Deutschland.
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[19] Köln, 17. Juli.
(Forts. des Artikels in Nr. 41). Ueber den Zustand des zertretenen, mit Mord
und Brand überzogenen Landes gibt der Bericht eines Deutschen Aufschluß,
dessen Original unter den Akten des Staatsministeriums zu Berlin liegt.
„Jeder neue Tag bringt in dem Großherzogthum neue Greuelscenen und
Gewaltthaten. Es gibt hier keine Civilgewalt mehr; das Militärkommando zu
Posen regiert das Land. Ein Martialgesetz ist nicht publizirt,
dessenungeachtet durchziehen militärische Horden alle Kreise und üben die
empörendste Gewalt gegen das Volk. Alle Deutsche und sogar die Juden werden
bewaffnet; der polni schen Bevölkerung nimmt man Alles, was nur einer Waffe
ähnlich sieht, sogar Taschenmesser, und die Soldateska mißhandelt dabei die
unglücklichen Bauern auf die grausamste Weise … Während man dem Volke sagt,
der polnische Adel wolle dasselbe nur wieder knechten, wird dies verrathene
Volk wehrlos niedergeschossen, mit 50 bis 60 Säbelhieben langsam todt
geschlagen … Kein Gesetz und keine Gerechtigkeit mehr für den Polen. Und
warum? Weil er das begehrt, was heutzutage alle Völker
begehren: Freiheit und Gerechtigkeit; weil er demjenigen Zustande
auf legalem Wege nachstrebt, welcher ‒ aber nach blutigen Kämpfen ‒ in der
Hauptstadt Ein königl. hochpreisliches Staatsministerium selbst an's
Staatsruder gebracht hat … Es ist möglich, vielleicht wahrscheinlich, daß
das Militär mit Hülfe der bewaffneten Deutschen und Juden über die gänzlich
entwaffnete polnische Bevölkerung die Oberhand gewinnt: aber die
Verzweiflung gibt auch den Unbewaffneten eine mehr als menschliche Kraft.
Dann wird es ein Abschlachten von Menschenmassen jeden Alters und jeden
Geschlechts. Will das königl. Ministerium die Verantwortlichkeit hierfür
übernehmen? Will dasselbe die Vernichtung der polnischen Stämme mit Gewalt
hervorrufen?“
Das hochpreisliche Ministerium Camphausen-Auerswald antwortete auf diese
Interpellation ebensowenig, wie auf die Berichte des Erzbischofs, welcher
zuletzt sich weigerte, das Volk mit der Hoffnung einer bessern Zukunft zu
trösten, da diese Hoffnung jedem Polen abgeschnitten werde.
Die Führer der Polen, denen selbst die Bekanntmachung des Kommissarius vom
17. April das Zeugniß gibt, daß sie im Vertrauen auf die königl.
Verheißungen mit Gefahr ihres Lebens die Entwaffnung der Massen ins Werk
setzten, versuchten noch einmal, in Berlin Gehör zu verlangen. Ihre
Abgeordneten richteten an den Minister des Innern eine ausführliche
Denkschrift über die Zustände des Landes und verlangten über die
Dringlichkeit der ihnen längst verheißenen Maßregeln eine Privataudienz.
Der Herr Minister antwortete ihnen nicht.
Auf ihre wiederholten Vorstellungen wegen Gefahr im Verzug, ertheilte ihnen
zuletzt der Minister der bürgerfreundlichen Vermittlung den Rath, sich an
den General Willisen, den königl. Reorganisationskommissarius zu wenden, an
den Mann, welcher eben nach Berlin gekommen, weil er dem Treiben der
fanatisirten Soldateska gegenüber völlig ohnmächtig war.
Man sieht, wie Hr. Auerswald durch die Revolution zur Vermittlung
zugeschliffen war; das tapfere preußische Heer schlug die wehrlosen Polen
einzeln mit Säbeln und Ladestöcken todt, Herr Auerswald klopfte ihnen blos
mit schäkerndem Spott die Schulter.
Als die Deputation unerachtet der verweigerten Annahme dem Minister sich
vorzustellen wußte, versicherte Hr. Auerswald, daß ihre Wünsche über
Zerstreuung des Mißtrauens gegen das preußische Gouvernement bereits erfüllt
seien; der General Colomb habe Befehl erhalten, den Belagerungszustand von
Posen aufzuheben, preußische Garnisonen nur an den Orten, wo sie verlangt
würden, zu lassen, und keine militärische Maßregel ohne ausdrückliche
Aufforderung der obersten Civilbehörde zu ergreifen.
Drei Tage nach dieser Versicherung erschien die königl. Kabinetsordre vom 26.
April über die zweite Theilung Polens, wonach 22
Kreise von Polen abgerissen und die Verheißungen der Reorganisation auf 4
und 2/4 Kreise beschränkt wurden. Die Polen konnten jetzt allerdings mit der
Ueberzeugung von dannen gehen, daß Niemand mehr in dem ganzen Großherzogthum
über die Absichten der preußischen Staatsregierung im Zweifel sein werde;
alle Erwartungen von der verheißenen Reorganisation waren systematisch
getäuscht worden, um das Land wehrlos dem Terrorismus des Säbels zu
überantworten.
Der General Colomb hatte unterdeß nicht gezögert, diese „nationale“
preußische Organisation praktisch „anzubahnen“.
Von den angeblichen Befehlen des Ministers Auerswald, war keiner ausgeführt.
Der Belagerungszustand von Posen, der ohne die geringste Veranlassung
beliebt worden, war nicht aufgehoben; die militärischen Maßregeln, obgleich
auch die Kabinetsordre die Pacifikation für beendigt erklärte, wurden nicht
sistirt; und auf die polnischen Cadres wurde gegen die Zustimmung der
Civilbehörde am 29. ein offener Angriff gemacht. Die Cadres der Stadt Xiax
wurden am 29. April von dem General Colomb gestürmt, nachdem der General dem
Oberpräsidenten noch am 28. Abends das Versprechen gegeben, keinen
feindlichen Angriff auf dieselben zu machen.
Mit dieser Schlacht war der Beginn des allgemeinen Kriegs aussprochen. Hatten
bisher die mobilen Kolonnen, diese fliegenden Horden privilegirter Räuber,
den Mord und die Plünderung im Einzelnen geübt, so wurde jetzt das ganze
Land in den Schauplatz eines organisirten Vertilgungskrieges verwandelt. Die
in Miloslaw befindlichen Cadres, welche sich nach der Konvention in voller
Sicherheit glauben mußten, wurden von einer Heeresmacht von 6-7000 Mann
überfallen; aber während des Kampfes durch die von Neustadt und Pleschen
herbeigeeilten Cadres bis gegen 3000 Mann verstärkt, trugen die zur
Verzweiflung getriebenen Polen einen blutigen Sieg über den an Zahl und
Bewaffnung ihnen überlegenen Feind davon. In einer dritten Schlacht bei
Wreschen war es bloß der Uebereilung der Polen, welche zu früh aus dem Walde
losbrachen, zuzuschreiben, wenn sie den preußischen Truppen nicht eine
ähnliche Züchtigung bereiteten und sie gänzlich aufrieben. Die polnischen
Führer schlossen bei Bardo eine Kapitulation mit dem General Wedell, der
indeß nur wenige Bewaffnete im Lager vorfand: die polnischen Soldaten,
gewarnt durch den früheren Verrath der Preußen, zogen es vor, in kleinen
Haufen in die Wälder zu flüchten, wo sie sich allein vor den barbarischen
Schlächtereien ihrer Henker geschützt glauben.
Die christlich-germanische Soldateska offenbarte hier ihren Heldenmuth, indem
sie auf den Wegen die Christusbilder mit Säbeln in Stücke zerhackte,
Geistliche ermordete und verjagte, die Kirchen beraubte, die Häuser der
Polen überfiel, ausplünderte und in Brand steckte, die Männer verstümmelte,
die Frauen schändete und die Gefangenen mit Kolben und Ladstöcken
todtschlug.
Bei der Besetzung der Stadt Buk am 4. Mai, schleppten die Soldaten die
Einwohner aus den Häusern und erschossen sie auf der Straße, so u. A. den
Vikar Bielski, ‒ wie es später hieß: aus Versehen.
Am 5. Mai wurde in Pinne der Gutsbesitzer Milewski von 6 Soldaten ergriffen
und sofort auf der Straße erschossen.
Zu Znin erhielten drei Bürger auf offenem Markte im Beisein des General
Hirschfeld (von Shrapnells) 25 Peitschenhiebe, weil sie beim Abnehmen der
preußischen Adler behülflich gewesen.
Zu Ostrowo wurden ebenfalls auf offnem Markte mehrere Handwerker gepeitscht,
um ihnen das Geständniß abzulocken, ob sie Waffen versteckt hielten.
Auf dem Schlosse des Grafen Raczynski zu Rogalin drangen die braven Truppen
ein, um mit altpreußischem Vandalismus Möbel, Gemälde, Urkundensammlungen zu
zerstören, das Gut von Grund aus an Silberzeug, Pretiosen, Uhren, Geld und
Pfandbriefen auszuplündern und die Inwohner als Gefangene mit Kolben und
Ladstöcken zu mißhandeln.
Alle diese Ritterlichkeiten wurden verübt unter den Augen der Generale
Hirschfeld (von Shrapnells), Wedell, Steinäcker, Colomb; sie wurden verübt
unter der Verantwortlichkeit des bürgerfreundlichen Ministeriums der
Vermittelung, Camphausen-Auerswald.
