Französische Republik.
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] Paris, 13. Juli.
Wenn man tagtäglich mehr sieht, wie nahe die Bourgeoisie Frankreich's ihrem
Untergange war, und wie sie ihr Heil dem bloßen Zufalle nur verdankt, dann
versteht man erst ihre raffinirte Rache, wie sie ordentlich ärgerlich ist,
daß es nur ein Zufall war, der sie rettete, und wie sie bestrebt ist, sich
gegen alle Zufälligkeiten der Art zu schützen, indem sie neben jedem Ouvrier
eine Schildwache aufstellt. Alle mißfälligen Arbeiter werden aus den
Ateliers entlassen, und so hat jetzt die nördliche Eisenbahn's Compagnie von
1300 Ouvriers 1100 verabschiedet, um andere an ihre Stelle zu setzen. Es ist
dies die Rothschild'sche Bahn, jene Bahn, die schon so viel Unheil
angerichtet durch ihre erbärmlichen Knickereien, und deren Chef, Rothschild,
ein zweiter Cavaignac, sich jetzt ein neues Regiment bildet von treuen, ihm
ergebenen Angestellten und Arbeitern.
Der Gegensatz von Proletariat und Bourgeoisie tritt in seiner ganzen
Nacktheit auf. „Unsere Kapitalisten,“ sagt der Volksrepräsentant Joigneaux
in einem Briefe an die Reforme, „verlangen im Einverständnisse mit den
Advokaten, gerade das Gegentheil von dem, was unsern Bauern und Arbeitern
zuträglich wäre. Diese letztern, welche auf Ankauf der Eisenbahnen vom
Staate, und auf Abschaffung der Steuer von 45 Centimes dringen, gelten für
Kommunisten. Die Republik hat zwischen den Geldmännern und den
Arbeitsmännern zu wählen.“
„Sie rettet sich, wenn sie das Glück von 30 Millionen Seelen machen will.
Sie geht unter, wenn sie länger sich zum unterthänigsten Diener der Juden
unserer Zeit macht.“
Um nun auf die nahe Gefahr zurückzukommen, in welcher die Aktien, Wechsel,
Fonds etc. der Rothschilde und seiner Genossen schwebten, so giebt uns
darüber das Journal de Rouen, das Organ des frühern Präsidenten der
Nationalkammer, Hrn. Senard, merkwürdige Aufschlüsse. Im Maße nämlich, als
die Truppen vor der siegreichen Insurrektion zurückwichen, sollten sie sich
zusammenziehn um die Nationalversammlung, und derselben zur Eskorte dienen
bei der projectirten Auswanderung in eine Provinzialstadt. Diese Maßregeln
waren von der schon athemlos gewordenen Versammlung gebilligt. Die Macht der
exekutiven Gewalt war dadurch schon bereits sehr geschwächt, während die des
Generals Cavaignac, dem Senard als Präsident, das Oberkommando übergeben
hatte, in demselben Maße zunahm. Zudem erklärte Letzterer, daß er in diesem
seinem Kommando in keiner Weise genirt sein wolle, und so war es natürlich,
daß mit zunehmender Gefahr der General zur Diktatur gelangen mußte, wie
dieses den andern Tag Statt hatte.
Das neue Preßgesetz über die Kaution der Journale, welches die Presse in die
Hände der Bourgeoisie spielt, mußte natürlich den Beifall aller sogenannten
konstitutionellen Journale haben, d. h. der Partei des Hrn. Thiers. Der
National protestirt dagegen, ebenso wie die Reform.
‒ Der durch den Tod Chateaubriand's erledigte Sitz in der Akademie soll
einstimmig dem Volksdichter Béranger angeboten werden.
‒ Hr. Demidoff ist bekanntlich einer der reichsten Minenbesitzer Rußlands.
Während der Juni-Ereignisse nun war eine Menge Gold von London aus nach
Paris an seine Adresse expedirt worden, und die französischen Journale
kommentirten verschiedentlich den Umstand, daß, während französisches Blut
in den Straßen floß, moskowitisches Gold massenhaft in den Bureaus und
Comptoirs cirkulirte. Herr Demidoff protestirt heute von San Donato, bei
Florenz, gegen eine etwaige Verdächtigung.
‒ Die Eigenthümer der „Presse“ haben folgende Protestation gegen die
Unterdrückung des Journals erlassen:
1) Die Eigenthümer der „Presse“ weisen von sich die Gleichstellung dieses
Journals mit elf andern Journalen, wie es im Moniteur vom 27. Juni
geschehen.
2) Alle diese Journale erscheinen mit Uebertretung derjenigen Preßgesetze,
welche als nicht abgeschafft, im Moniteur vom 23. Juni und 7. Juli
aufgeführt sind. Die „Presse“ dagegen hatte, den Bestimmungen des Gesetzes
gemäß, eine Kaution in den öffentlichen Schatz niedergelegt.
