Französische Republik.
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[17] Paris, 15. Juli.
Es ist merkwürdig anzuhören wie die Leute jetzt hier vom „Untergange der
menschlichen Gesellschaft“ sprechen, dem die Juniemeute zugesteuert habe.
Das Wort „Societät“ war gewiß der Mehrzahl dieser Heuler bisher nur gäng und
gäbe wenn man Sonntags en bonne société auf der Eisenbahn rutschte, oder um
die Ecke schlüpfte um unter vier Augen in einem Kabinet de société mit
seiner Lorette zu speisen. Diese naive Bedeutung des Worts ist schrecklich
verändert. In jedem Tabacksladen, in jeder Weinschenk hört man jetzt
predigen und Gott danken daß die grande société humaine noch besteht. Sehr
unangenehm wird die Nachbarschaft der „rebellischen Faubourgs“, d. h. der
größern, produktiven Hälfte von Paris. Es bleibt nichts übrig als dieselben
wie eroberte Ortschaften mit Truppen besetzt zu halten, mit neuen Kasernen
und Batterieen zu verschönern, und die Einwohner auf immer der Waffen zu
berauben. Ich bin begierig auf das neue Nationalgardenreglement. Sehr viele
scheiden freiwillig aus den Kompagnien aus, unter vorgeschützter Krankheit;
die Wachstube ist unerträglich geworden, ja geradezu gefährlich. Einer
meiner Freunde erregte einen wahren Sturm als er dort die „Gazette des
Tribunaux“ vorlas, welche bestätigt daß von den ersten
siebentausend verhörten Gefangenen nur hundert entlassene Sträflinge und
darunter nur drei und vierzig Galerensträflinge sind. Die Wachstube
ward wüthend als er hieraus schloß die Insurgenten seien Ouvriers gewesen;
obschon sogar der Chef der Executive auf der Tribüne am 3. Juli sagte: „Wir
müssen gestehen, es waren die Arbeiter der Nationalateliers, die man schloß;
und würde man ihnen nicht noch eine Geldsubvention gewähren, sie wären im Stande wieder zu insurgiren.“ ‒ Man verlegt
die Fabrik der Gobelinstapeten nach Versailles lediglich um die Arbeiter zu
entfernen. Man giebt den Hungerleidern zwar Bons für Brod und Fleisch und
Gemüse (mitunter auch nicht) allein sie haben keinen Heller für Kohlen, Salz
und Butter, und erkranken durch diese unverdauliche Speise. Vorgestern
Nachts zerstreuten die Patrouillen in der Rue Mouffetard eine Schaar
verzweifelter Männer und Weiber die schon eine Barrikade halb aufgebaut, und
mußten sich zurufen hören: „schlagt uns nur lieber kurzweg todt, ihr Herren
Bourgeois, wir sind satt des Hungerns und Arbeit wollt ihr uns ja nicht
geben.“ Das Geplauder der siegreichen Blätter über Aufblühen der
Privatindustrie am Kanal St. Martin erweist sich als Prahlerei; bloß zwei Dampfmaschinen haben dort seit dem Juni wieder
begonnen, und nicht zwölf wie es hieß. ‒ Uebrigens
ist die Haltung der Anhänger von Henri V. merkwürdig, ihre „Gazette du Midi“
sagt: „wir können ruhiger zusehen als die mit Meineid und Gelddurst
befleckten Philippisten, denen ohnehin die religiöse, heroische Ergebung
mangelt welche nie den echten Ritter von Ehre
verläßt; wir haben achtzehn Jahre geharrt, wir wollen jetzt die Personagen
der dynastischen Kammermehrheit am Spieltisch lassen, ihnen hie und da
weisen Rath geben gegen die gottesfrevlerische Wühlerei, diese gemeinsame
Feindin, aber kompromittiren wird sich Niemand aus unserer heiligen Phalanx'
u. s. w. Darauf folgen dann bittersüße Phrasen voll Anerkennung der Talente
und Ordnungsliebe der Herren Barrot, Thiers und Dupin. Andere
Legitimistenjournale beschenken die Welt mit Vorschlägen zur
Arbeitsorganisirung. Pater Lacordaire, der Dominikaner, erklärt in seinem
Journal: „Ere nouvelle“, er habe seinen Abschied eingereicht als
Volksvertreter weil er sich nicht kräftig genug fühlte, dem nahenden Bürger-
und Gesellschaftskriege einen Damm zu setzen; schon im April sah er voraus
was der Juni gebracht. Die großen Landbesitzer unterstützen dies Blatt, „das
Univers und die Gazzette.“ Wie könnte, ruft letztere, der Handel besser wieder
emporkommen als wenn alle diese zahlreichen und nobeln Familien Zutrauen
faßten und ihre Gelder wieder wie unter Louis XVIII. und Karl X. auf den
Markt würfen? aber sie können nicht heiter in die Zukunft schauen so lange
nicht die Republik eine einzige Familie mit der Vollziehungsgewalt erblich
belehnt hat.“ u. s. w. Die Arbeiter in den Fabrikorten sind jetzt überall in
Gährung; selbst mitten im frommen Vendeerlande zu Chollet, wo zehn
Manufakturen in Linnen ein starkes Proletariat erzeugt haben, sprach man von
der Nothwendigkeit das Joch abzuwerfen; und die zwei Industriellen zu
züchtigen welche letzthin krepirtes Rindvieh zu billigen Preisen an die
Arbeiter verkauft und dadurch vierzig Mann vergiftet hatten. Der Marquis
Colbert, aus dem Stamm des großen Colbert, wendete den seinem Schloß
zugedachten Besuch der Bauern, durch ein Geschenk von 10,000 Franken ab.
