Deutschland.
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@type | jArticle |
@facs | 0157 |
[*] Köln, 1. Juli.
Der Bombardier Funck in der siebenten
Artillerie-Brigade, wurde vor einigen Tagen zwangsweise nach Luxemburg versetzt, während es bisher immer Sitte
war, bei nöthig werdenden Versetzungen Einzelne der Avancirten zur
freiwilligen Meldung aufzufordern.
Damit nicht genug, hat man den Bombardier Funck, als
er in Saarlouis ankam, sofort verhaftet „wegen
hochverrätherischer Umtriebe.“
Der Bombardier Funck ist einer der ausgezeichnetsten
Avancirten der ganzen Brigade, nach dem Zeugniß nicht nur seines
Kompagnieführers sondern auch anderer Kompagniechefs. Seine Führung war,
nach denselben Aussagen, durchaus untadelhaft im Dienst wie außer dem
Dienst. Worin besteht aber das Verbrechen des Herrn Funck?
Darin, daß er seit längerer Zeit Mitglied des Comité's der
Stollwerck'schen Versammlung war!
Wir wissen positiv, daß weiter durchaus nichts gegen
Hrn. Funck vorliegt. Seine Verhaftung ist eine
Maßregel unverfälschter altpreußischer Militärwillkühr.
Wir fordern die rheinischen Abgeordneten der linken Seite auf, den
Kriegsminister unverzüglich wegen dieser Verhaftung zu interpelliren.
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@facs | 0157 |
Berlin, 29. Juni.
Hier hat ein jüngst-gebildeter Verein praktischer Aerzte an den Kultus- und
Medizinal-Minister Rodbertus eine Adresse gerichtet, worin beantragt wird,
daß „zur Erledigung der Medizinalreform ein allgemeiner Kongreß,
hervorgehend aus direkten Wahlen aller Aerzte und Wundärzte des preußischen
Staates baldmöglichst einberufen werde.“
[(B. Z.-H.)]
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@facs | 0157 |
[*]Posen, 26. Juni.
Held Ahlemann aus Samter wollte seinem ersten Feldzugsplane nach schon heute
gegen Berlin rücken. Die wahrscheinliche Stärke seines Heeres gab er in
seiner justiz-kommissarischen Bescheidenheit auf mindestens 22,000 Mann an.
Leider hält dieser Ritter von der traurigen Gestalt sein Wort nicht in
Ehren. Er hat in der heutigen Zeitung ein Bülletin erlassen, welches kund
thut, daß heute der Feldzug noch nicht beginnen kann. Was werden die 20,000
Tapfern von ihrem General sagen, der ihnen die bereits verassekurirten
Siegeslorbeeren auf unbestimmte Zeit entrückt.
„Lebt wohl Ihr tapfern Brüder,
In einer bessern Welt wieder!“
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@facs | 0157 |
Leipzig, 27. Juni.
Der bisherige Lektor der slavischen Sprachen, M. J. P. Jordan, ist in Folge
der von ihm eingestandenen Theilnahme an dem Slavenkongresse in Prag durch
Beschluß des Kultusministeriums seiner Stellung als Docent an unserer
Universität enthoben worden. Der akademische Senat bringt diesen
Ministerialbeschluß mittelst Anschlags am schwarzen Brett zur Kenntniß der
Studirenden. ‒ Das ist die Lehrfreiheit der christlich-germanischen
Musterkonstitutionen.
@xml:id | #ar032_006 |
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@facs | 0157 |
[L]Hannover, 28. Juni.
Die Polizei entfaltet ihre Macht gegen die Demokraten. Am 26. wurde der vom
demokratischen Kongreß zurückkehrende Deputirte des Arbeitervereins,
Buchdrucker Steegen, wegen Hochverrath (!)
verhaftet. Steegen ist Präsident des Arbeitervereins. Schon früher wurde er
durch gemeinsamen Beschluß der hiesigen Buchdruckereibesitzer als
gefährliches Subjekt in die Acht erklärt und lange Zeit außer Arbeit
gesetzt; das Stadtgericht will nun streng untersuchen, woher Steegen die
Subsistenzmittel zu seinen Lebensunterhalt hergenommen hat. Eben so hat das
Postamt Befehl bekommen, alle an Steegen adressirten Briefe dem Stadtgericht
auszuliefern. Wahrscheinlich wird die Regierung jetzt jedem Arbeiter
Unterhalt geben, dem dte Bourgois Arbeit verweigern.
@xml:id | #ar032_007 |
@type | jArticle |
@facs | 0157 |
Frankfurt a. d. O., 28. Juni.
Am heutigen Tage fand die neue Wahl eines Abgeordneten und Stellvertreters
für die konstituirende Nationalversammlung in Berlin Statt. Der
demokratische Verein hatte den Lehrer Lück als Kandidaten aufgestellt,
während von der anderen Seite für den Minister-Präsidenten Auerswald
geworben war. Von 55 Wahlmännern erhielt Auerswald 28 Stimmen, er siegte
also mit einer Majorität von vier Stimmen. Hören Sie
aber, auf welche Weise diese Majorität erlangt ist. Der Minister Herr
Hansemann hatte mündlich zu einigen Vätern der Stadt den dringenden Wunsch
geäußert, man möge doch dahin wirken, daß Herr Auerswald gewählt werde, weil
es dem Ministerium eine größere Kraft verleihe. Der Herr Finanz-Minister
soll auch die guten Väter der Stadt haben erkennen lassen, wie das Wohl der
Stadt wesentlich von dieser Wahl abhänge. Frankfurt wünscht einen Wollmarkt,
nun, es wird dafür gesorgt werden. Die Stadtherren haben redlich gewirkt,
Sie haben Hrn. Hansemann's leutseliges Benehmen den guten Wahlmännern in
Ihrem Sinne mitgetheilt, ihnen sogar erzählt, daß Herr Hansemann sich das
Prädikat Exzellenz verbeten habe. Daher die Wahl des Herrn Minister
Präsidenten mit vier Stimmen Majorität, gegen einen schlichten
Volksschullehrer.
[(B. Z.-H.)]
@xml:id | #ar032_008 |
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@facs | 0157 |
Frankfurt, 28. Juni
Kapp hat folgenden Brief an seine Wähler erlassen. Sie ersehen aus
nachfolgendem Briefe, daß ich aus der Nationalversammlung ausgetreten bin.
Bei Ihnen werde ich mich wegen dieses Schrittes nicht rechtfertigen müssen,
ich glaube vielmehr ganz in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Sie haben mich
gewählt in eine Versammlung, deren Lebensgrund die Macht- und
Rechtsvollkommenheit des Volkes, deren Kraft das lebendige Wort der
Wahrheit, die Sprache der Thatsachen, deren Gesetz die Freiheit der Rede
ist. Diese Versammlung existirt aber nicht mehr. Das
Prinzip ihres Ursprungs, die Souveränetät des Volkes, hat sie aufgegeben und
den Mund des Volkes verschlossen, indem sie seinen freisinnigsten Vertretern
das Wort verkümmerte.
Ich habe das Vertrauen, daß die Stärke Ihres Unwillens über die Gründe meines
Austritts jene großartige Ruhe auch bei Ihnen nicht stören wird, die das
sicherste Zeichen siegender Kraft selbst in Tagen der Noth ist. Eigene
Erfahrung hat Sie schon überzeugt, welche Macht in Ihrer Haltung, welche
Thatkraft in Ihrer Einsicht liegt.
Frankfurt, den 28. Juni 1548.
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@facs | 0157 |
Frankfurt, 29. Juni.
In Folge der heute von der National-Versammlung vorgenommenen Wahl eines
Reichsverwesers faßte die Bundesversammlung einstimmig den Beschluß,
folgendes Schreiben an Seine Kaiserliche Hoheit den Erzherzog Johann von Oestreich zu richten:
Durchlauchtigster Erzherzog!
In würdigem, feierlichem Akte wurden so eben Eure Kaiserliche Hoheit von der
deutschen National-Versammlung zum Reichsverweser unseres großen Vaterlandes
erwählt.
Die Bundesversammlung theilt mit der ganzen Nation die Verehrung für Eure
Kaiserliche Hoheit, und die erhebenden patriotischen Gefühle, die sich an
dieses große Ereigniß knüpfen, so wie das feste Vertrauen, daß diese Wahl
heilverkündend, und die beste Bürgschaft für die Einheit und Kraft, für die
Ehre und Freiheit unseres Gesammt-Vaterlandes sei.
Sie beeilt sich, Eurer Kaiserlichen Hoheit diese Ueberzeugungen und
Gesinnungen Glück wünschend, auszudrücken.
Ganz besonders aber gereicht es den in der Bundes-Versammlung vereinigten
Bevollmächtigten der deutschen Regierungen zur höchsten Genugthuung, Eurer
kaiserl. Hoheit die Versicherung ausdrücken zu dürfen, daß sie schon vor dem
Schlusse der Berathungen über die Bildung einer provisorischen Centralgewalt
von ihren Regierungen ermächt waren, für eine Wahl Eurer
kaiserl. Hoheit zu so hohem Berufe sich zu erklären.
