Französische Republik.
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Paris, 24. Juni.
Sturz des Vollziehungs-Ausschusses. Arago, Lamartine,
Marie, Garnier-Pages und Ledrü-Rollin danken ab. Cavaignac zum
militairischen Diktator der Republik ernannt; Paris in
Belagerungszustand erklärt! (Augenblicklicher Sieg der Partei des
National).
Welcher Johannistag! Seit gestern Mittag unausgesetztes Kartätschen-,
Tirailleurs- oder Pelotonfeuer gegen die Barrikaden, mit denen die
sogenannten Hunger- oder Lumpenviertel gleichsam übersäet sind. Nein, das
ist keine Emeute, kein bloßer Arbeitskrawall mehr : das ist der blutigste
Prinzipienkampf, der seit 1793 in unseren Mauern ausgefochten wurde. Die
Cité, das sogenannte lateinische Quartier, das Faubourg St. Marceau und die
halbe Nordseite des rechten (gegenüberliegenden) Seineufers schwimmen im
Blute : morgen werden sie die Bomben und glühenden Kugeln Cavaignacs wohl in
einen Schutthaufen verwandelt haben. Doch greifen wir den Ereignissen nicht
vor, tragen wir zunächst die letzten Handlungen der erloschenen Staatsgewalt
und ihres Hauptfeindes nach:
1. Proklamation Marrasts an sämmtliche Maires von
Paris. Bürger Maire! Sie sind seit diesen Morgen von den
Anstrengungen Zeuge, welche eine kleine Zahl Ruhestörer macht um im Schooße
der Bewohnerschaft die lebhaftesten Befürchtungen zu erregen. Die Feinde der
Republik nehmen sich alle Masken, beuten alles Unglück und alle durch die
Ereignisse entstandenen Schwierigkeiten aus. Fremde Agneten gesellen sich zu
ihnen, wiegeln sie auf und bezahlen sie. Sie wollen nicht blos den
Bürgerkrieg unter uns entzünden : Plünderung, soziale Auflösung, Frankreichs
Ruin bereiten sie und man erräth zu welchem Zweck. Paris ist der Hauptsitz
jener infamen Intriguen. Paris wird aber nicht zur Hauptstadt der Unordnung
werden. Möge die Bürgerwehr, als erste Wächterin des Friedens und des
Eigenthums, wohl begreifen, daß es sich vorzüglich um ihre Interessen, ihren
Kredit, ihre Ehre handelt. Ließe sie sich im Stich (si elle s'abandonnait)
so würde sie das gesammte Vaterland allen Zufällen überliefern. Familie und
Eigenthum würden sie den schrecklichsten Drangsalen preisgeben. Die Truppen
der Garnison sind unter den Waflen, sie sind zahlreich und vortrefflich
disziplinirt. Möge sich die Bürgerwehr in ihren Vierteln an den Straßenecken
aufstellen. Die Obrigkeit wird ihre Pflicht erfüllen, erfülle die Bürgerwehr
die ihrige. Paris, 23. Juni, 3 Uhr.
Der Volksvertreter und Maire von Paris,
gez. Marrast.
Flottard, Sekretair.
2. Proklamation der Vollziehungsgewalt an die Pariser Arbeiter d. h.
diejenigen Arbeiter, die aus Paris gebürtig sind. Sie beginnt: „In der Mitte
des kriminellen Aufruhrs, durch welchen einige verirrte Arbeiter der
Nationalwerkstätten die Hauptstadt in Betrübniß versetzen, fühlt die
Regierung das Bedürfniß, in das Herz der Bevölkerung zu reden und sie
aufzuklären. Arbeiter aus Paris! Die Parteiführer, welche von Faktionen
(Prätendenten?) bestochen sind, haben euch überzeugen wollen, daß ihr mit in
jener Maßregel begriffen seid, welche die Nationalwerkstätten auflösen,
deren Arbeitermasse und unruhiger Charakter auf Paris und der ganzen
Republik lastete. Arbeiter aus Paris! Das sind schändliche Verläumdungen! In
Eurem Interesse; im Interesse Euerer Wiederbeschäftigung, im Interesse des Wiederbeginns der
freien Privat-Industrie zu Euerem Nutzen, entschied
sich die Republik, die regelmäßige Ordnung der Arbeit energisch wieder
herzustellen (de rétablir énergiquement l'ordre régulier du travail) u. s.
w.“ Trotz dieser schmeichelhaften Einladung haben die Pariser Proletarier
ihre fremden Kameraden nicht verlassen.
3. Proklamation, die den Kriegsminister, Generallieutenant Cavaignac, zum unumschränkten Gebieter aller Streitkräfte in und um
Paris ernannt. Cavaignac hat erklärt, daß er nur unter dieser Bedingung die
Generalissimusstelle annehme.
4. Praklamation der Nationalversammlung, welche die Entlassung ihres
Vollziehungsausschusses annimmt und den General Cavaignac zum provisorischen
Präsidenten der Republik ernennt.
5. Proklamation, welche Paris in Belagerungszustand erklärt.
Der Moniteur und viele andern Zeitungen haben nicht erscheinen können.
‒ Sitzung der Nationalversammlung vom 23. Juni. ‒ Um
1 Uhr 10 Minuten wird die Sitzung eröffnet in Gegenwart einer sehr kleinen
Zahl von Repräsentanten. Wir zählen ihrer keine 300. Die öffentlichen
Tribünen sind völlig von Zuschauern entblößt. Nur die, wozu man durch
Billette Zutritt erhält, sind mit ihrem gewöhnlichen Publikum versehen.
Hr. Pèan verliest das Protokoll. Die lebhafteste
Aufregung herrscht auf allen Bänken. Nach beendigter Verlesung verfließt ein
ziemlich langer Zwischenraum, ehe Jemand daran denkt, das Wort zu ergreifen.
Zahlreiche Repräsentanten unterhalten sich, Einer nach dem Andern, mit dem
Präsidenten.
Die Herren Bedeau und Lebreton sind leider in ihrer Generalsuniform.
