Deutschland.
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[19]
Köln, 8. Juni.
Wir erhalten aus Frankfurt das folgende Aktenstück, mit welchem der
Prüfungs-Ausschuß für die Anträge auf Bildung einer Centralgewalt sein
Dasein feiert.
„Die Nationalversammlung beschließt:
1. Bis zur definitiven Begründung einer obersten Regierungsgewalt für
Deutschland soll ein Bundesdirektorium zur Ausübung dieser obersten Gewalt
in allen gemeinsamen Angelegenheiten der deutschen Nation bestellt
werden.
2. Dasselbe soll aus 3 Männern bestehen, welche das Vertrauen der
Nationalversammlung genießen und, nach vorläufiger Vereinbarung mit einem
von der Nationalversammlung eigens hierzu gewählten Ausschuß von 30
Mitgliedern, von den Regierungen ernannt werden. Oesterreich und Preußen
bestellt je einen derselben, der dritte wird von den übrigen Bundesstaaten
aus 3 von Baiern vorzuschlagenden Kandidaten durch Stimmenmehrheit der
vierten bis siebzehnten Stimme der engern Versammlung des Bundestags
gewählt.
3. Das Direktorium hat
a) die von der konstituirenden Nationalversammlung
gefaßten und von ihm genehmigten Beschlüsse durch
seine Verkündigung in Rechtskraft zu setzen und zu vollziehen;
b) die zur Vollziehung der Reichsgesetze nöthigen Verordnungen zu
erlassen;
c) die Oberleitung der gesammten Vertheidigungs-Einrichtungen zu übernehmen
und den Oberfeldherrn sämmtlicher Bundestruppen zu ernennen;
d) die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands auszuüben, Gesandte und
Konsuln zu ernennen
4. Ueber Krieg und Frieden, und über die Verträge mit
auswärtigen Mächten beschließt das Bundesdirektorium
im Einverständniß mit der Nationalversammlung.
5. Das Bundesdirektorium übt seine Gewalt durch von ihm ernannte, der
Nationalversammlung verantwortliche Minister aus.
Alle Anordnungen desselben bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung
wenigstens eines verantwortlichen Ministers.
6. Das Bundesdirektorium ernennt zu diesem Ende
a) einen Minister für die auswärtigen Angelegenheiten;
b) einen Minister des Krieges (zugleich für die Marine);
c) einen Minister des Innern;
d) einen Finanzminister;
e) einen Minister für Ackerbau, Gewerbe, Handel und für öffentliche
Arbeiten.
7. Die Minister haben das Recht, den Berathungen der National-Versammlung
beizuwohnen und von derselben jederzeit gehört zu
werden; sie haben jedoch das Stimmrecht in der National-Versammlung nur
dann, wenn sie als Mitglieder derselben gewählt werden. Dagegen ist die
Stellung eines Mitgliedes des Bundesdirektoriums mit jener eines
Abgeordneten zur National-Versammlung unvereinbar.
8. Sobald das Verfassungswerk für Deutschland vollendet und in Ausführung
gebracht ist, hört die Thätigkeit des Direktoriums und seiner Minister
auf.“
Dieser Antrag ist das Machwerk des Hrn. Dahlmann, des großen
Geschichtschreibers des kleinen Cromwell. Manches von dem ursprünglichen
Antrag ist noch modifizirt worden. So hieß es in Betreff der Ernennung des
Triumvirats (Art. 2.) zuerst: „welche von den Regierungen ernannt und von
der National-Versammlung gebilligt werden“; Hr. Hofrath Dahlmann mußte indeß
mit dieser Fassung den Hrn. Zenetti aus München und Flottwell aus Münster
weichen, die keine „Billigung“ der National-Versammlung für nöthig erachten.
Nur zwei von den 15 Mitgliedern des Ausschusses haben gegen das Gutachten
gestimmt: Robert Blum und v. Trützschler. Vorsitzender des Ausschusses war
Hr. Stedtmann aus Koblenz.
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Edition: [Friedrich Engels: Neue Teilung Polens. In: MEGA2 I/7. S. 90.]
[**]
Köln, 8. Juni.
Siebente Theilung Polens.
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@facs | 0035 |
Düsseldorf, 6. Juni.
Durch das entschiedene Auftreten des hiesigen Volksklubs, der sich in seinem
Programme offen zu der Republik bekannt hat, ist eine lächerliche Furcht in
die Philister gefahren. Es war zu erwarten, daß sie nach Ueberwindung des
ersten Schreckens zu ihren gewöhnlichen erbärmlichen Waffen greifen würden,
zu Verdächtigungen und Verläumdungen. So ist denn auch bereits im hiesigen
Kreisblättchen ein derartiger ängstlich-tapferer Mann, natürlich als
Anonymus, aufgetreten, und hat die Comitémitglieder des Volksklubs reif für
Siegburg erklärt. Um allen solchen schlechten Witzen von vornherein die
Spitze abzubrechen, läßt das Comité in der morgigen Düsseldorfer Zeitung
erklären, daß der Volksklub Gemeinheiten und Dummheiten, welche aus dem
Verstecke heraus gegen ihn geschleudert werden, verachten, Gegnern aber, die
ihm mit offenem Visiere gegenüber treten, zu antworten wissen werde. Es wird
auch schon von Verhaftung der Comitémitglieder gesprochen. Diese Mitglieder
sind aber nicht so toll, daß sie den Feinden Blößen und willkommene
Handhaben gegen sich gäben. Freilich dem Oberprokurator Schnaase hierselbst
schien die vor einiger Zeit von dem Volksklub
ausgegangene Adresse an die Nationalversammlung in Berlin gegen ein
Strafgesetz zu verstoßen und er verlangte auf diesen Schein hin von dem
Redakteur der Düsseldorfer Zeitung, worin die Adresse mitgetheilt worden
war, ihm den Einsender, resp. Verfasser derselben, zu nennen, widrigenfalls
er ihn, den Redakteur, zur Verantwortung ziehen werde. Der Oberprokurator,
welcher dem allgemeinen Gerüchte nach, die mit dem 1. künftigen Monats hier
erscheinende „Niederrh. Zeitung“ redigiren wird, hat es bis jetzt beim
Scheine bewenden lassen.
Wie verhält sich aber das Volk dem Volksklub gegenüber? Das Volk hat die an
den Straßenecken veröffentlichten Programme des Volksklubs mit Begierde
gelesen und bereits durch zahlreichen Beitritt seine Theilnahme
bewiesen.
[Deutschland]
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@facs | 0036 |
Frankfurt, 7. Juni.
Die konstituirende Nationalversammlung hat heute nach einer längern, zunächst
durch die veröffentlichten Vorlagen des provisorischen Centralcomité in Prag
an den Slavenkongreß veranlaßten Debatte beschlossen: einen besondern
Ausschuß von 15 Mitgliedern zur Begutachtung der österreichisch-slavischen
Frage, insoweit es sich von deutschen Bundesländern handelt, niederzusetzen.
Die Wahl des Ausschusses durch die Abtheilungen sollte alsbald nach der
öffentlichen Sitzung erfolgen; derselbe wird sich bereits heute Nachmittag 5
Uhr konstituiren.
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@facs | 0036 |
[pp.] Frankfurt, 6. Juni.
Die deutsche National-Versammlung hat durch ihre letzten Verhandlungen, wenn
auch wider ihren Willen, der deutschen Republik ganz entschieden in die
Hände gearbeitet, sie hat den unausbleiblichen Sturm heraufbeschworen, der
sich zunächst über ihrem Haupte und dann über dem Pferche der
patriarchalisch-deutschen Zustände entladen wird. Die Versammlung,
zusammengesetzt aus romantischen Antiquitäten, stockgelehrten Hofräthen und
Doktoren, selbstgefälligen Doktrinärs und wenigen entschiedenen Männern, hat
ihren verhängnißvollen Sturz dadurch herbeigeführt, daß sie da einzulenken
versuchte, wo der Stillstand ein Verbrechen ist, daß sie ihre Zeit, ihre
Aufgabe nicht verstand; den Todesstoß endlich hat sie sich gegeben durch die
Zusammensetzung des Ausschusses für die Bildung einer provisorischen
Vollziehungsgewalt. Woher, werden Sie mich vielleicht fragen, schon jetzt
diese düsteren Voraussetzungen? Da wir von der Thätigkeit dieses Ausschusses
noch nichts wissen, da er seinen Entwurf noch nicht einmal vorgelegt hat.
Ich brauche Ihnen aber nur die Namen der Mitglieder der Kommission zu nennen
und sie werden meine Besorgniß gerechtfertigt finden. Da ist Hr. Flottwell, preußischer Oberpräsident, ein
Erzbüreaukrat alten Stils, der noch vor zwei Jahren den sich bei ihm als
damaligen Finanzminister beschwerenden rheinischen Gewerbetreibenden
anempfahl, sie möchten sich nur um ihre Angelegenheiten, nicht aber um die
tiefer gehenden kommerziellen und politischen Verhältnisse kümmern, Hr. v.