Die Eigenthümer der „Presse“ protestiren daher laut und formel gegen diese
Analogie; sie protestiren ebenfalls gegen die Anlegung der Siegel auf das
Druckmaterial, welche Maaßregel am 25 Juni vorgenommen wurde, und noch
heute, am 8 Juli, fortbesteht.
3. Die von dem Chef der exekutiven Gewalt verordnete Untedrückung kann durch
keinen Text des Gesetzes gerechtfertigt werden.
„Weder von der Restaurationszeit her noch unter den Gesetzen von den Jahren
1819, 1822 und 1828 findet sich eine einzige Bestimmung, weiche die
Unterdrückung eines Journals autorisirt, sollte dieses Journal sogar von der
Justiz verurtheilt worden sein.
„Die Septembergesetze, welche die Republik als mit der Preßfreiheit und dem
republikanischen Prinzip im Widerspruche stehend, abgeschafft hat, diese
Septembergesetze selbst geben keinem Tribunale das Recht, die Unterdrückung
eines Journals auszusprechen. Sie gestehn nur dem Gerichte das Recht zu, ein
Journal auf höchstens 4 Monate zu suspendiren, und dann nur, wenn selbst der
Gerant eine Verurtheilung wegen Verbrechen erlitten hat.
4) Die von der exekutiven Gewalt getroffene Maßregel fügt der „Presse“ den
größten Schaden zu.
Von den 70,000 Abonnenten der Presse, haben wenigstens 15,000 schon, deren
Abonnement den 30. Juni zu Ende ging, sich auf andere Journale abonniren
müssen.
Unter den 6 bis 7000 Abonnenten, deren Abonnement den 15. Juli zu Ende geht,
findet sich eine große Anzahl, die sich bereits auf andere Journale abonnirt
hat oder noch abonniren wird, um mit den Tagesbegebenheiten nicht
zurückzubleiben.
30,000 Abonnenten sind wenigstens der „Presse“ durch die Maßregel der
provisorischen Regierung entrissen worden. Von diesen 30,000 Abonnenten
hätte die „Presse“ unmittelbar wenigstens 300,000 Fr. bezogen; auf's Jahr
durch berechnet beläuft sich der Verlust über eine Million.
„Der Werth des Eigenthums der Presse findet sich daher beträchtlich
deprezirt.
5) „Das Interesse der vielen Familien, die durch ihre Beschäftigung an der
Presse ihr Leben gewinnen, kommt ebenfalls bei unserer Protestation in
Betracht.
„20 Redakteurs, 25 Angestellte in den Büreaus, 70 Setzer und Korrekteurs, 20
Mechaniker, 60 Träger, 64 Falzerinnen, 500 Austräger finden sich heute ohne
Brod, und erwarten mit Ungeduld die Zurücknahme einer Maßregel, die sie
ihrer Existenzmittel beraubt.
„Der öffentliche Staatsschatz verliert dadurch 2200 Fr. täglich, und die
Papier- und Dintefabrikanten, so wie die Schriftgießer verlieren ungefähr
4000 Fr. täglich.
De Jouvenel, Präsident. Labot, Sekretär.
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‒ Nationalversammlung. Sitzung vom 13. Juli.
‒ Lacrosse, Vizepräsident, präsidirt. Auf der
Tagesordnung befindet sich der Gesetzentwurf, wonach die Häuser, deren Bau
vor dem 1. Juli 1849 begonnen wird, während 8 Jahren steuerfrei sein
werden.
Mortimer Ternaux verlangt 15 Jahre Steuerfreiheit,
aber nur für die Häuser, die auch im Jahr 1849 vollendet sein werden. Er
schlägt ein hierauf bezügliches Amendement vvr.
Goudchaux, Finanzminister, schlägt als Amendement
vor, die gewöhnlichen Häuser 10 und die für Arbeiter bestimmten Häuser 12
Jahre von der Grund-, Fenster- und Thürsteuer auszunehmen.
Das ganze Dekret wird nach einigem Hin- und Herreden mit geringen
Modifikationen angenommen.
Der von Senard, Minister des Innern, vorgelegte
Dekretentwurf, die Stadt Paris zu einer Anleihe von 25 Millionen zu
autorisiren, auf dem Weg freiwilliger Anleihn, wird an die Kommission für
Departemental- und Kommunal-Angelegenheiten verwiesen. Ein anderer von Senard vorgelegter Dekretentwurf, der die Stadt
Dieppe zum Eingehn einer in sieben Jahren abtragbaren Schuld von 78.000 Fr.
autorisirt, wird votirt und unmittelbar angenommen. Die Sitzung wird um 6
Uhr aufgehoben.