Deutschland.
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] Berlin, 25. Juni.
Aus zuverlässiger Quelle erfahre ich so eben, in welcher Weise das neue
Ministerium, das sich heute Mittag definitiv gebildet hat, zusammengesetzt
ist, v. Auerswald, bisheriger Oberpräsident der
Provinz Preußen, Minister-Präsident und intermistischer Minister der
auswärtigen Angelegenheiten, Hansemann, Finanzen,
Märker, Jurist, Kühlwetter, bisher Regierungs-Präsident in Aachen, Inneres, Milde, Handel, Rodbertus,
Unterricht und Kultus, Roth von Schreckenstein,
Krieg, Gierke, Ackerbau und
Ablösungsangelegenheiten. ‒ v. Schleinitz soll, weil
er sich für unfähig erklärt habe die auswärtigen Angelegenheiten der Kammer
gegenüber zu übernehmen, sich mit der Stelle eines Unterstaatssekretärs im
auswärtigen Ministerium begnügen, F. Müller, der
bisherige Polizeidirektor in Köln, wird Unterstaatssekretär im
Justizministerium. Ob der Kaplan und stellvertretende Abgeordnete von
Jülich, Hr. v. Berg, Direktor der katholischen
Angelegenheiten im Kultusministerium wird, steht noch in Frage, Rodbertus
scheint Sympathie für ihn zu haben, die anderweit nicht getheilt wird,
vielleicht wird er ihn erst später zu sich in das Ministerium nehmen.
Sämmtliche neuen Minister sind so eben nach Potsdam gefahren. Sie werden
morgen mit einem Programm vor die Kammer treten, welches heute Mittag nach
hartnäckigem Kampfe zu Stande gekommen ist. Dies Ministerium beabsichtigt
mit seinem Anhang Hrn. Camphausen zum Präsidenten der
Kammer zu machen, eine kluge Taktik, die ihnen schon deshalb
gelingen wird, weil die eigentliche Rechte doch unmöglich gegen Hrn.
Camphausen stimmen wird. Aber aus diesem wahrscheinlichen Erfolg läßt sich
durchaus kein Schluß für die Zukunft machen, denn die Rechte grollt gewaltig
und die Linke wird ohnedem nicht freundlich gegen das neue Ministerium
auftreten. Seine erste Vorlagen sollen in einem Martial-Gesetz und einem Gesetz für die
Bürgerbewaffnung bestehen. Camphausen wird morgen vor der Kammer
eine weitläufige Erklärung in Betreff seines Rücktrittes geben.
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103
] Berlin, 25. Juni.
Die große Kommission zur Entwerfung des neuen Verfassungs-Entwurfs hat den
ministeriellen Entwurf als ganz unbrauchbar gänzlich verworfen. Eine
merkwürdige Einigkeit herrscht bei allen Hauptfragen vor. Die Souverainetät
des Volkes wird ausgesprochen. Der Adel gänzlich
abgeschafft. Die Kammern werden durch Urwahlen gewählt. Kein Census
weder für das passive noch aktive Wahlrecht. Selbstverwaltung jeder
Gemeinde, mit eigener Wahl der Ortsvorstände und Kreisbehörden.
Reorganisation des Militärs u. s. w.
Heute Abend ist eine Volksversammlung vor den Zelten, welche vom Volksverein
ausgeschrieben ist und wo das Thema: „ob Monarchie ob Republik?“ behandelt
werden soll.