Neue Ministerkrisis. Rodbertus ausgetreten. Sieg der Linken.
Staatsstreich der Rechten.
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] Berlin, 4. Juli.
Ich komme so eben aus der Sitzung der Vereinbarer-Versammlung und bin so
verwirrt von den verschiedenartigsten Eindrücken, welche diese Sitzung auf
mich und gewiß auch auf alle Anwesende hervorbrachte, daß ich kaum weiß,
worüber ich Ihnen berichten soll. Ein Gedanke überstürzt den andern und
deshalb will ich nur Alles gleich auf einmal auskramen. Der Minister des Kultus, Rodbertus, hat abgedankt. ‒ Die Polenfrage
wurde gegen den Willen der Minister entschieden. ‒ Die Vereinbarer
widerrufen hierauf theilweise den gefaßten Beschluß, nachdem sich die
Linke in Masse wegen der ungerechten Fragestellung entfernt. ‒ Das
Ministerium erkennt nothgedrungen die in Frankfurt angenommene
Vollstreckungsbehörde und den Reichsverweser Erzherzog Johann
an.
Nach Eröffnung der heutigen Sitzung zeigte der Ministerpräsident v. Auerswald an, daß der Minister des Kultus, Rodbertus, seine Entlassung eingereicht habe. Die
Meinungsverschiedenheit sey durch die Behandlung der deutschen Angelegenheit
hervorgerufen. Obgleich das Ministerium darüber einstimmig gewesen, daß die
Begründung eines einigen und starken Deutschlands das einzige Ziel sei, das es zu verfolgen
habe, ist es doch nicht gelungen, eine Einigung über die einzelnen Fragen
mit dem Minister des Kultus zu Stande zu bringen. Das Ministerium hält sich
durch diesen Austritt nicht für gefährdet und will suchen sich gelegentlich
zu ergänzen. Einstweilen und bis zur baldigen Wiederbesetzung wird der
Direktor im Kultusministerium, v. Ladenberg, dasselbe interimistisch
vorstehen.
Rodbertus machte hierauf die Mittheilung, daß er nur in einigen Differenzen
bei der deutschen Frage mit seinen Kollegen gewesen, glaubte aber deshalb
seine Entlassung einreichen zu müssen. Er hatte diesen Schritt genau erwogen
und wäre der Meinung gewesen, durch diesen Schritt das fernere Bestehen des
Ministeriums nicht zu gefährden. Er glaubte es aber
seiner Gesinnung schuldig zu sein, auszutreten, jedoch wird er auch
ferner das Ministerium in allen Fragen unterstützen.
Hiermit war die Sache in der Vereinbarerversammlung erledigt, nachdem der
Ministerpräsident veranlaßt durch einige Bemerkungen und Zurufe von der
Linken sich genötbigt sah zu erklären, daß Hr. v. Ladenberg dem Ministerium
des Kultus jedenfalls nur bis zur baldigen Wiederbesetzung dieses
Ministeriums vorstehen werde. Hr. v. Ladenberg ist nämlich noch ein Beamter
des alten Systems, der Günstling des Exministers Eichhorn; deshalb ist es
nicht auffallend, daß die Linke sogleich ihr Mißfallen über diese Besetzung
zu erkennen gab.
Hierauf kam die polnische Frage zur Verhandlung. Das Kommissionsgutachten
ging dahin, „daß eine Kommission zur Untersuchung der Ursachen, wodurch die
blutigen Vorfälle im Großherzogthum Posen hervorgerufen, niedergesetzt und
ihr zu deren Erforschung völlig freie Hand gelassen werde.“ ‒ Viele
Amendements zur Erweiterung oder Beschränkung der Befugnisse der Kommission
wurden eingereicht, eine Menge Redner, im verschiedenartigsten Sinne wurden
angehört, selbst der Minister des Innern,
Kühlwetter, fand sich veranlaßt, das Wort zu ergreifen, um erstens
die Beamten des Großherzogthums, denen man Partheilichkeit und viel Schuld
am Vorgefallenen vorgeworfen hatte, in Schutz zu nehmen. Man solle den
ganzen Beamtenstand nicht tadeln, weil vielleicht einzelne Beamte unrecht
gehandelt hätten. Dann gab der Minister eine langweilige Auseinandersetzung
zum Besten, über die Befugnisse der Kammern zur Einsetzung von
Untersuchungs-Kommissionen und über die Trennung der richterlichen, der
gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalten. Seiner langen Rede kurzer
Sinn war, daß er die Befugnisse oder die Kompetenz der Versammlung zu
bezweifeln schien und daß seiner Ansicht nach die Kommission wenig
ausrichten könne.