Der Präsident schellt und verlangt Stillschweigen. Ruf: Auf den Platz! Auf
den Platz!
Flocon (Allgemeine Spannung). Er legt einen
Gesetzvorschlag nieder, der die Eröffnung eines Kredits von 5 Millionen
verlangt, um der Stadt Lyon gewisse Arbeiten zu zahlen, die ihr vor drei
Monaten anbefohlen worden sind. (Enttäuschung auf allen Seiten. Der Minister
kehrt auf seinen Platz zurück, ohne ein Wort zu sagen.)
General Lebreton legt einen Dekretvorschlag über das
Gesetz der Cumulation, so weit es die Offiziere und Unteroffiziere der
Nationalgarde betrifft vor. Er glaubt einen Wunsch der Versammlung zu
erfüllen, in den Umständen, worin sie sich befindet, indem er ihr
vorschlägt, eine Kommission von Volksrepräsentanten zu ernennen, die sich in
die Mitte der Truppen begebe, um die Versammlung über den Stand der Dinge
aufzuklären. (Heftiges Gemurre.) Er glaubt, daß es die Pflicht der
Versammlung ist, eine aktive Rolle in den Unruhen, welche die Stadt bewegen,
zu spielen.
Eine Stimme: Gehen Sie selbst hin. Sie thun hier
nicht was einem guten Patrioten zusteht.
General Lebreton glaubt, daß man ihn schlecht
verstanden hat und entwickelt seine Ansicht näher. Die Kommission, die er
gewählt zu sehen wünscht, sei es durch die Versammlung, sei es durch den
Präsidenten, solle nicht in einer aktiven Manier in den Ereignissen, die
vorgehen, interveniren. Ihre Gegenwart in der Mitte der Truppen soll ihnen
Vertrauen einflößen und zu gleicher Zeit im Fall der Dringlichkeit der
Versammlung Bericht abstatten von dem, was sich ereignet.
General Loidet bekämpft den Vorschlag seines Kollegen
und zahlreiche Stimmen verlangen die Tagesordnung.
Baune: Unter den Umständen, worin wir uns befinden,
haben wir alle Pflichten zu erfüllen, und ich bin erstaunt, die Mitglieder
der exekutiven Kommission nicht hier zu sehen; und dennoch war ihre Stelle
hier. (Heftiger Tumult. Zahlreiche Stimmen: Zur Ordnung!)
In diesem Augenblick ist die Versammlung vollzählig und die heftigsten
Interpellationen in dem verschiedensten Sinne durchkreuzen sich. Baune
befindet sich fortwährend auf der Tribüne. Der Sturm legt sich und der
Präsident bringt die Tagesordnung zur Abstimmung. Sie wird mit ungeheurer
Mehrheit angenommen. Portalis ersetzt Senard auf dem Präsidentenstuhl. Langlade, Datirel, Wolowski legen verschiedene Gesetzvorschläge
nieder.
Pagnerre, Bethmont und Marie
treten in den Saal; sie sind in den Couloirs der Gegenstand zahlreicher
Interpellationen.
Senard: Ich verlange von der Versammlung die
Erlaubniß, einen Augenblick ihre Diskussion zu unterbrechen, um ihr zu
bringen… (Heftiges Gemurre) sehr tröstliche Nachrichten, die mir von allen
Punkten von Paris zugehen. Die republikanische Garde hat so eben am Ende der
Straße Blanche-Mibray zwei Barrikaden weggenommen und der Chef der der
Versammlung angehörigen Polizei unterrichtet mich, daß sowohl die auf den
Quais und den Boulevards als in den anliegenden Straßen aufgeworfenen
Barrikaden, ohne vielen Widerstand von der Nationalgarde und den
Linientruppen weggenommen worden sind. Der Posten des Boulevard Bonne
Nouvelle hat aus eigenem Antrieb auf eine Gruppe von Insurgenten Feuer
gegeben. Noch mehr, wie man sagt, sind einige Flintenschüsse in der Straße
Hachette aus dem Fenster gefallen. (Tiefes Stillschweigen.)
Portalis: An der Tagesordnung ist die Wiederaufnahme
der Diskussion über den Ankauf der Eisenbahnen.
Bineau verlangt das Wort für eine Ordnungsfrage. Er
erinnert, daß am Ende der gestrigen Sitzung der Minister der öffentlichen
Arbeiten einen Dekretentwurf vorgelegt hat, wodurch er einen Kredit von 5
Millionen verlangte zur Vollendung der Eisenbahn von Collonges ‒ Straße von
Chalons nach Lyon. ‒ Dieß muß ein Irrthum sein. In allen Fällen, da die
Zuschlagung dieses Wegs stattgefunden hat, da die Kompagnie, der er
angehört, noch in regelmäßigem Besitz desselben ist und nur in Folge eines
noch nicht erlassenen Gesetzes expropriirt werden kann, verlange er, daß die
Vorlegung dieses Dekretentwurfs als nicht geschehn betrachtet werde und daß
die Versammlung ihn weder an eine Spezialkommission noch an ihr Comité
verweisen. (Bewegung).
Trèlat erklärt, daß in diesem Augenblick
Besprechungen stattfinden, mit der erwähnten Kompagnie. Er glaubt, daß die
stattgehabten Unterhandlungen ihn zur Ansicht berechtigen, daß es nicht
unpassend sei den Abschluß dieser Angelegenheit zu beschleunigen.
Bineau besteht auf seinem Antrag. Trèlat bemerkt, daß er auf das Ersuchen der Deputation von Lyon
gehandelt habe. Der Maire von Lyon nimmt das Wort, um Bineau's Vorschlag zu
bekämpfen im Namen der Ordnung und der Ruhe, die in
diesem Augenblick in Lyon so bedroht seien, wie in Paris.
Duclerc: Ich glaube, Niemand wird das Zeitgemäße der
Vorlage des Gesetzentwurfs diskutiren. Ich muß Ihnen indeß erklären, daß die
Regierung ihre Zustimmung dazu giebt, daß die Diskussion dieses Entwurfs
erst nach der des Gesetzentwurfs über die Eisenbahnen statthabe.
