Französische Republik.
@xml:id | #ar036_021 |
@type | jArticle |
@facs | 0178 |
[*] Paris, 3. Juli.
Guizot giebt jetzt ein Blatt zu London heraus, den
„Spektateur de Londres“. Er zeichnet seine
Artikel unter dem Pseudonym „Georges de Klindworth“. Wir geben hier den
Schluß seines im „Spektateur“ veröffentlichten Programms:
„Die Fürsten fliehen vom Thron, ohne das Schwerdt zu ziehn, oder verstehn
sich zu unmöglichen und schimpflichen Transaktionen. Die Staatsmänner haben
weder die Einsicht der Zukunft, noch die Empfindung der Gegenwart, noch den
Muth der Vergangenheit. Die Richter bleiben auf ihren Sitzen, nicht mit der
stoischen Unempfindlichkeit des Gesetzes, sondern mit der Gleichgültigkeit
des Egoismus. Der Priester beugt das Haupt unter eine komödienhafte und
höhnische Sympathie, als wenn es ihm erlaubt wäre abzudanken, auch ihm. Die
Revolutionäre selbst sind eben so nichtig, eben so ohnmächtig als die blaßen
Gegner, die sie bekämpfen. Erbärmliche Parodisten einer andern Epoche
umgeben sie mit eitlem Schaugepräng die kindisch gewordene Revolution. Die
Ordnungslosigkeit ist heute stationär, zugebraust durch die
entgegengesetzten Winde aller Horizonte zugleich. Es ist
dies die Stagnation im Sturm.“
Von der Mittelklasse sagt Guizot: „Wenn wir die Mittelklasse betrachten, so begierig überall
sich der Gewalt zu bemächtigen, aber zugleich so wenig muthig, so
voreingenommen von Privatinteressen und trotz ihrer sogenannten Wissenschaft
und dem Schulsystem, so gänzlich entblößt von Urtheilskraft und von
politischer Erfahrung, so werden wir nicht verwundert sein, daß sie hier die
Macht sich entschlüpfen läßt, daß sie dort nahe daran scheint, sie zu
verlieren, und daß sie überall sich überfluthet oder im Schach gehalten
fühlt durch den Radikalismus.“
Wie wenig Herr Guizot selbst seine alte Ideologie
abgestreift hat, wie wenig er dahin gelangt ist, die politischen
Erscheinungen in ihrem Zusammenhang mit den wirklichen Lebensverhältnissen
aufzufassen, beweist z. B. folgender Passus:
„Es giebt keine einzige Thatsache, kein einziges Ereigniß, kein einziger
politischer Akt, der nicht das Resultat eines Prinzips wäre, eines falschen
oder eines wahren Prinzips. So hat z. B. die materialistische Philosophie
des 18. Jahrhunderts, lange Zeit geliebkost von allen europäischen Fürsten,
den Sturm vorbereitet, in dem die alte französische Konstitution zu Grunde
ging und dessen letzte Schläge heute neue Revolutionen im größten Theil des
Kontinents hervorbringen.“
Die Times hat einmal mit Recht bemerkt, daß Herr
Guizot weder die Industrie, noch den Handel, noch ihre Geschichte kennt. Der
ideelle Ausdruck der historischen Bedürfnisse und
Bewegungen, ‒ das Prinzip, die Thorie ‒ gelten ihm daher für den Grund dieser Bewegungen und Bedürfnisse. So konnte
es kommen, daß dieser Mann lange wähnte, sein
System, seine Doktrin, seine
Prinzipien ins Werk zu setzen, während er in Wirklichkeit die gegebenen Interessen einer kleiner Fraktion der französischen
Bourgeoisie zum Prinzip erhob, und doktrinär verherrlichte.
@xml:id | #ar036_022 |
@type | jArticle |
@facs | 0178 |
[15] Paris, 3. Juli.
Die neuen Thermidorier proskribiren seit acht Tagen und werden noch lange
fort proskribiren. So eben ward Grandmenil, der ehemalige Gerant von La
Reforme und braver Militärarzt, seit lange in der ersten Reihe der
Demokraten, verhaftet; ein reicher Finanzier aus der Rue Hauteville, der das
jetzt unterdrückte Blatt „Organisation du Travail“ mit Geld unterstützte,
war ihm bereits in den Kerker vorausgegangen; gegen Cabet ist gestern der
Verhaftsbefehl unterzeichnet worden, doch hatte Cabet sich wohlweislich
auf's Land zurückgezogen, Ribeyrolles Redakteur en chef von La Reforme,
sieht täglich einem gleichen entgegen; Lachambaudie, der bekannte Dichter
der Demokratie, ist verhaftet. Alle die je mit den Maigefangenen in
Berührung gestanden, werden verhaftet. Tag und Nacht ist der lange „Arm der
Gerechtigkeit“ in rastloser Bewegung, und er dürfte Personen in diesen Tagen
erhaschen, die vor der Mordschlacht in den höchsten Aemtern sich befanden.