Die deutsche Bundes-Versammlung ist in dieser eben so großen als ernsten Zeit
von dem wärmsten Wunsche belebt, Eurer kaiserl. Hoheit möge dem allseitigen
Vertrauen und der Berufung zu der erhabenen Würde baldmöglichst entsprechen,
und dadurch unsere Hoffnungen bestärken, die Vorsehung werde die deutsche
Nation zu neuen Zeiten des Heils und der Größe hinführen.
Frankfurt, 29. Juni 1848.
Die deutsche Bundes-Versammlung, und in deren Namen:
der Präsident: Ritter v. Schmerling.
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[pp]Frankfurt, 29. Juni.
Die Räume der Paulskirche waren bei der heutigen Sitzung der
Nationalversammlung dergestalt mit Zuschauern belagert, daß es selbst den
Deputirten mit Mühe gelang, ihre Plätze zu gewinnen. Sie kennen bereits das
Resultat des Tages: Erzherzog Johann ist zum Verweser des heiligen römischen
Reichs deutscher Nation, zum vorläufigen Kaiser erwählt worden. Die guten
Bürger jauchzten und weinten vor Rührung bei dem erhebenden Gedanken, bald
nun auch eine Hofhaltung in ihrer bürgerlichen Mitte zu haben; Kanonendonner
und Glockengeläute verherrlichten den schönen, an die Romantik des
Mittelalters mahnenden Moment. Das Ministerium, aus modernen Biedermännern,
Wippermann, Dahlmann, Stedtmann zusammengesetzt, wird nun mit der baldigen
Ankunft des „Unverantwortlichen“ erst bescheert werden; man spricht davon,
daß der pensionirte Dulder Eisenmann als Finanzminister, und Herr Heckscher,
der Reden über die deutsche Flotte gehalten, zum Marineminister bezeichnet
ist.
Morgen wird über die Civilliste des zukünftigen Herrschers der deutschen
Völker und Vereinbarers der Fürsten debattirt werden; die Großmuth der
Versammlung, deren Beschlüsse schon viel aus den Händen des Volkes in die
der Fürsten gegeben haben, läßt keinen Zweifel, daß die neue Gewalt mit
Anstand aus dem Segen und Ueberfluß des Landes ausgestattet werden wird.
Die Linke, welche sich bei den Debatten zum größten Theil über alle Maßen
inkonsequent benommen hat, und für all' ihre versöhnungsbettelnden
„Konzessionen“ jetzt nur den Hohn der Rechten davon trägt, die Linke hat
gegen den Beschluß über den Unverantworlichen „protestirt.“ Jacobus Venedey,
der mit der Rechten gestimmt hat, befindet sich nicht auf diesem Protest; es
steht also zu erwarten, daß er seinem Beruf treu, einen eigenen Protest
gegen diesen Protest erlassen wird. Der Abgeordnete Kapp aus Heidelberg ist aus der Versammlung ausgetreten. Er
erklärt an seine Wähler, daß sie ihn in eine Versammlung, deren „Lebensgrund
die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes, deren Gesetz die Freiheit
der Rede wäre,“ gewählt haben, daß aber diese
Versammlung nicht mehr existire, und seine Ehre und sein Gewissen ihm nicht
erlaube, an einer ihren Ursprung verleugnenden Versammlung Theil zu nehmen.
Als einen Beitrag zur Charakteristik des Präsidiums Ehren-Gagern theile ich
Ihnen hier noch die Thatsache mit, daß der „edle Gagern“ dem Abgeordneten
Kapp aus dem Grunde das Wort verweigerte: weil derselbe
immer aufrege! Diese merkwürdige Sorge des Präsidenten für die
Gesundheit der Versammlung wird ohne Zweifel die gebührende Anerkennung bei
allen denjenigen Mitgliedern finden, deren niederschlagende Redseligkeit bei
dieser Diktatur nichts zu fürchten hat.
Unter denjenigen, welche für das interessante Centralgewaltgesetz, für die
Entäußerung der Volkssouveränetät an eine unverantwortliche Fürstendiktatur
stimmten, befanden sich auch folgende Rheinländer und Westphalen: Beckerath,
Bürgers aus Köln, Compes, Dahlmann, Deiters, Dham, Dieringer, Ebmeier,
Evertsbusch, Flottwell, Höfken, Hülsmann, Junkmann, Ketteler, Knoodt,
Marcks, Melchers, Mevissen, Bischof Müller aus Münster, Mylius,
Pagenstecher, Reichensperger, Schlüter, Scholten, Schrakanx, Smets,
Stedtmann, Versen, Venedey, Wiedenmann, Ziegert.
Heute Nachmittag hat auch die Nationalversammlung, die nach der heutigen
Entscheidung demnächst sanft zu eine konstitutionelle Reichskammer
entschlafen wird, die Deputation gewählt, welche einen Ausflug zu dem
Erzherzog Johann nach Wien machen soll. Mitglieder derselben sind: Andrian
aus Wien, Jucho („der Dulder“) aus Frankfurt, Fr. Raveaux, Heckscher,
Saucken-Tarputschen, Franke von Rendsburg, Rotenhahn aus München.
‒ Die Namen der 26 Mitglieder der National-Versammlung, die nicht mitgestimmt
haben (s. gestrige Nummer), sind: 1) Martiny; 2) Schüler von Zweibrücken; 3)
Trützschler; 4) Neergard; 5) Reh von Darmstadt; 6) Reichard; 7) Mohr; 8)
Simon aus Trier; 9) Thieme; 10) Berger; 11) Zitz; 12) Gritzner; 13)
Kolaczek; 14) Günther; 15) Titus; 16) Zimmermann; 17) Rühl; 18) Dewes; 19)
Schlöffel; 20) Dietz von Annaberg; 21) Gruber; 22 Wesendonk; 23) Wiesner;
24) Hartmann; 25) Ruge; 26) Jul. Theodor Schmidt.
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@facs | 0157 |
[51] Frankfurt, 29. Juni.
Das große Werk ist vollendet, die Errichtung einer provisorischen
Centralgewalt ist heute zu Stande gekommen, die retrogade Partei unter der
Maske des constitutionell-monarchischen Prinzips hat vollständig gesiegt und
mit 450 gegen 100 Stimmen beschlossen, mit dieser Centralgewalt einen
unverantwortlichen Reichsverweser mit verantwortlichen Ministern, der nicht
einmal die Verpflichtung hat, die Beschlüsse der National-Versammlung zu
vollziehen, zu bekleiden. Die neuntägige Verhandlung über diesen Gegenstand
gibt aber ein zu treues Bild von dem, was das deutsche Volk von dieser
Nationalversammlung zu erwarten hat, als daß sie nicht demselben auf jede
Weise recht klar vor Augen gelegt werden sollte. Man kennt den berüchtigten,
von „einem berühmten Redner“ herrührenden Bericht über diesen Gegenstand!
Dazu eine kraus verwirrte Masse Anträge, Amendements, Unter und
Sub-Unteramendements, deren Zahl nahe an 40 heransteigt, von deren eines gar
die Centralgewalt von vornherein der Krone Preußen übertragen, ein andres
die ganze Geschichte nicht vor eingeholter Genehmigung der Regierung
unternehmen wollte, und von denen gar manches Vertrauen auf die Regierungen
anräth.
Was kann man aber von einem Parlament erwarten, dessen Mehrzahl aus
Ministern, hohen Militärbeamten, Bischöfen, Fürstendienern aller Art,
Mitgliedern der hohen Aristokratie und einer unendlichen Masse hofräthlicher
Universitätsberühmtheiten besteht?
Die drei ersten Tage der Verhandlung boten das gewöhnliche Bild einer
parlamentarischen Verhandlung über einen wichtigen Gegenstand dar. Ein
Redner nach dem andern bestieg die Tribüne, mit größerm oder geringerm
Eifer, mit mehr oder weniger Geschick, in fesselnder oder in ermüdender,
mitunter sehr langweiligen Redeweise, seine Ansicht darzulegen, zu begründen
und die entgegenstehende zu widerlegen; doch war im Ganzen der tiefere
Eindruck der Redner, welche gegen den Entwurf im volksthümlichen Sinne und
für freiere Institutionen sprachen, unverkennbar. So ging es bis gegen Ende
des vierten Tages, wo der Präsident bemerkte, daß von 189 angemeldeten
Rednern erst 45 gesprochen hätten. Da wurde denn der Antrag gestellt, die
Mitglieder der Versammlung sollten sich in Partheien gruppiren, und von
jeder Parthei nur noch 2 oder 3 Redner, die die Partei selbst wählen sollte,
sprechen. Nach langem Wirrwar, der diesem Vorschlag folgte, kam man überein,
das Charakteristische in den gestellten Anträgen zu suchen, dieselben zur
Unterstützung zu bringen, die nicht unterstützten zu beseitigen, um die
unterstützten aber sich zu „gruppiren“ und nach diesen Gruppirungen die
Redner zu wählen. Ein Parlamentsbeschluß, der wohl einzig in seiner Art ist.
Sieben Anträge wurden unterstützt, von jedem zwei Redner zu hören
beschlossen, also vierzehn, dazu noch zwei Redner für den Ausschuß-Antrag
und zwei für ein von zwei Mitgliedern des Ausschusses (Blum und v.
