Deutschland.
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] Berlin, 14. Juni.
Der Sturm ist losgebrochen und zwar durch die
Regierungspartei, die Absolutisten provocirt. Die Reaktion hatte schon
längere Zeit sich Mühe gegeben, Konflikte zwischen den bewaffneten Einwohner
Berlins herbeizuführen, besonders Arbeiter und Bürger mit einander so zu
entzweien, daß ein Krawall unvermeidlich würde. ‒ Sie hatte dabei nicht
versäumt, das Volk fortwährend in Aufregung zu erhalten, sei es durch
selbsterfundne und selbstverbreitete Gerüchte, sei es durch offen an den Tag
gelegte volksfeindliche Schliche. Das Volk hatte gesunden Sinn genug, um
bald die Schliche der Reaktionärs zu durchschauen und vermied jeden Krawall
welcher der Rückschrittspartei nur im Geringsten Veranlassung oder
Anknüpfungspunkte für ihre schändlichen Bestrebungen hätten geben können. ‒
Es lag der Reaktion daran, einen Coup auszuführen und deshalb mußte sie dem
ohnehin schon durch das mit ihm in und außer der Singakademie getriebene
schändliche Spiel erbitterten Volke neuen Stoff der Erbitterung geben, es
unter sich entzweien, um dann desto ungehinderter über es herfallen zu
können. ‒ In diesem Sinne verstehen wir den vom interimistischen Kommandeur
der Bürgerwehr, Blesson, in Folge der gegen Arnim und Sydow verübten Insulte
gegebenen Tagesbefehl. In Folge desselben waren gestern am 14. die Wachen
verstärkt, der Raum vor der Deputirtenversammlung, die gestern ihre
Geschäfte wieder aufgenommen, für die Passage gänzlich durch Bürgerwehr
abgesperrt und schließlich angeordnet worden, daß Atroupements von
Bürgerwehrpatrouillen zerstreut, nöthigenfalls mit Waffengewalt
auseinandergetrieben werden sollten. Trotz diesem Befehl oder vielmehr
gerade in Folge desselben sammelte sich vor der Singakademie, am Zeughause
und königl. Schlosse eine nicht unbedeutende Menschenmasse, vielleicht auch
herbeigezogen durch Neugierde auf die Verhandlungen der Vereinbarer, von
denen man gestern Wichtiges erwartete.
Schon am Morgen des 14. war die Bürgerwehr zusammengetrommelt worden und
sogleich machte sich die Volksstimmung gegen die Reaktion kund. Im Verein
mit dem Hofmarschall hatte Major Blesson angeblich um der Bürgerwehr den
Dienst zu erleichtern, in Wirklichkeit aber, um in Falle einer Revolution
das königl. Schloß dem Volke unzugänglich zu aller Fassung zu machen, an
mehreren Portalen desselben eiserne Gitterthüren anbringen lassen. Trotz der
mehrmaligen Proteste des Bürgerwehrklubs und anderer Vereine war die
Maßregel theilweise schon ausgeführt worden. Das Volk macht also gestern
kurzen Prozeß. Die Thüren wurden ausgebrochen und unter Jubel und dem
Beifall der wohlhabenden Bürger nach der Universität gebracht.