Unleugbar ist es oft auch persönlicher Haß, der jenen Arm lenkt. ‒ Noch
immer erfährt man neue Details über die Heldenthaten der Bourgeois und
Mobilgarde. Augenzeugen versichern im vertrauten Gespräche (das Spioniren
ist im besten Gange), daß die namenlosesten Ausschweifungen am Sonntage und
Montage von den berauschten und aufgehetzten Mobilgarden verübt worden. Im
Luxemburger Garten trieben sie 57 Gefangene zusammen, rissen ihnen die
Blousen und Hemden in Fetzen zerschlugen ihnen mit Kolben und Fäusten die
Gesichter, zerzausten ihnen Haar und Bart, und
schossen endlich die Halbnackten und Bluttriefenden in einem Pelotonfeuer an
der Mauer nieder; was noch überlebte, verendete unter Bajonettstößen. Wir
haben diese 1793ger Exekution nicht gesehen, waren aber Ohrenzeugen des
grausigen Geschreis, der dumpfen Schläge und Püffe,
und zuletzt der Gewehrsalven; das Ganze mochte dreißig Minuten gedauert
haben. Gesehen haben wir mit unsern Augen wie drei Mobile und ein
republikanischer Gardist einen blutenden Blousenmann in der im
Durchstichsbau begriffenen Straße St. Hyacinth, am Pantheon, bei Armen und
Beinen packten, unter Flüchen in ein Loch am Mauerwerk schleuderten und von
oben herab todtschossen; chien, va (Hund, geh) schrieen sie ihm nach. Als
die kolossale Barrikade im Quartier Latin und XII. Arrondissement, Ecke der
Straßen St. Jacques und Mathurins, wo nach Arago's Aussage der
Insurgentenhauptmann in einer Unterredung „als Ehrenmann“ sich vorher
benommen, gestürmt war, mußten wieder vierzig Ouvriers die Waffen strecken
und wurden an der Mauer des gothischen Hotel Cluny erschossen.
So eben erzählt man, auf Frau George Sand werde gefahndet; die Banditenattake
der zweiten Legion auf den Volksrepräsentanten Louis Blanc bleibt
unbeachtet. In mehrern Hospitälern transportirt das Verwaltungskomite
derselben jetzt jeden Blessirten, der des Aufruhrs auch nur verdächtig
scheint, in einen besondern Saal, wo ein Wachtposten der Nationalgarde unter
einem Oberlieutenant steht; an den Saalthüren paradiren Bourgeois Gewehr im
Arm. Wer eine breite Wunde von einem Pflasterstein- und Granatenbruchstück
trägt, ist natürlich zum Insurgenten gestempelt. Die Gestalt der Kugeln wird
jetzt schriftlich und mündlich bis zum Ekel verhandelt; daß sie oft sehr
absonderlich gewesen, bezeugen die Wunden und einzelne Exemplare, z. B.
zackig, oder spitzig; aber es ist augenscheinlich daß dies nicht absichtlich
geschehen um Todwunden zu verursachen, sondern aus Mangel an Zeit und
Kugelgußapparaten. Wenigstens ist so viel klar daß die Wandnägel, die voll
Metall gegossenen Fingerhüte, die zusammengerollten Messingdräthe und Ringe
von Fenster- und Bettgardinen, die Glaskügelchen aus Halsbändern und die
geknäulten Zinn- und Bleistreifen von Dachrinnen aus Nothbehelf verschossen
wurden; zumal in den vielen Patronen, die man während des Gefechts unter den
Kleidern von Damen und Arbeiterinnen entdeckte, gerade nur gewöhnliche
Kugeln waren. Das Gerede endlich von Giftkugeln erweist sich als faktische
Lüge; es wird schon durch die materielle Unmöglichkeit entkräftet, Arsenik
oder Grünspan in tödtender Dosis auf der Kugel zu
befestigen; von Blau- und Schwefelsäure u. dgl. nicht zu sprechen.