Endlich auf die Kunde von den Schlachten von Miloslow und Wreschen wurde, was
die Polen vergebens vor dem Ausbruch des Kampfes erwartet und verlangt
hatten, mit „ausgedehnten Vollmachten“ ein Reorganisations-Kommissarius nach
dem Großherzogthum gesendet. Seine Vollmachten betrafen zwar nicht die
Anarchie und den mordwüthigen Terrorismus der Soldateska, wohl aber in desto
umfassenderer Weise das zu vollendende polnische Reorganisationswerk; auch
waren diese ausgedehnten Instruktionen nicht dem früheren Kommissarius,
sondern einem neuen Friedensboten in der Person des General Pfuel (v.
Höllenstein) ertheilt.
(Schluß folgt.)
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[*] Köln.
Wir beeilen uns folgendes contrerevolutionäre Aktenstück, die Magna-Charta
der Bürgervereine, konstitutionellen Vereine u. s. w. der Oeffentlichkeit zu
übergeben. Das Publikum wird sehen, wie die Tendenz den „republikanischen
und anarchischen Bestrebungen entgegenzuwirken“ nur die konventionelle Firma
einer Partei ist, die nach ihrer eignen Erklärung „sich
völlig unabhängig von der Krone und den jedesmaligen Rathgebern
derselben halten“ muß.
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Die Leiter der revolutionären Bewegung, welche seit drei Monaten sich des
größten Theils von Europa bemächtigt hat, und deren eigentliches Ziel noch
nicht klar ausgesprochen worden ist, haben sich zur Erreichung ihrer Zwecke
der verschiedenartigsten Mittel bedient, bei deren Auswahl die speziellen
politischen, kirchlichen und socialen Verhältnisse des betreffenden
Schauplatzes in genaue Berücksichtigung genommen wurden. Sie haben überall
die wundesten Stellen des socialen Organismus angegriffen, und sich
hierdurch der Mitwirkung von Klassen und Parteien zu erfreuen gehabt, welche
keineswegs gleichartige, jedenfalls nicht durchweg revolutionäre Tendenzen
verfolgten und dennoch, von Einer unsichtbaren Hand geleitet, unbewußt auf
dasselbe Ziel, den Umsturz des Bestehenden, hinarbeiteten. Scheinbare und
wirkliche Bedürfnisse, böse und edle Leidenschaften, vorgeschützte und
begründete Beschwerden, haben diesem Streben zur Stütze dienen müssen.
Nationale Sympathien und Antipathien, politische und materielle Interessen,
sociale und kirchliche Fragen sind als Hebel einer Umwälzung in Bewegung
gesetzt worden, welche durch eine Koalation sämmtlicher Unzufriedenen
unwiderstehlich werden mußte. Die Regierungen der meisten Länder mußten so
allseitigen, unerwarteten Angriffen um so sicherer unterliegen, als zum
Kampfplatze die großen Centralpunkte materieller und geistiger Kräfte
gewählt wurden, in welchen eine solche Koalation mit derjenigen
Schnelligkeit bewirkt werden konnte, welche einem stärkeren aber
unvorbereiteten Gegner gegenüber als die wesentlichste Bedingung des Sieges
erschien. Der letzter ist, wenigstens in Preußen, bis jetzt nur in jenen
Centralpunkten, in den größeren Städten errungen worden. Namentlich auf dem
platten Lande sind die Bestrebungen der revolutionären Partei bisher nur
vereinzelt, durch Ausbeutung einzelner krankhafter Zustände (z. B. der
gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse und der Lage der Leinenindustrie) oder
bei gewissen wichtigen Anlässen (z. B. den Wahlen) in Anwendung gebracht
worden. Im Allgemeinen hat sich das platte Land und der größere Theil der
kleineren Städte dem Einfluß der Hauptstädte entzogen, und die revolutionäre
Parte hat es für rathsam gehalten, vor der Hand nicht durch Ausdehnung ihrer
Operationen auf jenes viel weitere, aber ungleich schwerer auszubeutende
Feld die Kräfte zu zersplittern, deren sie zunächst in den Centralpunkten in
vollem Maaße bedurfte. Nachdem in den letzteren jedoch augenblicklich fast
jede Widerstandsfähigkeit geschwunden zu sein scheint, beginnt die
revolutionaire Partei bereits, ihre Eroberung auf die Provinzen auszudehnen,
und die Fäden zu befestigen und in genauere Verbindung zu bringen, welche
bisher nur ein dünnes, unzusammenhängendes Netz bildeten.
Dieser Versuch, dessen Gelingen die wesentlichsten Grundlagen des
gesellschaftlichen Lebens bedrohen, die Existenz des Staates selbst und die
Erhaltung des Eigenthums in Frage stellen würde, kann einer, meisterhaft
organisirten Partei gegenüber, von deren Thätigkeit, Umsicht und Kühnheit
bereits hinlängliche Proben vorliegen, nur dadurch vereitelt werden, daß
sich alle redlichen und entschlossenen Männer, welche die Herstellung einer
festen, rechtlichen Ordnung wünschen, „ohne Rücksicht auf die unter ihnen
obwaltenden, zur Zeit für unwesentlich zu
erachtenden Meinungs-Núancen.“ Angesichts der drohenden allgemeinen
Gefahr zu festen, gemeinsamen Wirken nach einem bestimmten Ziele hin
vereinigen.
Dieses Ziel kann mit Rücksicht auf den Standpunkt, welchen die Bewegung
bereits erreicht und rechtlich befestigt hat, nicht
anders bezeichnet werden, als durch die Tendenz:
republikanischen und anarchischen Bestrebungen
entgegenzuwirken;
mit andern Worten:
den positiven Rechtsboden, insbesondere also das Königthum in
der regierenden Dynastie mit der gesetzlichen Thronfolge und das Eigenthum
zu beschützen und zu befestigen.
Der Standpunkt, welcher diese Tendenz bezeichnet, ist bis jetzt noch
derjenige einer ungeheuern Majorität des preußischen Volkes. Wenn derselbe
dessenungeachtet gegenwärtig bedroht erscheint, so liegt der Grund hievon
darin, daß die konservativen Elemente, in Folge der,
durch die Krone legalisirten Umwälzung des positiven Staatsrechts ihres Bodens beraubt, sich in verschiedenen, zum
Theil unfruchtbaren Richtungen planlos zersplittert haben und des
Vereinigungpunktes entbehren, vermöge dessen allein das ihnen durch ihre
numerische Stärke, ihre materiellen Hülfsmittel und ihre geistige
Ueberlegenheit zustehende Uebergewicht wirksam ausgebeutet zu werden vermag.
‒ Derselbe Umstand hat die Hoffnung vereitelt, daß
die, zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung
mit der Krone zusammenberufene Versammlung einen solchen
Vereinigungspunkt bilden werde. Die Leiter der revolutionären
Partei waren zu thätig und gewandt, die aufrichtigen Freunde der Freiheit zu
besorgt vor einer Reaktion und zu befangen in den
Hoffnungen, welche sie an die Einführung des konstitutionellen Systems
knüpften, die Anhänger des alten Systems mit dem letztern
allzuverwachsen zu sehr entmuthigt und in der
öffentlichen Meinung zu weit aus dem Felde geschlagen, als daß ein solches
Resultat hätte erreicht werden können. Ist auch die Majorität der
Versammlung der oben ausgesprochenen Tendenz zugethan, so hat doch ihre
bisherige vierwöchentliche Wirksamkeit zur Genüge nachgewiesen, daß sie ohne
einen festen Stützpunkt von Außen jener Tendenz um so weniger eine
entschiedene Geltung zu verschaffen im Stande ist, als ihr eine, zwar wenige
eminente Talente zählende, aber konsequent geleitete Minorität
gegenübersteht, welche in terrorisirenden Pöbelmassen leicht mächtige
Bundesgenossen finden kann und diese bereits zur Hülfe gerufen zu haben
scheint. Daß die Sache des Königthums und des Gesetzes auf mehr talentvolle
Männer zählen kann, als auf diejenigen, welche ihr innerhalb der
vereinbarenden Versammlung zugethan sind, geht schon aus dem Umstande
unzweifelhaft hervor, daß in der letztern, welche an politischen Kapacitäten
ungleich ärmer ist, als der vereinigte Landtag, viele der begabtesten und
freisinnigsten Mitglieder des letztern fehlten. Es kommt also nur darauf an,
daß sich alle „Wohlgesinnten“ zu einer Partei vereinigen, welche die, oben
ausgesprochene Tendenz zu der ihrigen macht und derselben durch geordnetes
Zusammenwirken den Sieg zu verschaffen sucht. Eine solche Partei würde im
Wesentlichen nach folgenden Grundsätzen zu verfahren haben:
1) Dieselbe muß zunächst alle minder erheblichen Interessen denjenigen,
welche als Lebensbedingungen erscheinen, unterordnen und sich deshalb bis
zur Besiegung der gemeinschaftlichen Feinde, der Anarchie und der
republikanischen Propaganda, im eigenen Lager
aller
Streitigkeiten über die spezielle Form der monarchischen Verfassung
enthalten. Selbstredend können hierbei nur Verfassungsformen vorausgesetzt
werden, welche nicht allein dem Namen, sondern auch dem Wesen nach,
„monarchisch“ sind, und es würde daher z. B. das
Streben, eine Verfassung einzuführen, welche auf dem Einkammersystem beruhen
und dem Könige nur die
vollziehende Gewalt
überlassen, also die Republik unter monarchischen Formen verstecken sollte,
von der monarchischen Partei nicht unangegriffen gelassen werden können.