Flocon auf die Aeußerung eines frühern Redners
zurückkommend beruhigt die Versammlung über die scheinbare Abwesenheit der
Exekutivkommission. Sie sei vereinigt in dem Palast der Nationalversammlung
selbst und vollständig zu ihrer Verfügung.
Der Minister fügt hinzu, daß die Unruhen, die Paris in diesem Augenblick
bewegen, fast vorhergesehen waren. Welche Fahne auch
immer die Insurrektion aufpflanze, alle der Republik feindlichen Faktionen
sind vereinigt. Wenn man den Faden dieser Emeute aufsuchen gehe, würde man
mehr finden als die Umtriebe eines Prätendenten, als die Umtriebe der
Faktionen, man würde hierin noch die des Auslands
finden. (Auf dem Berg: Bravo! So ist's!) Es sind die Republikaner, an die
ich mich adressire. (Heftiges Gemurre).
Zahlreiche Stimmen: Hier giebt es nichts als
Republikaner.
Flocon: Ich glaube, wie Sie, daß es hier nur Republikaner giebt. Nun wohl! Ich frage die
Republikaner ausserhalb dieser Versammlung, ob sie nicht erwarten mußten
nach einer Revolution, wie die unsrige, nach der Wegfegung so vieler
monarchischer Institutionen, alle Intriguen sich vereinigen zu sehen, um die
Republik zu bekämpfen. Nicht allein die Prätendenten, alle Feinde die die
Republik im Ausland zählt, sind in diesem Augenblick, verbunden, um die
Republik zu bekämpfen und zu stürzen. (Bravos auf dem Berg.)
De Falloux verlangt das Wort im Namen der
Arbeiterkommission um einen Bericht dieser Kommission zu verlesen. Dieses
Verlangen findet eine lebhafte Opposition auf dem Berg! als die Versammlung
be schließt mit großer Mehrheit, daß ihm nachgekommen wird.
Falloux: Bürger, durch euch beauftragt, ein
definitives Gesetz bezüglich der Nationalwerkstätten vorzubereiten, hat die
Kommission die Ehre Ihnen das Resultat ihrer Deliberationen vorzulegen. Die
Mißbräuche, die sie in ihrem Schooß bergen, haben alle Augen zu lebhaft
geschlagen, als daß es nicht nöthig wäre, ihnen sobald als möglich ein Ende
zu machen. Die von Ihnen prinzipiell beschlossen e Auflösung der
Nationalwerkstätten muß sobald als möglich stattfinden. Wir sind überzeugt,
daß die provisorisch ergriffnen Maßregeln zur Unterstützung der Arbeiter
ihrem eignen Zwecke direkt entgegenwirkten.
Nach Entwicklung der allgemeinen Ansichten, worauf sein Bericht fußt, schlägt
die Kommission vor, dem Minister einen Kredit zu eröffnen, der ihm erlaubt,
den Arbeitern die Hülfsleistungen zu reichen, womit sie in ihre respektiven
Domicile zurückkehren und Arbeit finden (suchen?)
können. Zahlreiche ministerielle Kapitalisten verlangen außerdem
Hülfsleistungen und Anleihen, die sie in Stand setzen werden, zahlreiche Hände zu beschäftigen (das englische hand heißt
französisch bras) und die Kommission ist auch der Ansicht, daß man Mittel
zur Verfügung des Ministers stelle, um durch Vorschüsse diese Wiederaufnahme
der Arbeiten der Privatindustrie zu begünstigen, wie um den Geist der
Association unter den Arbeitern.
Der Dekretentwurf enthält 6 Artikel :
Art. 1. Die Nationalwerkstätten sind 3 Tage nach
Verkündung des Dekrets aufgelößt.
Art. 2. Die Frauenwerkstätten sind von dieser
Maßregel ausgenommen.
Art. 3. Ein Kredit von 3 Millionen ist dem Minister
der öffentlichen Arbeiten eröffnet für zeitweilige Unterstützung der
Arbeiter.
Art. 4. Die in den Nationalwerkstätten angestellten
Brigadiers fahren fort, ihr Salair während 3 Wochen noch zu empfangen.
Art. 5. Jeder, der an den öffentlichen Zusammenschaarungen
Theil nimmt, geht der auf dies Dekret ihm zufallenden Vortheile
verlustig.
Art. 6. Ein Kredit von 5 Millionen wird eröffnet, um
den Industrieunternehmern Summen zu leihen, die ihnen erlauben ihre Arbeiten
auf einer großen Stufenleiter wieder zu
beginnen.
Corbon verliest, im Namen des Comités der Arbeiter,
einen Dekretentwurf, den dies Comité diesen Morgen selbst redigirte, in
Folge eines Vorschlags von Herrn Aican, mit dessen Untersuchung es
beauftragt worden und der die Entwicklung des Associationsgeistes unter den
Arbeitern bezweckte. Man glaubte vor Verlesung desselben vor der
Nationalversammlung erst abwarten zu müssen, daß die in der Versammlung
herrschende Aufregung sich gelegt, damit man nicht glaube sie berathschlage
unter dem Einfluß der Drohungen der Emeute; aber man hat darauf bestanden,
und der Redner hielt es für seine Pflicht die schon gefaßten Beschlüsse des
Comités der N. V. mitzutheilen.
Mehre Mitglieder des Comités der Arbeiter bemerken, daß das Comité nicht
regelgemäß über den von Herrn Corbon gestellten Vorschlag berathschlagt hat.
Er sei nur das Resume eines Berichts, den eine hierzu ernannte
Unterkommission beauftragt war, ihr über den Vorschlag des Herrn Alcan zu
machen. Es würde daher angemessen gewesen sein, daß das Comité der Arbeiter
vorläufig zur Untersuchung dieses Vorschlags eingegangen worden sei, das
seiner Sanktion bedurft hätte, ehe man ihn der N. B. vorgelegt.
Die vorläufige Frage wird verlangt und entschieden. (Reklamationen in
verschiedenem Sinne.) Corbon setzt die Beweggründe der Dringlichkeit
auseinander, welche die Unterkommission bestimmt haben, die konventionellen
Rücksichten unberücksichtigt zu lassen.