Die Geschäfte gehen wieder scheinbar ihren Gang; man sieht weniger
Nationalgardenwachen auf der Straße stehen, und das langgedehnte
Feldgeschrei: Sentinelle prenez garde à vous, das bisher von Ecke zu Ecke
alle 10 Minuten Nachts ertönte, nimmt ab. Unvergeßlich wird aber jedem der
Anblick der Stadt in den drei letzten Bluttagen bleiben: kein Wagen, kein
Civilreiter, kein Hund, kein Kind auf den Gassen, alle Fenster und Thüren
zu, kein Boot auf der Seine, kein Handwerksgeräusch, kein laufendes
Brunnenwasser, fast kein Schornsteindampfen. (Die meisten Einwohner mußten
wegen Kommunikationsmangel fasten). ‒ So eben kommt die Nachricht, 560
„Räuber“ seien von den Bauern gefangen und hundert auf dem Fleck füsilirt
worden; der Rest kommt in die Forts.
@xml:id | #ar036_023 |
@type | jArticle |
@facs | 0178 |
[8] Paris, 3. Juli.
Den Kämpfen der Slawenrace in Böhmen, Ungarn und Polen, folgt man hier trotz
unserer innern Gährungen mit sehr aufmerksamem Auge. In Bezug auf die
Slawen-Propaganda, versicherte man uns gestern, sei George Sand in den
Besitz von Papieren gelangt, welche den von hier verbannten Rus-
[0179]
sen, M.
Bakunin, stark
kompromittirten, indem sie ihn als ein Werkzeug oder in jüngster Zeit
gewonnenen
Agenten Rußlands darstellen, den der
größte Theil der Schuld der neuerdings verhafteten unglücklichen polnischen
Patrioten treffe. George Sand hat diese Papiere einigen ihrer Vertrauten
gezeigt. Wir haben hier nichts gegen ein Slawenreich, aber durch den
Verrath der polnischen Patrioten wird es nimmermehr
zu Stande kommen.
‒ Flocon, der Exminister, zog bekanntlich am 23. in der Nationalversammlung
gegen die Intrigue zu Felde, die im Auslande gegen die Republik gesponnen
wurde. Er nannte zwar kein Land, bezeichnete es aber mit den Worten: „á
l'étranger“, was lange Zeit mit England gleichlautend hieß. Lord Normanby
hat in Folge dessen dem Minister Bastide im Namen Palmerstons eine
energische Protestation zugehen lassen, worauf ihm heute unser armer Bastide
demüthigst Folgendes antwortet: „Der Minister der auswärtigen
Angelegenheiten an S. Excellenz den Hr. Gesandten von England. Milord. Meine
Meinung und diejenige meiner Regierung ist, daß die Regierung J. M. der
Königin zu loyal ist, um irgend einen Theil an der Aufwiegelung zu den
schrecklichen Ereignissen von Paris genommen zu haben. Ich sehe durchaus
nichts Anstössiges darin, daß Sie dieser Erklärung sowohl als Ihrer Note
diejenige Veröffentlichung geben, die Sie für passend finden. Ich würde dieß
selbst mit um so größerem Vergnügen sehen, als dieß eine neue Probe der
gegenseitigen Freundschaftsgefühle wäre, die unsere beiden Regierungen
beleben. Ich habe die Ehre zu sein, Milord, Ihr ganz ergebenster
(gez.) Jules Bastide.
‒ Die Theater von Paris haben die Erlaubniß erhalten, ihre Vorstellungen
wieder zu beginnen, aber mit der Bedingung, daß der Vorhang um 10 Uhr
fällt.
‒ Herr Gornet, der nach der „Gazette des Tribunaur“ fusillirt worden ist, (siehe d. gestr.
Ztg.) protestirt heute im „Journal des Dèbats“ gegen diese Verläumdung.
