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[Fortsetzung] dert; und wenn er keinen
gewählt hat, wird ihm solcher beigegeben bei Strafe der Nichtigkeit des
ganzen Verfahrens. Wenn der Verhaftete sich nicht an dem Hauptort
befindet, wird seine Herbeischaffung unverzüglich verfügt und die
Befragung in vierundzwanzig Stunden nach seiner Ankunft im Arresthaus
angeordnet.
Der Vertheidiger hat das Recht, mit dem Verhafteten sich zu benehmen, und
kann von allen Prozeßakten Einsicht nehmen.
Die Bezeichnung eines Vertheidigers und die Mittheilung der Aktenstücke
können selbst vor Schluß der Untersuchung durch den Instruktionsrichter
geschehen, wenn der Stand der Dinge dies gestattet.
Art. 35. Der Instruktionsrichter kann während des Ganges der
Untersuchung, mit Genehmigung und unter formeller Kenntnißnahme des
öffentlichen Ministeriums, die provisorische Freilassung eines wegen
Vergehen oder Verbrechen Belasteten, mit oder ohne Kaution verfügen.
Art. 36. Die Disposition der Kriminalprozeßordnung über die Attribute der
Rathskammer, welche mit den vorstehenden Verfügungen nicht in
Widerspruch stehen, bleiben fortwährend in Kraft.
§ 2. Von der Versetzung in Anklagestand.
Art. 37. Die Funktionen der Anklagekammer werden durch eine Anklage-Jury
erfüllt, welche sich wenigstens einmal im Monat an dem Hauptort der
Jurisdiktion jedes Departements versammelt.
Art. 38. Zur Bildung einer Anklage-Jury sind neue Richter nothwendig, bei
Strafe der Richtigkeit.
Art. 39. Wenigstens fünf Tage vor dem zum Zusammentritt der Jury
festgesetzten Tage zieht der Präsident des Tribunals in öffentlicher
Sitzung aus der Liste der Geschwornen, welche in der Gemeinde des
Hauptortes ihr Domizil haben, neun Bürger, welche die Jury bilden sollen
und drei Ergänzungs-Geschworne.
Art. 40. Den Vorsitz bei der Anklagejury führt ein vom Gerichtshof
delegirter Richter, der nicht der Instruktionsrichter sein darf.
Art. 41. Am Tage des Zusammentritts entscheidet der Richter über die
Entschuldigungen, welche die Geschwornen vorgebracht haben. Sind die
Entschuldigungen nicht zulässig, so verhängt er über den abwesenden
Geschwornen eine Geldbuße, die 50 Francs nicht übersteigen darf. Die
abwesenden oder entschuldigten Geschwornen werden durch die
Ergänzungs-Geschwornen in der Reihenfolge ersetzt, wie sie gezogen sind;
reichen diese nicht zu, durch Bürger aus derselben Liste. Diese werden
unmittelbar und in öffentlicher Sitzung gezogen.
Art. 42. Sind die Geschwornen versammelt, so spricht der Richter zu ihnen
in Gegenwart des Prokurators der Republik folgende Worte: „ Sie schwören
und geloben die Aktenstücke mit Aufmerksamkeit zu prüfen, die Ihnen
vorgelegt werden, Niemanden etwas darüber mitzutheilen, sich offen und
ehrlich über die Beschuldigung zu äußern die Ihnen vorgelegt wird, ohne
Haß und Bosheit, ohne Furcht und Zueignung, nach Ihrem Gewissen, mit der
Festigkeit und Unparteilichkeit eines rechtschaffnen freien Bürgers Ihr
Urtheil zu fällen.
Jeder der Geschwornen wird hierauf namentlich aufgerufen und antwortet: „
Ich schwöre es “ ‒ bei Strafe der Richtigkeit.
Art. 43. Der vorsitzende Richter erklärt alsdann den Geschwornen, was
ihnen zu thun obliegt und den besondern Gegenstand ihres Berufs. Er faßt
seine Erklärungen in folgender Instruktion zusammen: „ die Anklagejury
hat nicht zu untersuchen, ob der Angeklagte schuldig ist, sondern nur,
ob zur Unterstützung der Anklage hinreichende Anzeichen vorhanden sind.
Eingesetzt zum Schutze der persönlichen Freiheit hat sie einzig die
Pflicht, zu prüfen ob die durch die Untersuchung gesammelten Beweise
beschwerend genug, ob die Voraussetzungen stark genug sind, um zur
Versetzung in Anklagezustand zu berechtigen.
Diese Instruktion wird im Berathungssaale angeheftet.
