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Bericht
des Ausschusses der konstituirenden Nationalversammlung
wegen Errichtung einer provisorischen Centralgewalt für
Deutschland.
Berichterstatter: Dahlmann.
Bereits seit manchem Jahrzehend lebt in dem deutschen Volke die Ueberzeugung,
die bisherige Bundesverfassung sei ungenügend für die Sicherstellung
Deutschlands vor inneren und äußeren Gefahren, und nach den großen
Umwälzungen vom März d. J. hat der Fünfzigerausschuß in seinen Sitzungen vom
18., 26. und 27. April die wunde Seite unseres Gemeinwesens vollends
aufgedeckt. Man stellte hier, im Einverständniß mit einem Ausschusse der 17
Vertrauensmänner, den Antrag auf eine exekutive Gewalt, welche in eilenden
Fällen unter eigener Verantwortlichkeit handle, in allen andern Fällen aber
nach dem Rathe der Bundesversammlung verfahre. Man lehnte somit den Plan an
die bestehenden Gewalten an, ja die drei Männer, welchen man die exekutive
Gewalt vertraut wissen will, werden lediglich als eine Verstärkung der
Bundesversammlung betrachtet, in welcher sie mit berathender Stimme Platz
nehmen. Sie sollen von der Bundesversammlung im Einverständniß mit den
Vertrauensmännern und den Fünfzigern, den Regierungen vorgeschlagen
werden.
Von da an ist der Plan häufigst in kleineren und größeren Kreisen, bei den
deutschen Höfen und in der Bundesversammlung, allein und in Verbindung mit
den 17 Vertrauensmännern, besprochen; man fühlte das gesteigerte Bedürfniß,
aber die Erledigung blieb aus. Dieselben Uebel, welche man durch eine
Verstärkung des Vollziehungs-Organs heilen wollte, waren vermuhlich die
Ursache, daß diese nicht zur Vollziehung kam.
Seit dem Zusammentritt der konstituirenden Nationalversammlung häuften sich
die dringendsten Anträge in dieser Richtung. Es liegen deren eine große
Anzahl, zum Theil von einer bedeutenden Zahl von Abgeordneten unterzeichnet,
dem Ausschusse vor und eine Beilage (A) zu diesem Berichte wird solche,
nebst einer Anzeige vom Inhalte der vielen Bittschriften dieses
Gegenstandes, zur Kenntniß der hohen Versammlung bringen.
Möchten die Ansichten der verschiedenen Antragsteller noch so sehr
auseinanderlaufen, und würde es ermüdend sein, in ihre Unterschiede hier
einzugehen, die hohe Versammlung hat augenscheinlich einem in ganz
Deutschland tiefgefühlten Bedürfnisse entsprochen, als sie am 8. d. M. den
Ausschuß von 15 Mitgliedern aus den Abtheilungen zu erwählen, niedersetzte,
welcher sich heute beehrt, derselben von dem Ergebniß seiner vielfachen
Berathungen, vom 3. bis zum 16. d. gepflogen, Bericht zu erstatten.
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Alles beruhte hier auf dem System, welchem Ihr Ausschuß folgen wollte. Die
einander am schroffsten entgegenstehenden politischen Parteien möchten zu
demselben Ziele auf entgegesetzten Wegen gelangen; die einen laden
vielleicht bei ihren politischen Gegnern den Vorwurf der bedenklichsten
Neuerung auf sich, erhalten dagegen von diesen den Vorwurf zurück, daß sie
auf dem alten morschen Grunde das neue Gebäude aufführen wollen und somit
nichts ausrichten werden.
Allein es lassen sich die beiden extremen Systeme schon darum schärfer
bezeichnen, weil sie inmitten unseres Ausschusses ihre lebendigen Vertreter
gefunden haben.
Das erste System erblickt, vermöge des Grundsatzes der Volkssouveränität, in
der Nationalversammlung die erste und alleinige Quelle der Exekutivgewalt.