‒ Die „Reforme“ bringt einen Artikel unter der
Ueberschrift: „Die Conspiration der Verläumdung.“
Sie zeigt in diesem Artikel vor allem ihre Ohnmacht zu begreifen, wie trotz
des allgemeinen Wahlrechts so tragische Konflikte statt haben konnten. Die
altrepublikanische Partei ist durch die jüngsten Ereignisse wie vor den Kopf
geschlagen; ihre alten Phrasen haben den Sinn verloren; ihre politischen
Dogmen zerschellen an den Thatsachen. Wir entfernen aus diesem Artikel alle
Stellen, welche nichts als irre Ausdrücke einer über sich selbst
erschrockenen Rathlosigkeit sind. Die Reforme beginnt ihren Artikel mit der
Auseinansetzung der Gründe, die sie bestimmt haben, seit 10 Tagen schweigend
„den Bürgerkrieg mit allen seinen Diktaturen“ an sich vorüberziehen zu
lassen. Die freie Sprache war nicht erlaubt; die Polemik konnte überdem die
blutende Wunde nur noch weiter aufreißen u. s. w.
„Aber,“ fährt sie fort, „wir wollen nicht, wir dürfen nicht länger die Sache
der Gerechtigkeit desertiren, die Rechte des Unglücks und die Pflichten der
Presse gegen die Besiegten. Diese schmählichen Saturnalien, die sich vor
unsern Augen aufrollen, dieses öffentliche Ausschreien verdächtiger Namen,
diese infamen Denunciationen, diese wilden Verläumdungen, die von allen
Seiten her zischen, diese wüsten Ausschweifungen der Parteien, die sich zu
Lieferanten der Kerker machen, alles das ist traurig und verdient
Züchtigung, denn es entehrt, es erniedrigt ein Land: es ist dies die
Gemeinheit und die Gewaltsamkeit zusammengekuppelt. Glaubt man der Sache der
Civilisation zu dienen, indem man Barrikaden von Verläumdungen aufwirft
gegen die Barrikaden der Empörung, indem man ganze Stadtviertel als ein
Bagno denuncirt, als ein Lager von Verpesteten, indem man vergiftete
Chroniken erfindet, so scheußliche Chroniken, daß sie die Annalen eines
Volkes von Menschenfressern besudeln würden? ‒ Wir sind und waren gegen die
Junirevolution, ‒ Aber in diesem Hauptpunkt einverstanden, daß es keine
legitime Insurrektion gibt, wenn das Recht existirt (das allgemeine
Wahlrecht) und sich bethätigen kann, haben wir nur Entrüstung und Verachtung
für die Verkäufer der gräulichen Verläumdungen, die da Handel treiben mit
abgeschnittenen Köpfen, Wahlsprüchen des Verbrecherargots, brennendem
Vitriol, schauerlichen Verstümmlungen, vergifteten Waaren und vor allem mit
ewigen Denunciationen gegen die Feinde, welche sie geniren und die sie
verderben wollen, indem sie sie dem Henker als Beute hinwerfen. Die Journale
der Reaktion, welche Boutique halten mit diesen Schlächtereien und so ihre
alten Rachepläne ausführen, haben sie die Thatsachen verificirt durch eine
ernsthafte Untersuchung, ehe sie dieselben als Futter hinwarfen dem Haß, der
Furcht! Haben sie so viel Ehrgefühl besessen zu kontrolliren, ehe sie
denuncirten, ehe sie die öffentliche Meinung, die Justiz, die Leidenschaften
des Augenblicks provocirten? Nein, tausend Mal nein! Nicht ein einziges
dieser Blätter kann Zeugen beibringen, Beweise liefern und die Regierung
selbst hat die Mehrzahl dieser ekelhaften Geschichten Lügen gestraft, welche
die Presse der Reaktion erfindet und verbreitet zum Vortheil ihrer Ideen und
ihrer Staatsmänner, die unter den Barrikaden des Februars vergraben lagen.
Was dem Volk fehlt, ist nicht das Gewissen, es ist das Vertrauen auf die
Institutionen, es ist die Ueberzeugung, daß seine Eroberungen ihm nicht
gestohlen werden. So oft hat man es betrogen! Die Könige und die
Aristokraten haben es so lange beherrscht durch die Gewalt und durch die
List, man hat es so oft verdammt, wie Samson, die Säulen des Tempels zu
erschüttern, daß in seinen Augen die Gewalt das nothwendige Instrument ist,
das fatale Instrument aller socialen und politischen Entwicklungen.“
‒ Pagnerre, Generalsekretär des Vollziehungsausschusses und der
provisorischen Regierung, hat sein unbezahltes Amt als Direktor der
Nationalwechselbank niedergelegt.
‒ Huber's Verwundung und Arrestation, die wir gestern meldeten, bestätigt
sich nicht. Derselbe hat trotz allen emsigen Nachforschungen der Polizei bis
heute noch nicht aufgefunden werden können.