Unter dieser Voraussetzung müssen sich jedoch
alle
Bekenner des monarchischen Prinzips, sie mögen Anhänger des
ständischen oder des
konstitutionellen Systems, Angehörige der einen oder der andern
Glaubenspartei sein,
zu einem Kampfe gegen Anarchie und
Republik coalisiren. ‒ Durch eine solche Coalition wird keine jener
speziellen Richtungen präjudicirt, vielmehr liegt es in gleichem Interesse
aller, zunächst ihre wesentlichsten Fundamente, die Monarchie und die
Herrschaft des Gesetzes, sicher zu stellen,
indem erst
nach Gewinnung eines festen Rechtsbodens die Lösung der Frage, welches
Gebäude darauf zu errichten sei, eine befriedgende und unantastbare
Entscheidung finden kann. Hiernach dürfen sich die
Anhänger des gestürzten Systems um der Befriedigung
einer kleinlichen Rachsucht gegen ihre siegreichen Feinde willen, von dem
gemeinsamen Kampfe gegen die ungleich gefährlicheren Gegner nicht
ausschließen, welche ihr Grundprinzip bedrohen; wenn sie vielmehr sich mit
allen monarchisch Gesinnten zur Erhaltung und Befestigung der Monarchie
vereinigen,
[0212]
so werden sie eine bereitwillige Aufnahme bei
allen Verständigen der
konstitutionnellen Partei
finden, welche die Ungereimtheit der, von der revolutionären Partei
geschickt verbreiteten Gespensterfurcht vor einer, in der geschilderten
Weise unmöglichen und in der That kaum von irgend Jemanden geträumten
Reaktion, insofern darunter die Rückkehr zu
früheren, bereits ertödteten Rechtsverhältnissen verstanden wird, längst
einsehen, dagegen aber die Heillosigkeit des gegenwärtigen, mit dem Begriffe
von Freiheit völlig unverträglichen Zustandes und die Unabweisbarkeit des
Bedürfnisses anerkennen, eine faktische Befestigung der gesetzlich
verliehenen oder noch zu erwartenden Freiheiten durch Unterdrückung der
Anarchie und Pöbelherrschaft zu erstreben. ‒ Es wird demnächst die Aufgabe
beider Haupt-Fraktionen der monarchischen Partei sein,
die politisch Gleichgültigen, aber
für ihr
Eigenthum Besorgten über die, dem letzteren von den zügellosen
anarchischen Bestrebungen drohenden
Gefahren zu
belehren. Dies wird mit um so größerer Aussicht auf Erfolg geschehen, wenn
die monarchische Partei den Interessen der
besitzlosen
Klassen eine rege Theilnahme widmet und dieselbe wirksam bethätigt.
Diese zahlreichen Klassen der Bevölkerung sind bisher durch Bethörung und
Bestechung zu den mächtigsten Bundesgenossen der revolutionären Partei
gemacht worden. Die Führer und Emissaire der letzteren haben die Eigenthümer
und Arbeitgeber den Besitzlosen und Arbeitern als eine feindliche Klasse
gegenüber gestellt und diese hierdurch theils zum Angriffe gegen das
Eigenthum, theils zur Forderung erhöheten Lohnes gerade zu einer Zeit
verleitet, wo Vertrauen und Wohlstand durch eine heftige Umwälzung in ihren
Grundfesten erschüttert waren und Arbeitsunterbrechungen nur durch mäßige
Löhnung vermieden werden konnten. Rathlosigkeit und Mangel an Energie auf
Seiten der besitzenden Stände und der Regierung und das durch die
Vergangenheit zum Theil begründete Mißtrauen der arbeitenden Klassen gegen
jene, haben die Verfolgung jener verkehrten Richtung begünstigt, in Folge
deren Tausende von Arbeitern brodlos geworden und den demoralisirenden
Korruptionsversuchen der revolutionären Partei anheimgefallen sind. Die
letztere hat auf diesem Wege das Proletariat dem Elende preisgegeben und
zugleich in den physischen Kräften desselben eine mächtige Stütze gewonnen.
Die erhaltende Partei“
kann diese Bundesgenossen in
ihr Lager herüberziehen, indem sie sich die
Aufgabe stellt, die Interessen derselben zu den ihrigen zu machen, rathend
und belehrend auf sie einzuwirken, sich hierdurch ihr Vertrauen zu erwerben
und sie in Krisen, wie die gegenwärtige, durch direkte Unterstützung vor dem
Elende zu bewahren, welches sie in die Schlingen der revolutionären Partei
geworfen hat. ‒ Durch ein derartiges zeitweises Zusammenwirken aller
derjenigen Parteien und Volksklassen, deren wesentlichste Tendenzen und
Interessen mit denen der Monarchie und des Eigenthums identisch sind, kann
der revolutionären Partei eine Phalanx entgegengestellt werden, welche ihr
an Zahl, Talenten und materiellen Hülfsmitteln weit überlegen ist.
2) Aus den obigen einleitenden Bemerkungen ergiebt sich schon, daß die zu
vereinigende „erhaltende Partei“ nicht vorzugsweise die Hauptstadt des
Landes oder diejenigen der Provinzen, vielmehr zunächst die mittlern und
kleineren Städte, so wie das platte Land zum Schauplatz ihrer Thätigkeit
wählen, mit anderen Worten: nicht von den Centralpunkten
auf das platte Land zu wirken, sondern von diesem auf jene
zurückzuwirken suchen müsse. Denn es ist zwar die Wichtigkeit nicht
zu verkennen, welche den Hauptstädten in der, von
ihnen nun einmal besessenen und daher nicht ohne
Weiteres zu entziehenden Eigenschaft von Centren des politischen
Lebens beiwohnt. Gegenwärtig aber, wo dieses Terrain bereits von der
revolutionären Partei, wenigstens in so weit gewonnen worden ist, als
dieselbe über Massen gebietet, welche den, an einer festen, gesetzlichen
Ordnung hängenden Theil der Einwohnerschaft terrorisiren, ist es gerathener,
die Thätigkeit dem, noch nicht in demselben Umfange vergifteten Theile der,
Einschüchterungsversuchen weniger ausgesetzten Bevölkerung des platten
Landes und der kleineren Städte zuzuwenden. Dieser Weg ist für eine, die
Gewinnung eines festen Rechtsbodens erstrebende Partei um so angemessener,
als sich ein solcher voraussichtlich nur dadurch wird erhalten lassen, daß
vermöge freier Gemeinde-Verfassungen und möglichster
Unabhängigkeit der Kommunen von der in unruhigen
Zeiten den Einwirkungen der Bevölkerung der Hauptstadt ausgesetzten
Statsgewalt das Land einer wahrhaften Freiheit theilhaftig wird,
und als es daher für die Zukunft wichtig ist, schon jetzt den Boden für
desfallsige Einrichtungen empfänglich zu machen.
Ueberdies sind die Städte, welche ihre ersten Lebensbedürfnisse vom Lande
beziehen, von dem letzteren abhängiger, als dieses von jenen, und es kann
daher eine Rückwirkung der Gesinnungen der Provinzen auf das Treiben in der
Hauptstadt nicht ausbleiben. Ist daher dieser Weg zur Bildung einer
mächtigen Partei auch langsamer, als der der unmittelbaren Einwirkung auf
die Pöbelmassen der Hauptstädte, so führt er doch schließlich zu demselben
Ziele und zwar werden dabei nicht allein sichere
Mittel angewendet, sondern es wird auch diejenige Rücksicht auf die künftige Errichtung eines dauerhaften Baues
beobachtet, welche auflösenden Parteien fremd, für eine konservative Partei
aber gebieterische Pflicht ist.
3) Die Elemente zur Bildung der fraglichen Partei sind nicht allein nach dem
unter 1 Gesagten im Lande vorhanden, sondern es haben sich auch bereits für
dieselben in der Form von patriotischen Vereinen, konstitutionellen Klubs u. s. w. zahlreiche Vereinigungspunkte gebildet. Es kann sich nicht darum handeln,
diesen letzteren andere Vereinigungspunkte zu
substituiren oder jenen, bereits bestehenden Vereinen die Annahme von,
allgemeiner gefaßten Glaubensbekenntnissen zuzumuthen. Es genügt, daß solche
Vereine, gegenwärtig und so lange die Monarchie und das Eigenthum gefährdet
sind, der allgemeineren Tendenz, welche diese Worte
bezeichnen, vorzugsweise ihre Bestrebungen widmen und sich hierbei
ohne Rücksicht auf Untergeordnetere Meinungs-Nüancen gegenseitig
unterstützten. Zu diesem Zwecke ist es nothwendig, daß alle Vereine, welche
jener allgemeinen Tendenz huldigen, miteinander in
Verbindung treten. An einem solchen Verkehr, welcher nur die
Erreichung allgemeinerer Zwecke erleichtern, keineswegs speziellere
Richtungen unterdrücken soll, können ohne Gefährdung ihrer Interessen auch
diejenigen Vereinè Theil nehmen, welche bisher keine politischen Zwecke
verfolgten, gegenwärtig aber durch den Drang der Zeitumstände, welche alle
Grundlagen unseres gesellschaftlichen Lebens in Frage stellen, nothgedrungen
eine politische Färbung annehmen müssen. Gleichwie der früher nur seinen
individuellen und Familieninteressen nachgehende Staatsbürger nicht allein
durch die Gefahren, mit welchen eine neue politisch-soziale Umwälzung
dieselben bedroht, sondern auch in Folge der, bereits eingetretenen
Verfassungsveränderung, durch welche er mit neuen Rechten auch neue
Pflichten überkommen hat, gezwungen wird, sich öffentlich zu einer
politischen Meinung zu bekennen, so läßt sich auch gegenwärtig kein Verein zu gemeinnützigen Zwecken ohne politische
Färbung denken. Endlich müssen sich aber auch neue Vereine bilden,
welche ohne eine bestimmt ausgesprochene speziellere Tendenz nur der Vertheidigung des Thrones und des Eigenthums
ihre Kräfte widmen und hierdurch zugleich für die auf diese generellen
Prinzipien gerichteten Bestrebungen der anderen Vereine die Mittelpunkte
abgeben, ohne welche ein übereinstimmendes Handeln der Partei unmöglich sein
würde.