Das Volk strömte darauf zum Zeughause, wo es nicht nur die Entfernung der in
demselben befindlichen Kompagnie des 24. Regements, sondern auch Waffen
verlangte, damit doch endlich die Volksbewaffnung eine Wahrheit werde, ‒
Schon hier machte die aufgestellte Bürgerwehr einen Bajonettangriff auf die
Massen, um sie zu zerstreuen, was natürlich auf Seiten der Letztern Unmuth
und Gereiztheit hervorbrachte. ‒ Der Vormittag verstrich, ohne daß das Volk
etwas Weiteres unternommen hätte; die Sitzung der Vereinbarungsversammlung
war geschlossen; mehre Deputirte der Linken, u. a. Reichenbach, wurden von
der Menge mit Hochs begrüßt. Nachmittags verlangte
sie durch Deputationen von dem Stadtkommandanten, und, als es hier Nichts
fruchtete, beim Kriegsminister die Erfüllung ihrer Forderungen. ‒ Auch hier
klopft man vergebens an. Ja, vor dem Kriegsministerium schritt die
Bürgerwehr von Neuem gegen das wehrlose Volk ein. ‒ Die Erbitterung zwischen
Bewaffneten und Waffenlosen stieg natürlich; die Menge strömte von Neuem zum
Zeughause, um jetzt gewaltsam durchzusetzen, was auf friedlichem Wege nicht
zu erreichen war. ‒ Unterdessen hatte der Generalmarsch die gesammte
Bürgerwehr und die fliegenden Korps auf die Beine gebracht. Bürgerwehr und
Volk standen sich am Zeughause gegenüber. Letzteres wurde von ersterm zum
Nachhausegehen aufgefordert, zweimal wirbelt die Trommel; da fällt plötzlich
aus den Reihen der Bürgerwehr (noch ist's unklar, ob auf Befehl oder nicht)
ein Schuß und ein Mann vom Volke lag sterbend in seinem Blute. ‒ Verrath!
schrie das angegriffene Volk und erwiderte die Attaque mit einem furchtbaren
Steinhagel.
Noch sechs bis acht Schüsse, und wieder fielen neue Opfer spießbürgerlicher
Wuth. ‒ Das Volk stob jetzt nach allen Seiten auseinander, nachdem es seine
Todten und Verwundeten weggebracht, die mit ihrem Blute das Steinpflaster
färbten. „Zu den Waffen, zu den Waffen!“ durchtönte es alle Straßen. Unter
schrecklichen Flüchen gegen die bürgerlichen Ungeheuer, diese neue Garde von
Wütherichen, trug man zwei im Blute der Gefallenen gefärbte Tücher an Stäben
in den Straßen umher. Es war ein herzzerreißender Moment, diese Arbeiter,
diese verstoßenen Parias sagen zu hören : „das ist Freiheitsblut!“ „Wer war
es, donnerten Andere den Bürgern zü, der Euch am 18. März vom Sclavenjoche
befreite? Waren wir es nicht, und jetzt belohnt Ihr uns dafür mit
Meuchelmord!“ ‒ Das Unglück war geschehen; in seiner dumpfen Bestürzung über
das Vorgefallene, das kaum Glaubliche, hatte das Volk die Mörder abziehen
lassen. Es war gegen 9 Uhr Abends. Die Masse am Zeughause wurde immer
größer; man faßte den Entschluß, es zu stürmen und in noch keiner Stunde war
der Plan ausgeführt. Trotz der mehrmaligen Trommelsignale von Seiten des im
Zeughause befindlichen Militärs ließ sich das Volk nicht im Mindesten mehr
von seinem Vorhaben abbringen und bald waren Fenster und Thore eingerannt.
Das Militär kapitulirte; während es auszog und von einem Detachement des
Studentenkorps eskortirt wurde, strömte die Masse unaufhaltsam und ohne jede
Leitung ins Zeughaus. Die Waffenkisten wurden erbrochen und wer Hände hatte,
griff zu. Das war ein Hin- und Herdrängen, ein Ab- und Zulaufen des
entfesselten Volkes, das in alle Räume hineindrang und mit nahm, was es nur
konnte. Kinder von 10 Jahren selbst holten Waffen jeder Gattung und
Munition, die man nach der Universität brachte, heraus, um sie an die Alten
zu vertheilen.