Beiläufig viertausend sind bis jetzt aus den Nationalateliers anderweitig
beschäftigt, z. B. für die Eisenbahn von Angouleme; das geschieht aber so
absichtlich dumm daß bereits dies pariser Corps von dem dort arbeitenden
Provinzialkorps mit blutigen Köpfen empfangen ward und die Bourgeoisgarde
ausrücken mußte; es gilt natürlich jetzt kein Mittelchen unbenutzt zu lassen
um Zwist in die Ouvriers von Frankreich zu streuen. Dazu bietet das leider
noch in allen Provinzen bestehende alte Compagnonssystem köstlichen Anlaß;
man jetzt hetzt z. B. bei Angers die „Sublimes“ gegen die „Souverains“,
beides Erdarbeiter. ‒ In Lyon ist die Polizei der Reaktion zu schwach um
eine Emeute zu erzeugen, aber um sich zu rächen entwaffnet sie jetzt alle
Nationalgardisten daselbst die nicht schon vor dem Februar eingeschrieben
gewesen; das dortige M litär behauptete, in Paris seien zwanzig Generale von
den „Räubern“ lebendig geschunden und verbrannt worden, dafür würde es jetzt
in Lyon Strafe setzen. Das Militär glaubt noch immer jede Sylbe des
Offiziers, n Paris fragte das 3. Bataillon des 42. Reg. was die Insurgenten
mit „republipue sociale“ sagen wollten? und bekam vom Major den Bescheid:
das heiße Blut saufen und plündern ‒ Schnell kehrten die welche schon bei
dem Zuruf der Barrikaden vive la republique démocratique den Kolben nach
oben gestellt hatten, jetzt ihn wieder um und gaben keinen Pardon. Dies ist
historisch.
Die Nationalgarde von Batignolles (Paris) hat gestern in ihrer blinden Wuth
wieder zwei Proletarierinnen gefährlich verwundet, die Abends in einem
Kornfelde saßen und der tapfern Patrouille Aehnlichkeit mit Insurgenten zu
haben schienen; eine soll bereits im Spital verstorben sein. Zwei
Polizeikommissäre noch von Caussidiere eingesetzt und tüchtige
Klubpräsidenten, hat gestern die Reaktion arretirt. „L'avenier national“
schlägt etwas übereilt die Trennung der Stadt in zwei Theile vor, vermöge
einer quer durchzuziehenden Scheidelinie, und danach in der östlichen Hälfte
mehrere Quartiersforts auf neu anzulegenden Plätzen. Das anmuthige „Siecle“
proponirt sogar „Modellhäuser“, zu deutsch Armenhäuser, worin die Miethe
nicht über zwei Prozent steigen dürfe, in jeder großen Straße der reichern
Stadttheile anzulegen, für 60 Familien jedes und unter Spezialaufsicht eines
Mildthätigkeitsbeamten.
Die tollste Angst trübt das Gemüth der Sieger; komische Gerüchte von
Unterminirung der Kasernen, Pulverfässern in den Katakomben, Brandstiften,
Giftauswerfen u. s. w. verdrehen dem Bauer nicht allein sondern auch dem
pariser Ladenmann das Gehirn vollends. Nicht selten stürzen die
Nationalgardisten bis ins Dachstübchen eines Hauses in „verdächtigen“
Stadtheilen, weil sie Funken Herauskommen gesehen; man findet ein
Dienstmädchen welches ihre Wäsche trocknet, oder den Wiederschein des Mondes
auf die Scheiben. Die Finanzen der „guten Stadt Paris“ sind nicht minder
zerrüttet; Marrast schreibt eine Anleihe von 25 Mill. aus um die
hunderttausend Uniformen armer Nationalgardisten zu bezahlen, und die Straße
Rivoli bis zum Hotel de Ville zu verlängern.