Zahlreiche Stimmen. Die Tagesordnung!
Duclerc. (Lärm auf der äußersten Linken.) So lange
ich Minister bleibe, glaube ich nicht, daß die Kammer mich tadeln wird, wenn
ich alle Pflichten des Ministers erfülle. Ich glaube die beiden Vorschläge,
die sie so eben gehört, bekämpfen zu müssen. Im Interesse eurer Finanzen ist
es nöthig, daß ihr hier die Ordnung eurer Ausgaben regelt. Ich bestreite
nicht, ich bin weit davon entfernt, dies Recht der Initiative; aber es ist
klar. Wenn Euch jeder hier neue Ausgaben vorschlagen kann, ist keine fixe Comptabilität mehr möglich und ihr geht direkt
auf den Bankerut los.
Felloux setzt auseinander, daß es sich hier nur um
die Verwendung der Summe handelt, die nothwendig behufs der
Nationalwerkstätten zugeschlagen werden müssen, wenn ihre Fortdauer
statthaben sollte. Es fände hier keine neue Ausgabe statt.
Der Präsident. Eine zweite Mittheilung von Seiten der
Executivkommission!
Trilat. Ich habe diesen Morgen den Besuch einer
großen Zahl von Arbeitern der Nationalwerkstätten erhalten, die nähere
Ausweisungen über eure Absichten verlangten. Fordert man also, daß wir uns
von allem trennen, was uns am theuersten ist? Ich antwortete, unsern frühern
Entscheidungen gemäß, daß die Regierung nur die fremden Arbeiter von der Hauptstadt entfernen wollte. Ich vernehme
so eben einen Vorschlag, der die sofortige Auflösung der Nationalwerkstätten
bezweckt und ich will nicht für eine Maßregel persönlich verantwortlich
sein, die meinen Privatansichten gänzlich widerspricht.
Die Tagesordnung wird wieder aufgenommen.
Breton unterstützt die Frage der Dringlichkeit für
einen vor einigen Tagen gemachten Vorschlag, nach welchem die exekutive
Kommission der Nationalversammlung sofort eine exakte detaillirte
Rechnungsablage über die Einnahme und Ausgabe der Regierung vom 24. Februar
bis zum 1. Juni abstatten solle. In seinem Departement lege man den
Steuerpflichtigen täglich neue Opfer auf. Sie verlangten zu wissen, welchen
Gebrauch man von ihrem Gelde mache.
Lebhafte Reklamationen in verschiedenen Theilen des Saales.
Der Präsident befragt die Versammlung, die mit großer
Mehrheit die Dringlichkeitsfrage bejahend beantwortet. Man verlangt
unmittelbar die Verweisung des Vorschlags, ohne weitere Entwickelung, an das
Finanzcomité. Die Verweisung wird beschlossen.
Duclerc. So lang ich Finanzminister bin, habe ich
mich nie geweigert Nachweisungen zu geben, die verlangt wurden, sei es von
den Repräsentanten, sei es vom Finanzkomité. Ich habe es immer im Umfang
meiner Kräfte gethan. Ich werde immer bereit sein, den Befehlen der
Versammlung zu gehorchen. Indessen wünschte ich zu wissen, was man unter den
Worten, in der kürzesten Frist versteht? Ist dieß ein Angriff? aber man weiß wohl, daß die
Komptabilität so verwickelt ist, daß der verlangte Bericht nothwendig Zeit
erfordert.
Breton. Wir haben nur die wohlwollendsten Absichten.
Wir wollen wissen, woran wir sind.
Oberst Ambert legt einen Bericht nieder über den
Dekretentwurf bezüglich der freiwilligen Einrollirungen in der Armee.
Die allgemeine Diskussion des Entwurfs bezüglich des Eisenbahnankaufs wird
wieder aufgenommen.
Guerin verliest eine Rede zu Gunsten des Entwurfs,
sucht Montalembert zu antworten, fesselt die Aufmerksamkeit der Zuhörer
nicht.
Jorez hat das Wort. Entschiedner Parteigänger der
Ausführung der großen gemeinnützigen Arbeiten durch den Staat, bekämpft er
nichts destoweniger den Vorschlag des Eisenbahnankaufs und verliest eine
lange Abhandlung hierüber. Während der Verlesung dieser mit viel
Geläufigkeit abgerollten Abhandlung, kehrt ein großer Theil der
Repräsentanten, die im Konferenzsaal plaudern gegangen waren zurück, um die
Plätze auf den Bänken wieder einzunehmen.
Ein Blitz beleuchtet in diesem Augenblick das Halbdunkel, das in dem Saal
herrscht und kündet ein heftiges Gewitter an, das sich in diesem Augenblicke
auf Paris entladet.
Der Präsident zeigt an, daß er durch Vermittlung des
Hrn. Antony Thouret einen folgendermaßen abgefaßten Brief erhält: „Die
Abgesandten der Julidekorirten, 1500 an der Zahl, bereit für die
Vertheidigrng der Republik zu sterben, kommen sich zur Verfügung der
Versammlung stellen.“ Der Präsident fügt hinzu, daß er der Dollmetscher der
Gefühle der Versammlung zu sein glaubte, als er den Delegirten für diesen
Akt der Hingebung an die Republik dankte, die mit solchen Vertheidigern
keine Gefahr laufe.
Zahlreiche Stimmen. Ja! Ja! Es lebe die Republik!
Laurent spricht zu Gunsten des Gesetzentwurfs. Seine
Rede wird nicht gehört, und mehre Repräsentanten beklagen sich wiederholt,
nichts davon vernehmen zu können, wegen der bedeckten Stimme des
Redners.
Der Präsident verliest verschiedene Briefe des
Polizeipräfekten. Der erste, von ein Uhr datirt, zeigt an: „daß um 10 Uhr der Rappel im 8. Arrondissement geschlagen
wurde und daß die Nationalgarde eine Barrikade nach der andern wegräumte.