Kurz es war eine planlose Plünderung ohne die geringste obere Leitung. Die
Studenten, auf die das Volk geblickt und denen es noch am Morgen sein
Vertrauen bewiesen hatte, sie ließen es sich nicht nur nicht angelegen sein,
Ordnung in die Sache hineinzubringen; nein, sie hielten sogar das Volk
zurück und suchten es auf jede mögliche Weise zu hindern. Weit entfernt von
dem Beispiele der wackeren Wiener, zeigten sie vielmehr so wenig Herz für
die Sache des verrathenen Volks, daß sie sich zuletzt noch dazu hergaben,
die aus dem Zeughause Kommenden gemeinschaftlich mit der hinzugekommenen
Bürgerwehr zu untersuchen, ob sie Waffen mitbrachten, und sie ihnen im
Betretungsfalle anzunehmen. Diese halbe Neutralität und halbe Feindseligkeit
ist um so weniger begreiflich, als die Studirenden selbst zugestehen, daß
allein die Arbeiter von Berlin es waren, denen das Vaterland seinen neuen
Aufschwung verdankt. Aber nicht allein die Studirenden wollten das Volk
nicht anführen, ‒ sondern auch nicht Einer der sogenannten Volksmänner hatte
sich blicken lassen, um die Bewegung in eine wichtige gerade Bahn zu leiten.
Wo waren die Herren Demokraten, als es galt, das Volk, das sie immer im
Munde führten, anzuführen und zu leiten? Keiner war da, der sich an die
Spitze des Volkes gestellt hätte. ‒ Das Volk sah sich verlassen und wußte
nicht, was es beginnen sollte, nachdem es sich Waffen eroberte. Freilich
waren einige Barikaden erbaut worden, z. B. in der Landsberger- und der
Behrenstraße, wo sie ganz überflüssig waren.
So kam es, daß nachdem kaum das Militair das Zeughaus verlassen hatte,
sogleich neues anrückte, das von den bewaffneten Bourgeois mit Hurrah's
empfangen und ins Zeughaus hineingelassen wurde, als noch eine große Menge
Volks drin beschäftigt war. Dies Anrücken und dazu noch ein Schuß, der im
Hofe des Zeughauses fiel, versetzte das in demselben befindliche Volk in
einen solchen panischen Schrecken, daß einzelne aus dem ersten Stock durch
die Fenster hinabsprangen, wobei sie sich, nicht unerheblich verletzten. Die
Andern entkamen durch Rettungsleitern. Im Allgemeinen hat sich das Militär
schonend benommen.
Schon jetzt erfolgte eine theilweise Entwaffnung durch die Bürger, die doch
nimmermehr zugeben konnten, daß auch der Proletarier Waffen trage, sondern
des Glaubens sind, daß sie allein dazu berechtigt seien. Die Meisten jedoch
brachten ihre Waffen in Sicherheit, so daß nur der geringste Theil dem Volke
wieder abgenommen wurde.
Allmählig verliefen sich die Waffen; bei Anbruch des Tages rückte das
Militär, das gleich beim Beginn der Unruhe die Stadt verlassen und Bivouaks
vor dem Brandenburger Thor bezogen hatte, wieder in die Stadt. Diese ist von
Potsdam, Spandau und andern Seiten her jetzt völlig mit Truppen umgeben.
Will man uns vielleicht das Schicksal von Mainz oder gar von Neapel
bereiten! Die Bürgerwehr ist sehr mißgestimmt, auch das Volk zeigte gestern
nicht den erhebenden, selbstbewußten Charakter, den man in solchen Momenten
sonst zu finden pflegt. Es war verlassen und deshalb
rathlos.
So stehen die Sachen bis jetzt. Auch heute sind die Straßen wieder belebt,
auch heute die Trupps, besonders wieder unter dem Kastanienwäldchen und am
Zeughaus so zahlreich, wie in den letzten Tagen. Es herrscht eine dumpfe,
Unheil verkündende Stille. Wer weiß, was die heutige Nacht bringt! Wir
halten die gestrigen Vorfälle für eine großes Unglück. Die Reaktion hat
ihren Zweck erreicht. Divide et impera! Die Lage des Volks ist dieselbe
geblieben; es hat offenbar eine Niederlage erlitten. Aber war es anders
möglich? Mußte es nicht endlich zum Bruche kommen? Wie lange konnte sich
eine Einigkeit halten, die von vornherein ihren Todeskeim in sich trug? Aber
die Bourgeoisie wird bitter bereuen, was sie dem Volke gethan. Die gestrigen
Vorfälle sind ein Nagel an ihrem Sarge.
