekrets der provisorischen Regierung
angetragen, das die politische Todesstrafe abschafft. Diesen Antrag hatte
das ehrenwerthe Glied nur deshalb gestellt, damit die Juniräuber und
Verstümmler nur ja nicht den Kriegsgerichten entzogen würden ‒ eine
Befürchtung, die ganz ungegründet. Auf eine derbe Zurechtweisung Sarrut's,
seines Kollegen in jenem Bureau, hat Herr Stadtgerichtsrath Point seinen
Antrag zurückgezogen.
‒ Im Ministerium des Auswärtigen herrscht große Lebendigkeit. Wie es heißt,
hat die Exekutivgewalt einen wichtigen Entschluß rücksichtlich Italiensgefaßt. Die Sache geschieht natürlich sehr
geheimnißvoll. Nur soviel können wir bemerken, daß die Verletzung des
päpstlichen Gebiets durch eine Brandschatzung der Oestreicher in Ferrara
jenem Entschlusse nicht fremd sein dürfte. Bei den Armeelieferanten sind
bedeutende Bestellungen gemacht worden.
Großbritannien.
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@facs | 0276 |
[
*
] London, 22.Juli.
Im Oberhause brachte gestern der Earl von Gleugall die augenblickliche Lage
Irlands zur Sprache und gab eine ziemlich ausführliche Geschichte der
Bewegung der Konföderirten, indem er die irischen Klubs mit denen von Paris
verglich und behauptete, daß sie nur den Sturz des jetzigen Gouvernements,
das Proklamiren der Republik und zusammen mit einer politischen, auch eine
soziale Revolution bezweckten.
Nicht damit zufrieden, alle irischen Parteien ja sogar Weiber, zu den
abscheulichsten Grausamkeiten gegen die Truppen Ir. Majestät aufzureizen,
seien die Konföderirten auch bemüht, sich von Frankreich und Amerika Hülfe
zu verschaffen. Unter diesen Umständen habe das Gouvernement erst einige
Städte und Distrikte durch außerordentliche Maßregeln im Zaume zu halten
versucht und sich nur einiger der Haupträdelsführer bemächtigt. Alles dies
sei aber unwirksam. Die Agitation greife um sich und Lord Clarendon, der
Vice-König von Irland, bedürfe andrer als der bisherigen Mittel um dem
herannahenden Unglück zu begegnen.
Er, nemlich Earl Glengall, freue sich daher, daß das Gouvernement dem
Parlamente die Aufhebung der Habeas Korpus Akte vorzuschlagen gedenke und er
hoffe, daß das Unterhaus diese Maßregel schnell und einstimmig unterstützen
werde.
Der Marquis von Landsdowne sprach sich in derselben Weise aus. Die jetzigen
Ereignisse in Irland seien nur das Vorspiel zu einem Bürgerkriege, dem man
einzig und allein dadurch vorbeugen könne, daß dem Lord Lieutenant die Macht
gegeben werde alle der Konspiration verdächtigen Leute sofort verhaften zu
lassen. Lord Clarendon habe bis zum letzten Augenblicke damit gewartet, die
Auflösung der Habeas Korpus Akte zu verlangen und es sei kein Zweifel, daß
er seine unumschränkte Gewalt nur im rechten Sinne gebrauchen werde.
Lord Brougham und Lord Stanley erklärten sich mit den Absichten des
Gouvernements durchaus einverstanden und Marquts Lansdowne rief den
lautesten Applaus des Hauses hervor, als er zum Schluß noch mittheilte, daß
der Lord Lieutenant, im Fall die Auflösung der Habeas Korpus Akte nicht
gleich geschehe, sich eines alten noch bestehenden Aktes des irischen
Parlamentes bedienen werde um sofort jeden Rebellen einstecken zu
lassen.
‒Außer einer längern Debatte über die Zuckergesetze wurden auch gestern im
Unterhause die irischen Zustände länger als gewöhnlich behandelt. Hr.Keogh
machte nemlich eine Motion in Betreff der Wahl der Jury in Kriminalfällen in
Irland, namentlich in Bezug auf die jüngste gegen O'Brien, Meagher und
Mitchell gerichtete Untersuchung, indem er behauptete daß man bei diesen
drei Fällen nicht den Weg des Rechtes gegangen sei. Bei dem Prozeß gegen
Mitchell seien die größesten Liederlichkeiten vorgefallen. Man habe die
katholische Jury bei Seite geschoben und ihn fast ausschließlich von
protestantischen, ihm durchaus feindlichen Leuten richten lassen. Hr. Keogh
machte dann noch in einer fulminenten Rede, die heftigsten Ausfälle gegen
die Whigs und die Weise wie sie Irland in der letzten Zeit verwaltet hätten.
Sir G. Grey suchte sich gegen diese Angriffe zu vertheidigen. Die Debatte
kam aber nicht zum Schluß und wurde bis zum nächsten Montag vertagt.
In der heutigen Unterhaussitzung, welche um 12 Uhr ihren Anfang nahm, brachte
Lord John Russell seine bereits im Oberhause angekündigte Bill der Aufhebung
der Habeas Corpus Akte für Irland herein, wonach der Lord-Lieutenant, so wie
alle übrigen irischen Behörden bis zum 1. März 1849 ermächtigt sein sollen,
sämmtliche gegen die Person und das Gouvernement J. Maj.konspirirende
Individuen zu verhaften. Nachdem Lord John diese Motion mit einer
Schilderung der jüngsten irischen Vorfälle zu rechtfertigen gesucht hatte,
erhob sich der Chartist Feargus O'Connor um die betreffende Maßregel auf's
heftigste zu tadeln. Sir Robert Peel folgte ihm und unterstützte den Antrag
des Gouvernements.