Der ganz reaktionäre Dichter Viktor Hugo, dessen Selbstanpreisung zur
Kammerwahl auf den Mauern nur durch die des Arztes Piorry an albernem
Bombast übertroffen ward, ist, wie sich jetzt findet, ernstlich vom Volk am
24. Juni gesucht worden; es durchstöberte sein Haus im Marais und rief: „Wo
ist der verrätherische Poet?“
‒ Wie man weiß, ward die letzte Nummer des peuple konstituant, deren
Hauptredakteur Lamennais ist, mit Beschlag gelegt. Lamennais verlangte von
der Nationalversammlung, daß sie den Staatsprokurator autorisire, ihn, statt
des Geranten zu verfolgen. Die Bitte wurde abgelehnt; Lamennais hat deßhalb
folgendes Schreiben an den Justizminister gerichtet:
Bürger Minister!
Ich habe heute an den Präsidenten der Nationalversammlung einen Brief
geschrieben, dessen Abschrift ich Ihnen hiermit mittheile. Er lautet:
„Bürger Präsident! Wenige Tage bevor der „peuple constituant“ zu erscheinen
aufhörte, wurde, der alten Preßgesetzgebung gemäß, die Unterschrift eines
Geranten gefordert, und von den beim Journal Beschäftigten erbot sich
Jemand, provisosorisch in dieser Eigenschaft zu zeichnen. Bald nachher wurde
die letzte Nummer des „peuple constituant“ mit Beschlag belegt und der
provisorische Gerant ist heute geladen, vor dem Instruktionsrichter zu
erscheinen. Der inkriminirte Artikel ist von mir verfaßt und unterzeichnet,
es wäre also im äußersten Grade unbillig, einen andern als mich dafür
verantwortlich zu machen. Demnach verlange ich, daß die Nationalversammlung
sofort Autorisation ertheile zu Verfolgungen gegen mich, die ohne offenbare
Ungerechtigkeit gegen keinen andern gerichtet werden könnten.“
Die Versammlung hat mein Gesuch abgelehnt, weil sich Niemand selber
denunziren könne. Sie hat nicht berücksichtigen wollen, daß der Artikel von
mir gezeichnet ist, also über dessen wahren Verfasser kein Zweifel existiren
kann.
Inzwischen verfolgt man auf diesen Artikel hin einen Mann, der, wie ich
hiermit erkläre, demselben gänzlich fremd ist, der ihn nicht einmal gelesen
haben kann; denn ich lege Niemanden, wer es auch sei, vor, was ich schreibe
und zeichne.
Der blose Gedanke einer solchen Unbilligkeit ist empörend. Sie, Bürger
Minister, können sie wieder gut machen, wenn Sie von der Nationalversammlung
die Autorisation erlangen, mich, den wahren Urheber des Vergehens, zu
verfolgen. Es ist unmöglich, daß dieses Gesuch, von Ihnen gestellt, von mir
unterstützt, nicht sofort bewilligt werde.
Es handelt sich um einen in jeder Hinsicht Unschuldigen, der sehr mit Unrecht
statt meiner angeklagt wird; der Minister der Gerechtigkeit wird keinen Augenblick bestehen, meinem Verlangen
Recht widerfahren zu lassen.
‒ Hr. Outrebon, ehemaliger Notar in Paris, ist heute vor dem
Zucht-Polizeigericht der Seine (6. Kammer) Vorsitz des Hrn. Lepelletier
d'Aulnay, erschienen, unter der Anklage das Zutrauen mißbraucht zu haben. Er
hat als Beistand den Hrn. Mahon, ehemaligen Substituten bei dem Gericht
erster Instanz des Seine-Departements. Aus den Nachsuchungen ist
hervorgegangen, daß seit dem Jahre 1828 bis 1847, Hr. Outrebon zum Nachtheil
seiner Clienten die Summe von zwei Millionen 152,697 Franken zu anderen
Zwecken verwendet hat. Der Angeklagte hat industrielle Spekulationen
getrieben; er hat liegende Güter gekauft, als er schon um eine Million unter
seinen Geschäften stand. Ein Haus in der Straße de la Roquette, und Matten
zu Rumilly haben ihn wenigstens 100,000 Fr. gekostet.