‒ Goudchaux, der neue Finanzminister hat heute seine großen Rettungspläne der
Nationalversammlung vorgelegt. Sie zertrümmern mit weniger Ausnahme Alles,
was die Februar-Revolution geschaffen. (Siehe die Sitzung der
Nationalversammlung vom 3. Juli.
‒ Molé will an Thiers Stelle im Departement der
Gironde als Kandidat der Nationalversammlung auftreten. Die Mobilgarden
werden Paris verlassen und an die französischen Gränzen versetzt werden. 300
neue Arrestationen haben seit zwei Tagen statt gefunden.
Die „Demokratie Pacifique“ ruft dem „Constitutionel“ zu: Schacherer in
Feuilletons, wenn der Socialismus so verbrecherisch ist, wie Ihr sagt,
schlagt euch selbst am meisten die Brust, denn Ihr habt die erregendsten
socialistischen Romane von Eugen Sue veröffentlicht; wenn das Gemälde des
Elends das Volk vergiftet, habt Ihr es vergiftet bis auf das Mark der
Knochen und dieß ohne Glauben, ohne Ueberzeugung, aus blosem Merkantilismus.
Zeigt also mehr Reue oder mehr Klugheit.
Die Thierspartei hat bei der Bildung der Bureaus der
Nationalversammlung einen glänzenden Sieg davon getragen. Der Club der
Straße von Poitiers, die Reunion des Herrn Baragnay-d'Hillier hat unter den
15 Präsidenten der Bureaus 9 der Ihrigen untergebracht. Von der alten
Executivkommission ist nur Arago ernannt worden. Herr Marrast konnte in dem
Bureau, dem er angehörte, nicht zur Präsidentschaft gelangen. Er erlag
seinem Konkurrenten Vivien, einem Freunde von Thiers. Wir geben nachstehend
die Liste der Präsidenten und Sekretäre der Bureaus, es ist dieß eine
Statistik der Macht der verschiedenen Parteien in der
Nationalversammlung.
Es sind genannt für das erste Büreau Girard und Chauffour, für das zweite
Dufaure und Buffet, für das dritte Thiers und Louvet, für das vierte Pagès
(de l'Ariége), für das fünfte Billault und Pèrignon, für das 6. G. de
Beaumont und Chavoir, für das 7. F. Arago und B. Lafranc, für das 8. Baze
und Pigeon, für das 9. Baroche und Aug. Avond, für das 10. Cormenin und
Oscar Lafayette, für das 11. Dupin und Barailler, für das 12. Vivien und
Guichard, für das 13. de Tracy und Freslon, für das 14. Byrand und Maissiat,
für das 15. Berryer und St. Beuve.
‒ Die Nachricht, daß der verhaftete Grandmènil,
Hauptredakteur und Gerant der Réforme ist, beruht
auf einer von den Herrn des „Constitutionnel“ und des „Droit“ absichtlich
ausgestreuten Lüge.
Nationalversammlung. Sitzung vom 3. Juli. Präsident
Marie eröffnete dieselbe um 2 1/4 Uhr. Das Gerücht, die Pariser Bürgerwehr
unterzeichne eine Petition, welche die Arretirung mehrerer Deputirten und
selbst des kürzlich noch so gefeierten Lamartine beantrage und daß derselbe
bei Gelegenheit der geheime Kreditdiskussionen das Wort ergreifen werde,
hatte die Neugierde doppelt gehoben und die Tribünen frühzeitig gefüllt.