4) Die Mittel, deren sich die erhaltende Partei zu
bedienen haben wird, werden in den verschiedenen Oertlichkeiten je nach den
Fortschritten der revolutionären Partei verschieden sein. Auf dem platten
Lande, dessen Bevölkerung in den meisten Gegenden von dem ausgestreuten Gift
bis jetzt noch frei geblieben ist, werden sie mehr abwehrender Natur sein
und zunächst der Wirksamkeit der Emissäre der revolutionären Propaganda
entgegen treten müssen, welche die politische Unreife des Volks richtig
erkennend und geschickt mißbrauchend, es sich hauptsächlich angelegen sein
lassen, die sozialen Begriffe zu verwirren, das Rechtsgefühl zu erschüttern
und Lüsternheit auf fremdes Eigenthum zu nähren. Zugleich wird aber auch
dahin gestrebt werden müssen, in der ländlichen Bevölkerung diejenige
politische Bildung zu verbreiten, ohne welche die neuen politischen
Institutionen anstatt eines Fortschritts nur einen Rückschritt in der
Freiheit herbeiführen können. Von den Einwirkungen auf die städtischen
Bevölkerungen gilt nicht allein ein Gleiches, sondern hier wird auch noch
der republikanischen Partei manches bereits verlorenes Terrain wieder
abzunehmen und auf die für nöthig erachtete Vereinigung aller Wohlgesinnten
gegen die Anarchie hinzuwirken sein. Durch unentgeldlich
zu vertheilende Flugschriften, durch die Zeitungspresse und durch mündliche
Einwirkung werden alle Klassen der Bevölkerung über den innigen
Zusammenhang ihrer Interessen mit denen der Monarchie und gesetzlichen
Ordnung zu belehren und über die, den letzteren drohenden Gefahren, so wie
über die Mittel, dieselben abzuwehren, aufzuklären sein. Demnächst werden
sich aber auch die monarchischen Vereine von den, in
anderen Orten und Provinzen, so wie namentlich in der Hauptstadt
vorkommenden Ereignissen und von den Bewegungen der revolutionären Partei
fortwährend in genauer Kenntniß zu erhalten haben. Um ihnen dies zu
erleichtern, haben sich vorläufig einige, in der
Hauptstadt wohnende Männer vereint die Aufgabe gestellt, die Provinzial-
und Lokal-Vereine durch Vermittelung ihnen bekannter, vertrauenswürdiger
Mitglieder derselben mit desfalsigen, zuverlässigen Nachrichten zu
versehen. Hierdurch wird zugleich, wenigstens zum Theil, dem
Uebelstande abgeholfen, daß zur Zeit bei dem anarchischen Zustande der
Hauptstadt ohne Gefahr für die persönliche Sicherheit der Handelnden ein
fester, sichtbarer Centralpunkt, vermöge dessen einheitliches und
systematisch geordnetes Handeln in die monarchische Partei zu bringen sein
würde, für die letztere nicht hergestellt werden kann.
Es bedarf übrigens kaum der Erwähnung, daß alle Vereine der gedachten Art
sich völlig unabhängig von der Krone und den
jedesmaligen Räthen
der letzteren halten müssen, wenn sie andees den
Beruf erfüllen sollen, dem Königthum in der regierenden Dynastie, „ohne Rücksicht auf die spezielle Form desselben“
oder gar „auf einzelne Nüancen innerhalb der
konstitutionellen Form,“ den Stützpunkt zu gewähren, dessen
dasselbe vermöge der, von den Gegnern ausgebeuteten Zersplitterung und
Uneinigkeit der monarchischen Partei bisher entbehrte.
5) Die, vorstehend angedeuteten Einleitungen werden Geldmittel erfordern, welche sich erhöhen würden, falls durch
einen zeitweisen Sieg der republikanischen Partei die Nothwendigkeit
energischen Handelns und thätlichen Widerstandes herbeigeführt werden
sollte. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Patriotismus der
zahlreichen Wohlgesinnten keine Opfer scheuen werde,
um ein Ziel zu erstreben, welches nur durch gemeinschaftliches aufopferndes
Zusammenwirken erreicht werden kann und um einem furchtbaren Unglück
vorzubeugen, dessen Eintritt nicht allein die Existenz des Staates auf's
Spiel setzen. sondern auch die heiligsten Privat-Interessen aller Einzelnen
gefährden würde. Jeder Verständige wird einsehen, daß sein eignes Interesse
die Darbringung vorübergehender Opfer zur Vermeidung größerer bleibender Nachtheile selbst dann zur Pflicht machen
würde, wenn er nicht ein höheres Motiv in seinen Pflichten gegen König und
Vaterland erkennen müßte. Es wird daher keine Schwierigkeit finden, die
bereits bestehenden, unter die obige Kathegorie zu zählenden Vereinen,
welche sich bisher zum großen Theile auf gegenseitige Belehrung ihrer
Mitglieder beschränkten und daher fast gar keine Ausgaben hatten, dazu zu
bewegen, daß ihre Mitglieder sich Behufs Bestreitung der unvermeidlichen
Kosten der, zu treffenden Einleitungen zur Entrichtung fester monatlicher
Beiträge verpflichten, wegen deren Verwendung die betreffenden Vorstände mit möglichst ausgedehnten Vollmachten zu versehen
sein dürften, um ohne Zaudern die, durch den Augenblick gebotenen Ausgaben
bewirken zu können. Ein Gleiches gilt von den neu zu organisirenden
Vereinen, in deren Statuten deßhalb sogleich das Nöthige vorzusehen sein
würde.
Die vorstehende Darstellung der Grundsätze, über welche sich einige Bewohner
der Hauptstadt und verschiedener Provinzen der Monarchie bei einer, vor
Kurzem stattgehabten Berathung geeinigt haben, soll, der getroffenen
Verabredung gemäß, unter Gleichgesinnte in allen Theilen des Staats
vertheilt werden, um von diesen den bestehenden Provinzial- und
Lokal-Vereinen zur Annahme empfohlen zu werden und die Organisation neuer
Vereine nach gleichen Grundsätzen einzuleiten.
Berlin, den 27. Juni 1848.
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[103] Berlin, 10. Juli.
Heute hat die Linke, oder wie sie sich selbst nennt,
die demokratische Partei der preußischen
konstituirenden Versammlung ihren zweiten Bericht an die Bezirke, mit deren
Vertrauen sie beehrt worden, versandt. Zur Beurtheilung, wie diese
Demokratie beschaffen ist, theile ich Ihnen nur folgende Stelle des Berichts
über die Interpellationen mit.
„Die Interpellationen sind um so nothwendiger, als sie häufig dazu dienen,
auch einer falschen Beurtheilung vorzubeugen. Sie
sind im Augenblick um so nothwendiger, als bei dem Mangel von
Gesetzesvorlagen von Seiten des Ministeriums jeder Prüfstein (!) für dasselbe fehlt. Die Interpellationen helfen
außerdem in vielen Angelegenheiten zur Abkürzung unserer Verhandlungen, da
Manches auf diese Weise rasch erledigt wird, worüber sonst Anträge gestellt
und lange Berathungen eröffnet werden mußten. Zu bedauern ist nur, daß nicht
immer eine so offene und so genügende Antwort erfolgt, daß alle neue Interpellationen (!) über die betreffenden
Gegenstände unnöthig gemacht würden.“
Der neue Polizei-Präsident v. Bardeleben läßt so eben
an alle Straßenecken eine Bekanntmachung ankleben, daß zufolge des §. 4. der
Verordnung über einige Grundlagen der künftigen preußischen Verfassung vom
6. April d. J. Volksversammlungen unter freiem Himmel der Erlaubniß der
Polizei bedürfen. Da aber trotz einer frühern Bekanntmachung vom 28. April
viele Versammlungen stattgefunden ohne die vorschriftsmäßige Erlaubniß
eingeholt zu haben, so sieht er sich genöthigt bekannt zu machen, „daß
Jeder, welcher Volksversammlungen unter freiem Himmel ohne vorher eingeholte
polizeiliche Erlaubniß zusammenberuft, oder sich als Redner oder Ordner bei
denselben betheiligt, der Gerichtsbehörde zur Bestrafung angezeigt werden
wird. Die Strafe wird hiermit auf eine Geldbuße von 5 bis 50 Thlr. oder
verhältnißmäßige Gefängnißstrafe festgestellt.“ Als ob der Herr
Polizei-Präsident dem Gericht Strafbestimmungen vorzuschreiben hätten!
Die Volksversammlungen unter den Zelten waren vom Anfang an, sowohl unsern
Ministern als der Potsdamer Reaktion ein Dorn im Auge, dessen sie so bald
wie möglich sich entledigen möchten. So wurden schon alle möglichen Versuche
gemacht, das bekannte englische Gesetz, daß im Umkreise einer englischen
Meile vom Parlamentshause keine Volksversammlungen stattfinden dürfen, auch
hier in der Art einzuführen, daß man aus einer englischen Meile eine
deutsche Meile, die beinah fünf englische enthält, machen wollte.
Bisher aber wagte man nicht, offen den Berlinern dies in der Revolution
errungene Recht zu entziehen. Der neue Polizei-Präsident jedoch schreitet
offener auf der Bahn der Reaktion fort. Vorgestern war die Volksversammlung
zum erstenmal seit der Revolution mit dem Besuch zahlreicher Gensd'armen und
Polizei-Kommissarien in voller Uniform beehrt. Sogar eine Menge
Kriminal-Kommissarien waren anwesend, wahrscheinlich um sogleich als Zeuge
dienen zu können, wenn Hr. Hansemann gegen einen der Redner im Voraus den
Prozeß wegen „Erregung von Mißvergnügen, frechen unehrerbietigen Tadels,
oder Verspottung der Landesgesetze“ befohlen haben sollte.