Wie wird sich die Nationalversammlung gegenüber diesen Ereignissen geriren?
Was wird die Linke thun? Wird das Ministerium noch länger seine Stellung
behaupten? Diese Fragen sind vielleicht schon beantwortet, noch ehe Sie
diese Zeilen erhalten!
Heute früh verließen eine große Anzahl Wagen mit hiesigen Einwohnern, die
wahrscheinlich erneute Unruhen fürchten, die Stadt. Glückliche Reise nach
Hinterpommern. Es scheint, als ob letzteres unsere Vendee werden wollte. Es
gehen seltsame Gerüchte, z. B. daß die Russen bereits bei Thorn stehen.
Es scheint, daß die gestrigen Ereignisse nur der Anfang vom Ende sind.
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X
] Berlin, 15. Juni.
Das „souveraine Volk“ von Berlin hat gestern wieder einmal eine thatsächliche
Erinnerung an seine erste Revolution ergehen lassen. Es hätte nur eines
thätlichen Widerstandes von Seiten der Regierung bedurft, und wir hatten
eine zweite Revolution. Das Volk hatte im Laufe des Tages schon die neuen
eisernen Gitter an zwei Schloßportalen von ihrem Platze geschleppt, zum
Theil zertrümmert und in die Spree geworfen, und des Abends einen Angriff
auf das Zeughaus gemacht, um sich zu bewaffnen. Dabei hatten Bürgergardisten
auf das Volk geschossen. Zwei Menschen waren getödtet, zwei verwundet. Der
Ruf nach Rache erhob sich schon in allen Straßen; in der Königsstraße, in
der Leipzigerstraße wurden Barrikaden angefangen, Wagen angehalten und
umgeworfen, doch das Volk hatte keinen Feind vor sich, die Bürgerwehr selber
stand zu ihm, beide waren darin einig, daß man nur das Ministerium zu
stürzen habe. Das Volk hatte zu viel Mißtrauen gegen die Reaktion und
fürchtete, mit einem Angriff auf die Bürger, derselben nur in die Hände zu
spielen. Darum beschränkte es sich auf einen Angriff gegen das Zeughaus, in
welchem 250 Mann Infanterie bivouakirten.
Es wollte Waffen und die Entfernung des Militärs aus dem Arsenal. Die
Bürgerwehr stellte ihnen, nach den gefallenen Schüssen, die sie selbst
bedauerte, keine Hindernisse in den Weg. Da erschien das bewaffnete Korps
des Handwerkervereins; es wurde mit Jubel empfangen, das Volk erhob ein
Hurrah, als es die Gewehre laden sah, es fühlte sich geschützt gegen die
Mißverständnisse, und die jungen bewaffneten Arbeiter belagerten nun das
aZeughaus förmlich und waren auf einen Sturm gefaßt, der denn uch wirklich
gegen die von innen verbarrikadirten Fenster und Thore losbrach, als der
Befehl, daß das Militär das Zeughaus räumen sollte, vom Kriegsminister trotz
stundenlangen Parlamentirens nicht anlangen wollte. Das Volk drang von allen
Seiten ein, und in kurzer Zeit waren tausende von Gewehren, Säbeln und
Pistolen u. s. w. entführt. Endlich gegen 2 Uhr Morgens, als die Masse sich
schon fast sämmtlich bewaffnet und zerstreut hatte, erschien plötzlich eine
Bataillon Infanterie, dem die einigen hundert Mann des bewaffneten
Handwerkerkorps, dem es auch in der Unordnung an rechtem Kommando fehlte,
keinen Widerstand entgegen setzen wollten, und nahm von dem bedeutend
ausgeräumten Zeughause Besitz. Das Volk begnügte sich mit der erzwungenen
Bewaffnung, bald wurde es an den Straßen ruhig. Hätte das Militär
angegriffen, so war die Revolution da. Ihre Früchte hat die gestrige
Bewegung aber dennoch, und zwar in der Nationalversammlung getragen. Das
Ministerium hat heute zwei Niederlagen erlitten. Erstlich wurde mit