Das läßt Euch hoffen, daß das Fbg. St. Antoine keine von den Insurgenten
gemachten Versuche dulden wird.“
Eilf ein viertel Uhr. ‒ Einige Offiziere der
republikanischen Garde haben den Platz Dauphine von 80 Individuen ungefähr
gesäubert, die aus riefen: Es lebe die rothe Republik! Die Barrikade des
Porte St. Denis ist durch die Nationalgarde besetzt; in der Straße St.
Martin an der Ecke der Straßen St. Mèry und St. Jaques la Boucherie sind die
Nationalgarden mit Niederreissen der Barrikaden beschäftigt.
Zwei Uhr. ‒ Man versucht die Barrikaden in der Cite
wegzunehmen. Mehre Gardiens von Paris sind auf die Mairien geschickt worden
und marschiren in den Reihen der Nationalgarde; diese letztere wird
trefflich unterstützt durch die republikanische Garde zu Pferde. Es ist uns
gleichmäßig ein Dokument zugegangen, das folgendermaßen abgefaßt ist: „Die
zweite Legion der Nationalgarde ist gegen die Barrikade des Boulevard
marschirt. Ein Kind nahm die Fahne weg, die man hier aufgepflanzt hatte. Es
befindet sich in diesem Augenblicke in eurem Konferenzsaal.“ Ich muß ihnen
bei dieser Gelegenheit sagen, daß eine gewisse Zahl von Volksrepräsentanten
von mir die Bewilligung verlangt hat, sich zur Verfügung des Generals
Cavaignac zu stellen, um überall unter den Vertheidigern der Republik zu
figuriren, wo ihre Gegenwart nützlich wäre. Ich habe ihnen geantwortet, daß
ich individuell ihnen keinen Rath zu geben hätte, und ich habe hinzugefügt,
daß im Fall der Dringlichkeit die gesammte Nationalversammlung und nicht
einzelne isolirte Repräsentanten sich auf den Schauplatz der Gefahr begeben
würden. (Lebhafter Beifall)
Nationalversammlung. Um 81/4 Uhr wurde die Sitzung
wieder aufgenommen. Präsident Senard meldet die Verwundung mehrerer
Deputirten, die am Barrikadensturm Theil nahmen (darunter Clemens Thomas,
Dornes u. A.). Considerant schlägt eine Proklamation an die Kämpfenden vor,
um die unter ihnen verbreiteten Gerüchte zu widerlegen, und dem Blutbade
Einhalt zu thun. (Zur Rechten: Ah! Sie wollen mit der Emeute paktisiren!)
Baze und mehrere andere Ultrakonservative wollen ihn vom Rede-Stuhle reißen,
werden aber noch bei Zeiten daran gehindert. Considerant versichert hoch und
theuer, daß er nicht mit der Emeute paktisiren wolle. Half aber Alles
nichts, sein Vorschlag fiel durch. Perrée erzählt dann, wie Arago und
Lamartine zu den Barrikaden geritten seien, und nach vergeblichem
Parlamentiren
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selbst das Kanonenfeuer kommandirt hätten. Auch
das Pferd, worauf der Republikaner N. (Lucian) Bonaparte an der Seite
Lamartine's saß, wurde am Schenkel verwundet. Duclerc, Finanzminister,
erscheint plötzlich im Saale mit Hut, Stock und Schärpe und erzählt der
Versammlung die erlebten Vorgänge des Nachmittags mit der Versicherung, daß
man noch in dieser Nacht mit der Emeute fertig werde. Die Versammlung war so
beruhigt, daß sie Senard fragte, ob sie im Eisenbahngesetz fortfahren werde?
Caussidiere fand dies empörend und schlug der Versammlung vor, sie solle
lieber sich in Fackelzug zu den Barrikaden begeben und das Volk
beschwichtigen. Die Versammlung ging darauf nicht ein, sondern hob die
Versammlung bis 11 Uhr auf, wo sie ganz bestimmte Berichte von ihren
Generälen Bedeau und Lamoriciere vermuthete, die ihnen das Ende der Emeute
anzeigen würden. Um diese Stunde hörte sie einen Bericht Garnier-Pages über
die Lage von Paris an, der aber ebenso falsch ist wie die vorherigen, weil
er wie sie alle den Sieg für das nächste Frühstück versprach und nicht Wort
hielt. Degoussée, einer der bornirtesten Menschen in der ganzen Versammlung,
die ihn deshalb zum Quästor machte, trug auf Verhaftung sämmtlicher
ultra-demokratischer Redakteure der Volksblätter, namentlich der
„Organisation der Arbeit“ an. Er fiel jedoch vorläufig damit durch und die
Versammlung trennte sich um Mitternacht.
Sitzung vom 24. Juni.