Trützschler) gestelltes Minoritätsvotum.
Also noch 18. Redner. Am fünften Tag, als dieser Beschluß zur Ausführung
kommen sollte, begann nun von Seite der Rechten, welche die Majorität hat
ein System der Willkühr, der Intrigue in der Tyrannei, welches keine Mühe
scheute der moralischen Eindruck, den die Redner der Linken gemacht, durch
feingesponnene Pläne wieder zu vernichten. So wollte gleich von Anfang an
Fürst Lichnowsky Blum nicht sprechen lassen, weil dieser schon einmal
gesprochen, während man doch den „Gruppirungen“ die Wahl der Redner ganz
unbeschränkt überlassen hatte. Freilich gelang dieser erste Versuch nicht,
desto mehr aber die andern. Zunächst eine Menge Vorwürfe und Verdächtigungen
gegen die Linke und Unterbrechungen ihrer Redner, womit man sich an diesem
Tage noch begnügte. Anders am folgenden Tage,
[0158]
‒ Sonnabend d.
24. Juni. ‒ wo von Gagern das Präsidium dem Vice - Präsidenten von Soiron
übertrug, um selbst noch zu sprechen. Schon dies war eine Verletzung des
Beschlusses der Versammlung, wonach sie festgesetzt hatte, nur noch achtzehn
Redner mit Ausschluß aller andern zu Worte kommen zu lassen. Was gibt nun
einem einzelnen Mitgliede, ‒ denn etwas anderes ist von Gagern nicht sobald
er den Präsidentensitz verläßt ‒ das Recht als Neunzehnter zu sprechen?
Weiter: Fürst Lichnowsky hätte nach der vom Vice-Präsidenten bezeichneten
Reihenfolge zuerst sprechen sollen, dann Blum. Aber Se. Durchlaucht mochten
fürchten, daß Blums Worte den Eindruck der Seinigen ganz und gar vernichten
würden; und so ward willkührlich Blum zuerst auf die Tribüne gerufen. Man
erwartete von ihm eine scharfe Zurechtweisung derer, die ihn gestern mit
Verdächtigungen und Persönlichkeiten aller Art geschmäht hatten; er erklärte
jedoch mit der ihm eignen gewichtigen Ruhe, daß er ewig verschmähen werde,
dieses Feld zu betreten. Nun begann das Vorspiel der Intrigue. Ein Redner
Stedmann von Coblenz erwähnt, er habe zwei Amendements zu stellen
beabsichtigt, sei aber ungewiß ob dies nach den vorgestrigen Beschlüssen
noch zulässig sei, und wolle es daher unterlassen.
Obgleich die Versammlung beschlossen hatte, nur noch über 9 Anträge 18 Redner
zu hören, will Vicepräsident von Soiron einen dieser Anträge: der
Reichsverweser habe die Verkündigung und Ausführung der von der
Nationalversammlung beschlossenen Gesetze zu übernehmen, der schriftlich von
mehreren Mitgliedern ihm überreicht worden, zur Unterstützung bringen.
Darüber etwas tumultuarische Debatte. Die Vertheidiger des Amendements
wollen es ‒ wie fein! wie schlau! ‒ nur zur Abstimmung, nicht zur Diskussion
bringen. Der Vicepräsident macht einen Vermittelungsvorschlag, zwei Redner
sollten dafür, zwei dagegen sprechen, erhält aber ein stürmisches Nein zur
Antwort und läßt endlich abstimmen. Vergebens sträubt sich dagegen die
Linke, weil es unzulässig sei, darüber abzustimmen, ob man an der erwähnten
Uebereinkunft festhalten solle. Die Majorität hat diesmal so viel
Gerechtigkeitssinn, sitzen zu bleiben, nichts destoweniger erklärt von
Soiron die Frage für bejaht. Der beharrliche Andrang der Linken zwingt ihn,
die Gegenprobe zu machen, und er muß zugestehen, daß die Mehrheit sich gegen
den Antrag erhoben. Dennoch verlangt eine Stimme von der Rechten her Zählung
der Stimmen, der Antrag wird aber mit ungeheurer Majorität verworfen und die
Debatte geht weiter. Woher diese Zähigkeit, ein Amendement aufrecht zu
erhalten, dessen Einbringung schon unzuläßig war? Man behauptet, die Sache
verhalte sich folgendermaßen: Gagern habe den Antrag stellen wollen, das
künftige Haupt solle aus den regierenden Fürstenhäusern gewählt werden. Da
ein neuer Antrag aber der getroffenen Uebereinkunft nach, unzuläßig gewesen,
und Gagern sich einer möglichen Zurückweisung nicht habe aussetzen wollen,
so habe man mit dem Stedtmann'schen Antrag eine Bresche in die Uebereinkunft
schießen und versuchen wollen, die Stellung von Amendements zur bloßen
Abstimmung ‒ wohlgemerkt ‒ ohne Diskussion zu
ermöglichen. Den Schluß der Redner machte der bekannte Staatsrath Mathy. Er
ward durch lange dauernden Zuruf genöthigt, seinen Namen zweimal zu nennen,
was ihm sehr unbequem schien. Man ließ ihn ruhig reden. Nach ihm betrat
Gagern wirklich die Rednerbühne. Die Linke machte einen schwachen Versuch,
durch Zuruf daran zu erinnern, daß der neunzehnte Redner nicht zum Sprechen
berechtigt sei, ließ sich aber durch die Klingel des Vicepräsidenten zum
Schweigen bringen. Persönliche captatio benevolentiae, Eingehen auf die
verschiedenen Ansichten, mildeste Deutung des Ausschuß-Antrages, Erklärung
gegen das Fortbestehen des Bundestages ‒ Alles in Gagern's bis zum kleinsten
Worte sorglichst ausgearbeiteter Rede darauf berechnet, einen günstigen
Eindruck zu machen. Ueber das Stedmann'sche Amendement erklärte er: man
solle sich an Formalitäten nicht stoßen, sondern erlauben, Anträge so zu
verbessern, wie sie für die allgemeine Wohlfahrt am schicklichsten dünkten.
Die Frage, wer soll die Centralgewalt schaffen? beantwortete er: „Ich thue
einen kühnen Griff und ich sage ihnen, wir müssen die provisorische
Centralgewalt selbst schaffen,“ was natürlich einen großen Beifallssturm zur
Folge hatte. Dann aber insinuirte der Redner in schlangenglatter Weise der
Eine zu wählende Träger der Centralgewalt müsse ein Fürst sein. Um dieser
Ansicht Geltung zu verschaffen, verschmähte er nicht, der Linken zuzurufen:
sie könne ja einen Fürsten wählen nicht weil er ein Fürst
sei, sondern obgleich er ein Fürst sei.
Nach Gagern sprach Dahlmann zum Schluß. Es ist unbegreiflich, wie dieser
Mann, der sich als Schriftsteller und als Katheder - Docent einen Ruf
erworben, aller mangelnden Anlage zum Trotz, sich zum Redner schlägt. Sein
Vortrag, fast ganz unverständlich, peinigte die Zuhörer über eine Stunde
lang. Kein Zeichen der Ungeduld, kein Zwischenruf ringt ihm auch nur die
Weglassung eines Satzes, eines Kolons ab. In der Hauptsache verkündigte er:
die Majorität des Ausschusses habe ihre frühern Anträge verändert und stelle
jetzt neue. An die Stelle des frühern Bundesdirektoriums von 3 Mitgliedern,
schlage sie einen Reichsverweser vor. Der Vicepräsident wollte sogleich über
diese neuen Anträge abstimmen lassen; Schaffrath, Jordan (von Berlin) u.
Andere erklärten jedoch, daß die Stellung neuer Anträge nach Schluß der
Debatte auch dem Ausschuß nicht mehr zustehe, daß wenigstens über diese
neuen Anträge eine neue Debatte zu eröffnen sei. Es entstand ein furchtbarer
Lärm; die Debatte wurde endlich unter großer Aufregung geschlossen; dee
Vicepräsident schlug nun als Mittel zu einer recht ruhigen und gründlichen
Abstimmung vor, es sollten sich nach der Sitzung von jeder der 9 Kategorien
ein Abgesandter mit ihm vereinigen, und gemeinschaftlich ein Programm über
die Abstimmung entwerfen, wobei es jeder Kategorie zu überlassen,
erläuternde Amendements einzubringen. Angenommen. Dieses Programm, noch an
demselben Abend bekannt, schien im Wesentlichen allen Parteien zu
entsprechen, so, daß man sich in mehreren Kreisen schon der Hoffnung hingab,
am Montag ohne bedeutende Diskussion über die Fragstellung selbst, die
Abstimmung vor sich gehen zu sehen. Allein der dazwischen liegende Sonntag
verdarb alles.