Zenetti, ein abgedankter baierischer Minister,
der selbst dem seligen König Ludwig zu schlecht war und abgesetzt wurde, Hr.
v. Würth, einer jener Schwächlinge, welche alle
Revolutionen beklagen, endlich Hr. v. Saucken ein
preußischer Krieger, der früher nach der Melodie seines Bruders den
Rechtsboden des ersten vereinigten Landtages ausbeutete, jetzt aber, wo der
Pöbel zur Herrschaft strebt, den Frieden „einer vernünftigen Konstitution
allen politischen Kämpfen vorzieht.“ Diese Herren bilden die Rechte, sie
wollen Ruhe und Vertrauen durch ein selbstbegründetes Königthum wieder
herstellen. An sie schließen sich als Centrum an der Hofrath Dahlmann, der Vertrauensmensch und Fürstengläubige,
der mit seinem Bruder in der Politik, dem keuschen Joseph derselben, Hofrath
Gervinus noch nie „eine politische Unzucht begangen“, sondern sich stets an
das Maß der gegebenen Zustände gehalten hat, ferner der liberale Hr. Stedtmann, welcher zur Zeit der Revolution den
preußischen Landtag für die letzte Planke der Gesetzlichkeit hielt, Hr. Wippermann, ein Kasseler Jakobiner, Hr. Duncker, ein zahmer hallenser Löwe, Hr. Claussen, ein liberaler Holsteiner, Hr. v. Lindenau, v. Raumer, v. Gagern und v. Meyern, lauter freisinnige Männer, die aber vor
dem unschuldigen Worte Republik erschrecken und durch ein festbegründetes,
aber festbegränztes konstitutionelles Königthum Alles erreichen wollen. Auf
der linken Seite erblicken wir nur Robert Blum und
Trützschler, die aber beide bis jetzt noch nicht
die Konsequenz aus den von ihnen vertretenen Ansichten gezogen haben. Das
ist die Kommission; einige ihrer Mitglieder sprachen es mit naiver Gradheit
aus, daß das Volk nicht souverain sei, sondern daß es darauf ankomme, den
durch die Revolution erschütterten Einfluß und Macht der uns vorgesetzten
Fürsten wieder zu befestigen. Unsere Aussichten sind also einfach die, daß
die vollziehende Centralgewalt den Fürsten in die Hände gelegt oder gleich
kurzer Hand dem Bundestage übertragen wird, daß man endlich höchstens, um
nach Art eines Feiglings den Schein für sich zu wahren, den
Vollziehungsausschuß aus dem Schooße der Versammlung ernannt, aber von den
Fürsten bestätigen läßt. Bei den Bestandtheilen der ersteren bin ich Ihnen
Bürge für die Annahme eines dergestalt abgefaßten Kommissions-Entwurfes, um
so mehr, als die Rechte wenigstens aus 2/3 der Mitglieder besteht und das
wohlbegründetste Interesse hat, ihren vermeintlichen Vortheil der verhaßten
Linken gegenüber zu wahren. Also Barrikaden und Revolution waren umsonst,
der alte Schlendrian soll wieder von Neuem angehen. Der Bund, den selbst der
Hr. v. Gagern eine Leiche nannte, dieser Kadaver
soll das Volk von Neuem knechten, von Neuem mit dessen Wohl sein schnödes
Spiel treiben. Doch nein! so wird es nicht, so kann es nicht werden, so
lange noch eine kräftige, wenn auch kleine Minorität in der Versammlung
sitzt, so lange sie ihrem Mandat getreu, dort die Rechte des Volkes wahrt,
und jenes eher aufgiebt als dieses im Stiche läßt. Der Tag der Entscheidung,
der Debatte über den Bericht des Vollziehungsausschusses wird bald kommen.
Die Linke wird dann wissen, was sie zu thun hat, sie wird es nicht bei einem
bloßen Proteste bewenden lassen, sondern sofort aus der Versammlung
austreten, da hier die erste Lebensfrage zur Sprache kommt, die Frage
nämlich, ob das Prinzip der Volkssouverainität anerkannt oder die
ungeschmälerte Fürstenmacht fortbestehen soll? Die entschiedensten Vertreter
der Linken haben sich unbedingt für diesen Austritt ausgesprochen; ob sie
sich dann selbstständig konstituiren werden, hängt von der Theilnahme ab,
den ihr Schritt beim Volke finden wird. So ist der Austritt der Minorität
von den wichtigsten Folgen begleitet, er wird die gewaltsam gestaute
Revolution wieder in Fluß bringen und unnachsichtlich den Sturz derer
herbeiführen, welche sich der Bewegung blindlings entgegenstemmten.
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@facs | 0036 |
[*]Frankfurt, 7.
Juni.
Verflossenen Sonntag, am 4. Juni, war bei Bergen, einem 11/2 Stunden von hier
entfernten kurhessischen Ort, eine Volksversammlung, zu der sich Turner und
Arbeiter aus Hanau, Offenbach, Frankfurt, sowie die Bauern aus allen
benachbarten Dörfern eingefunden hatten. Die Versammlung, welche im Freien
abgehalten wurde, war in so fern von Bedeutung, als man unter der
allgemeinsten Akklamation verkündete: wenn die Nationalversammlung welche
den Willen des Volkes zu vertreten berufen sei, die Volkssouveränität an die
Fürsten verrathe, so werde man ihre Beschlüsse nicht anerkennen und die
demokratische Minorität „durch die That“
unterstützen.“
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@facs | 0036 |
[*]Frankfurt. 7.
Juni.
Der Terrorismus, welchen die reaktionäre Majorität der Nationalversammlung
ausübt, ist sogar auf die Korrespondenten der demokratischen Zeitungen
ausgedehnt worden. Die provisorische Kommission zur Vertheilung der
Journalistenplätze hatte sich die Polizeikontrolle angemaßt, die einzelnen
Journalisten in der Art zu überwachen, daß sie denselben eine Legitimation
für eine bestimmte Zeitung abverlangte; ein Akt, der in der „freien“ Stadt
Frankfurt, wo noch die Polizeiwillkühr „mißliebige“ Schriftsteller ausweisen
darf, für die Korrespondenzen nicht ohne Bedeutung ist. Die neue Kommission,
bestehend in dem Herrn Biedermann, ist noch offener zu Werke gegangen. Als
die provisorischen Plätze nach Beibringung der Legitimation heute neu
vertheilt wurden, erhielten 1) Julius Froebel, O. Lüning, L. Feuerbach, H.
Bode (sämmtlich für Organe der Linken legitimirt) gar
keine Stütze; 2) Bamberger und Dronke (beide für demokratische
Zeitungen legitimirt) einen Platz auf der Tribüne, der nach dem Ausdruck des
Alterspräsidenten an einem „akustischen Fehler“ leidet. Dafür wurden die
früheren (provisorischen) Plätze der genannten Schriftsteller vertheilt 1)
an Herrn A. Lewald, Wohlgeboren, für die Augsb. Allg. Ztg.; 2) den durch
Guizot neuerdings bekannt gewordenen Dr. Weil, für die deutsche
Professorenzeitung; 3) einen Korrespondenten der Köln. Ztg., Schroer oder
ähnlichen Namens; 4) an zwei für die Weserzeitung
legitimirte Korrespondenten, Sattler und Lengerke; 5) an einen sogenannten
Korrespondenten des Frankfurter Journals, Namens Ebner. Herr Biedermann hat
hierbei weder die Reihenfolge der früheren provisorischen Anmeldungen, noch
die Reihenfolge, in welcher die neuen Legitimationen eingebracht wurden,
beobachtet; Herr Biedermann, der als Buchhändler, Journalist und Professor
der schönen Künste die Ansichten der einzelnen Blätter und ihrer Mitarbeiter
kennen muß, hat also die Willkühr im Vertheilen der Journalistenplätze dahin
ausgeübt, die Korrespondenten „mißliebiger“ Zeitungen auszuschließen oder
zurückzusetzen, und die besseren Plätze in der Mitte der Versammlung den
Korrespondenten konservativer und reaktionärer Blätter zuzuwenden. Den Herrn
Fröbel und Bamberger ist es durch entschiedenes Auftreten gegen Hrn.
Biedermann, gelungen, ihre früheren Plätze wieder einzunehmen, was wohl das
beste Zeugniß der Willkühr des Herrn Biedermann ist; die übrigen
demokratischen Zeitungen werden indeß vorläufig wohl ohne direkte
Mittheilungen bleiben müssen.
Das Manifest der radikal-demokratischen Patrei haben unterzeichnet:
Dr. J. N. Berger aus Wien. Brentano aus Bruchsal. Hermann Grubert aus
Schlesien. Dr. Heldmann aus Hessen. Junghanns aus Baden. Ch. Kapp aus
Heidelberg. Adolph Kolaczek aus Schlesien. Martiny aus Westpreußen. Dr. Mohr
aus Rheinhessen. Peter aus Konstanz. Gustav Rée aus Offenburg. Reinstein aus
preuß. Sachsen. Arnold Ruge aus Leipzig. Julius Scharre aus Sachsen.
Schlöffel aus Schlesien. Titus aus Baiern. W. Zimmermann aus Würtemberg.
Zitz aus Hessen.
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@facs | 0036 |
Frankfurt, a. d. O., 5. Juni.
Der demokratische Verein hierselbst hat die nachfolgende Adresse an die
konstituirende National-Versammlung in Berlin beschlossen und dem
Präsidenten Milde so wie abschriftlich dem Abg. v. Gerlach zur Befürwortung
übergeben:
Vertreter des Volkes! Wie sich die Stimme des Volkes bereits in so vielen
Städten des Vaterlandes gegen den vorgelegten Verfassungsentwurf
protestirend erhoben hat, so fühlt auch der unterzeichnete Verein sich
gedrungen, nach reiflicher Erörterung des Gegenstandes zu erklären, daß
jener Entwurf bei ihm nicht nur Staunen und Unwillen erregt, sondern in
seinen sämmtlichen Mitgliedern die lebhafteste Entrüstung hervorgerufen hat.
Der Verein kann in dem Entwurfe nicht die vom Könige in Folge des
glorreichen Volkskampfes gegen das absolute Königthum verheißene Verfassung
auf breitester Grundlage erkennen, sondern findet in ihm nichts als eine
Verkrüppelung der belgischen Konstitution, welche viele der wichtigsten
errungenen Volksrechte unerwähnt läßt, andern gänzlich Hohn spricht. Er muß
deshalb die Volksvertreter ersuchen, den von dem Ministerio vorgelegten
Verfassungsentwurf als der Berathung, Namens eines freien Volkes unwürdig,
ohne Weiteres zurückzuweisen, und nur auf Grund eines solchen zu berathen,
welcher das in heiliger Stunde gegebene königliche Wort, dem das Volk so
gern vertraute, Wahrheit werden läßt und sichere Bürgschaft für Gegenwart
und Zukunft gewährt.