Ungeachtet der Permanenzerklärung wurde die Sitzung erst um acht Uhr wieder
aufgenommen. Die ganze Gegend gleicht einem Kriegslager. Vom Pont St. Michel
und dem Pantheon her hört man Kanonenschüsse. Präsident Senard gibt einen
kurzen Bericht über die Ereignisse der Nacht. Einige Barrikaden seien wieder
aufgebaut worden, indessen habe der Obergeneral so vortreffliche
militärische Maßregeln getroffen, daß binnen wenigen Stunden die Faubourgs
St. Jacques und St. Antoine gereinigt sein würden. Die Bürgerwehr der
umliegenden Städte eile mit Eifer herbei, um ihren Kameraden der Bürgerwehr
und des Heeres im Kampfe gegen die Emeutiers beizustehen. Ich schlage Ihnen
darum vor, diesen Eifer nicht blos mit hohlen Dankesworten zu erwidern,
sondern trage vielmehr darauf an, alle Wittwen und Kinder der in diesem
Kampf Fallenden zu adoptiren (Ja, Ja! Stimmen wir sofort). Leon Faucher hat
mir zu diesem Zweck bereits einen Antrag überreicht. Dieser Antrag: „Der
Staat adoptirt die Kinder und Wittwen aller derjenigen Nationalgardisten,
die am 23. Juni oder an den darauf folgenden Kämpfen für die Freiheit
sterben,“ wurde mit Emsigkeit angenommen. St. Georges bittet die
Versammlung, seine Abwesenheit zu entschuldigen. Sein Sohn sei gestern in
den Reihen der Bürgerwehr stark verwundet worden, er müsse ihn pflegen. Bei
dieser Gelegenheit erfährt die Versammlung daß derselbe noch nicht todt,
sondern auf dem Wege der Besserung. Eine Kugel fuhr durch seine Brust, ohne
Herz und Lunge zu beschädigen, daher ihn die Aerzte, wie Bastide versichert,
noch retten würden. Clement Thomas ist nicht schwer verwundet, ebenso
General Bedeau nicht; dagegen liegt Dornes, Redakteur des „National“,
lebensgefährlich darnieder. Die Geschlechtstheile wurden ihm weggeschossen
und er hat sich einer schwierigen Amputation unterziehen müssen. Hiernächst
wurde die Sitzung um 9 Uhr suspendirt. Ein halbe Stunde später erklärte sie
Corbon, Vicepräsident, wieder eröffnet. Senard ersetzte ihn jedoch bald
wieder und zeigte der Versammlung an, daß mehr als 5 Glieder laut des
Reglements darauf antrügen, die Versammlung möge sich als Geheimen Ausschuß
erklären und die öffentlichen Tribünen räumen lassen, da ein wichtiger
Antrag verhandelt werden solle. Allgemeine Spannung. Das Reglement schreibt
vor, daß sofort durch Sitzenbleiben und Aufstehen darüber abgestimmt werden
solle, ob die Versammlung sich geheim erkläre? Der Präsident läßt abstimmen,
und die Mehrheit erhob sich gegen das Geheimniß. (Erstaunen.) Pascal Duprat,
bekannt durch seine Protestation gegen die Zeitungs-Kautionen, erhielt das
Wort. In den gegenwärtigen Umständen, begann er, sei es wich tig, an der
Spitze des Staates eine starke Hand (pouvoir) zu haben. Ich schlage der
Versammlung folgenden Gesetzentwurf vor:
Art 1. Paris ist in Belagerungszustand versetzt. Art 2. Alle Staatsgewalten
sind in die Hände des Generals Cavaignac gelegt. (Lärm. Fürchterlicher
Tumult.) Dupin sen. schreit: Das ist die Diktatur!
Larabit: Der Belagerungszustand löst die Macht der
Versammlung auf. (Tumult.) Seid ihr Alle einverstanden, daß Eure Macht in
die Hände der Militärgewalt übergehe.“ (Lärm.) Antoni
Thouret: Der General Cavaignac kann nur die Vollziehungsgewalt
üben. Ich schlage vor am Kopf des Dekrets zu erklären, daß die
Nationalversammlung zu berathen fortfahre und in Permanenz bleibe. (Jawohl.
Das versteht sich von selbst.) Bougeard liest einen
andern Dekretentwurf, der 1. Paris in Belagerungszustand erklärt; 2. den
Sturz des Vollziehungsausschusses ausspricht; 3. das Ministerium
provisorisch beibehält.
Bastide, Minister des Auswärtigen: Beeilen Sie sich
mit Ihren Berathungen, Bürger! In einer Stunde befindet sich das Hotel de
Ville wahrscheinlich schon im Besitz der Insurgenten! (Exklamation der
Ueberraschung). Präsident Senard liest die neue Redaktion des
Gesetzvorschlags: Art. 1. Die Nationalversammlung berathet und bleibt in
Permanenz. Art. 2. Paris ist in Belagerungszustand erklärt. Art. 3. Alle
vollziehende Staatsgewalt ist dem General Cavaignac übertragen.
(Angenommen!) Jules Favre: Ich schlage folgenden
Zusatz vor: „Der Vollziehungsauschuß legt augenblicklich seine
Amtsthätigkeit nieder.“ (Aufregung). Duclerc,
Finanzminister: Es handelt sich, Bürger, um eine Maßregel des öffentlichen
Wohles. Ich möchte keinen Groll in Ihren Votums ausgesprochen sehen. Präsident: „Ich bringe den Zusatz zur Abstimmung.“
(Tiefe Stille.) Der Zusatz wird mit einer schwachen Mehrheit verworfen. Die Versammlung wollte den Männern, die
gestern noch der Todesgefahr trotzten, keinen Stein als Dank nachwerfen.
Senard lenkte die Aufmerksamkeit noch auf eine andere
Maßregel der Verzweiflung. Causidière und einige
Andern hatten nämlich gestern den Vorschlag gemacht, sich in Person zu den
Barrikaden zu begeben und sie an der Spitze von Bürgerwehr und Truppenkorps
anzureden. Dieser Vorschlag war verworfen worden. Der Platz der Abgeordneten
sei in diesem Saale und nicht vor den Barrikaden, hatte man gerufen und den
Antrag abgewiesen. Neue Anerbietungen seien indessen gemacht worden und wenn
die Versammlung einwilligt, daß sich einige ihrer Glieder auf die
Kampfplätze begeben. (Ja, ja, Alle, Alle!) Stimme:
Ich widersetzte mich gestern diesem Vorschlage und widersetze mich ihm noch.
Begäben sich hiezu Mitglieder dahin, so wollten sie Alle begleiten. Zuletzt
würde Niemand auf diesen Bänken sein. Darum trage ich an, 60 Glieder durch
das Loos zu bestimmen. Dem Präsident scheint dieser Weg zu blind, es seien
gewisse Rücksichten der Persönlichkeit, des Sprechens, des Alters zu nehmen,
er lade daher, die Versammlung ein, sich in ihre Abtheilungen zu begeben und
selbst die 60 zu bestimmen. Der Berg (Louis Blanc, Considerant, Lagranze
etc.) protestiren gegen diese Abgeordnenschaft. „Wir wollen keine Gliedrr
einrs Martialgesetzproklamirungsausschusses sein, riefen sie und blieb n im
Saale, während die andern in die Abtheilung gingen. Die Sitzung ist
suspendirt.