Er gab der Rechten Zeit zu einer Besprechung auf der Mainlust, und hier ward
ein Plan verabredet, der ihr den Sieg erringen sollte, den sie nach dem
Eindruck der Redner der Linken auf die Centren, und namentlich nach dem
Gerüchte, alle Fraktionen der Linken und des linken Centrums hätten sich
vereinigt, schon verloren gegeben hatte. Die Montagssitzung enthüllte diesen
Plan. Vor der Sitzung wurden drei neue gedruckte Amendements vertheilt; von
Mathy und v. Auerswald das, die Centralgewalt solle einem nicht regierenden
Mitglied eines deutschen Regentenhauses als Reichsverweser übertragen
werden; das von Heckscher, die provisorische Centralgewalt solle einem
Reichsverweser übertragen werden, welchen die Nationalversammlung im
Vertrauen auf die Zustimmung der deutschen Regierungen wähle; und eins von
Heckscher und Rotenhahn, die Centralgewalt solle der National-Versammlung
Vorlagen über Auflösung des Bundestags machen. Diese neuen Amendements,
deren Unzulässigkeit sich von selbst verstand, riefen einen ungeheuren Sturm
in der Versammlung hervor, das Prinzip, der Satz, daß man prinzipienmäßig einen Fürsten wählen solle, war noch gar nicht zur
Sprache gekommen und sollte nur zu guter Letzt noch der Versammlung
aufgedrungen werden, nachdem die Rechte außerhalb der Versammlung sich einer
kompetenten Majorität versichert.
(Schluß morgen.)
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@type | jArticle |
@facs | 0158 |
Frankfurt, 30. Juni.
In der heutigen Sitzung der National-Versammlung fand die neue
Präsidentenwahl Statt. Als Vorschläge waren aufgelegt:
1) Vom Centrum die 3 schon früher Gewählten: Gagern, Soiron, Andrian.
2) Von der Linken zum Präsidenten H. Simon von Breslau, zum ersten
Vicepräsidenten Robert Blum.
Kapp's Austritts-Erklärung wird gelesen und der Ausdruck „verdahlmannt“
erregt allgemeine Heiterkeit.
Es wird die Frage gestellt, ob die Entlassung angenommen oder an eine
Kommission gewiesen werden solle.
Wernher von Nierstein schlägt die Tagesordnung vor. Es wurde die Frage
gestellt:
1) Nimmt die Nationalversammlung die Austrittserklärung an?
2) Soll eine Einladung zu neuer Wahl ergehen?
Beide Fragen werden bejaht.
Kolb verlangt das Wort, um die Dringlichkeit eines Antrags, betreffend das
östreichische Geldausfuhrverbot, zu begründen.
Kuranda betheuert Oestreichs Liebe zur Einheit, aber Noth kenne kein Gebot.
Das Verbot werde nur noch einige Monate bestehen.
Die darauf hingestellte Frage, ob der Gegenstand an den
Volkswirthschafts-Ausschuß zu verweisen sei, wurde bejaht. Darauf wurde zur
Wahl geschritten.
Präsident: H. Gagern mit 399 Stimmen von 487.
H. Simon erhielt 68. Robert Blum 12. Dahlmann 1. Radowitz,
Vincke, Lychnowski jeder 1.
Erster Vicepräsident: Soiron mit 359 Stimmen. Blum 104.
‒ Zweiter Vicepräsident: Andrian mit 277. Simon 132. Robert Blum 3.
Auf der morgigen Tagesordnung befindet sich auch die Wahlangelegenheit
Heckers.
[(M. Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0158 |
Wien, 26. Juni.
Die größte Besorgniß liegt gegenwärtig in unserer Finanznoth; der
abgeflossene Mai ergiebt allein ein Deficit von 8,800,000 Fl. In unserem
Italien sind alle Staatseinkünfte natürlich versiegt und Ungarn zahlt nichts zur Aufrechthaltung der Gesammtmonarchie.
@xml:id | #ar032_014 |
@type | jArticle |
@facs | 0158 |
Wien, 27. Juni.
Durch telegraphische Depesche von Cilly geht die Meldung des Feldzeugmeisters
Grafen Nugent ein, daß die Festung Palma nuova sich am 25. um 9 Uhr früh
ergeben hat, wodurch nicht allein ein kostbares Kriegs-Material, nämlich der
Belagerungspark der Armee in Italien, wieder in unseren Besitz gelangt,
sondern auch die Kommunikationslinie des Heeres völlig frei wird.
[(W. Z.)]
@xml:id | #ar032_015 |
@type | jArticle |
@facs | 0158 |
Prag, 25. Juni.
Nach dem vor mehreren Jahren erschienen Werke Schafarik's über die slavischen
Stämme vertheilten sich die Slaven, deren Gesammtmasse in Europa 78,763,000
beträgt, nach den einzelnen Ländern in folgender Weise: Auf Rußland kommen
53,502,000 worunter 4,912,000 Polen; auf Oestreich 16,912,000, darunter
2,774,000 Kleinrussen in Galizien und dem nordöstlichen Theile Ungarns
2,473,000 Polen, 2,594,000 Serben und Illyrier, 4,414,000 Czechen und
Mähren, 2,753,000 Slowaken in Ungarn, 1,151,000 Slowenzen (Kärnthner),
800,000 Kroaten, 7000 Bulgaren. In Preußen wohnen 2,180,000 Slaven,
1,982,000 Polen, 82,000 Lausitzer, in Sachsen 60,000 Lausitzer, in der
Türkei endlich 6,100,000, davon 3,500,000 Bulgaren, 2,600,000 Serben.
Französische Republik.
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@facs | 0158 |
Edition: [Friedrich Engels: Die Junirevolution. In: MEGA2 I/7. S. 222.]
Die Junirevolution.
(Schluß.)
[**]
Die erschrockene Nationalversammlung ernannte Cavaignac zum Diktator,
Der Inhalt dieses Artikels kann aus urheberrechtlichen Gründen nicht angezeigt werden.
[0159]
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@facs | 0159 |
[17] Paris, 29. Juni.
Die Hinrichtungen en masse sind richtig in Flor; in jeder Nacht erschießt die
Linie und Mobile auf dem Marsfeld 50-100 Gefangene. Die Leichname werden
theils an Ort und Stelle vergraben, theils auf die Kirchhöfe in große Gruben
bei nächtlicher Weile spedirt. Die
Zeitungsschreiber, welche über dieses sprechen würden, sitzen fest, und so
kommt es, daß kein Wörtchen davon gelesen wird. Einige Tausende von Brigands
(lies: Gefangenen) werden schleunigst nach Havre geführt werden, zur
Deportation nach den paar transatlantischen Inselchen, welche der
herrschenden Klasse Frankreichs von den Engländern noch übrig gelassen sind.
Nichts wird versäumt, um das Proletariat jetzt in Verruf zu bringen; alle
Augenblicke sieht man einen Gardemobile als „Märyrer“ durch die Straßen in
die Apotheke führen, wo ihm, als wäre er vergiftet, allerlei Essenzen
eingeflößt werden, und die Leute jammern und ballen die Fäuste und schreien:
ah les canailles, il faut les fusiller tous. In den Schlachttagen kam es
öfter vor, daß Soldaten, die nichts als Schnaps und Rachenputzerwein im
Magen hatten (an Essen war gar nicht zu denken), und die durch Hitze, Regen,
Schweiß und Angst in viertägiger Nervenüberreizung waren, von Kolik befallen
wurden; einige sollen in Reih' und Glied todt niedergesunken sein, was wohl
kein Wunder ist, namentlich bei dem ungemein zarten Lebensalter der meisten
Mobilgarden, die ohnehin auf ihre eigenen Kameraden feuern mußten. Da hieß
es denn, wie immer in solchen Fällen, Marketenderinnen (nicht die
militärischen, sondern die sogenannten ambulirenden) hätten
Arsenikbranntwein eingeschenkt, und mehrere derselben wurden auf dem Fleck
erschossen; z.B. Ecke der Rue Planche Mibray; dienstgefällige Pharmaceuten
entdeckten natürlich sofort das vorausgesetzte Gift im Likör. ‒ Gestern
Abend noch wohnte ich dreimal vermeintlichen Vergiftungen Rue du Temple und
Faubourg du Temple bei. Aehnliches erlebte man Place Maubert bei
Weinmarchands. Daß Frauen in Milchtöpfen Brode und unter ihren Kleidern
Kartuschen den Insurgenten zutrugen, hat namentlich sehr erbittert; einige
Spaziergängerinnen in seidenen Kleidern, dem Anschein nach, schwanger,
wurden im fashionablen Faubourg St. Germain arretirt, und man erleichterte
sie um einige Dutzend Patronen. In den Reihen der Vertheidiger der sozialen
Ordnung sah man weit weniger, fast gar keine Frauen; ich bemerkte eine
einzige, fein angezogen und mit einem Säbel, die neben ihrem Mobilgarden
eine Schanze gestürmt hatte, während sehr viele
Proletarierinnen freiwillig mit ihren Säuglingen sich auf die Barrikaden
setzten mit dem Ruf: „Lieber ein einziges mal durch eine Kugel
sterben, als hundert mal im Elende verfaulen“ (mieux vaut crever une bonne
fois par une balle que pourrir cent fois dans la misére). Andere scheinen
freilich nur wider Willen sich dorthin begeben zu haben. ‒ Die Leichen der
reichen Schlachtopfer werden jetzt mit Pomp begraben; heute z. B. der Major
Masson, ein Avoué aus der 11. Legion; andere werden einbalsamirt in die
Provinzen zu ihren Familien zurückgesandt. Noch immer strömen die
Provinzialnationalgarden nach Paris; man quartirt sie ein, wo nur irgend
noch Raum ist; Kirchen und Mairieen, Ballsäle, Schauspielhäuser (auch das
des Herrn Alexander Dumas) sind Kasernen, Spitäler und Leichenhäuser
geworden. Die Leute von Melun und Etampes kamen in Eilmärschen, wobei
mehrere erkrankten, und brachten Wagen voll Brod und mehrere gekochte ganze
Schweine mit, da es bei ihnen hieß, die „Räuber“ hätten in Paris bereits
alles in Beschlag genommen. ‒ Nächstens wird eine großartige Todtenfeier bei
den Champs Elyse's stattfinden, und ein Monument errichtet werden; man
spricht von siebentausend auf dem Pflaster Gefallenen, abgerechnet die
Insurgenten und die im Bett Gestorbenen. Diese Zahl will ich nicht
verbürgen. Nächstens wird man auch die „Dokumente“ veröffentlichen, die man
im Hauptquartier der „Räuber“, unweit der Station der Rothschildsbahn,
erobert hat, wo die Chefs hinter fünffachen Barrikaden, aus Mauerblöcken,
Zimmerbalken, Eisenstangen und Mörtel verfertigt, die Kommando's
austheilten, gefunden hat. Sie sollen Proben d'une scélératesse inouïe et
infernale sein, und es ist nur zu verwundern, warum die Verfasser derselben
sich mit diesen verfänglichen Papieren herumschleppten, statt sie an einem
sichern Orte zu verwahren. Vielleicht verhält es sich jedoch damit, wie mit
den berüchtigten „Dokumenten“ die die Bourgeoisgarde im Hause Sobrier's am
15. Mai fischte, und mit Burgunderwein durchtränkt, im „Siècle“
abdruckte.
