Französische Republik.
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Paris.
Schluß des in vorgestriger Beilage abgebrochenen Entwurfs einer
Strafprozeßordnung.
§ 4. Von der Bildung des Geschworenengerichts.
Art. 71. Alle Franzosen, die der Civil- und politischen Rechte genießen,
werden auf die Geschwornenliste gebracht, außer in den Fällen der
Unfähigkeit oder Dispensation, welche in den beiden folgenden Artikeln
vorgesehen sind.
Art. 72. Auf die Geschwornenliste werden nicht gebracht: 1. Die Bürger,
welche gemäß Art. 383 der Strafprozeßordnung Funktionen bekleiden, die mit
der Stellung des Geschwornen unverträglich sind, ferner die Militärpersonen
im aktiven Dienste. 2. Diejenigen, die noch nicht volle 30 Jahre alt sind.
3. Diejenigen, welche durch körperliche Gebrechen unfähig sind, die
Funktionen des Geschwornen zu erfüllen. 4. Diejenigen, die nicht französisch
lesen und schreiben können. 5. Dienstboten, die um Lohn dienen. 6. Nicht in
ihre Rechte wiedereingesetzte Fallite. 7. Individuen, die zu Leibes- oder
entehrenden Strafen oder zu Korrektionnelstrafen verurtheilt sind, wegen
Handlungen, die das Gesetz als Verbrechen qualifizirt oder wegen der
Vergehen des Diebstahls, der Prellerei, des Vertrauensmißbrauchs, des
Angriffs auf die Sitten, der Landstreicherei oder des Bettelns.
Art. 73. Auf die Liste werden nicht gebracht auf ihr Verlangen, 1.
Siebzigjährige. 2. Beamte oder Vorgesetzte, die einen öffentlichen Dienst
bekleiden. 3. Bürger, die vom Tagelohn leben und die Kosten nicht tragen
können, die mit der Stellung des Geschwornen verbunden sind.
Art. 74. Die Geschwornenliste wird in jeder Kommune durch den Maire
festgestellt. Er hat dieselbe an die Kirchthüren und das Gemeindehaus
anheften zu lassen. Während der acht Tage, die auf diese Veröffentlichung
folgen, kann jeder Bürger entweder gegen die Einschreibung oder gegen die
Auslassung reklamiren, indem er ein kostenfreies Gesuch an den Maire der
Gemeinde richtet, der gehalten ist binnen drei Tagen zu entscheiden. Der
Recours gegen diese Entscheidung geschieht beim Friedensrichter, der binnen
fünf Tagen und ohne Appel entscheidet. Die Zusätze, die durch die
Entscheidungen des Friedensrichters oder des Maire, wenn kein Recours
stattfindet, hinzukommen, werden angeschlagen und dem Präfekten übergeben,
wie im Art. 75 bestimmt ist.
Art. 75. Am 1. Dezember jedes Jahres stellt der Maire dem Präfekten die
Geschwornenliste der Gemeinde zu Der Präfekt fertigt ohne Verzug nach den
Gemeindelisten die allgemeine Departementsliste an. Diese letztere wird
sodann dem Schreiber des Tribunals übergeben. Hieraus wird eine Liste von
Geschwornen jedes Arrondissements ausgezogen und dem Gerichtschreiber des
Arrondissementsrichters zum Gebrauch für die Korrektionnell-Assisen
mitgetheilt.
Art. 76. Zehn Tage wenigstens vor Eröffnung der Departements-Assisen zieht
der Präsident des Tribunals durch das Loos in öffentlicher Sitzung aus der
allgemeinen Liste die Namen der 42 Geschwornen, welche die Listen der
Session bilden. Er zieht überdem sechs Supplementargeschworne aus den
Geschwornen, welche in der Stadt wo die Assisen gehalten werden, wohnen.
Wenn an dem für die Verhandlungen einer jeden Sache anberaumten Tage weniger
als 36 Geschworne anwesend sind, so wird diese Zahl durch die
Supplementargeschwornen ergänzt und reicht das nicht zu, durch Geschworne,
die aus den Bewohnern der Stadt in öffentlicher Sitzung durchs Loos gezogen
sind.