Art. 44. Der Prokurator der Republik stattet über jede der Jury
vorliegende Sache Bericht ab. Nach diesem Berichte verliest der
Gerichtsschreiber alle Prozeßakten und alle Memoiren, die, sei es von
der Civilpartei, sei es von den Angeklagten, eingereicht worden
sind.
Die Zeugen, die Civilpartei, der Angeklagte oder sein Anwalt erscheinen
nicht.
Art. 45. Der Prokurator der Republik legt seine Anträge schriftlich und
von ihm unterzeichnet auf das Bureau nieder und entfernt sich.
Art. 46. Der vorsitzende Richter stellt die Fragen; die Geschwornen
berathen ohne auseinanderzugehen, die Abstimmungen sind geheim, die
Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt.
Art. 47. Erscheint die Untersuchung unzureichend oder unvollständig, so
kann die Jury entweder selbstständig oder auf den Antrag des Vorsitzers
eine Ergänzungsinstruktion verfügen. Eine solche Verfügung muß die
Thatsachen bestimmt angeben, über welche die neue Instruktion ergehen
soll. Diese Maßregel kann in derselben Sache nur einmal genommen werden.
Hat eine Ergänzungsinstruktion stattgefunden, so wird die Anklage vor
eine neue Jury gebracht.
Art. 48. Jedes Urtheil wird von dem vorsitzenden Richter, den Geschwornen
und dem Gerichtschreiber unterzeichnet.
Die Geschworenen können nicht zu einer neuen Sache schreiten, bevor die
vorhergehende entschieden und das Urtheil darüber unterzeichnet ist.
Art. 49. Alle Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die Versetzung in
Anklagestand, welche den vorstehenden Bestimmungen nicht entgegen sind,
bleiben in Geltung.
Art. 50. Die Nichtigkeit des Verweisungsurtheils (Art. 299 des
Strafprozeßgesetzes) kann nur in den folgenden Fällen nachgesucht
werden: 1. Wenn die Thatsache im Gesetze nicht als Verbrechen oder
Vergehen bestimmt ist. 2. Wenn dem Angeklagte nicht gemäß Art. 34 ein
Vertheidiger bestellt worden ist. 3. Wenn das öffentliche Ministerium
nicht gehört worden. 4. Wenn die Anklagejury nicht gesetzlich
konstituirt war; wenn die Geschwornen den Eid nicht geleistet haben;
wenn die für ihre Berathung vorgeschriebenen Formen nicht beobachtet
worden sind.
Zweites Kapitel.
Vom Urtheilsspruch.
§ 1. Von den Polizeigerichten.
Art. 51. Die Polizeigerichte erkennen unverändert über die
Uebertretungen, die ihnen vom Gesetze zugewiesen sind. Sie erkennen
außerdem in erster Instanz über alle Vergehen, welche mit einer
Gefängnißstrafe von drei Tagen bis zu einem Monat oder einer Geldbuße
von 16-100 Francs belegt sind.
Art. 52. Die Berufung von den durch diese Gerichte erlassenen Urtheile
wird in den Fristen und in den Formen, welche die Strafprozeßordnung für
die Berufung von den Urtheilen der Polizeigerichte vorschreibt, vor den
delegirten Arrondissementsrichter gebracht. Dieser Beamte erkennt auf
den Antrag des öffentlichen Ministeriums und in den durch Art. 176
desselben Gesetzbuches vorgeschriebenen Formen.
§ 2. Von den Zuchtpolizeigerichten.
Art. 53. Die Vergehen, welche eine zuchtpolizeiliche Strafe nach sich
ziehen und nach dem Gesetze weder vor die Polizeigerichte noch vor die
Assisen gehören, werden in jedem Hauptorte des Arrondissements durch
Geschworne beurtheilt.
Art. 54. In diesem Hauptort werden wenigstens einmal monatlich und unter
dem Vorsitz des delegirten Richters zur Aburtheilung dieser Vergehen
Assisen gehalten.
Art. 55. Acht Geschworne sind zu diesen Assisen erforderlich bei Strafe
der Nichtigkeit. Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefaßt.
Art. 56. Wenigstens acht Tage vor dem durch den Richter zur Eröffnung der
Arrondissements-Assisen festgesetzten Tage, zieht dieser Beamte in
öffentlicher Sitzung 24 Namen aus der Liste der im Arrondissement
ansäßigen Geschwornen. Wenn am bezeichneten Tage weniger als 20 nicht
entschuldigte Geschworne anwesend sind, so wird diese Zahl
vervollständigt durch eine öffentliche Ziehung, welche der Präsident
unter den in der Gemeinde wohnenden Bürgern vornimmt, so daß, sei es von
den Angeklagten, sei es vom öffentlichen Ministerium wenigstens 6
Geschworne recusirt werden können.
