Französische Republik.
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Paris, 5. Juni.
Das Dekret über die Nationalwerkstätten lautet:
Die National-Versammlung, in Erwägung, daß die Arbeit in den
Nationalwerkstätten unproduktiv geworden ist; daß ihre Fortdauer unter den
bisherigen Bedingungen in Widerspruch stehen würde mit einer guten
Verwaltung des öffentlichen Vermögens, mit der Rückkehr der Ordnung und der
Wiederaufnahme der industriellen oder kommerziellen Geschäfte; daß sie eine
andre Art von Armenunterstützung sein würde; daß der größte Theil der
Arbeiter, die in den Nationalwerkstätten eingeschrieben sind, selber
verlangt auf eine freiere Weise sein Brod zu verdienen und nicht länger aus
dem öffentlichen Vermögen Summen beziehen will, die nur den Waisen, den
Arbeitsunfähigen und den Greisen gebühren, beschließt:
Art. 1. In möglich kürzester Frist wird in den Nationalwerkstätten die
Stückarbeit an die Stelle der Tagarbeit treten. Die Arbeiten werden direkt,
zu Akkordpreisen, ohne Abzug und ohne Zwischenunternehmer an associirte oder
Einzel-Arbeiter je nach ihrer Beschaffenheit ertheilt werden.
Art. 2. Den Ministerien der öffentlichen Arbeiten, des Handels und des Innern
werden besondre Kredite eröffnet werden, um mittelst Vorschüssen und Prämien
die Wiederaufnahme der Departemental-Kommunal- oder Privat-Industrie zu
beschleunigen.
Art. 3. Die Arbeiter die sich noch nicht drei Monaten im Seinedepartement
aufhalten und über ihre Existenzmittel nicht ausweisen können, werden für
sich und ihre Familien Marschrouten und eine Reise - Entschädigung erhalten,
wovon ein Theil während des Ueberzugs, ein Theil am Bestimmungsorte
ausgezahlt wird.
Art. 4. Gegenwärtiges Dekret wird für die Städten und Gemeinden der
Departements auf Verlangen der Munizipalräthe anwendbar sein.
Art. 5. Die Bestimmungen des Art. 3 gelten nicht für die Arbeiter, die sich
jedes Jahr periodisch nach Paris begeben und über einen sechsmonatlichen
Aufenthalt im vorigen Jahre ausweisen können.
‒ Proklamation des Maire von Paris an die Maire der zwölf
Arrondissements:
Die Regierung hat den Aufläufen ihre Aufmerksamkeit zuwenden müssen, die sich
seit mehreren Tagen an verschiedenen Punkten der Hauptstadt bilden.
Es sind Befehle ertheilt, sie zu zerstreuen und den freien Verkehr, wo er
gestört oder unterbrochen ist, herzustellen.
Die republikanische Gewalt entschließt sich nur mit Schmerz zu strengen
Eingriffen; sie vertraut dem guten Sinne der Bevölkernng; sie ist voll
Achtung gegen ihre Rechte; sie wird sie im Nothfall gegen jeden
Reaktionsversuch aufrecht zu erhalten wissen.
Aber je mehr sie entschlossen ist, die Freiheit aufrecht zu erhalten, um so
mehr ist es ihre Pflicht, sie durch keine ungestümme fruchtlose Agitation
gefährden zu lassen, die nur der Unordnung Vorschub leistet und von den
untergeordneten Söldlingen einiger Ehrgeizigen benutzt wird, um neue
Verwirrung und Anarchie zu säen.
Es ist Sache des Gemeindevorstands, die Bürger zu warnen, ehe die Strenge des
Gesetzes sie trifft.
Bedienen Sie sich also ihres Einflusses auf Ihre Untergebenen um zu verhüten,
daß eitle Neugierde die Gruppen vergrößert, welche die öffentlichen Wege
sperren. Es kann nichts Gutes kommen aus diesen Zusammenläufen und das Uebel
das sie anrichten, hat Sie so gut, wie mich betroffen gemacht. Sie
unterhalten im Schooße der Hauptstadt ein allen Interessen schädliches
Mißbehagen; kein Geschäftsverkehr ohne Vertrauen, kein Vertrauen, wenn die
Ordnung in Gefahr erscheint. Und wer sind die nächsten Opfer dieser Krise,
die so in die Länge gezogen wird? Die Arbeiter, welche die Lähmung der
Produktion ihrer Existenzmittel beraubt. Im Namen der Arbeit muß also die
Ordnung geschützt, der öffentliche Friede gesichert, der Industrie die
Sicherheit wieder gegeben werden.