Art. 77. Alle Bestimmungen der Kriminalprozeßordnung, welche durch die
vorstehenden nicht abgeändert werden, bleiben in Anwendung.
Art. 78. Die Bestimmungen des Art. 41 des gegenwärtigen Gesetzes sind
anwendbar auf die Urtheils-Geschwornen in Zuchtpolizei- und
Kriminalsachen.
Art. 79. Gleich nach der Verkündigung des gegenwärtigen Gesetzes wird zur
Anfertigung und Uebersendung der Geschwornenliste geschritten, wie
vorstehend gesagt ist. Vom Tage ihrer Ankunft auf der Gerichtschreiberei an
verrichten allein die Geschwornen, die aus dieser Liste ausgezogen sind, den
Dienst bei den Assisen.
Titel V.
Von der Ernennung der Gerichtsbeamten.
Art. 80. Die Ernennung der Gerichtsbeamten geschieht durch die vollziehende
Gewalt, unter den Bedingungen und mit den Unterschieden, die nachstehend
angegeben sind.
Art. 81. Niemand kann zum Friedensrichter ernannt werden, wenn er nicht
Licentiat in der Jurisprudenz ist, oder wenn er nicht wenigstens fünf Jahre
lang das Amt eines Anwalts, Notars oder Gerichtschreibers geführt hat. Diese
Bestimmung wird indessen erst mit dem 1. Januar 1850 in Kraft treten.
Art. 82. Niemand kann zum ordentlichen oder Ergänzungs-Richter eines
Departementsgerichtes oder eines Appeltribunals ernannt noch zum Amte des
öffentlichen Ministeriums befördert werden, wenn er nicht schon Richter
gewesen ist, oder zum Advokaten ernannt worden, und wenn er nicht bei einem
Appeltribunal oder einem Gerichte erster Instanz seine Stage gemacht
hat.
Art. 83. Die Richter werden aus einer Kandidatentabelle genommen, die in
folgender Weise angefertigt ist.
Art. 84. Beim Beginn jedes Gerichtsjahres werden die Licentiaten der
Jurisprudenz, welche sich zur Stage melden und erklärt haben in die
Magistratur eintreten zu wollen, bei jedem Gerichtshof nach der Reihenfolge
der Nummern verzeichnet, die sie bei ihrem Austritt aus der juristischen
Fakultät erhalten haben. Die Laureaten erhalten die erste Stelle, die
Doktoren des Rechtes werden vor den Licentiaten eingetragen.
Art. 85. Beim zweiten und dritten Jahre werden um dieselbe Zeit die
stagirenden Advokaten nach dem Fleiße und Talent geordnet, wovon sie im
Laufe des verfloßenen Jahres Probe abgelegt haben. Diese Ordnung geschieht
gemeinschaftlich durch die Mitglieder des Gerichtshofes, des Parquets und
des Rathes der Advokaten.
Art. 86. Die jungen Advokaten ersten Ranges können während ihrer Stage dem
Parquet beigegeben und als solche den Instruktionsrichtern und Substituten
zugeordnet werden, um ihnen Aushülfe zu leisten.
Art. 87. Bei gleichen Ansprüchen ernennt die Regierung zu diesen Stelen
vorzugsweise diejenigen, welche ihre Rechtsstudien mit Hülfe von Stipendien
des Staates oder der Departements gemacht haben.
Art. 88. Der Advokat, welcher am Ende seiner Stage, auf der Tabelle des
Departementgerichtes die erste Stelle einnimmt, wird auf die definitive
Tabelle gebracht, welche von dem Appeltribunal festgesetzt wird.
Art. 89. Das Appeltribunal designirt in derselben Weise jedes Jahr eine Zahl
von Kandidaten, welche der Zahl des Departements in seinem Bezirk gleich
sein muß.
Art. 90. Diese Designationen nebst denen, welche aus den
Klassifizirungstabellen der Tribunale erster Instanz hervorgegangen sind,
bilden die definitive Tabelle, welche durch das Appeltribunal in einer
General-Versammlung mit den Mitgliedern des Parkets und des Rathes des
Barreau, unter den eingesandten Bemerkungen der Präsidenten, der
Prokuratoren der Republik und der Batonniers der Advokaten der Tribunale
erster Instanz, festgestellt wird.