Es verlangt eine Vollziehungsgewalt, von der Nationalversammlung allein
ernannt und aus ihrem Schoße entspringend; ihre Aufgabe ist, die Beschlüsse
der Nationalversammlung zu vollziehen. Dieses System nimmt keine Rücksicht
auf die Rechte der deutschen Regierungen, keine auf ihr Organ, die
Bundesversammlung. Wird es angenommen, so hat die Nationalversammlung die
Regierung über Deutschland thatsächlich angetreten; es kann sein, daß sie
sich ihres Rechts mit Mäßigung bedient und die bestehenden Regierungen
fortbestehen läßt; allein die vollziehende Gewalt ist dem Grundsatze nach
ihr, als der wahren und einzigen Centralgewalt, untergeordnet und so der Weg
zur Republik praktisch angebahnt. Es ist hier nicht die Stelle für die
Untersuchung, ob die Republik denn wirklich dem Volke, und einem Volke von
45 Millionen, mehr Freiheit und mehr Freiheitssicherstellung und mehr Macht
nach Außen gewähre, als die monarchische Verfassung. Hier genügt die
einfache Thatsache, daß die überwiegend große Mehrzahl unseres Volks der
Monarchie anhängt, wovon die Folge, daß die Republik durch blutigen
Bürgerkrieg und auf dem Wege langer Anarchie auf deutschem Boden errichtet
werden könnte. Der Geist dieses republikanischen Systems zeichnet sich schon
in verschiedenen Anträgen und Petitionen ab, welche in der Beilage (A)
aufgeführt werden, am entwickelsten in dem Antrage der Ausschußmitglieder
Robert Blum und von Trützschler (Beilage 1, 3.) Ihr Ausschuß erklärte sich
gegen dieses System, mit einer Majorität von 13 gegen 2.
Das entgegengesetzte System schließt sich um so fester an die gegebenen
Verhältnisse an. Es will die (immerhin 3) mit der Exekutivgewalt betrauten
Männer von den Regierungen ernannt, und als Minister der Regierungen oder
auch der Bundesversammlung angesehen wissen; sie sollen der
National-Versammlung verantwortlich sein. Diesem Plane aber tritt ein
Haupteinwand entgegen. Gleich in der ersten Ausschußsitzung vom 4. d. waren
nämlich alle Mitglieder darin einverstanden, daß die
Errichtung einer provisorischen Exekutivgewalt für Deutschland nothwendig
sei, weil ohne sie man schwerlich hoffen könne, die mannichfachen Gefahren,
die dem Vaterlande von Innen und von Außen drohen, zu überwinden. Wenn aber
diese Wahrheit mit so großer Uebereinstimmung erkannt wird, so kommt es auch
gewiß darauf an, eine Gewalt einzusetzen, die es wirklich und nicht blos dem
Namen nach sei. Daß die deutsche Bundesversammlung neuerdings durch eine
bedeutende Zahl verdienstvoller und vaterländisch bewährter Mitglieder
verstärkt worden ist, wer möchte das in Abrede stellen. Von der andern Seite
aber, wer möchte behaupten, daß durch diese veränderte Besetzung das
Unmögliche möglich gemacht und es gelungen sei, das Uebel hinwegzutilgen,
welche unvermeidlich an dieser ganzen Institution haften ‒ die Uebel der
Vielherrschaft und in Folge davon der streitenden, mithin gefährlich
verzögernden Interessen. Daher die politische Thatlosigkeit und völlige
Unbeholfenheit eines Gemeinwesens von so vielen Millionen Deutschen, in
allen Fällen, wo im raschen einheitlichen Zusammenwirken das einzige Heil zu
finden ist. Fragt es sich nun aber, ob durch die Zuordnung eines
verantwortlichen Ministeriums diesem Uebel gesteuert werde, so liegt das
Nein darauf in nächster Nähe. Es ist im hohen Grade thunlich, der
constitutionelle Minister einer einzigen Regierung zu sein; ein solcher
Minister wird aus allen Kräften die Würde seiner Regierung aufrecht halten;
sobald er aber einen übermächtigen Willen aufkommen sieht, der mit seiner
gewissenhaften Ueberzeugung im Widerspruche steht, so tritt er von seinem
Amte zurück und ein anders überzeugter Minister tritt an seine Stelle. So
bleibt Alles in ungestörter Ordnung. Wie es aber möglich sein könne, zu
gleicher Zeit Minister von mehr als dreißig Regierungen zu sein, von welchen
der Natur der Dinge nach ohnehin die eine hierhin, die andere dorthin will,
und wie man in solcher Einrichtung eine Verbesserung der bisherigen
Exekutivgewalt entdecken könne, das ist schwer zu begreifen. Blicken wir auf
ganz neue Ereignisse. Es ist allbekannt, daß in dem obwaltenden dänischen
Kriege gegen Deutschland, die Krone Preußen ihre Bundespflicht treulich
erfüllt hat, daß aber andere norddeutsche Regierungen sich in Stellung ihrer
Kontingente nachlässig bewiesen haben. Nun liegt es in der Natur der
Verhältnisse, daß ein Ministerium seine Regierung vertrete und für ihre
Beschlüsse verantwortlich sei, wie eines aber zugleich für Ja und für Nein,
für Thun und Unterlassen verantwortlich sein könne, das ist schwer zu
begreifen.
