Deutschland.
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[**] Köln, 6. Juli.
Wir beeilen uns folgende Reklamationen dem Publikum mitzutheilen:
Herr Redakteur!
Aus beiliegendem Schreiben an den Deputirten der Nationalversammlung, Herrn
Gladbach, werden Sie über das Schicksal aufgeklärt, welches meinem in
unserem gestrigen Verwahrsam abgefaßten Berichte beschieden war. Ich
überschicke Ihnen das Schreiben an Herrn Gladbach sowohl, wie ein Gesuch an
den Oberpräsidenten in Koblenz zur Veröffentlichung. Ich möchte, daß die
Neuwieder Polizeigardisten dadurch ein wenig aufgeklärt würden über ihre
Bürgerpflicht und einsehen lernten, wie arg sie sich haben mißbrauchen
lassen. Wehe, wenn das schöne Institut der Bürgerwehr sich herabwürdigen
läßt, zu einer blinden, willenlosen und diensteifrigen Polizeidienerschaft.
Sie sollen, die bewaffneten Bürger, immerhin für ihr Eigenthum und die
Ordnung stehen; aber sie sollen es nur da thun, wo sie sehen, daß jene gefährdet werden. Die Neuwieder Bürger haben noch
nicht gelernt, als freie Männer die Wehr zu handhaben; die Kölnische
Zeitung, das Blatt, welches sie am Gärgelbande führt, wird sie nie von ihrem
Polizeigeiste befreien.
An den Abgeordneten zur preußischen Nationalversammlung, Herrn Gladbach in Berlin.
Geehrter Herr!
Was in Spandau an unseren Kameraden verübt worden, dasselbe ist an uns, dem
Reste der VI. Kompagnie auf eine noch tausendmal perfidere und barbarischere
Weise am freien deutschen Rhein geschehen! Empfangen
Sie, werthester Herr, zunächst den wärmsten Dank für die Theilnahme und die
schönen Worte, welche Sie unserer ungerechter Weise niedergedrückten Sache
geliehen haben.
Wir kennen keinen Ort, wo wir Gerechtigkeit finden könnten, wenn es die
Nationalversammlung nicht ist, nur möge sich dieselbe nicht abschrecken
lassen von der Bahn des Wahren und des Rechten, durch eine in die Luft
gesprochene unwahre Beschuldigung, als ob wir junge, im Kampfe für ein
undankbares Vaterland erprobten Leute anarchische Bestrebungen hätten!
Fragen Sie nach Beweisen, oder ist es zu geringfügig, dafür bewiesene Motive
statt Lügen zu verlangen, wenn die muthigsten, männlichsten Söhne des
Vaterland's wie Straßenräuber behandelt werden? Wer wird noch eine Waffe
ergreifen, wenn einem Staate Gefahr droht der nichts für seine Kämpfer übrig
hat, als abgeschmackte Lügen und polizeilich militärische Maßregeln; wer
wagt es zu gestehen, einem solchen Staate gedient zu haben, ohne zu
erröthen? ‒ Wir sind, wie Sie wissen, aus dem Tannschen Korps ausgetreten,
weil wir uns dem alten Soldatengeiste, der darin zur Herrschaft gelangt war,
nicht unterwerfen wollten; wir sind ehrenvoll aus dem Korps geschieden, und
waren selbst damals noch geblieben, als wir Ursache genug hatten, unser Blut
nicht länger aufs Spiel zu setzen, um die durch den Rückzug aus Jütland
gemachten Fehler der Kabinetspolitik abzuwaschen. Vermittelst freier
Eisenbahnbeförderung gelangten wir nach Köln, wo die
Dampfschifffahrtsgesellschaft die von uns beanspruchte und von dem Bureau
der Freiwilligen in Altona erbetene freie Fahrt nicht gestattete. So fuhren
wir denn auf unsere Kosten per Eisenbahn nach Bonn, von wo aus wir zu Fuß
rheinaufwärts marschirten. In den Orten, in welchen wir übernachteten, in