Art. 91. Diese, von den Tribunalen festgesetzten Kandidatur-Tabellen dienen
als Vorlagelisten für alle Stellen von Richtern erster Instanz und
Staatsprokuratoren der Republik, welche im Laufe des Jahrs bei den
Departement-Tribunalen erledigt.
[Spaltenumbruch]
Art. 92. Bei Gleichheit des Verdienstes und Ranges berücksichtigt die
Regierung vorzüglich diejenigen, welche ihre Studien mit Unterstützung der
Staats- und Departementsstipendien gemacht haben.
Art. 93. Jedesmal, wenn die Stelle eines Richters erster Instanz erledigt
ist, werden zwei Kandidaten vorgeschlagen; der eine wird von dem Tribunal in
welchem der Ausfall stattgefunden, in einer General-Versammlung mit den
Mitgliedern des Parkets bezeichnet, den anderen erwählen die Mitglieder des
Rathes des Barreau und der Disziplinar-Kammer der Anwälte bei demselben
Tribunal, in einer gleichen General-Versammlung.
Art. 94. Wenn die Ernennung eines Appel-Richters stattfindet, stellt jedes
Tribunal erster Instanz in dem Bezirk einen Kandidaten, der durch das
Tribunal in einer General-Versammlung mit den Mitgliedern des Parkets, des
Rathes des Barreau und der Disziplinarkammer der Anwälte erwählt wird.
Diese Kandidaturen werden dem Appel-Tribunal in seiner General-Versammlung
mit den Mitgliedern des Parkets, des Rathes des Barreau und der Kammer der
Anwälte vorgelegt.
Diese Versammlung hat das Recht, entweder ihrerseits einen Kandidaten
anzuzeichnen oder ihre Bemerkungen über die von den Tribunalen ihr
vorgeschlagenen Kandidaten zu machen, und die Regierung hat unter den
dergestalt bezeichneten Kandidaten die Wahl.
Art. 95. Diese Designationen verpflichten keineswegs unbedingt zur Ernennung
gerade für das Gericht, in welchem die Stelle erledigt ist. Die Regierung
kann auch den Beamten eines anderen Gerichts hierherberufen. Die Ernennung
eines Titularen sagt das Tribunal an, welchem er beigeordnet wird. Die
Regierung kann indeß die Gerichtsbeamten mit ihrer Einwilligung
versetzen.
Art. 96. Die Präsidenten und Vice-Präsidenten der Tribunale erster Instanz,
die Kammer-Präsidenten und Vice-Präsidenten der Appeltribunale werden von
ihren Kollegen durch absolute Stimmenmehrheit erwählt.
Art. 97. Die Richter des Kassations-Tribunals werden, nach Vorschlag von drei
Kandidaten durch die Regierung, von der National-Versammlung ernannt.
Art. 98. Sie wählen und ernennen nach absoluter Stimmenmehrheit die
Kammer-Präsidenten.
Art. 99. Der erste Präsident wird von der Regierung im Ministerrathe ernannt;
wenn derselbe jedoch nicht aus dem Schoos des Kassationstribunals genommen
wird, ist seine Ernennung der National-Versammlung vorzulegen, ohne deren
Genehmigung die Ernennung nicht definitiv stattfinden kann.
Art. 100. Die Regierung hat das Recht, die Beamten des öffentlichen
Ministeriums zu ernennen und abzusetzen.
Sie wählt dieselben ohne Unterschied aus den Mitgliedern des Kollegiums oder
aus den Mitgliedern des Barreau, und kann daher jedesmal, wenn sie es im
Interesse des Dienstes für nützlich hält, von den Vorschriften der
Kandidatur für den Eintritt in das Kollegium abgehen.
Art. 101. Die Beamten des öffentlichen Ministeriums, welche aus ihren Stellen
scheiden und vor ihrem Eintritt in das Parket andere richterliche Stellen
bekleidet, können mit gleichem Recht auf die Kandidaten-Tabellen gesetzt und
erwählt werden, nämlich:
Die Prokuratoren der Republik und die Staatsprokuratoren zu Richtern bei
einem Departements-Tribunal.