So eben heißt es, im Faubourg St. Marcel, wo der Maire als Insurgent
verhaftet worden, brächen bei Gelegenheit der allgemeinen Entwaffnung der
12. Legion, deren Oberst einst Barbès war, Unruhen aus; man hört einige
Schüsse, und sieht Truppenmassen dorthin ziehen. Diese ganze Legion hat, mit Ausnahme von etwa einem Hunderttheil, auf Seiten
der Insurrektion gestanden.
@xml:id | #ar032_018 |
@type | jArticle |
@facs | 0159 |
Paris, 29. Juni.
Das Ministerium ist definitiv zusammengesetzt, wie folgt:
1. Senard, Inneres; 2. Bastide, Auswärtiges; 3. Goudchaux, Finanzen; 4.
Bethmont, Justiz; 5. Lamoricière, Krieg; 6. Carnot, Unterricht; 7. Tourret,
Ackerbau und Handel; 8. Recurt, Staatsbauten; 9. Leblanc, Admiral,
Marine.
‒ Der Moniteur enthält folgendes Amtliche: 1. Dekret,
das erklärt, daß Senard, Präsident der Nationalversammlung, sich wohl um das
Vaterland verdient gemacht.
2. Dekret, das dem General Cavaignac dieselbe Ehre ausspricht.
3. Dekret, in welchem die Nationalversammlung ihre Trauer um den Tod des
Erzbischofs ausspricht.
4. Dekret, das den Generälen, Ober- und Unterlieutenants und Soldaten der
städtischen und auswärtigen Bürgerwehren, der Armee, der Mobilgarde, der
republikanischen Garde, den Zöglingen der Hochschule etc. den wärmsten Dank
für die gegen die Insurgenten bewiesene Tapferkeit zollt.
5. Dekret, das die neuen Minister bekannt macht.
‒ Der heutige Moniteur benachrichtigt diejenigen 2500 Fremden, die seit länger als fünf Jahren Frankreich bewohnen und
bei der provisorischen Regierung um Verleihung des Bürgerrechts eingekommen
waren, daß die ihnen von der provisorischen Regiegierung gestattete
provisorische Ausübung des Wahlrechts bis auf weiteres wieder entzogen
ist.
‒ Derselbe Moniteur widerlegt heute erst eine Menge
Gerüchte über vom Volke verübte Gräuel, z. B. Abschneiden der Ohren und
Köpfe der Bürgerwehrmänner und der Mobilgarden, Zersägen der gefangenen
Offiziere u. s. w., mit welchem sich die abonnentensüchtigen Bourgeoispresse
so erbaulich ausstaffirt hatte.
Diesen Vormittag hat eine Frauen-Revolution begonnen.
Etwa fünfhundert Arbeiterinnen der Nationalwerkstätten hielten im Garten des
Palais-Exroyal eine vorläufige Versammlung in welcher es sehr stürmisch
herging. Es sind dies meist nur Delegirte, die sich über die
einzuschlagenden Wege einigen sollen. In der That schlägt sich unser
weibliches Proletariat nicht minder tapfer als das männliche.
‒ Die Reforme bringt folgende offizielle Note: Einige Journale hatten
angekündigt, daß man mehrere Frauen verhaftet, die vergifteten Wein und
Branntwein den Soldaten verkauften. Verhaftungen von Markedenterinnen haben
allerdings stattgefunden; aber es hat sich in Folge der chemischen Analyse,
welche Herr Pelouze vorgenommen, auf die klarste Weise herausgestellt, daß
auch nicht die Spur von einer giftigen Substanz in den so-
Der berühmte Chemiker Pelouze ist derselbe, der
zuerst die explodirende Kraft der in Salpetersäure getränkten Pflanzenfahne
gleich in Beschlag genommenen Getränken sich vorgefunden haben entdeckt
hat.
Man hatte ebenfalls angezeigt, daß am 27. Juni eine Markedenterin arretirt
worden sei, unter der Beschuldigung, vergifteten Branntwein im Quartier vom
Gros-Caillon verkauft zu haben. Es wurde hinzugefügt, diese Markedenterin
habe sich lebhaft widersetzt, als man sie arretiren wolle; man habe ihr
nicht die Zeit gelassen, von einer Pistole Gebrauch zu machen etc.
Die Frau, die im Quartier vom Gros-Caillon arretirt worden, ist keine
Markedenterin; sie verkaufte keinen Branntwein, sondern sie war vom
Branntwein berauscht.
Die Maurer von Toulon haben folgenden Zettel in der ganzen Stadt anschlagen
lassen:
An die Eigenthümer Toulons!
Bürger, wenn die Arbeit stillsteht, wenn der Arbeiter mit
übereinandergeschlagenen Armen dasteht und gezwungen ist, nichts zu thun,
und zwar in einer so beträchtlichen Stadt wie Toulon, dann leidet er: es
mangeln ihm die beiden ersten und unumgänglichsten Bedingungen des
Lebens:
Arbeit und Brod.
In dieser Lage sind gegenwärtig die Maurerarbeiter dieser Stadt.
Es schmerzt sie, diese verzweifelte Lage kund thun zu müssen.
Bürger, es steht in Eueer Gewalt, diesem beklagenswerthen Stande der Dinge
Einhalt zu thun. Wartet nicht, bis der Arbeiter die gerechte Klage zu Euch
gelangen läßt:
Keine Arbeit.
Ihr könnt diese Klage verstummen machen; die traurigen Umstände, welche die
Arbeit gelähmt haben, verschwinden täglich mehr und mehr; aber unsere
Hülfsquellen und unser Muth werden täglich minder, und die Entbehrungen,
unter denen unsere Weiber und Kinder schmachten, täglich größer,
schrecklicher.
Der Arbeiter bedarf des Eigenthümers, der Eigenthümer des Arbeiters: sie sind
gegenseitig nothwendig.
Unsere Bedürfnisse sind immer dieselben; wir handeln immer unter derselben
Nothwendigkeit. Noch ein Wort, Bürger, das letzte! den Arbeiter länger ohne
Arbeit zu lassen, das hieße auf ihn alle Leiden ankommen lassen, die Euch
ein Leichtes wären abzuwenden. Wir hegen die Ueberzeugung, daß Ihr sie
abwenden werdet, weil wir überzeugt sind, daß Ihr unsere Brüder seid, wie
wir die Eurigen.
Im Namen der dreifach erhabenen Devise: Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit.
Wir bitten Euch, die Augen um Euch aufzuschlagen.
Brüderlichen Gruß.
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@type | jArticle |
@facs | 0159 |
Toulon, den 19. Juni 1848.
(Die Maurer von Toulon.)
Die meisten Plätze von Paris, wie der Platz vom Pantheon, Saint Michel,
Petit-Pont, der Blumenmarkt und der Platz vor dem Rathhause sind in völlige
Lager umgewandelt und mit Truppen aller Waffengattungen besetzt.
Die Straße Pourtour St. Gervais hat namentlich viel gelitten. Die alten
Häuser sind durchlöchett von Kugelschüssen, dicht nebeneinander. Die Häuser
im Anfange der Rue St. Antoine, nahe bei der Straße Cloche Perche sind
theilweise in den Grund geschossen, theilweise von Kanonenkugeln und
schwerem Geschütze durchbohrt.
Alle Acacienbäume, nahe bei der Bastille, sind von Kanonenkugeln wie
abgesägt.