Dieses zweite System rühmt gern von sich, daß es an der bestehenden Ordnung,
an der Bundesversammlung halte, indem es sie zugleich verbessere. Wie es mit
der Verbesserung bewandt sei, davon war so eben die Rede, und es liegt das
so klar vor Augen, daß die eifrigsten Vertheidiger des Systems sich
gedrungen fühlen, um es zu halten, einen starken Schritt weiter zu gehen.
Sie sagen: „die Bundesversammlung ist durch die letzten schwierigen
Zeitläufe bereits gewöhnt, ohne Instruktionen zu handeln; sie wird eine
ähnliche Befugniß fortan den Triumvirn beilegen, oder die Bundesregierungen
veranlassen, es zu thun, also, daß die Triumvirn in allen eiligen Fällen aus
eigener Macht handeln dürfen.“ Was aber hat man hiermit bewirkt? Man hat die
Bundesversammlung hiermit in ein Schattenbild verwandelt, indem man die
eiligen Fälle, d. h. alle Fälle wichtigerer Art, ihrer Mitwirkung entzieht,
und man hat zu gleicher Zeit eine Zwittergestalt aus den Triumvirn gemacht.
Denn für die gewöhnlichen Fälle sind die Minister (Minister der
Bundesversammlung oder auch der Bundesregierungen, wie sich denn Jeder das
in seiner Weise ausmalt), und als solche der Nationalversammlung
verantwortlich; für die eiligen Fälle aber sie sind die Centralgewalt.
Sollen sie nun auch als letztere der Nationalversammlung verantwortlich
sein, so steht die Nationalversammlung über der sogenannten Centralgewalt
und die Triumvirn sind in allen Hauptsachen lediglich Vollzieher der Befehle
der Nationalversammlung. Dergestalt treten alle Bedenken des ersten Systems
in dem zweiten hervor, sobald dieses nämlich den Versuch macht, etwas mehr
zu leisten, als ein fünftes Rad thut, welches einem zerbrochenen Wagen
aufhelfen soll. Ein Ausschußmitglied, v. Lindenau, hat ein gemischtes System
aufgestellt, welches sich am meisten dem zweiten anzuschließen scheint. Es
ist in der Beilage C abgedruckt. In dem Ausschusse fand dasselbe keine
Unterstützung.
In der Mitte zwischen beiden Systemen steht ein drittes, welchem die Mehrzahl
des Ausschusses ihren Beifall gibt. Es legt dasselbe eine wirkliche
Regierungsgewalt in die Hände von drei Männern des Vertrauens provisorisch
nieder und hat dessen kein Hehl; aber die Gewalt dieser drei beschränkt sich
auf Alles, was die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen
Bundesstaates angeht, und greift somit weder in die Befugnisse der einzelnen
Regierungen, noch in die Rechte ein, welche der Nationalversammlung als
einer konstituirenden in Hinsicht auf das deutsche Verfassungswerk zustehen.
Das Bundesdirektorium (denn diesen Namen würde die Gesammtheit dieser drei
Männer führen) ernennt die erforderlichen Minister, die der Nat.-Versammlung
für ihr Thun und Lassen verantwortlich sind.
(Schluß folgt.)