Seine eigene Haushaltung ist mit Luxus geführt worden, Hr. Outrebon hat die
Ausgabe dafür auf 30 bis 40,000 Fr. jährlich angeschlagen, das heißt auf
drei Viertel des Einkommens seiner Schreibstube, endlich galt er für einen
großen Spieler. Um nun den immer größer werdenden Bedürfnissen zu
entsprechen, scheute er sich nicht, diejenigen Gelder anzuwenden, welche ihm
von seinen Clienten anvertraut wurden, die er entweder für
Renteneinschreibungen auf den Staat, oder für hypothekarische Anlegungen
verwenden sollte. Es ist zu vermuthen, daß ohne das Einschreiten der
Gerechtigkeit er noch einige Zeit so fortgefahren hätte, obgleich er keine
Hoffnung mehr haben konnte sich wieder zu erholen.
Der Angeschuldigte hat von Anfang der Instruktion an, die vollständigsten
Geständnisse gemacht.
Die Audienz wurde zur Abhörung der ein und dreißig Zeugen, worunter die
Herren von Fontenay, de la Tour-Duffint und von Turgot sich befinden,
gewidmet.
Morgen werden die Vertheidigungsreden beginnen.
Wir lesen in der Reforme:
„Die Ligue der Royalisten aller Regimes, aller Branchen ist offenkundig.
Jeder Tag bringt uns einen neuen Beweis, eine neue Offenbarung jener
schändlichen Manövers, die in Anwendung gebracht werden.
„Vor einigen Tagen noch hatte man im Departement Isère das Gerücht
verbreitet, daß in Lyon die Soldaten in die Rhone geworfen und ihre
Offiziere getödtet würden. Die Soldaten von diesem Departement drangen daher
plötzlich in Lyon ein und waren sehr erstaunt, als sie sahen, daß man ihren
Kameraden nichts zu Leide that.
„Die Lyoner Arbeiter setzen allen Aufreizungen, allen Verlockungen die größte
Mäßigung entgegen. Alle Intriguen scheitern an ihrer Klugheit. Und dennoch
erreicht jetzt die Reaktion durch Gewalt das, was sie durch ihre Intriguen
nicht hat erlangen können. Sie wollte eine allgemeine Entwaffnung der
Nationalgarde von Lyon und diese ist jetzt im Werke.
Die bloße Ankündigung dieser Maßregel hat alle Welt in Staunen gesetzt.
Vergebens sucht man nach einem erheblichen Grunde zu diesem Gewaltstreiche:
denn ungeachtet aller Intriguen und Aufwiegelungen hat sich nicht das
geringste Symptom einer Ruhestörung gezeigt.
„Die Deputirten der Rhone wollen, wie man versichert, die exekutive Gewalt
hinsichtlich dieser Entwaffnung der Lyoner Bürger interpelliren.
In den Bureaux fährt man mit großer Lebhaftigkeit fort, den
Konstitutionsentwurf zu besprechen. Zwei Systeme stehen sich vorzugsweise
gegenüber. Die Wahl des Präsidenten der Republik durch das ganze Volk
mittelst direkter Wahl oder blos durch die konstituirende Versammlung.
„Die Einheit,“ sagte Cormenin, „ist die einzige für uns mögliche Form. Wir
Franzosen haben einmal einen Widerwillen gegen alles zusammengesetzte,
komplicirte Räderwerk. Man begreift uns, weil wir einfach sind, und das
Einfache überhaupt dasjenige ist, was allen andern Völkern, selbst
denjenigen, die unsre Sprache nicht verstehen, zugänglich, verständlich
ist.
Z. B. Sobald das ganze französische Volk sich erhoben hat wie ein Mann, und
gesprochen: ich bin der Souverän, der einzige Souverän, sind alle andern
Völker, die bisher dem Despotismus zu Füßen lagen, stutzig geworden, und
dachten: Und wir dann, warum sollten wir nicht auch Souverän sein?
Die Souveränetät des Volkes, das ist seine Einheit und deshalb habe ich
folgende fünf Prinzipien adoptirt:
1) Die Souveränetät beruht in der Universalität aller Bürger; sie ist
unveräußerlich.
2) Frankreich ist eine demokratische Republik, ein und untheilbar.
4) Das Stimmrecht ist direkt und allgemein.
5) Das französische Volk delegirt die exekutive Gewalt einem Mitbürger, der
den Titel des Präsidenten annimmt.
Diejenigen, welche für die Wahl des Präsidenten durch die konstituirende
Versammlung sich aussprechen, haben die Majorität in zwei Bureaux erhalten.
Sie heben namentlich hervor, daß in den jetzigen Umständen die allgemeine
Wahl wiederum alle Intriguen in Bewegung setzen würde. Als Vertheidiger
dieses Systems tritt Leon Faucher auf.