Art. 57. Die Rechtssprechung in Zuchtpolizeisachen erstreckt sich über
die Vergehen ihrer Kompetenz, sei es auf die Verweisung der Rathskammer
oder der Anklagejury, sei es auf direkte Ladung des öffentlichen
Ministeriums oder der Parteien. ‒ Gleichwohl muß die Ladung geschehen
bevor die Jury gezogen ist. Ist sie später geschehen, so geht die Sache
an die nächsten Assisen.
Art. 58. Die Erkenntnisse der Zuchtpolizeijury sind keinem Recourse
unterworfen.
Art. 59. Die Bestimmungen der Strafprozeßordnung über die Bildung der
Jury, die Befugnisse des Präsidenten, über die Formen der Verhandlung
und den Kassationsrecours gelten für die Arrondissements-Assisen.
Gleicherweise sind auf diese Assisen die Art. 62 und 70 des
gegenwärtigen Gesetzes anwendbar.
§ 3. Von den Kriminalgerichten.
Art. 60. Alle 3 Monate werden in dem Hauptorte eines jeden Departements Assisen gehalten um die Personen zu richten, welche die Anklagejury
dahin verwiesen hat oder diejenigen, welche vermöge einer besondern
Bestimmung des Gesetzes direkt vorgeladen sind.
Art. 61. Das Assisengericht wird präsidirt von einem für jede Session
delegirten Mitgliede des Tribunals. Der Präsident hat keine Assessoren.
Art. 62. Das Verbot, welches bisher für die Geschwornen bestand, Kenntniß von
den Strafbestimmungen zu nehmen, welche in Folge ihrer Aussprüche zur
Anwendung kommen, ist abgeschafft; der zweite Theil der Instruktion, welche
der Art. 342 der Strafprozeßordnung enthält, ist unterdrückt.
Art. 63. Jeder Ausspruch gegen den Angeklagten kann nur mit einer Majorität
von mehr als 7 Stimmen geschehen. Mildernde Umstände können mit einfacher
Majorität zugelassen werden.
Art. 64. Ist die Schuldigkeitserklärung der Geschwornen nach Art. 348 der St.
P.O. in der Sitzung verlesen worden, so qualifizirt der Präsident nach
Anhörung des öffentlichen Ministeriums, des Angeklagten oder seines
Vertheidigers die Thatsachen, welche sich aus diesem Ausspruche ergeben. Er
spricht die Freisprechung des Angeklagten aus, wenn die That von dem
Strafgesetze nicht verboten ist.
Art.65. Er stellt die Fragen sei es über die Strafbarkeit, sei es über die
Civilentschädigungen. Der Angeklagte oder sein Vertheidiger und das
öffentliche Ministerium haben das Wort über die Stellung dieser Fragen. Bei
Streitigkeiten entscheidet der Präsident.
Art. 66. Die Geschwornen sind nur kompetent, die Natur und das Maaß der
Strafe zu bestimmen oder zu entscheiden, ob Schadenersatz zu leisten ist und
seine Höhe zu bestimmen.
Art. 67. Die Frage über die Strafbarkeit wird in folgenden Formen gestellt:
da der Angeklagte gemäß der Erklärung der Geschwornen den und den Strafen
verfallen kann:
„ Welche ist unter diesen Strafen diejenige, die angewandt werden soll?
Welche Dauer soll diese Strafe haben?“
Art. 68. Die Frage über den Schadenersatz wird in folgenden Formen
gestellt:
„ Ist der und der Partei Schadenersatz zu leisten? Welches ist der Betrag
dieses Schadenersatzes?“
Art. 69. Die Geschwornen ziehen sich zum zweiten Mal in das Berathungszimmer
zurück. Sie berathen zuerst über die Strafe, indem sie das Maximum derselben
als Ausgangspunkt nehmen und allmählig, wenn es angeht, zum Minimum
hinabsteigen. Bleibt die Majorität auf keiner Stufe der Strafleiter stehen,
so wird das Minimum von Rechtswegen angewendet. ‒ Hierauf berathen sie über
die Anträge auf Schadenersatz.
Art. 70. Die Verlesung dieser zweiten Erklärung geschieht in denselben Formen
wie die erste. Der Präsident läßt darauf den Angeklagten vorführen; der
Gerichtsschreiber verliest in seiner Gegenwart die beiden Erklärungen und
der Präsident verkündet das Urtheil.
(Schluß folgt.)