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@facs | 0036 |
Berlin, 6. Juni.
Sitzung der Vereinbarungs-Versammlung. ‒ Der Minister des Auswärtigen nimmt
das Wort, um die früher an ihn gestellte Interpellation wegen der Rede
Lamartines in Bezug auf das Großherzogthum Posen zu beantworten. In der Rede
Lamartines seien mehrere Punkte ungenau angegeben. Er (der Minister) könne
eigentlich die ganze Angelegenheit von der Hand weisen, doch habe er sich
bemüht, Aufklärung darüber geben zu können. Er habe trotz allen
Nachforschungen in den Akten nicht auffinden können, daß irgend ein
Geheimniß der Regierung in der Posenschen Angelegenheit stattgefunden habe.
‒ Abg. Kirsten interpellirt den Finanzminister über
die gegenwärtige Lage der freiwilligen Anleihe und fragt, ob der Minister
vielleicht gesonnen sei, jetzt mit einer Zwangsanleihe hervorzugehen. Es sei
befremdend, daß die Ergebnisse unserer freiwilligen Anleihe hinter den
Erwartungen so sehr zurückgeblieben seien. Es stehe nun zwar in der
Thronrede, die Ersparnisse des Landes würden die Bedürfnisse decken, jedoch
glaubt er, daß unter so bewandten Umständen das Ministerium zu einer
Zwangsanleihe schreiten werde, die aber seiner Ansicht nach eine unangenehme
Stimmung im Lande hervorrufen wird, eben so im Auslande den Anschein, als ob
man sehr wenige Patrioten im Lande habe. Minister Hansemann: Es ist unrichtig, daß in der Thronrede angeführt ist :
die Ersparnisse würden die Bedürfnisse decken, sondern es
steht bloß darin : die Ersparnisse sind noch nicht aufgezehrt. Der
vorherige Redner befürchtet einen unangenehmen Eindruck von der
Zwangs-Anleihe? Ich auch. (Heiterkeit.) Wenn man Jemanden zwingen will, Geld
zu geben, das bringt niemals einen guten Eindruck hervor. (Heiterkeit.) Wenn
der Staat zu Beiträgen aufgefordert hat, wenn er den an ihn dieserhalb
gemachten Anträgen nachgegeben, wenn er den Lokalbehörden die Sache in die
Hand gegeben, und doch der Erfolg so gering gewesen ist, daß die Beiträge
bis jetzt nur etwa 1 Mill. im ganzen Lande betragen (wobei bemerkt wird, daß
die Berichte über den Schluß des vorigen Monats noch nicht eingegangen) ‒ so
ist es die Pflicht des Ministeriums dafür zu sorgen, daß die Bedürfnisse des
Landes befriedigt werden. Ich mache der Versammlung daher die Anzeige, daß
ihr in wenigen Tagen ein Gesetz-Entwurf über eine Zwangs-Anleihe vorgelegt
werden wird, undzwar ein solcher, der viel weniger günstige Bedingungen füe
die Darleiher stellt, als die freiwillige Anleihe. Erst dann, wenn die
gewöhnlichen Organe der Staatsgewalt hier fungiren, dann wird der Zeitpunkt
kommen, wo Preußens Kredit wieder stark genug sein wird. Doch können die
Vertreter des Landes selber zur Herbeiführung dieses Zeitpunktes viel
beitragen. Je schneller die Geschäfte hier abgemacht
werden, desto schneller wird die Zeit da sein, wo Preußen wieder Kredit
haben wird. Denn nur erst, wenn diese Zeit herangerückt ist, und
wenn er dann noch das Portefeuille des Finanzministeriums haben wird, dann
werde er Vorschläge zu großen Unternehmungen machen, wodurch er hoffe, die Noth der Arbeiter zu steuern. (Schallendes
Bravo.) Abg. Hartmann fragt den
Minister-Präsidenten, ob er geneigt sei, eine Erklärung über die Abwesenheit
des Prinzen von Preußen vom Lande und über die Gründe, welche ihn bisher
entfernt gehalten, zu geben. Der Min.-Präs. erklärt augenblicklich dazu
bereit zu sein. Abg. Hartmann motivirt seine Interpellation durch die vielen
verschiedenartigen Gerüchte, welche über diese Angelegenheit umlaufen.
Minist.-Präs. Camphausen: die Räthe der Kammer
sollen dafür verantwortlich sein, was sie beschließen. Er selbst glaube, die
Versammlung werde dies berücksichtigen und hat nur zu bemerken, daß die
jetzigen Minister erst unter dem dreißigsten März ihre Verantwortlichkeit
ausgesprochen haben. Dennoch aber wolle er jetzt eine Erklärung geben. Nach
Beendigung des Kampfes des 18. und 19. März, der hier in Berlin
stattgefunden, habe sich eine Erbitterung gegen den Prinzen gezeigt, wodurch
einige Freunde des Prinzen veranlaßt wurden, demselben zu rathen, die Stadt
zu verlassen. Der Prinz hat sich demnach nach Spandau begeben, ist sodann
bis zum 21. März auf der Pfaueninsel bei Potsdam geblieben. Das Gerücht von
dem Anrücken des Prinzen mit Truppen an die Stadt, hat eine erneuerte und
erhöh'te Bewegung hervorgerufen, die die Minister veranlaßte, eine Reise dem
Prinzen ins Ausland anzurathen. Der König hat diesem Gesuche nachgegeben und
dem Prinzen darüber eine mündliche Mittheilung gemacht, die aber der Prinz
nicht anzunehmen erklärte, daß er aber auf einen schriftlichen Befehl
abzureisen bereit sei. Dieser wurde vom König eigenhändig ausgefertigt, mit der Bestimmung, in London dem befreundeten Kabinette
Aufschluß über das hier Geschehene zu geben. Später hat sich der
Prinz mit dem Marinewesen beschäftigt. Was die Dauer der Abwesenheit
betrifft, so hatte das Ministerium früher keine Veranlassung ihn
zurückzurufen. Als aber die Zeit der Einberufung der Versammlung herannahte,
habe es für unerläßlich gehalten, auf die Rückkehr des Prinzen anzutragen,
um als der Nächste am Throne, dem Gang der Sachen beizuwohnen. Darüber habe
das Ministerium eine Masse der bittersten Angriffe erfahren; es sei ihm
vorgeworfen, daß es alle Konsequenzen des neuen Umschwunges des Landes
verleugne. Sie haben ihren Antrag als eine ministerielle Maßregel
betrachtet, sie sind und bleiben dafür verantwortlich. Sie haben geglaubt,
gerade dadurch den reaktionären Bestrebungen entgegenzutreten. Sie haben
geglaubt, sich in die Stelle einer hohen Person setzen zu müssen, dies
glaubten sie dem Prinzen und der Achtung vor der Versammlung schuldig zu
sein, daß der Prinz nicht später mit einer unausgesprochenen Ansicht vor sie
hintrete. Mit dieser Ansicht trete das Ministerium jetzt vor die
Versammlung, doch nicht mit jenem festen Hervortreten, sondern sie sprechen
es hier aus, mit der Demuth des Bewußtseins, daß nur Milde und Versöhnung
auch diese Versammlung zum Ziele führe. Sie bitten nur die Versammlung um
Gerechtigkeit und Nachsicht. (Anhaltendes Bravo.) Hierauf weist der Minister
der auswärtigen Angelegenheiten wieder einen Interpellanten, Abgordnete
Müller aus Wahlau, mit einer ungeheuren Vornehmheit zurück. Derselbe wollte
nämlich wissen, ob der preußische Gesandte sich in Wien oder in Inspruck bei
dem Kaiser befinde und wo der Sitz der österreichischen Regierung jetzt sei?
Der Graf von Arnim „belehrt“ den Abgeordneten, „daß ein Gesandter ein Mann
ist, der immer von Person zu Person akredirt ist“ und daß Herr Graf
Bernstorf, der jetzige Gesandte, sich in Iseke befinde, weil er ein Ereigniß
in seiner Familie erwarte, welches er bei dem bewegten Zustande Wiens dort
nicht erwarten mochte. ‒ Nun interpellirt Graf Lieskowski das Ministerium
über die schwarze Beitze, mit welcher die polnischen Gefangenen gezeichnet
werden. Herr v. Auerswald verspricht eine strenge Untersuchung gegen
Behörden, die dergleichen Mißbrauch ihrer Gewalt trieben, bis jetzt habe er
nicht in Erfahrung bringen können, daß man eine beitzende Materie, sondern
nur eine gewöhnliche, nach drei Tagen zu verwischende Farbe angewandt. ‒ Die
Versammlung scheint mit dieser Erklärung keinesweges beruhigt. ‒ Der
Minister erklärt hierauf, daß diese Antwort durchaus nicht als eine
Erledigung zu betrachten sei, sondern daß in der Adreßdebatte über die
polnische Frage ohne Zweifel noch genügende Aufklärungen gegeben werden
sollen. ‒ Der Abgeordnete Krackrügge bringt das Niederschießen zweier Bürger
und noch sechs Verwundungen, die von Seiten des Militärs bei einem Auflaufe
am 14. März stattgefunden, zur Sprache, und trägt auf Untersuchung an. Der
Präsident will dem Antragsteller gestatten, seine Angelegenheit sogleich zur
Debatte zu bringen. Die Versammlung lehnt sich dagegen auf. (Ungeheurer
Lärm, Pochen, Schreien, Scharren.) Der Antrag wird in die Abtheilung
verwiesen. Ein Antrag des Abgeordneten Schöne auf Herabsetzung der
Reisediäten für die Abgeordneten auf die Hälfte, um ein Beispiel der
Oekonomie zu geben, wird zurückgewiesen. Alles übrige war uninteressant und
nicht den Schweiß werth, den uns die Hitze des Saales erpreßte. Zu bemerken
ist nur noch, daß die Majorität der Versammlung dem Abgeordneten Jung nicht
erlaubte, den Wunsch eines für die Märzhelden zu errichtenden Denkmals
auszusprechen. Die vorgestrige Demonstration ist wirkungslos an ihr
abgeprallt.