Der Eingang des Faubourg St. Antoine und namentlich die Straße Charenton
bieten einen schauderhaften Anblick dar. Alle Häuser sind wie durchstöbert
von Kanonenkugeln; ganze Flügel sind umgeworfen; ganze Mauertheile sind
niedergerissen.
Die Thurmspitze der Kirche St. Etienne du Mont ist von einer Kanonenkugel
fortgeschleudert worden.
‒ Die Redakteure der „Republique Rouge“ und des „Journal de la Canaille“ sind
auf den Barrikaden des Foubourg du Temple gefallen. Cavaigne ehemaliger Redakteur der „Comune de Paris“ und Freund
Sobriers ist arretirt.
‒ Vier Generale sind gefallen, darunter ein Generallieutenant (Negrier) und 3
Brigadegenerale. Siebenzehn Generale sind verwundet, darunter fünf
Generallieutenants, Bedeau, Duvivier, Regnault, la Fontaine und Clement
Thomas. 31 höhere Offiziere sind getödtet, sowohl von der Linie, als von der
Nationalgarde; über 112 höhere Offiziere sollen verwundet sein. Außerdem
sind von der Nationalgarde 72 Offiziere getödtet und 218 verwundet. Die
Linie soll ungefähr dieselbe Zahl verloren haben. Man zählt 5700 in den
Spitälern und Feldlazarethen aufgenommene Verwundeten und 2000, die direkt
in ihre eigne Wohnung gebracht worden sind.
‒ Verflossene Nacht hat man sich im Gehölz von Boulogne geschlagen; ungefähr
600 Insurgenten hatten sich dorthin geflüchtet, General Lamoricière hat sie
mit einer Eskadron Kavallerie gesprengt. Sie sind größtentheils gefangen
genommen und denen hinzugefügt worden, die nach dem eben erlassenen Dekret
der N.-V. zur Deportation verurtheilt sind. Dies Dekret muß bald möglichst
in Vollzug gesetzt werden, denn die Lage der Gefangenen
in Paris ist unerträglich; sie sind größtentheils in die weiten
Gewölbe der Tuilerien gesperrt, die unter dem Schlosse her bis zum
Konkordiaplatz sich erstrecken. Es sind das dieselben Souterrains, durch
welche Louis Philipp entflohen ist. Dort sind sie ohne
Luft, ohne Licht, und schlagen sich unter einander in der
Dunkelheit. ‒ Wie Frankreich vor dem Bürgerkrieg und dem drohenden
Bankerutt gerettet werden soll, es ist nicht abzusehen. Die Geschäfte stehen
still, alle Welt ist ruinirt, Bald wird Niemand mehr beim besten Willen
Steuern zahlen können. Der Bürgerkrieg dürfte nur für einen Augenblick
ausgesetzt sein. Der Sieg hat die Frage nicht gelöst; es ist nur ein
Waffenstillstand und bald wird die Zahl der Unzufriedenen groß genug sein,
um den Wiederausbruch des Kampfes befürchten zu lassen.
[(Independ. Belge).]
Lamennais sagt in seinem „Peuple constituant“: Was
man auch von den Absichten der Insurgenten sagen möge, überall wo
Repräsentanten zu ihnen kamen um sie anzureden, haben sie gesagt: Gesteht nur daß wir keine Plünderer sind. ‒ In dem
Proudhonschen Représentant du Peuple lesen wir:
Wir beklagen, wir bewundern sie aufrichtig, diese Nationalgarden, diese
Liniensoldaten, diese Mobilgarden, die ihr Leben muthvoll für die Sache der
Ordnung und der Familie hingegeben haben. Aber sind sie nicht ebenso
bemitleidenswerth, diese unglücklichen Arbeiter, die für das Recht zu
kämpfen und zu sterben glaubten, das jeder Mensch hat, von den Früchten
seine Arbeit unter dem Himmel des Vaterlandes zu leben. Ach es ist das
Elend, das ihnen die Flinte in die Hand gedrückt hat.“
Wir fügen hier die Bemerkung eines Korrespondenten der belgischen
„Indépendance bei, die also lautet: „Nicht ein einziges
Journal hat den Muth oder den Willen die Wahrheit zu sagen über die
Ereignisse. Nicht nur der Belagerungszustand legt diese
Zurückhaltung auf; man fühlt die Nothwendigkeit die Geister zu beruhigen,
die noch tief aufgeregt sind von den Erlebnissen der letzten Tage. So hat
man die Füsillade der vorletzten Nacht auf dem Karrousselplatz und dem
Tuilerienquai, die sonst als eine furchtbare Katastrophe gegolten hätte, als
einen bloßen Lärm dargestellt. Ueber den wirklichen Antheil, den die
Nationalgarde an der Insurrektion genommen hat, geben die Journale ebenfalls
keine genauen Aufklärungen. Es steht fest, daß von der ersten und zweiten
Legion (bekanntlich der Nobelgarde) nur eine kleine Anzahl gemeiner
Gardisten, jedoch ohne ihre Waffen und ihre Uniform sich betheiligt haben.
Eben so ist es mit weniger Ausnahme in der dritten. Aber schon in diesen
ersten Legionen kannte man gewisse übelangeschriebene Leute, theils als
conspirirende Reaktionaire, theils als Anhänger der rothen Republik. Bei
einem Theile derselben wurden Nachsuchungen angestellt, man fand Gewehre,
Pulver und Blei bei ihnen, hinlänglich um eine Kompagnie zu bewaffnen.
Selbst die Kleinkrämer, die klassischen Freunde der Ordnung, sollen nicht
jeder Theilnahme an der Revolte fremd geblieben sein. ‒ Aber hauptsächlich
haben die 5., 7., 9. und 12. Legion, ohne gerade in zwei Theile getheilt zu
sein, wie man gesagt hat, ihr Kontingent zur Insurrektion gestellt. Beim
Pantheon kommandirte ein Bataillonschef, Namens Collet, die Insurgenten; er
ist erschossen worden. Nationalgarden in Uniform sind in allen Barrikaden
des Quartier Latin gesehen worden. Im Faubourg St. Antoine hat man ebenfalls
mehrere Offiziere und Unteroffiziere der Nationalgarde ergriffen. Sehr
viele, die nach Hause zurückgekehrt waren, wurden angezeigt und sofort
verhaftet. Zu La Chapelle hatte der eine Bataillonschef den andern ‒ es sind
ihrer zwei da ‒ gefangen genommen. In diesem Augenblick beginnen hier die
Denunciationen, und die eine Hälfte der Gemeinde klagt die andere einer nur
allzuwahren Theilnahme an dem Aufstande an.“
Ueber die Theilnahme der Arbeiter sagt derselbe Korrespondent: Ein Bewohner
des Faubourgs St. Antoine versicherte mir gestern, daß im Ganzen mehr kleine
Fabrikanten und Werkführer in den Barrikaden gewesen, als eigentliche
Arbeiter. Aber unter Arbeitern verstand er vorzugsweise die seines
Handwerks, Arbeiter auf Zimmern, die größtentheils Familienväter sind, die
Fabrikarbeiter und Tagelöhner kann er nicht gemeint haben.
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@type | jArticle |
@facs | 0159 |
Paris, 30. Juni.
Die Restaurationspartei fängt schon an ihre Gedanken und Hoffnungen ganz
offen auszusprechen; was sie in Paris noch nicht wagt, das gesteht sie
unverschleiert in belgischen Journalen, die zum Ruhme ihres
konstitutionellen Musterstaates begierig Alles aufnehmen, was die
französische Republik herabzusetzen, ihr baldiges Ende wahrscheinlich zu
machen geeignet ist. In der „Emanzipation“ heißt es: der Sieg, den die
Nationalgarde am 26. Juni zu Paris davongetragen hat, ist der erste Tag der
Wiederherstellungen. Am 24. Februar war man
herausgetreten aus der politischen Welt und der Gesellschaft. Am 26. Juni kehrt man zur gesellschaftlichen Ordnung
zurück. Die Zeit, die Ueberlegung und der gesunde Sinn des Landes
werden das Uebrige thun. ‒ Die Menschen, die vom
23. bis 26. Juni einen Verzweiflungskampf fochten, sind, sagt ihr, dieselben, die am 24. Februar das Königthum gestürzt haben. Die Aufrührer, gegen welche die Armee
und Nationalgarde so viel Muth und Entschlossenheit entfaltet haben, sind
dieselbe Aufrührer, gegen welche Armee und Nationalgarde nicht marschiren
wollte am 23. Februar. Keine Täuschungen, keine Lügen, das ist die reine
Wahrheit.
‒ Man glaubt eine der deutschen Provinzial-Adressen vor sich zu haben, die
stets mit so viel täppischer Voreiligkeit die geheimen Pläne und Tendenzen
der Reaktion ausplaudern, wenn man die nachstehende Petition der
Nationalgarde von Rouen liest, die eben an die Nationalversammlung mit
„zahlreichen Unterschriften“ abgeht:
„An die Mitglieder der National-Versammlung. Mitten im Herzen des Vaterlandes
hat das Element des Umsturzes und der Vernichtung, verschworen gegen das
Leben der Gesellschaft vier Tage lang sein schreckliches Banner
aufgepflanzt. Die bewaffnete Nation hat seine furchtbare Herausforderung
angenommen und der Kampf hat ein glorreiches Ende gehabt für die
unerschrockenen Vertheidiger der öffentlichen Ordnung.