Daß die Reaktion alles mögliche versucht um einen Zusammenstoß und Aufregung
der Bevölkerung hervorzubringen ist nur zu gewiß. So verbreitet sie seit
einigen Tagen überall das Gerücht, daß am 15. oder 16. d. eine neue
Revolution stattfinden wird, deren Folgen eine völlige Umkehrung der
Verhältnisse hervorbringen werde. Die National-Versammlung wird aufgelöst,
die Bürgerwehr entwaffnet, die Klubs werden aufgehoben, kompromittirte
Volksführer verhaftet werden. Die Reaktion gebrauchte dasselbe Mittel zur
Zeit der Erstürmung des Zeughauses, welches sie auch im Voraus auf den 14.
Juni angesetzt hatte.
Der Postsekretär Hain in Schweidnitz, welcher als Vertreter des Vereins für
Volksfreunde, dem demokratischen Kongreß in Frankfurt beigewohnt hatte, ist
deshalb zur Disciplinar-Untersuchung gezogen worden. Sein Inquirent der Geh.
Post- und Kammergerichtsrath Grein machte ihm bemerklich, es komme ihm als
Diener des Königs nicht zu, Rechte des Volkes zu vertreten. Es muß hier
bemerkt werden, daß der Angeklagte durch eine die Postverhältnisse
besprechende Broschüre, das Mißfallen seiner Behörde gegen sich noch mehr
erregt haben mag, so daß man jedes Mittel ergriff um ihn außer Dienst zu
setzen.
Der neue deutsche Reichsverweser Erzherzog Johann, ist
heute in Potsdam eingetroffen. Er wird dem Könige von Preußen und
dem hohen preußischen Hof seinen Dank für die gnädigst ertheilte Zustimmung
zur Wahl abstatten und die Versicherung geben, daß er ein willfähriger
Vollstrecker aller Wünsche der Potsdamer Kamarilla sein werde. So wird
Oestreich und Preußen vereint die Einigkeit Deutschlands bald
herstellen.
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@type | jArticle |
@facs | 0212 |
[15] Berlin, 10. Juli.
Ein seit den Maitagen unerhörtes Attentat gegen die Volksfreiheit ist heute
unternommen worden: so eben hat man die Straßen mit folgendem Plakat übersät
(siehe oben)
Was sagen Sie nun? Haben wir eine Revolution gehabt? Ist es nicht, als ob die
Regierung einem fortwährend in die Ohren schrie: Noch habt ihr keine Revolution gehabt! ‒ Die politischen
Gefangenen, welche in der Hausvogtei sitzen, werden sehr hart behandelt, und
dürfen mit Niemand verkehren; das Essen ist abscheulich; das Kommisbrod noch
das Erquicklichste. ‒ Hr. Fernbach ist nicht als Verfasser des
republikanischen Katechismus, sondern wegen Mitverkaufs desselben angeklagt.
‒ Hr. Fröbel hat nur eine auf 14 Tage gültige
Aufenthaltskarte erwirken könne; auf seine Beschwerde, warum man ihm keine
Karte auf ein Vierteljahr gäbe, ist ihm geantwortet worden, er hoffe doch
nicht gern länger als 14 Tage in Berlin bleiben zu können. ‒ Die Spannung
auf den morgenden Tag, wo bekanntlich der Jacobische Antrag an der
Tagesordnung ist, ist auf einen hohen Grad gestiegen, und hat sogar auf die
Börse einen höchst niederschlagenden Eindruck gemacht, so, daß heute das
Geschäft fast null war.
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@type | jArticle |
@facs | 0212 |
[*] Breslau, 9. Juli.
Der hiesige demokratische Verein hat eine große Volksversammlung gehalten,
welche mit großer Entschiedenheit gegen die Unverantwortlichkeit des
Reichsverwesers protestirt hat. ‒ Die hiesigen Tagearbeiter hatten sich
mancherlei Excesse gegen Privatpersonen erlaubt. Der Magistrat und die
Polizei beriethen, wie man diesen Einhalt thun könne. Sie beschlossen, die
Arbeiter unter gestrenge Aufsicht zu stellen etc. Außerdem erschien gestern
in der Sitzung des Arbeitervereins ein Deputirter und ersuchte Namens des
Magistrats den Verein, seinen moralischen Einfluß zur Verhütung solcher
Excesse der Tagearbeiter auszuüben. Welche Demüthigung für den hochweisen
Magistrat.
Heute früh 4 Uhr wurde Herr Falkenhain, Präsident der
Germania, verhaftet. Den Grund dazu kennt noch Niemand; man sagt, der Verein
hätte Absichten gehabt, die kein Mensch billigen könne. Die Akten sollen
gestohlen und der Polizei übergeben sein.
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@type | jArticle |
@facs | 0212 |
[103] Frankfurt, 10. Juli.
In der heutigen Sitzung der Nationalversammlung zeigte der Präsident an, daß
nach eben eingetroffenen Nachrichten, der Erzherzog Johann schon morgen
Vormittag ankommen werde. Die Versammlung, sehr bewegt von diesem großen
Moment, hat beschlossen, morgen früh 8 Uhr über die Empfangsfeierlichkeiten
zu berathen, und die deutschen Blätter werden demnach bald wieder von
„Kanonendonner und Glockengeläute“ Erbauliches zu melden haben.
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@type | jArticle |
@facs | 0212 |
Frankfurt, 10. Juli.
(34. Sitzung der konstituirenden deutschen
Nationalversammlung). Nach der Verlesung des Protokolls theilte der
Präsident die Nachricht, daß der Erzherzog morgen hier eintreffen werde, der
Versammlung mit.
Lindenau referirt im Namen des Centralausschusses
über die Wahl des Advokaten Blöde als Abgeordneter einer Anzahl in Sachsen
domizilirender, nicht dort verbürgerter Deutschen. Der Ausschuß beantragt,
die Wahl, als mit den Bestimmungen des Vorparlaments und des sächsischen
Wahlgesetzes unvereinbar, für unzulässig zu erklären.
Die Versammlung beschloß mit großer Mehrheit den Antrag des Ausschusses
anzunehmen.
Hierauf zeigte der Präsident an, daß die Gerüchte
über einen Waffenstillstand mit Dänemark mehrere Anträge veranlaßt hätten,
deren Urheber ihre Dringlichkeit zu begründen wünschten (Zustimmung).
Zuerst entwickelte Duncker seinen Antrag: daß wegen
der umlaufenden Gerüchte von einem für Deutschland unrühmlichen
Waffenstillstande der internationale Ausschuß beauftragt werde, sofort über
die Sachlage Erkundigungen einzuziehen und darüber zu berichten. Wenn die
Gerüchte falsch seien, thue es Noth, Schleswig-Holstein und ganz Deutschland
zu beruhigen; seien sie aber wahr, dann müsse die Nationalversammlung ihr
ganzes Gewicht in die Wagschaale legen, um Unheil abzuwenden. Seien die
Gerüchte wahr, dann hätte die auswärtige Politik des alten Deutschlands sich
stärker gezeigt, als die des neuen, die Politik des einigen Deutschlands
schwächer, als die des uneinigen Deutschlands. Dann wären die Dänen die
Sieger, wir die Besiegten und wir hätten uns den Frieden diktiren lassen.
Dulden wir nicht, daß irgend Bande festgehalten werden, welche Schleswig
abhalten könnten, seine Stütze ganz allein in Deutschland, hier in der
Paulskirche zu suchen. Was aber geschehen soll, muß bald geschehen.
(Beifall.)
Claussen begründet seinen Antrag: Die
Nationalversammlung solle erklären, daß kein Friede oder Waffenstillstand,
der Friedenspräliminarien enthält, anders als durch den Reichsverweser im
Einverständniß mit der Nationalversammlung und unter Beobachtung des
Gesetzes über die Centralgewalt abgeschlossen werden dürfe. Er besorgt, daß
die Zeitungsnachrichten im Wesentlichen richtig seien. Auch
Privatnachrichten bestätigen, daß der preußische Gesandte eine Vereinbarung
unter schmachvollen Bedingungen für Deutschland und Schleswig geschlossen,
daß Dänemark sie genehmigt, Rußland und England sie garantirt habe. Ob sie
von Preußen bereits ratifizirt, wage er nicht zu vermuthen; soviel sei
gewiß, das Preußen vom deutschen Bund keinen Auftrag erhalten, einen solchen
Frieden zu schließen, derselbe also rechtlich jedenfalls unverbindlich wäre.
Der Redner besorgt jedoch, daß unter preußischem Einfluß der deutsche Bund,
noch ehe die Centralgewalt in Wirksamkeit tritt, einen solchen Frieden
genehmigen möchte. Dadurch würde aber der Beschluß der Nationalversammlung
vom 9. Juni verletzt, nach welchem bei einem Friedensschluß mit Dänemark die
Rechte der Herzogthümer und die Ehre Deutschlands gewahrt werden sollen.
„Der Herzog von Schleswig-Holstein ‒ fährt er fort ‒ hat seine Rechte
verwirkt; wir sind des Bandes enthoben, das uns bisher noch an diesen
fremden Fürsten gefesselt. Friedrich VII. hat dieses Band zuerst gelöst und
vernichtet durch einen hochverrätherischen Akt, indem er, gegen die alten
Grundgesetze der Herzogthümer, Schleswig mit Waffengewalt von Holstein
loszureißen und mit Dänemark zu vereinigen versuchte. Die alten Gesetze der
Herzogthümer kennen keine Unverantwortlichkeit des Regenten. Nach dem
Civilrecht würde er nicht bloß seine Krone verlieren, sondern zu noch
Mehrerem verurtheilt werden können. Es ist daher moralisch unmöglich, daß
wir auf's Neue unter seine Herrschaft zurückkehren. Vermuthlich würden wir
wieder unter den Polizeistock des Hrn. v. Scheel gerathen. Was würden Sie
wohl von den Schleswig-Holsteinern sagen, wenn Sie sich einem solchen
Monarchen wieder unterwürfen, der übrigens auch moralisch und intellektuell auf einer niedrigen Stufe steht?“
Der
Präsident ermahnt den Redner, nicht auf
Persönlichkeiten einzugehen, und nicht die ohnehin schwierige schleswig'sche
Sache
[0213]
durch Hineinziehen der Personal-Union noch schwieriger
zu machen. (Links: Redefreiheit!)