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@facs | 0036 |
Erfurt, 4. Juni.
Am 2. Juni Abends hatten wir hier eine Arbeiterversammlung, in der sich der
Unwille gegen einen hiesigen Bürger äußerte, da derselbe über einen beim
Volke beliebten Mann, welcher gebrechlich ist, fortwährend spöttelte. Nach
dem Schlusse der Versammlung zogen die Arbeiter in Begleitung Tausender von
Neugierigen vor die Wohnung des Bürgers und brachten demselben eine
Katzenmusik. Am 3. Juni Abends versammelten sich die Arbeiter wieder und
zogen dann in Masse vor die Wohnung des Grafen von Keller, brachten ihm eine
Katzenmusik und fingen schon an, demselben die Fenster einzuwerfen, als noch
zu rechter Zeit die Bürgerwache ankam, worauf sodann das Volk gegen diese
seinen Zorn ausließ. Es entstand ein förmlicher Kampf, wobei zwei der
achtbarsten Bürger getödtet und acht andere schwer verwundet wurden. Nun
wurde Generalmarsch geschlagen, das Militär rückte heran, selbst Kanonen
wurden aufgefahren, und so wurde für diesen Abend die Ruhe hergestellt;
allein heute Abend befürchtet man noch Schlimmeres.
[(D. A. Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0036 |
Breslau, 4. Juni.
Sie haben Gelegenheit gehabt, im Allgemeinen und auch in Berlin besonders die
Wirksamkeit des Hrn. Wit v. Dörring zu beobachten. In der letzten Zeit
strotzten die Straßenecken von Plakaten, deren Anfertiger er war, und die
Zeitungen von Inseraten der gemeinsten Art. Er war es ferner, der in
Oberschlesien Judenverfolgungen anzettelte und in der That den Aufwiegler im
gemeinen Sinne des Wortes spielte. Vorgestern und gestern ist ihm vom Volke
die öffentliche Meinung klar gemacht worden. Aus Natidor bereits auf den
Antrag der Bürger entfernt, befand er sich hier in einem namhaften Hotel,
und vor dieses zog vorgestern Abend eine Menschenmenge, die ihm eine
Katzen-Symphonie darbrachte, in Folge deren der Gasthofbesitzer sich
veranlaßt fand, sein Ehrenwort zu geben, daß erstens Hr. Wit nicht mehr da
sei (er war durch die Hinterthür entwischt), und zweitens, daß er ihn nicht
wieder aufnehmen würde. Hr. Wit aber suchte bei allen Behörden Schutz, der
ihm auch in so weit gewährt wurde, daß er die Nacht in der Kürassier-Kaserne
zubrachte. Gestern Morgen aber war er wieder sichtbar, und da erhob sich ein
kleiner Sturm, der etwa 4 bis 500 Menschen zusammenbrachte, die ihn ohne
weitere Umstände nach dem Bahnhof der oberschlesischen Eisenbahn brachten
und zur Abreise mit dem nächsten Zuge zwangen. Daß diese Begleitung eben
nicht sehr freundlich gestimmt war, darf ich Ihnen nicht sagen, und es
gelang eben nur einzelnen Mitgliedern des demokratischen Klubs und des
Arbeiter-Vereins, Hrn. Wit v. Dörring vor ernsteren Mißhandlungen zu
schützen. ‒ Gestern Abend hatte wieder eine Katzenmusik statt, und da sah
man wieder klar, wie die Volksbewaffnung schmählich gemißbraucht wird. Die
Musik fand in der Nähe des Theaters statt, das eben zu Ende war. Die
berittene Bürgerwehr kam heran und es wurden zunächst drei Damen
übergeritten, dann hieben die Herren Kavaliere ohne zum Auseinandergehen
aufzufordern, ja ohne Kommando, ein und zwar scharf
mit geschliffnen Säbeln. Unter mehreren Verwundeten befand sich auch ein
Mann von 62 Jahren, der eben mit seinem Kinde von der Promenade
heimkehrte.
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@type | jArticle |
@facs | 0036 |
Königsberg, 2. Juni.
Der hiesige Arbeiterverein hat gestern folgenden Protest an die
Vereinbarungs-Versammlung nach Berlin gesandt:
„Hohe Nationalversammlung! Wir protestiren hiermit gegen den der hohen
Nationalversammlung durch das königl. Staatsministerium vorgelegten
Verfassungs-Entwurf, weil er die Revolution vom 18. März verleugnet und das
Volk um die Früchte derselben zu bringen sucht; denn : 1. enthält er keine
Erklärung der Menschenrechte, keine Garantie der Arbeit; 2. sind keinerlei
Vorrechte, Monopole und noch bestehende mittelalterliche Lasten aufgehoben
worden, sondern durch eine erbliche Pairie sind neue Privilegien erschaffen
und die Aristokratie des Besitzes ist geheiligt; 3. die Trennung der Kirche
vom Staat und die Trennung der Schule von der Kirche ist nirgends
ausgesprochen; 4. das Zweikammersystem, an und für sich verwerflich, macht
in der Art und Weise, wie es der Gesetzentwurf durchgeführt und beschränkt
hat, jede Vertretung und Fortbildung der Volksrechte unmöglich; 5. dem
Könige ist ein unbedingtes Veto eingeräumt; 6. der Gesetzentwurf enthält die
Verklausulirung wesentlicher und unveräußerlicher Rechte, wie die Freiheit
des Unterrichts und der Preßfreiheit, und die offenbare Beschränkung des
Associationsrechts. Die Annahme eines solchen Verfassungs-Entwurfs würde das
Vaterland in neue Revolutionen stürzen, oder die freie Entwicklung des Volks
auf lange Zeit hin unmöglich machen. Deshalb erklären wir den
Verfassungs-Entwurf für unhaltbar und fordern die konstituirende Versammlung
auf, ihn in der jetzigen Fassung ganz und unbedingt zu verwerfen.“
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@facs | 0036 |
Aus Schlesien, 2. Juni.
Die öffentliche Stimmung verschlimmert sich fortwährend, indem sie die
verschiedenen Stände immer mehr entzweit. Die schlesische Aristokratie sieht
sich in ihrer Existenz bedroht, nicht sowohl in ihrem materiellen Besitz,
als in dem ruhigen Fortgenuß eingebildeter Vorrechte, wornach sie besonders
die gebildeten Bürgerlichen dergestalt von sich entfernt hielt, daß diese
endlich gar nicht mehr mit der hohen Noblesse umgehen mochten, wenn auch ein
oder das andere Mitglied derselben über solche Standesvorurtheile erhoben
war. Diese Aristokraten fangen nunmehr an, den Liberalen ernstlich den Krieg
zu bereiten. Diese aber sind ebenfalls in die verschiedenartigsten Heerlager
gespalten. Die Mehrzahl ist gegen die frühern Mißbräuche; allein nicht
gewöhnt sich in öffentliche Angelegenheiten zu mischen, ‒ weil dieß Sache
der Büreaukratie war, an deren Spitze die Aristokratie stand ‒ bleibt sie
theilnahmlos, schwankend
[0037]
zwischen der Furcht vor der
Aristokratie und der radikalen Partei, an deren Spitze man in Schlesien den
Grafen v. Reichenbach und den Baron v. Aucker zu sehen meint. Diese Partei
sucht ihren Stützpunkt in der Masse des Volkes, das allerdings durch das
Verhältniß der Gutsherrlichkeit in einen solchen Zustand der Verarmung
gekommen ist, daß Tausende in Oberschlesien vor Hunger sterben. Der
gebildete Theil der Bürgerlichen, welcher vorher am meisten vor den
Uebergriffen der Aristokratie warnte, wird jetzt eben so von den
Proletariern gehaßt, wie mancher vom Adel, da diejenigen, welche auf diese
wirken wollen, die Bourgeoisie als einen eben so gefährlichen Feind der
Armen darstellen, als die Aristokratie. Am praktischsten sind noch die
oberschlesischen Bauern gewesen, diese haben ihre Abgeordneten,
Standesgenossen, dahin instruirt, daß sie die gänzliche Befreiung von dem
gutsherrlichen Verhältniß mitbringen müßten; sonst würden sie
todtgeschlagen. Sie wollen dem Könige geben, was sie sollen, auch ihren
Gläubigern, was sie schuldig sind, mithin auch dem bisherigen Grundherren,
aber nur als Gläubiger, nicht als Polizeiherren. Man sieht wie wenig man
verstanden hat, sich durch das sogenannte patriarchalische Verhältniß
beliebt zu machen.
[(O.-P.-A.-Z.)]
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@facs | 0037 |
Posen, 3. Juni.