bedeutender Majorität gegen den Willen der Minister der Beschluß gefaßt, daß
die Versammlung sich sicher fühlt unter dem Schutze der Berliner Bevölkerung
und daß sie wünscht, das Bataillon Bürgerwehr, welches seit dem Angriffe auf
Arnim und Sydow das Sitzungsgebäude täglich bewache, möge zurückgezogen
werden. Zweitens wurde bei namentlicher Abstimmung mit 46 Stimmen Majorität
trotz einiger Reden, welche Camphausen und Hansemann in banger Ahnung
dagegen gehalten, der Waldecksche Antrag angenommen: eine Kommission zu
ernennen, ihr die Mittheilung aller auf die Versammlung bezüglichen
Petitionen und Anträge zu geben, ihr die Umarbeitung des vorgelegten
Entwurfs und resp. Ausarbeitung eines neuen Entwurfs aufzutragen.
Der Verfassungsentwurf ist mit dieser Abstimmung so gut wie verworfen. Das
Ministerium ist seinem Ende nahe. Wie wir hören, haben Schwerin und Arnim
schon ihre Entlassung eingereicht, Auerswald wird es in den nächsten Tagen
thun; er wartet nur auf eine gute Gelegenheit, um sich noch mit Ehren zurück
zurückzuziehen. Nur Hansemann soll bleiben und das ist bezeichnend.
Ueber die gemeldeten Vorgänge melden die Berliner Blätter noch folgende
Details:
‒ 15. Juni. Massen, bewegt von einer unbestimmten Ahnung, daß es „etwas geben
müsse“, Niemand wußte freilich was und warum etwas, standen und wallten in
der Nähe des Zeughauses und auf dem Opernplatze umher. Es wurde im
königlichen Schlosse mit dem Einhängen großer eiserner Gitterthüren
begonnen, welche den Flügel, worin des Königs Wohnung liegt, abzusperren,
bestimmt waren; dies gab der dunkelen, gegenstandlosen Unruhe des Volkes
zuerst eine bestimmte Richtung, die Menge bemächtigte sich der schweren
Gitter und schleppte sie, ungehindert von der Bürgerwache, in das
Universitätsgebäude. Als die Abgeordneten aus der Sitzung kamen, empfing den
Grafen Reichenbach unter der dichtgescharrten Menge, welche den Platz vor
dem Gebäude bedeckte, ein donnerndes und seine Schritte fort und fort
begleitendes Hoch.
Nachmittags fiel ein trauriger Auftritt am Brandenburger Thor vor. Dreißig
brotlose Arbeiter kamen in einem Zuge mit zwei Fahnen heran. Diesen
Arbeitern war, wie wir hören, im Thiergarten, vor dem Hause des Baumeister
Hitzig, kurz vorher Geld von einem unbekannten Herrn im blauen Frack
ausgetheilt worden, ob zum Zwecke einer Bestechung oder nur als eine
Privatwohlthätigkeit, ist uns unbekannt. Wir wissen nur, daß die Leute sich
von jener Stelle nach dem Kroll'schen Etablissement verfügten, um dort ein
Paar Fahnen ‒ mit ihnen zu reden ‒ sich zu leihen, oder richtiger, solche
mit Ungestüm und unter Androhungen zu fordern. Was sie beabsichtigten, war,
der eigenen Aussage einiger dieser Leute (Namens Beutler, Gladow, Schellard,
Broidon, Lewecke) zufolge ‒ eine Demonstration als Antwort auf einen
Arbeiterfestzug, der am vorigen Tage stattgefunden hatte. „Die auf dem
Schiffbauerdamm Beschäftigten,“ sagten sie „haben gestern mit Fahnen und
Musik Prunk gemacht, weil sie Brod gefunden, während eine Menge ihrer Brüder
keines finden können und elendiglich verkommen, wir wollen uns doch auch
zeigen, daß wir da sind.“ Sie erhielten im Kroll'schen Etablissement eine
dreifarbige deutsche Fahne und eine rothe, der sie ein weißes Feld mit der
Inschrift: „brod- und obdachlose Arbeiter“ hinzufügten. Als sie das Thor
erreicht hatten, wurden sie zurückgewiesen.