Königswinter, Linz und auch anderswo, wie auf einem Hofe bei Plittersdorf,
durch welchen Ort wir marschirten, wurden wir von den Bewohnern auf das
freundlichste aufgenommen und bewirthet. Auch in Neuwied begrüßten uns die
Bürger herzlich, und waren gegen uns so lange freundschaftlich, bis sie
durch ausgesprengte Lügen uns feindlich werden mußten. Wir übernachteten in
dieser Stadt und zogen in aller Ordnung, begleitet von unseren gastfreien
Wirthen an den Rhein herunter, um uns übersetzen zu lassen und gen Koblenz
auszurücken. Eben als wir im Begriff waren, die Kähne zu besteigen,
erschollen in allen Straßen die Alarmtrompeten, und als wir eben vom Ufer
abstoßen wollten, stürzte in der größten Hast ein Hauptmann der
augenblicklich in Neuwied stationirenden preußischen Jägerabtheilung herbei,
laut schreiend, nicht abfahren, nicht abfahren. Hinter ihm hatten sich im Nu
die Soldaten und die Bürgerwehr, erstere 150, letztere 3 400 an der Zahl
aufgepflanzt, auf dem linken Rheinufer bewegte sich ein Trupp Dragoner. Sie
können sich denken, daß wir überrascht von einer so großartigen
militärischen Machtentfaltung wurden, und es fehlte nichts als rothe Röcke,
um uns zu überzeugen, daß die Dänen aus Schleswig nach Neuwied gekommen.
Soldaten und Bürger luden ihre Gewehre mit nicht verkennbarem Muthe und der
augenscheinliche Freude darüber, einmal auch etwas zu thun zu bekommen. Wir
standen im Kahne, die Polizeimannschaft schußfertig, umgeben von einer Masse
unbewaffneten Volkes, von Frauen und Kindern. ‒ Ein Augenblick, dem
Entsetzliches hätte folgen können, besonders, da wir den vernünftigen Theil
des Volkes auf unserre Seite hatten, und da der preußische Hauptmann von
einem der Männer aus dem Volke unangenehm berührt, und in den Rhein
gewandert wäre, hätten ihn nicht zwei der unsrigen aus den Händen des Volkes
befreit. Wir stiegen nach und nach ans Land und gaben unter Thränen die
Waffen an die Bürgerwehr, die Waffen, welche wir aus unserer Heimath nach
Jütland getragen, welche wir im Dänenkampfe geweiht, und welche unsere
Brüder in Schleswig-Holstein uns mit Eichenlaub geschmückt hatten. Ich habe
gesehen, daß einer von uns ohnmächtig in Krämpfen auf die Erde niederfiel,
als er seine Büchse hinreichte. Die bewaffnete 500 Mann starke Macht, nahm
unsre unbewaffnete 48 Mann starke Schaar in ihre Mitte, führte uns über die
Straßen in einen engen Hofraum, zwängte uns in die Mitte zahlreicher
Bajonette, und ließ uns den gaffenden Blicken der Nachbarschaft ausgesetzt
den ganzen Tag bis 7 Uhr Abends unter freiem Himmel. Um diese Stunde kam ein
Regierungs-Assessor aus Koblenz an, da erst erfuhren wir, was wir verbrochen
haben sollten. Denn die vielen Gerüchte, welche den Tag über in unser Ohr
drangen, und derenthalber uns die Umgebung mit abscheuvollen Blicken ansah,
die Gerüchte, daß wir Dörfer in Brand gesteckt und Frauen und Kinder
ermordet etc., waren zwar aus jener offiziellen Lüge entsprungen, welche
scheinbar unsere Verhaftung veranlaßte, aber sie lagen der Ordre des
Vicepräsidiums dennoch nicht zum Grunde. Diese beschränkte sich auf die
offenbar erlogene Anschuldigung, wir hätten in Plittersdorf gebrandschatzt.
‒ Das Verhör dauerte bis in die Nacht hinein und endete heute Morgen um 10
Uhr. Resultat: Jeder wird per Zwangspaß nach seinem Geburtsort befördert.