Alle Nachrichten aus dem benachbarten Königreich Polen lauten außerordentlich
kriegerisch, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß die halbe russische
Armee gegenwärtig in Polen und Litthauen konzentrirt ist. Glaubwürdige
hiesige Kaufleute, welche nach vielen Schwierigkeiten vom Fürsten Paskewicz
die Erlaubniß zum Ueberschreiten der Gränze erlangt hatten, geben die
dortigen russischen Streitkräfte auf 300,000 Mann an. Unsere Militärbehörden
scheinen auch nicht ohne Besorgnisse zu sein, weil seit einigen Tagen mit
ungeheuren Kräften an der Herstellung unserer Festung gearbeitet wird; alle
Arbeiter, die sich nur melden, werden angenommen. Freilich ist unsere Stadt
nicht eher hinlänglich geschützt, als bis das Karmeliter-Fort und die Werke
am Berliner Thor beendigt sind, indem dann erst die Enceinte, die bis jetzt
noch ein Drittel der Stadt ziemlich offen läßt, geschlossen ist. ‒ Unsere
Militärbehörde scheint die Ueberzeugung gewonnen zu haben, daß es nothwendig
sei, die eingebornen Truppen, meistens die Landwehr, aus der Provinz zu
entfernen; der größere Theil derselben, auch Artillerie, ist nach Schlesien
und den westlichen Provinzen verlegt. ‒ Die Reorganisation des polnischen
Theils unserer Provinz ist völlig stationär geworden, da kein Pole eine
Beamtenstelle dort annehmen will; auch der Landrath von Twandowski hat das
Präsidium abgelehnt. Was nun? Das deutsche Comite verlangt die Vertheilung
der deutschen Kreise unter die angränzenden Provinzen; die hiesigen
Kommunalbehörden, so wie alle Gewerbetreibenden im Großherzogthum sind
entschieden dagegen, weil sie den Ruin der Stadt Posen als natürliche Folge
davon voraussehen.
[(O.-P.-A.-Z.)]
@xml:id | #ar009_017 |
@type | jArticle |
@facs | 0037 |
Mainz, 6. Juni.
Der Beschluß der deutschen Bundesversammlung vom 2. d. M. über die traurige
Angelegenheit unserer Stadt hat hier einen Eindruck gemacht, der nicht zu
beschreiben ist. Man hat denselben mit eisiger Ruhe aufgenommen und
bewundert zugleich den kühnen Humor der Bundesversammlung, mit dem sie sich
auch in diesem Beschlusse auf das Reglement der Bundesfestung beruft, das
hier Niemand kennt und welches von den hiesigen großh. hess. Behörden
deßhalb nicht publicirt werden kann und darf, weil die großh. hess.
Staatsregierung diesem Reglement die Sanction verweigert hat.
[(F. J.)]
@xml:id | #ar009_018 |
@type | jArticle |
@facs | 0037 |
Mainz, 7. Juni.
Wie man vernimmt, sollen in den Ortschaften in der Umgegend unserer Stadt
bairische und kurhessische Truppen einquartirt werden. Auch ist bereits nach
Alzei und Bingen eine hessen-darmstädtische Garnison gelegt worden. Was
diese außergewöhnlichen Maßregeln bedeuten mögen? Sind es die Franzosen,
welche unserem Ministerium Schrecken verursachen? Oder hat dasselbe wohl gar
Furcht vor republikanischen Schilderhebungen?! Jedenfalls wäre es in dieser
Beziehung eine Pflicht der Dankbarkeit aller deutschen Regierungen, die
großh. hessische Regierung, die so bereitwillig ihre Truppen zur Verfügung
gestellt hat, um ganz Deutschland vor der Republik zu bewahren, auf dieselbe
Weise zu unterstützen. Scheint es doch eine solidarische Verpflichtung der
vaterländischen Regierungen, die Freiheitsgelüste des Volkes im Keime zu
ersticken! ‒
‒ Die hiesigen Militärpflichtigen, welche für dieses Jahr einberufen worden,
sind gestern Abend zusammengetreten, um gemeinschaftlich die Schritte zu
berathen, die sie zur Wahrung ihrer Interessen für nöthig erachten. Sie
haben beschlossen, eine Protestaion gegen die Einberufung zur Musterung
abzusenden und vor tder Promulgation einer allgemeinen deutschen Heer- und
Wehrordnung durch die Nationalversammlung sich zur
Aushebunng nicht zu stellen. Gleichzeitig fordern sie alle
Konskribirten aus dem Lande auf, ähnliche Schritte einzuleiten. Heute Abend
findet dahier eine weitere Besprechung statt.
[(Mz. Z.)]
@xml:id | #ar009_019 |
@type | jArticle |
@facs | 0037 |
Mainz, 7. Juni.
Von dem Berliner demokratischen Vereine ist eine in einer Versammlung von
4000 Mitgliedern einstimmig angenommene Adresse an die Mainzer Bürger
eingelaufen, worin in energischen Worten die Sympathie des Berliner Volkes
für die Stadt ausgesprochen und das Verfahren des Militärgouvernements
entschieden mißbilligt wird.
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@type | jArticle |
@facs | 0037 |
Bruchsal, 1. Juni.
Unser Stadtgespräch hat sich natürlich diese Zeit hindurch auch viel mit den
gefangenen Republikanern beschäftigt, die jetzt noch über 600 an der Zahl im
neuen Central-Penitenzian-Gefängniß und gegen 120 im Frauen-Gefängniß hier
in der Stadt befindlich sind. In dem einer kleinen Festung gleichenden, nach
dem Modell der Londoner Penitentiary's gebauten hiesigen Zellengefängniß
befinden sich außer 400 jungen Leuten, der pariser deutschen Legion, auch
eine Menge Bürger, Studenten und Bauern aus Freiburg, Konstanz, Mannheim,
Heidelberg, Sinsheim, Sulzfeld u. s. w. Hoff, Grohe, Adv. v. Rottek befinden
sich in einem Flügel, jedoch jeder getrennt in besondern Zellen.
Die Behandlung, welche die Gefangenen erleiden, im höchsten Grade zu tadeln.
Viele Wochen haben die Leute in kleinen Zellen eingesperrt gelegen, ohne je
spazieren geführt zu werden; jetzt, nach einem Protest, welchen Bornstedt an
unsere zweite Kammer richtete, welche Schrift aber der Justizminister nicht
an Ort und Stelle gelangen ließ, sondern entsetzlich in Beschlag nahm, soll
eine Untersuchungs-Kommission vor einigen Tagen aus Karlsruhe angelangt
sein, und die Gefangenen besucht haben.
Viele hatten auf Stroh liegend Ungeziefer bekommen. Es fehlt noch jetzt
theilweise an Decken und Matrazen. Sollte man es glauben ‒ drei Wochen hat
Bornstedt auf der Erde schlafen, liegen, schreiben und essen müssen, da man
ihm weder Tisch noch Stuhl gab, weder Messer noch Gabel zum Essen!!! Noch
jetzt hat kein einziger Gefangener ein Geschirr, um sich zu waschen, und in
2/3 der Zellen sind die Deckel zum Zumachen des Nachtgeschirrs nicht einmal
da! Ist eine solche Behandlung nicht empörend? Mehr noch, jetzt sind die
unglücklichen Gefangenen bald einen Monat ohne Bewegung, in einigen Zellen
zu 4 und 5 zusammengepreßt, alle noch immer ohne auch nur einmal verhört
worden zu sein!! Wo bleiben denn Gesetz, Humanität, wo auch nur die
gewöhnlichste Beobachtung der Billigkeit. ‒ Ein junger Franzose Namens
Xavier aus Charlon sur Marne ist hier bereits im Zellengefängniß durch die
Behandlung verückt geworden, und hat man ihn etwa freigelassen oder in ein
Irrenhaus gebracht? Keineswegs. Man läßt ihn ohne ärztliche Behandlung
allein in einer Zelle. Dem Verwalter des Gefängnisses, Hrn. Arnold, sollen
keine Vorwürfe deshalb zu machen sein, da die obere Behörde in Karlsruhe
Alles zu vollziehen hat.
Wie übrigens der Militär-Despotismus jetzt in unserm Lande herrscht, kann
folgendes Beispiel lehren. Plötzlich kommt vor einigen 14 Tagen dem
Verwalter des Gefängnisses ein Befehl des würtembergischen Generallieutenant
v. Miller aus Lörrach zu, dem Gefangenen Adalbert v. Bornstedt aus Stendal
„sämmtliches „Geld, was er besitzt, und was beim Verwahrer Arnold deponirt
„sei (40 Gulden) wegzunehmen, indem solches den Soldaten als „Kriegsbeute zu
vertheilen sei, welche den v. Bornstedt gefangen „genommen!“
Also in einem badischen Gefängnisse verordnet ein würtembergischer General
nachträglich Konfiskationen!! Auf die Summe, und ob sie groß oder klein,
kommt es gar nicht an. Die Thatsache selbst ist unerhört!
Uebrigens ist es jetzt ist unserem ganzen badischen Lande bekannt, welche
Excesse sich die würtembergischen Soldaten des 1. und 6.
Infanterie-Regiments, auch die Ulanen, den gefangenen, entwaffneten Leuten
der Pariser Deutschen Legion gegenüber erlaubte. Nicht blos haben die
Würtemberger den Gefangenen nach Willkür all' ihr Gepäcke, vielen alles Geld
u. s. w. abgenommen, sondern Unbewaffnete sind, wie ein gewisser Kessler aus
Trier zu Bulgen am Rhein niedergestoßen worden. Leichname sind mißhandelt,
Gefangene mit Säbelhieben, Kolbenstößen und Bajonettenstichen, (die rohesten
Schimpfwörter verstehen sich als Beithat von selbst) überhäuft worden. Auf
Fliehende, die unbewaffnet waren, wurde geschossen. Franzosen, die kein Wort
deutsch sprachen, wurden auf das Empörendste mißhandelt, weil sie die
exaltirte Soldateska nicht verstanden. Die Würtemberger plünderten selbst
die Leichname auf dem Schlachtfelde, Todte wurden noch verstümmelt. Die
Bauern aus drr Umgegend wissen über diese Gräuelscenen viel zu erzählen.
Und das nennt man die öffentliche Ruhe und Ordnung wiederherstellen! ‒
Die Gerichtssitzungen zu Freiburg versprechen interessant und belehrend zu
werden.
Hoffen wir, daß die Richter und Geschworenen ihre Mission verstehen, und sich
nicht zu Werkzeugen der Reaktion werden gebrauchen lassen.
Nächste Woche, heißt es, soll die Untersuchungs-Kommission aus Freiburg hier
anlangen, um die Gefangenen zu verhören. Es ist in der That hohe Zeit. In
England und Frankreich dürfte es ein Regierung nicht wagen, 600 und mehr
politische Gefangene einen Monat land ohne Verhör im Zellen-Gefängniß wie
Sträflinge, Diebe und Mörder zu behandeln!