Eine Viertelstunde später wird sie wieder aufgenommen und der Präsident liest
ein Schreiben vor, worin der Vollziehungs-Ausschuß sein Amt
niedergelegt.
Bis 4 Uhr boten die Neuigkeit keine weitere Interesse. In der Kanonade ist
eine Pause eingetreten.
Von Börsengeschäften keine Rede. 5 Uhr.
‒ Gestern verkündete man hier von der Tribüne herab, daß der Sklavenkrieg unsere Kolonien
verwüste. Heute ist der sociale Krieg zu Paris. Zu Martinique haben sie sich geschlagen,
Schwarze und Weiße, Herren und Sklaven, weil die Revolution die Sklaverei
nicht abgeschafft. Mensch gegen Mensch, was liegt an der Farbe?
Zu Paris haben sie sich geschlagen, die Rothen und die Weißen, die
Proletarier und die Conservateurs, weil die Revolution das Proletariat nicht
abgeschafft hat. Büger gegen Bürger, was liegt an der Klasse?
Der soziale Krieg, da ist er mit allen seinen Schrecken! Wagt nicht zu sagen,
das furchtbare Unglück sei provozirt durch die Verschwörer, die Anarchisten,
die Wühler, die Revolutionäre von Profession, wie man die erprobten
Republikaner nennt, die unter dem ancien regime gekämpft haben. Es ist das
Volk der Arbeiter ein Volk neu in unseren bürgerlichen Zwisten, das Volk auf
die Straßen geworfen durch die Frage der Arbeit, der Familien, der Existenz.
Es ist die soziale Oekonomie, die in Frage steht, wie es auf eurer Tribüne
ein Repräsentant der Proletarier aussprach. Erblickt ihr nicht mitten durch
den Pulverdampf hindurch die Lyoner Fahne von 1838. vivre en travaillant ou
mourir en combattant. Arbeit und leben oder kämpfen und sterben?
Und wer ist verantwortlich für dies furchtbare Gemetzel?
Auf wen denn wälzten unsre Minister von heute und unsre fünf Könige und alle
unsre neuen Herrscher das Blut von St. Alèry, der Straße Transuoaine und der
Barrikaden von 1830 und 1848!
Auf die Bourbonen oder die Orleans, auf Polignac oder auf Guizot, auf die
Unterdrücker des Vaterlandes.
Wem also den socialen Krieg zuschreiben der Paris verheert!
Muß man sie rein waschen Polignac und Marmont von dem im Juli vergoßenen
Blut, Thiers und Bougeaud von den Metzeleier der Rue Transnonaine Louis
Philippe vor dem im Juni, im April, im Mai und im Februar vergossenen
Blut!
Oder muß man vielmehr auch die Macht des Tages anklagen für das Unglück des
Tages!
Während des Monats, wo das Volk Herr der Revolution war, hatte die Republik
nicht zu seufzen über blutige Zwiste, wie die von Rouen, Eboeuf, von
Limoges, von Clermont, von Troyes, von Toulouse, von Guèret, von Paris. (la
Vraie Rèpublique.)
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Paris, 22. Juni.
(Nachtrag.) Wir tragen unsern Lesern noch einige Thatsachen nach, die über
die Veranlassung der Revolution Aufklärung geben.
‒ Man liest im Moniteur: „Die vollziehende Kommission
hat Befehl gegeben, daß von morgen an in den National-Ateliers die
Rekrutirung beginnt. Man erinnert sich, daß neulich ein Beschluß der
vollziehenden Kommission vorschrieb, die Arbeiter von 17 bis zu 25 Jahren
sollen in die Armee treten oder wenn sie sich
weigern, aus den National-Ateliers entfernt werden.
Man hat diese Maßregel bis jetzt aufgeschoben, um allen jungen Arbeitern die
Zeit zu lassen, ihre Wahl mit der nöthigen Reife zu treffen.“
Die fünf regierenden Herren verlangten also, die Arbeiter sollten sich auf
acht Jahre in die Armee stellen lassen oder verhungern! Schöner Vorschlag
der reinen „Republikaner“!
‒ Man erinnert sich daß die von Caussidiere gebildete
republikanische Garde nach dem 15. Mai von der
Fünferkommission reorganisirt wurde. Man hatte nicht den Muth, die 2500
entschlossenen alten Republikaner, aus den ehemaligen geheimen
Gesellschaften der Arbeiter, auf's Pflaster zu werfen; man setzte bloß ihre
Offiziere ab, die alle ehemalige Sektionschefs dieser geheimen
Gesellschaften waren. Und wem wurde diese Reinigung der republikanischen
Garde übertragen? Den Henkersknechten Louis Philipps, den Offizieren der
alten Munizipalgarde und Gensdarmerie. Diese Edlen sassen in der Kommission
die über die zu entfernenden Offiziere und ihre Ansprüche auf Entschädigung
urtheilten. Diese Edlen genirten sich gar nicht sich selbst die besten
Posten zuzusprechen. Ueber hundert der alten Offiziere wurden abgesetzt.
Sechsundfünfzig von ihnen haben jetzt gegen dies Verfahren protestirt.