Das ist der Wunsch der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung; seien Sie Ihr
Organ, warnen Sie die Unbesonnenen; die Justiz wird die Schuldigen zu
greifen und zu strafen wissen.
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[X]Paris, 4.
Juni.
Die Mauern enthielten kürzlich folgenden Anschlag:
„Die hundertfünfzehntausend Arbeiter der Nationalwerkstetten an Maitre
Dupin!
Es ist jedesmal Pflicht und an der Zeit, heimtückische Angriffe aufzudecken;
und so protestiren denn die Arbeiter der Nationalwerkstellen energisch gegen
die von Maitre Dupin auf der Tribüne der Nationalassemblée ausgesprochenen
Worte in der Sitzung vom 13. Mai. „„Wir haben alle das nämliche Ziel, sagte
Maitre Dupin, die nämliche Gesinnung, den nämlichen Wunsch, und dieser
Wunsch ist der ganz Frankreichs, der Wunsch der Stadt Paris und zwar des guten Theils von Paris. Man muß ja nicht als
Ausdruck der Hauptstadt diese disponible Arbeitermasse ansehen, die so
leicht in die heftigste Bewegung hineingerissen werden kann; diese Masse,
die man am besten thäte, in militärisch organisirte Werkstätten zu schicken,
wo sie arbeiten, und arbeitend einen Tagelvhn gewinnen würde, den sie heute
ohne zu arbeiten bekommt.“ (Auf der Rechten: Sehr gut, sehr gut!)
Somit stellt dieser Mann zwei Sorten von Arbeitern auf: eine welche arbeitet,
eine andre welche nicht arbeitet, eine gute, eine schlechte. Und wann
spricht er dies aus? Am Tage nach dem beklagenswerthen Einbruch in die
Nationalversammlung. Und wie heimtückisch, wie pfiffig er sein Gift in die
Wunde zu träufeln weiß! Lieber hätten Sie, Maitre Dupin, der bewaffneten
Bourgeoisie zurufen sollen: schießt die Kanaille
nieder! Allerdings, diese Kanaille hat den braven Louis Philipp
verjagt; sie will jetzt Arbeitsorganisation; sie hat am 25. Februar ihre
siegreiche Hand uns entgegengestreckt, ohne über das Vergangene Rechenschaft
zu fordern. Das wäre logischer gewesen. ‒ Indessen, Maitre Dupin, täuschen
Sie sich nur nicht länger … Wir wissen freilich sehr wohl, Maitre Dupin und
die Seinen verzeihen uns nimmer die Februarrevolution, deren Prinzip sie
gern ersticken möchten. Die Reaktion gebehrde sich noch so arg, sie wird
doch von der Demokratie über den Haufen gerannt werden, sowohl weil diese
Reaktion in sich haltlos ist und nur auf Lüge und Raub fußt, als auch, weil
die Demokratie ein ewige Wahrheit ist. Maitre Dupin, Sie fordern die
Auflösung der Nationalwerkstätten, um dadurch die Staatsgelder zu
ökonomisiren? Nicht doch, Seigneur Dupin, nicht doch, sondern lediglich um
von Paris und von seinen liebenswürdigen Vorstädten
die wahren, wirklichen Stützen der Republik zu entfernen,
und sich selbst. Maitre, vom Alpdruck zu befreien. ‒ Sie behaupten, wir
verdienen den Tagelohn nicht, den man uns auszahlt! Aber unsre Väter und wir
selbst, wir haben geschwitzt, um den Staatsschatz zu füllen, der Ihnen
dreißigtausend Franken Jahrgehalt in die Tasche schiebt, und fünfundzwanzig
Franken tägliches Kommissionsgeld für Ihren Wortschacher … Wenn wir zu spät
an die Ar beit kommen, erhalten wir nur halben Lohn; woran Sie, großer
Moralist und Oekonom, ein Beispiel nehmen sollten, indem Sie sich nur streng
im Verhältniß zu Ihrer Tauglichkeit und Arbeitsleistung besolden ließen. Das
wäre recht und billig, und der öffentliche Schatz, unser Schatz, würde dann weniger heimgesucht sein. Sie insultiren
uns jetzt; besser, Sie organisirten die Arbeit, Maitre, so daß kein Mensch
mehr den Nebenmenschen auspreßt; dann wird Niemand von uns fernerhin
gezwungen sein, wie Sie sich ausdrückten, „„mit dem Spaten in Händen zu
betteln““, sondern gern wieder zu seinem Spezialwerkzeug greifen. Lassen
Sie, Maitre Dupin, es sich hiermit gesagt sein, viele, sehr viele
Funktionäre hörten das letzte Stündlein schlagen, wenn die Maxime, „„nur wer
arbeitet, hat Anrecht auf Existenz““ in Verwirklichung träte.“
Eine Menge Unterschriften von Chefs der Ateliersektionen und einfachen
Arbeitern folgte. Die Wuth der Bourgeois war gränzenlos; hie und da rissen
sie den Zettel ab. Der Constitutionel brachte eine
„Erwiederung“ des armen Advokaten; wie geistreich sie war, erhellt schon
daraus, daß sie behauptet: er beziehe seit Februar nur noch achtzehntausend
Franken, und schenke die fünfundzwanzig Franken Tagsgelder dem Vaterlande.