[(Mannh. A. Z.)]
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@type | jArticle |
@facs | 0037 |
Prag, 30. Mai.
Die Prager Ztg. enthält eine Bekanntmachung des Grafen Leo Thun, worin die
Gewähr der Bitte um Zulassung zur Theilnahme am nächsten Landtag für die
nicht den Landständen angehörigen Besitzer landtäflicher Güter
veröffentlicht wird. Böhmen soll zu diesem Zwecke in 5 Bezirke getheilt
werden, in deren jedem die Gutsbesitzer 4 Landtagsabgeordnete wählen. ‒
Während die Abgeordneten zum Slavenkongreß, worunter viele Polen und
Südslaven, unter festlichem Empfang immer zahlreicher einziehen, bringt die
heutige Nummer der Narodni Nowiny das Programm der Versammlung. Die
ankommenden Slaven werden in drei Abtheilungen eingezeichnet, deren erste
(sbor) die Böhmen, Mähren, Schlesier und Slowaken, die zweite die Polen und
Ruthenen, die dritte die Slowenen, Kroaten, Serben und Dalmatier umfaßt.
Drei Vertrauensmänner nehmen jeden der Eingeschriebenen in die Abtheilung
auf. Jedem Mitglied steht durch eine Karte der Zutritt zu allen drei
Abtheilungen offen. Jede Abtheilung wählt aus sich 16
Kongreßausschußmitglieder, einen Präsidenturkandidaten, einen
Kongreßsekretär und dessen Ersatzmann. Die vereinigten drei Ausschüsse
ernennen aus den drei Kandidaten den Präsidenten (starosta), die beiden
andern Kandidaten sind Vicepräsidenten. Am 1. Juni wird der Kongreß
eröffnet. Die Verhandlungsvorlagen werden in der vom kleinen Ausschuß
festgestellten Ordnung berathen. Jede beendete Verhandlung einer Abtheilung
wird dem Kongreßpräsidenten mitgetheilt, zu gemeinschaftlichen Beschlüssen
gehört die Zustimmung aller drei Abtheilungen. Kommt eine solche zu Stande,
so wird dieselbe vom kleinen Ausschuß in öffentlicher Sitzung bekannt
gemacht; stellen sich unbedeutende Differenzen heraus, so bewirkt der große
Ausschuß die Ausgleichung; bedeutende Differenzen bedingen eine nochmalige
Berathung in den Abtheilungen. In jeder öffentlichen Sitzung des Kongresses
werden die Abtheilungsverhandlungen verlesen und vertheilt, dann die
gefaßten Beschlüsse vorgetragen und von den Mitgliedern durch Aufstehen
bestätigt. Diese Beschlüsse werden dann auch in deutscher Sprache
verkündet.
[(A. A. Z.)]
@xml:id | #ar009_022 |
@type | jArticle |
@facs | 0037 |
Prag, 31. Mai.
Die Abgeordneten des Slavenkongresses, der morgen mit einem Gottesdienst in
der Methodiuskapelle der Teynkirche eröffnet werden soll, sind gestern
Nachmittag in großer Anzahl mit dem Eisenbahnzug aus Wien angekommen, und
nun wimmelt es in den Gassen von seltsamen Trachten, schönen, aber
unheimlich wilden Gestalten, südlichgebräunten Gesichtern. Tschechische und
panslavische Fahnen, blau, roth und weiß werden durch die Gassen getragen.
Mitglieder des Studentenkorps: Slavia- und der Swornostgarde geben den
Gästen das Geleite. Die böhmischen Zeitungen liefern heute ein Programm des
Kongresses in Bezug seiner Sektionen und Sitzungen; die eigentlichen Fragen
mit denen er sich beschäftigen will, sind noch nicht veröffentlicht, aber es
ahnt sie jeder. Es gilt auf den Trümmern der Monarchie ein großslavisches
Reich mit Hinzuziehung der außer Oesterreich wohnenden Serben zu bauen, ein
Reich, welches das Riesengebirge und die Karpathen, das adriatische Meer und
den Balkan zu Gränzen haben soll. Wäre es nur eben so leicht zu schaffen wie
zu dekretiren; die guten Panslavisten machen ihre Rechnung ohne an
Deutschland, die Magyaren und die Russen zu denken! Der Bann von Croatien,
Jellachich, der hinter all dem Treiben dieses Slavenkongresses steckt, hat
an den hiesigen Nationalausschuß eine Zuschrift in illyrischer Sprache
erlassen, in welcher er das „Brudervolk der Böhmen“ auffordert, den Landtag
der vereinigten Königreiche Slavonien, Croatien und Dalmatien, der für den
5. Juni angesagt, durch Zusendung von Deptirten zu „verschöneren.“ Der
Nationalausschuß erwiederte diese Galanterie des Bann, indem er ihn
ebenfalls in einer Zuschrift bat auch der Bann möchte seinerseits Deputirte
ad audiendum zum Prager Landtag schicken,
[(A. A. Z.)]
Französische Republik.
@xml:id | #ar009_028 |
@type | jArticle |
@facs | 0037 |
[*]Paris, 6.
Juni.
Der Versuch, Louis Blanc in Anklagezustand zu versetzen, war nur das Vorspiel
einer Anklage gegen die exekutive Kommission, von der man erwartete, daß sie
sich gleich beim Beginn der Debatte zurückziehen würde. Der 2. Juni sollte
ein 9. Thermidor werden. Man begann mit Louis Blanc, weil man die großen
Antipathien der Bourgeois-Majorität gegen ihn mit richtigem Instinkte
heraufgefühlt hatte. Marrast, der ehemalige Redakteur des National, der
Republikaner en gants jaunes, der Gentilhomme von der Feder und der Ritter
von der Phrase, war Chef des Komplotts, das im ehemaligen Palais royal,
jetzigen Palais national seinen Sitz hatte. Hier thronte er unter 200
Repräsentanten, mit der ganzen Würde eines Mannes, der sich als
gouvernementaler Mann der Situation fühlt. Plötzlich im Augenblicke der
Entscheidung in der Sitzung vom 2. Juni, blies Marrast zum Rückzug. Er
erinnerte sich nicht, Louis Blanc am 15. Mai im Hotel de ville gesehen zu
haben. Woher diese plötzliche Sinnesänderung? Es war Herrn Marrast unter der
Zeit bange geworden vor der alten dynastischen Partei, namentlich vor der in
der Bourgeoisie neuauftauchenden Popularität des greisen Gamin Thiers. Und
Herr Marrast erinnerte sich, daß man Lamartine gegen Ledru-Rollin benutzt,
um Herrn Marrast und die ganze Partei des National an's Ruder zu bringen.
Ebenso war man im Begriff, ihn, Herrn Marrast, gegen die exekutive
Kommission zu benutzen, um Herrn Thiers und Odillon-Barret mit der
Milchstraße von Duvergier, Remusat u. s. w. hinter ihnen an die Regierung zu
bringen. Welchen Dank Lamartine dafür einerntet, daß er sich dazu hergab,
die Contrerevolution zu stylisiren, mögen Sie aus folgender Apostrophe
sehen, die das „Pamphlet“ ‒ der „Globe“ des Herrn
Thiers ‒ an ihn richtet:
„Lamartine, aufgepaßt! Frankreich hat Sie zu sehr geliebt, um Sie je nur halb
hassen zu können. Sie waren sein Lieblings-Dichter, sein Redner, sein
Geschichtschreiber, sein Leiter, es hat Ihnen zugeklatscht, es hat Sie in
seine Arme gepreßt! Aber Sie entfernen sich vom Kapitol, sie gehen dem
tarpegischen Felsen zu! Kehren Sie um Lamartine, danken Sie den Göttern, das
Vaterland vor der Anarchie und der rothen Fahne gerettet zu haben. Es ist
vielleicht noch Zeit. Im Namen Frankreichs, Lamartine, wenn Sie diesen Muth
nicht in sich fühlen, verschwinden Sie, auf daß nicht ein Schriftsteller der
Zukunft jemals unsere Republik anklage, undankbar und grausam gegen den Redner vom Hotel de ville gewesen zu sein.
‒ Die Wahl der Vicepräsidenten Bethmont, Marrast, Corbon, Cormenin, Portalis
und Lacrosse ist ein entschiedener Sieg der Partei des National. Cremieux
hat die Bedeutung der Wahl von Portalis verstanden, und seine Entlassung als
Minister und Deputirter eingereicht. Die Nationalversammlung gab ihm noch
auf andere Weise ihre Böswilligkeit zu erkennen, indem sie Landrin, Edmond
Lafayette und Berard zu Secretairen ernannte. Lamartin und Ledru-Rollin
sollen diese Vicepräsidenten- und Secretairenwahl als offene Kriegserklärung
der Nationalversammlung gegen die executive Commission betrachten und ihre
Entlassung einreichen wollen. Auf der offiziellen Oberfläche werden dann nur
noch zwei Parteien spielen, die beide der Februarrevolution gleich feindlich
sind, die Partei des National und die Thierspartei.
