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Humoristische Skizzen aus dem deutschen Handelsleben
von Georg Weerth.
Der Herr Preiß über die Dinge im Allgemeinen.
Auf dem Komptoire des Herrn Preiß lag wieder einmal die schauerlichste
Geschäftsstille.
Der Herr Preiß sah aus wie ein Todtengräber, in dessen Kundschaft während
ganzer vierzehn Tage auch nicht ein einziger Mensch gestorben ist.
In der That, seit vierzehn Tagen hatte der Herr Preiß keinen Käufer bei sich
gesehen.
Der Buchhalter Lenz schrieb die Köpfe seiner Handels-Conti für ein halbes
Jahr im Voraus; aus reiner langer Weile. Die schönen Handelsconti! „Romulus
und Remus Sollen an Kaffee, Zucker und Korinthen-Conto.“ oder „Rhein- Ahr-
Lahn- und Moselwein-Conto Hat an Castor und Pollux.“ Der Buchhalter Lenz
nahm zwischen jeder Silbe eine Priese. ‒ August, der blonde Korrespondent,
schnitt sich vierzehn Dutzend Federn, ebenfalls aus langer Weile; der
Lehrling linnirte ein halbes Ries Propatria.
„Es ist mir unbegreiflich“, begann der Herr Preiß, „wie man jetzt mit dem
Geschicke der Welt so leichtsinnig umgehen kann!“
„„Sehr leichtsinnig!““ erwiderte der Buchhalter.
„In Deutschland geht man indeß noch weniger schlimm in diesem Punkte zu
Werke, als in manchen andern Ländern.“
„„Bei weitem weniger!““ erwiderte der Buchhalter scharfsinnig.
„Da setzt man z. B. in Frankreich an die Spitze des Staates einen
Poeten!““
„„Es ist unerhört!““
„Allerdings, Lenz. Es ist rein zum toll werden. Einen Poeten ‒ einen Poeten,
der Verse macht ‒ einen Poeten ‒ ich bitte Sie, Lenz, giebt es etwas
närrischeres auf der Welt, als einen Poeten?“
„„Nicht leicht ‒ nur ein Mensch der Verse liest kann
möglicherweise noch närrischer sein, als ein Mensch der Verse macht.““
„Da sind wir ganz miteinander einverstanden, Lenz. Poesie ist Wahnsinn. Die
Poesie ist die verrückt gewordene Prosa, und ein Poet gehört nach Siegburg,
aber nicht an die Spitze der französischen Republik.“
„„Dies mein' ich nicht, Herr Preiß.““
„Wie so, Lenz?“
„„Wenn die Poesie die verrückt gewordene Prosa ist, so kann man die Republik
die verrückt gewordene Monarchie nennen; und steht ein Poet an der Spitze
der Republik, so paßt das nur ganz herrlich; der eine Wahnsinn geht mit dem
andern Hand in Hand.““
„Sie sind einsichtsvoller als ich dachte, Lenz!“
„„Wehe dem Lande, dessen Minister ein Poet ist!““
„Ein Mensch, der von Jugend auf nur für Rosen und Lilien, für grüne Wälder
und goldne Saaten, für Lerchen und Nachtigallen, und für ähnliche Lapalien
schwärmte, der soll nun plötzlich eine Nation von fast sechsunddreißig
Millionen essenden, trinkenden, tanzenden, räsonnirenden und
revolutionirenden französischen Menschenkindern im Zaume halten ‒ hören Sie
'mal, Lenz, das kann nimmer gut geh'n!““
„„Nimmer, Herr Preiß; die Kurse müssen noch mehr fallen.““
„Das glaub' ich auch, Lenz. Hole der Henker den französischen Poeten!“
„„Erstens spricht er durch die Nase.““
„Und zweitens will er die Menschen glücklich machen.“
„„Und drittens ist er Poet!““
„Er hat die drei gefährlichsten Mängel, welche ein Sterblicher haben kann.“
‒
Eine Windstille entstand in der Konversation. Der Buchhalter beschaute seine
Handelsconti; der Herr Preiß fuhr im Lesen der Zeitung fort.
„Außer den Poeten“, begann er endlich auf's Neue, „sind indeß auch die
Astronomen an die Reihe gekommen. Da haben wir so einen gelehrten Mann, der
sein ganzes Leben lang hinauf in den Himmel geschaut hat, und der nun auf
einmal die Erde regieren soll.“
„„Es ist lächerlich, aber traurig.““
„Allerdings Lenz, man hätte diesen Menschen provisorisch unter die Sterne
versetzen sollen ‒ aber unter irdische Minister ‒ Lenz, es kann gewiß nicht
gut geh'n! am meisten ängstigt es mich indeß, daß man sogar Literaten und
Zeitungsschreiber in das Gouvernement gebracht hat.“
„„Was Sie sagen, Herr Preiß!““
„Ja, bei Gott, Lenz, Zeitungsschreiber sollen jetzt das Schicksal der
Nationen entscheiden.““
„„Es ist kaum glaublich.““
„Aber es ist eine entsetzliche, sehr herbe Wahrheit, Lenz, und ich muß
gestehen, daß sich meine Haare sträuben, wenn ich an diese Gesellen
denke.