Bald wird wohl das Affischiren und Journalausschreien als ein „dem Handel
und Wandel durch die Volkserregung schadender Auswuchs der Demokratie“ von
der Behörde oder gar von der Assemblée abgeschafft werden; die
Zusammenschaarungen auf großen Plätzen (z. B. an der Porte St. Denis und St.
Martin) wo allabendlich über Arbeitsverhältnisse
unter freiem Himmel gesprochen ward, sind so eben von Armand Marrast, dem
Maire von Paris, unter Androhen des Einschreitens der
Waffengewalt verboten worden. Der tückische Renegat stellt sich,
als glaube er, diese Abendunterhaltungen gingen von „Reaktionären“ aus. Wir
haben uns oft in diese Haufen gemengt; freilich, hie und da suchte ein
Philippist mit glatter Zunge Propaganda zu machen, doch ward er bald
verhöhnt, und man sprach gan keck es aus: wenn die Bourgeoisie die Arbeiter
gar zu sehr peinige, so wären letztere genöthigt, nicht sowohl zu Barridaden
(deren Einrichtung durch die Bourgeois der anstoßenden Häuser verhindert
werden dürfte) als vielmehr geradewegs zum rothen Hahn ihre Zuflucht zu
nehmen. ‒ Zu Kandidaten in die Assemblée sind Prinz Joinville d'Orleans und
Louis Bonaparte vorgeschlagen, letzterer selbst durch Wahlzettel, die auf
der Straße ausgetheilt werden; zugleich melden sich Cabet, Caussidiere, der
brave Konspirator und Barrikadenmann, Thiers. Letzterer kommt ohne Zweifel
in die Kammer. Die Reaktion ist in diesem Augenblick allgemein; wie Blanqui
in einem aufgefundenen Briefe sagt: la bourgeoisie, à l'heure qu'il est,
l'emporte sur toute la ligne. Nicht scharf gezeichnet sind aber die
Parteien, und die Personen schwanken noch oft hin und her; mit Lamartine,
Ledru-Rollin ist man nicht im klaren. Die Kammer selbst flottirt auf und
nieder.
Louis Blanc erklärt in einem Flugblatt: er habe nicht die allerdings sehr
betrübsam eingerichteten sogenannten Ateliers nationaux, sondern nur die
1800‒2000 Schneider zählende Societat in Clichy organisirt, und in dieser
ist bereits ein Nettoprofit von 39,000 Francs, trotzdem daß die Arbeitenden
ohne Geld, ohne Kredit und mit steten Kabalen heimgesucht waren; Lamennais
z. B. attakirte diese Schneidersocietät ziemlich perfid; die Bour-
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gois schickten (und dies ist von unparteiischen Zeugen
erwiesen) viele zum Schneidern völlig untauglich gewordene
ehemalige Schneider hin; der Chef ward, als in die
Maisache verwickelt, zwei Wochen nach dem 15. Mai aus dem Bett geholt. In
diesem Clichy'schen Atelier ist Louis Blanc's System in Blüthe; 40 Sous
bekommt
jeder täglich, Faulenzer werden schimpflich
vor die Thür gewiesen, die Brigadiers halten die strengste Zucht. Die Mairie
scheint aber mit gegen es verschworen zu sein, sie hat einige Male schon die
fertigen Bestellungen nicht abholen lassen. ‒ So gährt von Stunde zu Stunde
die Wuth im Stillen fort; die Frechheit der Bourgeoisregimes in Magistratur
und Kammer, die Impertinenz der Bourgeoispresse, die Keckheit der
Bourgeoisgarde wächst zum Bewundern. Neue Reaktionsblätter, z. B. le
Lampion, machen dem Corsaire den Rang streitig; anderseits erscheinen le
Père Duchêne, le Robespierre de 1848, le Journ. de la Canaille'ou le faubou
rien; la Commune de Paris,dem verhafteten Patrioten Sobrier gehörig, ist
buchstäblich von den Nationalgardisten
geplündert
und folglich unterdrückt worden. Le Populaire erscheint wie immer alle
Sonntage; auch in seinem Bureau machten die Bourgeoisgardisten eine
nächtliche Haussuchung nach Waffen, und zwar auf Befehl (nicht etwa des
Maire, auch nicht des Polizeikommissärs) sondern des gegenüber wohnhaften
Postdirektors Etieune Arago, Freund Flocon's und ehemaliger Mitredakteur des
Journals
La Reforme. ‒ Die Klubs des gefangenen
Raspail, Barbès und Blanqui werden unter neuem Namen fortgesetzt.