Aber das reinste Blut ist vergossen worden und seine Spuren werden noch lange
auf den Straßen und öffentlichen Plätzen von Paris sichtbar bleiben.
Auf wen muß die Verantwortlichkeit dafür fallen? Die Nationalgarde steht
nicht an sie auf die Regierung zu wälzen, d. h. auf die
Vollziehungs-Kommission der Fünfe. Der Kampf war vorhergesehen und
angekündigt. Was hat sie gethan ihm zuvorzukommen? Was hat sie gethan ihn zu
unterdrücken? Die Insurgenten waren mit Waffen und Kriegsbedarf vollauf
versehen. Woher sind sie dazu gelangt? Warum haben sie gleich von Anbeginn
zahllose furchtbare Barrikaden erhoben ohne Hinderniß? Warum ist nicht
gleich anfangs schleunig und kräftig eingeschritten worden?
Die Vollziehungs-Kommission wußte was kommen sollte; sie hat es nicht
verhindert. Beweist ihre Unthätigkeit nicht ihre Schuld?
Darum hat sich auch ein ungeheurer Schrei des Entsetzens und der Verwerfung
gegen sie erhoben. Sie ist gefallen. Das genügt nicht. Sie ist der Nation
Rechenschaft schuldig für ihre Handlungen. Die Nationalgarde von Rouen
verlangt, daß sie in Anklagestand versetzt werde.“
(Siehe den Verfolg in der
Beilage.)
[Leserbriefe]
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@type | jArticle |
@facs | 0160 |
Die Veröffentlichung nachstehender Erklärung vieler westphälischen Bürger und
Bauern ist durch die Weigerung der „Kölnischen
Zeitung“, sie in ihre Spalten auch sogar gegen Erstattung der
Insertionsgebühren, aufzunehmen, verzögert.
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@type | jArticle |
@facs | 0160 |
Meschede in Westphalen, den 13. Juni 1848.
Als wir vor Kurzem die angebliche Protestation der Westpreußen gegen Berlin
lasen, und die allgemeine Verachtung sahen, welche diese Drohung ihren
Urhebern brachte, fürchteten wir nicht, daß die Frechheit so weit gehen
würde, auch unsern Namen „Westphalen“ in gleicher Weise zu brandmarken, wie
es in Nro. 162 der Kölnischen Zeitung geschehen. Wir sind zwar fest
überzeugt daß der eben so dumme als schamlose Artikel nur aus der Feder
eines der vielen jammerlichen Subjekte geflossen ist, welche sich unter dem
gestürzten, ihrer würdigen System auf Kosten des Volkes wohl sein ließen und
nun mit Grund sich ärgern von den Fleischtöpfen Egyptens vertrieben zu sein
und wir halten es dieserhalb für höchst überflüssig, erst weiter noch zu
versichern, daß kein ehrlicher wahrer westphälischer Bauer oder Bürger zu
dem Schandartikel sich bekennen wird, benutzen aber mit Freuden die
Gelegenheit öffentlich zu erklären, daß wir der Sache der vollsten Freiheit,
dem raschen entschiedenen Fortschritte, und allem dem, was uns endlich die
Verwirklichung der längst gehegten Wünsche hoffen läßt, eben so entschieden
anhängen und mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln dies zu erstreben und
zu bewahren fest entschlossen sind, als wir das durch die hochherzigen
tapfern Bürger Berlins vernichtete alte verächtliche System von Grund der
Seele hassen und verabscheuen.
Wir halten uns dieserhalb den wackern Berlinern ebenso zu Danke verpflichtet,
als wir gerne und mit Freuden anerkennen, daß die uns schon aus alten Zeiten
enge verwandte und theure Stadt Köln sich bis jetzt
stets in unserm Sinne und nach dem Wunsche unseres Herzens benommen hat.
Sowohl Berlins als auch Kölns wackere Männer dürfen daher überzeugt sein,
daß, wenn uns je die Erfüllung politischer Pflichten in ihre Mitte führen
sollte, wir nur erscheinen, um Hand in Hand mit ihnen, die nach den
Erfahrungen der jüngsten Zeit, vielleicht wieder erwachten, der Freiheit und
dem Volke feindlichen und verhaßten Grundsätze der gestürzten Regierung zu
bekämpfen, oder Ueberreste derselben, welche noch nicht völlig ausgerottet,
zu vernichten.
Uns fehlt nicht der Muth wie so Vielen, offen und frei zu erklären, daß wir
die Revolution in Berlin für das Ruhmwürdigste anerkennen, was unser Volk
seit lange vollbracht, daß durch diese That alle Rechte demselben wieder
errungen sind, welche List, Trug und Gewalt ihm entrissen und vorenthielten;
daß Kraft dieser Revolution die höchste Gewalt zu dem Volke zurückgekehrt,
dem sie einzig gebührt und welches nach seinem Ermessen sie diesem oder jenem
anvertraut; und wenn uns auch nicht vergönnt war, an dem ruhmwürdigen Kampfe
Theil zu nehmen, welcher uns unsere Rechte wieder eroberte, wir doch jeden
Augenblick bereit sind, Gut und Blut an ihre Erhaltung zu setzen.
Das ist die Erklärung wirklicher westphälischer Bauern und
Bürger.
(Folgen die Unterschriften.)
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@type | jArticle |
@facs | 0160 |
An das deutsche Volk!
Was wir vorausgesehen, ist eingetroffen. In ihren Sitzungen von gestern und
heute hat die deutsche Nationalversammlung, welche größtentheils nicht aus
direkter Volkswahl hervorgegangen ist, durch ihre „Beschlüsse über
Einführung einer provisorischen Centralgewalt für Deutschland“ das deutsche
Volk und sich selbst in den Zustand der Unmündigkeit zurückgeworfen. Ihre
Majorität hat, gegenüber der an Zahl nicht den
vierten Theil bildenden entschiedenen Linken:
1) den Antrag: „die Centralgewalt habe die Beschlüsse der Nationalversammlung zu verkündigen und zu vollziehen“, verworfen. Sie hat hiermit von vorn
herein ihre Beschlüsse in die blaue Luft gestellt, und eine ihr
gegenüberstehende furchtbare Diktatur geschaffen. Was soll hierbei aus der
Einheit und Freiheit Deutschlands werden? Oder will man in jedem Falle, in
welchem der „Reichsverweser“ sich weigert, die Beschlüsse der
Nationalversammlung zu vollziehen, an die revolutionäre Entscheidung des
Volks appelliren?
2) Sie hat ‒ ein Vorbild dessen, was wir von ihr für
die Gründung einer definitiven Verfassung Deutschlands zu erwarten haben ‒
die Centralgewalt keinem Präsidenten, sondern einem Reichsverweser, dem Vorläufer eines deutschen Kaisers mit neuem Throne und neuer Civilliste, übergeben. Sie hat
hiermit das Mittelalter von Neuem zur Grundlage gemacht und die Verwesung Deutschlands zum Gesetz erhoben.
3)
Sie hat die Unverantwortlichkeit dieses Verwesers
zum Beschluß erhoben, mithin von Neuem den Wahn eines heiligen,
unverantwortlichen und unverletzlichen Wesens an die Spitze unserer
politischen Zustände gestellt, und dadurch der Diktatur von Gottes Gnaden
Raum gegeben.
4) Sie hat beschlossen, „daß die Centralgewalt sich in
Beziehung auf die Vollziehungs-Maßregeln, so weit thunlich, mit den
Bevollmächtigten der Landes-Regierungen ins Einvernehmen setzen soll.“
Hiermit hat sie die geschaffene Centralgewalt und Diktatur, im Interesse der
Regierungen, wieder zersplittert und illusorisch gemacht, und hat vollends
die Kraft des frei-einigen Deutschlands vernichtet, und den Zustand der
Sonderinteressen sanktionirt.
Also ein Gesetz hat die Nationalversammlung erlassen, welches einen
unverantwortlichen, an die Beschlüsse der Nationalversammlung nicht
gebundenen, mit den Landes-Regierungen sich möglichst in's Einvernehmen
setzenden Reichverwesers als die exekutive Gewalt Deutschlands proklamirt!
Also dieser widerspruchsvolle durch die Nationalversammlung geschaffene
Diktator der fürstlichen Interessen soll an der Spitze Deutschlands
stehen?!
Von Neuem ist das Mittelalter heraufbeschworen, die Nationalversammlung hat
die Volkssouverainität, die Volksmündigkeit, ihre von ihr selbst feierlich
proklamirte Mutter und einzig berechtigte Grundlage freiwillig aus aus ihrer
Hand gegeben, dem Volke von Neuem eine Fürsten-Aristokratie und einen
heiligen Popanz gegenüber gestellt; sie hat den Grund zu neuen innern
Kämpfen Deutschlands gelegt, und dadurch die Hoffnung auf Wiederbelebung der
Industrie und des Verkehrs auf längere Zeit vernichtet. Sie wird uns hiermit
den, bei der Zersplitterung Deutschlands in so viele Staaten und Regierungen
dreifach verderblichen Zuständen Frankreichs unter dem Bürgerkönig Louis
Philipp und unter der „mit republikanischen Institutionen umgebenen
Monarchie“ entgegenführen, und dadurch bald eine neue Revolution nothwendig
machen.