Die General-Prokuratoren und General-Advokaten zu Richtern bei einem
Appel-Tribunal.
Doch kann dies Recht denjenigen Beamten abgesprochen werden, deren
Ausscheiden mit Verlust aller richterlichen Funktionen verbunden ist.
Art. 102. Die Richter aller Tribunale können im Alter von 70 Jahren durch
eine einfache Verfügung der Regierung in Ruhestand versetzt werden.
Vor diesem Alter können dieselben nur durch ein Urtheil, auf die nachher
bestimmten Gründe und Formen hin abgesetzt werden.
Art. 103. Jeder Richter, dessen Name sich in einem Arrest-, Verwahrungs- oder
Verhaftsbefehl oder einer zuchtpolizeilichen Verurtheilung findet, wird
vorläufig von seinem Amt suspendirt.
Diese Suspension wird vom Justizminister erlassen.
Art. 104. Jeder Richter, der wegen eines Vergehens, das seiner Natur nach
Gefängnißstrafe nach sich zieht, verurtheilt worden, und jeder Richter, der
die Pflichten seines Standes vernachlässigt oder durch seine Aufführung,
seine Nachlässigkeit oder Unfähigkeit, die Ehre und Würde seines Standes
verletzt, wird durch den Justizminister vor den “Kassationshof” gezogen.
Art. 105. Die Kammer, in welcher der erste Präsident sich befindet,
verordnet, wenn es nöthig ist, daß der inkulpirte Beamte vor die Barre des
Tribunals gefordert werde. In diesem Fall kann das Tribunal, nachdem es in
vereinigten Kammern diesen Beamten mit seiner Erklärung und Vertheidigung
gehört hat, auf folgende Strafen erkennen: auf einfachen Tadel; auf Tadel
mit Verweis; auf Amts-Suspension für eine bestimmte Zeit, die indeß drei
Jahre nicht überschreiten darf; auf Entsetzung.
Art. 106. Der Tadel mit Verweis zieht den Verlust des Gehalts für einen Monat
nach sich; die Suspension ist mit Verlust des Gehalts während ihrer Dauer
verbunden.
Art. 107. Der beschuldigte Beamte kann sich stets einen Vertheidiger nehmen.
Die Verhandlungen finden in ordentlicher Sitzung statt, wenn der Beamte es
verlangt.
Transitorische Bestimmungen.
Art. 108. Binnen drei Monaten nach Verkündung des gegenwärtigen Gesetzes
schreitet die Regierung zu einer neuen Besetzung des Kollegiums; sie sendet
ihre Ernennung allen Richtern zu, welche in die neue Organisation der
Tribunale eingeschlossen sind.
Die Namen der neu eingesetzten Richter werden nach der Reihe im Moniteur
veröffentlicht.
Art. 109. Die aktiven Beamten, welche nach Ablauf der drei Monate keine neue
Ernennung erhalten, treten aus ihren Aemtern, und können ihre Ansprüche auf
Pension geltend machen.
Art. 110. Alle zur Vervollständigung der neuen Tribunale nöthigen Ernennungen
müssen von der Regierung in der durch Art. 108. festgesetzten Frist
geschehen.
Art. 111. Nach Ablauf dieser Frist geschehen alle richterlichen Ernennungen
nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes.
Art. 112. Die Anwälte der aufgehobenen Arrondissements-Tribunale werden den
Departements-Tribunalen erster Instanz zugeordnet.
Die Anwälte bei den aufgehobenen Appeltribunalen haben die Wahl, entweder
einem der Appeltribunale im Bezirk ihrer früheren Departements, oder dem
Tribunal erster Instanz in ihrem Wohnsitz zugeordnet zu werden.
Sie sind gehalten, sich über diese Wahl binnen drei Monaten nach Verkündung
des gegenwärtigen Gesetzes zu erklären.
Wenn diese Erklärung nicht geschieht, werden sie dem neuen Appeltribunal
zugeordnet, zu dessen Bezirk ihr Wohnort gehört.
Art. 113. Alles was die Gerichtschreiber betrifft, wird durch ein besonderes
Gesetz geordnet werden.