Dr. d'Ester widerlegt den Minister und mehrere andere
Redner der Rechten in einer langen glänzenden Rede. Seiner Ansicht nach,
maßt sich die Versammlung durch die Einsetzung der vorgeschlagenen
Untersuchungs-Kommission keine richterliche Gewalt an. „Wir thun nichts
anders, als Jemand, der einen Beschluß fassen, und sich vorher deshalb
informiren will. Auch wir wollen uns informiren. Man bestreitet die
Kompetenz der Versammlung, ihre Berechtigung, Zeugenverhöre vorzunehmen.
Aber ich behaupte, daß jeder Privatmann sogar dazu berechtigt ist. (Dieser
Satz findet viel Widerspruch.) Es freut mich, daß ich Widerspruch finde, da
ich besonders darüber Aufschluß geben kann. Ich und der ebenfalls hier
anwesende Dr. Borchhardt waren angeklagt, zwei Zeugen vernommen zu haben, um
politische Thatsachen festzustellen. Alle Gerichtshöfe haben unsere
Berechtigung dazu anerkannt. Ich muß ferner bezweifeln, ob das Ministerium
im Stande wäre, alle nöthigen Mittheilungen machen zu können, weil es eben
an die einseitigen Berichte seiner Beamten gebunden ist. Deshalb ist es
durchaus nothwendig, daß die Kommission das Recht haben muß, sich selbst an
Ort und Stelle zu begeben und den nöthigen Thatbestand aufzunehmen. Es fragt
sich noch, ob dieser Kampf in Posen wirklich der Kampf zweier Nacen war, wie
er bisher dargestellt wurde. Es fragt sich noch, ob dieser Kampf nicht auch
wie in ganz Europa der Kampf der Unterjochten gegen das unterdrückende
System war.“ Nachdem der Redner seine Ansichten noch näher begründet hatte,
schloß er mit vielem Beifall. Als endlich der Schluß der Debatte angenommen
war, wurde zur Fragestellung geschritten. Der Präsident Grabow entwickelte mit vieler Klarheit, daß nach den vielen
gestellten Amendements nicht anders zum Ziele zu gelangen sei, als daß er
alle in die Form von Fragen auflöse. Die Versammlung nimmt hierauf fast
einstimmig an, „daß eine Kommission zur Untersuchung der Angelegenheiten im
Großherzogthum Posen seit der versprochenen Reorganisation vom 22. März
dieses Jahres eingesetzt werde; daß diese Kommission aus sechszehn
Mitgliedern bestehen solle, wozu je zwei Mitglieder in jeder Abtheilung
gewählt werden sollen; daß die Kommission die Aufgabe haben soll, die Gründe
und Ursachen zu erforschen, welche die unter den Angehörigen der polnischen
und deutschen Nationalität stattgefundenen Entzweiungen hervorgebracht; daß
sie das Ganze, bei der Einleitung der Reorganisation seitens der Regierung
und ihrer Organe beobachtete Verfahren untersuche; daß sie die, die Provinz
Posen betreffenden internationalen Verhältnisse untersuche; daß sie die
Mittel erforsche und angebe, wie die Eintracht herzustellen sei; daß sie
ermittele, wie die beabsichtigte Reorganisation durchzuführen sei.“ ‒ Alle
diese Fragen wurden angenommen und es handelte sich nur noch um die
Fragestellung, wie die Kommission ihre Aufträge in Ausführung zu bringen
habe. Der Präsident stellt nun zuerst die Frage: „Soll der Kommission in Ausführung ihrer Aufträge ganz
freie Hand gelassen werden?“
Der Präsident erklärt, daß wenn diese Frage angenommen wird, alle andern
Fragen wegfallen würden, da die andern Fragen diese erste beschränken. Nach
einer kurzen Debatte stellte sich als ganz sicher heraus, daß durch die
Annahme dieser Frage der Kommission alle mögliche Befugnisse eingeräumt
werden. ‒ Graf Reichenbach verlangt namentliche
Abstimmung, welche auch von der ganzen Linken unterstützt wird. ‒ Die
namentliche Abstimmung ergiebt folgendes:
195 stimmen mit „ja“ ‒ 170 mit „nein“
Die Frage ist also angenommen. Alle Minister haben mit nein gestimmt, also eine Niederlage des
Ministeriums.