[0038]
‒ Das Finanz-Comite hat heute lange diskuttirt über die Anwendung des
Expropriationsgesetzes im Dienst des Gesammtnutzens auf die Eisenbahnen. Es
hält dieß Gesetz nicht anwendbar auf die Eisenbahnkompagnien, da der Staat
mit diesen Verträge geschlossen, wodurch er sich während eines bestimmten
Zeitraums jede Expropriation untersagt. Das Comite der öffentlichen Arbeiten
hat heute denselben Gegenstand berathschlagt und schien die gegentheilige
Ansicht geltend zu machen. Die Unterkommission, beauftragt mit dem Bericht
über den Ankauf der Eisenbahnen, hat durch ihren Berichterstatter Lefranc erklärt, der Staat müsse die Eisenbahnen
besitzen, bauen und selbst exploitiren. Das Expropriationsgesetz berechtige
den Staat zum Ankauf der Eisenbahnen. Bezüglich der Frage über die Mittel
und Wege, glaubt die Unterkommission sie der Regierung anheimstellen zu
müssen. Nichts desto weniger ist sie der Ansicht, daß der Staat nur mit
Einwilligung der Kompagnien die Eisenbahnen an sich kaufen könne und falls
man sich nicht vereinigen könne, den Preis durch ein Schiedsgericht
feststellen lassen müsse. ‒ Die von Billault vorgeschlagene Verwandlung der
Schatzbons und Sparkassenbücher in Inscriptionen auf 5 pCt. Renten, zum
Kurse von 70 Fr. ‒ diese Verwandlung der schwebenden Schuld in eine
konsolidirte, hat keine große Bedeutung, da es den respectiven Besitzern
frei steht, sie zu acceptiren oder in ihrem früheren Verhältnisse zu
bleiben. Es liegt indeß darin ein Unrecht grade gegen die nothdürftigsten
Besitzer von Schatzbons und Sparkassenbuchscheinen, die kurz nach der
Februarrevolution nach einem Dekret der provisorischen Regierung ihre Titel
nur gegen Inscriptionen auf 5 pCt. Renten zum Curse von 100 Fr. austauschen
konnten, also 21/7 pCt. verlieren würden, gegen die jetzigen Besitzer von
Schatzbons und Sparkassenbüchern. Damals, als das Dekret der provisorischen
Regierung erschien, wurden die Schatzbons nicht an der Börse cotirt, noch
war es möglich, Geld auf Sparkassenbücher zu erhalten.
‒ Wenn man daran denkt, was Paris vor einem Monat war und was es jetzt ist,
so ergreift Einen bitt're Entmuthigung. Die Revolution hatte der Stadt ein
unbeschreibliches Aussehen gegeben. Es war ein Vergnügen durch die Straßen
zu wandern, auf denen man keine Stadtsergeanten, keine Munizipalgarde,
überhaupt keine Diener der Gewalt und Tyrannei mehr sah. Das Volk war
zahlreich darauf, die Blousen zeigten sich im Sonnenschein. Die von der
Industrie und dem Privilegium Unterdrückten hielten ihre Ferien und
verziehen einer Gesellschaft, die ihnen bisher Licht und Luft versagt hatte,
indem sie sie zu vierzehnstündiger täglicher Arbeit verdammte. Die
Günstlinge des Privilegiums hielten sich still, da sie wohl fühlten, daß sie
nicht mehr von ihren Rechten sprechen könnten, seitdem die Gewalt aufgehört
hatte, auf ihrer Seite zu sein. Sie thaten mehr, sie gaben sich drein mit
ziemlichem Anstand, und fingen schon an, die Opfer zu berechnen, die sie
sich aufzulegen entschlossen waren, um eine bess're Ordnung herbeizuführen.
In Wahrheit, das sind schöne Tage gewesen, und die vorgeschrittensten
Geister konnten einen Augenblick Hoffnung schöpfen, daß die Stunde der
Gerechtigkeit herannahe. Jetzt, sagten sie, mag die Nationalversammlung
kommen, sie wird das Werk zu vollenden wissen, welches diese drei Monate
begonnen haben; sie wird die friedliebende Begeisterung der Einen, die
zaghafte Unterwürfigkeit der Andern, benutzen, um endlich die
Ungerechtigkeiten zu entfernen, die auf dem Arbeiter, auf dem Armen, dem
Ungebildeten lasten; sie wird die Anmaßungen schmutziger Interessen
beseitigen, um nur auf die Stimme der Gerechtigkeit zu hören, die auf den
Barrikaden verkündigt hat: Befreiung der modernen Sclaven!
Die Hoffnung auf eine Regierung, die endlich die Billigkeit zu ihrer
Richtschnur nähme, die Ueberzeugung zu ihrem Mittel, hatte alle Herzen
gewonnen und vereinigt, und nie fanden Abgeordnete eines Volkes, Bürger, die
mehr zur Unterwerfung bereit waren, mehr geneigt zum Vertrauen, mehr
vorbereitet, gründliche Reformen aufzunehmen.
Kaum ist ein Monat seit dem Tage verflossen, wo das Volk endlich der
Verwirklichung seiner Hoffnungen nahe zu sein glaubte, und Paris, das so
lebendig, so frei, so reich an Neuerungsideen und Wahrheitsbedürfnissen war
‒ es ist verwandelt in die traurige, unruhvolle, schrankenbewegte Stadt, die
wir jetzt vor uns sehen. Es wird mit Bajonnetten überschüttet, mit
Regimentern besetzt, das ewige Geräusch der Trommeln, diese Stimme der
bewaffneten Gewaltthat verbreitet eine dumpfe Gährung. Die Bürger wechseln
Blicke voll Haß und Mißtrauen.
Statt der unverletzbaren Freiheit, die während dreier, in der Geschichte
einziger Monate Jedermann geschützt hatte, bedroht nun Gefängnißhaft den
ruhigsten Bürger. Statt der Ungebundenheit der Sprache, die Jedem, selbst
denjenigen gestattet war, die gegen die Republik konspirirten, lastet die
Einschüchterung auf dem Worte, und es gibt Namen, die man nicht aussprechen
darf, will man nicht die Hand eines Agenten der „Ordnung“ sich anlegen
lassen.
Giebt es etwas traurigeres, als die Erwählten des Volkes unter diesem Volke
zittern zu sehen, wenn sie nicht zweimalhunderttausend Bayonnette um sich
haben? Wenn man gegen eine Handvoll vorgeblicher Aufrührer diese furchtbare
Armee aufstellt, so ist das ein sehr lächerlicher Schrecken; wenn dagegen
diese Heeresmacht nicht zu groß ist, um die Regierung der Republik zu
vertheidigen, woher kommt es, daß sie schon so viele Feinde hat? Wäre es
nicht deswegen, weil sie sich eher der Sache der Mächtigen angenommen hat
als der Rechte der Unterdrückten? ‒ Wehe den Gewalthabern, die soviel
Kriegsgeräth nöthig haben um sich Achtung zu verschaffen; Gewehre und
Kanonen sind treulose Bundesgenossen. (Braie Republique.)
‒ Man versichert, sagt der Constitutionel, daß vom nächsten Montag ab der
Verkehr auf sämmtlichen Eisenbahnlinien, außer denen von Rouen, unterbrochen
werde. Die Maschinisten weigern den Dienst und stellen die Arbeit ein.
Veranlassung zu dieser „Insubordination“ soll die Forderung sein, daß die
von der Rouener Gesellschaft beschäftigten englischen Arbeiter aus
Frankreich gewiesen würden. Die Besorgniß, daß die Maschinisten der übrigen
Bahnen gegen die englischen zu Gewaltthätigkeiten schreiten möchten, hat
heute Morgen sämmtliche Eisenbahnverwalter beim Minister der öffentlichen
Arbeiten zusammengeführt, und dort ist beschlossen worden, thörigten und
ungerechten Ansinnen nicht nachzugeben. Die energischsten Maßregeln sollen
getroffen werden, um die Rouener Eisenbahn gegen einen Handstreich zu
schützen.
‒ Die Arbeiter der Nationalwerkstätten wollen ein neues Journal erscheinen
lassen, und Jeder von ihnen muß als Begründer desselben unterschreiben.
Jeder wird monatlich einen Cts. zahlen für die Gründungskosten dieses
Blatts, welches ausschließlich von Arbeitern redigirt sein wird und zum
speziellen Zweck hat, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. ‒ Der
Kassationshof hat in seiner Audienz vom 1. Juni das Kassationsgesuch des
Bruder Lévtade verworfen.
‒ Das demokratische Banket zu 25 Centimen, welches auf Donnerstag den 8. Juni
festgestellt ist, findet im Umkreise von Paris, längst den
Befestigungswerken Statt. Schon am 3. Juni waren 115,000 Zulassungskarten
ausgetheilt.
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@facs | 0038 |
Paris, 4. Juni.
Thiers wird wahrscheinlich nicht nur zu Paris,
sondern zu Rouen, Bordeaux und Perigeux gewählt werden. Als Kandidat ist er
noch vorgeschlagen in den Departements der Mayenne, Sarthe und Orne. Auch
das Departement der Bouches du Rhône, das ihn im April fallen ließ, soll
seinen Fehler wieder gut machen wollen.
Folgende Werthe sind am 24. und 25. Februar in den Tuilerien gefunden worden.
In Geld bei Louis Philipp 40,000 Fr.; in Wechseln
400,000. Ein Theil der Letztern ist bezahlt; der Verfalltag der übrigen
lautet auf die Monate Juli, Oktober und den 31. Januar 1849. In den
Gemächern der Adelaide hat man gefunden in Geld 3000 Fr., in Wechseln
250,000 und Louis Philipp angehörige zu 250,000 Fr. Man hat ferner
bescheinigt den Empfang von 40,000 Fr. Renten, dem Prinzen von Paris oder
seiner Mutter gehörig, von 60,000 Fr., Eigenthum der Prinzessin Joinville,
von 320,000 Fr. Renten zu 5 pCt., Eigenthum der Herzogin von
Montpensier.
Großbritannien.
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@type | jArticle |
@facs | 0038 |
[*]London, 6.
Juni.
Die Statistik der großbritannischen Noth und die Berichte über revolutionäre
Versammlungen und Emeuten in fast allen Theilen des Landes machen die
Londoner Montag-Blätter interessanter und beachtungswerther als
gewöhnlich.