Clausen: Die ganze Wahrheit der Sache muß vor unsere
Seele treten; denn sie ist durch frühere Vorträge entstellt worden.
Präsident bemerkt: er habe dem Redner nur über die
Dringlichkeit seines Antrags das Wort gegeben.
Claussen: Nur durch die Darstellung der Sache könne
die Dringlichkeit erwiesen werden. (Beifall links.) „Die vorgeschlagenen
Friedensbedingungen,“ fährt er fort, „sind physisch und moralisch unmöglich.
Die schleswig-holsteinischen Truppen lassen sich nicht entwaffnen. Im Jahr
1823 erhielt die französische Armee die traurige Mission, die edle spanische
Nation zu entwaffnen. Eine solche kann und darf heutzutage Niemand mehr
übernehmen; die Folgen wären unabsehbar; kein Ministerium würde sie
verantworten wollen. Die Schleswig-Holsteiner haben deutsches Blut; sie
haben Sinn für deutsche Freiheit; sie lassen sich solche Bedingungen nicht
gefallen. Der Herzog von Schleswig-Holstein ist ein Unterthan der
Reichsgewalt; er hat aber den deutschen Bund mit Krieg überzogen; er ist ein
Rebell.“ Der Redner verliest sodann aus
dänischen Zeitungen mehrere für Deutschland beleidigende Artikel und
schließt mit den Worten: „Entweder die Herzogthümer müssen aus Deutschland
herausgerissen werden oder der dänische Herzog muß aus den Herzogthümern.
Wollen Sie die Herzogthümer für Deutschland erhalten, so können Sie es nur,
wenn Sie die Dänen hinausjagen, wenn Sie keinen Rebellen, keinen
Hochverräther mehr dort dulden. Schleswig muß entweder ganz von Dänemark
getrennt oder ganz ihm überlassen werden.“ Der Redner bedauert sodann, daß
die Sache in die Hände der Diplomatie gerathen, daß Deutschland nicht
dieselbe Energie bewiesen, wie die kleine Schweiz. Die Preußen hätten
Anfangs ruhig dem Kampfe zugesehen. (Im Centrum: Schluß!) Er erkenne die
Verdienste der Preußen an; aber er müsse die Fehler nachweisen, damit man
sie künftig vermeiden könne. Er empfiehlt schließlich die Annahme des
Antrags.
Esmarch (ebenfalls einer der Antragsteller) spricht
in gleichem Sinne. „Ich beschwöre Sie,“ sagt er,- „nehmen Sie heute den
Antrag an, um Deutschland bei dem ersten Akt seiner politischen Wiedergeburt
vor Unheil und Schande zu bewahren.“
Wurm spricht seine Entrüstung über die umlaufenden
Gerüchte aus. Es scheint ihm unmöglich, daß Preußen sich für berechtigt
halte, allein zu entscheiden; ebensowenig kann er glauben, daß der Bundestag
in dem jetzigen Stadium seiner politischen Existenz die Entscheidung auf
sich nehmen wolle. Einen Frieden könne nur der Reichsverweser im
Einverständniß mit der Nationalversammlung schließen. Das Ausland müsse es
inne werden, daß es nicht mehr mit 38 Regierungen zu thun habe, sondern mit
dem einigen Deutschland. Redner fragt, ob etwa Preußen durch russische Noten
eingeschüchtert worden sei. Denn daß eine Note oder Depesche vom 8. Mai
wirklich ergangen, werde wohl nicht geläugnet werden. Allein Rußland werde
wohl bemerkt haben, daß Deutschland nicht einzuschüchtern sei (!) Man habe
geklagt, daß Preußen nicht gehörig von den andern Bundesstaaten unterstützt
werde. „Man nenne ‒ sagt der Redner ‒ die säumigen Regierungen; wir wollen
sie durch nachdrückliche Beschlüsse an ihre Schuldigkeit mahnen, und Das
wird wirken. Im Juni sind in Kopenhagen 52 deutsche Schiffe kondemnirt
worden, darunter 35 preußische. Sie werden wohl nicht herausgegeben und
keine Entschädigung dafür geleistet werden; aber das Bischen Geld, das
Wrangel in Jütland genommen, sollen wir herausgeben! Glaubt man, daß die
Krone Preußen solche Bedingungen ratifiziren werde? Nimmermehr. Ist es
erlaubt, Frieden mit Dänemark zu schließen und nicht an den Sundzoll zu
denken, den die Schweden unumwunden eine Prellerei nennen? Lassen Sie die
Sache nicht an den Ausschuß gehen, sondern beschließen Sie, festzuhalten an
Dem, was die Nationalversammlung früher beschlossen. Beruhigen Sie die
Bevölkerungen darüber, daß nichts geschehe ohne uns u. den Reichsverweser,
und geben Sie dem Feldherrn dort den Beweis, daß Deutschland mit ihm ist,
wenn er darauf losschlägt, bis das Ziel erreicht ist.
Vogt bemerkt, daß, wie er vernommen, eine Abschrift
des Waffenstillstandes in der Versammlung vorhanden, und daß dessen
Mittheilung wünschenswerth wäre.
Lichnowsky: Was er und Auerswald in Händen habe, sei
nur eine unoffizielle Abschrift.
Vogt bezieht sich auf ein Schreiben eines preußischen
Geschäftsträgers v. Wildenbruch, abgedruckt in der Allgemeinen Zeitung vom
18. Juni, woraus man mit Erstaunen ersehe, daß Preußen nicht für die
deutsche Sache und das Recht der Herzogthümer, sondern für Dänemark und
dessen König gegen das Phantom einer nordalbingischen Republik fechte. Er
bedauert, daß die preußischen Waffen sich im Kampfe für eine solche Sache
befleckt hätten. (Lebhafte Unterbrechung auf der rechten Seite).
Der Präsident: Der Redner hat Niemandes Gedanken
ausgesprochen, indem er sagte, die preußischen Waffen hätten sich befleckt.
Das ist kein würdiger Ausdruck und auch kein wahrer Ausdruck, und ich muß
ihn darüber zur Ordnung rufen. Es liegt wahrlich nicht in unserm Interesse,
daß wir von irgend deutschen Waffen sagen, sie seien befleckt.
Vogt: Die Rolle der Diplomatie wird begünstigt durch
separatistische Tendenzen, die jetzt auftauchen. (Er bezieht sich auf die
Erklärung der preußischen Minister in der dortigen Nationalversammlung über
das Gesetz in Betreff der Centralgewalt). Wenn Schleswig-Holstein eine
deutsche Sache, so habe Preußen keinen Waffenstillstand abzuschließen. Die
preußische Regierung hätte dies der Centralgewalt überlassen sollen, dadurch
würde sie bewiesen haben, daß sie sich frank und frei der deutschen Sache
hingebe und keinen separatistischen Tendenzen huldige. Man werde sehen, daß
einzelne Regierungen sich der Centralgewalt nicht unterwerfen wollen. „Man
hat früher gesagt,“ so schließt er, „es gelte die Ehre Deutschlands; ich
bemerkte damals, die Ehre Deutschlands könne auf sehr verschiedene Weise
begriffen werden; heute haben sie den Beweis davon.“
Allerdings glaube er, daß über die Präliminarien eines Waffenstillstandes
unterhandelt werde und derselbe vielleicht schon abgeschlossen sei. Allein
die Nationalversammlung sei nicht verpflichtet noch berechtigt, in die
Details einzugehen, so lange nicht zuverlässige Nachrichten vorlägen. Einen
rein militärischen Waffenstillstand habe nur Wrangel abzuschließen; über
einen politischen könnten die Regierungen bloß Punktationen aufsetzen und
zur Ratifikation hierher senden; was mehr geschehe sei vom Uebel. Den
angeblichen Waffenstillstand anlangend, komme Alles darauf an, ob die
Rendsburger Regierung eingewilligt habe; sei Letzteres nicht der Fall, dann
breche auch er den Stab über alle diese Verhandlungen. Obgleich übrigens
morgen der Reichsverweser eintreffe, beantrage er dennoch, daß dessen
Ankunft nicht abgewartet, sondern der internationale Ausschuß zur
schleunigen Berichterstattung aufgefordert werde.
Jordan von Berlin: wenn die Nationalversammlung vor
vier Wochen entschiedener aufgetreten wäre, würde man nicht gewagt haben,
solche Bedingungen vorzuschlagen. Wenn übrigens die Nationalversammlung
heute einen Beschluß faßte, so hieße Das eine Auflehnung gegen das Gesetz
über die Centralgewalt voraussetzen. Er beantragt motivirte Tagesordnung in
folgender Fassung: „In Betracht, daß bis jetzt nur unverbürgte Gerüchte und
nicht offizielle Zeitungsartikel vorliegen, und daß gesetzlich nur der
Reichsverweser im Einverständniß mit der Nationalversammlung über Krieg und
Frieden zu entscheiden hat, geht die Nationalversammlung, unter dem
ausdrücklichen Vorbehalt, sofort energisch einzuschreiten gegen jeden
notorischen Versuch, die Ehre Deutschlands in dieser Sache bloszustellen,
zur Tagesordnung über.“
Vincke bedauert, daß am Vorabend der Ankunft des
Reichsverwesers die Nationalversammlung wieder über auswärtige Politik
diskutire. Er sei ihrer nicht nürdig, auf bloße Zeitungsnachrichten htn
Beschlüsse zu fassen. In England, Frankreich u. s. w. frage man die
Minister, wie die Sache sich verhalte, und wenn man man keine Minister habe,
dann warte man, bis sie da seien (!).