Wenn die Aussage der genannten fünf Arbeiter Glauben verdient, so leisteten
sie dem Befehle umzukehren alsbald Folge, widersetzten sich aber, als man
die Auslieferung der Fahnen von ihnen verlangte. Nach der Aussage von
Bürgerwehrmännern haben dagegen diese Arbeiter zuerst einen thätlichen
Angriff auf die Mannschaft, welche das Thor besetzt hatte, gemacht. Wie dem
sei, es ist Blut geflossen auf beiden Seiten, es sind schwere Verwundungen
vorgekommen. Schlimmer ward es etwas später gegen Abend. Eine Deputation
ging zum Kriegsmister, um abermals auf allgemeine
Volksbewaffnung zu bringen. Während die Deputation oben war, ließ unten in
der Leipzigerstraße ein Bürgeroffizier auf den harrenden Volkshaufen einen
Angriff machen, er soll vom Volke gezwungen worden sein, auf der Stelle sein
Kommando niederzulegen; Verwundungen sollen auch hier vorgekommen sein. Das
Zeughaus war inzwischen von Volkshaufen umdrängt, aus der engen Gasse
zwischen Zeughaus und Gießhaus heraus schossen die vordersten
Bürgerwehrmänner in die dichtgedrängte Masse mit Kugeln hinein, mehrere
Leute fielen, zwei oder drei todt, Blut bedeckte das Straßenpflaster.
Umstehende tauchten Taschentücher in das Blut, schwangen diese Blutfahnen an
Stöcken und rannten damit durch die Straßen, zum Kampfe auffordernd; viele
anderen Personen bemühten sich, die tobenden Haufen zu erinnern, daß kein
Feind da wäre, gegen den man zu kämpfen hätte, ‒ die, welche geschossen
hätten, seien nicht die Bürgerwehr, sondern nur einzelne Verrückte, die
ihrer Strafe nicht entgehen würden. Dennoch, da es hieß, daß Major Benda
Feuer kommandirt hätte, liefen Leute hin, um dessen Wohnung zu stürmen. Eine
Abtheilung des fliegenden Korps vom Handwerkerverein rückte heran und
besetzte das Zeughaus. Die Menge verlangte, das in diesem befindliche
Militärpiket solle abziehen. Eine Deputation ging nach dem
Kommandanturgebäude und erlangte von dem Generalkommando der Bürgerwehr das
Versprechen, daß auf eine strenge Untersuchung des Vorfalls am Zeughause, so
wie bei dem Kriegsminister auf Entfernung des Militärs hingewirkt werden
solle.
In der That wurde das Piket aus dem Zeughause weggenommen, das Zeughaus aber
um etwa 10 Uhr von der Volksmasse erstürmt, welche viele Waffen, Spitzkugeln
und andere Vorräthe hinwegtrug. Gegen 11 Uhr besetzte die
Bürgerwehrmannschaft das Zeughaus, der etwas später einige Kompagnieen vom
24. Regiment beigestellt wurden, wie man uns sagt auf Requisition des
Generalkommandos der Bürgerwehr. Major v. Blesson hat, wie es heißt, bereits
das Kommando abgegeben.