Nach Verlesung des Protokolls und Ertheilung mehrerer Urlaube bestieg der
Konseilpräsident Cavaignac den Redestuhl. Ich bin,
begann er, vorigen Freitag die Verpflichtung Ihnen gegenüber eingegangen,
Ihnen die Lage der Nationalwerkstätten am 23. Juni zu schildern. Wohlan, ich
erkläre Ihnen, daß ich dieselben genau geprüft habe: die Beschaffenheit
dieser Werkstätten im Augenblick des Ausbruchs der Insurrektion war eine
furchtbare. Der Gedanke, der diese Anstalten ins Leben rief, mag ein guter,
menschenfreundlicher gewesen sein, aber er wurde im Laufe der Zeit gänzlich
entartet, indem sich diese Anstalten zu einer der drohendsten Gefahren
umwandelten, welche je über der Freiheit schwebten. Wir Alle, die wir uns in
Folge Ihres Vertrauens am Staatsruder befinden, waren von dieser Wahrheit
durchdrungen. Jeder von uns kennt die Anstrengungen, welche die Versammlung
machte, um diese Werkstätten der Staatsgefahr aufzuheben; ich brauche daher
wohl nicht in die Einzelnheiten einzutreten, um ihnen das Furchtbare ihrer
Organisation zu wiederholen. Das Gute, das sie schufen, wurde bei Weitem von
dem Schlechten, das sie bargen, überwogen. Als sie sahen, daß sich die
Bürgerwehr zu jedem Preise dieser Gefahr entledigen wollte, brach der Kampf
los. Es ist erwiesen, daß die Nationalwerkstätten den thätigsten Theil am
Kampfe nahmen. Die Zahl der Theilnehmer erreicht an 40,000. Der
Effektivbestand der Werkstätten betrug am 23. Juni 105 bis 106,000 Mann. Die
kräftigsten, geschicktesten, tüchtigsten Arbeiter derselben fielen im Kampfe
oder wurden gefangen. Diese Thatsache hat die Untersuchungsbehörde amtlich
ermittelt. Der Effektivbestand ist bedeutend geschmolzen, die ganze innere
Organisation der Werkstätten, die, auf militärischer Grundlage gebaut, eine
fortdauernde Staatsgefahr bildeten, ist radikal vernichtet (dissous) und ich
kann der Versammlung die Versicherung geben, daß jede Gefahr vorüber
ist.
Aber es bleibt uns noch eine gewisse Zahl honetter Arbeiter übrig, die sich
keineswegs weigern, in die Privatwerkstätten zurückzukehren! Sie sind ohne
Beschäftigung; der Finanzminister wird Ihnen die betreffenden Gesetzentwürfe
vorlegen.
Goudhaux folgt dem Redner auf der Tribüne und legt
seinen neuen Finanzplan vor. Derselbe besteht: 1) Im Rückzug des
Eisenbahn-Expropriationsgesetzes. (Bravos.) 2) Rückzahlung der
Sparkassenbeträge, theilweise in Geld, theilweise in Renten. 3) Rückzug der
Expropriation der Assekuranzgesellschaft. 4) Beibehaltung des
Hypothekar-Gesetzes, aber nur pro 1848. 5) Progressivsteuer auf Erbschaften
und Schenkungen u. s. w.
Cavaignac nahm wiederholt das Wort, um die Eile oder
Dringlichkeit dieser fünf Gesetzentwürfe zu bevorworten.
Sie wurde angenommen:
Lasteyrie brachte die Todtenfeier in Erwähnung. Sie
wurde auf den 6. Juli mit großem Pomp festgesetzt. (4 Uhr.)
(Nach 4 Uhr.) Nach Anhörung des Lasteyrie'schen Antrages rücksichtlich der
großen Leichenfeier schritt die Versammlung zu ihrer eigentlichen
Tagesordnung zurück, indem sie die am Sonnabend abgebrochene Diskussion der
Wahlordnung für die Gemeinde-, Arrondissements- und General- (oder
Departements-) Räthe wieder aufnahm. Das neue Gesetz besteht aus 14
Paragraphen, denen unzählige Amendements angehängt wurden und die schon am
Sonnabend den größten Theil der Sitzung in Anspruch nahmen. Clement stellte
am Schluß der heutigen Debatte noch einen Additional-Paragraphen, welcher
also lautet: „Die Sitzungen der Gemeinde-, Arrondissements- und
Departementsräthe sind öffentlich, es müßte denn die
Mehrheit der Glieder verlangen, daß sich die Versammlung als geheimen
Ausschuß konstituire.“
Senard, Minister des Innern bekämpft diesen
Additional-Paragraphen. Die Versammlung entschied jedoch die Oeffentlichkeit
für die Sitzungen der General- oder Departements-Räthe. Nach dieser kleinen
Schlappe für das neue Ministerium, zu der auch dieses Mal Marrast beitrug,
indem er sich gegen die ministerielle Bekämpfung
erhob, nahm die Versammlung das Gesammtgesetz mit unbedeutendem Mehr an und
ging um 6 Uhr auseinander.
‒ Das Wichtigste der heutigen Sitzung sind die Goudchauxschen Finanzdekrets-Entwürfe, deren Text wir uns indeß
bisher noch nicht verschaffen konnten. Wir müssen daher auf den Moniteur
verweisen.