Man dürfe nicht voraussetzen, daß irgend eine deutsche Regierung einseitig
einen Waffenstillstand abschließen, oder gegen die Beschlüsse der
Nationalversammlung handeln werde. Durch eine Wiederholung ihres Beschlusses
würde diese nur das Vertrauen zu dessen Gültigkeit schwächen.
Eisenmann glaubt nicht, daß die durch Zeitungen
angegebenen Bedingungen des Waffenstillstandes wahr seien; denn sonst müßte
die Nationalversammlung ihre Entrüstung darüber aussprechen, daß man solche
Bedingungen nur anzubieten wage. Er erwähnt dann der feindseligen Stimmung
Englands gegen Deutschland und meint, es werde letzterem nichts übrig
bleiben, als das Bündniß mit Frankreich abzuschließen.
Claussen: Da die Centralgewalt in Kurzem in
Thätigkeit trete, und ein für die Ehre Deutschlands nachtheiliger Friede
nicht mehr zu besorgen sei, nahm er seinen Antrag zurück. Schoder im Namen der übrigen Antragsteller beharrt auf demselben.
v. Vinke schließt sich dem Jordan'schen Antrag an,
mit Weglassung der Worte: „unter ausdrücklichem Vorbehalt“ bis:
„bloszustellen.“ Die Versammlung nimmt denselben mit dieser Fassung an,
wodurch die übrigen Anträge beseitigt sind.
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@type | jArticle |
@facs | 0213 |
Wien, 8. Juli.
4 Uhr. So eben kommt die Nachricht: das Ministerium tritt in Masse ab,
Dobblhof ist vom Erzherzoge Johann beauftragt, ein neues Ministerium zu
bilden. Pillersdorff war nie so im Publikum diskreditirt, als diese Woche;
während man ihn sonst blos der Schwäche anklagte, wurde er diese Woche wegen
seines Benehmens gegen den Ausschuß mit Recht der Unehrlichkeit und der
Perfidie beschuldigt. Wie mit einem Zauberschlage hat sich die ganze Presse
(mit Ausnahme der K. K. priv. Zeitung) gegen ihn erhoben. Eine Deputation
des demokratischen Vereins bat heute den Erzherzog Johann, er möge durch die
Entlassung Pillersdorffs die Gefahr, die der Stadt durch sein längeres
Bleiben drohe, abwenden. Das Resultat ist rasch erfolgt.
[(B. Ztgs.-H.)]
@xml:id | #ar043_010 |
@type | jArticle |
@facs | 0213 |
Wien, 5. Juli.
Gestern hatten wir wieder Arbeiterunruhen. Einige Kompagnien der
Nationalgarde mußten ausrücken. Nicht ohne Mühe gelang es, die vorgeblich
Arbeit, eigentlich aber Brot verlangenden Haufen zu beschwichtigen. Die
nicht nach Wien Zuständigen wurden mit Brotanweisungen betheilt und an ihre
Dominien gewiesen. Einige wenige, die sich Drohungen erlaubten, wurden
eingezogen.
In Folge einer Rüge des Ministeriums, als überschreite der
Sicherheitsausschuß die Gränzen seiner ihm zugewiesenen Wirksamkeit ‒ es
betraf die Prager Ereignisse ‒ erklärte Dr. Goldmark in der gestrigen
Sitzung das Kind beim rechten Namen nennend und ungescheut den Ausschuß für
ein revolutionäres Tribunal und das Ministerium für ein von ihm tolerirtes:
welches nach der zweideutigen Weise, wie es seine Aufgabe löse, fortgejagt
zu werden verdiene. Zugleich wies er das Ansinnen Einiger zurück, der
Ausschuß sei blos ein Lokal-Organ, und beanspruchte für ihn die Aufgabe der
Wahrung der Volksrechte der ganzen Monarchie. Donnernder Applaus begleitete
seine Rede.
[(C. B. a. B.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0213 |
Von der Siebenbürger Gränze, 30. Juni.
Eben eingehenden Privatnachrichten aus Kronstadt zu Folge, ist der Hospodar
der Walachei, Fürst Bibesko, den Bojaren entronnen
und auf der Flucht alldort eingetroffen. Der russisch kaiserliche General
Duhamel, der den Einmarsch der Russen von Jassy aus leitete, ist in seiner
Begleitung. Der Minister des Innern hat sich nach Orsova geflüchtet. Es
heißt, die Bojaren wollen den Russen Widerstand leisten. In Bukarest hat
Alles zu den Waffen gegriffen. Die Krisis ist in der Walachei allgemein.
[(W. Z.)]
@xml:id | #ar043_012 |
@type | jArticle |
@facs | 0213 |
Pesth, 3. Juli.
Briefe aus Temeswar melden von einer furchtbaren Niederlage, welche der
ungarische Husarenhauptmann Kis einem raitzischen Insurgentenhaufen in der
Umgegend von Temeswar in der Nähe eines Waldes beigebracht. ‒ Der
Oberstlieutenant Dreihahn, von dem es hieß, daß er die Stadt Weißkirchen den
raitzischen Insurgenten übergeben haben soll, hat sich dieser Tage
erschossen.
Sämmtliche ungarische Erzbischöfe und Bischöfe haben dem Erzherzog
Statthalter erklärt daß sie bereit sind, aller ihrer Güter, zu Gunsten einer
besseren Besoldung der Pfarrer, zu entsagen. Bedenkt man, daß mancher
Erzbischof in Ungarn mehr als eine Million jährlich Revenüen bisher bezieht,
so wird man diese zuvorkommende Entsagung nicht nur klug, sondern auch
patriotisch nennen müssen.
[(Bresl. Z.)]
@xml:id | #ar043_013 |
@type | jArticle |
@facs | 0213 |
Presburg, 6. Juli.
Wir theilen die unverbürgte Nachricht mit, daß der Herzog Sturza, regierender
Fürst der Moldau, in Folge einer ausgebrochenen Revolution hingerichtet
worden sein soll. ‒ Als Veranlassung werden die geheimen, verrätherischen
Pläne des Herzogs mit Rußland angegeben.
[(Hungaria.)]
Französische Republik.
@xml:id | #ar043_014 |
@type | jArticle |
@facs | 0213 |
[12] Paris, 9. Juli.
Wenn es so fortgeht, so kann es sehr leicht geschehn, daß die eine Hälfte von
Paris die andere Hälfte einsteckt. Portalis und Landrin, die Herren
Prokuratoren, welche Louis Blanc denunzirt hatten, sollen jetzt ihrerseits
von Arago denunzirt worden sein, und ihre Verhaftung, wie es heißt, ist
bereits von der Untersuchungskommission dekretirt. Es hätte aber sehr leicht
so weit kommen können, daß man ganz Paris hätte in Verhaft nehmen müssen;
denn, wie es sich jetzt herausstellt, war das offizielle Paris, Paris mit
der Nationalversammlung und Cavaignac an der Spitze, drauf und dran, in den
Junitagen auszuziehen, die Stadt den Insurgenten zu überlassen, und nach
Versailles den Sitz der geschlagenen Regierung und der geschlagenen Diktatur
zu verlegen.
Constantin nämlich, der Kabinetschef Cavaignac's, dessen Verhaftung wir
gestern gemeldet, hatte ohne Vorwissen des Kriegsministers zwei Regimenter
vor den Juniereignissen aus Paris zu entfernen gewußt, und als die
Insurgenten in ihrem siegreichen Vordringen im Begriffe standen, das
Stadthaus einzunehmen, sah Cavaignac keinen andern Ausweg, als die
Nationalversammlung mobile zu machen und sie nach Versailles transportiren
zu lassen. Der Diktator hatte zu diesem Zwecke bereits Truppen nahe bei der
Eisenbahn aufstellen lassen. Auch hierin stand ihm Thiers mit seinem Anhange
aus der Rue Poitiers treu zur Seite. Dem Hrn. Thiers wurde es zu schwül in
Paris, er fürchtete von den vorrückenden Barrikaden erdrückt zu werden. Im
Augenblicke, wo Hr. Marie abreisen sollte, um in Versailles die nöthigen
Anstalten zu treffen, kamen günstige Nachrichten von dem Erfolge der
Feuergranaten an, und die Herren Thiers, Cavaignac und Genossen gaben sich
das gegenseitige Versprechen, die Sache von der auf dem Sprung begriffenen
Diktatur geheim zu halten. Nach der Berechnung der Debats, glaub' ich hat
man nicht weniger als 3000 Kanonenkugeln und 2 Millionen scharfe Patronen
verschossen. Die Verwüstungen, die daraus entstanden, und die Kriegskosteni
welche der Barrikadenkrieg verursacht, übersteigen jede Vorstellung. Die
Kriegskosten namentlich, den Verlust an Menschen abgerechnet, denn dieser
zählt nicht und wird nicht gezählt in solchen Ereignissen ‒ die
Kriegskosten, sage ich müssen ungeheuer sein; denn man sinnt jetzt auf eine
neue billigere, Strategie gegen die improvisirten Festungen, die fester und
riesenhafter sind als die vor 7 Jahren errichteten Festungswerke um Paris,
obgleich letztere eben so viele Millionen gekostet haben, um aufgebaut, als
erstere, niedergerissen zu werden. Wirklich scheint es aus zu sein, mit der
alten Strategie, die Franzosen ahnen, daß die Schlachten auf offnem Felde,
die Schlachten, wie sie früher von Feldherrn geschlagen, aus der Geschichte
verschwinden, und die offizielle Regierung möchte um keinen Preis, daß die
Lösung der so sehr verwickelten Arbeiterfrage auf dem Straßenpflaster liege.