Nun waren aber viele unserer Kameraden nicht von ihrem Geburtsorte aus nach
Schleswig-Holstein gezogen; andere sind Künstler und gedachten den freudigen
Rückmarsch aus dem Kampfe zugleich als eine Studienreise an dem freien deutschen Rhein zu benutzen; andere sind
Handwerker, welche in ihrer Heimath das nicht wieder finden, was sie aus
Vaterlandsliebe bei ihrem Auszuge auf das Feld der Ehre zurückgelassen
hatten und weiche sich am freien deutschen Rhein
Arbeit suchen wollten; andere wollten aus Anhänglichkeit und Kameradschaft
die heimkehrende rheinische Kompagnie bis Koblenz begleiten, in welcher
Stadt der Hauptman St. Aug. Reifferscheid zu Hause ist. Unsere Waffen mußten
wir in Neuwied zurück lassen und uns mit dem Versprechen genügen, dieselben
sollten in unsere Heimathsörter an die Polizeibehörden geschickt werden.
Geehrter Herr, ich habe Ihnen der vollen Wahrheit gemäß, die Schmach erzählt,
mit der unsere Regierung uns behandelte; ich habe Einzelhei ten nicht einmal
berührt, ich habe nicht angeführt, daß man mir in unserer Gefangenschaft
nicht erlaubte, einen Aufruf an die Köln. Ztg. zu schreiben, wodurch ich die
Bewohner des Rheins, welche uns auf dem Marsche gesehen, zum Zeugnißablegen
auffordern wollte, und als ich doch geschrieben hatte, man mir die Briefe
weg nahm; ich habe nicht erwähnt, wie die Bürgergardisten in ihrem
Polizeieifer so weit gingen, daß sie die Wohnung eines Privatmannes
gewaltsam erbrachen, um unsere Waffen aufzusuchen, und ich enthebe mich der
Mühe, den Beweis für unsere Unschuld und für die Lügenhaftigkeit unserer
Anschuldigung zu liefern.
Die 6te Kompagnie, geehrter Herr, appellirt an Sie und durch Sie an die
Nationalversammlung, und bittet Sie um die gerechte Theilnahme und
Fürsprache, welche Sie schon einmal für dieselbe an den Tag gelegt haben.
Dulden Sie nicht, daß diese himmelschreiende Ungerechtigkeit ungerächt,
dulden Sie nicht, daß wir länger unter einem Volke leben müssen, welches
durch Lügen verführt wurde, die Kämpfer von Hostrup zu verachten.
Der Unterzeichnete hat diese Zeilen an Sie gerichtet, weil er in der 6ten
Komp. das Amt des Ehrenvorsitzers geführt, er hofft gemeinsam mit seinen
Kameraden, nicht vergebens an einen Deputirten der Nationalversammlung, und
an diese selbst appellirt zu haben, und zeichnet mit aller Achtung
ergebenst
Coblenz d. 3. Juli 1848. P. Imandt, Stud. Phil. aus
Trier.
Herr Eichmann!
Der Unterzeichnete verwaltete in der VI. Comp. des v. d. Tann'schen Freicorps
das Amt des Ehrenraths-Vorsitzers, woher ihm die Verpflichtung erwächst,
sich in einer Sache an Sie zu wenden, welche die ganze VI. Comp.
betrifft.
Aus der ministeriellen Antwort, welche dem Deputirten der
National-Versammlung, Herrn Gladbach, wurde und aus manchen andern kann über
die Motive, aus welchen das preußische Ministerium einen Theil der VI. Comp.
in Spandau und einen anderen in Neuwied zu entwaffnen befohlen hat, kein
Zweifel mehr herrschen. Anderswo hoffe ich, wird das Nöthige geschehen, um
der Oeffentlichkeit gegenüber zu zeigen, wie ganz ohne Grund jener Befehl
selbst gegeben wurde.