„„Ein Zeitungsschreiber: Minister! Es ist fatal. Zeitungsschreiber gehören zu
den gefährlichsten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft.““
„Da haben Sie wohl recht, Lenz. Ich kenne diese Leute, mit ihren großen
Schnurrbärten und mit ihrem gottvergessenen frivolen Lachen.“
„„Sie sehen entsetzlich aus!““
„Und doch sah ich sie manchmal gern.“
„„Nun ja, wie man bisweilen in Menagerien gern einen Tiger oder einen Panther
sieht.““
„Allerdings! die Kerle haben etwas eigenthümliches an sich; auch bei uns
sehen sie aus wie lustige Verbrecher ‒ namentlich seit der Abschaffung der
Censur ‒ ‒ “
„„Ja, das war unser Unglück!““
„Thür und Thor ist jetzt ihrem Treiben geöffnet; Alles verunglimpfen sie mit
ihren Lästerzungen, und gern machten sie jede Woche wenigstens eine
Revolution ‒“
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„„Blos um eine Extrabeilage zu ihrer Zeitung machen zu können.““
„Sehr richtig, Lenz, und ich wollte, daß sie alle mit einander der Teufel
holte; es ist eine verderbte Raçe.“
„„Schade, daß sie manchmal gescheidter sind als andere Leute ‒““
„Frecher sind sie jedenfalls!“
„„Niemanden können sie in Ruhe lassen ‒““
„Alles machen sie herunter.“
„„Sie schreiben nicht für das Publikum ‒““
„Sie schreiben nur für sich selbst.“
„„Man sollte eigentlich gar keine Zeitung mehr halten; blos um diese Menschen
zu ärgern ‒““
„Man muß sie wenigstens so schlecht wie möglich in ihrem Beginnen
unterstützen ‒“
„„Am Ende steht man sich noch besser unter der russischen Knute, als unter
dem Hohn eines Zeitungsschreibers.““
„Ja, wahrhaftig Lenz, der Geist eines guten Bürgers spricht aus Ihnen. ‒“
Abermals versank der Herr Preiß in seine Zeitung, und der Buchhalter in seine
Handelsconti.
„Zu den Poeten, den Astronomen und Zeitungsschreibern kommt indeß noch eine
vierte Menschenklasse, welche anfängt, beunruhigend zu werden“. sprach der
Herr Preiß.
„„Die Scharfrichter meinen Sie? ‒““
„Gott bewahre, Lenz. Die Advokaten ‒ ‒“.“
„„Ganz recht, die Advokaten.““
„Die Advokaten habe ich nie leiden können.““
„„Sie sind hinterlistig und voller Ränke.““
„Sie hören die Flöhe husten und sie sehen das Gras wachsen.“
„„Sie führen Prozesse und machen uns den Prozeß.““
„Und ein ehrlicher Mann ist noch niemals sicher vor ihnen gewesen.“
„„Und Ihren Abscheu vor diesen Leuten, theile ich durchaus Herr Preiß.““
„Ja, lieber Lenz, diese Advokaten haben nicht weniger angefangen, unser
Jahrhundert zu dominiren; glattzüngigen Schlangen ähnlich, winden sie sich
aus ihren zerrütteten Vermögensverhältnissen empor zu dem Rand der Tribünen,
wo sie so lange lästernd und verführend ihr entsetzliches Wesen treiben, bis
sie aus dem Dunst einer Volksversammlung zu der Herrlichkeit eines
einträglichen Staats-Amtes eingehen können. So in Frankreich.“
„„Und in Deutschland?““
„Lieber Lenz, man muß sich hüten, das Kind beim rechten Namen zu nennen. O
unsre Tage werden schlimm. Gleich blutigen Kometen stehen diese Poeten,
diese Astronomen, diese Zeitungsschreiber und diese Advokaten
unheilverkündend am Horizonte unseres bürgerlichen Himmels, doch was das
schlimmste ist ‒ Lenz ‒ ‒“
„„Herr Preiß ‒ ‒ ““
„Was mich bis in die Seele hinein ärgert ‒ ‒ “
„„Herr Preiß ‒ ‒ ““
„Was meinen Zorn bis zu jauchzender Wuth steigert ‒ “
„„Herr Preiß ‒ ‒ ““
„Das ist, daß gar ein „Ouvrier“ einen Platz in dieser provisorischen Rotte
Koran hat.“
„„Heiliger Gott!““ seufzte der Buchhalter.
„Beschütze uns vor der blutrothen Fahne ‒ “ setzte der Herr Preiß hinzu und
wiederum lag auf dem weiten Comptoire die ch auerlichste Stille.