‒ Ueber den Zug nach dem Luxemburg am 22. erfahren wir noch folgenden
Details:
Die Arbeiter waren heute (22.) Morgen um 9 Uhr auf verschiedenen
Löhnungsplätze berufen, um befragt zu werden, ob sie sich dem Dekret
unterwerfen wollten das sie unter dem Vorwande der Urbarmachung in die
Provinz schickt. Die Arbeiter schickten indeß die Beamten, die diesen
Auftrag vollziehen sollten, wieder nach Hause, zogen sich in Massen zusammen
und marschirten nach dem Luxemburg. Der Bürger Pujol den sie zur
Exekutivkommission schickten, erklärte Hrn. Marie, er werde nicht eher die
Wünsche der Arbeiter aussprechen, bis noch vier Delegirte außer ihm
gegenwärtig seien. Dies wurde bewilligt, und noch vier Arbeiter kamen. Pujol
sprach nun ungefähr Folgendes:
„Vor der Revolution des 24. Februar waren die Arbeiter Frankreichs der
Willkühr und dem Egoismus der Fabrikanten preisgegeben. Um sich dieser
vernichtenden Ausbeutung zu entziehen, vergossen die Arbeiter ihr Blut und
stürzten die bestochene Herrschaft, die eine solche Knechtung duldete. Die
Pariser Arbeiter stiegen erst von den Barrikaden herab, nachdem sie die
demokratisch-sociale Republik proklamirt hatten, die dieser Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen ein Ende machen sollte. Heute aber sind die
Arbeiter vollständig einig darüber, daß sie durch lügnerische Versprechungen
hingehalten wurden, daß die Gewalt des Säbels sie nochmals unter ein solches
Knechtungssystem bringen will. Sie sind aber entschlossen, nochmals Opfer zu
bringen für die Erhaltung der Freiheit. Sie haben vor allen Dingen verlangt,
daß Werkstätten für alle Arten
der Arbeit errichtet werden, die den Arbeitern während der stillen
Geschäftszeit zur Zuflucht dienen. Von dem Allen ist aber nichts geschehen,
und wir sehen nur zu klar, wohin man uns führen will. Aber wir warnen die
Regierung.“
Herr Marie antwortete mit einiger Gereiztheit: „die Arbeiter, welche sich dem
Dekret nicht unterwerfen wollten, würden durch Gewalt
weggebracht werden.“
Zu Pujol sagte er: „Wir kennen Sie, wir haben ein Auge auf Sie; Sie haben mit
mir parlamentirt nachdem Sie zuerst das Gitter der Nationalversammlung
überstiegen hatten.“ Die vier andern Delegirten behandelte er als die
Sklaven Pujols, weil sie mit diesem sympathisirten. Pujol antwortete:
Bürger-Repräsentant, Sie beleidigen Bürger, die mit einem ganz ebenso
heiligen Charakter bekleidet sind, wie die Volksrepräsentanten. Wir ziehen
uns zurück mit der festen Ueberzeugung, daß Sie die Organisation der Arbeit
und die Wohlfahrt des arbeitenden Volks nicht wollen, und daß Sie in keiner
Weise dem blinden Vertrauen entsprochen haben, das wir in Sie setzten. Wir
werden öffentlich über Ihren schlechten Empfang Rechenschaft ablegen und
beweisen, wie bald Sie die Leute vergessen haben, welche Sie auf den Schild
hoben.
Die Arbeiter traten dann auf dem Platz Saint Sulpice zusammen und Pujol
stattete Bericht ab über den feindseligen Empfang des Herrn Marie. Die
entrüsteten Arbeiter beschlossen, die übrigen Anondissements davon zu
benachrichtigen, damit alle Arbeiter sich vereinigen könnten, eine Maßregel
zu vereiteln, die zum Zweck hat, sie zu zersplittern und ohnmächtig zu
machen.
Herr Marie soll den Delegirten buchstäblich gesagt haben: „Man hat Euch den Kopf verdreht, es ist das System von Louis Blanc,
aber wir wollen nichts davon wissen!
‒ Folgendes sind die Aechtungsbriefe, die an die Arbeiter der
Nationalateliers erlassen sind. Wir führen buchstäblich an:
„Die Bezirksführer sind aufgefordert, jeder den fünfzigsten Theil seines
Effektivbestandes heute Abend drei Uhr in die Reitbahn zu schicken.
Lalanne.“
„P. S. Es handelt sich um die Abmärsche, die heute, morgen und übermorgen
stattfinden sollen. Ich werde selbst mit den Freiwilligen sprechen, die sich
melden werden. ‒ Die Regierung will, daß diese
Abmärsche stattfinden. Ihr Wille muß unbedingt heute noch ausgeführt werden.
Ich werde dafür sorgen.
Lalanne.“
Wie erbaulich, vier Monate nach der Februarrevolution! Die Regierung will, und ohne Umstände sollen die Arbeiter wie
Soldaten, hierhin und dahin geschickt werden! Herr Lalanne wird dafür
sorgen!
Auf dergleichen Zumuthungen gibt es keine andre Antwort als
Flintenschüsse.
‒ Ein Arbeiter schreibt der „Vraie Republique“: „Es ist jetzt gewiß. Alle
Prinzipien der Februarrevolution hat man verletzt, und jetzt will man den
Arbeitern den Garaus machen. (on veut en finir avec les travailleurs.)“
Derselbe Arbeiter erzählt, daß Arbeiter, die in die Provinz zu den dortigen
Nationalwerkstätten geschickt waren, dort so schlechten Lohn fanden, daß sie
ihn nicht annehmen konnten, und ihren Unterhalt, während des Rückmarsches,
erbetteln mußten. In Amiens seien die Gemeindewerkstätten ebenfalls
aufgelöst, und man zwinge die Arbeiter, bei den Meistern zu 75 Cent. (6 Sgr.) per Tag Arbeit zu nehmen ‒ d. h. zu
weniger als der Hälfte, ja zu 1/3 des Lohns vor der
Februarrevolution!
‒ Man hat an allen Straßenecken von Paris die Ernennung des Generals
Cavaignac zum Generalkommandanten aller Truppen von Paris angeschlagen. Auf
allen diesen Plakaten stand groß gedruckt: Obèissance ‒
Force, Gehorsam ‒ Gewalt.
‒ Der Repräsentant Goudchaux, erster Finanzminister nach dem 24. Februar, hat
in der Sitzung der Kammer vom 15. Juni folgende Worte gesprochen: „Vor
Allem, macht die National-Ateliers verschwinden.
(Sehr gut!) Die National-Ateliers bestehen aus verschiedenen Sorten von
Leuten. Es sind darin zuerst die Arbeiter die in ihre alten Werkstätten
zurückkehren können, dann diejenigen die nie Arbeiter waren und die man
dahin schicken mußte wohin sie gehören (auf die Galeeren natürlich). Was
haben die National-Ateliers hervorgebracht? Etwas ganz Beispielloses,
nämlich Arbeiter die aufgehört haben ehrlich zu
sein.“