Bei unserer Entwaffnung und polizeilich-militärischen Gefangennahme und
Einsperrung, wozu Sie die Ordre gegeben haben, spielte die unwahre
Beschuldigung, daß wir in Plittersdorf bei Bonn gebrandschatzt und wer weiß
was sonst noch gethan hätten, eine nicht unbedeutende Rolle, indem sie die
diensteifrige Neuwieder Bürgerwehr gegen uns als die vermeintlichen
Verletzer des Eigenthums aufbrachte und zu hundert andern wunderlichen
Gerüchten die Veranlassung gab. Dem Verhaftungsbefehl hat die bezeichnete
Lüge wirklich offiziell zu Grunde gelegen und die ganze, ungerechte und
unwürdige Behandlung, welche uns wiederfuhr, ist aus ihr hervorgegangen.
Herr Oberpräsident, es ist nothwendig, daß so bald als möglich jene
Unwahrheit, wodurch wir schmachvoll behandelt wurden, offen dem Volke vor
die Augen gelegt wird, für das wir unser Leben den dänischen Kugeln
preisgaben und in dessen Mitte wir leben.
Daher gebe ich diesen Zeilen die Form eines gehorsamen Gesuchs an Sie, daß
Sie ein amtliches Zeugniß des Mannes öffentlich vorlegen lassen mögen, in
dessen Hause wir gebrandschatzt haben und unterzeichne
P. Imandt, Stud. phil.
Coblenz, den 3. Juli 1848.
Die Brandschatzung, welche die Freischärler im Auerhof bei Plittersdorf
verübt haben sollen und welche als Grund ihrer Entwaffnung und Verhaftung in
Neuwied vorgeschoben wurde, erhält durch folgende freie Zeugnisse
[0184]
den Charakter einer Art von Brandschatzung, wie sie bisher
noch nicht bekannt war.
1) Es war am 29. Juni l. J., als des Morgens gegen 9 Uhr drei Herrn anständig
zu mir ins Haus traten und mir sagten, es seien draußen 50 von
Schleswig-Holstein heimkehrende Freischärler, für welche ich ein kleines
Frühstück ‒ Milch, Wasser und Butterbrod gefälligst reichen möchte. Ich bin
selbst Soldat gewesen und gewährte daher die mir gestellte Bitte auf das
bereitwilligste. Ich ließ das Verlangte hinaustragen, gesellte mich unter
die jungen Krieger und sah zu, wie sie ihr Frühstück verzehrten. Ebenso wie
hier habe ich diese Sache vor unserm Bürgermeister, der mich verhörte,
erzählt. Diese meine Aussage beglaubige ich durch meine Unterschrift und
bezeuge auch, daß die Leute von hier direkt nach Königswinter friedlich und
anständig gezogen sind.
Auerhof bei Plittersdorf, den 4. Juli 1848.
(Gez.) Paul Wirtz.
Nichts Nachtheiliges zu bemerken bescheinigt Plittersdorf bei Bonn, den 4.
Juli 1848
Der Gemeindevorsteher, (gez.) Scheben.
2) Die unterzeichneten Bürger bescheinigen hiermit, daß ein bewaffneter Trupp
von 52 Mann heimkehrender v. d. Tann'scher Freischärler, aus
Schleswig-Holstein kommend, unter Führung des Hauptmanns Reiferscheid,
Lieutenants Schex und Lieutenants Imandt am 29. Juni l. J. freiwillig hier
einquartirt wurden und sich bis zum 30. gegen 10 Uhr, wo dieselben ihren
Marsch fortsetzten, durch anständiges Betragen und moralische Führung die
Liebe und Achtung sämmtlicher Bürger erworben haben.
Königswinter, den 4. Juli 1848.
(Gez.) L. J. Hermanns, Stadtrath. Hieron. Hermanns. Mertens.
v. Delitz, General-Lieutenant a. D. W. Richarz. N. Winterrath. L. Genger. P.
J. Feyen. Ittenbach. G. Spindler. Krämer. Steph. Gürtler. P. Dewald. P.
Spindler. M Balien. N. Bachem. J. W. Zilles. Jg. Spindler. Th. Daesen,
Kirchenrendant. G. Rutscheid. F. J. Dumont. H. J. Knützen. M. Krämer. K.
Schmitz. M. G. Stang, königl. Geometer. P. J. Kunbach. Theod. Hermanns. v.
Hutzettnitz. Theod. Koppmann.
Andernach, 2. Juli. 1848.