‒ Der Gouverneur der französischen Niederlassungen in Indien hat am 19. April
die Tags vorher angelangte Nachricht von der Einführung der französischen
Republik zu Pondichéry bekannt gemacht. In der Kolonie herrscht die
vollkommenste Ordnung.
‒ Die Kandidatur von Thiers wird in folgendem Maueranschlag empfohlen:
„Bürger!
Das Bedürfniß
1) nach den Ex-Septembergesetzen,
2) nach Bastillen,
3) nach großen Reden,
4) nach reaktionären Emeuten,
5) und andern gouvernementalen Schurkereien
macht sich allgemein fühlbar. Wählen wir Thiers!
‒ Ueber die Proklamation von Marrast gegen die öffentlichen
Arbeiterzusammenkünfte bemerkt das Journal „La Republique“: Das wahre Volk,
das Volk der Arbeiter, hat weder cercles noch Salons. Wie dem Volke von
Athen, stehen ihm nur die öffentlichen Plätze zu Gebot, um sich zu
versammeln, die Journale gemeinsam zu lesen, um zu erfahren, was seine
Mandatare thun, um sie zu loben und zu tadeln. Gebt ihm große Säle für seine
täglichen Reunionen und es wird sich nicht mehr in den Straßen versammeln.
Marrast spricht von „geräuschvollen Agitationen“. In den Gruppen auf den
Boulevards, auf dem Bastillenplatze, an der Porte St. Denis und St. Martin
wird höchst gemessen diskutirt. Die Turbulenz hat ihren Sitz in der
Nationalversammlung. Der Rath, den Hr. Marrast den zwölf Maires von Paris
ertheilt, ihre Unterbeamten vor dem Verweilen bei solchen Gruppen zu warnen,
ist die Kopie einer Verordnung der Polizeipräfektur Louis Philipps. Hr.
Marrast versichert, er „sei voll Respekt“ für die Volksrechte, und zugleich
droht er, die Justiz werde die Schuldigen zu „ergreifen und zu treffen
wissen“, die von dem Volksrecht der „freien Vereinigung“ Gebrauch machen.
Marrast macht sich zum Echo der Epiciers, indem er in diesen öffentlichen
Versammlungen die Ursache der kommerziellen Krise
findet. Wie kömmt es ‒ fragt „La Republique“ schließlich ‒ daß diese
Proklamation von Marrast, statt von dem Polizeipräfekten Trouvé-Chauvel,
unterschrieben ist. Ist auch die Polizeipräfektur schon von dem Maire von
Paris escamotirt? ‒
‒ In der Nationalversammlung streiten sich jetzt zwei Parteien, die des
„National“, der republikanischen Bourgeois, die in diesem Augenblicke Alles
in der Hand hat, und die der royalistischen Bourgeois, die ihr Alles nehmen
will und die bald hierin reussiren wird. Daher die heftigen Angriffe des
„National“ gegen Hrn. Thiers, mit dem er vor und nach der Februar-Revolution
verbotenen Umgang pflegte. ‒ Die Leute, welche jetzt die trikolore, die
konservative Republik predigen, d. h. die Republik mit monarchichen
Institutionen, sind dieselben, welche früher die Monarchie mit
republikanischen Institutiouen proklamirten.