Am Samstag hielt zunächst die Armenverwaltung von Marylebone eine Sitzung, in
welcher man wegen der in den englischen Armenbastillen erzogenen Kinder eine
Adresse an das Unterhaus entwarf. Bekanntlich sind in den nach dem Gesetz
von 1834 errichteten Armenhäusern, Männer, Weiber und Kinder getrennt. Die
Kinder werden, so gut wie es geht, erzogen und unterrichtet und im 12. oder
14. Jahre zu Handwerkern oder Krämern in die Lehre oder als Schiffjungen auf
die Marine geschickt. Aus den Berichten der Armenverwaltung von Marylebone
geht nun hervor, daß zwar die Knaben im Durchschnitt ziemlich gut
fortkommen, daß aber die entlassenen Mädchen nur zu häufig, sei es durch die
schlechte Behandlung, welche ihnen in ihrem Dienst zu Theil wurde, oder
durch die nothwendigerweise mangelhaft gebliebene Erziehung in den
Armenhäusern, schnell dem entsetzlichsten Elende anheimfallen und nach einer
traurigen Existenz auf den Gassen und in den Schenken, schließlich in ganzen
Haufen zu dem Armenhause, wie zu ihrer Heimath, zurückkehren. Die
Armen-Verwaltung von Marylebone, alarmirt in Betreff der moralischen
Resultate ihrer Wirksamkeit und vielleicht noch mehr entsetzt über die
ökonomischen Nachtheile, welche aus einer so massenhaften Rückkehr ihrer
Zöglinge erwachsen, hat nun bei den 400 Knaben und Mädchen, welche sie
augenblicklich wieder der Welt übergeben kann, wie schon bemerkt, dem
Unterhause vorgestellt, daß ihr das Gouvernement zu der Versorgung dieser
Kinder behülflich sein müsse.
Gestützt auf ausführliche Mittheilungen aus den Kolonien, schlägt sie nämlich
vor, daß sämmtliche Kinder nach Neu-Süd-Wales geschafft würden, um dort den
Pflanzern zur Beschäftigung übergeben zu werden. Die Armenverwaltung
verpflichtet sich, zu dem Transport der Kinder ein Gewisses beizutragen. Das
Gouvernement soll dafür sorgen, daß man die jugendlichen Emigranten auf
gehörige Weise in Empfang nimmt und sie den einzelnen Pflanzern
übergiebt.
Zuerst waren es die Verbrecher, welche man nach Australien brachte, dann
eröffnete man der Prostitution einen Abfluß dahin; jetzt kommen die Kinder
an die Reihe, die 12- und 14jährigen Söhne und Töchter durch schlechte
Ernten und durch Handelskrisen ruinirter Arbeiter.
‒ In den 6 Monaten, welche am 25. März 1848 endeten, wurde in den folgenden
Städten die folgende Anzahl Armen unterstützt. In Bolton 16,004, in Bradford
39,759, in Halifax 17,950, in Leeds 19,951, in Leicester 19,642, in
Liverpool 27,982, in Manchester 94,702, in Nottingham 9232, in Stockport
25,563, in Bethnalgreen 12,810, in Marylebone 10,719, in Whitechapel 17,720.
In 12 Städten oder Armenverwaltungen wurden also unterstützt, zusammen in 6
Monaten 308,034 Arme, mit einem Kostenaufwand von zusammen fast 300,000 Pfd.
Man sieht, die Engländer lassen es sich etwas kosten, die Paupers in ihrem
Lande ruhig zu halten. ‒ Die Zahl der vor Gericht, namentlich wegen
Diebstahl, verurtheilten Personen stieg von 1838 bis 1842 von 23 auf 31,000,
worauf, in Folge der kommerziellen Maßregeln Sir Robert Peel's, wie der
Telegraph meint, eine Verminderung entstand, so daß in 1844 die Zahl der
Verbrechen bis auf 24,203 herabsank. In 1846 stieg sie indeß wieder bis
25,107, in 1847 auf 28,833; es ist daher nur zu deutlich, mit welcher
rasenden Schnelligkeit die Armuth und die Verbrechen auf's Neue zunehmen. Da
diese Angaben nur bis Ende 1847 gehen, wo sowohl der Kontinent als England
selbst noch vollkommen ruhig waren, so mögten wir wohl behaupten, setzt der
Telegraph noch hinzu, daß im Fall einer gleichen Steigerung des Elendes in
andern Ländern, nicht die Revolution das Elend, sondern das Elend die
Revolution hervorbrachte.
Wir brauchen diesen Notizen weiter nichts hinzuzufügen. Die große politische,
aus der sozialen Lage England's hervorgegangene Bewegung der Chartisten,
welche man am 10. April mit einigen Konstablerstöcken zu Boden zu schlagen
glaubte, und über deren augenblickliches Erstarren man so brutal
triumphirte, sie konnte sich daher nicht lange hinter ihren Dämmen halten.
Dieselben Blätter, welche uns die letzte Statistik der englischen Zustände
bringen, sie brachten uns auch'die Nachricht, daß die „elendigen Burschen
und Taschendiebe“, wie der Citoyen Brougham sie nennt, abermals im Felde
sind, daß sich die Chartisten auf's Neue in Massen erhoben haben.
Gestern, am Sonntag, heißt es, war das moralische England, die moralische
Metropole, der Sitz und das Centrum aller geistlichen und weltlichen
Autorität, recht unter den Augen eines wahren Heeres von Polizisten und
Priestern, die Scene der ernstlichsten und wildesten Konflikte. Bei
Bethnal-green versammelte sich das Volk in großen Massen; zu Thätlichkeiten
übergehend, fechtend mit der Polizei und nicht eher den Kampfplatz
verlassend, als bis mehrere Köpfe entzwei geschlagen waren. Von 10 bis 1 Uhr
dauerte dieser Skandal. Bei Hackney und im Viktoriapark ging dasselbe vor.
In den Virginiengärten suchte man die Konstabler zu ermorden. Das Volk drang
mit Piken auf sie ein. In Bischof Boner's Feld brauchte man Messer. Ein
Polizist wurde gesteinigt; die Fenster der Kirche warf man ein. Die
Artillerie war in Bereitschaft, die ganze Polizeimannschaft Londons auf den
Beinen und im Kampfe.
Dies war indeß nicht Alles. Einer der Leiter der Chartisten, Hr. Ernest
Jones, von dessen glühender Beredsamkeit man bereits weiß, welchen Effekt
sie auf die Massen macht, erhob sich mitten aus dem Tumult und kündigte dem
Volke an, daß man Lancashire und Yorkshire schützend im Rücken, am nächsten
Pfingstmontag ein anderes Kennington Common-Meeting, aber nicht auf
Kennington, halten werde, indem er Jeden ermahnte, sich darauf
vorzubereiten, damit in wenigen Tagen die grüne Flagge über Downing-Street
flattre, damit Frost und Mitchell heimkehren mögten nach England und Lord
John Russell und Lord Grey endlich ihren Weg fänden nach Baffins-Bai.
Man kann sich denken, welche Aufregung diese Vorfälle in London verbreitet
haben. Der Standard, mehr als alle andere Blätter darüber indignirt, daß man
den Sabbat so revolutionär-chartistisch entweiht hat, ruft geradezu aus, daß
Lord John Russell einen Platz in Ihrer Majestät Gefängniß verdiene, wenn
nicht in 24 Stunden der Chartist Ernest Jones denselben eingenommen.
‒ Die Manchester Times und der Leeds Intelligencer bringen uns die Nachricht
von mehreren Chartistenementen in der Umgegend von Manchester, in Leeds und
in Nottingham.
‒ Aus Irland gehen die Berichte bis zum 2. Juni. Wie wir früher bereits
bemerkten, hat O'Brien im Namen der irischen Konföderation eine Adresse an
das Volk erlassen. Es heißt darin in Betreff des Mitchell'schen Prozesses:
„Katholiken Irlands! Beugt eure Häupter vor Scham. Man hat euch als unwürdig
gebrandmarkt, auszuüben die Gerechtigkeit in eurem eigenen Lande. Bei der
letzten Untersuchung hat man jeden katholischen Einwohner der Stadt wie
einen Meineidigen schmählich von den Bänken der Jury gejagt.
Sklaven seid ihr, Sklaven verdientet ihr zu bleiben, ihr und eure Kinder,
wenn ihr nicht aufständet wie ein Mann, diesen
Insult zu rächen.“
Die Aufregung in Dublin hat ihren Gipfel erreicht. Am vorigen Samstag wußten
die Leiter der Masse die Volkswuth kaum mehr zu zügeln.
‒ Im Oberhause machte Lord Mounteagle gestern eine Motion in Betreff des
irischen Armengesetzes. Der Marquis von Londonderry brachte die italiänische
Angelegenheit zur Sprache. Lord Brougham kam auf die Bewegung der Chartisten
und der Nepealer zurück und der Bischof von Oxford beantragte die zweite
Lesung der Bill zum Schutze der Frauen.
Im Unterhause entwickelte sich eine Debatte in Betreff der Aenderung des
Parlaments-Eides und der Unruhen in den Tower Hamlets. Hr. Muntz rief dann
einige Erklärungen Lord Palmerstons wegen der neapolitanischen Massakres
hervor, worauf sich das Haus mit einer Motion des Hrn. Goring, in Betreff
einer neuen Wahlausschreibung für Horsham, beschäftigte. Nachdem dieser
Vorschlag mit 114 Stimmen verworfen worden war, ging man zu der für diesen
Tag bestimmten Debatte über die zwischen dem englischen u. spanischen
Kabinet bestehenden Streitigkeiten über. Hr. Sheil, Lord Mahon, Lord John
Russell, Hr. Disraeli, Sir Robert Inglis, Lord Palmerston, Hr. Hume, Hr.
Urquhardt, kurz alle großen Redner des Parlamentes nehmen Theil an dieser
Debatte, welche damit endete, daß die Motion des Herrn Bankes ohne
Abstimmung verneint wurde. Wegen des großen Umfangs unsrer heutigen
englischen Post werden wir die Details dieser Debatte morgen geben.