Gestern las ich in Ihrer Zeitung einen Artikel aus Berlin, wonach 4 der
Freischärler von der aufgelösten 6. Kompagnie des v. d. Tann'schen Freikorps
auf der Eisenbahn in Spandau arretirt wurden.
Heute habe ich Ihnen eine ähnliche Willkühr von Seiten des Militärs gegen die
Freischärler zu berichten. Es kamen nämtich gestern von Linz circa 50
Freischärler von derselben Kompagnie hier an, und wollten auf eine Nacht
Quartier haben, um heute ihre Reise nach ihrer Heimath fortzusetzen.
Der hiesige Bürgermeister verweigerte dies. Sie gingen deshalb mit Ausnahme
von Zweien nach Neuwied, wo sie Quartier erhielten. Heute Morgen, nachdem
sämmtliche Freischärler schon auf der Brücke waren, um nach Koblenz weiter
zu marschiren, wurde Allarm geblasen und circa 400 Mann der in Neuwied
garnisonirenden 8. Jäger-Abtheilung und circa 600 Mann Bürgermilitär, waren
augenblicklich unter den Waffen, und arretirten nachdem sämmtliche Soldaten
scharf geladen hatten, die wenigen 46 Mann. Auf die Frage warum sie arretirt
werden sollen gab man zur Antwort: „Dies werdet Ihr
später erfahren.“ Nun wurden den Leuten, die für die deutsche Sache
so tapfer und muthig gekämpft haben, ihre Waffen abgenommen, und sie mußten
ins Gefängniß wandern. Das ist nun der Dank für die Strapazen und Mühen,
denen diese Leuten sich mit Luft und Liebe zum Vaterlande geopfert
haben.
Mit aller Hochachtung Ihr ergebener W. R.
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Berlin.
Von der Thätigkeit der Reaktion, zugleich von den nichtswürdigen Mitteln, wie
Lüge, Verleumdung, deren sie sich zur Befehdung der guten Sache bedient,
giebt folgende, von einer in Nauen stattgehabten Versammlung von 40 oder 50
Adligen und Gutsbesitzern ausgegangene und bereits lithographirt in die Welt
gesandte „Warnung“ ein Beispiel, welche lautet:
„Ueber die Verhandlungen der, von dem bekannten Held ausgeschriebenen und in
der Villa Colonna in Berlin abgehaltenen Versammlung „zur Aufklärung der
Provinzen über die Stimmung etc. der Hauptstadt“, giebt ein glaubwürdiger
Augenzeuge folgende beachtenswerthe Mittheilungen:
Es wurden die verführten Landbewohner unter die Aegyde der
demokratischen Hauptstadt gestellt. Man schlug vor, kein Mittel unversucht
zu lassen, um der Aristokratie den Kopf zu zertreten. Es wurde ein
Fünfziger-Ausschuß gewählt, welcher das fernere Verfahren berathen und
ausführen soll. Der Vorschlag, Emissaire in die Provinzen, namentlich auf
die Dörfer zu senden, wurde am geeignetsten gehalten; auch sollte eine
Schrift verfaßt werden, in welcher die Berliner Revolution dem Landvolk in
verständlicher Weise erzählt, die Vortheile für dasselbe durch Aufhebung des
Drucks Seitens des Adels auseinandergesetzt und dasselbe aufgefordert werden
sollte, den Gutsherren in keiner Weise zu gehorchen. Diese Schrift wird
unentgeltlich vertheilt werden. Der Emissair soll dann durch mündliche Rede
das Weitere nach Gutdünken bewirken, wo möglich die Taglöhner und Bauern zum
offenen Aufstande gegen die Gutsherren anzureizen. ‒ Auf diese Weise hofft
man zum Siege zu gelangen.
(Hierauf folgt eine Liste, welche die Namen derer enthält, die theils als
Mitglieder des Ausschusses, theils als Emissaire bezeichnet sein sollen.