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Prag.
Die Deutsche Allg. Ztg. berichtet : Leipzig, 14. Juni. Nachdem heute Morgen
schon das Gerücht hier umlief, daß Prag gesperrt sei, kommen uns durch
Reisende, welche gestern früh um 5 Uhr von dort abgereist sind, folgende
nähere Nachrichten zu, die wir mittheilen, ohne sie verbürgen zu können.
Heute sind allerdings weder Wiener Zeitungen und Briefe noch dergleichen aus
Prag eingetroffen. Alle Anzeichen, berichtete der Reisende, die sich in den
Tagen vor dem Feste kundgegeben, scheinen darauf hinzudeuten, daß die
czechische Partei eine allgemeine Schilderhebung beabsichtigt habe, und am
zweiten Pfingstfeierage veranstaltete dieselbe in Verbindung mit den
czechischen Studenten ein feierliches Hochamt im Freien, wodurch eine
ungeheuere Volksmasse zusammengezogen wurde. Hier gelobte man sich
unerschütterliche Verfolgung der czechischen Sache und die Masse zog gegen
Mittags 12 Uhr in die Stadt zurück, zunächst vor die Wohnung des
Kommandanten, um daselbst wahrscheinlich eine Katzenmusik zu bringen. Die
Grenadiere, welche bereits im Hofe konsignirt standen, brachen zum Thor
heraus und suchten die Menge zu zerstreuen, und es kam hier schon zum
Handgemenge. Auch in den Straßen stießen Volk und Militär hart an einander
und auf mehreren Seiten sah man Barrikaden erbauen. Der Kommandant Fürst
Windisch-Grätz ließ jetzt Allarm schlagen und gab bis vier Uhr Zeit, die
Barrikaden wieder abzutragen. Allein der Tumult steigerte sich von Minute zu
Minute, die Barrikaden wurden noch vermehrt, und ein Haufe Pöbel schoß gegen
die Wohnung des Fürsten Windisch-Grätz, wobei die Fürstin, am Fenster
stehend, am Kopfe verwundet wurde. Jetzt ließ der Fürst anrücken, die
Kanonen vorfahren, und eine fürchterliche Kanonade begann, welche von
Nachmittags 5 Uhr bis Abends 10 Uhr unter fortdauerndem Kampfe auf beiden
Seiten unterhalten wurde. Früh nach 5 Uhr soll der Kampf, der die Nacht über
unterbrochen gewesen, sich von neuem wiederholt haben, und es scheint sich
dies auch insofern zu bestätigen, als die Post, welche gestern früh um 7 Uhr
aus Prag abgehen sollte, nicht eingetroffen ist. Der Aufstand in Prag sollte
durch Allarmfeuer dem Lande mitgetheilt werden, und am zweiten
Pfingstfeiertag Abends waren alle höhern Berge beleuchtet.
Weitere Nachrichten melden, daß auf die Signalfeuer von den Bergen die Bauern
aus der ganzen Umgegend nach der Stadt strämten. Die Arbeiter,
Fleischergesellen u. s. w. schlugen von innen alsbald sämmtliche Thore ein,
so daß die Bauern von allen Seiten eindrangen. Um 5 Uhr Morgens hörten die
auf dem Dampfschiff abfahrenden Flüchtlinge und Fremden heftiges
Geschützfeuer. Das Blutbad, welches der Fürst Windischgrätz mit seinen
Kartätschen eröffnet hat, wird die Wuth der Czechen voraussichtlich auf das
Höchste getrieben haben; über den Ausgang kann man natürlich in diesem
Augenblick keine Muthmaßungen anstellen.
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Edition: [Friedrich Engels: Kleines Gefecht bei Hadersleben - Räumung von Apenrade durch die Deutschen - Besetzung durch die Deutschen. In: MEGA2 I/7. S. 129.]
[
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] Rendsburg, 13. Juni.
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