Schon während der Stimmenzählung entfernten sich viele Mitglieder der Linken,
in der Gewißheit, daß die Frage angenommen, und daß dadurch alle
nachfolgenden verworfen seien. Aber die Rechte war anderer Meinung. Sie
wollte nun durchaus die andern Fragen auch zur Abstimmung bringen. Durch die
Annahme der ersten Frage, die ganz allgemein sei, wären die Mittel zur
Ausführung noch nicht angegeben; man müsse erst feststellen, ob die
Kommission das Recht haben solle, Zeugen zu vernehmen u. s. w. Man bestürmte
den Präsidenten so lange, bis er einwilligte, die Fragen zur Abstimmung zu
bringen. Daß der Präsident bei der Fragestellung durch die Annahme der
ersten Frage die andern für unnöthig erklärt habe, das sei noch kein
Beschluß der Versammlung. Der Präsident sieht sich genöthigt, die Frage zur
Abstimmung zu bringen. Die Linke protestirt dagegen
und da die Rechte auf der Fragestellung besteht, so verläßt die Linke in Masse die Versammlung.
Nachdem sich nun die Linke entfernt hatte, beschließt die Versammlung, in
Widerspruch mit der ersten Frage, welche mit Majorität angenommen war, die
andern Fragen auch zur Abstimmung zu bringen, und die Frage: „Soll der Kommission die Befugniß zustehen, sich
nöthigenfalls nach der Provinz Posen begeben und Zeugen vernehmen zu
dürfen?“ wird verneint. ‒ Die Kommission, welcher man durch die
Annahme der ersten Frage, zur Ausführung ihrer Aufträge ganz freie Hand
gelassen, wird durch die Bestimmung, sich nicht nach Posen begeben und
Zeugen vernehmen zu dürfen, wieder beschränkt.
Die Durchführung der letzten Fragstellung ist jedenfalls ein Staatsstreich, dessen Folgen von unermeßlicher Wirkung sein
kann. Jetzt ist es an der Zeit, jetzt kann die Linke der Versammlung zeigen,
ob sie es ernsthaft meint. ‒ Die Spaltung, die bisher in der Versammlung
bestand, ist heute zum völligen Bruch geworden.
Nach dieser folgenreichen Abstimmung nahm zuletzt noch der Minister-Präsident
v. Auerswald das Wort und sprach mit lieblichen
Phrasen von der Einheit Deutschlands, von Eintracht, und daß das Ministerium
demnach auch die in Frankfurt gefaßten Beschlüsse, die Einsetzung einer
exekutiven Behörde und die Wahl eines Reichsverwesers in der Person des
Erzherzogs Johann, dieses edlen Prinzen, anerkenne. Er gab nicht undeutlich
zu verstehen, daß eine vorhergehende Genehmigung Preußens zu diesen
Beschlüssen nöthig gewesen wäre, aber das Ministerium wolle Alles durch die
Dringlichkeit der Umstände entschuldigen, und gebe seine vollkommene
Zustimmung.
Wenn wir ein Haus auf festen Grundlagen bauen wollen, so müssen wir es mit
Eintracht errichten u. s. w. So schloß der Ministerpräsident seine Rede. ‒
Der Präsident Grabow forderte hierauf die
Versammlung auf, ihre Zustimmung durch ein einstimmiges Hoch auszudrücken,
und die folgsamen Vereinbarer ‒ die unfolgsamen hatten sich ja entfernt ‒
brachten ein „Hoch Deutschland“ aus.