Dann heißt es weiter:)
Jeder Ehrenmann, jeder Anhänger des Königthums, Jeder, dem die Erhaltung des
Eigenthums am Herzen liegt, wird hierdurch aufgefordert, dem wühlerischen
Treiben der gedachten anarchischen Fraktion den kräftigsten Widerstand
entgegenzusetzen, ihren im Obigen angedeuteten Absichten die größtmöglichste
Oeffentlichkeit zu verschaffen und die Namen der leitenden und handelnden
Mitglieder der allgemeinen Verachtung Preis zu geben. Berlin, 24. Juni
1848“
Die in dieser Warnung enthaltene Geschichtserzählung starrt von Lügen und
Verdrehungen. Denn: 1) ist halb unwahr, halb sinnlos der Satz: die
verführten (etwa statt: „zu verführenden“) Landbewohner wurden unter die
Aegide der demokratischen Hauptstadt gestellt; in Wahrheit hat Herr Held in
der Villa Colonna nur vorgeschlagen etwas gegen die Umtriebe der
Reaktionaire in den Provinzen, gegen die von denselben ausgehende Verleitung
und Verwirrung der Meinungen über die Hauptstadt zu thun, und zu diesem Ende
einen Ausschuß von 50 oder 100 Männern zu bilden, theils Berlinern, theils
Bewohnern der Provinzen, welcher, wie es in der Warnung dann ziemlich weiter
heißt, zum Zwecke dienliche Maßregeln berathen und ausführen sollte. 2) Es
ist geradezu gelogen, daß der Vorschlag Emissaire auszusenden am
geeignetsten gehalten wurde; vielmehr ist dieser Vorschlag schon in der
ersten Versammlung mit gewichtigen Gründen bekämpft worden und der Ausschuß
hat nach gepflogenen Berathungen ihn gänzlich fallen lassen und beschlossen,
nur durch die Presse zu wirken. 3) Es ist gelogen, daß das Landvolk
aufgefordert werden sollte, „den Gutsherren in keiner Weise zu gehorchen“,
oder daß gar Tagelöhner und Bauern zum offenen Aufstande gegen die
Gutsherren angereizt werden sollten; vielmehr ist in der ersten Versammlung
von einigen Andern nur bemerkt worden, daß es nicht schwierig sein würde,
den übermäßig belasteten Theil der Bevölkerung von dem Werthe dessen was in
Berlin geschehen und mit allem Eifer vertheidigt wird, zu überzeugen, wenn
man ihnen nachwiese, daß dadurch der Weg zur Erleichterung und Abwälzung der
Lasten angebahnt, und daß es um Behauptung dieses segensvollen Weges zu thun
ist. Daß jedoch hierin die Bevorrechteten eine „Aufreizung zu Ungehorsam (!)
und offenem Aufstand“ finden und daß sie darüber, daß man an die Abstellung
ihnen vortheilhafter aber Unzählige erdrückender alter Ungerechtigkeiten
gehen will, in Wuth gerathen, dies ist natürlich genug. 4) Die aufgestellte
Namensliste enthält die Namen
[0185]
Derer, welche in der ersten
Versammlung als Mitglieder des Ausschusses vorgeschlagen und von den
Versammelten angenommen wurden; einige der Vorgeschlagenen sind aber dem
Ausschuß niemals beigetreten.
[(B. Z.-H.)]
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@facs | 0185 |
[*]Frankfurt, 4. Juli.
In der heutigen Sitzung der Nationalversammlung
stellte Rob. Blum den Antrag: die
Nationalversammlung wolle von der Bundesversammlung eine amtliche Erklärung
über Sinn und Bedeutung ihres Beschlusses vom 29. v. M., das Schreiben an
den Erzherzog Johann betreffend, und namentlich über
die darin ausgesprochene Zustimmung die Regierungen zur Wahl des
Reichsverwesers verlangen.