In dem Constitutionnel und dem Debats erscheinen gleichzeitig Artikel über
den Barrikadenkrieg, die unsinnigsten Systeme werden aufgestellt, um dem
Barrikadenbau, auf die billigste Weise zuvorzukommen, und die aufgebauten
Barrikaden auf die mindest kostspielige Weise einzunehmen. Paris mit
Sandsteinen zu pflastern, meinen die Debats käme zu theuer; aber Paris
gänzlich umzubauen, von breiten Straßen in grader Linie zu durchziehen,
kommt ebenfalls zu theuer. Was zu thun, um es barrikadenunfähig zu machen?
In der Unmöglichkeit, diese Frage zu beantworten, geht es in zwei Artikeln
auf den eigentlichen Barrikadenkrieg ein, und stellt ein sogenanntes
Anti-Barrikadensystem auf. Das Anti-Barrikadensystem ist die Antwort auf
dies Barrikadensystem, welches, nach der Beschuldigung der Debats,
unmittelbar nach der Februarrevolution, mit Mitwissen der provisorischen
Regierung und unter der Leitung einer Kommission eigens betrieben und
studirt worden sei, um jedem Reaktionsversuche vorzubeugen. Lamartine und
Garnier Pages weisen mit Entrüstung diese Beschuldigung der Debats von
sich.
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@type | jArticle |
@facs | 0213 |
[16] Paris, 10. Juli.
Heute wird in den offiziellen Blättern die Angabe der Zahl der gefangenen
„Räuber“ auf Vierzehn Tausend und einige zwanzig
berechnet. Der Riesenprozeß wird möglichst lange
dauern, und der Belagerungszustand schwerlich früher
aufgehoben werden, wie Cavaignac auch auf der Tribüne gesagt hat.
Preßprozesse werden sich daran knüpfen, z. B. gegen „La Reforme“, welche vom
„Siecle“ bereits als das Organ der „rothen“ Republik denunzirt wurde. Emil
Girardin ist zwar wieder frei, hat jedoch, sagt er, Ehrenwort und Handschlag
abgeben müssen, nichts zu schreiben; Cabers „Populaire“ ist gestern nach
zweimaligem Aussetzen wieder erschienen; der Verfasser erklärt, sich der
gerichtlichen Aufforderung erst nach Abschaffung des Kriegszustandes stellen
zu wollen, und zieht vorläufig vor, in sicherm Versteck zu bleiben. In
dieser Nummer erzählt er umständlich wie Lamartine vor dem 16. April ihn um
Beistand gegen die Bourgeois „mit den Bärenmützen“ gebeten, als diese in
Prozession aufs Stadthaus zogen. Lamartine hat bald danach sich höchst
unkonsequent und unerkenntlich betragen und Cabet hat wohl Recht zu rufen:
„ach die Dichter, die Dichter! die machen viel Unheil!“ ich versicherte ihm,
auch wir deutsche Dekraten könnten einen gleichen
Seufzer ausstoßen. . . . . ‒ Erfreulich ist die innige Sympathie, die von
der Thierspartei den Berliner Reaktionären gezollt wird; z. B. „L'avenir
National“ ergeht sich fortwährend in pathetischen Betrachtungen über „die
Frechheit der deutschen Demagogen, die das biedere Volk jenseit des Rheines
aufhetzen gegen seine erleuchteten, wohlmeinenden und wohlhabenden
Mittelklassen.“ Nachdem dies „tugendhafte“ Blatt die jüngsten Infamien der
Majorität der Vereinbarungskammer mit süßem Schmunzeln aufgetischt, ruft es:
„Jetzt von zwei Dingen nur eins: entweder die dortigen honnetten Konstitutionellen imponiren energisch der Demagogie, und finden an Frankreich eine ehrenwerthe Hülfe; oder die Demagogen Deutschlands,
denen es (wie ja auch anderswo) meist an Ueberlegung gebricht, wagen einen
Schlag, appelliren an das sogenannte Volk und vernichten die faktische Macht
des Thrones, was sogleich einen Einzug der Russen in Preußen zur Folge haben
würde. Im Interesse eines aufgeklärten Frankreichs
liegt aber ohne Zweifel ein solides, moralisches, ruhig sich entwickelndes,
konstitutionell-königliches Deutschland zum
Nachbar und Alliirten zu haben.“ Ferner belustigt sich dieses Blatt mit
einer Verhöhnung der geopferten Polen in Posen; sie seien „weiter nichts als
Undankbare“ gewesen, und mit Recht entzöge ihnen ganz Deutschland sein
Mitleid. Dieselben Leute heulten noch vor kurzem: „es sei ein Jammer, daß
die französische Bravour einen Bürgerkrieg, und nicht einen auswärtigen
Krieg führe“, und jetzt kommen sie plötzlich zu der Einsicht, daß am Ende
die herrschenden Klassen aller Länder ein und
dasselbe Interesse, abstrahirt von allen Nationalitätsflausen, haben gegen
ihre respektiven Proletarier. In der That, diese
„nationale Zukunft“ Frankreichs ist eine vielversprechende. Diese
französische Bourgeoisie wird noch eines Morgens der englischen um den Hals
fallen; schon äußern sich „Siècle“ und „Constitutionnel“ sehr pöbelhaft über
die Chartisten, und nächstens werden sie auf das „grüne Irland“
losschimpfen. So löst sich denn nach der Junischlacht eine hochtrabende
nationale Illusion nach der andern in den Klassenegoismus auf. ‒ Schon gilt
Lamennais, der Freund des National für outrirt und wühlerisch. Der
reaktionäre „Commerce“ beantragt möglichst bald neue Wahlen in der
Nationalgarde und Ausstoßung jedes „demokratisch-sozialen Kameraden“. Er
erboßt sich, daß in den niedergeschmetterten Faubourgs der Grimm unter der
Asche glühe und geschriebene Zeitungen, in
Ermanglung gedruckter kursiren.
Die Mobilgarde wird den Namen „die junge Garde“ zum Lohn erhalten und zum
Theil an die östlichen Grenzen rücken; zum großen Mißvergnügen der Loretten
und galanten Damen höherer Stände, welche seit dem Junifeldzuge so manchen
dieser neuen Herren sich zum „Lion“ auserkoren haben. Die Einquartirung der
Provinzialgarde dauert fort; überhaupt wird die Physionomie von Paris wohl
unverändert bleiben, bis die letzten „Brigands“ unter Segel gegangen
sind.
@xml:id | #ar043_016 |
@type | jArticle |
@facs | 0213 |
‒ Sitzung der Nationalversammlung v. 10. Juli.
‒ Präsident: Marie. Eröffnung der Sitzung um 11/[#]
Uhr. Die im Sitzungssaal getroffenen Abänderungen sind so beschaffen, daß
die Bänke der Montagne nirgends mehr zu finden und
der Berg gezwungen ist, sich nach allen Seiten hin zu zerstreuen. Diese
Aenderungen geschahen unter akustischen Vorwänden,
während nirgends bei der neuen Anordnung den Bedürfnissen der Akustik Genüge
geleistet ist Unter den für die Sache der „allgemeinen Wohlfahrt“ Expropriirten bemerkt man Caussidière und Larochejaquelin, sehr
verlegen, einen passenden Platz zu finden, von wo sie hören und sehn und
gesehn werden können.
Auf der Tagesordnung befindet sich der Gesetzentwurf bezüglich der Zulassung
der freiwilligen Anwerbung 17jähriger Jünglinge.
Aubert, Berichterstatter. Das Comité hat einstimmig
den Vorschlag abgewiesen, als schlecht vom militärischen Gesichtspunkt aus.
Der Kriegsminister erklärt indeß, diese Maßregel hänge zusammen mit den
Gesammtmaßregeln behufs Auflösung der National-Ateliers.
Valelle. Das Gesetz ist also zwecklos geworden durch
die Auflösung der National-Ateliers.
Larabit unterstützt den Gesetzentwurf. In der Armee
müsse man den aus den National-Ateliers entlassenen jungen Arbeitern ein
Unterkommen verschaffen. Senard, Minister des
Innern, spricht in demselben Sinne. Die jungen Arbeiter seien eine Last u.
s. w. Man müsse ihnen die Gastfreundschaft der Kaserne zu gut kommen
lassen.
General Baraguay d'Hilliers bekämpft den
Gesetzentwurf. Junge Leute von 17 Jahren können die Kriegsbeschwerden nicht
ertragen. Beweis sei die große Sterblichkeit der Mobilgarde.
Ein Mitglied. Die Sterblichkeit der Mobilgarde hängt
mit andern Gründen zusammen, besonders mit ihren hohen Sold. Diese jungen
Leute haben die für ihr Alter natürliche Unklugheit, eine Unklugheit, deren
viele unter uns selbst sich anklagen könnten. (Gelächter.) Das Geld, worüber
sie verfügen und an dessen Ersparung sie nicht denken (neues Gelächter)
verwickelt sie in ihrer Gesundheit oft fatale Vergnügungen.
Die Versamlung adoptirt den Dekretentwurf, wonach
jeder 17jährige Franzose sich in der Landarmee anwerben lassen kann. Sie
votirt noch drei andre Dekretentwürfe, 1) außerordentlicher Kredit von
500,000 Fr. für die Wohlthätigkeitsanstalten, 2. 250 Fr. für jeden in den
Junitagen dekorirten Mobilgarden, 3. 500,000 Fr. Kredit für die geheime
Polizei.
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