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@type | jArticle |
@facs | 0276 |
[
*
] London, 22. Juli.
Ueber die Ankündigung der Minister im Oberhause, das sie ohne Verzug eine
Bill ins Parlament bringen werden, welche die Habeas-Corpus-Akte für Irland
bis zum 1. März 1849 außer Wirksamkeit setzt ist der „Standard“ förmlich
entzückt. Er wäre es indeß noch mehr, wenn man gar nicht erst einen solchen
Gesetzvorschlag dem Parlament vorlegte, sondern ‒ da Gefahr im Verzuge ‒ die
irischen Gefängnisse ohne Weiteres anfüllte und ganz Irland in
Belagerungszustand erklärte. Zudem lautet, wie das Tory-Journal an der Hand
einer gewichtigen Autorität auseinandersetzt, die Habeas-Corpus-Akte für
Irland ganz Anders als für England. Dort braucht man gar nicht erst die
nämlichen Förmlichkeit zu beobachten, wie hier. Zudem was ist das weiter:
Aufhebung der Garantien der persönlichen Freiheit? Der Standard erlustigt
sich in Aufzählung der Fälle, wo die Habeas-Corpus-Akte in England seit der
letzten Revolution suspendirt worden, nämlich 10 Mal: 1715, 1716, 1722,
1744, 1745, 1779, 1794, 1799, 1801 und 1817. In Irland ist sie suspendirt
gewesen: 1797, 1799, 1801 und 1803. Damit will das Tory-Journal die Minister
zum schnellern Handeln und Fortschreiten auf der so schön begonnenen Bahn
bewegen.
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@type | jArticle |
@facs | 0276 |
[
*
] Dublin, 21. Juli.
Die Zeit wird mit jeder Stunde bedenklicher. Die in Irland stehende
Truppenmacht beträgt über 40,000 Mann. Alle Beurlaubten haben Befehl
erhalten, sich schleunigst auf ihre Posten zu begeben. Mögen auch die Organe
der Regierung, die den Interessen der Aristokratie und der Hochkirche
ergebenen Journale, hier wie in London noch so wüthend zur Vertilgung der
infamen „Rebellen“ Irlands auffordern, mag Times und Standard, Chronicle und
Globe mit dem übrigen Heer der Bourgeoiszeitungen darauf dringen, daß
endlich dieser Aufregung ein Ende gemacht werde: das Alles ist
„thrash“gegenüber dem wüthenden Haß, der unauslöschlichen Erbitterung so
vieler Millionen: Kartätschen können sie eine Zeitlang zum Schweigen
bringen; allein einen Monat nachher bricht die Wuth jedesmal desto
ingrimmiger und drohender hervor, bis selbst die kolossale Macht der
englischen Regierung nicht mehr im Stande ist, ihre Todesstunde
hinauszuschieben, bis diese ganze aristokratische, hochkirchliche und [#/]
Tyrannei zerschmettert am Boden liegt.
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@type | jArticle |
@facs | 0276 |
[
*
] Dublin, 21. Juli.
Nach einem Briefe aus Clonmel wurde vergangenen Montag zu Nacht auf allen
Bergen und Hügeln in den Grafschafte Waterford und Tipperary Signalfeuer
angezündet. Der Anblick von Clonmel aus war großartig. Als Grund dieser
Signale wird angeführt, es habe sich das Gerücht verbreitet, das
Carrick-on-Suir von englischen Truppen angegriffen werden solle, und deshalb
diese Zeichen, damit alle Repealer zur Hülfe herbeieilen möchten. Die
heranziehenden Schaaren wurden jedoch zur Rückkehr vermocht, als sie sich
von der Falschheit des Gerüchts überzeugten.
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@facs | 0276 |
[
*
] Dublin, 20. Juli.
Nach der „Tipperary Free Press“ gab die Verhaftung des Hrn. Marks, Sekretärs
eines Repeal-Klubs und von noch 2 andern Repealern Anlaß zu einem
bedeutenden Tumult in Carrik-on-Suir. Denn kaum wurden die Verhaftungen
bekannt, so wurde auch alsbald von allen Seiten Sturm geläutet; die
Mitglieder der verschiedenen Klubs strömten nach den nur ihnen im voraus
bekannten Sammelplätzen, marschirten von da nach dem Gefängniß und mit
Flinten, Picken etc. bewaffnet hätten sie das Gefängniß gestürmt, wenn die
Gefangenen nicht schon eine viertel Stunde zuvor gegen Bürgschaft entlassen
worden wären. Besonders auffallend war der Umstand, daß alle Personen, die
eben auf dem Kirchhofe einem Begräbniß beiwohnten, beim ersten Ton der
Sturmglocke sämmtlich fortstürzten, um sich Waffen zu holen und den Sarg
ruhig neben dem Grabe stehen ließen. Das will bei Irländern viel sagen!
Gestern hielt die „ irische League“eine Sitzung in der Musikhalle. Den Mayor
von Kilkeney führte den Vorsitz. Es wurden 702 neue Mitglieder aufgenommen.
Als das Parlamentsmitglied W. Smith O'Brien (Protestant) erschien, wollte
der Beifallssturm kein Ende nehmen. O'Brien hielt eine Rede, welche alle
Versammelten zur Begeisterung hinriß. „Wie sehr sie auch den Frieden lieben
möchten,“ sagte er an einer Stelle,„so würden sie doch nicht vor der
Nothwendigkeit zurückbeben, wenn das Vaterland sie aufs Schlachtfeld riefe.“
(Vieltausendfaches: Nein, Nein! und der Ruf: „Je eher, je besser!“)Alle
übrigen Redner und insbesondere ein römisch-katholischer Geistlicher,
sprachen in dem Sinne und mit gleicher Erregung der Gemüther.