Der Präsident der Bundesversammlung, Ritter v. Schmerling: Seit drei Wochen sei überall von der Centralgewalt die
Rede gewesen. Die Regierungen hätten sich aufgefordert gefühlt, auf Grund
des Kommissionsberichts die Männer zu bezeichnen, die im Falle der Annahme
desselben vorzuschlagen wären. Später hätten die Regierungen sich zur
Bezeichnung eines Reichsverwesers geeinigt, als man gesehen habe, daß man
für eine Person sich entscheiden werde. Hiernach
hätte die Bundesversammlung wohl aussprechen können, daß der Gewählte
derselbe sei, den die Regierungen vorgeschlagen haben würden. Er glaube
wohl, daß den Herren auf der Linken ein Zerwürfniß der Nationalversammlung
mit den Regierungen angenehm gewesen wäre. (Auf der Linken: Zur Ordnung! Das
ist eine Verdächtigung. Der Präsident erklärt, er finde in der Aeußerung
nichts Beleidigendes.) Der Redner verlangt, daß über Blum's Antrag zur
Tagesordnung gegangen werde. Vogt hält es nicht für
möglich, daß während der 6 Tage, welche die Debatte gedauert, die Zustimmung
der Regierungen habe eingeholt werden können. Er erklärt Schmerling's
Ausfall gegen die Linke für eine Verläumdung, und wird darüber vom
Präsidenten zur Ordnung gerufen. Hierauf Widerspruch und Tumult von beiden
Seiten. Vogt unterstützt den Antrag auf eine amtliche Erklärung. Nachdem
noch Lychnowski, Wagner und Blum das Wort genommen, wird abgestimmt und mit
Mehrheit die Tagesordnung beschlossen.
Es begann nun die Berathung über Art. 1 der „Grundrechte“, welcher lautet: §
1. „Jeder Deutsche hat das allgemeine deutsche Staatsbürgerrecht. Die ihm
kraft dessen zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben.
Das Recht, zur deutschen Reichsversammlung zu wählen, übt er da, wo er zur
Zeit seinen Wohnsitz hat.“ § 2. „Jeder Deutsche darf an jedem Orte eines
Staates Aufenthalt nehmen, sich niederlassen, Grundeigenthum erwerben, Kunst
und Gewerbe treiben, das Gemeindebürgerecht gewinnen ‒ vorerst unter
denselben Bedingungen, wie die Angehörigen des betreffenden Staates, bis ein
Reichsgesetz die zwischen den Gesetzen der einzelnen Staaten noch
obwaltenden Verschiedenheiten völlig ausgleicht.“ § 3. „Die Aufnahme in das
Staatsbürgerthum eines deutschen Staates darf keinem unbescholtenen
Deutschen verweigert werden.“
Minoritätsgutachten: 1) „Einer besondern Aufnahme in das Staatsbürgerthum
eines einzelnen deutschen Staates bedarf es für den Deutschen nicht, sondern
er erwirbt alle Rechte der Eingebornen durch feste Niederlassung in dem
Lande.“ (Waitz, Tollkampf, Hergenhahn, Schüler, Beckerath, Droysen). 2. Die
Aufnahme in das Staatsbürgerthum eines deutschen Staates darf an keine
andern Bedingungen geknüpft werden, als welche sich auf die Unbescholtenheit
und den genügenden Unterhalt des Aufzunehmenden für sich und seine Familie
beziehen. (Mühlfeld, R. Mohl, Andrian, Lassaulx). Amendements werden
beantragt und entwickelt von Biedermann, Fritsch,
Neumann, Diskau, Jakob Grimm. Letzterer will statt Art. 1
folgenden: „Alle Deutschen sind frei, und deutscher Boden duldet keine
Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei.“ Es
erhebt sich eine Debatte über die Definition des Wortes „Deutscher.“ Zu dem
Ausdruck „jeder Deutsche“ waren eine Anzahl Amendements vorgeschlagen:
„Jeder Angehörige Deutschlands,“ „Jeder dem deutschen Bundesgebiet
Angehörige“ u. s. w. Die Versammlung beschließt, den Ausdruck: „Jeder
Deutsche“ beizubehalten. Vor Schluß der Sitzung verlangt die Linke
Erledigung der Schmerling'schen Angelegenheit. Schmerling erklärt, er habe
keine Beleidigung oder Verläumdung beabsichtigt und wird nachträglich zur
Ordnung gerufen. Schluß der Sitzung 3 Uhr; nächste Sitzung Donnerstag.