Es ist die Pflicht Aller, welchen die Ehre, die Freiheit und das Wohl des
Vaterlandes am Herzen ligt, gegen eine Nationalversammlung, welche schon 7
Wochen lang das Volk hingehalten, mehrmals verleugnet, und jetzt durch obige
Beschlüsse im Innersten verletzt hat, sich
entschieden zu erklären.
Hierzu ist erforderlich, daß überall und sofort in dem ganzen deutschen
Vaterlande Vereins- und größere
Volksversammlungen gehalten werden, in welchen dem deutschen Volke
die Sachlage genau dargelegt und die folgenden Punkte beschlossen werden
müssen.
a. Ueberall müssen allgemeine
Eingaben an die Nationalversammlung gerichtet werden, in welchen derselben,
als einer meist aus nicht direkten Volkswahlen
hervorgegangenen, die fernere Anerkennung versagt, und insbesondere die Majorität als volksfeindliche Macht verworfen, die Minorität der Linken zum
Ausscheiden und zu der Bildung eines neuen Kernes aufgefordert wird, an
welchen sich weitere Abgeordnete durch neue direkte Wahlen anschließen
müssen.
b) Von jedem besonderen Wahlbezirke aus
müssen die Mandate der Männer der Majorität zurückgenommen, und müssen die einzelnen Abgeordneten, welche zu
der Linken gehören, zum Ausscheiden aus dieser Nationalversammlung und zum
Anschlusse an die übrigen gleichfalls ausscheidenden Männer der Linken, und
zur gemeinsamen Bildung des Kernes einer neuen Versammlung aufgefordert
werden.
Zu diesem Zwecke folgt unten ein Verzeichniß derjenigen Abgeordneten, welche
als Glieder der entschiedenen Linken gegen das
Gesetz über die Centralgewalt gestimmt haben.
Einer dieser Ehrenmänner, Kapp von Neuenheim bei
Heidelberg, ist bereits ausgeschieden, und hat seinen schon in ganz
Deutschland gefeierten Namen durch die folgende Erklärung seines Austritts
von Neuem verherrlicht.
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@type | jArticle |
@facs | 0160 |
Der Abgeordnete Kapp an Herrn v. Sagern, Präsidenten der
Nationalversammlung.
Gestern Morgen hatte ich gleich zu Anfang der Sitzung in einer dringlichen
Angelegenheit auf wenige Augenblicke Sie und Herrn v. Soiron um's Wort gebeten; letzterer hat sich indessen trotz meiner
vier Mal wiederholten Forderung wie gewöhnlich gemüßigt gefunden, mir
dasselbe abzuschneiden. In die Unmöglichkeit versetzt, mich mündlich
erklären zu können, bin ich gezwungen, die Gründe meines Austritts
schriftlich auf die Tafel des Hauses niederzulegen und Sie zu ersuchen, dies
Schreiben sofort der Nationalversammlung mitzutheilen.
Als ich am Montag Morgen, den 26. d. M., den Antrag auf Gründung einer großen
deutschen Nationalbank dem Präsidium übergab, glaubte ich nicht, noch am
Abend desselben Tages einen Vorfall erleben zu müssen, der in den Annalen
parlamentarischer Verhandlungen kaum seines Gleichen hat. Mit gewohnter
Milde und Nachsicht würde ich jedoch diesen Vorfall, wie andere ähnliche ‒
ich nenne nur die zaghafte Vertagung der Wahlfrage Peter's, der Mannheimer Beschwerden und das Benehmen in der
Mainzer Angelegenheit ‒ übersehen haben, wenn ich nicht aus dem Geiste,
welcher in den Hauptfragen die Mehrzahl der Versammlung beherrscht, die
tragische Ueberzeugung gewonnen hätte, daß die Nationalversammlung nicht nur
die Gesetze verleugnet, welche sie sich selbst gegeben, sondern auch den
Boden verläßt, auf welchem sie zu stehen berufen ist, daß sich also das
Schicksal Deutschlands nicht in diesem Saale, sondern außer ihm, nicht durch
Worte und diplomatische Künste, sondern durch Thaten, durch Ereignisse
entscheiden wird.
So schmerzlich es mir ist, dies aussprechen zu müssen, so wenig ich zu
separatistischen Schritten geneigt bin, so kann ich es doch im Geiste meiner
Wähler mit meiner Ehre und meinem Gewissen nicht vereinigen, noch länger
einer Nationalversammlung anzugehören, welche in Tagen solcher Noth ihr
Schicksal außer sich setzt und nicht zu begreifen wagt, daß die Thatsachen
unserer neuen Geschichte nichts anders als die offenbar gewordenen
Prinzipien des Jahrhunderts sind. Einen erneuten glänzenden Beweis der
Verleugnung ihres Ursprungs, der Verkennung ihrer Aufgabe, der Verkennung
der Forderungen und Hoffnungen des Volks hat die Nationalversammlung in
taktvoller Harmlosigkeit bei der gestrigen Abstimmung dadurch geliefert, daß
sie die Centralgewalt von der Verbindlichkeit, die Beschlüsse der
Nationalversammlung zu vollziehen, entband, jene also unabhängig von sich
hinstellte, mithin sich selbst zur Antichambre des künftigen Reichsverwesers
degradirte; bei ihrer heutigen Abstimmung aber dadurch, daß sie eben diesen
Reichsver weser mit mehr als doppelter Majorität aller Verantwortlichkeit
überhob und auf diese Weise die Macht- und Rechtsvollkommenheit des Volkes
verdahlmannte.
Indem ich auf Grund dieser Thatsachen meinen Austritt erkläre, verbinde ich
mit dem hochachtungsvollsten Gruße an die Ehrenmänner aller Bänke den
Wunsch, daß mein Ausscheiden die Ursachen mit entfernen helfe, welche zu
diesem Schritte gonöthigt haben.
Frankfurt, den 28. Juni 1848, Vormittags 111/2 Uhr.
Berger von Wien. Blum von Leipzig. v. Blumröder, Gustav, von Kirchenlamitz.
Boddien von Pleß. Bogen aus Michelstadt. Brunck von Fürfeld. Christmann von
Dürkheim. Dewes von Losheim. v. Dieskau von Plauen. Dietsch von Annaberg.
Dietzsch von Saarbrücken. Falk von Ottolangendorf. Föhrenbach aus Baden.
Förster von Hünfeld. Giskra von Wien. Goltz von Brieg. Gritzner von Wien.
Grubert. Gulden von Zweibrücken. Günther von Leipzig. Hagen aus Heidelberg.
Hartmann von Leitmeritz. Heldmann aus Hessen. Hensel I. von Camenz. Hentzel
von Zittau. Hentges von Heilbronn. Hoffbauer von Nordhausen. Höninger von
Rudolstadt. Itzstein aus Mannheim. Jordan von Berlin. Junghanns von Mosbach.
Kolaczeck aus österr. Schlesien. Kolb von Speyer. Küntzer aus Konstanz.
Marsilli von Roveredo. Martiny von Friedland. Meyer von Liegnitz. Minkus von
Marienfeld. Mohr von Oberingelheim. Nägele von Murhardt. Nauwerk von Berlin.
Pfahler von Tettnang. Raveaux von Köln. Ree von Offenburg. Reichard von
Speyer. Reinhard von Boytzenburg. Reinstein von Naumburg. Reitter von Prag.
Richter aus Achern. Rödinger von Stuttgart. Rölle aus Schlesien. Rösler von
Oels. Roßmäßler von Tharand b. Dresden. Rühl von Hanau. Ruge von Leipzig.
Sachs aus Mannheim. Schaffrath von Neustadt. Schilling von Wien. Schlöffel
von Halbendorf. Schmidt, E. F. F., von Lävenberg. Schmidt, Jul. Th., v.
Wurzen. Schmitt von Kaiserslautern. Schneider aus Brünn. Schüler von Jena.
Schüler, Fried., von Zweibrücken. Schulz, Friedrich, von Weilburg. Schuselka
von Kloster-Neuburg. Simon, Max, von Breslau. Simon von Breslau. Simon von
Trier. Sonnenkalb von Römschütz. Spatz von Frankenthal. Stockinger von
Frankenthal. Straß aus Schlesien. Tafel von Stuttgart. Tafel, Franz, von
Zweibrücken. Thieme von Hirschberg. Titus von Bamberg. Trützschler von
Dresden. Uhland von Tübingen. Umbscheiden von Dahn. Vischer von Tübingen.
Vogel aus Schlesien. Vogt von Gießen. Wesendonk von Düsseldorf. Wiesner von
Wien. Wigard von Dresden. Zell von Trier. Zell von Trier. Zimmermann,
Professor, von Stuttgart. Zimmermann von Spandau. Zitz von Mainz. Zöllner
Chemnitz.
Frankfurt a. M, den 28. Juni 1848.
Der provisorische Central-Ausschuß der demokratischen Vereine zu Frankfurt a.
M.
Ronge. Metternich. Bayrhoffer.